Kommentar zum Spiegelartikel Die Macht der Heiler (34-2018)

Angeregt durch einen Artikel im Spiegel, der in relativ unwirscher Methode die Gesamtheit alternativer Heilmethoden samt Yoga, Qi Gong und Ayurveda in einen einzigen Topf wirft und verunglimpft, habe ich mich als praktizierender Yogalehrer dazu aufgerafft, ein gegen diesen Artikel  gerichtetes Gegengewicht zu setzen. Ausgehend von einem Beispiel einer Patientin mit chronischer rheumatoider Arthritis [1. Die rheumatoide Arthritis  ist die häufigste entzündliche Erkrankung der Gelenke… Die Ursachen der Erkrankung sind bislang weitgehend ungeklärt. Es wird eine autoimmune Ursache angenommen… Diese Erkrankung gehörte zu den Holy Seven des Psychosomatikers Alexander. (Wikipedia)], die mit Globuli schlechte Erfahrungen gemacht hat, werden hier in zwei Artikeln  in unwissenschaftlicher Weise nahezu alle Richtungen der Naturheilkunde in einen Topf geworfen und entwertet. Dass die Autoren, einerseits eine nicht praktizierende Ärztin (Die Macht der Heiler) und andererseits ein Datenjournalist (Wohin das Qi fließt) keinerlei Erfahrung mit diesen Formen der Medizin besitzen können, da ihre Arbeit in einer Zeitungsredaktion keine Erfahrung auf dem beackerten Gebiet zulässt, klingt zwischen den Zeilen klar hindurch. Niemand, der sich wissenschaftlich mit alternativen Heilmethoden beschäftigt, streitet heute mehr ab, dass Akupunktur, Yoga und Ayurveda in verschiedenen Disziplinen der wissenschaftlichen Heilkunde durchaus sehr viel beitragen können, so diese Kunst von Menschen praktiziert und weitergegeben wird, die über Jahre und Jahrzehnte Erfahrungen in dieser Arbeit sammeln konnten. Weiterhin kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, das hier zumindest oberflächlich betrachtet die Arbeit der Volkshochschulen, die Gesundheitskurse anbieten, diskreditiert werden soll, aus welchem Grund auch immer. Zunächst eine Leseprobe aus den Artikeln:

Zitat aus dem Artikel (Orginalwortlaut, nicht bearbeitet) Die Macht der Heiler:

Eine Da­ten­ana­ly­se des SPIEGEL hat er­ge­ben: Fast je­der vier­te VHS-Kurs zum The­ma Ge­sund­heit be­inhal­tet un­wis­sen­schaft­li­che Eso­te­rik.

»Das Volk wird sys­te­ma­tisch ver­dummt und pro­biert dann zwei­fel­haf­te Be­hand­lun­gen aus«, sagt Ed­zard Ernst, eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor für Kom­ple­men­tär­me­di­zin der Uni­ver­si­tät Exe­ter. »Wenn wei­te Tei­le der Be­völ­ke­rung glau­ben, es gebe tat­säch­lich so et­was wie die Le­bens­en­er­gie Qi oder Me­ri­dia­ne und Cha­kren, wenn also je­der Un­sinn pro­pa­giert und ge­glaubt wird, dann gibt es kei­ne Maß­stä­be mehr«, be­fürch­tet Ernst. »Dann wer­den die Gren­zen zwi­schen Wahr­heit und Un­wahr­heit un­scharf. Dann kann je­der Schar­la­tan sei­ne Mei­nung auf­ti­schen, und sie wird ge­nau­so ernst ge­nom­men wie die ei­nes Ex­per­ten.«

Zitate aus dem Artikel (Orginalwortlaut, nicht bearbeitet): Wohin das Qi fliesst:

In fast je­dem vier­ten Volks­hoch­schul­kurs aus dem Be­reich Ge­sund­heit wird ein frag­wür­di­ges al­ter­na­tiv­me­di­zi­ni­sches Ver­fah­ren ge­lehrt.
Hier­zu ge­hö­ren auch die häu­fig an­ge­bo­te­nen Yoga- und Qi­gong­kur­se, so­fern die­se nicht als rei­ne Fit­ness­gym­nas­tik im Pro­gramm an­ge­kün­digt sind. Oft wird ein Teil der Kurs­ge­büh­ren so­gar von den Kran­ken­kas­sen über­nom­men. Dass Yoga gut­tut, dar­auf deu­ten Stu­di­en hin, al­ler­dings hat die Leh­re, eben­so wie Qi­gong, eine Ne­ben­wir­kung: Sie ver­mit­telt ein un­wis­sen­schaft­li­ches und ir­ra­tio­na­les Kör­per­bild.
Die­se Aus­sa­ge zei­ge »ei­nen er­schüt­tern­den Grad an Un­ver­ständ­nis«, sagt Ed­zard Ernst und warnt da­vor, eine Heil­me­tho­de als wirk­sam an­zu­se­hen, nur weil man selbst oder ein Be­kann­ter da­mit po­si­ti­ve Er­fah­run­gen ge­macht habe. »Eine un­wirk­sa­me The­ra­pie er­scheint im Ein­zel­fall oft wirk­sam«, er­klärt er. »Das ist ganz nor­mal und kann am Pla­ce­bo­ef­fekt lie­gen oder am na­tür­li­chen Ver­lauf ei­ner Er­kran­kung, die sich häu­fig ein­fach von selbst bes­sert.«

Soweit einige der Originalzitate aus dem beschriebenen Artikel.

Zugegeben, in der Gesamtheit liest sich der Artikel durchgängig wie eine wissenschaftliche Arbeit. Allerdings zeigt sich bei näherem Hinsehen eine redaktionelle Blindheit ungeheuren Ausmaßes, die schon fast nicht mehr mit Fake News zu beschreiben ist. Das ist schon schlimmster Dogmatismus und Propaganda der obersten Kategorie.

Placebo Effekt: Was ist an der Wirksamkeit von Placebo Effekten eigentlich so schlimm? Egal welcher Fraktion der Heilkunde der praktizierende Heiler [2. Dazu zählen auch die Ärzte der sogenannten wissenschaftlichen Medizin] auch angehört, wesentlich ist doch wohl der heilende Effekt am Patienten. Und wenn der Glaube wie beim Placebo Effekt doch bereits zu heilen vermag, wozu braucht es dann noch das Messer oder die Pille der Monopol-Heiler?

Wer bietet denn die ganzen „Quacksalbereien“ (Wortzitat aus dem Artikel) so an? Nun es sind eben nicht nur Esoteriker in diesem Gebiet aktiv, sondern sehr viele Ärzte und fast alle Heilpraktiker sind in der Naturheilkunde und der alternativen Medizin unterwegs. Gerade die Angebote aus Arztpraxen, die als Zusatzangebote den Patienten verabreicht werden, erweitern doch heute schon mit hohen Steigerungsraten die Einkommen der Ärzteschaft. Ist hier der VHS-Kurs vielleicht nur eine lästige Konkurrenz, gegen die sich diese Artikel richten sollen?

Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit von Yoga, Ayurveda und der TCM (Akupunktur) zum Beispiel gibt es zuhauf und eine Suche (10 Minuten reichen da aus) in so „hoch-esoterischen“ Zeitschriften wie Geo und Zeit belegen das in eindrücklichen Zahlen und Bildern. So wird die Wirksamkeit von Akupunktur, Yoga und Ayurveda in vielen Studien eindrücklich belegt. Zur Akupunktur gibt es sogar Habilitationsschriften deutscher Ärzte in unseren Universitäten (LMU). Für Yoga sind Wirkungen gegen Schmerzen, Stimmungsschwankungen, Schlafproblemen belegt. Weiterhin ist eine Wirkung auf Neurotransmitter sowie Gene wissenschaftlich nachgewiesen. Auch die Wirkungsweise von ayurvedischer Ernährung und Behandlungen äußerlicher Art sind mehr als gut belegt. Dass die Anwendung diese Techniken anders als ein Arztbesuch zu entspannen vermögen, das Heiler deutlich mehr Zeit für ihre Patienten aufbringen und mit mehr Mitgefühl zu wirken verstehen ist allgemein bekannt. Und das Mitgefühl und Meditation heilsame Wirkungen entfalten kann ist ebenfalls mehr als bewiesen. Studien dazu gibt es zuhauf, und Meditation ist auch eine Praxis des Yoga (Siebte Stufe, Patanjali).

Was Studien zu Yoga und Ayurveda deutlich erschwert ist nebenbei gesagt die Tatsache, dass Yogaübende zum Beispiel seltener krank sind, mehr auf ihre Gesundheit achten, selten an verspannter Rücken- und Beinmuskulatur oder durch das Wirken des dem Yoga verwandten Ayurveda (Ernährung) seltener an Diabetes oder Bluthochdruck leiden. Somit sind die Wirkungen des Yoga nach wissenschaftlichen Mustern, also erst durch Ignoranz des Gesundheitssystems und Unwissenheit der Menschen krank geworden und dann durch gezielte Übungen oder Ernährungsumstellungen geheilt, schlecht in Studien zu belegen. Auch kenne ich in den Kreisen, die regelmäßig die Meditation pflegen, nur wenige Menschen, die an krankhaften Stress-Symptomen oder Aufmerksamkeitsdefiziten leiden.

Was weiterhin nicht bekannt gemacht wird, obwohl es dazu sehr einfach zu erhebende Daten geben könnte, ist die Wirkungsweise dieser alternativer Verfahren. Sowohl Yoga und Ayurveda als auch weite Teile der TCM arbeiten vorzugsweise mit präventiven Wirkungen. So bezahlt ein klassischer chinesischer Patient traditionell seinen Arzt nur dann, wenn er durch die Arbeit des Arztes gesund bleibt. Auch in Indien war und ist diese Form auch heute noch erhalten. Präventive gesundheitliche Arbeit versucht Krankheiten vorzubeugen, versucht, diese rechtzeitig zu diagnostizieren und für Abhilfe zu sorgen, solange dieses noch einfach und erfolgversprechend sich gestaltet. Ayurvedische Ärzte, selbst praktizierende Yogafachleute und TCM-Mediziner arbeiten sehr oft mit wissenschaftlichen Ärzten zusammen und verweisen auch ihre Patienten auf deren Heilmethoden, wenn Krankheiten bereits zu fortgeschritten (wie gefährliche Entzündungen) sind, hochwirksame Medikamente erfordern oder Geräte benötigt werden, die schon für die Bedienung einen Spezialisten (Operationen) erfordern.

Ich selbst übe seit 25 Jahren Yoga und halb solange Meditation, und ich kenne die Wirkungsweise dieser gesundheitsfördernden alternativen Tradition. Ich würde nie auf die Idee kommen, ernsthafte lebensbedrohende Erkrankungen wie eine Lungenentzündung, Krebs oder eine Blinddarmentzündung mit Yoga oder Bachblüten behandeln zu wollen. Yoga wirkt in all den Bereichen von Krankheit sehr gut, wo Bewegung eine Hilfe darstellt, wo Verspannungen und einseitige Belastungen zu körperlichen und mentalen Problemen führen. Allerdings ist es meist sehr schwer, bei Übungsteilnehmern, die mit Problemen solcher Art erstmals in die Yogastunde kommen, die Grundlage dafür zu schaffen, das Yoga auch wirklich schnell helfen könnte. Yoga ist präventiv wirkend aufgebaut. Die Übungen, die zur Gesundung beitragen können, sollten also schon verstanden und auch praktiziert werden können, wenn ein Leiden erstmals auftritt. Leider ist diese Vorbedingung in Europa meist nicht gegeben, und eine Intervention mit Yoga bei akuter Krankheit gestaltet sich, wenn überhaupt möglich, kompliziert und beschränkt sich meist auf die Nachsorge nach Krankheit. Viele Menschen tragen schwer an ihrem Alltag, sind körperlich (Dehnung, Kraft, Ausdauer, Atmung, Ernährung, Stress) nur nach langer Vorbereitung in der Lage, sich normal zu bewegen und somit wirksame Yogaübungen für sich selbst zu gestalten. Statt Yoga zu verunglimpfen, wäre es viel mehr angebracht, wenn wissenschaftliche Heiler darauf hinarbeiten würden, Yoga und andere Körperarbeitsmethoden flächendeckend im Lande zu verbreiten. Das dabei auf eine gute Qualität der Angebote zu achten wäre ist wohl selbstverständlich. Dabei ist es auch nicht besonders schlimm, wenn ein gesunder Teilnehmer Yogaübungen machen sollte, die nicht so ganz dem Sinn entsprechen, für den sie erfunden wurden. Es gibt nur wenige Übungen in dieser Tradition, die einem gesunden Körper schaden können, und die sind meist auch noch schwer zu erlernen und werden daher auch selten gerne ausgeführt. Sie sind einfach zu anstrengend und erfordern viel Geduld und Durchhaltevermögen. Das unterscheidet Yoga von den vielen Sportarten, für die gerne und oft auch im Spiegel Werbung in Sachen Gesundheit gemacht wird.

Viele Probleme in meiner Yogastunde, so zeigt sich in den Veranstaltungen und Gesprächen mit Teilnehmern, werden durch einseitige Belastungen auf der Arbeit und im Breitensport verursacht. So wird beim Lauftreff selten Gymnastik angeboten, wird oft sogar zu übertriebenen Leistungen (Marathon) angestachelt und es wird selten ein Ausgleich für einseitige Belastungen angeboten, wie sie im Tennis, Fußball oder selbst im Golf zwangsläufig auftreten. Die Angebote von Arbeitgebern sind meist kostenpflichtig, in der Freizeit angesiedelt und an Profanität selten zu überbieten. Diese Leute kommen dann, wenn sie Glück haben, meist viel zu spät für eine vollständige Genesung doch noch in eine Yogastunde. Viele andere allerdings werden dauerhaft mit Pflastern, Schmerzmitteln und Psychopharmaka abgespeist und/oder enden später in Streckvorrichtungen und auf Operationstischen. Wo bitte sehr ist hier die Logik und wo sind die Hinweise eines Spiegel-Magazins zu diesen Missständen, die nebenbei gesagt auch noch von der Allgemeinheit sehr teuer bezahlt werden müssen. Sie können lange suchen, es gibt sie nicht!

Fazit: Diese Artikel dienen bestimmt nicht der Information des Lesers, sondern diskreditieren und verunglimpfen Millionen von Yogaübenden, deren Betreuer und Aktivisten. Das alles sind Menschen, die sich meist für wenig Geld um die Volksgesundheit (ist nicht populistisch…) sorgen und die hochbezahlte Mediziner dort ersetzen, wo es nicht viel zu verdienen gibt, nämlich bei den gesunden und nicht chronisch kranken Menschen. In unserem System muss beim Patienten der Kopf stets erst unter dem Arm getragen werden, bevor sich ein Mediziner um seine Gesundheit kümmert. Dann ist es aber meist schon viel zu spät, um eine wirkliche Heilung noch herbeiführen zu können.  Beispiele dafür sind die explosionsartig gestiegene Anzahl von Hüftgelenksoperationen, die Stoßwellen Therapie, die seit dem Vertrieb der Geräte die „Kalkschulter“ zu einer Volkskrankheit macht und die vielen WS-Operationen, die nicht nachhaltig geheilt haben, sondern lediglich eine dauerhafte Einschränkung der Belastbarkeit zur Folge hatten. Was hier oft (nicht immer) Heilung genannt wird, ist meist in Wirklichkeit nur das Füllen bereits überfüllter Beutel einer elitären Gesundheitsindustrie und eine Steigerung des Bruttosozialproduktes durch Förderung chronischer Erkrankungen zulasten der Lebensqualität und Beutel des teuer versicherten Bürgers. Unzählige Skandale im Gesundheitswesen belegen das unmissverständlich. Ihre Anzahl ist deutlich höher als die von Missbrauch in der alternativen und präventiven Medizin. Dabei könnten Vorsorge und Aufklärung das Schlimmste frühzeitig (bereits in der Schule und beim Berufseinstieg) verhindern und, wie in meinem Fall, die arbeitenden Menschen später gesund und munter in den Ruhestand entlassen. Yoga, Ayurveda und TCM könnten dabei einen großen Beitrag liefern, wenn sie vor allem rechtzeitig und präventiv eingesetzt würden. Aber statt zu ermuntern, wird verleumdet. Das ist im Grunde nur ärgerlich!




Leben und Konsumieren

Für jeden Yogaübenden kommt irgendwann der Punkt des „Nicht mehr zurück Könnens“, oder auf neudeutsch ausgedrückt: „The point of no return“. Es ist wie ein langer Aufstieg an einem Berg. Irgendwann sind wir schon sehr weit oben und Nebel zieht auf, und um weiterzugehen, müssen wir nur einen weiteren Schritt tun, aber dieser Schritt geht ins Nichts. Dieses Nichts ist nicht Leere, Raumlosigkeit oder „da gibt es nichts mehr“, sondern dieses Nichts ist das Unbekannte, das, was nicht mehr voraussehbar ist. Und diesen Schritt weiterzugehen muss der Übende wollen, wirklich wollen. Da gibt es keinen Halt mehr, kein Sicherungsseil und kein Führer. Ab hier geht er allein auf unbekannten Wegen.

In diesem Punkt entscheidet sich, ob der Teilnehmer ein Übender ist oder ein Konsument. Der Übende kennt seine Aufgabe, und seine Übung ist immer und zu jeder Zeit. Er übt sich, ganz gleich, wo er sich gerade befindet oder was er gerade macht, in der Technik des Sich-Bewusstwerdens, was immer „ein Schritt ins Unbekannte bedeutet“, ein Schritt ohne Seil und Sicherung! Einige Möglichkeiten seien erwähnt:

  • Da gibt es im Laufe eines Tages zB die Morgenmeditation, die man aus diesem Gesichtswinkel als Einübung der Übung zur Bewusstwerdung betrachten kann.
  • Da gibt es die tägliche Hatha-Yogapraxis, also Asana und Pranayama, in der der Übende konsequent und zielgenau an seinen Schwächen arbeitet. Ist er sich seiner Schwächen bewusst, weiß er/sie, was in praktischer Art und Weise zu üben sich anschickt. Kein Lehrer und kein Buch kann dem wirklich Übenden diese Verantwortung abnehmen.
  • Da gibt es die Zeit der Kommunikation mit den Mitmenschen und ganz gleich, ob diese als Freund oder Feind sich darstellen, sich bewusst zu sein, welches Gefühl gerade mein Handeln trägt, welcher Gedanke hinter den Worten steht und welche Absicht meine Worte verfolgen: dies nennt man „sich bewusst zu sein“.
  • Da gibt es die Zeit der Arbeit, in der der Übende alles störende weitestgehend ausblendet und sich vollkommen konzentriert. Ist er/sie dabei sich seiner Konzentration bewusst, so wird er/sie in jedem Augenblick dieser Zeit mit einem geringen Anteil der Aufmerksamkeit im Allgemeinen verbleiben, denn Konzentration kann nur dann bewusst sein, wenn sie sich auf dem Nicht-Konzentrativen abbildet.
  • Dann gibt es die Zeit der Ruhe, in der eine Umkehrung der Zeit der Arbeit erfolgt. Ein sehr großer Teil der Teil der Aufmerksamkeit befindet sich im Allgemeinen, nicht fixierten, und nur wenig Energie wird aufgewendet, um das Andere wie Arbeit, Hobby oder Yogapraxis zu reflektieren.

 

Diese Beispiele mögen genügen. Der Übende des Yoga unterscheidet sich vom Konsumenten des Yoga auf sehr eindeutige Weise. Der Übende arbeitet beständig und selbstständig an seinem werden. Er nutzt den Lehrer, das Buch oder die Tradition, um zu wachsen, aber findet sich von diesen Hilfen gerade keine, dann arbeitet er allein aus sich selbst heraus. Dieses „aus sich selbst heraus arbeiten“ unterscheidet den Übenden vom Konsumenten. Es ist nicht die Kleidung, der Schmuck und das Getue um die Übung herum, es sind nicht die Lebensweisen und die Lebensphilosophien, nicht der Glaube oder die Lebensumstände, sondern dieses „aus sich heraus weiter gehen“, was den Übenden auszeichnet.




Diskussion über das Yoga Sutra Patanjali – Viveka

Hallo, bezugnehmend auf Ihren Artikel in  Viveka Heft 49 zu „Travelling Yoga“ möchte ich hiermit einige Gedanken darlegen, die mit diesem Thema zu tun haben. Zunächst einmal bewundere ich den Mut, mit dem die Autoren hier die Aussagen einer überlieferten Schrift auslegen.
Da wurde gesprochen über …

  • das Kontrollieren der Aktivitäten des Geistes
  • Beruhigen und bündeln der Aktivitäten des Geistes
  • Der Fähigkeit, sich einlassen zu können
  • der Offenheit, sich gegen Widerstände und Ablenkungen einlassen zu können
  • der Welt mit Offenheit zu begegnen und dies auch unter großen Schwierigkeiten aufrecht zu erhalten

und so weiter. Keine dieser Beschreibungen gibt Patanjalis Text wirklich inhaltlich wieder!

Vielmehr beschreibt Patanjali den (siehe Deshpandes Übersetzung) arbeitenden und den denkenden Geist und begründet auf letzterem das Leiden des Menschen. Weiterhin gibt er eine Gliederung vor, an der die Gültigkeit von Schlussfolgerungen und dem damit erhaltenen Wissen überprüft werden kann. Ich habe zunächst einmal einen Auszug einer Ausarbeitung des Textes von Deshpande beigefügt, die ich im Rahmen einer Ausbildung angefertigt habe und die diese Intention der Schrift eindeutig belegt. Wenn Sie Interesse haben, kann ich Ihnen auch den gesamten Text zukommen lassen.

Die Sutren nach Deshpande:
Dem Text liegt die Übersetzung von Deshpande (Die Wurzeln des Yoga) zugrunde und bezieht sich lediglich auf die Versübersetzung ins Deutsche, nicht deren umfangreiche Auslegung. Weiterhin wurden auf die umständliche fremdsprachige Gliederung und Begriffsbestimmung weitestgehend verzichtet. Etwaige Verkürzungen der Sinngebung der vorliegenden Sanskritbegriffe durch ihre Übersetzung wurden in Kauf genommen.

Was ist Raja Yoga    Kapitel 1 / Verse 1-11
Raja-Yoga ist ein Übungsweg, der überwiegend mit geistigen und seelischen Bereichen des Menschseins beschäftigt und über diesen Zugang zur Vollkommenheit [das Ruhen in seiner Wesens-Identität] führen will. Es gibt nur einen vollkommenen Zustand des Seins, und dieser Zustand drückt sich in einem Zur-Ruhe-Gekommen-Sein des Geistes aus, so beschreibt Patanjali das Ziel des Yoga. Dies heißt aber nicht, dass hier (in diesem Zustand) keine Gedanken mehr erscheinen oder anwesend sind. Vielmehr könnte man an dieser Stelle eine Unterscheidung einfügen, welche die Gedankenwelt in einen arbeitenden Geist [leidlos] und in einen denkenden Geist (nach Ramesh) [leidvoll] einteilt. Das Denken ist ursprünglich konzipiert als ein arbeitendes Werkzeug, dass für die Bewältigung des Lebens in der Form als Mensch notwendig ist. Es sorgt für Essen, Kleidung und andere Bedingungen, die das Leben und damit das geistige (spirituelle) Wachstum fördern. Erst der denkende Geist, der sich über diese Aufgabe erhebt, führt den Menschen aus seiner Vollkommenheit und erschafft so diese Welt des Leidens, wie wir sie heute kennen. Wir nutzen den nachfolgend beschriebenen Übungsweg, um unseren Geist zu seiner eigentlichen Aufgabe zurückzuführen, damit das Leiden zu beenden und uns in die Vollkommenheit zu führen. Dieser vollkommene Zustand, den ich auch als Meditation oder Wesens-Identität bezeichnen könnte, ist ein Zustand reinen Seins, in dem der denkende Geist unbeachtet bleibt und keine Anbindung erfährt.

Raja Yoga gründet sich auf ein psychologisches System

Kapitel 1 / Verse 1-11
Raja Yoga behandelt und arbeitet wie alle psychologischen Systeme mit der gesamten Psyche des Menschen. Alle geistigen und seelischen Vorgänge sind damit angesprochen. In den Sutras werden 7 Unterscheidungen getroffen, welche die gesamte Bandbreite des Psychischen darstellen:

  • Es gibt ein Wissen, das auf direkter Wahrnehmung beruht und entweder aus dem religiösen Glauben oder aus philosophischer Einsicht kommt und oft auch Intuition genannt wird.
  • Aus Wahrnehmungen verschiedener Art entstehen Schlussfolgerungen. Diese sind ein Produkt des denkenden Geistes.
  • Über Überlieferungen (heilige Schriften und Erzählungen) wird Wissen aufgebaut und vom denkenden Geist verwendet.
  • Intuitive Wahrnehmungen, die in der Folge falsch interpretiert wurden und damit dem Wesen der Sache widersprechen, werden Irrtümer genannt.
  • Denkgebäude, die keinen Bezug zum Wesen der Dinge haben, nennt Patanjali Vorstellungen. Er nennt sie ”Worte ohne Bedeutung”.
  • Der Tiefschlaf, in dem zwar keine Wahrnehmungen erfolgen, der aber nicht mit dem Zustand der Vollkommenheit übereinstimmt.
  • Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen, werden Erinnerungen genannt.

 

Alle geistig-seelischen Vorgänge können auf eine oder auf eine Kombination von mehreren dieser Unterscheidungen zurückgeführt werden. Diese Unterscheidung dient damit lediglich der Gliederung der breit gefächerten Thematik.

Patanjali geht damit von der Annahme aus, dass das reine und vollkommene Wissen nur über die Fähigkeit zur Intuition erlangt werden kann. Diesem Vorgang stehen aber, durch den denkenden Geist verursacht, Hindernisse gegenüber. Erlebnisse der Vergangenheit werden gespeichert, und als Grundlage für zukünftige Entscheidungen in umfangreichen Denkgebäuden, die nach P. keinerlei Grundlage besitzen, zu Regeln umgedeutet. Diese sind, da falsch, die eigentlichen Ursachen für jedes Leiden im Menschsein. Selbst richtiges, reines Wissen, das von Weisen schriftlich fixiert wurde, kann falsch ausgelegt und daher missverstanden werden. Einzig der Zustand des Tiefschlafes kommt dem angestrebten Zustand, dem reinen Sein, sehr nahe, aber gerade dort werden keine Wahrnehmungen aufgenommen. Doch kommt aus ihm die Sehnsucht nach dieser Freiheit und dieser folgend wird der Mensch zum Suchenden.

Noch detaillierter als Deshpande beschreibt Deussen in seiner „Geschichte der Philosophie, Bd1.3., Seite 512“ die ersten Verse des Textes in einer alten, aber auch sehr deutlichen Sprache:

Die Sutren nach Deussen:

  • Nunmehr die Belehrung über den Yoga
  • Der Yoga ist die Unterdrückung der FUNKTIONEN des Bewusstseins
  • Dann wird erreicht das Bestehen des Sehers in seiner eigenen Natur
  • Im anderen Falle teilt er die Natur der FUNKTIONEN (fünffach, mit und ohne klesha’s behaftet)
    1. Erkennen durch Erkenntnisnormen (Wahrnehmung, Folgerung, Überlieferung)
    2. Verkehrtheit ist die falsche Erkenntnis, welche bei dem stehen bleibt, was nicht Wesen der Sache ist
    3. Der bloßen Erkenntnis durch Worte nachgehend, des Objektes bar, ist die Annahme
    4. Die nicht auf einer realen Vorstellung fußende Funktion ist der Schlaf
    5. Das Nichtabhandenkommen des Objektes, dessen man inne ward, ist die Erinnerung
  • Die Unterdrückung der Funktionen geschieht durch Übung und Leidenschaftslosigkeit
  • Die Übung ist die Bemühung, darin zu beharren
  • Diese aber gewinnt festen Boden, wenn sie lange Zeit ununterbrochen gastfreundlich gepflegt wird.
  • Die Leidenschaftslosigkeit ist das Bewusstsein der Selbstbeherrschung eines nicht mehr nach wahrnehmbaren und schriftverheißenen Dingen Dürstendem.
  • Dieses Nichtmehrdürsten nach den Guna‘s erreicht seinen Höhepunkt bei dem „das Aufleuchten des Purusha“ Besitzenden

Auch hier wird eine Gliederung vorgenommen, um Erkenntniswege zu überprüfen. Auch Deussen beschreibt hier die Wirkung des denkenden und arbeitenden Geistes, nur werden diese nur in einem kleinen Nebensatz erwähnt, weil die „Behaftung mit und ohne klesha’s“ zur Standarddifferenzierung in der indischen philosophischen Kultur gehört und daher selten spezielle Erwähnung findet. Leidenschaft hier muss übersetzt werden als „in Zu- und Abneigung verfangen“. Von Fühlen, diskutieren und reflektieren ist diese Haltung weit entfernt. Im Bericht über Krishnamacharia kommt diese Haltung sehr deutlich zum Ausdruck: Er bestreitet jede persönliche Mitwirkung und rezitiert aus den für ihn ewig gültigen Schriften. Er lässt damit in seinem Denken keinerlei Leidenschaft zu und beruft sich immerfort auf die gültige Überlieferung, die im klassischen Yoga eine wahre Erkenntnisquelle darstellt.

Alles in Allem ergibt sich so für mich ein ganz anderes Bild über das „Yoga Sutra des Patanjali“. Wenn wir diese Überlieferung modern verändern und damit Motive einbringen, die das Sutra im Original ganz bewusst ausschließt, sollten wir das Ergebnis nicht mehr „Yoga Sutra nach Patanjali“, nicht mehr „Diskusionen über das Yoga Sutra des Patanjali“ sondern wirklich „Diskussion über ein modernes Verständnis der Yogapraxis“ oder einfach neudeutsch „Travelling Yoga“ nennen.
Es würde mich freuen, wenn Sie diese Texte in eine der erwähnten Mittwochsdiskusionen einbringen könnten.