Meditation und die Schwierigkeit der Übertragung von Literatur

Das Problem der Übersetzung an sich
Viele Meditationsweisen, die heute im Westen modern und beliebt sind, entstammen einem östlichen Kulturkreis. Nur wenige Europäer haben aber das Glück, bei oder mit einem Meister zu üben. Die meisten sehen ihren oder einen Meister nur ein- oder zweimal im Jahr, und dann auch nur als Mitglied einer sehr großen Gruppe. Häufigstes Lehrmittel ist und bleibt daher die Schrift oder das Buch, und genau hier beginnen die Schwierigkeiten der Übertragung von einem Kulturkreis zum anderen. Weiterhin entstammen viele Schriften nicht nur diesem anderen Kulturkreis, sondern stammen zusätzlich noch aus einer anderen Epoche und sind meist mehrfach aus nicht mehr gesprochenen Sprachen übersetzt. So entstammt zB. die Bhagavat Gita dem brahmanischen Kulturkreis Indiens aus einer Epoche vor dem Buddhismus, als also die Brahmanen noch nicht über die Machtfülle verfügten, die sie in späteren Jahrhunderten besaßen. Die Kriegerkaste herrschte in dieser Zeit, und der Brahmane war nur Priester und der Armut verpflichtet. Die Originalsprache ist Sanskrit, und zwar das Sanskrit der damaligen Zeit. Jeder indische Philosoph oder Meister von Bedeutung hat diese Schrift in eine lebende Sprache übertragen und schreibt zu diesem Originaltext Kommentare oder Interpretationen, die natürlich von seiner Persönlichkeit gefärbt sind. Für einen heute lebenden Deutschen ist diese Schrift dann in der Übersetzung aus dem englischen erhältlich. Als mögliche Hauptfehlerquellen schleichen sich ein:

    Übersetzung aus Sanskrit ins Englische
    Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche
    Das Problem des kulturellen Hintergrundes
    Verständnis einer nicht gesprochenen, nicht lebenden Sprache
    Verständnis einer längst vergangenen Epoche
    Interpretationen jedes an der Übersetzung beteiligten Autors

Doch damit nicht genug. Die Übertragung aus der indischen in die europäische Kultur bietet eine Fülle von weiterführenden Schwierigkeiten. Auch hier mögen ein paar Beispiele zur Verdeutlichung beitragen:

    Jede Kultur pflegt ihre eigenen Tabuzonen. Wurde ein Buch oder Text zB. für den hinduistisch geprägten Menschen geschrieben, kann eine wortgetreue Übersetzung durchaus Tabuzonen eines Europäers verletzen.
    Sprachliche Wendungen wie zB. ”die Übertreibung” oder ”das auf die Spitze treiben” werden in anderen Kulturkreisen nicht als Wendung betrachtet, sondern werden wörtlich verstanden.
    Jeder Autor setzt in der Regel (Ausnahme: Philosophen) sein Weltbild als selbstverständlich voraus und schreibt in diesem Sinne. So fließt im indischen Sprachgebrauch die unendliche Vielzahl der Götterwelt nahezu selbstverständlich in die Alltagssprache ein. Kennt der Leser die Bedeutung (Symbolisierung) der verwendeten Gottheit nicht, kann er mit dem Satz nichts anfangen oder versteht ihn falsch.
    Verwendet ein Autor oder ein verehrter Meister die direkte Sprache im Sinne ”du sollst…”, so wird dies im östlichen Kreis eine dem Vater oder Guru erlaubte und geachtete Form zuerkannt. Im westlichen Sprachgebrauch klingen solche Sätze ”pathetisch” und werden bereits vom Gefühl her abgelehnt.
    Während der östliche Kreis die bildhafte Sprache besonders schätzt, pflegt der Europäer eher die abstrahierende Sprachform. Viele bildhafte Darstellungen aus Japan, China oder Indien kann ein Europäer einfach nicht nachvollziehen oder verstehen und sie verpassen dann den Sinn, denen diese Bilder dienen sollen.

Das zweite Problem mit der Sprache
Alle Sprachen drücken sich aus auf dem Hintergrund der Kultur, die der Sprache zugrunde liegt. Wortwörtliche Übersetzungen (zB: von indischen ins deutsche) können niemals die enthaltenen Aussagen in ihrer vollkommenen Inhaltlichkeit wiedergeben. Dies ist die bereits beschriebene erste Problematik. Eine weitere stellt sich aus der beschränkten Sichtweise und Erkenntnis unseres Seins. Auch ein überbewusster Mensch (Meditationsmeister, Gurus oder Erleruchtete) stehen vor dem Problem, ihren Schülern Weisheit in einer ungeeigneten Sprache vermitteln zu müssen, in der für Erleuchtungserfahrungen weder Worte, Symbole noch Grammatik zur Verfügung steht

PD Ouspensky, Tertium Organum, über das Wesen der Zeit
Ouspensky, der in seinem Buch die Zeit als das undefinierbare des Raumes einer vierten Dimension betrachtet und beschreibt, sieht als Schlussfolgerung dieser Sachlage nachfolgende Zeilen als wesentlich an:

Neue Teile der Sprache sind notwendig, eine unendliche Anzahl neuer Wörter. Gegenwärtig können wir in unserer menschlichen Sprache über die Zeit nur durch Hinweise sprechen. Ihr wahres Wesen ist für uns unausdrückbar. Die Unausdrückbarkeit sollten wir niemals vergessen. Diese ist das Zeichen der Wahrheit, das Zeichen der Wirklichkeit. Was man ausdrücken kann, kann nicht wahr sein.

Alle Systeme, die die Beziehung der menschlichen Seele zur Zeit behandeln – alle Ideen der Existenz nach dem Tode, die Theorie der Wiederverkörperung, jener der Seelenwanderung, des Karmas – sind Symbole, die Beziehungen vermitteln versuchen, die nicht direkt ausgedrückt werden können wegen der Armut und der Schwäche unserer Sprache. Man sollte sie genauso wenig wörtlich verstehen, wie es möglich ist, die Symbole und Allegorien der Kunst wörtlich zu verstehen. Es ist nötig, nach ihren verborgenen Bedeutungen zu suchen, nach dem, was nicht in Worten ausgedrückt werden kann.

Das wörtliche Verständnis…entstellt den inneren Gehalt dieser Formen vollständig und beraubt sie ihres Wertes und ihrer Bedeutsamkeit.

Wenn bereits die Zeit, eine für uns doch relativ klare Erscheinung (?) eine solche Beurteilung notwendig erscheinen lässt, um wieviel schwieriger stellt sich dann die Beschreibung der Wahrheit dar, mit ihren Funktionen ”Unendlichkeit” und ”Zeitlosigkeit” und anderen, die wir nicht kennen.

Was kann ein europäischer Leser tun?
Sich bewusst zu sein, dass es solche Schwierigkeiten gibt, bietet die eigentliche Lösung an. Der Leser muss sich mit Geschichte, Kultur und Zeitepochen der Entstehung intensiv beschäftigen, um Originaltexte zu verstehen. Der Leser kann auch versuchen, auf Autoren zurückzugreifen, die speziell für den europäisch geprägten Kulturkreis ihre Werke verfassten. Radhakrishnan (Hinduismus) und Vivekananda (Yoga) sind solche Autoren aus Indien, Suzuki (Zen) ist ein solcher aus Japan. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Autoren europäischer Abstammung zu wählen, die diese fremden Kulturen studiert und gelebt haben wie Brunton, Sacharov (Yoga) oder Enomiyo Lassalle (Zen), und diese als Basis für weitere Studien zu verwenden. Dieser Ratschlag klingt aufwendig und er ist es auch. Aber wenn wir zB Yoga oder Zen praktizieren, damit die Grundlagen unseres Lebens und Denkens berühren und verändern, sollte uns auch dieser Aufwand nicht schrecken.




Die aktuellen Diskussionen zu Yoga

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    Sind Haltungen wie Kopf- und Handstand, Schulterstand und Pflug zeitgemäß oder eher eine Spielart vergangener Zeit? Sind diese Übungen als gesundheitsfördernd einz

Wenn man die öffentliche Diskussion über Yoga (Zeitschriften, Bücher) aufmerksam verfolgt, schälen sich drei Themenbereiche mehr und mehr heraus, die zurzeit im Fokus stehen

    ustufen oder sollten man sie eher in die Kategorie einfügen, die einer breiten Allgemeinheit nicht empfohlen werden kann?
    Muss die Sichtweise, die heute als modernes Yoga bezeichnet wird und in dem entweder eine mehr sportliche oder mehr entspannungs-technische Ausrichtung im Vordergrund steht, nicht grundsätzlich überdacht werden?
    Gerne wird heute davon gesprochen, Mut zu neuen Inhalten zu finden. Trotzdem erscheint angesichts der Fülle neuer Inhalte, die möglich geworden ist, der Fundamentalismus, mit dem jede dieser neuen Richtungen sich von der Konkurrenz abzugrenzen pflegt, eine sehr bedenkliche Kraft zu entfalten.


Vielfalt und Abwechslung sind sicher sehr schöne und angenehme Umstände, aber bei allem Wohlwollen und jeglicher Toleranz (Toleranz meint ertragen, nicht lieben) sollte doch die Essenz des Yoga nicht aus den Augen verloren werden. Wie der Ayurveda ist Yoga unter anderem eine Übungspraxis, die Gesunderhaltung, Vorbeugung, Vermeidung und Abschwächung von Risikofaktoren für den Menschen im Sinne hat. Aber Yoga hat als großes Ziel auch „die Fähigkeit zur Versenkung (Samadhi)“ im Programm stehen. Und diese Aspekte sollten weit vor Wellness, Lifestyle und diversen Geschäftsinteressen stehen. Yoga ist nicht Sport, ist nicht Mode, nicht Alibi und schon gar kein Geschäftsmodell, sondern ist eine auf Erfahrungswissenschaft beruhende Methode zu Lebensformung.
Worauf begründet sich dieser Anspruch? Zunächst gibt es im klassischen Yoga nicht nur Asana und etwas Entspannung, sondern Yoga beginnt mit Selbstkontrolle (yama) und Verhaltensregeln (niyama), geht über Körper- und Atemarbeit weiter bis in die Ausformung der Geistesebene, die nach klassisch wissenschaftlicher Ansicht den Menschen ausmacht und allgemein als Bewusstsein bezeichnet wird. Dabei können religiöse und weltanschauliche Ansichten eine Rolle spielen, kann das mit neuen Lebensregeln und einer veränderten Lebensgestaltung einhergehen, muss es aber nicht. Yoga kann sowohl praktiziert werden von Menschen in Aschrams und dessen strengen Bedingungen bis hin zum Wohnzimmer eines Investmentbankers, wo höchstens noch der Lebenspartner von dieser Praxis erfährt. Es geht nicht um öffenliche Ausformung und Kundgabe, sondern um Inhalte und Wirkungsweisen. Wir tragen ja auch nicht die Landestrachten und Logos der Medikamentenhersteller mit uns herum oder vor uns her, denen wir vielleicht wie im Falle von Diabetes Überleben und Gesundheit verdanken.
Beginnen wir zunächst mit den Umkehrhaltungen und ihren Verwandten. Beim Kopfstand wird der Kopf und die Wirbelsäule belastet, beim Handstand Hand-, Arm- und Schultergefüge, beim Schulterstand Schulter und Schlüsselbeine. Dabei ist die Wirbelsäule beim Kopfstand natürlich ausgerichtet, beim Handstand ist sie Verbindungsträger zu den Schultern und Beinen und beim Schulterstand wird sie in einer unnatürlichen Beuge belastet. Diese Übungen sind also übungstechnisch nicht einheitlich einer Kategorie zuzuordnen, die alle in einer Schublade versammelt. Sie arbeiten und wirken unter anderem durch die Umkehrung, sind aber sehr unterschiedlich in Belastung und Ausformung und beanspruchen weiterhin einen unterschiedlichen energetischen Aufwand. Folglich sind die Wirkungen mit Ausnahme der auf Umkehrung basierenden auch unterschiedlich. Sowohl Knochen als auch Muskeln und Gewebe stellen sich auf Belastungen und Beanspruchung ein und bilden sich nach und nach entsprechend aus. Warum sollten die Wirbelsäule und der Kopf da eine Ausnahme machen. Das ist in vielen wissenschaftlichen Studien mehr als bewiesen. Außerdem werden in vielen Ländern dieser Erde große Lasten auf dem Kopf getragen, ohne das dort Gesundheitsgefahren auftreten. Für die Ausführung der Übungen ist es daher mehr erforderlich zu erkennen, wo ich jetzt gerade in meiner Belastungsfähigkeit stehe als mit verallgemeinernden Geboten und Verboten zu agieren. Und wenn der Übende dieses Urteil nicht zu leisten vermag, steht dies in der Verantwortung seines Lehrers. Und für den Lehrer sollte dann gelten, dass er nur Übungen unterrichtet, zu denen er selbst ein ausreichendes Erfahrungsgebäude hat aufbauen können. Regeln wie „nach A kommt B“ und „wenn A, dann B“ und „das muss so und nicht anders gemacht werden“, wie sie in einer Ausbildung normalerweise vermittelt werden, sind hier nicht einmal ansatzweise ausreichend.
Die Ausformung eines gesunden und leistungsfähigen Körpers ist im Yoga nicht der Sinn an sich, sondern eine Bedingung für die Arbeit in den höheren Stufen, die von der Technik her ein langes, entspanntes und ein gut eingerichtetes Sitzen erfordern. Dies gilt sowohl für Pranayama als auch für alle Stufen hinauf bis zur Meditation. Dabei kann Dehnung erforderlich sein, Öffnung und entspannungsförderndes Üben notwendig sein, aber diese Arbeiten sind doch dann nicht als der alleinige Inhalt, sondern mehr als Mittel zum Zweck anzusehen. Man übt einfach genauso viel, wie zum entspannten und schmerzfreien Sitzen notwendig ist. Darüber hinauszugehen ist gar nicht erforderlich. Für die Meisterung des Lotus wird man vielleicht etwas mehr Energie einsetzen müssen, auf einem Bänkchen aber kann nahezu jeder gut sitzen. Und eine stabile Wirbelsäule und gesunde Muskulatur ist auch im Büro und beim Spazierengehen hilfreich. Kunststücke ausführen zu können und Applaus dafür zu erhalten aber werden dabei nicht benötigt, im Gegenteil.
Yoga ist ein Rezept zur Einwirkung auf Konstitution und Prägung sowohl auf körperlicher, energetischer und geistiger Ebene und ist damit Arbeit am Bewusstsein. Und so unterschiedlich wie die Menschen sind auch die Wege zu betrachten, die zu einer erwünschten Korrektur führen können. Es gibt nicht den einen Weg, die eine Sichtweise und die einzige sinnvolle Konfiguration und so sind auch die möglichen Rezepte sehr unterschiedlich. Dass ein Lehrer dabei nur seine Rezepte bevorzugt und nur seine Erfahrungen einzubringen vermag, ist verständlich und auch nicht anders zu erwarten. Aber dies darf nicht zu einer Ideologisierung führen, die sich selbst und die eigene Richtung „ad absolutem“ setzt und andere Stile kategorisch ablehnt. Und so kann es passieren, dass ich in einer Stunde, die ich als Gast besuche, meine Übung im Detail anders gestalten möchte als es dort üblich angesagt wird. Und diese Freiheit möchte ich mir auch nicht nehmen lassen. Ich probiere gerne einmal etwas Neues aus, aber die letzte Entscheidung obliegt aber letztlich nur mir selbst.
Vieles an der laufenden Diskussion ist sehr stark an Details ausgerichtet und durchstreift nur sehr begrenzte Bereiche des Übungssystems. Meiner Meinung nach dürfen dabei aber die Grundzüge des Gesamtsystems nicht vernachlässigt oder sogar vergessen werden. Wenn Yoga alles und auch nichts sein kann, etwas anstrebt oder auch nicht, etwas bewirkt oder auch nicht, haben wir nicht nur das Ziel „frei sein zu wollen“ weit verfehlt. Vielmehr verwässern wir das Rezept, die Technik und lösen Sinn und Inhalte des Yoga auf zugunsten einer Mitnahmementalität, die schon in yama als Verbot (aparigraha) benannt wurde. Für mich ist das Ziel, samadhi zu erreichen, gleichbedeutend mit Freiheit, und Freiheit, oder anders gesagt: der Wunsch „frei zu sein“- und dazu zählt auch „frei zu sein von…“ – war und ist doch immer noch das Ziel aller Yogaübungen. Bei aller Intention und Begeisterung über Neuerungen sollten wir das nicht vergessen. Inhalte können sich verändern, Übungen verändern sich, aber der Weg an sich bleibt doch gleich. Und wenn wir nur etwas Artistik, Wellness und Lifestyle im Sinne haben oder einfach nur ein bisschen rumturnen wollen, sollten wir es nicht Yoga nennen. Yoga ist der achtstufige Weg, der von yama und niyama über asana, pranayama, pratyahara, dharana und dhyana bis zu samadhi geht. Nicht mehr und nicht weniger! Er gelingt nur in voller Selbstverantwortung, großem Selbstvertrauen und dem Mut, sich selbst ins Gesicht zu sehen.
Und mal ganz ehrlich: Wenn wir im Wald herumjoggen, sagen wir doch auch nicht, dass wir den leichtathletischen Zehnkampf trainieren.




Wie Yoga wirkt (Versuch einer Beschreibung)

Wenn ich mich über die Wirkungsweisen von Yoga unterrichten möchte, erwarte ich eine gut gegliederte und Schritt für Schritt nachvollziehbare sachliche Beschreibung, wie sie für z.B. ein Kochrezept oder eine Bauanleitung auch gegeben würde. Ich erwarte Hintergrundinformationen, eine Risikobeschreibung und eine Aussage über die Erwartungsgrenzen, mit denen ich beim Üben von Yoga konfrontiert werde.

Nun möchte ich einmal frech behaupten, dass man mit vielen im Netz zugänglichen Beschreibungen (siehe Exkurs) nicht viel anfangen kann. Diese Ansätze beschreiben die Wirkungsweise von Yoga in etwa so, als wenn man sagt, man werfe eine Tablette ein und, simsalabim, alle Beschwerden sind weg. Ist damit aber die Frage des „wie“ oder des „warum“ auch beantwortet? Muss man als Übender wirklich nur einfach an die Wirkung der Übungen glauben, sich nur darauf einlassen, den vielfältigen Doktrin folgen, um dann nach Jahren vielleicht einen unbestimmten Erfolg zu verbuchen und so vielleicht irgendwann eine Antwort zu erhalten? Ich teile diese Ansicht nicht und möchte nachfolgend versuchen, eine etwas gehaltvollere Beschreibung abzugeben.

Vorbeugende körperliche Wirkungen
Yoga in seiner klassischen körperlichen Form (asana) ist ein vorbeugendes körperliches Trainings, das auf drei Wirkungsweisen aufbaut:

    Yoga beinhaltet ein vorbeugendes, funktional-erhaltendes Training des Körpers
    Es kann therapeutische Maßnahmen bei Erkrankungen und Einschränkungen des Bewegungs- und Halteapparats begleiten
    und es sorgt für den Erwerb detektierender Fähigkeiten zu möglicher Krankheit, Stimmung und Einschränkung

Yoga arbeitet mit dem fühlenden und beobachtenden Bewusstsein des eigenen Körpers. Dieser ist in seiner Gesamtheit wie eine große Fühlfläche, auf der Signale wie das Bild auf einer Leinwand abbildet werden. Ist diese Leinwand aber zerknittert, gefleckt oder gar zerrissen, kann das darauf projizierte Bild nicht sauber wahrgenommen werden. Subtile Veränderungen am eigenen Körpergefüge registriert unser Bewusstsein also nur dann, wenn die Fühlfläche entspannt und gut ausgerichtet ist, über alle Funktionen verfügen kann, mit anderen Worten „rein“ ist. Verspannungen, Verhärtungen, Bewegungseinschränkungen, Fehlhaltungen und Mangel versperren (verschleiern) dem Ich den Blick auf die feinen Signale, die der Körper als Reaktion auf Krankheit, Überlastung und Unterversorgung abgibt. Es ist daher die Aufgabe von Yogaübungen, diese Fühlfunktion wieder fein auszubilden, zu reinigen.

Energetische Wirkungen
Die energetische Wahrnehmung funktionieren wie die schon beschriebenen körperlichen Signale, sind jedoch viel feiner (subtiler) ausgeprägt. Auch hier ist Steigerung der Wahrnehmung zunächst einmal das erste Gebot aller Übung. Das energetische Gefüge des Menschen ist überwiegend autonom und selbstbestimmt. Lediglich Atemausdruck und Konzentration vermögen hier in begrenztem Rahmen eine Anpassung vorzunehmen. Dazu muss das Körpergefüge sehr fein justiert und sensibel wahrzunehmen sein. Atem und Stimmung wirken im Menschen als eine polar vorliegende Ausdrucksform. Wenn also meine Stimmung den Atem verändern kann, dann kann im Umkehrschluss der Atem auch die Stimmung verändern. Ein zweites polares Paar ist mit der energetischen Versorgung und der Konzentration auf körperliche Funktionen gegeben. Atem- und Konzentrationsübungen schaffen also ein Wahrnehmungsgefüge, dass uns in die Lage versetzt, mit den genannten polaren Paaren zu arbeiten, frühzeitig einzugreifen, zu lindern oder sogar zu vermeiden.

Geistige (mentale) Wirkungsgefüge
In den meisten Fällen des täglichen Lebens drücken sich Stimmungen, Belastungen und Krankheit eindrucksvoll körperlich aus. Wir kennen das beim Beobachten der Menschen in unserem Bekanntenkreis. Allerdings sind wir nur selbst und in der Eigenbeobachtung in der Lage, kleine und beginnende Veränderungen zu erkennen. Meiner Erfahrung nach drücken sich die bereits genannten Stressoren sehr früh aus und können schon in ihrer ersten Ausprägung wahrgenommen werden. Ich spüre also, wenn sich beispielsweise eine Erkältung nähert, wenn meine Umwelt mich zu nerven beginnt oder Stimmungen mein in der Welt sein zu verhageln drohen.
Nehmen wir z.B. eine aufleuchtende Stimmung wie Wut, die sich durchaus fühlbar ankündigt. Wenn ich ihr erstes Aufleuchten bereits erkenne, mir also der Atemausdruck der Wut gut bekannt ist, kann ich in dem polaren Gefüge frühzeitig mäßigend und fördernd einwirken. Ähnliches gilt für Krankheit und Überlastung, wobei die Einwirkungsverfahren natürlich am Ziel ausgerichtet und abgestimmt sein müssen. Die Fähigkeit dazu wird durch regelmäßiges Üben erworben. Wir bauen Erfahrung auf. Der Ausbruch einer Erkältung z.B. könnte durch ein heißes Bad verhindert werden. Eine beginnende Überlastung kann durch ausgleichende Körperhaltungen bekämpft, Stress durch Entspannungsverfahren gedämpft werden.

Die Seele
Die Seele ist im Yoga als eine nicht zu beeinflussende Wesenheit dargestellt. Sie leidet lediglich mit aufgrund körperlicher, energetischer oder geistiger Spannungen und befreit sich, wenn diese auch befreit sind. Die als Atman dargestellte Seele kann also nur von Störendem befreit, nicht aber selbst ausgebildet oder verändert werden.

Zusammenfassung
Fassen wir noch einmal kurz zusammen, was als Beschreibung der Wirkungsweisen gesagt wurde:
Im Yoga geht es grundsätzlich und vor allem um die Wahrnehmung des eigenen Selbst. Dieses erfolgt natürlich über die Sinne und das reflektierende Bewusstsein (Geist), setzt aber ein sehr fein strukturiertes Körpergefüge und dessen feinstoffliche Wahrnehmung (fühlen) voraus. Der Sinn des Fühlens ist leider aufgrund der zivilisatorischen und kulturellen Einwirkungen heute meist starken Beschränkungen unterworfen. Yoga versucht in Form von Körper-, Atem- und Konzentrationsübungen diesen wichtigen Sinn wiederzubeleben, ihn maßgeblich zu verfeinern und so umfassender nutzbar zu machen.

Wir spüren doch sehr wohl einen aufsteigenden Hunger, einen sich ankündigenden Toilettengang oder das aufleuchtende Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit. Wenn wir nun frühzeitig spüren könnten, wann Krankheit sich ankündigt, Überlastungen sich negativ bemerkbar zu machen drohen oder Stress und Ausgebrannt sein sich zu etablieren beginnen und wie Stimmungen in uns hochkochen, wie viel Ärger, Not und Leid könnte im Alltäglichen vermieden werden. Und wie viel Zeit bliebe uns dann, um frei und unbelastet die wirklich drängenden Probleme dieser Welt – und die gibt es reichlich – anzugehen.

Und natürlich kann Yoga nicht dafür sorgen, unseren verbrauchenden Lebensstil unbeschränkt weiterführen zu können, weil es immer wieder die entstandenen Mangelsymptome beseitigt. Yoga arbeitet nur am eigenen Selbst. Es kann im Nachhinein ohnehin lediglich Schäden reparieren oder selbige ausgleichen. Es kann dafür sorgen, dass Einflüsse nicht allzu heftig auf Gesundheit und Lebensfreude schlagen können. Es kann frühzeitig warnen und vielleicht rechtzeitig dämpfen. Und natürlich kann Yoga dafür Sorgen, das viele Probleme gar nicht auftauchen können oder, soweit nicht vermeidbar, die Gesundheit allzu ausgeprägt belasten. Den Lebensstil ändern aber können wir nur mit Hilfe des Verstandes und seine Motive wie Überzeugung, Vernunft und Toleranz. Diese aber sind Fragen der Philosophie, Psychologie oder sogar der Politik, und dafür ist nun wirklich eine ganz andere thematische Ausrichtung angesagt.

Exkurs: Stichworte zur Beschreibung der Wirkungsweise von Yoga aus dem Netz (Internetrecherche, Google, „Yoga Wirkungsweise“):

Der Körper ist der Tempel unserer Seele.

    Wofür braucht die göttliche Seele einen Tempel und warum sollte ein Ich im Tempel eine Seele anbeten, die doch für solcherlei gar nicht zugänglich ist (siehe indische Philosophie: Atman).

Entschleunigung, innere Balance, körperliche Fitness, neue Perspektiven.

    Wenn Entschleunigung unseres Lebens helfen könnte, wieso sind dann Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut als stressfördernd eingeordnet, wo doch diese Lebenslagen ein Entschleunigen automatisch mit sich bringen? Wie entsteht innere Balance und was balancierend da mit wem? Und leben fitte Sportler automatisch gesund und finde ich durch Üben im stillen Kämmerlein die Lösung für Frieden und Freiheit? Sicher nicht!

Sanfter Sport mit starker Wirkung.

    Normalerweise ist Sport leistungsbezogen, die Wirkung oft eher ermüdend und belastend. Sport lebt nun einmal vom „schneller, höher, weiter“. Yoga ist hier das genaue Gegenteil.

Yoga als Medizin

    Medizin ist ein Mittel des Blockierens für Schmerz, Entzündung, fördert oder hemmt Auf- oder Abbau. Wie kann blockieren helfen? Blockieren kann nur Vermeiden und die Frage wird sein, wie sich die Vermeidungen der Mittel eingrenzen (Nebenwirkungen) lassen, damit ich nicht auch das vermeide, was ich gar nicht will?

Yoga als Therapie

    Therapie ist das Wiederherstellen der Gesundheit durch Ermöglichung und Beschleunigung der Heilung. Wozu Therapie, wenn ich erst gar nicht krank zu werden brauche? Gesundheit selbst muss und kann nicht therapiert werden. Yoga stellt Mittel und Wege bereit (durch lernen), die, wenn sie gebraucht werden, gelernt, geübt und auffindbar sein sollten.

Yoga hat auf viele Menschen eine beruhigende, ausgleichende Wirkung.

    Ist Ruhe und Ausgleich wirklich ein Motiv, mit dem sich ein Leben lebenswert gestalten lässt. Und warum nur für viele Menschen? Was ist mit Nervenkitzel, Risiko, Sport, Spaß, für das Menschen in aller Welt gerne die Ruhe und Ausgeglichenheit sausen lassen!

Harmonisierende Wirkungen

    Mich würde schon interessieren, was da so harmonisiert wird, und warum Harmonie immer (?) als so wichtig erscheint. Nichts auf dieser Welt ist harmonisch und nichts wird je harmonisch sein. Es überwiegt Kampf, Eigennutz und Narzissmus, und diese sind durch Harmoniegebote nicht zu reduzieren. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher.

Gesundheitsfördernde Wirkungen sind unbestritten.

    Na, das ist doch einmal eine Aussage. Lieber wäre mir, wenn sich das auch wissenschaftlich beweisen ließe! Und hilfreich wäre sicher auch, wenn Yogalehrer, die diese Ansichten allzu leichtfertig in die Welt setzen, zumindest mal ihre eigenen Rückenprobleme im Griff haben würden. Wie jedes Übungssystem ist Yoga keine Pille, die automatisch Heilung mit sich bringt. Yoga erfordert Fleiß, Mühe, Mut und Ausdauer, und wenn das dann alles zusammen gesundheitsfördernd wirkt, stimme ich zu. Ohne diese vier Motive ist auch Yoga nur ein bisschen turnen.

Positive Wirkungen

    Positive Wirkungen haben auch viele andere Dinge, unter anderen auch Rauschmittel und erziehende Maßnahmen, nur wirken diese meist nicht lange und das Erwachen im Entzug und in der Unfreiheit ist tückisch!

Manche meine Anmerkungen mögen zynisch wirken, aber so ist das eben mit gerne gebrauchten Phrasen: Sie befrieden nicht lange, sind angreifbar und überzeugen vor allem nicht grundlegend! Ich finde es daher wichtig zu vermitteln, wie sich Unterrichtsinhalte und Übungen begründen, welche Wirkungen zu erwarten sind und natürlich auch, welche Ziele man nicht erreichen kann.

Yoga hat mit Leistung eben nichts zu tun, ist keine Therapie für alles Unheil dieser Welt und ist auch keine Religion, und eignet sich ganz und gar nicht als Lebensphilosophie. Und mit dem Üben von Yoga tue ich wenig für den Weltfrieden, nichts gegen Hunger und Durst dieser Welt und ich bekämpfe nicht die Armut, nicht die Dummheit und nicht die Gewaltbereitschaft. Mit Yoga arbeite ich nur für mich selbst, für meine Einstellung und für meine ureigenen Wünsche und Bedürfnisse. Es kann die Auseinandersetzung mit anderen Menschen, und dazu zählen auch Gesellschaft und Politik, nicht ersetzen!




Das geplatzte Seminar

Es ist schon seltsam! Ein geplatzter Seminartermin, und die Notwendigkeit, den beantragten und noch ausstehenden Urlaub zu nehmen, und ein sehr oft gehegter Wunsch, Zeit für sich zu haben, nicht arbeiten zu müssen und ganz aus der Pflicht zu sein, erfüllt sich für gut Dreißig Tage. Und seltsam daran ist, dass es sich ganz anders darstellt, als die naive Phantasie sich das so dachte.
Ja klar, ausschlafen, nach drei Tagen ist das erledigt, die vor sich hergeschobenen Erledigungen tätigen, nach fünf Tagen sind sie vollbracht, den Haushalt in Ordnung bringen und den Schreibtisch aufräumen, ganze zwei Tage hat das gedauert, und alles, was wichtig erschien, löste sich schon bald auf. Und dann kommt die Leere, und der unruhige Geist sucht nach Beschäftigung, und diese Beschäftigung, und das ist seltsam, soll sich nur in Handeln ausdrücken, in Tun. Ich dachte, jetzt ist es soweit, jetzt, wo alles erledigt ist, wo ich ausgeschlafen bin und nichts mich drängt, ja jetzt kann ich mich mit dem beschäftigen, was ich sonst aus Erschöpfung nicht konnte: Jaspers, Kant, Spiritualität… Nichts dergleichen geschieht, der Geist verlangt Handeln, und er sucht nach diesem. Der Kauf von etwas, was in Gedanken folgerichtig und vernünftig ins neue Jahr verschoben werden sollte, taucht immer wieder auf, und ich ertappe mich bei dem Gedanken: „Jetzt hole ich es…“. Und trotz des Wissens, dass gerade jetzt in dieser hektischen Zeit Freunde und Bekannte keine Zeit für mich haben können, weil sie arbeiten müssen, weil Weihnachten vor der Tür steht, Jahresende ist, ertappe ich mich bei dem Gedanken: „Jetzt ruf doch an… oder schreibe eine Mail… oder fahre hin…“. Und das Buch von Jaspers, kaum aufgeschlagen, wandert zurück ins Regal. Und der Drang, zu tun, treibt mich durch die Wohnung, und das Bild des eingesperrten Pumas aus dem Opel-Zoo taucht in mir auf, der seinen Käfig abschreitet und nicht versteht, weshalb und warum diese Gitter ihn beschränken.

 

Auf einem Meditationsseminar wollte ich jetzt sein, zehn Tage der Stille, der Zurückgezogenheit und der Selbstreflektion wollte ich dort erleben, wo ich schon einmal war und wo dies ganz leicht ist, hinter den Mauern eines Klosters und in einem genau geregelten Tagesablauf. Fünfzig Menschen bilden eine Gruppe, in der jeder für sich allein eine vollkommen durchplante Zeit erlebt, sich in einem vollkommen geschützten Rahmen bewegt. Mein Gott, wie wenig hat das doch mit der Wirklichkeit zu tun. Auch hier Zuhause habe ich die Stille, kann ich zurückgezogen sein und einen geregelten Tagesablauf gestalten. Nur die Dynamik der Gruppe scheint hier zu fehlen, der geschützte Rahmen der Institution, die mich betreut, fehlt…. Aber das kann doch nicht alles sein, denn all das ist nicht wesentlich oder Zuhause nicht notwendig. Ich lebe allein, niemand stört mich, der Kühlschrank ist voll, und Bücher gibt es in Hülle und Fülle, und viele sind darunter, die ich mir gerade für solche Tage angeschafft habe. Auch hier kann ich den Alltag ausschließen, mir einen Plan machen, und… Also was ist es, was wirklich fehlt hier Zuhause, oder was ist hier, was dort im Kloster nicht ist?

 

Dies zu erkennen, hat lange gedauert, fast schon zu lange, fünf lange aufregende Tage waren dazu notwendig: Der geregelte Tagesablauf und der geschützte Rahmen nimmt dem Eingebundenen nur dies eine: nämlich seine eigene persönliche Freiheit. Die Freiheit, zu gestalten, zu verändern, sich anders auszurichten oder etwas ganz anderes zu tun, als das, was vorgegeben ist oder vorgegeben sein sollte. Das letztlich ist das, was Zuhause möglich ist und dort nicht. Und diese Freiheit äußert sich in dem Drang, zu handeln, dem Drang zu schreiben, zu kaufen, zu besorgen, zu erledigen , umzuräumen, anzustreichen, noch dies zu… noch das zu… und weiter zu… Einfach nicht zu handeln, obwohl ich könnte, einfach zu sein -und genau das wäre notwendig dafür, die Gedanken eines anderen zu verstehen, ihm ganz zuzuhören, ihn ganz aufzunehmen, ihn ganz zu Ende erzählen zu lassen-, ja, das genau wäre die Voraussetzung, um Jaspers lesen zu können, Kant lesen zu können und auch, um in dieser Zeit spirituell sein zu können.

 

Wie wenig sind doch in der Lage, unser eigenes kleines Leben in Freiheit zu gestalten. Sich einfach hinsetzen, die Welt, also das Gewesene und das Sein-Sollen für ein paar Stunden nur zu vergessen, um in den Gedanken eines anderen zu baden, wenn schon dies schwer ist, wie schwer mag es dann sein, zu verändern, was Vergangenheit und anderes uns aufgeladen haben. Wenn fünf Tage notwendig sind, um dieses einfache, wirklich simple Prinzip zu verstehen, wie steht es dann um all die anderen, viel komplizierter uns erscheinenden Dinge? Wieviel Tage werden wir wohl dazu brauchen, zu erkennen, welches Prinzip uns hierhin und dorthin treibt? Und eines erscheint mir jetzt klar und deutlich: Nicht allein die Übungen im geschützten Rahmen bringen uns voran, sondern erst die Übertragungen der Übungsinhalte in den Alltag sind es, die letztlich zur Einsicht führen. Beide sind notwendig, um zu erkennen, denn der geschützte Rahmen bildet nur den Anfang, den Impuls, das Übertragen aber in die Alltäglichkeit bildet den Schritt, der uns vorangehen läßt, und nur so wird letztlich ein Schuh daraus. Und so lehrt das geplatzte Seminar, was das Seminar selbst mich nicht lehren könnte: Alltäglichkeiten zu erkennen und sie auch zu leben.




Die Sucht nach der Suche

Wir wollen immer mehr: mehr Geld, mehr Status mehr Macht mehr Erleuchtung. Was wir sind, das ist einfach zu wenig. Wir wollen immer besser werden: immer gesünder, immer klüger, immer umfassender informiert, immer erleuchteter. Denn so wie wir jetzt sind, sind wir uns einfach nicht gut genug. Wir wollen haben, haben, haben. Nur sein, das langt uns einfach nicht. Wir sind getriebene; Menschen, die glauben auf der Suche nach sich selbst zu sein und doch nur vor sich selbst davonlaufen. Da wir uns nie gut genug sind, suchen wir nach Menschen, die das erreicht zu haben scheinen, was wir uns erträumen: Erleuchtete, Weise, Meister, Gurus. Und je exotischer sie aussehen und je weiter sie weg sind, desto besser. Wer will schon von seinem Vater oder Mann lernen? Wie langweilig! Da macht es doch viel mehr Sinn (und ist auch ökologisch viel sinnvoller!) ins Flugzeug zu steigen und nach Indien zu jetten, um dort seinen Übervater zu finden. Wer will schon in den Augen der eigenen Mutter bedingungslose Liebe leuchten sehen? Wie öde! Da ist es doch wesentlich aufregender, mit Hunderten anderer vor einer lebendigen Verkörperung der Göttin zu sitzen und sich eine Sekunde lang von ihr umarmen zu lassen. Dass auch die Mutter oder die Frau eine menschgewordene Göttin ist, das ist dann doch zu schwer anzunehmen. Dann wäre man ja wirklich ein Kind Gottes oder gar der Geliebte der Göttin und als solcher vollkommen. Aber wer vollkommen ist, der braucht sich nicht mehr zu verbessern. Und dann? Dann wäre unser Leben sinnlos geworden. Denn der Lebenssinn des spirituellen Suchers besteht ja nicht im Finden, sondern im Suchen. In dem Augenblick, in dem er erkennt, dass er das, was er gesucht hat, immer in sich hatte, wird sein bisheriges Leben sinnlos. Wir suchen ständig nach Gott. Aber wir suchen immer im Außen nach ihm. Und an dem einen Platz, an dem er wirklich zu Hause ist, an dem er immer war und immer sein wird, da suchen wir nie: in unserem eigenen Herzen. „Du brauchst keine Götter zu haben neben mir“, hatte das Herz geflüstert und war prompt als Befehl eines alten Mannes mit weißem Bart missverstanden worden. Seit wir glauben, unser Glück im Außen zu finden, haben wir es nie wiedergesehen, und suchen und suchen und suchen…“
Hanspeter Sperzel (1999)




Allein-samkeit

Der Versuch, dem fesselnden Netz der Konventionen auszuweichen füllte einen großen Teil meines Lebens, und von Gelingen kann ich hier wirklich nicht sprechen. Mildern, oder mir nur etwas größeren Raum verschaffen trifft die Sachlage besser. Gleichgültig ob Schule, Ausbildung, Beruf, Verein, Bekanntschaft oder Beziehung, immerfort und überall stieß ich auf dieses Netz.Dieses Netz ist wie der Krake der Längen- und Breitengrade, der die ganze Welt überzieht. Ihr entkommen zu wollen ist sinnlos, das Entkommen-Wollen aufgeben aber erscheint wie ein Selbstmord in Raten. So wurde mein Leben mehr und mehr zu einem permanenten Ringen, das Kraft forderte und ständige Aufmerksamkeit. Erst jetzt, in der Lebensmitte und fernab der jugendlichen Illusionen endlich lockert diese Krake ein wenig ihren Griff. Viele festen Beziehungen sind mittlerweile in Freundschaft im herkömmlichen Sinne umgewandelt, wenige feste Beziehungen sind und bleiben auch aus meiner Sicht erwünscht, der Sohn ist erwachsen und lebt sein eigenes Leben, mehr und mehr bildet ein jahrzehntelanges Mühen einen relativ sicheren Grund durch die Vermeidung jeglicher Verpflichtung anderen gegenüber, weiterhin wirtschaftlich unabhängig geworden durch Beständigkeit und Nachsicht, konzentriert sich mein Leben heute mehr und mehr auf das Wirkliche, Wesentliche. Entkommen aber, das Netz abgeschüttelt haben gar: Nein, davon kann nicht die Rede sein!

So bleibt nun nur noch zu erklären, was das Wirkliche und das Wesentliche für mich denn sei. Fünf Menschen würden glaube ich fünf verschiedene Antworten geben, und wenn ich diese Antworten dann schaue, dann finde ich sie alle wieder in Büchern und Schriften, die bereits Jahrtausende gestaltet und verdorben zu haben scheinen. Und jede Antwort, die dort schon geschrieben steht, ist für mich wie keine Antwort. Alleinsein folgt keinen Regeln, denn wozu dienen diese im Alleinsein? Alleinsein braucht keine Worte und braucht keine Regeln. Allein nur erscheine ich mir frei, und wo auch das gesunde Alleinsein eines Anderen bedarf, so besteht doch noch die Chance, dann und dort mit wenigen Regeln möglichst frei zu sein. Und dies geschieht meiner Erfahrung nach dann am Wirkungsvollsten, wenn in der gemeinsamen Zeit jeder nur im Interesse des Andern denkt und handelt, das jeweilige Ich zurücksteht und das Du in den Vordergrund rückt. Das ist wohl bemerkt eine gewagte These, zugegeben, aber dem was Liebe bedeutet und wie sie allgemein definiert wird ist dieses am Nächsten. Wo sind nun das Wesentliche und das Wirkliche, von dem ich sprach? Im Alleinsein liegt es in meiner Ansicht jenseits jeder Konvention, in der Zweisamkeit befindet es sich in der Liebe, die „du“ zu „ich“ macht und in einer Gruppe existiert es nicht. Das klingt hart, beschreibt aber meine Erfahrung aus fünfzig wechselhaften Jahren.

Sie sind also immer da, die Fangarme der Krake, beeinflussen immer mein Denken und bedrängen mein Sein. Ich bin trotz Mühen nicht frei geworden, etwas freier vielleicht, mit einer Vision von Freiheit im Kopf, aber was heißt das schon. Ein bisschen Freiheit ist und bleibt ein Widerspruch in sich, und die Vision ist nur eine von vielen. Was bleibt ist die Möglichkeiten auszudehnen, Tau für Tau und Knoten für Knoten zu kappen und stückweise freier zu werden. Das Leben folgt seinem Lauf. Und auch wenn ich diesen nicht nachzuvollziehen vermag, so muss ihm doch entsprechen. Oft gestaltet es sich wie ein Ringen mit unbekannten und unsichtbaren Gegnern, die gerade dann aktiv zu sein scheinen, wenn ich mich zur Ruhe gebettet habe, mich ganz sicher fühle und die mir dann den Schlaf rauben als sei dieser eine Münze, die bei Nacht in einem Gully verschwindet. Aufgeben aber heißt mich selbst morden. Der lebendige Tod ist auch ein Tod, nur erscheint er mir qualvoller zu sein als leben im Mühen! Leben heißt somit für mich letztlich, die Freiheit zu suchen, mich um Freiheit zu mühen, auch wenn das sich nicht immer leicht und locker darstellt und scheitern darin wohl zum Gelingen dazu gehört. Es erscheint sich mir wie der Kopf einer Münze zur Zahl zu verhalten. Sie gehören zusammen und sehen sich doch nicht!




Meditationsworkshop – Juli 2015

Die Fragestellung, was Meditation eigentlich sei, wie ihr Wirkungsmechanismus geht oder was man als Meditierender erreichen kann, wurde hunderttausendfach gestellt und zweihunderttausendfach beantwortet. Die Bücher und Beschreibungen zu diesem Thema würden, zusammengetragen, ganze Büchereien füllen können. Und doch ist jedes Mal, wenn für mich Meditation auf meiner Workshop-Liste auftaucht, Vorbereitung und Einstimmung erforderlich. Die Frage, die zur Beantwortung ansteht, heißt jedes Mal: Wie baue ich den WS auf, was will ich wie vermitteln, wo werde ich die Teilnehmer finden oder treffen können und wie kann ich sie dann ein Stück mitnehmen.

In einer früheren Arbeit habe ich versucht, dem Begriff „Meditation“ eine religions- und weltanschauungsfreie Definition zu geben:
Wir suchen in der Meditation nach dem Ruhenden in unserer Mitte im Glauben daran, dass wir so ein Leben ohne vermeidbares Leiden erreichen können. Dazu sind wir bereit, uns ganz und gar einzubringen, sind bereit, uns so anzunehmen, wie wir sind, mit allen Fehlern und allen Schwächen. Indem wir uns selbst erkennen, erkennen wir uns auch in der unauflösbaren Gemeinschaft mit allem anderen. Wir lösen die Knoten der Vergangenheit und gewinnen die Spontaneität eines geistigen Lebens.

Dieses geschah aufgrund der in der Vergangenheit vorherrschenden Gewohnheit, Ziele und Inhalte der Meditation jeweils auf der vorherrschenden religiösen und weltanschaulichen Konvention zu gestalten und man dabei auf Andersdenkende wenig Rücksicht nehmen musste, weil es diese im gewohnt klein strukturierten Umfeld gar nicht gab. Heute sieht das allerdings ganz anders aus, weil im multikulturellen Umfeld einer Großstadt viele Konventionen nebeneinander bestehen müssen. Besonders schwierig wird diese Vielfalt dann, wenn die Meditation als Thema in einem größeren Umfeld wie zum Beispiel einem Yogazentrum angeboten wird, wo Menschen mit Zielen zwischen „ich tue etwas für meine Gesundheit“ bis zu „ich strebe die Erleuchtung an“ in einem Raum zusammensitzen können. Ich möchte daher noch einmal in Kurzform versuchen, meine Intention für den Workshop „Meditation“, den ich in unserem Yogazentrum anleiten werde, zu formulieren.

Meditation ist ein elementarer Bestandteil des Yoga und kann daher auch aus seiner Praxis nicht eliminiert werden. Neben dem Willen, etwas zu seiner Entwicklung zu tun (Philosophie), neben dem Versuch, seinen Körper gesund, fühlend und kommunizierend zu erhalten (Asana-Praxis) und neben dem Bestreben, seine Stimmungen und Gefühlswallungen erfahrbar und veränderbar zu gestalten (Pranayama) ist die Arbeit an Gewohnheiten und Konventionen (Meditation) ein maßgebliches Ziel der Yogapraxis. Erst die Summe der genannten Techniken kann die Erreichung eines gesetzten Zieles bewirken, und die Meditation ist dabei so etwas wie der „Deckel auf dem Topf“. Sie schließt die Entwicklung, vollzieht die Veränderung, rundet den Eingriff ab. Und dabei ist, so unplausibel das auch klingen mag, die Formulierung des Zieles relativ unbedeutend.

Wenn wir uns auf die Matte begeben und uns ernsthaft mit der Praxis befassen, wollen wir etwas verändern, und dabei ist es nicht wichtig, ob wir nur unsere „körperlichen Schwächen“, unsere „psychischen Defizite“ oder eine „bewusstseinserweiternde Entwicklung“ in Sinn haben, die Zutaten sind immer gleich: Raum, Zeit(losigkeit) und Bewusstsein. Das Rezept allerdings, oder die Weise, wie die Zutaten in der Tagespraxis zu mischen sind, sind immer verschieden, denn jeder kann jetzt nur mit dem arbeiten, was sie/er jetzt gerade vorfindet. Das ist in einer theoretischen Form schwer zu verstehen und ebenso schwer zu formulieren. Lassen Sie mich also versuchen, das systemische Gebilde am Beispiel „Zeit“ zu erläutern.

Zeit ist etwas, was dem modernen Menschen kostbar und wertvoll ist, und in der Regel ist sogar die Methode, die zu mehr „Zeit haben“ führen könnte, also Yoga, aus Zeitgründen meist nicht ausreichend verwirklichbar. „Zeit haben“ ist nämlich nicht mit „mehr Zeit haben“ im Sinne von „mehr Geld besitzen“ zu definieren, weil der Tag eben nicht unendlich erweiterbar ist. Hier spielt uns die Sprache – die nebenbei gesagt nur eine Konvention ist – einen Streich. Mehr Zeit haben geht nur dann, wenn ich mich von dem löse, was meine Zeit bedrängt, wenn ich mich von dem löse, was mein zeitliches Erleben unübersichtlich und unüberschaubar macht und wenn ich erkenne, worin dieses Bedrängt sein besteht. Der Mensch ist ein sich selbst gestaltendes (autopoietisches) Wesen und kann daher von außen nur von Aggression bedrängt werden. Alle anderen bedrängenden Wahrnehmungen sind selbst gestaltet und daher auch veränderbar. Hier gilt das nachfolgende Rezept:

  • erkennen (erfühlen, wahrnehmen)
  • bedenken (reflektieren, nach Möglichkeiten suchen)
  • störendes beseitigen (unterlassen, verändern, gestalten)
  • erwünschtes fördern (üben, verbessern, erweitern)
  • neues eingliedern (Überzeugungsarbeit leisten, verzichten)
  • das Leben gestalten im neuen Gewand
      • Die Fragestellungen im Workshop selbst werden sich dem folgend auf nachfolgende Themen beziehen:

        • Welche Werkzeuge kann ich zur Korrektur der Sitzhaltung verwenden? Für die Korrektur der Haltung werde ich die Konzentration auf das Sitzen ansprechen (Apana-Effekt). Weiterhin wird das Zusammenführen der Fingerkuppen (Daumen, Daumen/Zeigefinger) thematisiert.
        • Sollte oder muss ich sogar in der Meditation mit einem Lehrer arbeiten? Die Antwort kann nur geteilt dargestellt werden: Für Menschen mit wenig Selbstvertrauen würde ich zur Zusammenarbeit mit einem Lehrer raten. Ansonsten ist die Arbeit auch ohne Führung möglich. Allerdings würde ich dazu raten, mit anderen Übenden in Kontakt zu sein.
        • Wie lange und wie oft und wann sollte ich meditieren? In der Regel ist der Morgen eine günstige Zeit. Allerdings sind persönliche Anlagen zu berücksichtigen (Schlafgewohnheiten, Belastung, Zeitkontingent, Umfeld).
        • Ist es möglich, Problemstellungen in die Meditation einzubringen? Im Prinzip: Ja. Allerdings wäre es sinnvoll, die Problemstellung zu einer einfachen Frage zu formulieren und diese unbeantwortet in die Meditation mitzunehmen. Zügige Antworten, die aufleuchten, werden stets verworfen. Die richtige Antwort wird sich später einstellen und man erkennt sie intuitiv.

    Für den Workshop wünsche ich mir eine angenehme, entspannte und sehr offene Atmosphäre. Es wird ein kurzweiliger Nachmittag werden!




Eine Wolke erscheint…

Gerade zieht eine dicke Regenwolke über unseren Himmel, und ich fühle mich, als ob diese Wolke mich verschließt, mir nicht gestattet, mit der Welt um mich her im Austausch zu paktieren. Es staut sich in mir, und meine Schädeldecke scheint sich zu wölben wie ein Deckel eines Topfes, der, festgehalten von stählernen Klammern, dem Druck des brodelnden Dampfes nur langsam nachgibt. Es ist feucht und schwül, und der ständige Wechsel vom Licht der Sonne, wenn sie durch die Wolken bricht, und der Düsternis dieser Wolke, die ein Durchbrechen des Lichts verhindert, reizt die Augen, lässt sie ständig tränig feucht erscheinen.

Wie das Wetter draußen, so erlebe ich auch mein Gemüt. Die dunkle Wolke treibt auch hier ihr Spiel, lässt mich erschauern und erzittern. Es ist ungemütlich und anstrengend, diesem Wechsel unterworfen zu sein, zu vielfältig und hintergründig sind die Gedanken, alles staut sich auf, als wäre ein Abfluss verstopft. Und doch verweigert sich etwas in mir einer der Lösungen, die sich aufdrängen und sich ständig in den Vordergrund schieben, die rufen: was soll‘s, es ist doch eh egal… und es kommt doch anders, als man denkt…, und was willst du eigentlich, du bist doch…, und du musst Geduld haben…, und was sonst noch… Denn nichts ist ganz so egal, genauso, wie nichts so überaus wichtig ist, und ich fühle eine Sättigung darüber, für und wider immerzu gegeneinander aufzurechnen.

Es sollte doch ganz einfach sein, und ich höre und lese dies so oft, dass ich schon lange nicht mehr weiß, wo mir dies zu erstenmal begegnete. Alles ist gut so wie es ist, heißt es da, und dein Problem beruht nur auf der Tatsache, das du ein Problem siehst, wo kein Problem ist. Höre auf, das Problem zu denken, und dein Problem verflüchtigt sich wie der Gedanke, der es schuf. Das klingt paradox, und gerade daher erscheint es richtig zu sein, denn wenn die Realität nicht mehr helfen kann, erscheint das Paradoxe als sein Gegenüber doch der Lösung näher. Und doch, auch dieser Ansatz erscheint letztlich so falsch, wie er nur sein kann, denn er verschiebt alles nur ins andere Extrem, schüttet das Bad aus samt dem Kinde darin.

Was wäre eigentlich, wenn alle Ansätze zur Lösung falsch sind, es den richtigen Ansatz nicht gibt, und wenn daher genau das Falsche zu tun, immer wieder und immer wieder, erst zu der Einsicht führt, die das Problem, oder besser noch jedes Problem, für immer verbannt. Ist die Einsicht vielleicht die Erkenntnis der Unvollkommenheit und Bedingtheit des Lebens? Ist dieser sich ständig wiederholende Irrtum dem Menschsein eingegeben? Ist dies vielleicht die Lektion, die es hier und heute zu lernen gibt?. Und wenn dies so wäre, sollte dann nicht die Einstellung eines Kindes, das laufen lernt, das Vorbild hierfür sein: Lachen, wenn es steht, und weinen, wenn es fällt? Und ist Gleichmut dann nicht eine Krankheit, die Erkenntnis zu verbergen sucht, weil diese Leichtigkeit und Anstrengung, Lachen und Weinen, Freude und Leid, und letztlich alle Gegensätze einschließt?

Die Wolkendecke lichtet sich, und draußen kommt die Helligkeit der Sonne zum Überwiegen. Und auch der Druck im Kopf scheint, mit etwas Verzögerung zwar, der Helligkeit zu weichen. Ist es nicht seltsam und staunenswert, das eine vorüberziehende Wolke am Himmel das Gemüt derart verdunkeln kann, und das zwei so unterschiedliche Wesenheiten so eindeutig partizipieren. Und wenn dies so ist, wie fest und verschweißt mögen dann die vielen anderen Dinge sein, die zu unterscheiden wir gewohnt sind; und wie groß wird unsere Geduld und unser Ausharren sein müssen, um dieses letztlich zu ergründen? Ich fühle mich klein und schwach, und doch erscheint dieses mir mehr und mehr in aller Klarheit: Die große Kraft des Ganzen sollte auch mich durchfließen können, so wie diese Wolke, die, als sie mein Gemüt erschütterte, mich durchfloss!




Diskussion über das Yoga Sutra Patanjali – Viveka

Hallo, bezugnehmend auf Ihren Artikel in  Viveka Heft 49 zu „Travelling Yoga“ möchte ich hiermit einige Gedanken darlegen, die mit diesem Thema zu tun haben. Zunächst einmal bewundere ich den Mut, mit dem die Autoren hier die Aussagen einer überlieferten Schrift auslegen.
Da wurde gesprochen über …

  • das Kontrollieren der Aktivitäten des Geistes
  • Beruhigen und bündeln der Aktivitäten des Geistes
  • Der Fähigkeit, sich einlassen zu können
  • der Offenheit, sich gegen Widerstände und Ablenkungen einlassen zu können
  • der Welt mit Offenheit zu begegnen und dies auch unter großen Schwierigkeiten aufrecht zu erhalten

und so weiter. Keine dieser Beschreibungen gibt Patanjalis Text wirklich inhaltlich wieder!

Vielmehr beschreibt Patanjali den (siehe Deshpandes Übersetzung) arbeitenden und den denkenden Geist und begründet auf letzterem das Leiden des Menschen. Weiterhin gibt er eine Gliederung vor, an der die Gültigkeit von Schlussfolgerungen und dem damit erhaltenen Wissen überprüft werden kann. Ich habe zunächst einmal einen Auszug einer Ausarbeitung des Textes von Deshpande beigefügt, die ich im Rahmen einer Ausbildung angefertigt habe und die diese Intention der Schrift eindeutig belegt. Wenn Sie Interesse haben, kann ich Ihnen auch den gesamten Text zukommen lassen.

Die Sutren nach Deshpande:
Dem Text liegt die Übersetzung von Deshpande (Die Wurzeln des Yoga) zugrunde und bezieht sich lediglich auf die Versübersetzung ins Deutsche, nicht deren umfangreiche Auslegung. Weiterhin wurden auf die umständliche fremdsprachige Gliederung und Begriffsbestimmung weitestgehend verzichtet. Etwaige Verkürzungen der Sinngebung der vorliegenden Sanskritbegriffe durch ihre Übersetzung wurden in Kauf genommen.

Was ist Raja Yoga    Kapitel 1 / Verse 1-11
Raja-Yoga ist ein Übungsweg, der überwiegend mit geistigen und seelischen Bereichen des Menschseins beschäftigt und über diesen Zugang zur Vollkommenheit [das Ruhen in seiner Wesens-Identität] führen will. Es gibt nur einen vollkommenen Zustand des Seins, und dieser Zustand drückt sich in einem Zur-Ruhe-Gekommen-Sein des Geistes aus, so beschreibt Patanjali das Ziel des Yoga. Dies heißt aber nicht, dass hier (in diesem Zustand) keine Gedanken mehr erscheinen oder anwesend sind. Vielmehr könnte man an dieser Stelle eine Unterscheidung einfügen, welche die Gedankenwelt in einen arbeitenden Geist [leidlos] und in einen denkenden Geist (nach Ramesh) [leidvoll] einteilt. Das Denken ist ursprünglich konzipiert als ein arbeitendes Werkzeug, dass für die Bewältigung des Lebens in der Form als Mensch notwendig ist. Es sorgt für Essen, Kleidung und andere Bedingungen, die das Leben und damit das geistige (spirituelle) Wachstum fördern. Erst der denkende Geist, der sich über diese Aufgabe erhebt, führt den Menschen aus seiner Vollkommenheit und erschafft so diese Welt des Leidens, wie wir sie heute kennen. Wir nutzen den nachfolgend beschriebenen Übungsweg, um unseren Geist zu seiner eigentlichen Aufgabe zurückzuführen, damit das Leiden zu beenden und uns in die Vollkommenheit zu führen. Dieser vollkommene Zustand, den ich auch als Meditation oder Wesens-Identität bezeichnen könnte, ist ein Zustand reinen Seins, in dem der denkende Geist unbeachtet bleibt und keine Anbindung erfährt.

Raja Yoga gründet sich auf ein psychologisches System

Kapitel 1 / Verse 1-11
Raja Yoga behandelt und arbeitet wie alle psychologischen Systeme mit der gesamten Psyche des Menschen. Alle geistigen und seelischen Vorgänge sind damit angesprochen. In den Sutras werden 7 Unterscheidungen getroffen, welche die gesamte Bandbreite des Psychischen darstellen:

  • Es gibt ein Wissen, das auf direkter Wahrnehmung beruht und entweder aus dem religiösen Glauben oder aus philosophischer Einsicht kommt und oft auch Intuition genannt wird.
  • Aus Wahrnehmungen verschiedener Art entstehen Schlussfolgerungen. Diese sind ein Produkt des denkenden Geistes.
  • Über Überlieferungen (heilige Schriften und Erzählungen) wird Wissen aufgebaut und vom denkenden Geist verwendet.
  • Intuitive Wahrnehmungen, die in der Folge falsch interpretiert wurden und damit dem Wesen der Sache widersprechen, werden Irrtümer genannt.
  • Denkgebäude, die keinen Bezug zum Wesen der Dinge haben, nennt Patanjali Vorstellungen. Er nennt sie ”Worte ohne Bedeutung”.
  • Der Tiefschlaf, in dem zwar keine Wahrnehmungen erfolgen, der aber nicht mit dem Zustand der Vollkommenheit übereinstimmt.
  • Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen, werden Erinnerungen genannt.

 

Alle geistig-seelischen Vorgänge können auf eine oder auf eine Kombination von mehreren dieser Unterscheidungen zurückgeführt werden. Diese Unterscheidung dient damit lediglich der Gliederung der breit gefächerten Thematik.

Patanjali geht damit von der Annahme aus, dass das reine und vollkommene Wissen nur über die Fähigkeit zur Intuition erlangt werden kann. Diesem Vorgang stehen aber, durch den denkenden Geist verursacht, Hindernisse gegenüber. Erlebnisse der Vergangenheit werden gespeichert, und als Grundlage für zukünftige Entscheidungen in umfangreichen Denkgebäuden, die nach P. keinerlei Grundlage besitzen, zu Regeln umgedeutet. Diese sind, da falsch, die eigentlichen Ursachen für jedes Leiden im Menschsein. Selbst richtiges, reines Wissen, das von Weisen schriftlich fixiert wurde, kann falsch ausgelegt und daher missverstanden werden. Einzig der Zustand des Tiefschlafes kommt dem angestrebten Zustand, dem reinen Sein, sehr nahe, aber gerade dort werden keine Wahrnehmungen aufgenommen. Doch kommt aus ihm die Sehnsucht nach dieser Freiheit und dieser folgend wird der Mensch zum Suchenden.

Noch detaillierter als Deshpande beschreibt Deussen in seiner „Geschichte der Philosophie, Bd1.3., Seite 512“ die ersten Verse des Textes in einer alten, aber auch sehr deutlichen Sprache:

Die Sutren nach Deussen:

  • Nunmehr die Belehrung über den Yoga
  • Der Yoga ist die Unterdrückung der FUNKTIONEN des Bewusstseins
  • Dann wird erreicht das Bestehen des Sehers in seiner eigenen Natur
  • Im anderen Falle teilt er die Natur der FUNKTIONEN (fünffach, mit und ohne klesha’s behaftet)
    1. Erkennen durch Erkenntnisnormen (Wahrnehmung, Folgerung, Überlieferung)
    2. Verkehrtheit ist die falsche Erkenntnis, welche bei dem stehen bleibt, was nicht Wesen der Sache ist
    3. Der bloßen Erkenntnis durch Worte nachgehend, des Objektes bar, ist die Annahme
    4. Die nicht auf einer realen Vorstellung fußende Funktion ist der Schlaf
    5. Das Nichtabhandenkommen des Objektes, dessen man inne ward, ist die Erinnerung
  • Die Unterdrückung der Funktionen geschieht durch Übung und Leidenschaftslosigkeit
  • Die Übung ist die Bemühung, darin zu beharren
  • Diese aber gewinnt festen Boden, wenn sie lange Zeit ununterbrochen gastfreundlich gepflegt wird.
  • Die Leidenschaftslosigkeit ist das Bewusstsein der Selbstbeherrschung eines nicht mehr nach wahrnehmbaren und schriftverheißenen Dingen Dürstendem.
  • Dieses Nichtmehrdürsten nach den Guna‘s erreicht seinen Höhepunkt bei dem „das Aufleuchten des Purusha“ Besitzenden

Auch hier wird eine Gliederung vorgenommen, um Erkenntniswege zu überprüfen. Auch Deussen beschreibt hier die Wirkung des denkenden und arbeitenden Geistes, nur werden diese nur in einem kleinen Nebensatz erwähnt, weil die „Behaftung mit und ohne klesha’s“ zur Standarddifferenzierung in der indischen philosophischen Kultur gehört und daher selten spezielle Erwähnung findet. Leidenschaft hier muss übersetzt werden als „in Zu- und Abneigung verfangen“. Von Fühlen, diskutieren und reflektieren ist diese Haltung weit entfernt. Im Bericht über Krishnamacharia kommt diese Haltung sehr deutlich zum Ausdruck: Er bestreitet jede persönliche Mitwirkung und rezitiert aus den für ihn ewig gültigen Schriften. Er lässt damit in seinem Denken keinerlei Leidenschaft zu und beruft sich immerfort auf die gültige Überlieferung, die im klassischen Yoga eine wahre Erkenntnisquelle darstellt.

Alles in Allem ergibt sich so für mich ein ganz anderes Bild über das „Yoga Sutra des Patanjali“. Wenn wir diese Überlieferung modern verändern und damit Motive einbringen, die das Sutra im Original ganz bewusst ausschließt, sollten wir das Ergebnis nicht mehr „Yoga Sutra nach Patanjali“, nicht mehr „Diskusionen über das Yoga Sutra des Patanjali“ sondern wirklich „Diskussion über ein modernes Verständnis der Yogapraxis“ oder einfach neudeutsch „Travelling Yoga“ nennen.
Es würde mich freuen, wenn Sie diese Texte in eine der erwähnten Mittwochsdiskusionen einbringen könnten.




Yoga als Übungspraxis

Yoga an sich ist eine lebenslange Übungspraxis. Dabei bezieht sich der erste Teil „Übung“ wie in der Sprache angelegt auf Motive, die der Übung bedürfen und daher nicht, noch nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen. Die Bedeutung des Wortteils „Praxis“ bezieht sich auf die Motive, die verfügbar sind und lediglich der Vergewisserung (der Erinnerung) bedürfen. Mit anderen, kürzeren Worten ausgedrückt übt man, was man noch nicht kann und praktiziert, was nicht in Vergessenheit geraten sollte.
In der westlichen Welt wird der Mensch als Trinität von Körper, Geist und Seele betrachtet, wobei die letzten zwei in aller Regel noch als Geist-Seele zusammengefasst werden und somit nur noch eine Dualität übrigbleibt. Das Übungssystem Yoga ist unter diesen Gesichtspunkten nicht beschreibbar. Versuchen wir eine Beschreibung der körperlichen Motive, die geübt werden können in westlicher wissenschaftlicher Ausdrucksform, stoßen wir sehr schnell an unüberwindliche Hindernisse.
Da sind zunächst die physischen Voraussetzungen eines Körpers, die mit den Begriffen Muskeln, Sehnen und Bindegewebe beschrieben werden. Knochen und Organe an sich entziehen sich ja einer direkten Übung, sind aber durch die Erstgenannten mehr oder weniger kollateral erreichbar. Weitere Motive physischer Übungen sind der Atem, der als ein raumschaffendes Wesen angesehen werden muss sowie die energetische Versorgung, die zwischen Atem und Stoffwechsel angesiedelt wird. Weitere Motive wie Spannungszustände, räumliche Ausdehnung, Bewegungsausrichtung, Entspannung, Schwerkraftnutzung und –widerstand sind in westlicher Nomenklatur gar nicht beschreibbar.
In der Yogasprache sind all diese Motive mit Strukturen beschrieben, die unter Anderen sich sehr grob betrachtet mit Energie (Prana) und Ausrichtung (Elemente) beschäftigen.
Übungen für den Geist gibt es in westlichen Systemen fast nur in Psychiatrie und Psychologie, wobei beide sich meist darauf beschränken, gesellschaftlich abnormales Verhalten und Denken in Normalität zurückzuführen. Wachstum, Entwicklung, Evolution und Erweiterung geistiger Fähigkeiten sind hier nicht vorgesehen, ja mehr noch, erscheinen dem westlich geprägten Geist als unsinnige Ziele und werden in aller Regel als krank diagnostiziert. Die Seele dann ist in westlicher Nomenklatur ein unveränderliches Wesen, das sich lediglich noch religiösen Praktiken öffnen kann, wobei diese streng und unerbittlich Glauben als ihre Grundlage setzen. Bei Unglauben droht ewige Verdammnis und Fegefeuer.
Im System des Yoga ist der Geist lediglich ein Werkzeug zur Alltagsbewältigung. Ansonsten wird diese Funktion mehr oder weniger als störend und hinderlich für den Wesenskern (Seele) betrachtet, soll also gezügelt und eingebunden sein. In der Methodik der Übungen werden daher Fähigkeiten angestrebt, in denen der Geist zu schweigen hat. Die Seele oder der Wesenskern aber ist göttlich und unveränderlich, frei von Geburt an und ewig im Sein.
Wenn wir also uns das Übungssystem des Yoga anschauen wollen, kommen wir um die Akzeptanz einiger begrifflicher Besonderheiten nicht herum, wobei es unbedeutend ist, ob diese Motive in Sanskrit oder einer alltagssprachlichen Begrifflichkeit benannt werden. Weiterhin ist nur Lernen derselben nicht ausreichend, sondern die Motive dieser Beschreibungsformen müssen auch wahrgenommen und umgesetzt werden können. So sind Pranaströme keine geistigen Bilder, sondern wahrnehmbare und brauchbare Werkzeuge in Übung und Praxis. Die Elementenlehre beschreibt die Wahrnehmung von Schwere, Spannung, Ausrichtung und Ausdehnung und Bandhas (Siegel) und Mudras (Gesten), die auf den bereits genannten Motiven aufbauen, beschreiben Werkzeuge, mit denen diese Wahrnehmungen zu bewusster Veränderung eingesetzt werden können. Entspannungsfähigkeit und Spannungsaufbau sind dabei ebenso notwendig wie Zurückhaltung und Selbstkontrolle. Die Meditation weiterführend beschäftigt sich mit der Fähigkeit, unbewusste Motive zu ergründen, auszuschalten oder zu verändern. Ihr Ziel ist ein durch Erfahrung und gesellschaftlicher Norm unbelasteter Geist, der auch schweigen kann und der in der Lage ist, Neues zu formen, schöpferisch zu sein.
Sich diese Werkzeuge zu erarbeiten, wird „Üben“ genannt; sich diese Werkzeuge zu erhalten und bewusst einzusetzen zu können, wird „Praxis“ genannt. Beide zusammen bilden das Übungssystem des Yoga. Zeit, Geduld, Hingabe und die Bereitschaft, Neues zu versuchen sind die Eigenschaften, die auf Matte und Kissen mitzubringen sind. Es hat nichts zu tun mit Fun, Leistung, Sport oder gar pseudoreligiösem Eifer, nichts zu tun mit Ausstieg und Neuorientierung und schon gar nichts mit Weltanschauung. Es ist nur … ein praktischer Übungsweg!