Allein-samkeit
Der Versuch, dem fesselnden Netz der Konventionen auszuweichen füllte einen großen Teil meines Lebens, und von Gelingen kann ich hier wirklich nicht sprechen. Mildern, oder mir nur etwas größeren Raum verschaffen trifft die Sachlage besser. Gleichgültig ob Schule, Ausbildung, Beruf, Verein, Bekanntschaft oder Beziehung, immerfort und überall stieß ich auf dieses Netz.Dieses Netz ist wie der Krake der Längen- und Breitengrade, der die ganze Welt überzieht. Ihr entkommen zu wollen ist sinnlos, das Entkommen-Wollen aufgeben aber erscheint wie ein Selbstmord in Raten. So wurde mein Leben mehr und mehr zu einem permanenten Ringen, das Kraft forderte und ständige Aufmerksamkeit. Erst jetzt, in der Lebensmitte und fernab der jugendlichen Illusionen endlich lockert diese Krake ein wenig ihren Griff. Viele festen Beziehungen sind mittlerweile in Freundschaft im herkömmlichen Sinne umgewandelt, wenige feste Beziehungen sind und bleiben auch aus meiner Sicht erwünscht, der Sohn ist erwachsen und lebt sein eigenes Leben, mehr und mehr bildet ein jahrzehntelanges Mühen einen relativ sicheren Grund durch die Vermeidung jeglicher Verpflichtung anderen gegenüber, weiterhin wirtschaftlich unabhängig geworden durch Beständigkeit und Nachsicht, konzentriert sich mein Leben heute mehr und mehr auf das Wirkliche, Wesentliche. Entkommen aber, das Netz abgeschüttelt haben gar: Nein, davon kann nicht die Rede sein!
So bleibt nun nur noch zu erklären, was das Wirkliche und das Wesentliche für mich denn sei. Fünf Menschen würden glaube ich fünf verschiedene Antworten geben, und wenn ich diese Antworten dann schaue, dann finde ich sie alle wieder in Büchern und Schriften, die bereits Jahrtausende gestaltet und verdorben zu haben scheinen. Und jede Antwort, die dort schon geschrieben steht, ist für mich wie keine Antwort. Alleinsein folgt keinen Regeln, denn wozu dienen diese im Alleinsein? Alleinsein braucht keine Worte und braucht keine Regeln. Allein nur erscheine ich mir frei, und wo auch das gesunde Alleinsein eines Anderen bedarf, so besteht doch noch die Chance, dann und dort mit wenigen Regeln möglichst frei zu sein. Und dies geschieht meiner Erfahrung nach dann am Wirkungsvollsten, wenn in der gemeinsamen Zeit jeder nur im Interesse des Andern denkt und handelt, das jeweilige Ich zurücksteht und das Du in den Vordergrund rückt. Das ist wohl bemerkt eine gewagte These, zugegeben, aber dem was Liebe bedeutet und wie sie allgemein definiert wird ist dieses am Nächsten. Wo sind nun das Wesentliche und das Wirkliche, von dem ich sprach? Im Alleinsein liegt es in meiner Ansicht jenseits jeder Konvention, in der Zweisamkeit befindet es sich in der Liebe, die „du“ zu „ich“ macht und in einer Gruppe existiert es nicht. Das klingt hart, beschreibt aber meine Erfahrung aus fünfzig wechselhaften Jahren.
Sie sind also immer da, die Fangarme der Krake, beeinflussen immer mein Denken und bedrängen mein Sein. Ich bin trotz Mühen nicht frei geworden, etwas freier vielleicht, mit einer Vision von Freiheit im Kopf, aber was heißt das schon. Ein bisschen Freiheit ist und bleibt ein Widerspruch in sich, und die Vision ist nur eine von vielen. Was bleibt ist die Möglichkeiten auszudehnen, Tau für Tau und Knoten für Knoten zu kappen und stückweise freier zu werden. Das Leben folgt seinem Lauf. Und auch wenn ich diesen nicht nachzuvollziehen vermag, so muss ihm doch entsprechen. Oft gestaltet es sich wie ein Ringen mit unbekannten und unsichtbaren Gegnern, die gerade dann aktiv zu sein scheinen, wenn ich mich zur Ruhe gebettet habe, mich ganz sicher fühle und die mir dann den Schlaf rauben als sei dieser eine Münze, die bei Nacht in einem Gully verschwindet. Aufgeben aber heißt mich selbst morden. Der lebendige Tod ist auch ein Tod, nur erscheint er mir qualvoller zu sein als leben im Mühen! Leben heißt somit für mich letztlich, die Freiheit zu suchen, mich um Freiheit zu mühen, auch wenn das sich nicht immer leicht und locker darstellt und scheitern darin wohl zum Gelingen dazu gehört. Es erscheint sich mir wie der Kopf einer Münze zur Zahl zu verhalten. Sie gehören zusammen und sehen sich doch nicht!