Die segmentierte Lebenswelt als Werkzeug der Praxis

In den modernen Wissenschaften werden Menschenbilder, was so viel heißt wie sich der Mensch als Wesen in der Welt (Planet), in einer Gesellschaft (Kultur) und in seiner Selbstansicht (Selbstkonzept, Ideal, Weltanschauung) einordnet oder von außen betrachtet eingeordnet wird, in verschiedenen Disziplinen oder Unterdisziplinen behandelt und somit in Bruchstücken, sowohl in den Beschreibungen als auch in den gültigen Paradigmen, beschrieben. Trotzdem sind sowohl subjektive und objektive Sichtweisen als auch die animalischen (körperlichen) Befindlichkeiten und Bedürfnisse nicht einwandfrei zu trennen, sind Überschneidungen sichtbar, die wiederum in Unterdisziplinen (zB. Sozialpsychologie, Arbeitspsychologie, Organisationspsychologie, Betriebspsychologie, Pädagogische Psychologie, Erziehung, Gesundheitspsychologie und Psychotherapie) behandelt werden und daher ein weiteres System der Erklärungen produzieren. Mit den Einzelformen entstehen jeweils Wordings, die dann auch noch kunterbunt durchmischt fremdverwendet werden. Diese ganze Systematik, vereinzelt und in Schubladen organisiert, ist unscharf und daher für den allgemeinen Gebrauch vollkommen unbrauchbar. So taugt das Freud‘sche Konzept von Überich, Ich und Es zwar als Bild innerhalb einer Therapie, aber leider nicht mehr für eine Beschreibung der Grundlagen einer gesellschaftlichen Sichtweise oder gar einer Motivationsanalyse. Wir brauchen aber in einer immer komplizierteren Welt eine Matrix, um Beschreibungen und Erklärungen kommunizieren zu können.

Ich möchte daher ein relativ einfaches Modell vorschlagen, das den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit beschreibt, Rückschlüsse erlaubt und die Fähigkeit besitzt, ohne großen Aufwand eine beschreibungsfähige Ansicht zu konstruieren, mit dem gesellschaftliche Phänomene ins Bild gesetzt werden können, ohne ein langjähriges Psychologiestudium vorauszusetzen. Ich möchte dafür die Lebenswelt des allgemeinen Menschen in drei ineinander verzahnte Segmente aufteilen.

  1. Zur animalischen Welt gehören alle Bedürfnisse und Voraussetzungen, die ein Leben auf diesem Planeten sicherstellen. Dazu gehören die Aspekte Nahrung, Atmung, Fortpflanzung und Sicherheit.
  2. Zur kulturellen Einbettung gehören alle Aspekte, die im Zusammenwirken zwischen Menschen untereinander und die zwischen Mensch und Umwelt notwendig und sinnvoll sind und die, sofern sie beachtet würden, vor einer Bedrohung der animalischen Erfüllung bewahren könnten.
  3. Selbstkonzepte: Hierzu gehören Ideale, Werte und Selbstbilder, die ein Mensch für sich selbst entscheidet und verfolgt. Als Beispiele können dienen das Ausüben-Wollen von Macht, das sich Einordnen- und Unterordnen-Wollen in Konzepte des Zusammenlebens oder auch einfach nur das Bild, das jeder von sich selbst hat.

Jeder Mensch befindet sich mehr oder weniger in jedem der Segmente wieder. Diese bilden zusammen ein Geflecht, das im Idealfall auf einem individuellen Gleichgewichtszustand aus Motiven dieser Segmente beruht. Wird das Gleichgewicht gestört, versucht die Lebenswelt aus den noch vorhandenen Inhalten einen neuen Gleichgewichtszustand zu formen. Dieses gelingt im alltäglichen kleinen Bereich normalerweise recht gut, bei Superstörungen wie Pubertät, Trennung oder Jobveränderungen kann es aber zu Zeiten kommen, in denen das Gleichgewicht erheblich verändert wird und nur noch unter offensichtlichen Einschränkungen getragen werden kann. Krankheit (animalisch), Depression (selbst) und Aggression (Kultur) sind Beispiele solcher Einschränkungen, die ganz überwiegend einem der großen Segmente zugeordnet werden können. Neben Einschränkungen treten auch Übersteigerungen auf, wie sie vom Narzissmus (selbst), körperlicher Selbstoptimierung (animalisch) oder blinder Fankultur bekannt sind. Des Weiteren gibt es Mischformen, die wesentlich schwieriger und meist nur beispielhaft zu beschreiben sind. Und es gibt auch noch das Motiv der Beschränkung des gesamten Lebensgefüges, weil Segmentanteile nur noch in der Verkleinerung aller zu einem Gleichgewicht geführt werden können.

Nun sehe ich es nicht als Aufgabe an, hier eine Katalogisierung zu versuchen und alle möglichen Krankheiten in Segmenten, Unter-, Teil- und Mischsegmenten unterzubringen. Viel wichtiger erscheint mir die Fragestellung, wie aus einer erkannten Störung über die Zuordnung von Einschränkung und Übersteigerung ein Ausgangspunkt gefunden werden kann, von dem aus Patient und Arzt, Patient und Analytiker oder Teilnehmer und Lehrer gemeinsam in eine vermeintlich stabilere Konfiguration aufbrechen können.

Da ich weder Arzt noch Analytiker, sondern nur als Yogalehrer tätig bin, kann ich nur aus dieser Sicht fortfahren. Im Yoga steht mir mit Asana, Pranayama und Meditation eine Übungspraxis zur Verfügung, die für die Ausbildung eines neuen und dauerhaft stabilen Gleichgewichtszustandes hilfreich sein kann. Ergänzend dazu bekomme ich mit philosophisch begründeten Fragestellungen einen guten Zugang zum kulturellen Segment, so dass alle Bereiche zumindest mit Arbeitsformen abgedeckt sind. Den Rahmen zu einer gemeinsamen Arbeit bilden Einzelstunden und/oder -gespräche vor oder nach Gruppenstunden. Darin entscheidet sich, ob und in welcher Form Hilfestellungen meinerseits erfolgen können.

So ist offensichtlich, dass unfallbedingte Einschränkungen, stressbedingte Störungen und Selbstwertstörungen nicht in ein und derselben Weise angegangen werden können. Auch fordern Einschränkungen fast immer Aufbauarbeit, Übersteigerungen aber in der Mehrzahl Abbauarbeit. Häufig spielt Angst eine Rolle, spielen die gesellschaftliche Position und  Zugehörigkeit mit in ein Selbstbild hinein oder ist der Wille die entscheidende Kraft, die gestärkt oder gebremst werden muss. Immer aber ist wichtig, einen stabilen Ausgangspunkt zu finden und von dort eine Richtung und Intension zu bestimmen, die zu einer Veränderung führen kann. Dazu sind die Segmente der Lebenswelt in der vorliegenden Form eine große Hilfe.

Exkurs: Ganz neu ist das Konzept ja auch nicht, da im Yoga mit Asana, Pranayama und Meditation die Übungsformen und mit Yama und Niyama ein kulturelles Segment, sprich eine philosophische Einbindung schon gegeben ist, nur das die zugrunde gelegte Kultur nicht der unsrigen entspricht.
In einer pluralistischen Welt mit unzähligen Erscheinungen genügt die Beschreibung von vereinzelten Übungsformen aus meiner Sichtweise allein nicht. Es muss auch differenziert werden, in welcher Weise welche Übung zu wirken in der Lage ist. Und es muss die Möglichkeit geben, Übungsformen und Übungen so zu kombinieren, das eine zielführende Praxis erreicht wird. Die Mittel dazu sind Erfahrung, Selbsterfahrung, eigene Praxis und Reflektion und die Umsetzung in Übungsabfolgen und -abläufen für sich und andere.




Wie halte ich es mit Traditionen in Yoga und Meditation

Die Grundfragen des Lebens werden durch unsere Kultur, unsere Wissenschaften und unsere Vereinbarungen (Konventionen) nicht beantwortet. Sie bleiben scheinbar unaussprechlich und wortlos im Dunkeln. Zwar gibt es unzählige Versuche, durchaus erfolgreich zu einer Näherung der Antwort zu kommen, aber die Schwelle der Klarheit haben die wenigsten von ihnen erreicht und wahrscheinlich nur ganz wenige überschritten.

Zwei Motive sind herauszuheben, mit denen die meisten Denker und Traditionsgründer unserer westlichen Kultur arbeiten:

  • Ich verzichte auf Vorsätze und Vorgaben und überlasse die Auskleidung des Lebens jedem selbst, zähle allerdings Fakten und gesichertes Wissen auf und gebe so eine fundierte Hilfestellung. Alles weitere ist jedem selbst überlassen: Jeder ist selbst seines Glückes Schmied, jeder kümmert sich um sich selbst und so wird von unsichtbarer Hand gesteuert alles gut. Ein Beispiel dafür sind Yogastunden, in denen sich die Lehrenden wenig bis gar nicht um die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Teilnehmer kümmern, also einfach ihrem oft sogar noch vorgefertigtem Plan folgen und das auch noch strikt durchziehen. Das Motto heißt: Üben, üben, üben.
  • Ich erbaue einen moralischen und ethischen Rahmen um einen Teil oder die Masse einer Gesellschaft herum und baue diesen je nach Wissen und Notwendigkeit permanent aus und um, um die Menschen zu lenken und vor Gefahren zu schützen. Religionen und absolute Herrschersysteme, aber auch Sekten und Gurus verfolgen meist diesem Weg. Er ist gefüllt mit Vorgaben (Essen, Trinken, Achtsamkeit; Gesinnung) und wird vermittelt mit einem ganz großen Ziel (Paradies, Märtyrer, Befreiung, Erleuchtung) im Gepäck.

Beide Wege, die sich oberflächlich grundlegend zu widersprechen scheinen, werden seit Beginn aller Kulturen verfolgt. Sie werden oftmals einerseits  als „die große Freiheit“ (Free- Stile, Utilitarismus) oder andererseits als „die Gemeinschaft“ (z.B.: Sekten, Alternativsysteme) betrachtet. Je nachdem, welche Anschauung man dabei mit sich führt, wird diese Ausrichtung auch in den persönlichen Lebensweg eingebaut und verfolgt. Somit sind auch die Übungswege des Yoga und der Meditation von diesen Grundausrichtungen geprägt, da die Übenden dieses schon privat verfolgen und auf die Matte und das Kissen mitbringen. Was für Yoga und das Üben mir wichtig erscheint ist, die Ausrichtung in den Extremformen „frei“ oder „total gerichtet“ als jeweils einseitige Formen zu meiden. Für Yoga und Meditation sind diese beiden in meiner Anschauung eher wie eine Aufgabe in Hegels Dialektik zu sehen, wo aus These und Antithese eine Synthese zu erfolgen hat, die die Ausgangspunkte nicht nur umfasst, sondern die Summe beider übersteigt.

Da ist dann in den neuen Stilen einerseits die große Freiheit, in der Traditionen und Techniken aus diesen vollkommen frei und unbehindert ineinander verzahnt werden. Vielen Yogarichtungen deuten das bereits an in ihren Namen: Yin-Yoga: Yin/Yang ist aus dem Taoismus und entstammt der Kultur Chinas, Yoga kommt aus Indien und ist eher Hinduistisch geprägt). Aku-Yoga: (Akupunktur stammt ursprünglich aus China und beruht auf dem Meridiansystem, Yoga ist indisch und baut auf Chakren und Pranaströmen auf.)

Dann sind da andererseits die fast vollständig erhaltenen alten Traditionen von Yoga, die sich Wort für Wort an ihrem Gründer ausrichten und darin keinerlei Varianz zulassen. Auch hier sehe ich eine Gefahr heraufziehen, die dann aber nicht in der Verwässerung, sondern mehr in der Verhärtung liegt. „Das muss so sein, weil der Meister…“ und „Das ist so vom Meister (end)gültig festgelegt…“ sind Sätze, die man gerne in den Übungsstunden hört. In alten Yogastilen kann man das oft beobachten, aber auch neuere Gurus machen davon gerne Gebrauch. Sie sind leicht zu erkennen an der verquasteten Sprache und Begrifflichkeit, an den immer weiter fortgeführten Ritualen, die beim Nachlesen der Bedeutungen eigentlich gar nichts mit dem Übungswesen zu tun haben. Ein schönes Beispiel ist das beliebte Gayatrie-Mantra, das eine rein religiöse Bitte an Gott, also ein Gebet darstellt. „Das muss so“ würde die Werbung heute dazu in der beliebten Verkürzung sagen. Ich sehe das anders.

Auch ich verwende Übungen aus verschiedenen Yogarichtungen und anderen östlichen Schulen (TaiChi, Karate, Zen), allerdings versuche ich stets, die Systeme soweit wie möglich in ihrem Kontext zu belassen. Wenn ich Übungsreihen für Yoga baue, wähle ich daher das Energiesystem des Yoga (Ströme, Prana, Elemente), da dieses genau abgestimmt ist auf die Wirkungsweisen dieser Übungen. Auch die Übungen aus dem Tai Chi oder dem Karate, die evtl. dazukommen, werden von mir somit auch mit dem Pranasystem beschrieben. Das mag den einen oder anderen Kenner verschiedenster östlicher Praktiken verwirren, ist aber durchaus angebracht und sinnvoll. Es ist schon schwierig, die Wirkungsweisen und -formen allein eines Systems zu verfolgen, wenn dann noch jede Einzelübung in einem anderen Kontext gesehen werden muss, ist Unterricht in einer gemischten Gruppe eigentlich nicht mehr möglich. Allerdings gibt es auch persönliche Anforderungen, die sich so nicht vereinfachen lassen. Als Yogaübender außerhalb der Lehrertätigkeit habe ich natürlich auch andere Interessen. So habe ich mich für Zen als Meditationsweg entschieden. Wenn ich selbst allein Meditation übe, bewege ich mich daher im System des Zen, nutze Übungen, Beschreibungen und die Haltung dieser Tradition. Wenn ich im Yogaunterricht Meditation unterrichte, bewege ich mich trotzdem ausschließlich im System des Yoga. Wenn ich aber während einem Shesshin Yogaübungen beschreibe, bewege ich mich ausschließlich im System des Zen. Und wenn ich eine Karate-Kata übe, bewege ich mich im System dieser Tradition, die zwar dem Zen sehr nahe steht, aber in einigen Punkten auch andere Motive in sich birgt. Das ist für mich möglich, da ich mich über viele Jahre nacheinander mit den Systemen, die hier genannt wurden, auseinandergesetzt habe. 20 Jahre Kampfsport, über 20 Jahre Yoga und mehr als 15 Jahre Zen, manches in zeitlich begrenzten Räumen, haben mir diese Systeme nahegebracht.  Sie sind für mich wie Sprachen, die einmal erlernt sehr schnell wieder präsent sein können, auch wenn sie monatelang mal nicht gesprochen wurden.

Ich vertrete die Ansicht, dass man die Traditionen östlicher Praxen nicht wahllos vermischen sollte. Weiterhin glaube ich trotzdem, dass sich diese höchst wirksam ergänzen können, wenn man in der Lage ist, von Sprache zu Sprache zu übersetzen. Daher plädiere ich auch dafür, Begriffe und Namen verschiedener Übungen und Motive in die Muttersprache, in meinem Fall ins deutsche, zu übersetzen. Auf diese Weise steigt man aus der Gefahr aus, von unterschiedlich vorgebildeten Teilnehmern unterschiedlich verstanden zu werden.
Hier im Anschluss möchte ich für mich und meinen Unterricht das indische Prana-System und seine fünf Hauptströme kurz skizieren und dafür eine allgemein verständliche Begrifflichkeit vorschlagen.

Prana nennt das indische System einerseits alle Energieströme des Körpers als Sammelbegriff, andererseits aber auch den Energiestrom, der den Rumpf-Atem-Raum (Unterbauch über Brust bis Schlüsselbeinregion) in zum Kopf aufsteigender Richtung füllt und prägt. Für den Sammelbegriff genügt daher einfach das Wort „Energie“. Für den untergeordneten Prana-Strom würde „Atemenergie“  eine ausreichende  Begrifflichkeit bezeichnen.
Apana nennt das indische System die Energie, die sich mit der Schwerkraft zur Erde hin bewegt. Sie ist die Grundlage für Festigkeit, bedeutet Halt und Stärke. Da Schwerkraft immer in Richtung Erdmittelpunkt zieht, würde ich für Apana den Begriff „Erdenergie“ vorschlagen.
Udana heißt der Energiestrom im indischen System, der zwischen den Schulterblättern entspringt und über Hals und Nacken in den Kopf hinaufströmt. Diese Energie ist eng mit dem „Kinnsiegel“ (original: Kinnverschluss, Bandha)  verbunden, der über die Bewegungsrichtung vom Kinn zum Hinterkopf der Atemenergie Richtung und Form zu geben in der Lage ist. Hierfür bietet der Begriff „Kinnenergie“ eine ausreichend klare Beschreibung.
Samana nennt sich die Energie des unteren Bauches und des Körperzentrums. Diese Energie zeigt sich nicht wie ein Strom, sondern ist mehr wie eine Quelle zu beschreiben, wobei diese Quelle sowohl Energie aufzunehmen als auch abzugeben vermag. Im Körperschwerpunkt angesiedelt und sich mehr wie ein Feld verhaltend, ist diese Form sehr gut mit dem Wort „Zentral(energie)feld“ beschrieben. Zentrum dieses Feldes ist der Energieknotenpunkt Kanda, der sich deutlich oberhalb des ersten Chakras in Höhe der Nabelregion befindet. Er beschreibt im Yoga die „Körpermitte“ und sollte daher auch so heißen. Nicht verwechselt werden sollte dieser Punkt mit Hara, der deutlich tiefer im Körper angelegt ist, weil er erst dort Kraft und Stärke erzeugen, nicht aber als Gelöstheit wie bei Kanda erfahren werden kann.
Vijana nennt sich die alles umschließende und sich sehr lebendig anfühlende Energie im ganzen Körper, die sich zunächst mit prickeln oder kribbeln bemerkbar macht und sich dann zunehmend ausbreitend im ganzen Körper und über ihn hinaus wahrnehmen lässt. Da sie sehr lebendig erscheint, überall das Leben umschließt und verbindet würde ich diese somit als „Lebensenergie“ bezeichnen.

Mit der vorgelegten Begrifflichkeit kann Yoga und sein Übungssystem in all seinen Farben und Formen für westliche Menschen geeignet beschrieben werden. Die Beschreibungen, die sich mit Kundalini und seinen Bedingungen beschäftigen, bleiben dabei außen vor. Sie sind für mich eher eine esoterische Form des Yoga, die es zwar auch geben darf, da solche Erfahrungen durchaus auftreten können. Für den Großteil der Yogaübenden ist das aber nicht von Belang. Nur sehr wenige erreichen diese bewusstseinserweiterte Extremform und, ganz ehrlich gesagt, finde ich persönlich diese auch nicht erstrebenswert. Für ein gesellschaftlich aktives Leben in der westlichen Welt bietet eine große Kundalini-Erfahrung wenig Substanz. Zu abgehoben und vereinzelt erscheint das Leben der Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben (wollen) und zu gering erscheint mir deren Wirkungsgrad für das Gros der Menschheit.

Exkurs: Gayatrie-Mantra
Oh Gott! Du bist der Geber des Lebens, Entferner des Schmerzes und des Kummers,
der Erlöser des Glücks, oh! Schöpfer des Universums, mögen wir dein höchstes Sünden zerstörendes Licht empfangen, mögest du unseren Intellekt in die richtige Richtung führen.




Sprache als Mittel des Unterrichts

Während die Sprache in der heutigen Zeit als Grundlage aller Kulturtechniken fungiert, hat sie im Unterricht bei Anwesenheit eines lehrenden Menschen eine etwas andere Funktion. Dem anwesenden Lehrenden stehen neben der Sprache auch noch andere Vermittlungstechniken zur Verfügung. Er/sie kann zeigen, kann vorleben, vormachen und kann eine Übung, ein Werkstück oder eine Aufgabe begutachten, kritisieren, kann korrigieren und kann, was wesentlich ist, nachfragen.

Ich möchte hier in diesem Artikel der Frage nachgehen, wie im Unterricht von Yoga- und Meditationstechniken die Sprache sinnvoll zu Geltung kommen kann, wie sie verwendet werden kann und vor allem, wie sie nicht verwendet werden sollte. Ich beginne einfach der Einfachheit mal mit der letzten Aussage, und zwar, wie Sprache nicht verwendet werden kann. Ich meine damit zum Beispiel die einfache Anweisung, die bereits einen Anfänger in den ersten Übungsstunden gleich und oft am Anfang schon ereilt: Er oder sie soll … loslassen und … entspannen. Diese Anweisungen sind absurd, denn wenn Teilnehmer diese Anweisung befolgen könnten, bräuchten sie weder Yoga noch Meditation und würden gar nicht in einer Übungsstunde für Beginnende erscheinen.

Sprache und wie sie sinnvoll verwendet wird setzt immer Bekanntheit der Inhalte voraus. So kann ich in einer Yoga-Stunde mit geübten Teilnehmern nur mit der Anweisung “Kopfstand” eine Gruppe dazu bringen, sich in bestimmter Weise zu organisieren, sich vorzubereiten und gemeinsam oder nach und nach in die Haltung zu gehen, die vom Leiter erwünscht wird. Weiterhin wäre es für Motivation und Verständnis zum Beispiel eines Einsteigers wichtig zu wissen, warum diese Übung gemacht wird und was diese bewirken soll. Sprache ist hierbei in der Grundfunktion der Anweisung (Befehl) hilfreich sowie in der Weitergabe von Erfahrung von Mensch zu Mensch, und letzteres stellt eine Kommunikation dar, da sowohl der Lehrende als auch der Übende jederzeit nachfragen können und beide damit sicherstellen, dass die Anweisungen richtig ankommen.

Doch Sprache ist weit mehr als nur Anweisungs- und Formulierungswerkzeug, denn sie vermittelt Motivation, vermittelt Stimmung und kann Wünsche erzeugen, deren Kraft einen Menschen zu treiben vermag. Setzt ein Lehrer diese letztgenannten Fähigkeiten von Sprache ein, übernimmt er Verantwortung für ggf. weitreichende Veränderungen bei einem Menschen, und er sollte daher genau wissen, was er wann, wie und wo anweist (befiehlt). Sein Vorbildcharakter und seine Autorität, die auf Erfahrung gründet, ermöglichen diese Wirkung. Er sollte sich dieser Macht immer bewusst sein. Ich selbst halte es damit so, dass ich nur dort in kraftvoller Weise einwirke, wo ich mein Gegenüber genau, das heißt über lange Zeit hinweg kenne und eine Vorstellung davon habe, welche Impulse meine Worte auslösen werden.

Exkurs: Sprache basiert in ihren Ursprüngen auf Befehl und Parole. Bei Ersteren wird in der Regel eine Handlung eingefordert, die bekannt ist. Bei Letzteren wird eine Äußerung abgefragt, mit der eine Zugehörigkeit (Identität) belegt werden kann, wenn Fremde sich begegnen und die Frage “Freund oder Feind” im Raume steht. Weiterhin dient Sprache auch der Weitergabe von Erfahrung von Mensch zu Mensch, wobei wie oben ausgeführt Kommunikation entstehen muss. Heute wird Sprache aber in sehr viel größeren Kontexten verwendet. So kann Gehörtes und Vermutetes, kann Gelehrtes und Erwünschtes, kann abstraktes Wissen nicht nur über Körper, sondern auch über körperliche Zustände und deren Bezogenheit weitergegeben werden. Und die Weitergabe erfolgt nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Medium zu Mensch oder sogar von Medium zu Medium (Film, Fernsehen), wobei der Mensch bei letzterem nur noch als Zuschauer fungiert. Problem der beiden letztgenannten Formen ist der Mangel an Kommunikation, was heißt, das keine Rückfrage mehr erfolgen kann. Befehl (und Parole) sowie die Weitergabe von Erfahrung stellt die erste Ebene von Sprache dar. Die zweite Ebene umfängt Wissen und deren Verbreitung durch Massenmedien, die dritte Ebene wird von Dogmen und Weltanschauungen gebildet, die weder hinterfragt noch in Zweifel gezogen werden können, sondern (meist unter Androhung von Repression, durch freiwillige Selbstkontrolle oder weil alternativlos) geglaubt werden müssen.

Im Unterricht zu Yoga und Meditation sollte Sprache nur Verwendung finden, die Inhalte der ersten Ebene vermitteln. Bereits die zweite, ganz besonders aber die dritte Ebene birgt unendlich große Risiken. Anweisungen aus zweiter/dritter Hand, weil ein Guru darüber mal so gesprochen hat, weil es so überliefert ist oder man das einfach so macht, sind ungeeignet für den Unterricht. Über Inhalte dieser Ebenen kann ein Lehrer mal etwas erzählen, kann auf solche hinweisen oder Quellen zugänglich machen. Angewiesen werden jedoch sollten nur Inhalte auf der Basis der ersten Ebene, Inhalte also, die auf persönlicher Erfahrung, also auf erlebt haben, erleben können und erleben ermöglichen sich gründen. Alles andere verliert sich im unwirklichen Raum einer einmal festgelegten Kultur, die nichts mit dem Leben, das seinem Wesen nach permanenten Veränderung unterliegt, zu tun haben.




Yama und Niyama im Wandel der Zeit

Wann immer heute mit Yoga und seinen Techniken begonnen und umgegangen wird, kommt man automatisch mit den Grundlagen dieser Lehre in Berührung und wird mit den Begriffen Yama und Niyama konfrontiert, die einen Verhaltenskodex für Übende beschreiben:

Yama (Kodex gegenüber der Außenwelt):
1. Ahimsa (Nicht-Gewalt) oder die Abwesenheit von Gewalt und Grausamkeit
2. Satya oder Wahrhaftigkeit und Wahrheit
3. Asteya (Nicht-Diebstahl) oder das Verbot zu stehlen
4. Bramacharya (Führung zu Gott) oder das Gebot, sich auf das Wesentliche hin zu bewegen
5. Aparigraha (Nicht-Zugreifen) oder das Gebot, sich nicht Bestechen zu lassen.

Niyama (Kodex gegenüber sich selbst):
1. Shauca (das Geklärte) oder Sauberkeit, Reinheit
2. Santosha oder Genügsamkeit
3. Tapas (Erhitzen) oder den Körper funktional zu halten
4. Svathyaya oder die Selbsterforschung
5. Ishvarapranidhara oder die vertrauensvolle Hingabe an Gott.

Beim genauen hinein lesen in die Gebote des Yama wird man feststellen, das diese Gebote für alle Teilnehmer an unserer westlichen Gesellschaft in Gesetzen geregelt und damit für alle bindend sind. Lediglich Wahrhaftigkeit und das Gebot, sich auf das Wesentliche hinzubewegen sind nicht unter Strafe gestellt, werden aber allgemein als Standard angesehen. Auch die Gebote des Niyama können allgemein als Verhaltensstandard oder zumindest als wünschenswert angesehen und werden, vielleicht mit anderer Begrifflichkeit, auch so von einer Mehrheit gelebt. Weiterhin gibt es vielfältige Versuche, diesen eher als archaisch empfundenen Begriffen neues, aktuelleres Leben einzuhauchen. Diese Versuche, die ich grundlegend durchaus begrüße, scheitern aber in aller Regel, weil die Umformungen und Auslegungen nur Teilbereiche der zu klärenden gesellschaftlichen Verhaltensweisen darstellen können und zusätzlich noch von dogmatischen Lehrmeinungen durchdrungen bleiben. Eindrückliche Beispiele dafür sind der Vegetarismus (Ahimsa) und die oft gepredigte sexuelle Enthaltsamkeit (Bramacharya), die selbst in Wikipedia Einzug gefunden haben.

Betrachten wir mit ungetrübtem Blick die oben genannten Gebote und berücksichtigen den Lebensstandard, der in unserem Kulturkreis als allgemein vorausgesetzt gelten kann, berücksichtigen wir die religiöse Freiheit, die unsere Gesetze vorschreiben, so verbleiben unter Übungsgesichtspunkten:
1. Bramacharya mit dem Gebot, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren
2. Santosha oder die Genügsamkeit
3. Tapas oder das Gebot den Körper funktional zu halten
4. Svathyaya als das Gebot der Selbsterforschung

Kurz und in einem Satz zusammengefasst wäre das eine genügsame, sich auf das Wesentliche auszurichtende Selbsterforschung und Gesunderhaltung (Prävention). Das ist keine allzu außergewöhnliche Aussage, trifft aber im Kern die Voraussetzungen, unter denen die Übung des Yoga begonnen werden kann. Allerdings stehen heute der Zielsetzung einer Yogapraxis andere Hindernisse im Wege wie den Menschen vor 1000 Jahren. In der nachfolgenden Aufzählung seien solche beispielhaft aufgereiht und verarbeitet:
1. Da ist zunächst einmal die Zeitfrage. Eine Yogapraxis verbraucht mind. 2 Stunden an zwei bis drei Tagen einer Woche, wenn alle Module (Asana, Pranayama, Meditation, Selbststudium, Ruhe- und Wirkungszeiten) sinnvoll eingesetzt werden sollen.
2. Da ist die Fragestellung des großen Angebots an Studios, Kursen und Lehrern, die nahezu unzählige Variationen, Arten und Traditionen der Yogalehre (Praxis) anbieten. Nicht jede Form ist für jeden geeignet und oftmals sind es die weniger beliebten Formen, die wirklichen Zugewinn ermöglichen.
3. Dann ist zu nennen die Gewohnheit des Konsumierens, die auch vor Yoga nicht halt macht. Yoga an sich ist Selbsterforschung oder Arbeit an sich selbst. Mit ein paar Übungseinheiten unter Anleitung ist es oftmals nicht getan, sondern das Erlernte muss in den Alltag integriert werden.
4. Als großes Hindernis ist der Erkenntnisgewinn zu nennen, der stets Veränderungen des Gewohnten zur Folge hat. Weder das eigene Selbst noch die unmittelbaren Beziehungspersonen mögen Veränderungen und der sich Verändernde steht ständig unter Rechtfertigungszwang sowohl positiver (Ich geben die Gewohnheit auf, weil …) als auch negativer Art (Ich möchte die Gewohnheit aufgeben, aber scheue die Schwierigkeiten, die dieses nach sich ziehen würde, weil …).
5. Dann wären bei sich einstellender positiver Wirkungen der Stolz und die Missionsneigung zu nennen, die so manchen Übenden allzu schnell ergreift und die sich oft negativ auf das soziale Umfeld auswirken.
6. Weiterhin ist die Versuchung groß, sich selbst als Lehrer zu etablieren und vergisst dabei gerne und schnell, das auch das Üben an sich selbst nicht vernachlässigt werden darf.

Somit hätte eine zeitgemäße Grundlagenzusammenstellung im Sinne von Yama/Niyama so etwa nachfolgende Struktur und Umfang:

Yama (Kodex gegenüber der Außenwelt):
1. Konzentriere dich in der Lebensgestaltung auf das Wesentliche. Nicht alles was als modern und hipp gilt fördert dein Leben. Vieles davon ist Selbstbelohnung oder Zerstreuung.
2. Schließe dich nur einer Gruppe an, wenn diese dich auch fördern kann. Findest du keine Gruppe dieser Art, ziehe aus einem wahrgenommenen Unterricht das für dich Richtige heraus und wahre Distanz.
3. Rechtfertige dich nicht für Dinge, die deine Praxis fordert. Es ist dein Leben, deine Zeit und deine Entscheidung.
4. Missioniere nicht und zwinge niemand zur Rechtfertigung. So wie es deine Entscheidung ist, ist es auch die Entscheidung anderer.
5. Nur wenn du auf dich selbst achtest, kannst du anderen helfen.

Niyama (Kodex gegenüber sich selbst):
1. Mache Genügsamkeit zu einer deiner Grundstimmungen. Esse soviel wie dir gut tut, arbeite soviel wie notwendig und übe wenn Übung gebraucht wird. Ansonsten halte Frieden mit deiner Seele (frei nach einem Sprichwort!).
2. Erhalte deinen Körper gesund und verwechsele gesund nicht mit schön! Selten ist ein Schönheitsideal auch gesund. Besonders die Molligkeit ist hier als Beispiel gut geeignet, ist sie doch für viele Menschen nachweislich die gesündeste Erscheinungsform. Nicht BMI, sondern „sich wohl fühlen“ ist das Maß der Dinge!
3. Die Selbsterforschung ist die Grundhaltung des Übens. Nicht jede Übung gereicht auch jedem zu Wohlbefinden und Gesundheit. Wähle das für dich Richtige auf der Basis von Selbsterfahrung.
4. Stelle genügend Zeit und Muße zur Übung und Erholung bereit. Zeit ist Geld, aber Geld ist nicht Gesundheit und nicht Wohlbefinden. Und „Erholung/Yoga to go“ ist ein Widerspruch in sich.
5. Konsumiere Yoga nicht! Es kann geschehen, dass du von Zeit zu Zeit eine Pause vom Üben brauchst, denn Neues muss sich auch setzen können. Nimm dir diese Zeit. Nicht immer, wenn der Fortschritt ausbleibt, ist mehr desselben die richtige Wahl. Oftmals ist auch weniger mehr.

So in etwa stelle ich mir einen modern gefassten Übungskodex im Sinne von Yama/Niyama vor. Die Aufzählung ist bestimmt nicht vollzählig und so mancher mag auch dieses Neugefasste als allgemein selbstverständlich betrachten. So wie Gesetze einer Gesellschaft tausende Seiten füllen, passt die Grundlage eines Übungswegs auch nicht in zehn Gebote. Allerdings sollte man sich immer mal wieder an die Gegebenheiten seiner Zeit erinnern. Alte, nicht mehr gebräuchliche Formen und Gebote sollten über Bord geworfen und neue Probleme oder Schwierigkeiten sollten benannt werden. Entwicklung ist eine Eigenart des Lebens als auch seiner Systeme (Yoga).




Meditation und die Schwierigkeit der Übertragung von Literatur

Das Problem der Übersetzung an sich
Viele Meditationsweisen, die heute im Westen modern und beliebt sind, entstammen einem östlichen Kulturkreis. Nur wenige Europäer haben aber das Glück, bei oder mit einem Meister zu üben. Die meisten sehen ihren oder einen Meister nur ein- oder zweimal im Jahr, und dann auch nur als Mitglied einer sehr großen Gruppe. Häufigstes Lehrmittel ist und bleibt daher die Schrift oder das Buch, und genau hier beginnen die Schwierigkeiten der Übertragung von einem Kulturkreis zum anderen. Weiterhin entstammen viele Schriften nicht nur diesem anderen Kulturkreis, sondern stammen zusätzlich noch aus einer anderen Epoche und sind meist mehrfach aus nicht mehr gesprochenen Sprachen übersetzt. So entstammt zB. die Bhagavat Gita dem brahmanischen Kulturkreis Indiens aus einer Epoche vor dem Buddhismus, als also die Brahmanen noch nicht über die Machtfülle verfügten, die sie in späteren Jahrhunderten besaßen. Die Kriegerkaste herrschte in dieser Zeit, und der Brahmane war nur Priester und der Armut verpflichtet. Die Originalsprache ist Sanskrit, und zwar das Sanskrit der damaligen Zeit. Jeder indische Philosoph oder Meister von Bedeutung hat diese Schrift in eine lebende Sprache übertragen und schreibt zu diesem Originaltext Kommentare oder Interpretationen, die natürlich von seiner Persönlichkeit gefärbt sind. Für einen heute lebenden Deutschen ist diese Schrift dann in der Übersetzung aus dem englischen erhältlich. Als mögliche Hauptfehlerquellen schleichen sich ein:

    Übersetzung aus Sanskrit ins Englische
    Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche
    Das Problem des kulturellen Hintergrundes
    Verständnis einer nicht gesprochenen, nicht lebenden Sprache
    Verständnis einer längst vergangenen Epoche
    Interpretationen jedes an der Übersetzung beteiligten Autors

Doch damit nicht genug. Die Übertragung aus der indischen in die europäische Kultur bietet eine Fülle von weiterführenden Schwierigkeiten. Auch hier mögen ein paar Beispiele zur Verdeutlichung beitragen:

    Jede Kultur pflegt ihre eigenen Tabuzonen. Wurde ein Buch oder Text zB. für den hinduistisch geprägten Menschen geschrieben, kann eine wortgetreue Übersetzung durchaus Tabuzonen eines Europäers verletzen.
    Sprachliche Wendungen wie zB. ”die Übertreibung” oder ”das auf die Spitze treiben” werden in anderen Kulturkreisen nicht als Wendung betrachtet, sondern werden wörtlich verstanden.
    Jeder Autor setzt in der Regel (Ausnahme: Philosophen) sein Weltbild als selbstverständlich voraus und schreibt in diesem Sinne. So fließt im indischen Sprachgebrauch die unendliche Vielzahl der Götterwelt nahezu selbstverständlich in die Alltagssprache ein. Kennt der Leser die Bedeutung (Symbolisierung) der verwendeten Gottheit nicht, kann er mit dem Satz nichts anfangen oder versteht ihn falsch.
    Verwendet ein Autor oder ein verehrter Meister die direkte Sprache im Sinne ”du sollst…”, so wird dies im östlichen Kreis eine dem Vater oder Guru erlaubte und geachtete Form zuerkannt. Im westlichen Sprachgebrauch klingen solche Sätze ”pathetisch” und werden bereits vom Gefühl her abgelehnt.
    Während der östliche Kreis die bildhafte Sprache besonders schätzt, pflegt der Europäer eher die abstrahierende Sprachform. Viele bildhafte Darstellungen aus Japan, China oder Indien kann ein Europäer einfach nicht nachvollziehen oder verstehen und sie verpassen dann den Sinn, denen diese Bilder dienen sollen.

Das zweite Problem mit der Sprache
Alle Sprachen drücken sich aus auf dem Hintergrund der Kultur, die der Sprache zugrunde liegt. Wortwörtliche Übersetzungen (zB: von indischen ins deutsche) können niemals die enthaltenen Aussagen in ihrer vollkommenen Inhaltlichkeit wiedergeben. Dies ist die bereits beschriebene erste Problematik. Eine weitere stellt sich aus der beschränkten Sichtweise und Erkenntnis unseres Seins. Auch ein überbewusster Mensch (Meditationsmeister, Gurus oder Erleruchtete) stehen vor dem Problem, ihren Schülern Weisheit in einer ungeeigneten Sprache vermitteln zu müssen, in der für Erleuchtungserfahrungen weder Worte, Symbole noch Grammatik zur Verfügung steht

PD Ouspensky, Tertium Organum, über das Wesen der Zeit
Ouspensky, der in seinem Buch die Zeit als das undefinierbare des Raumes einer vierten Dimension betrachtet und beschreibt, sieht als Schlussfolgerung dieser Sachlage nachfolgende Zeilen als wesentlich an:

Neue Teile der Sprache sind notwendig, eine unendliche Anzahl neuer Wörter. Gegenwärtig können wir in unserer menschlichen Sprache über die Zeit nur durch Hinweise sprechen. Ihr wahres Wesen ist für uns unausdrückbar. Die Unausdrückbarkeit sollten wir niemals vergessen. Diese ist das Zeichen der Wahrheit, das Zeichen der Wirklichkeit. Was man ausdrücken kann, kann nicht wahr sein.

Alle Systeme, die die Beziehung der menschlichen Seele zur Zeit behandeln – alle Ideen der Existenz nach dem Tode, die Theorie der Wiederverkörperung, jener der Seelenwanderung, des Karmas – sind Symbole, die Beziehungen vermitteln versuchen, die nicht direkt ausgedrückt werden können wegen der Armut und der Schwäche unserer Sprache. Man sollte sie genauso wenig wörtlich verstehen, wie es möglich ist, die Symbole und Allegorien der Kunst wörtlich zu verstehen. Es ist nötig, nach ihren verborgenen Bedeutungen zu suchen, nach dem, was nicht in Worten ausgedrückt werden kann.

Das wörtliche Verständnis…entstellt den inneren Gehalt dieser Formen vollständig und beraubt sie ihres Wertes und ihrer Bedeutsamkeit.

Wenn bereits die Zeit, eine für uns doch relativ klare Erscheinung (?) eine solche Beurteilung notwendig erscheinen lässt, um wieviel schwieriger stellt sich dann die Beschreibung der Wahrheit dar, mit ihren Funktionen ”Unendlichkeit” und ”Zeitlosigkeit” und anderen, die wir nicht kennen.

Was kann ein europäischer Leser tun?
Sich bewusst zu sein, dass es solche Schwierigkeiten gibt, bietet die eigentliche Lösung an. Der Leser muss sich mit Geschichte, Kultur und Zeitepochen der Entstehung intensiv beschäftigen, um Originaltexte zu verstehen. Der Leser kann auch versuchen, auf Autoren zurückzugreifen, die speziell für den europäisch geprägten Kulturkreis ihre Werke verfassten. Radhakrishnan (Hinduismus) und Vivekananda (Yoga) sind solche Autoren aus Indien, Suzuki (Zen) ist ein solcher aus Japan. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Autoren europäischer Abstammung zu wählen, die diese fremden Kulturen studiert und gelebt haben wie Brunton, Sacharov (Yoga) oder Enomiyo Lassalle (Zen), und diese als Basis für weitere Studien zu verwenden. Dieser Ratschlag klingt aufwendig und er ist es auch. Aber wenn wir zB Yoga oder Zen praktizieren, damit die Grundlagen unseres Lebens und Denkens berühren und verändern, sollte uns auch dieser Aufwand nicht schrecken.