Der innere Frieden

Immer mehr Menschen meiner Umgebung klagen über einen Mangel an innerem Frieden. Daher habe ich beschlossen, mich etwas mit diesem „Inneren Frieden“ zu beschäftigen. Zunächst einmal würde jeder vermuten, das wir mit einer Definition des inneren Friedens beginnen müssten. Doch das ist falsch. Denn wer seinen inneren Frieden noch nicht gefunden hat, weiß ja nicht, was dieser innere Friede überhaupt ist. Und da hilft definieren nicht weiter. Zäumen wir die Fragestellung aber von der Perspektive aus auf, was unserer Vorstellung gemäß den inneren Frieden stören könne, kommen wir sicherlich schon ein ganzes Stück weiter.



Was stört also? Zunächst einmal fallen mir so Emotionen ein wie Angst, Furcht oder Ekel, vielleicht sogar so etwas wie Hass oder Gier, und später dann vielleicht noch so schöne Stimmungen wie Liebe und Ehrfurcht, die, werden sie falsch umgesetzt, ebenfalls den inneren Frieden stören können. Zusammenfassend können wir daher sagen, das es nahezu immer Emotionen, zu deutsch Gefühle, sind, die störend wirken. Bei negativ besetzten Emotionen finden wir das auch immer bestätigt, aber bei so etwas wie Liebe und Ehrfurcht kommen leicht Zweifel auf. Wenn man aber bedenkt, das wir eine Liebe auch verlieren können, wie jeder bei Scheidungsverfahren oder nach großer Enttäuschung sehen kann, wird schnell klar, das auch die Liebe und die Ehrfurcht keine Ausnahme bilden. Schnell wandelt sich die Liebe mal in Abneigung oder sogar Hass um. Ähnlich ist es mit der Ehrfurcht, die, wenn wir sie verlieren, sich schnell in Langeweile oder sogar in Ablehnung wandeln kann. Was aber sind diese Emotionen, die scheinbar das Hauptproblem des inneren Friedens darstellen, und woher kommen sie? Darüber Aussagen zu machen füllt ganze Bücherregale, und wir müssten uns für die eine oder andere Theorie unter dutzenden entscheiden, um diese Frage zu beantworten. Wir müssen aber so gar nicht vorgehen. Es gibt einen anderen Weg. Dazu stellen wir zunächst einmal fest, das Emotionen nicht von irgendwoher von außen kommen können, sondern aus uns selbst erwachsen. Angst, Furcht, Abneigung, Zuneigung, Angezogen-Sein oder Abgestoßen-Sein sind immer unsere ganz persönlichen Stimmungen. Wie wäre anders zu erklären, das Einer zum Beispiel Angst vor Spinnen, Mäusen oder anderem Getier hat und der Nachbar nebenan diese Tiere liebt und sie sich in Terrarien hält. Kämen Emotionen von außen, müssten doch alle die gleiche Angst… haben. So geht es auch mit der Liebe, oder etwa nicht. Würde sie zum Beispiel von außen kommen, müssten alle in etwa gleich in die gleiche Person verliebt sein. Das geschieht so aber im praktischen Leben nicht. Emotionen sind also immer innere Prozesse, die von einer Person in sich selbst ausgelöst und wahrgenommen werden. Das es dazu Auslöser im Außen gibt oder geben kann, ändert daran letztlich nichts. Dann werden die Wahrnehmungen interpretiert, was nichts anderes heißt als das sie in Bezug gesetzt werden zur individuellen Erfahrung oder erzählten Geschichten, die in der Person einen Eindruck hinterlassen haben. Alle Kulturen bestehen aus Geschichten der Vergangenheit, die ausgelegt und/oder projiziert werden in eine nahe oder entfernte Zukunft. Auch das, was wir Visionen nennen, entsteht aus Erlebtem und dem Versuch, das Erlebte umzudeuten oder zu verhindern, das es wieder und wieder erlebt werden muss. Halten wir fest: Emotionen entstehen im Individuum aufgrund von Erlebtem oder Erzähltem in Verbindung mit der Gegenwartswelt und den Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben. In der modernen Psychologie werden unerwünschte Emotionen derart therapiert, das vom Patienten verlangt wird, diese Emotionen zunächst einmal anzuerkennen als „Meine Emotionen“, dann daran gearbeitet werden muss, sie auch als Mein anzunehmen und sie so nicht mehr als „von-außen-kommend“ zu betrachten. Die Projektion wird zurückgenommen. Dann erst können sie authentisch erlebt werden. Alles was Mein ist in Form von Gedanken, Gefühlen und Visionen kann die Person auch selbst ändern. So verlieren sie ihren Schrecken, kommen aus dem Schatten ins Licht des Bewusstseins und zeigen ihre ihnen eigene Substanzlosigkeit. Sie sind Produkte des Geistes, Geister sozusagen, die ihre Macht verlieren, sobald sie erkannt wurden, sonst nichts. Sie sind zwar da, aber als machtlos erkannt und daher nichts, was uns in Angst und Sorge und… zu versetzen in der Lage ist. So gewinnen wir unseren inneren Frieden. Menschen sind Individuen und daher als „für sich selbst stehende Wesen“ zu betrachten. Auch wenn sich Viele als Teil einer Gesellschaft, als Teil einer Kultur oder Ethnie oder sogar Teil einer Artengemeinschaft betrachten, sind sie doch in ihrem Inneren allein in der Welt. Ich kann meine Emotionen nicht mit anderen teilen, kann meine Furcht, meine Liebe nicht auf einen Anderen durch Kommunikation übertragen, ohne von dort eingelassen zu werden. Wird mir der Einlass verwehrt, stehe ich mit meiner Emotion allein da. Wir bilden zwar Gemeinschaften, die bis zur Verschmelzung reichen können, aber wir brauchen das Einverständnis des/der Anderen dafür. Jeder ist in diesem Bezug faktisch für sich selbst verantwortlich. Wird zum Beispiel meine Liebe nicht erwidert, kann ich nicht den Anderen dafür verantwortlich machen, sondern mit meiner Liebe stimmt wohl etwas nicht und sollte eher Begehren oder Hörigkeit genannt werden. Entsprechend geht es auch mit der Angst, mit der Sorge, und vielen anderen Gefühlen. Es ist meine Angst, meine Sorge, meine… und nicht die der Anderen.



In fast allen Gesellschaften moderner Art ist es so, das die Gemeinschaft jeden Mitbürger durch Androhung von Strafen vor Ereignissen zu schützen versucht, die Angst oder Sorge beinhalten könnten. Das gelingt leider nicht immer und ist oft mangelhaft ausgearbeitet. Aber das Prinzip, wie es sein könnte/sollte, ist erkennbar. Insofern gibt es auch realistische Angst, reale Sorge, aber das hält sich in Europa zumindest doch in ziemlich engen Grenzen. Das was gut erkennbar viele Mitmenschen zu belasten scheint gehört sicher nicht zu den Letztgenannten. Es handelt sich oft um Emotionen aus den verborgenen Kammern des Selbst, die unerkannt ihre Schatten verströmen. Und hier kann Abhilfe geschaffen werden, indem sie als das erkannt werden, was sie letztlich auch sind: Geister im Guten und Dämonen im Bösen. Unsere Sprache lebt diese Aussage, sind wir in ihr doch oft „be-geistert“, „ent-geistert“, „ver-geistigt“, „von allen Geistern verlassen“, von „einem Dämon besessen“ oder sogar von „einem Geist beseelt“. Vielleicht sollten wir des öfteren mal mehr auf unsere Sprache achten. Sie enthält viele Wahrheiten und drückt vieles aus, wovon wir unserem modernen Wissensverständnis nach nichts mitbekommen. Sie ist alt und schöpft aus den Erfahrungen längst vergangener Strukturen, die wir zwar überwunden zu haben glauben, die aber im Verborgenen noch immer wirksam sind, und das im Guten wie im Bösen. Das Gute zu achten und das Böse zu meiden ist die Empfehlung aller großen Religionen. Das hat/hatte seinen Grund, der auch heute noch wirk-mächtig ist. Die Definitionen haben sich zwar angepasst, wurden verändert, gewandelt und neu gestaltet, aber die Prinzipien sind doch gleich geblieben.

Als weitere Störung des inneren Friedens können Träume, Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche fungieren, die unerfüllt bleibend zu Hoffnungslosigkeit oder Antriebslosigkeit führen können. Auch diese Gruppe stellt sich vom Inhalt her als Geistgestalten heraus. Auch hier gilt es nicht zu erforschen, woher diese Geister wohl kommen könnten, sondern eher, was sie wirklich sind und sie als eigene Schöpfungen zu erkennen, sie anzunehmen und ihnen so ihre Macht zu entziehen. Und eine weitere Gruppe stellt sich oft als Störenfried dar, wenn nämlich geforderte Leistungen, Vorstellungen von Vorgesetzten, Arbeitgebern, Freunden und der Familie…, zu denen eine Abhängigkeitsbeziehung besteht, nicht zu erfüllen sind und wir (nicht) erkennen, das das nicht an uns, sondern an den verworrenen Vorstellungen von Mitmenschen zu liegen scheint. Das diese Erscheinungen den Betroffenen belasten können, ist wohl nicht zu vermeiden, aber, und hier sitzt „der Hase im Pfeffer“, es bleibt doch die Frage zu klären, warum uns die Vorstellungen anderer, die doch gar nicht unser Eigentum sind, belasten können. Ist es vielleicht nicht mehr der tief sitzende Wunsch in mir, doch anerkannt zu werden, doch gefeiert zu werden, oder die Angst, Nachteile zugemutet zu bekommen und, wenn sich das nicht erfüllt, wir an den unerfüllten Träumen erkranken. Oder ist es nicht doch mehr der Widerstand gegen die Überforderung, den wir durch diese Träume und Hoffnungen erzeugen, der letztlich die eigene Kraft bindet? Auch hier erscheint das Problem in ähnlicher Form, nämlich das wir die Störung erkennen müssen, die in uns wirkt und wir nicht allein auf den Mitmenschen als Verursacher projizieren dürfen. Es ist hier der Widerstand, der die Störung in mir verursacht, und mit dieser Erkenntnis können wir genauso verfahren wie mit Emotionen, Träumen oder Hoffnungen. Wir lösen den Widerstand auf, indem wir die Realität anerkennen. Das macht einerseits die Arbeit, auch wenn sie nicht gefällt, leichter, lässt uns mehr Kraft und Ruhe für unser Tun finden und löst den Druck in uns. Es löst das Problem zwar nicht an sich, aber wir erkranken nicht daran. Das ist zumindest schon mal ein Fortschritt. Probleme, die nicht die unsrigen sind, können wir auch nicht lösen. Wir können Hinweise geben, können durch Klarstellungen helfen, aber nicht die Geister in Anderen befrieden. Das muss der Vorgesetzte oder Freund schon selbst erledigen. Wir tun, was wir können, und gut ist. Worauf wir fokussieren müssen ist die Störung, und nicht auf den Verursacher oder den, den wir für den Verursacher halten. Beides geht nach hinten los, nennt sich Projektion und ist ein Krankmacher. Wir können nur die Störung beseitigen, die in uns allein oder in uns durch äußere Ereignisse ausgelöst werden. So kommen wir zu Kraft zurück und gewinnen inneren Frieden. Mehr geht nicht. Wir werden die Welt nicht bessern, sie erretten oder zum Guten wenden. Wir sind nur für uns selbst verantwortlich. Das klingt nach allein-sein müssen, ist es aber nicht. Krank, depressiv und verängstigt zu sein werden zum Allein-Sein führen. Der erreichte „Innerer Friede“ aber ist in Vollendung eins mit Allem, das ist logisch betrachtet zwar letztlich auch allein, aber auf einer ganz ganz anderen Ebene. Und im Dunkel und Hell der Evolution dazwischen gibt es viele viele Stufen. Allein ist da niemand, der offen und frei sein Leben gestalten kann, im Gegenteil: Er/Sie wird die ganze Welt um sich versammelt finden.




Eine vierte Ode an die Un-Entschiedenheit: Präventives Yoga

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit, der ich damit den vierten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über Yoga, genau genommen über eine Form, die ich „Präventives Yoga“ nenne und deren Voraussetzungen erst erarbeitet sein müssen, bevor es begonnen werden kann.



Der Artikel ist ebenfalls wie sein Vorgänger deutlich länger geworden, als zunächst von mir beabsichtigt. Aber: Ich brauchte diese Länge, um ausdrücken zu können, was ich meine.

Die Unentschiedenheit, mit der wir leben müssen, …

… wenn wir Yoga praktizieren. Hierfür muss ich sehr viel weiter ausholen, als wenn ich schreiben würde: Yoga und seine Übungspraxis ist gut für die Gesundheit. Es kann Gesundheit fördern und diese auch wieder herstellen, so denn genügend Zeit zur Verfügung steht und die Übungen, die dazu notwendig sind, korrekt und zielführend angewendet werden. Aber, und das ist für mich hier in diesem Artikel entscheidend, dafür war und ist Yoga eigentlich nicht gedacht. In meiner Anschauung ist Yoga in seiner klassischen Prägung (Patanjali) präventiv ausgelegt und soll, wenn bereits als gesunder Mensch begonnen, die Gesundheit für eine lange Lebenszeit erhalten. Dazu werden bei Patanjali zunächst einmal Rahmenbedingen (yama, niyama: so etwa vergleichbar mit Moral und Ethik) formuliert, dann werden Körper und Atemübungen vorgestellt, die den gesund vorgefundenen Körper gesund erhalten können und dann geht es mit großer Konsequenz zur Einübung der Stille und weiterführend zur Meditation.

Exkurs: Natürlich helfen Yogaübungen wie Asana und Pranayama auch bei der Herstellung oder Wiedererlangung von Gesundheit. Dafür braucht es einen langen Atem, denn diese Gesundheit kann ja „nicht eingenommen“ werden, sondern müssen „durch Umgestaltung der ungesunden Anteile“ erarbeitet und in der Folge dessen auch gefestigt werden [1. Ich möchte es einmal mit einem Hausputz vergleichen. Zuerst einmal wird der Raum gründlich gereinigt, dann erfolgt die aufwendige Tätigkeit, die Sauberkeit auch für einen längeren Zeitraum zu erhalten. Den sauberen Raum zu erreichen ist ja kein in sich abgeschlossenes Ereignis, das Bestand hat, sondern es wird in seiner Folge ein Prozess angestoßen, die eigentlich nie zu einem Ende kommen kann, soll die Sauberkeit erhalten bleiben.] Im Yoga heißt das für einen Beginn der Praxis, das alle krankmachenden Anteile [1. Verspannungen, schlechte Gewohnheiten in allen Lebenslagen, falsche Nahrungsvorlieben, energetische Blockaden, Bewegungsmangel, häufiges stundenlanges Sitzen, usw.] dauerhaft umgestaltet werden müssen. Dazu werden die Stufen 3-5 verwendet, also Körper- und Atemübungen sowie die Fähigkeit, seine Sinne [1. Yoga kennt sechs Sinne. Zu den fünf bekannten kommt noch das Denken hinzu.] im Zaum halten zu können. Sind diese Aufgaben gelöst/erfüllt, kann mit dem „präventiven Yoga“ fortgesetzt werden.

Dieser Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit dem präventiven Yoga. Dazu sollten als Voraussetzungen für den Beginn genannt werden:

1. Gesundheit, oder besser ausgedrückt die Abwesenheit von Krankheit.

2. Eine angepasste Ausformung der Lebensumstände und seiner Gewohnheiten.

3. Ein ausreichende bis gute Form des Alltags, die nicht-schädigend mit Körper und Geist umgeht.

4. Ein unbelastete Einbettung in eine Gesellschaft mit anderen Menschen.

Gewöhnlich sind Menschen in Mitteleuropa stets geneigt, diese Voraussetzungen bei sich selbst als gegeben anzusehen. Dem kann und werde ich nicht zustimmen können, und ich denke, das wird, so nicht ein Wunder geschieht, auch noch lange so bleiben. Warum schreibe ich das so? Die Menschen in unseren westlichen Gesellschaften werden doch älter als in allen anderen Lebensgefügen. Ja, das stimmt, aber sie werden nicht gesund älter, sondern können meist das hohe Alter nur mit eine Unzahl von Medikamenten und operativen Eingriffen erreichen. Häufig ist alt-werden mit Bewegungseinschränkungen, ärztlich verordneten Nahrungsrestriktionen, häufigen Einnahmen von Medikamenten, mangelnder Beweglichkeit sowie Kraftlosigkeit und allen Arten von Schwindel- und körperlichen und geistigen Degenerationserscheinungen verbunden. Ich bin der festen Überzeugung, das viele dieser Einschränkungen vermieden werden könnten, wenn die Menschen rechtzeitig, also noch in gesundem Alter, mit Präventionsaktivitäten beginnen würden. Aber, wie bereits gesagt, dafür müssten sie zunächst einmal zu einer relativen Gesundheit gelangen; relativ deshalb, weil Verletzungen und Behinderungen, die nicht gerichtet werden können, verbleiben müssen und sozusagen „das Best-Mögliche“ daraus gemacht werden muss.

Zu 1. Abwesenheit von Krankheit

In der Regel basiert unser Gesundheitssystem auf der Bekämpfung von bereits sich herausgebildeten Krankheiten, und das sehr oft erst dann, wenn diese bereits stark ausgeprägt sind, sich als chronisch erweisen und für wirksame Gegenmaßnahmen ohne Chemie oder Messer es bereits zu spät ist. Dann mit Yoga anzufangen, ist zwar nicht vergebens, aber eine mühsame und zeitaufwendige Angelegenheit. Eine sinnvolle Yogapraxis setzt voraus, das der Übende zumindest mit den Grundhaltungen der Asana- und Pranayama-Arbeit vertraut ist und über genügend Kraft, Ausdauer, Körperwahrnehmung und Beweglichkeit verfügt, um diese auch in einem geschwächtem Zustand einnehmen zu können. Das sehe ich heute meinen Beobachten zufolge bei vielen, die mit Yoga beginnen, als meist nicht gegeben an. Wenn sich also eine Einschränkung bereits etabliert hat, ist der Beginn mit Yoga sehr viel schwieriger, als wenn gesund begonnen wird. Woher kommen die ganzen Einschränkungen, die fälschlich zu lange als „noch“ gesund angesehen werden. Da ist der Arbeitsalltag, das sind einseitige Belastungen im Sport, da sind die Setzungen von Prioritäten wie Karriere und das Geld-verdienen-müssen usw. Und natürlich spielt auch Unwissenheit eine große Rolle. Ich empfehle, jung und gesund mit dem Übungen im Yoga zu beginnen. Dann sind die Grundlagen gesetzt, um bei Bedarf Unstimmigkeiten angehen zu können. Yoga so begonnen schafft ein hohes Maß an Körperwahrnehmung, was in der Folge den Menschen auch in die Lage versetzt, auch beginnende Schwierigkeiten mit Gesundheit/Krankheit frühzeitig erkennen zu können. So sind die Gegenmaßnahmen, die (noch) mit Yoga möglich sind, auch problemlos anwendbar.

Zur Gesundheit, wie sie für präventiv wirksames Yoga erforderlich ist, zählen auch eine normal ausgestaltete Beweglichkeit [1. Dazu gibt die Orthopädie folgende Normen vor: 1. Eine Vorwärtsbeuge im Stehen mit geraden Beinen, die mit den Fingern den Boden zu berühren imstande ist; 2. die Fähigkeit, die Hände hinter dem Rücken zu verbinden, wobei eine Hand über den Kopf geführt wird, 3. die Fähigkeit, im Sitzen mit ausgestreckten Beine die Zehen mit den Handgelenken berühren zu können; 4. in der Bauchlage einen Oberschenkel mindestens 10 Zentimeter ohne Mühe anheben zu können; 5. sich ohne Abheben der Fersen in die Hocke zu begeben; 6. in einem tiefen Ausfallschritt nach vorne sollten die Oberschenkel einen 180° Winkel zueinander erreichen; 7. in der Rückenlage sollte ein angewinkeltes Bein mit dem Knie auf der Gegenseite abgelegt werden können, ohne das sich die gegenüberliegende Schulterseite vom Boden abheben muss.], eine für den Alltag ausreichende Kraft [1. Beispiele: Treppensteigen können, einen Einkauf nach Hause tragen können, …] sowie eine ausreichende Ausdauer [1. Beispiel: …um einen langen Spaziergang machen zu können, um hier und da auch einmal eine Arbeit über einen längeren Zeitraum im Stehen durchführen zu können, …]. Mit anderen Worten gesagt: Es sollte ein ganz normaler aktiver Alltag bewältigt werden können. Die Beweglichkeit ist insofern besonders wichtig, da viele Organe, Gelenke, Faszien und andere Körperpartien Bewegung in ihrer Umgebung benötigen, um gut funktionieren zu können.



Zu 2. Lebensumstände und Gewohnheiten

Viele Menschen unserer Zivilisation neigen dazu, alle persönlichen Bedürfnisse den Parametern Arbeit und Familie unterzuordnen, und sie vergessen dabei, wie wichtig es ist, sich um sich selbst zu kümmern. Lebensumstände aber sind nicht festgeschrieben und schon gar nicht in Stein gemeißelt. Sie können verändert werden. Das Leben ist kein Gefängnis, wo ganz klare und oft auch erzwungene Regeln gelten. Wenn ich doch bemerke, das die Art und Weise, in der mein Leben abläuft, mir weder bekommt noch mir gut tut, oder mich sogar stark belasten und/oder sogar schädigen, ist doch ein Wechsel in besser geformte Umstände erforderlich. Außerdem ist doch jedem, der früh am Tag die vielen Menschen sieht, die sich mit Bewegungseinschränkungen zur Arztpraxis quälen, klar sein, das er/sie älter werden wird und es ein Wunder wäre, ohne Einschränkungen ganz leicht durchs ganze Leben huschen zu können. So sagen mir viele Yoga-Einsteiger, sie hätten früher eigentlich nie Zeit gehabt, eine Yogapraxis zu beginnen. Sie nehmen an, das dabei mindestens 90-120 Minuten täglich oder 2-3 mal in der Woche notwendig wären. Dem ist nicht so. Ich denke, das einmal pro Woche eine 90 minütige Übungsreihe unter Anleitung plus 10-15 Minuten jeden Tag [1. …mit gesetzten Schwerpunkten entsprechend der Belastung oder nach Vorgabe eines Lehrers…] eine ausreichende Praxis darstellen, solange (noch) keine hartnäckigen Einschränkungen vorliegen.

Exkurs: Halten wir zunächst einmal fest: Der Mensch ist eine Einheit aus Körper und Geist. Und stellen wir weiterhin fest, das viele Organe und ihre Funktionen ineinander greifen und sich gegenseitig beeinflussen. So hat zum Beispiel eine niedrig-gradige oder stille Entzündung [1. Stille Entzündungen spielen sich konstant im Körper ab und äußern sich anfangs mit diffusen Symptomen. Dazu zählen: Schlappheit, Müdigkeit, Antriebslosigkeit. Allgemeines Krankheitsgefühl. Häufige Infekte. Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen, Paradontose, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit, …] ganz bestimmt eine oder mehrere Ursachen, die nicht ganz so einfach nach dem „wenn, dann…“-Schema betrachtet oder sogar diagnostiziert werden können. Falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, Schädigungen und Einschränkungen aller Organe, Stress, übermäßige körperliche Belastungen, eine Überlastung des Körpers und was sonst noch alles können dies mit verursacht haben. Von Alkohol und anderen Unsitten will ich gar nicht erst anfangen zu schreiben. Wäre es nicht schön, wenn manche der genannten möglichen Ursachen schon frühzeitig zu erkennen gewesen wären. Man hätte rechtzeitig Abhilfe schaffen können. So aber setzt sich die ganze Kolonne mit stetig steigender Anzahl von Missständen in Bewegung, die so einfach gar nicht (mehr) zum Stillstand gebracht werden kann. Der geübte Yoga-Praktizierende erkennt viele dieser Schwierigkeiten schon sehr früh, weil er für Veränderungen im Körper sensibilisiert ist. Viele weit verbreitete Beschwerden der heutigen Zeit beruhen auf diesen oder ähnlichen Prinzipien. Es ist doch so, das ein Missstand, der nicht erkannt wurde, eine ganze Latte von weiteren Missständen nach sich ziehen kann/wird. Und Missstände sind nicht nur Organversagen oder Verletzungen, sondern sind auch zu vieles Sitzen, zu wenig Bewegung, einseitige Ernährung usw., also Motive, die oft gar nicht mit Gesundheit in Beziehung gebracht werden. Meiner Erfahrung nach werden solcherlei wirksame Motive alle sehr frühzeitig von Körper und Geist angekündigt. Mangelnde Bewegung wird durch Unruhe angezeigt, vieles Sitzen erzeugt schwere Beine und Schwächen im Herz/Kreislauf-System. Und was einseitige/falsche Ernährung anrichtet, muss ich nicht extra beschreiben, das geht von der Magersucht bis zur Fettleibigkeit, von Störungen des Verdauungssystems bis zu Vergiftungen und Mangelerkrankungen. Wenn wir immerzu nur Symptome zu lindern oder abzustellen gedenken, wird eben die Kolonne der Schwächen immer länger. Eines zieht das Nächste und das Weitere hinter sich her, und irgendwann ist dann Schluss mit der lustigen Kolonnenfahrt, und der Körper zieht die Notbremse: Chronische Krankheit.

Zu 3. Sich nicht Selbst-schädigend verhalten

Um zu erkennen, welche aktuellen Reaktionen im Körper ablaufen, muss der Übende sensibilisiert sein, sonst erkennt er diese nicht und/oder interpretiert seine Beobachtungen falsch. Im Grunde genommen ist gesundes Leben doch sehr einfach:

1. Sich weder körperlich noch geistig überlasten.

2. Sich seinen körperlichen Stärken und Schwächen entsprechend verhalten.

3. Zeitweise auftretende Einschränkungen und ebensolche Dauereinschränkungen berücksichtigen [1. Jeder wird älter und verliert somit langsam aber sicher Körperspannung und Kraft. Mit 70 ist man keine 20 mehr. Schwangere Frauen sollten keine große Lasten tragen. Übergewichtige sollten auf ihre Ernährung achten. Die Einnahme von Medikamenten (z.B. Antibiotika) erfordern oftmals eine angepasste Nahrungsaufnahme. Zucker und Nicotin sind Suchtmittel. Und so könnte es noch Seitenweise weitergehen…]

4. Sich frei machen von Vorurteilen, Zwängen und ungeschriebenen Gesetzen. [1. Das ist notwendig, da jeder der genannten Punkte zumindest für Ärger, Leid und Lasten sorgen, wenn nicht sogar zu psychischen Störungen führen wird, die durchaus bereits als Krankheit angesehen werden können.]

Sich nicht-Selbst-schädigend verhalten heißt nicht, sich den Regeln der Ernährungsmoden zu unterwerfen. Ich zum Beispiel esse, was mir schmeckt und gut bekommt, und vertraue Sie auf meine eigene Wahrnehmung, und nicht auf Werbung und Studien. Auch werde ich mich nicht verleiten lassen, irgendwelche Dinge zu tun (Sport, Untersuchungen, Einschränkungen), die mir nicht selbst in den Sinn gekommen, also mir von außen zu-diktiert werden. Ich achte darauf, das ich die mir mögliche Beweglichkeit erhalten kann und mache Übungen dazu. Weiterhin achte ich darauf, ob und wie mein Alltag mir gelingt. Kann ich meine Einkäufe tragen, kann ich meinen Gartenarbeiten, meinen Wohnungsarbeiten, meine sportlichen Hobbys nachkommen, ohne danach erledigt, abgespannt oder übermäßig müde zu sein? Sollte hier und da ein Symptom auftreten, schaue ich mir das genau an und sorge mit Yoga oder anderen Maßnahmen für Abhilfe.



Zu 4. Die Einbettung in eine Gemeinschaft

Ich würde eine Empfehlung für alle aussprechen: Sich in ein gesellschaftliches Gefüge einordnen sollte immer angestrebt werden, sofern sich dieses nicht Menschen-feindlich verhält. Sollte es das doch tun, und ich gehöre ihm bereits an, ist Selbstschutz immer wichtiger als Gerechtigkeit. Nur so kann heute ein Mensch sein Leben sinnvoll gestalten. Anderes Beispiel: Ich werde, um meine Wasserkisten nach Hause zu transportieren, mich mit Sicherheit nicht auf ein Fahrrad verlassen, nur weil das in Mode gekommen ist. Ich mag mein Auto. Es war mit 18 Jahren und aus der Provinz stammend im Jahre 1972 ein Werkzeug zur Erlangung von Freiheit. Und ich werde es weiter verwenden, bis es mir verboten wird. Ich mag es auch nicht, zu einer Veranstaltung oder Feier durch das Fahrrad nass, durchgeschwitzt und abgehetzt anzukommen. Wozu ich allerdings gerne bereit bin, ist, mich an die mir vorgegebenen Gesetze zu halten. Ich bezahle meine Steuern und fahre auf der rechten Seite einer Fahrbahn. Aber, was nicht verboten ist, ist grundsätzlich erlaubt. Und was mir erlaubt ist, lasse ich mir nicht durch irgendwelche Mobbing-Gruppen absprechen. Was ich ebenfalls ablehne, ist meine Ansicht mit Druck, unlauteren Mitteln und voller Lautstärke durchsetzen zu wollen. Ich sagte es: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Und wenn mir mal was nicht passt, und weil es eben nicht verboten ist, reagiere ich darauf mit Toleranz [1. Kommt vom lateinischen „tolerare“ und heißt nichts anderes als ertragen, erleiden, erdulden.] Die Gesellschaft erlässt Gesetze. Wenn ich ihr angehören möchte, sollte ich sie befolgen. Alles andere ist, um es gelinde auszudrücken, unpassend. Wenn ich trotzdem Protest anmelden möchte, schreibe ich eine Veröffentlichung oder gehe auf eine angemeldete Demonstration. Dafür gibt es wie für alles andere Regeln. Und wenn mir die bestehenden Regel nicht gefallen, melde ich mich in einer Partei an und versuche so, diese zu ändern. Sachbeschädigung, Behinderung und Nötigung sind Straftaten, aber mit Sicherheit kein Protest. Nur so kann eine Gesellschaft bestehen. Ich kenne keinen anderen Weg. Wenn ich das nicht akzeptiere, sollte ich mir eine andere Gesellschaft suchen. Es gibt genug davon auf dieser Welt. Die Einbettung in eine Gesellschaft ist heute absolut notwendig. Ich kenne keinen Ort auf der Welt, wo dieses anders gestaltet wäre. Wenn ich ein freies, gesundes und gestaltendes Leben führen möchte, muss ich das wohl oder übel in Kauf nehmen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Hier fehlt leider jede Alternative. Ich empfehle, sich mehr und mehr unauffällig zu verhalten, weil: Menschen im Rampenlicht verlieren ihre Freiheit, nicht, weil sie diese durch den erworbenen Ruhm verlieren könnten und/oder abhängig werden, sondern weil andere sie unmöglich machen werden. Meine Beobachtung sagt eindeutig, das „berühmt“ und „frei“ selten miteinander harmonieren.

Soweit zu den Voraussetzungen. Kommen wir zurück zu dem, was ich Eingangs „Präventives Yoga“ genannt habe. Yoga so verstanden dient für einen Menschen, der die vier Punkte (s.o.) [1. Nicht-Selbst-schädigend, den Umständen angemessen, Abwesenheit von Krankheit, Einbettung in eine Gemeinschaft] gemeistert hat, hauptsächlich dazu, sich die so erworbene Freiheit zu erhalten. Regelmäßiges leichtes Üben von Yoga spürt jede Form von Anspannungen, Blockaden, Organschwächen und Belastungen sicher auf. Und jeder Übende kann dann relativ früh mit Gegenmaßnahmen beginnen, sei es, das ein Arzt zu Rate gezogen werden, eine Gewohnheit geändert, eine Beziehung angepasst oder ein Arbeitsalltag verbessert werden müsste. Zuerst kommt immer die Wahrnehmung einer Notwendigkeit, bevor diese in Handlungen oder Lebensveränderungen gestaltet werden kann. Das Yoga so nebenbei auch meist noch verhindert, das Blockaden überhaupt entstehen, Verspannungen sich fest etablieren oder Stress sich negativ auswirken kann, kommt noch fördernd hinzu. Dazu kommt eine gut trainierte Körperverfassung, eine durch und durch bewegliche und belastbare Muskulatur und ein Geist, der nicht verlernt hat, wahrzunehmen, zu lernen und seine Umwelt zu verstehen. Konflikte entstehen nicht, Leiden entsteht nicht, Mangel und Degeneration werden zumindest gebremst. Kann ich jemand mit diesen Aussagen zum Yoga locken? Bei mir war das erfolgreich. Ich bin fast 70 jahre alt und gesund und munter, komme ohne Medikamente aus und bin für mein Alter fit wie ein Turnschuh.

Unentschiedenheit

Wo kommt aber jetzt noch die Unentschiedenheit hinein, wo ich doch auf mehreren Seiten detailliert und ziemlich genau erklärt habe, was zu tun und zu lassen sei. Nun, das stimmt so nicht ganz. Denn erklärt habe ich nur den Weg, der zur Freiheit von Beschränkungen, dem Ausgangspunkt einer präventiven Yogapraxis, führt. Was ich nicht erklärt habe und auch nicht erklären kann, ist die Technik, das Rezept oder das Konzept, wie sie danach dauerhaft zu erhalten ist. Das kann ich auch nicht, weil: Es gibt keine Technik, kein Rezept und kein Konzept, das, sind die Voraussetzungen erfüllt, zum Erhalt derselben beitragen könnte. Ich nutze nur meine Übungen, um sich einschleichende Fehler aufspüren zu können. Gibt es keine: schön, gibt es welche: auch schön, weil ich sie nämlich jetzt kenne und beseitigen/umgestalten kann. Und alles darüber hinaus ist der Freiheit anheim gegeben, und die ist so individuell, so wechselhaft und unplanbar wie der Mensch und sein Leben. Und so wird wieder einmal, diesmal über Yoga ausgesprochen, ein „Schuh“ der Unentschiedenheit daraus. Wohin er mich tragen wird, weiß ich nicht und will auch eigentlich auch nicht (mehr) wissen. Freiheit heißt doch, jetzt und hier für mich jederzeit Entscheidungen treffen und sie vollziehen zu können/dürfen. Da gibt es keine Regeln außer die meiner Gemeinschaft und die meiner Möglichkeiten. Und selbst das ist/kann nicht für alle Zeit als festgezurrt (gelten). Und wenn etwas offen ist, unentschieden eben, gibt es wenig darüber zu berichten.




Eine dritte Ode an die Un-Entschiedenheit: Stille Meditation

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit, der ich damit den dritten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über die Meditation. Dieses Wort ist heute so durchgestaltet, verbreitet und missbraucht, das sich der eigentliche Sinn, wie er sich aus der Überlieferung ergibt, sich so gut wie nicht mehr auffinden lässt.



Der Artikel ist (leider) etwas länger geworden, als ich das beabsichtigt hatte, aber: Ich konnte es mit weniger Worten nicht so ausdrücken, wie es mir in den Sinn kam.

Die Unentschiedenheit, mit der wir leben müssen, …

… wenn wir Meditation praktizieren. Was ich hier zu beschreiben versuche ist, meine Erfahrung zu Papier zu bringen, ohne dabei zu Überhöhen oder zu Untertreiben oder mich in Nachbetungen zu erschöpfen. Meditation ist eine Lebenspraxis, die offen, der Buddhist würde sagen, „leer“ ist. Es gibt kein Ziel, keine Methode usw, es gibt zunächst nur das persönliche Motiv, das im Grunde genommen sehr unterschiedlich sein kann. Ich empfehle, am Anfang alle in Frage kommenden Motive zu nutzen, um die Praxis zu beginnen, und dann nach der Einrichtung der Gewohnheit eines nach dem anderen zu negieren, neudeutsch: zu canceln, um dann ohne Vorgabe, ohne Zielvorstellung und ohne Rezept… in sein Sitzen gehen zu können. xX

Auch die Bestätigung eines Meditations-Meisters erhalten zu wollen, die Bestätigung also, die meditative Praxis erreicht/erklommen zu haben, ist bereits ein Konzept. Also, alles gezielt Angestrebte ist in meiner Vorstellung alles mögliche, aber nicht Meditation. Sie erfordert also eine oftmals sehr lange Vorbereitungsphase, erfordert viele Versuche mit meist bescheidenem Ausgang, wird hier und da Verwirrung, Sorge und Ernüchterung erzeugen und bedarf daher Mut, Hartnäckigkeit und einen sehr langen Atem. Es darf nicht entscheidend sein, ob die Praxis ein Gefühl des Gelingens oder Misslingens erzeugt. Ich betrachte sie als eine Lebenspraxis, in etwa so wie das Atmen, das Schlafen und das, um ein Motiv der modernen Kultur zu nennen, Zähneputzen. Meditation ist und bleibt ein „Weg in unbekanntes Terrain“, nicht vorgegeben, nicht planbar und auch nicht zu irgendwelchen Zwecken gut. Meditation ist Meditation, ist Zazen, ist Sitzen, ist „leer“ im buddhistischen Sinne, also nicht beschreibbar. Und das ist gut so!

Im nachfolgenden Text versuche ich diese durchaus gewagten Aussagen aus meiner Sicht zu begründen. Es ist, wie gesagt, meine persönliche Ansicht, wie sie gerade eben, wo ich das hier schreibe, vorliegt. Vielleicht kann sich diese schon morgen ändern/geändert haben. Beginnen möchte ich mit der Beschreibung der Meditation in Wikipedia. Es folgt eine Kritik der dort gemachten Aussagen und im Text eingebettet, wie ich das alternativ zu Wikipedia bzw. dem Schreiber dort sehe und praktiziere.

Meditation in Wikipedia:

Meditation bezeichnet eine Gruppe von Geistesübungen, die in verschiedenen Traditionen seit Jahrtausenden überliefert sind. Ein wesentliches Element meditativer Techniken ist das bewusste Steuern der Aufmerksamkeit. Das Üben von Meditation soll nachhaltige positive Veränderungen im Denken, Fühlen und Wahrnehmen bewirken oder zu bestimmten religiös definierten Einsichten und Zuständen führen. Effekte von Meditationstraining auf Kognition, Emotionen, Hirnfunktion, Immunsystem, Epigenetik sowie auf die psychische Gesundheit sind wissenschaftlich belegt. Meditation ist ein zentrales Element in verschiedenen Religionen, insbesondere dem Buddhismus, wie auch im Hinduismus, Konfuzianismus und Christentum. Seit dem 20. Jahrhundert wird Meditation zunehmend auch in der westlichen Welt praktiziert und wissenschaftlich erforscht.

Nun ist Meditation eine Sache, die sich meiner Ansicht nach so materialistisch ausgeformt/-gestaltet nicht darstellen lässt, denn im Grunde ist ein Nutzen dieser Praxis weder wissenschaftlich belegbar noch kann sie bestimmten Zielen in Form einer Technik, die zu einem vorgegebenen Ziel führt, zugewiesen werden. Natürlich hat das Sitzen in Stille Veränderungen in Körper und Geist (beide sind eine Einheit…) zur Folge, aber, und das ist mehr als entscheidend, können diese nicht bewusst herbeigeführt werden. Aber genau das wäre Wissenschaft: Wenn ich A tue und verfolge, passiert B. Und ich kann das in einem validen Verfahren jederzeit erneut belegen. Denn: Niemand kann vorhersagen, wie sich Meditation auf das Sein eines Menschen auswirkt. Es ist ja gerade dieses Nicht-Wissen-Können, das zur „Technik/Gewohnheit“ wird und in meiner Erfahrung kann eine Praxis desselben nicht planmäßig angestoßen werden, auch wenn viele Bücher und Veröffentlichungen das dem Leser so mehr oder weniger geradezu in den Mund legen.

a. Es geht in der Meditation sinnvoller Weise doch zunächst einmal um die äußere Form. Jeder Einsteiger wird das sehr deutlich körperlich erfahren. Still sitzen über einen Zeitraum von mehreren Abschnitten, die sich in der Summe nur in Stunden ausdrücken lassen, ist eine Praxis, die sich so einfach schon allein körperlich nicht umsetzen lässt. Einschlafende Beine, wegdämmern, dösen, einschlafen und damit verbunden Rücken- und Beinschmerzen werden jede meditative Stimmung verderben.

b. Dann geht Meditation, so sie denn gelingt (s.u.), in Bewusstseinsschichten hinein, die dem alltäglichen Geist sprich Verstand unzugänglich sind. Aber diese sind nicht, wie viele Schriften vermuten lassen, in einem wie immer auch gestalteten Jenseits angesiedelt, sondern sie sind hier, in dieser Welt, in diesem Körper, in dieser Persönlichkeit. Sie transzendent zu nennen ist verschroben, um einen sanften Ausdruck zu gebrauchen, denn Transzendenz [1. Transzendenz (von lateinisch transcendentia „das Übersteigen“) beschreibt den Bezug auf einen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindbarer Wirklichkeit liegt. Wikipedia.de] liegt, wie der Name schon sagt, jenseits des Bewusstseinsfensters, das sich einer Persönlichkeit öffnen kann. Auch sehe ich nicht, das man ein Bewusstsein so wirklich eindeutig in verschiedene Abschnitte wie ein Offenes-Bewusstsein, ein Unter-Bewusstsein und dazu noch in ein Un-Bewusstes trennen kann. Auch hier ist der Begriff [1. Bewusstsein (abgeleitet von dem mittelhochdeutschen Wort bewissen im Sinne von „Wissen über etwas habend“,lateinisch conscientia „Mitwissen“ und altgriechisch syneídēsis „Miterscheinung“, „Mitbild“, „Mitwissen“, synaísthēsis „Mitwahrnehmung“, „Mitempfindung“ und phrónēsis „bei Sinnen sein, denken“) ist im weitesten Sinne das Erleben mentaler Zustände und Prozesse. Eine allgemein gültige Definition des Begriffes ist aufgrund seines unterschiedlichen Gebrauchs mit verschiedenen Bedeutungen schwer möglich. Wikipedia.de] bereits so geprägt, das weder eine Definition und folgerichtig daher auch keine Unterteilung möglich erscheint. Solcherlei Einteilungen und Spitzfindigkeiten entbehren jeglicher wahrnehmbaren und/oder wissenschaftlichen Basis.



c. Dann kann man mit einer geistigen Tätigkeit [1. Geist heißt ja deshalb Geist, weil er keine materielle Erscheinung ist. HpS] keine materiellen Änderungen erzeugen. Das ist nach wie vor und ich fürchte für lange Zeit noch eine SF-Vision. Meditation kann nur hervorbringen, was schon da ist. Dazu werden für die Meditation die verschiedensten Techniken und Werkzeuge vermittelt. Das ist sicherlich ein guter Weg für den Einstieg, aber schon in der Phase der Festigung, wenn die Meditation also wie das Zähneputzen zur alltäglichen Praxis wird, kann mit den unterschiedlichen Konzentrationen [1. Jede Technik ist im Grunde genommen (nur) eine Konzentration.] nicht mehr sinnvoll gearbeitet werden. Jede Konzentration bedarf des Denkens, bedarf der Sprache, legt fest und verdeckt/verschleiert so das Unbekannte. Sie sind daher alles andere als offen.

d. Was bitte sehr hat Meditation mit Epigenetik [1. Die Epigenetik ist das Fachgebiet der Biologie, das sich mit der Frage befasst, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Sie untersucht die Änderungen der Genfunktion, die nicht auf Veränderungen der Sequenz der Desoxyribonukleinsäure, etwa durch Mutation oder Rekombination, beruhen und dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden.Wikipedia (DE)] zu tun. Der Einfluss der Umwelt auf die Gene wird beim stillen Herumsitzen nicht anders sein als wenn ich im Garten in aller Stille Unkraut jäte oder wenn ich im Büro eine Excelliste bearbeite. Wenn Meditation wirksam die Gesundheit verbessert, wie oftmals wissenschaftlich behauptet und wie das von vielen Menschen auch bestätigt wird, was ich auch tue, hat das natürlich auch Einfluss auf das Erscheinungsbild des Menschen allgemein als auch auf die Hirnfunktion und die Reaktionen auf die Umwelt, aber auch auf die Verdauung, auf das Nagelwachtum und alle anderen Erscheinungsänderungen. Auch ist bei guter Gesundheit bestimmt ein Stimmungswechsel zum positiven hin zu verzeichnen, der sich so bei Krankheit nicht zeigen wird. Ich halte die Phrasen zur Epigenetik und Hirnfunktion für den Versuch, der Wissenschaft eine Legitimierung zu geben, die sie aufgrund der Fremdheit des Geschehens gar nicht haben kann. Denn fremd sind der Wissenschaft die Aussagen von Meditierenden, dass 1. Meditation weder etwas mit Denken noch mit Wissen zu tun hat, das 2. Meditation nicht gewollt herbeigeführt werden kann und 3. eine Ebene beschreibt, die nichts mit Raum und Zeit zu tun hat, also keine Gegenstände noch deren Benennung kennt. Nichts im Hirn zeigt Meditation messbar an, außer, das der Mensch sehr ruhig wird [1. Was das EEG mit elektromagnetischen Wellen von 8-13,9 Hz also eine Ruhefrequenz sprich Alpha-Wellen anzeigt.], was beim langen Stillsitzen oder ausgeprägten Ruhezeiten ja auch nicht außergewöhnlich ist. Wo soll die Unruhe dabei herkommen? Vom Geist vielleicht? Und wie wird der im Gegensatz zu Hirnaktivität gemessen? In Alpha-, Beta- oder Gamma-Wellen vielleicht? Ich halte die Aussagen der Wissenschaften für sehr gewagt, wenn nicht sogar anmaßend.

Zu a. Die äußere Form der Meditation (Sitzen, Zazen)

Meditation bedarf der körperlichen Ruhe und der Abgeschiedenheit, denn der Übende braucht sozusagen Platz in seinem Bewusstseinsfenster. Der abgesonderte Meditationsplatz, störungsfrei gestaltet, führt die Sinne in einen Ruhezustand. Meist sind die Augen geschlossen oder halb geöffnet, der Körper bewegt sich äußerlich nicht und ruht fest in seinem Sitz für eine ziemlich lange Zeit. Das alles sind Umstände, in die zu wechseln ein Mensch, der innerhalb einer Zivilisation eingebunden lebt, so ohne weiteres nicht imstande sein kann. Aus einem ereignisreichem Tag, gefüllt mit Ansprachen, Gesprächen, Wahrnehmungen, Lernen und all den lebensnotwendigen Verrichtungen in eine Form zu wechseln, die nahezu als „leer“ beschrieben werden kann ist also die erste Aufgabe, die eine Praxis anzustreben hat. Das braucht Zeit und Übung. Dazu braucht es in jedem Fall zunächst einmal eine Sitzhaltung, die auch bereit ist, still zu sein. Meine Überlegung geht dahin, das körperlich still sein nur dann gelingt, wenn es dem Körper gut geht und ihm alles zur Verfügung steht, was er braucht. Also empfehle ich, zunächst einmal lange Zeit darauf zu verwenden, einen Sitz entsprechend zu gestalten. Verspannungen, die Schmerzen erzeugen, Fehlhaltungen, die weder Atem noch Kreislauf frei laufen lassen, sind in jedem Fall zu meiden. Auch sollten weder Beine noch Arme einschlafen, sollte der Geist nicht dösen oder sogar wegdämmern, sollte das Denken auch nicht sich mit Alltäglichem beschäftigen. Mir hilft nach wie vor, mich immer wieder auf das Sitzen zu konzentrieren, wenn ich bemerke, das anderes geschieht.

Ich habe lange daran gearbeitet, mir die Lotushaltung als Sitz zu erarbeiten, denn diese ist besonders geeignet, fest und mühelos zu werden. Fest ist der Lotus deshalb, weil hier zwischen Hara und Perineum ein Spannungsgefälle entsteht, das die Arbeit des Aufgerichtet-Seins übernimmt und so Mühelosigkeit im Sitzen erschließt. Andere Sitzhaltungen sind da in meiner Erfahrung bedeutend aufwendiger gestaltet. Soweit zunächst einmal die äußere Form einer Meditation, wie ich sie sehe. Wir brauchen einen stillen und störungsfreien Ort, brauchen einen tragfähigen Sitz und die Bereitschaft, vom Alltag loszulassen.

Zu b. Offenheit heißt Abwesenheit von Vorstellungen

Wenn wir uns genau vorstellen, was oder wohin uns Meditation führen wird, gelingt sie nicht. Das sagen alle Äußerungen von Meditationsmeistern (Zen, Yoga, Buddhismus). Also sollten wir das ganze Wissen um… und Wünschen zu… einfach sausen lassen und uns einfach, heißt ausschließlich, nur dem Sitzen zuwenden. Was darin geschieht, geschieht, Punkt. Wir können zwar den Körper stillhalten, aber wir können weder das Hören noch das Sehen und schon gar nicht das Denken abstellen. Und unser Körper erzählt im Stillsitzen unaufhörlich, wie es ihm geht und was er gerne verändern würde. Trotz dieser Störungen/Impulse, die immer da sind, bleibt der Übende in seiner Betrachtung unfixiert, das heißt, er hört, sieht, denkt mehr oder weniger unaufhörlich, aber das Geschehen findet wenig zielgerichtete Beachtung und wird zunehmend wie das Grundrauschen eines Radios oder einer Stadt wahrgenommen. Unfixiert heißt, weder ordnend, bewertend noch in Worte fassend, wird dieses Rauschen als Hintergrund zugelassen. Der Rest des Wahrnehmungsfensters ist offen, nicht gefüllt oder leer. Wir wissen nicht, was dort erscheint, haben keine Vorstellung davon, was kommen soll oder nicht kommen soll, sind weder voll einer Erwartung noch einer Furcht. Und so geht das weiter bis zum nächsten Gedanken, nächsten Bild, nächsten Ton oder der nächsten Körperwahrnehmung.

Eine Methode, mit Störungen umzugehen

Definition: In den nachfolgenden Zeilen wird das Wort Unfixiertheit oftmals verwendet. Das Wort beschreibt in meinem Denken einen Zustand der Wahrnehmung, der sich auf nichts, was einen Namen trägt oder in Worten sich ausdrücken lässt, konzentriert ist. Die Wahrnehmung ist dabei vergleichbar mit einem Film, der ununterbrochen im Bewusstseinsfenster abläuft. Da der Film keine nachvollziehbare Ereigniskette beschreibt, die spannend, interessant oder außergewöhnlich daher kommt, läuft er einfach so ohne große Gedankenwellen ab. Ich könnte auch sagen, er ist ganz einfach alltägliche Normalität, vielleicht sogar als langweilig zu beschreiben und ganz bestimmt wenig abwechslungsreich. Der Film bezieht sich auf nichts und sagt, da er keinen Grund kennt, auch nichts aus. Er ist, wie der Buddhist sagen würde, leer.

Wenn wir die Augen geschlossen haben, sehen wir auch immer noch ein Bild. Das ist zwar wenig spannend, aber es erzeugt, bewusst geschaut, eine Konzentration. Wir sollten aber den Inhalt des Bildes nicht erfassen, nicht in Worte oder Beschreibungen, nicht in Bewertungen oder Vor-/Abneigungen einkleiden, sondern einfach als diffuses Bild ohne Inhalt stehen lassen. Das Betrachten des Bildes ist damit für mich eine Technik, die zum Beispiel in der Lage ist, einen Gedankenstrom, einen Strom des Denken zu unterbrechen und/oder sogar abzustellen. Ist das Geschehen, was in relativ kurzer Zeit geschieht, kehrt der Übende wieder zur Unfixiertheit zurück.

Gleiches wie die Bilder der Augen sind die Geräusche des Hörens. Auch hier kann das Geschehen nicht abgestellt werden. Wir hören immer. Auch hier entsteht eine Technik, wenn sich die Konzentration zum Hören zieht. Auch hier werden die Geräusche weder geordnet noch zum Verständnis seiner Hintergründe geführt, sondern wir hören Töne, Punkt. Und wenn so verwendet, kehrt der Übende wieder zur Unfixiertheit zurück.

Wir haben einen Körper, der ständig Wahrnehmungen absondert. Es entsteht ein Prickeln hier und ein Zucken dort, hier eine Strömung, dort ein aufleuchtender Nerv, die Verdauung, der Atem und der Kreislauf sind allgegenwärtig. Wird eine dieser Wahrnehmungen zur Last, ragt also aus dem Hintergrundrauschen der Sinne deutlich hervor, wird bei mir zum Beispiel ein Wechsel zur Gestaltung des Sitzens erfolgen. Ich gehe dann zum Spannungsfeld zwischen Hara und Perineum und gestalte kurz und zügig meine Aufrichtung neu, indem ich mich energetisch (ist trotzdem unbewegt…) neu ausrichte. Dann nach wenigen Änderungen komme ich wieder zur Unfixiertheit zurück.

Die häufigste und daher auch wichtigste Störung ist das Aufkommen von Gedanken. Diese können aus dem Alltäglichem kommen, aus der Erinnerung an frühere Zeiten oder auch aus Motiven entstehen, die irgendwann durch Medien zugeführt wurden. Die Methode der Wahl ist es, den angekommenen Gedanken nicht weiter zu verfolgen oder gar ein darauf aufbauendes Gedankengebäude zu errichten, sondern ihn einfach stehen zu lassen. Gelingt das, wird der Gedanke sich ebenso unaufdringlich zurückziehen wie er auch gekommen ist. Gelingt es nicht, gehe ich zu einer der anderen Sinneswahrnehmungen hinüber und höre einem Moment bewusst oder sehe das Bild. Auch der Gang zurück zu Wahrnehmung bzw. Gestaltung des Sitzens ist ein guter Wechsel, der Gedanken abblitzen lässt. Nach wenigen Augenblicken aber gehe ich wieder zur Unfixiertheit zurück.



Zu c. Das Hervorquellen des Unbeachteten

In der Meditation entstehen, wie bereits bemerkt, freie Räume im Fenster des Bewusstseins, die sich immer wieder schnell mit zum Teil weit zurückreichenden Erinnerungen füllen. Diese werden bald nach dem Erscheinen als Gedanken wahrgenommen und wie Gedanken (s.o.) behandelt. Da wir diese Gedanken nicht erwarten, werden wir sie mit Sicherheit meist erstaunt einen Augenblick betrachten, sprachlos darüber, das sie überhaupt noch da sind und immer noch gedacht werden können. Es ist eine gute Maßnahme, sich dafür etwas Zeit zu nehmen, Zeit zum Staunen. Staunen aber ist ohne Worte, ohne Ordnung oder Wertung. Staunen ist nur Schauen, das heißt, wir erleben das Motiv dieser Gedanken neu, erlebe ohne zu benennen, zu werten und/oder einzuordnen. Ich sehe solche Gedankenströme als unverarbeitete Erlebnisse der Vergangenheit [1. Erinnerungen und Gedanken sind immer Ereignisse aus der Vergangenheit.], die entweder Eindruck hinterlassen oder Prägungen gezeugt haben, ohne jedoch jemals bewusst wahrgenommen oder in Stille betrachtet worden zu sein. Das wird hier in der Stille und ohne Reflexion nachgeholt, so das diese Motive erfüllt in das Vergessen abgleiten können. Diese Motive schlummern im Sediment des Bewusstseins. Sie an die Oberfläche gelangen zu lassen ist der erste Schritt, ihr Wirken im Verborgenen, das meist wenig hilfreich ist, zu beenden.

Ich denke mir die Arbeit meines Bewusstseins in Meditation etwa so: Mein Leben währt schon fast 70 Jahre, und die Informationsfülle, die ich in dieser Zeit aufgesogen, verarbeitet und gefiltert habe ist unvorstellbar groß. Wichtig für das Verständnis derselben ist die Beschaffenheit des Filters beziehungsweise weiterführend die Assimilationsfähigkeit, mit der ein Bewusstsein diese Unmenge an Daten wichtet, einordnet, kategorisiert und somit zu einem händelbaren Bewusstseinsstrom eindampft. Dabei wird Bekanntes zu Bekanntem, Wünscheswertes zu Wünscheswertem, Langweiliges zu Langweiligem und so weiter sortiert und so nicht weiter beachtet oder verarbeitet, so das Raum entsteht für so sagenumwobene Dinge wie Kultur, Narrative, Moral, Ethik und so weiter.

Meditation ist dann gegeben, wenn …

1. …diese ausgesonderten Filtrate, dieses Eingeordnete und bekannt Langweilige, das ja da ist und wie ein Sediment am Boden des Gefäßes schlummert, im Sitzen zurückgeführt/aufgewühlt wird in ein aufnahmefähiges Bewusstsein, das sich gerade, was das Alltägliche betrifft, in einer Ruhephase befindet. Wir sagen heute gerne dazu, das käme aus dem Unterbewusstsein. Es wird dann betrachtet und behandelt wie einen Gedanken, zunächst mit Staunen, dann evtl. durch den Wechsel auf eine Sinneskonzentration…

2. …das momentan Erlebte ohne Filter aufgenommen, betrachtet und geschaut wird, wenn also das Filtern, Ordnen und Bearbeiten durch Vorstellungen wie Kultur, Narrativ oder Moral unterbleibt. Die Wahrnehmung ist jetzt, hier, einfach und unbeeinflusst.

3. …wenn die Meditationssitzung gefühlt sehr schnell vorübergeht, ich sozusagen denke: Ich habe doch erst zwei/drei Gedanken gedacht, und habe dafür 25 Minuten gebraucht? Wenn Zeit und Raum keine Rolle spielen, so sagt man über Meditation, verbleibt keine Erinnerung.

Meditation ist dann nicht gegeben, wenn…

1. …die Sitzung gefühlt sehr lange dauert und sich ewig hinzieht. Meist sind dabei Träume, Wachträume, Dösen, Nachdenken und Wiederholungen der immer gleichen Gedanken oder sogar kurze Schlafphasen zu verzeichnen.

2. …die Zeit mit Gedankengebäuden und langwierigen Planungen, Formulierungen, Sorgen und Nöten gefüllt wird und sozusagen bereits im Vorfeld zur Zeit nach der Sitzung Überlegungen getroffen werden, die meist mit „Wenn…, dann…“ oder „So würde es gehen…“ beginnen oder enden.

3. Wenn der Körper aufgrund Störungen nicht ruhig zu sitzen bereit ist und sozusagen auf dem Sitz herumrutscht und/oder sich gedankliche Überlegungen einschleichen, was und warum diese und jene Wahrnehmung auftritt. „Ich will doch meditieren…, warum gelingt es nicht?“

Zu d. Hinabtauchen in die tiefen Schichten des Bewusstseins

Die tiefen Schichten des Bewusstseins, von denen ich hier in sehr gewagter Weise schreibe, da ich mich dabei nur auf Bücherwissen, also Beschreibungen von Meditationsmeistern und Wissenschaftlern beziehen kann, haben nach meinen Recherchen nichts mit Zeit, Raum, Wissen, Techniken, Rezepten, Konzepten und festgelegten Neigungen oder Verfahren zu tun, sondern sind die Ebenen, die aus der langen Entwicklungsgeschichte des Menschen stammen. Diese sind/wurden/werden in der Regel durch Kulturinhalte, Narrative, Moral und Ethik überdeckt und so unwirksam gemacht. Diese Schichten enthalten aber nicht nur unerwünschte Inhalte wie Gewalt, Triebe und Überlebensstrategien, sondern auch sehr nützliche und gut ausgestaltete Fähigkeiten, die ich mit Vorsicht als Intuition bezeichnen würde. Diese Schichten zu öffnen erfordert Mut und ein hohes Maß an persönlicher Festigkeit und Zurückhaltung, was nachvollziehbar ist, da eben nicht nur positive Motive zum Vorschein kommen. So erklärt sich auch, warum ein Schutzraum um sich herum, absolute Stille, Unbewegtkeit und innere Zurückgezogenheit für die Meditation notwendige Rahmenbedingungen sind. Es treten eben auch unerwartete Einblicke [1. Der Buddhismus nennt das „Die Versucher“ (Mára, abgeleitet von marati: sterben). Sie werden meist mit Lust, Unzufriedenheit, Gier, Eitelkeit beschrieben und sind die „teuflischen“ Versuchungen, die nicht nur im Alltag, sondern auch in der Meditation auftreten können.] auf, die einen Menschen durchaus aus der Fassung zu bringen in der Lage sind. Diese unbeachtet zu lassen ist wie schon erwähnt eine der großen Aufgaben/Herausforderungen der Meditationsarbeit.

Ich sehe hier nicht, wie wissenschaftliche Methoden hier zu helfen in der Lage wären. Es gibt bezüglich Geist, und mit dem hat das alles zu tun, keine Messmethode. Das bestimmte Hirnregionen aktiviert werden und das dann auf bestimmte Motive gewichtet werden kann, sagt nichts bzw. nicht viel aus über den Inhalt, der hier aktiv ist. Meiner Ansicht nach können nur Stimmungen mit diesen Aktivitätszentren in Verbindung gebracht werden. Und mit den Stimmungen ist das so eine Sache. Mancher bekommt ein gute Stimmung bei gesellschaftlich erwünschten Erscheinungen, aber es geht, wie die Krankenakten der Psychologie und Psychiatrie belegen, auch anders herum. Außerdem sind Messmethoden immer auch mit Aufnahmesensoren und Geräten verbunden. Allein schon deren Anwesenheit wird die Messung beeinflussen. Von der Erwartungshaltung, die sich in/an/mit der Versuchsperson verbindet, möchte ich hier erst gar nicht anfangen. Es gilt das Unschärfeprinzip, das aussagt, das nicht nur die geprüfte Person, sondern auch der Prüfer und das Umfeld der Prüfung auf das Messergebnis Einfluss nehmen. Wie sollen da brauchbare und gesicherte wissenschaftliche Ergebnisse gefunden werden. Selbst die großen Zen-Meister der Geschichte hüllten sich angesichts ihrer Erfahrungen in der Meditation stets in Schweigen und versuchten, ihre Schüler auf sehr personalisierte Weise zu fördern. Manch Schüler bekam Schläge, andere der gleichen Schule wurden gelobt, Dritte wurden lange Zeit so gut wie nicht beachtet und so weiter. Wir alle kennen die Geschichten, die ganze Bücherreihen füllen. Es gibt also kein Rezept und keine Konzepte, die Meditation sinnvoll beschreiben können. Wir sind allein in der Praxis, ganz auf uns allein gestellt, und jeder Übende hat wahrscheinlich seinen eigenen Weg.

So weit zu den Aussagen, die ich machen kann. Das heißt unter Berücksichtigen der oben genannten Fragen, ohne sie auch nur irgendwie Beantworten zu wollen, wird meiner Ansicht nach ein brauchbarer „Schuh“ aus der Praxis des Meditierens. Wohin der Schuh uns führen wird? Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht (mehr) wissen. Ich bin und bleibe in der Frage „Warum Meditation?“ offen, sprich: Unentschieden. Und wenn etwas offen ist, unentschieden, gibt es wenig darüber zu berichten.




Eine zweite Ode an die Un-Entschiedenheit: Sinn – Woher kommen/gehen wir?

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit [1.Der antike Skeptiker Pyrrhon von Elis wendet die Unentschiedenheit in Form der Aoristie an und postulierte, dass die Dinge nicht unterscheidbar, unbeständig und damit nicht zu beurteilen seien. Daher dürfe man weder unseren Wahrnehmungen noch unseren Vorstellungen glauben, woraus die Pflicht entstünde, sich nicht zu entscheiden.] , der ich damit den zweiten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über den Sinn, wie er sich in philosophischen/wissenschaftlichen, religiösen und spirituellen Fragen äußern wie: Warum hat Gott uns erschaffen? Gibt es einen Schöpfer? Ist das Universum leer? Wozu leben wir? Gibt es Regeln fürs „richtige“ Leben?



Für den religiösen Menschen ist der Sinn des Lebens klar. Er lebt, um Göttern (in all ihren Namen und Formen) zu gefallen und so Vorteile innerhalb dieses Lebens als auch danach zu ergattern oder in einer anderen Perspektive zumindest ruhig und ohne Angst vor Strafe schlafen zu können. Nun wissen wir von der Philosophie, das alle Beweise, alle Ableitungen und Erläuterungen zur Frage „Gibt es (einen) Gott/Götter“, irgendwann auf Holzwegen sich wiederfinden. Holzwege, das sind Wege, die irgendwann immer dünner werden und letztlich im Nirgendwo enden. Und ist man dann am Ende des Weges angekommen, hilft nur noch Glauben. Zumindest scheinen so viele, meiner Ansicht sogar fast alle Menschen auf diese Frage zu reagieren, sofern sie sich ihr jemals gestellt haben. Die meisten anderen Menschen, die sich dieser Frage entziehen, lehnen das Stellen dieser Frage ab oder reden nicht darüber mit dem Hinweis auf Aberglauben und nennen sich dann Atheisten [3. Atheismus (von altgriechisch átheos „ohne Gott“) bezeichnet die Abwesenheit oder Ablehnung des Glaubens an einen Gott oder Götter… Im Gegensatz dazu bezeichnen Deismus und Theismus ( theós „Gott“) den Glauben an Götter.] Sie stellen in Zentral-Europa heute wohl schon die Mehrheit.

Nun ist die Frage nach dem Sinn des Lebens in meinem Verständnis eine der elementaren Fragen, die ein nachdenkender Geist zu stellen in der Lage ist. Sie ergibt anders als die wissenschaftlichen Fragen , die nach „woher“, „wie“ und „warum so“ fragen, eine Antwort, die weite Teile des weiteren Lebens zu beeinflussen in der Lage ist. Sie stellt die Frage nach einem Zweck, einem Plan oder einfacher geschrieben nach einer Motivation, mit der mein Leben über die wie immer geartete Bühne gehen sollte und lässt somit keinen Spielraum offen. Die Entscheidung, es eben so und so zu denken und damit genau so und folgerichtig zu handeln versperrt die Möglichkeit der Offenheit, ganz gleich, ob ich mich für eine Theorie entscheide oder aber, gegensätzlich gedacht, diese Frage ausschließe. Die extremen Antworten sind also „Es gibt einen Gott und ich handele nach seinem Willen…“ oder „Ich ignoriere die Möglichkeit der Fragestellung vollkommen…“. Mit der ersten Entscheidung baue ich ein Fundament, auf der sich letztlich jede Frage des Lebens beantworten lässt, mit der zweiten Antwort verschiebe ich die Beantwortung in eine ungewisse Zukunft, ohne auch nur den Versuch zu machen, ein Fundament zu errichten. Bildlich ausgedrückt befände ich mich im ersten Fall auf einem Boot im riesigen Ozean, im Zweiten schwimme ich sozusagen ungesichert im wie immer gearteten Wasser, ausgeliefert an Wellen und Strömung.

Nun gibt es verschiedentliche Versuche, das Problem zu lösen, in dem ich Gott aus der Transzendenz in die Immanenz verschiebe und ihn nicht als Person, sondern alles Existierende als eine Ganzheit zu betrachten, die dann Universum und/oder Leerheit genannt wird. Als „polarer Teil“ der immanenten Ganzheit bin ich dann bildlich gesprochen Mensch und Gott zugleich. Als Manifestation der Leerheit ist es mehr oder weniger ebenso. Ob ich aus dem Ganzen an sich oder aus dem Nichts komme und dorthin zurückkehren werde, macht im Prinzip wenig Unterschied. In beiden Fällen gibt es dann eine Fülle von Erklärungsversuchen, die meist zusätzliche meist theoretisch-wissenschaftliche Vorstellungen in diese Theorien einfließen lassen, um die sich automatisch einstellenden Unwägbarkeiten zu beantworten. Eine weitere Vorstellung ist die des eines Geistes [4. nicht materiell, allumfassend, körperlos, zeitlos, endlos, nicht greifbar, jenseits der Naturgesetze (HpS)], also „Alles ist Geist“, zu der ich mich dann ebenfalls als ein „polarer Anteil“ denken kann.

Was alle Erklärungsversuche oben beinhalten, ist letztlich, das es eine Entscheidung geben muss, der ich mich dann in der einen oder anderen Weise verpflichte. Die abendländischen Religionen sind mehr auf Gott ausgerichtet, also auf eine Person in der Transzendenz, die alles bestimmt. Die asiatischen Religionen sind mehr auf einen polaren Anteil an der Immanenz ausgerichtet, sei es Universum, Geist oder Leere, zu denen es aufbauend immer Erklärungsversuche geben muss. Die Wissenschaften beschäftigen sich nicht mit dieser Frage. Sie vermeidet Entscheidungen zu Fragen, deren Antworten sich nicht belegen lassen können/werden. In der Summe der aufgezeigten Möglichkeiten bleiben also sarkastisch geschrieben zwei Extreme und eine Ignoranz.

Ich sehe nur einen einzigen Ausweg aus dieser misslichen Lage, in der denkendes Leben auf dieser Welt steht. Dieser Ausweg findet sich in der Möglichkeit, offen zu bleiben, sich eben nicht zu entscheiden. Jeder denkende Mensch steht doch vor der Frage, wie er einen Sinn in seinem Tun, das über das einfache „nur leben“ hinausgeht, findet. Und da es viele Möglichkeiten gibt, keine davon endgültig zu beantworten ist, bleibt für mich letztlich nur die Unentschiedenheit, die Offenheit, mit der ich mir die Freiheit vorbehalte, mich von Fall zu Fall, von Tag zu Tag oder sogar von Moment zu Moment neu zu positionieren. Ich gehe dabei davon aus, das Entscheidungen über Zugehörigkeiten erst dann getroffen werden müssen, wenn eine Wahl letztlich nicht mehr zur Verfügung steht. Wenn es keine Wahl mehr gibt, sind Entscheidungen eindeutig und ohne Qualen möglich. Ich denke da an die vielen Menschen in vielen Jahrhunderten, die sich entschieden hatten und in einer ihnen feindlich gesinnten Welt leben mussten, die sie letztlich nur unnötig zerstört hat. Ich denke da nicht nur an Pharisäer, Häretiker, an Hexen und Hexer, an Ungläubige und wie sonst noch religiöse Abweichler genannt wurden. Ich denke dabei auch an Zugehörigkeiten zu Völkern, Nationen, Ethnien, Rassen, Systemen und was es sonst so alles an Konstrukten gibt, die über Leben und Tod zu entscheiden sich anmaßen. Menschen mit Zugehörigkeit haben Kriege ausgelöst, Verfolgungen beschlossen und durchgeführt, haben damit immer wieder mit Füßen getreten, was wir Menschlichkeit [2. Der Begriff „menschliches Verhalten“ (mit Betonung des Attributs „menschlich“) hingegen hat einen normativen Gehalt, geht also von Vorstellungen darüber aus, wie der Mensch sein solle oder angeblich seiner wahren Natur oder idealen Bestimmung nach sei. Unter dieser Voraussetzung bezeichnet das Wort „Menschlichkeit“ in einer engeren Wortbedeutung Züge des Menschen, die objektiv als richtig oder gut gelten, zum Beispiel Mitleid, Nächstenliebe, Güte, Milde, Toleranz, Wohlwollen, Hilfsbereitschaft. Als subjektives Ziel der Selbstveredelung wird demgegenüber auch das Streben nach harmonischem Ausgleich von Sinnlichkeit und Sittlichkeit genannt. Wikipedia] nennen und Lebewesen ohne Not ihrer Freiheit beraubt. Unentschieden zu sein beraubt nicht ohne Not. Der Unentschiedene braucht zu essen, zu trinken und eine Bleibe. Und natürlich ist auch eine Gemeinschaft mit anderen hilfreich und lebenswert. Aber müssen die zugehörigen Mitglieder alle einer Ansicht/Meinung sein? Es genügt doch meist schon, nach einem Konsens [3. Der Konsens bedeutet die übereinstimmende Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage ohne verdeckten oder offenen Widerspruch. Wikipedia DE] zu suchen, auch wenn das hier und da schwierig, langwierig und aufreibend sein mag. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit, es doch wirklich mal mit „Freiheit“ zu versuchen. Frei zu sein heißt ja letztlich nicht, immerzu machen zu können, was mir gerade so in den Sinn kommt. Auch der freie Mensch muss sich hier und da entscheiden. Wer sich aber ohne Not(-wendigkeit) entscheidet, ist in meinen Augen nicht mehr frei! Er hat die Un-Freiheit für sich gewählt.

Ich sehe für die Menschen in Deutschland heute zum Beispiel keine Notwendigkeit, sich für oder gegen Zugehörigkeiten und besonders für einengende Regeln entscheiden zu müssen. Wir könnten alle weitgehend offen sein und es auch noch lange bleiben. Und das gilt für viele, sehr viele Schubladen unserer Gesellschaft. Hier gilt in meinem Verständnis immer noch als Leitgedanke der kategorische Imperativ [1. Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Auf unmittelbare Kritik reagierte Kant mit einem Anwendungsbeispiel in dem Aufsatz „Über ein vermeintes Recht“, aus Menschenliebe zu lügen. Wikipedia DE (Es lohnt sich, das dort einmal nachzulesen.)], den ich für die bisher beste Regel halte, die je für die Ausgestaltung von Gesellschaft in Freiheit gefunden wurde. Trotzdem würde ich sie ergänzen wollen um die Aufgabe, dem Ideal der Freiheit für alles Leben immer näher zu kommen. Das gilt besonders für die Unbill [2. Billigkeit (griechisch Epikie) ist ein im deutschen Recht vorkommender unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem eine gerechte oder angemessene Anwendung allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen im Einzelfall verstanden wird. Wikipedia DE] des „Fressens und Gefressen-Werdens“ sowie die des „Verdrängens aus dem Lebensraum“. Diese in naher Zukunft nicht zu ändernden „Natur-Gesetze“ müssen so erträglich wie möglich für alle Wesen gestaltet werden.

Für mich ist „Freiheit an sich“ die Möglichkeit, sich nur dann entscheiden zu müssen, wenn es eine Not(-wendigkeit) dazu gibt. Dazu gehört es auch, Regeln zu befolgen, die einer funktionalen Ordnung wie einer Gesellschaft ihre Form geben. Dabei ist Konsens die einzige sinnvolle Bedingung, was auch einschließt, das die Personen/Wesen, die nicht mit diskutieren können, durch mitfühlende Parteinahme einbezogen werden. Das ist eine sehr große Aufgabe, fast schon eine Bürde, aber sie ist durchaus lösbar. Wir müssten uns nur eindeutig dafür entscheiden.




Angst, Sorge, Macht, Moderation und Spiritualität

Der Versuch einer Standortbestimmung… und ein Studienvorschlag ist der Kern dieses Artikels. Er beschäftigt sich mit den Grundlagen unserer europäisch-gepägten Kultur.

Wenn wir unsere Gewohnheiten genau betrachten, suchen wir bei Schwierigkeiten verallgemeinernd geschrieben immer nach dem einen Stein, der den Fluss unseres in-der-Welt-Seins in die Richtung gelenkt hat, in der er jetzt fließt. Wir nennen das gerne Kausalität, oder einfach ausgedrückt: „Der eine Fehler, die eine Fügung, das eine Glück und der eine Umstand, der den Ausschlag gab, die gerade jetzt wahrgenommene Richtung einzuschlagen“ und so unseren Standort zu definieren und zu gestalten.



Weniger verbreitet, aber immer noch allgemein verfügbar ist die Ansicht, das es auch mehrere Faktoren der oben genannten Art gewesen sein könnten, die diese Richtung maßgeblich erzeugt hat. Und dann werden die einzelnen Motive aufgezählt, in eine zeitlich eingrenzende Reihenfolge gebracht und zu einem Gesamtbild geformt, das dann dazu verwendet werden kann, um diese Ereignisse entweder wieder und wieder zu wiederholen oder aber diese Ereignisreihe nicht weiter entstehen und wirken zu lassen. Das Gefüge, das so entsteht, ist die Grundlage des menschlichen Erfolges. Darauf beruht jede Zivilisation, jede Gesellschaft und alle Organisationsformen, zu der sich Menschen zusammenschließen.

Betrachten wir das an einem einfachen Beispiel. Eine Gruppe von Menschen wohnt/haust irgendwo auf dieser Welt, sammelt, jagt und lebt ansonsten so in den Tag hinein. Die erbeutete Nahrung wird dann bei Bedarf in einen essbaren Zustand gebracht und vertilgt. Nach einer gewissen Zeit ergibt sich die Situation, das man einem der Mitglieder sein Essen wegnimmt, vielleicht weil er der Einzige war, der noch über einen Vorrat verfügte, und die Diebe stellen dann erstaunt fest, das dieses Essen ganz anders oder genauer gesagt viel besser schmeckt als das, was sie sonst zu verzehren pflegen. Also beschließen sie, das der Bestohlene künftig für alle kochen und zubereiten muss und entbinden ihn (vielleicht) dafür von anderen Tätigkeiten. Er wird zum Koch der Gruppe, und zwar deshalb, weil er das besonders gut kann. Jedes Mal, wenn sich in der Folge dann eine andere Begabung eines Mitglieds herausstellt, handeln sie ebenso, und so entstand das Prinzip der Arbeitsteilung, das heute alle Gesellschaften auszeichnet. Die vielen Vorteile, die dieses Prinzip mit sich bringt, sind offensichtlich. Aber es birgt auch einige Nachteile, die sich mehr verborgen als offensichtlich allein schon durch Möglichkeiten der Vorteilsnahmen herausbilden. Stirbt der Koch, der Jäger, der Werkzeugmacher oder Bäcker, dann muss diese Tätigkeit von anderen übernommen werden. Das kann dazu führen, das dann eine Zeit lang weniger Fleisch auf dem Speiseplan vorkommt, das Essen eine Zeitlang nicht mehr so gut schmeckt oder die Werkzeuge nicht mehr so brauchbar hergestellt werden können. Das sorgt für Unmut und schlechte Stimmung. Steht mal eine Zeitlang nur noch ein Spezialist zu Verfügung, ist die Gefahr groß, das sich die Stärkeren der Gruppe seine Dienste sichern und die anderen weiter darben lassen. Es schält sich eine Hackordnung heraus, die sich immer mehr festigt. Erst sind es die Starken, die sich die Vorteile sichern, dann kommen mit der Größe der Gesellschaft wachsend die Begehrten hinzu, Beliebte, Witzige, Clevere, Schlaue, Rücksichtslose und nicht zu Vergessen die Hinterlistigen, und die Liste der Begabungen, die zur Vorteilsnahme einladen, könnte seitenlang fortgesetzt werden. Aus der Hackordnung aus teilnehmenden Menschen entstehen Hackordnungen der Funktionen, die sich dann immer weiter ausprägen in neue Wertigkeiten und Ordnungen. So entsteht aus einer Gesellschaft der Arbeitsteilung immer mehr ein Machtgefüge, das sich an den Begehrlichkeiten der Macht-Ausübenden ausrichtet. Heutige Gesellschaften sind alle auf solchen Strukturen aufgebaut.

Was Mitglieder einer Gesellschaft heute verstehen müssen/sollten ist die permanente Anwesenheit dieser Struktur. Sie ist der Faden, der das Wollknäuel entstehen lässt, das wir heute so selbstverständlich voraussetzen und das uns (scheinbar) nicht offenbar wird. Sie ist ja nicht falsch, diese Ordnung, denn die Menschheit als Ganzes wäre heute nicht das, was sie ist ohne diese hätte erreichen können. Aber das Erkennen ist auch die Voraussetzung dafür, diese Struktur immer wieder den Notwendigkeiten anzupassen, die ein Leben zwangsläufig mit sich bringt. Strukturen wie diese erfordern einen ständigen Anpassungsprozess. Sie sind, das zeigt die Geschichte der Menschheit mehr als deutlich, niemals fest und endgültig. Mehr sogar, Gesellschaften sind dieser Prozess der ständigen Anpassung an die jeweilige Situation. Viele Gesellschaftsversuche der Vergangenheit sind doch gerade daran gescheitert, das sie nicht fähig und in der Lage waren, diesen ständigen Veränderungsprozess in Gang zu halten. Griechen, Römer, Ägypter sind für das Europa der Mittelmehrregion die Eindrucksvollsten und Bekanntesten davon, wohl weil sie Zeichen und Schriften hinterlassen haben, die ihre Struktur für die Nachwelt nachvollziehbar machten. Andere Völker haben nur wenig dauerhafte Spuren hinterlassen, waren aber nicht weniger erfolgreich. Und weitere Völker haben Spuren hinterlassen, die wir hier in Europa nicht verstehen oder deuten können und die so für Europa wenig Einfluss haben konnten. Ich denke dabei an China und weitere Völker Asiens, Afrikas und Amerikas und der eher als unbewohnbar erscheinen Gebiete der Welt.

Kommen wir zurück zur entscheidenden Aussage der letzten Abschnitts: Das Verstehen-Müssen der Strukturen, in denen wir Menschen leben. Daran hapert es nach meiner Auffassung in der heutigen Zeit in nahezu allen Gesellschaften auf der Weltkugel. Das ist so, weil Europa und seine Menschen seit Jahrhunderten ihr Verständnis ihrer Struktur/Kultur erfolgreich in die Welt hinaustragen und dabei nur wenige bis gar keine Anstrengungen unternahmen, fremde Kulturen zu verstehen, sondern sich damit begnügten, diese lediglich zu erobern und in ihrem Sinne zu formen. Das Motiv war und ist es auch heute noch Ausbeutung, ein Prinzip, das die Eroberer im Verhältnis Mensch-Natur erfolgreich angewandt hatten und das mit der Seefahrt auf Menschen anderer Weltregionen ausgedehnt wurde. Was sie dabei angerichtet haben, was sie zerstört haben und was dabei verlorenging, ist unschätzbar groß. Auch andere Völker, denken wir nur einmal an die Bewohner der Osterinseln, haben wie Europa ihre Lebensgrundlage geschmälert und sogar vernichtet. Das ist wahr. Aber niemand davon war so großflächig „erfolgreich“ wie die europäischen Eroberer. Wir finden die Ansätze und Grundlagen europäischer Prägung in nahezu allen Regionen der Welt. Betrachten wir das heutige Europa, ehemals eine grüne, von Wald übersäte Weltregion mit optimalen Lebensbedingungen, müssen wir erkennen, das Rodung, Rohstoffausbeutung und Umweltgestaltung den Kontinent für das Leben insgesamt betrachtet in eine monotone und feindliche Welt verformt haben. So war Spanien früher eine grüne und dicht bewaldete Halbinsel. Gleiches gilt mehr oder weniger für die ganze Mittelmeerregion. Die Zahl der ausgestorbenen Arten geht in die Millionen, und mittlerweile müssen Menschen immer mehr Aufgaben erledigen, die früher ganz von selbst geschahen. Blüten bestäuben, Boden düngen, Hänge befestigen, Wassermassen bändigen, die klimatischen Bedingungen erhalten, die Flüsse, Seen und Meere schützen und viele andere Erfordernisse der heutigen Zeit sind verursacht durch Unverständnis und nicht einfach so entstanden. Die Ausrede, das wir es nicht besser wussten oder verstanden ist zwar im Kern richtig, aber ich lasse sie nicht mehr gelten, seit wir wissen können/müssen, das es so ist wie es ist.



Wenn wir verstehen wollen, warum die europäische Kultur und Wirtschaftsweise so fatale Folgen für die Welt verursacht, müssen wir auf die Grundlagen, besser gesagt auf die Setzungen zurückgehen, die diese Kultur begründen. Viele unserem Denken zugrunde gelegten Motive stammen aus der griechischen Antike, wurden im Weltreich der Römer weiter ausgeformt und dann durch die christliche Lehre weiter verdichtet. Sie beruhen nahezu vollständig auf der Bereitschaft, einen Seins-Grund anzunehmen und über diesem ein System zu errichten, das auf Kausalität beruht. Vom Feuer über das Wasser gingen diese möglichen Urgründe über in Ideen und Monaden [1. Der Terminus Monas (von altgriechisch μονάς monás „Einheit, Einfachheit“) oder Monade bezieht sich naturphilosophisch auf eine gedachte Einheit von zugleich physischer und psychischer Bedeutung. Die Monadenlehre unterscheidet sich von der Urstofflehre der Vorsokratiker durch die Anwendung mathematischer Methoden auf die sich ergebenden Fragen, insbesondere hinsichtlich der seit René Descartes vollzogenen begrifflichen Trennung von Res extensa und Res cogitans und erscheint damit als holistischer Aspekt des Leib-Seele-Problems. In der Geschichte der Philosophie wurden unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs Monade entwickelt, deren Grundaspekte aber erstaunlich konstant blieben. Sie beginnen bei den Pythagoreern und entfalten sich insbesondere im Neuplatonismus, in der christlichen Mystik, der jüdischen Kabbala sowie in der hermetischen Tradition. Später bündeln sich dann fast alle in der Leibnizschen Monadologie, bevor sie im 19. Jahrhundert in Spezialbedeutungen auseinanderfallen. Wikipedia DE], Archetypen [2. Archetypen sind definiert als psychische (auch psychophysische) Strukturdominanten, die als unbewusste Wirkfaktoren das menschliche Verhalten und das Bewusstsein beeinflussen. Auch zum Bewusstsein selbst und zu seiner Entwicklung zeige die Kulturgeschichte archetypische Bilder, wie zum Beispiel die Himmelslichter, besonders auch die Sonne als Tagesgestirn (auch in Verbindung mit Vorstellungen von lichtbringenden, also symbolisch verstanden bewusstseinsbringenden Gottheiten). Einige Archetypen entsprächen zentralen kollektiven Ur-Erfahrungen der Menschheit wie z. B. weiblich/männlich, Geburt, Kindheit, Pubertät, Wandlung und Tod. Auch die Vielfalt religiöser Erfahrung könne angesehen werden als nach archetypischen Mustern strukturiert, welche interreligiös (religionsübergreifend) anzutreffen seien. Das tiefenpsychologische Konzept der Archetypen geht auf den Schweizer Psychiater und Psychologen Carl Gustav Jung zurück, der die Analytische Psychologie erfand. Es ist ein offenes Konzept, das keine exklusiven Definitionen von Archetypen und keine bestimmte Anzahl derselben enthält.] und Existenzialien [3. Existenzialien sind neben den Kategorien eine Möglichkeit, wie sich Sein beschreiben lässt. Der Begriff der Existenzialien, durch Martin Heidegger geprägt, ist dabei dem menschlichen Sein, dem Dasein im Sprachgebrauch Heideggers, vorbehalten. Er ist wesentlich mit Heideggers Programm der Fundamentalontologie verbunden.] und enden im Religiösen mit dem Gefüge eines transzendenten Gottes, der über die Welt wacht und der den eine Seele tragenden Menschen als Hüter seiner Schöpfung eingesetzt habe. Soweit eine mehr als grobe Aufzählung der europäisch-geistigen Entwicklungsgeschichte. Fundamental daran ist die Annahme eines Urgrundes, der das Denken in die Lage versetzt, die Kausalitätsreihe, die stets als gegeben angenommen wird, zu einem Ende zu bringen, die sonst als unendlich gesetzt werden müsste. Dafür wird dann jeweils ein gesetzter Urbegriff als eine Wirkung begriffen, die sich selbst als Ursache zugrunde gelegt sieht. Das kann ein Gott sein, die Seele, das Selbst, das Sein oder einfach auch der nur Urgrund. Dieses Postulat ist sozusagen „der Fixpunkt im All, der das Universum aus den Angeln zu heben versteht“, den Archimedes immer wieder ironisch betonte und zu finden oder zu erklären versuchte. Er war sich aber klar darüber, das dieser Fixpunkt nicht existiert, ja sogar, niemals existieren kann.

Kommen wir auf die Grundlagen westlich-europäischen Denkens zurück. Die Sätze dazu stammen aus der Feder von Aristoteles. Es sind deren vier, die alles bestimmen:

  • Den Satz von einem Grund, der ausreichend fest sein muss (Fixpunkt).
  • Den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (Es gibt nur Seiend oder Nicht-Seiend).
  • Den Satz vom der zwingenden Widerspruchsfreiheit (Seiend kann nicht Nicht-Seiend sein).
  • Den Satz der Identität (Jedes Seiende ist sich selbst).

Den Satz von Grund wurde bereits beschrieben. Wenn wir Kausalität beibehalten, müssen wir irgendwo und irgendwann den Punkt finden, in dem alles endet. Das muss dann eine Wirkung sein, die sich selbst Ursache ist. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sagt aus, das man nicht gleichzeitig etwas sein und etwas nicht-sein kann. Das Glas ist entweder gefüllt oder leer? Da wird es schon schwierig. Was ist mit halb-gefüllt oder halb-leer? Oder es heißt, der Würfel ist rot. Aber es gibt Lichtverhältnisse, wo bestimmtes Licht einen sonst roten Gegenstand andersfarbig aussehen lässt. Oder nehmen wir den Gegensatz Mann-Frau. Da sind wir heute bereits weiter. Der Satz der Identität sagt aus, das sich zwei materialisierte Gegenstände oder Wesen sich mindestens in einer Eigenschaft oder einem Bezug unterscheiden müssen. Zwei vollkommen gleiche Dinge können nicht auf exakt dem gleichen Punkt im Raum stehen, sonst wären sie nicht Zwei. Das soll zunächst einmal genügen, um zu beschreiben, worum es bei der Betrachtung geht. Schon Klaus Heinrich [6. Klaus Heinrich (geb. 23. September 1927 in Berlin; † 23. November 2020) war ein deutscher Professor für Religionswissenschaft auf religionsphilosophischer Grundlage. Er gehörte zu den Mitbegründern der Freien Universität Berlin. Seine Vorlesungen gelten als Großversuch der Selbstaufklärung über das Verhältnis von ästhetischem und transzendentalem Subjekt. Tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik, hrsg. v. Wolfgang Albrecht u. a., Frankfurt am Main und Basel 1981] fragte nach, wofür diese Formeln eigentlich stehen sollen, wogegen sie sich eigentlich wehren. Warum sei das Gegenteil nicht zulässig, warum muss das Dritte ausgeschlossen sein und was könne dieses Dritte eigentlich sein. Warum muss/soll ich Widerspruch vermeiden und was wäre, wenn ich das zuließe? Und warum man Identität behaupten müsse, erschloss sich ihm wie mir auch nicht. Diese vier Sätze sind gesetzt, wie der Name schon sagt. Was bedeutet „setzen“ in diesem Sinne?

Gehen wir kurz in die Mathematik. Bei einer Iteration, die zur Auflösung von Gleichungen mit drei Unbekannten herangezogen werden kann, wird stets eine Unbekannte gesetzt. So werden aus drei Unbekannten zwei und die Auflösung kann erfolgen. Der gesetzte Wert stimmt aber nicht. Aus dem Ergebnis der Auflösung mit zwei Unbekannten aber kann ersehen werden, wohin sich der gesetzte Wert bewegen muss, um zu einem möglichen Wert zu kommen. Durch ständige Wiederholung und Korrektur des Setzwertes kann dann eine größtmögliche Annäherung an das „richtige“ Ergebnis erzielt werden. Wie gesagt war das eine Setzung und zwei verbleibende Unbekannte. In der Welt der Dinge aber gibt es zumindest schon vier Setzungen (s.o.), die unsere Logik begründen, und der Dinge gibt es Unzählige. Sind Dinge feste Gegenstände mit einer Erscheinungsdauer, bleibt es noch einfach. Wenn wir aber in die Philosophie eintauchen und uns mit Erscheinungen des Lebensgefüge von Menschen auseinandersetzen (Zu beachten ist das Setzen in der Auseinandersetzung…), werden die zu befragenden Dinge und mehr noch die Setzungen mehr und mehr ungreifbar (Niemand kann sie ergreifen…) Zu diesen gehören Gott, Vernunft, Sein, Seele, Unbewusstes, u.s.w. Nun ist doch erst mal die Frage zu klären: Stimmen diese Setzungen?“ Nehmen wir den christlichen Glauben. Gäbe es keinen Gott in der Transzendenz [4. Transzendenz beschreibt den Bezug auf einen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindlicher Wirklichkeit liegt. In Philosophie, Theologie und Religionswissenschaft wird damit auf ein metaphysisches Wesen des Wirklichen an sich selbst Bezug genommen, das sich in der philosophisch-theologischen Tradition mit dem Begriff eines göttlichen, unendlichen Grundes erfahrbarer, endlicher Wirklichkeit verbindet.Wikipedia (DE)], bräche das ganze christlich-theologische Gerüst zusammen. Um das Gerüst zu erhalten, müssen wir glauben, dürfen wir nicht zweifeln, ist es nicht erlaubt zu hinterfragen. Ist das aber mit dem Begriff der Freiheit der Menschen und seiner Würde vereinbar? Und was beschreiben Freiheit und Würde eigentlich? Auch hier werden wir von Definition zu Definition gelangen, werden Setzungen die Basis des Befragen-Könnens bilden. Was würde denn erscheinen, wenn wir alle Setzungen in Frage stellen oder sie im Nachdenken sogar weglassen? Könnten wir dann noch unsere Sprache beibehalten? Gäbe es Sprache noch? Gäbe es weiterhin Ortungsprinzipien, nach denen wir uns richten können? Gäbe es Schutz vor Gewalt, Verbrechen, Macht? Ist Gewalt und Verbrechen nicht auch Machtausübung, und weiter gefragt, kann Machtausübung vor Macht schützen?

Vielleicht halten Sie jetzt inne und kommen zu der Frage, ober der Schreibende hier nicht einfach nur frech, kindlich oder sogar zersetzend unterwegs ist. Wo bliebe die Sicherheit, die Ordnung, die Orientierung, wenn wir dieses alles aufgeben? Die Antwort darauf ist sehr einfach und stellte sich schon oben in den Fragen ein: Etwas „in Frage stellen“ und „im Nachdenken etwas aufgeben“ heißt doch nicht, eine Revolution einzuleiten, alles umzustoßen und das Neue sogleich in die Realität umzusetzen. Nehmen wir die Gewalt im Alltag, die sich in vielen Formen höchstwahrscheinlich einstellen würde, wenn es keine Polizeigewalt gäbe, die das zu verhindern versteht. Wir setzen also Gewalt gegen Gewalt ein. Aber Gewalt/Macht auf der einen Seite erzeugt immer Ohnmacht auf der anderen Seite. Wie viel Ordnungsmacht ist also wirklich notwendig? [8. Das Phänomen RAF begann zu einer Zeit, als polizeiliche Gewalt eingesetzt wurde, um politisch Andersdenkende zu unterdrücken. Erst kamen Knüppel und Wasserwerfer, dann Tränengas und Pistolenschüsse…, und dann wehrten sich die Ohnmächtigen…] Macht aber wird nicht nur durch Polizei ausgeübt. Auch Vorgesetzte haben Macht, Amtsträger verfügen über Macht, Geldbesitz erzeugt Macht, Wissenschaft verfügt über Macht und die meisten Menschen weichen einer auf sie gerichteten Machtausübung gerne aus, auch wenn sie als gerechtfertigt daher kommt. Ich behaupte, sie fühlen ihre Ohnmacht, und das erzeugt Angst. Oder nehmen wir die Straßenverkehrsordnung. Ohne diese würde Chaos und Willkür auf den Straßen herrschen? Ein Ort in Deutschland hat den Versuch gemacht, in der Innenstadt alle „Regeln durch Schilder und Ampeln“ abzuschaffen [5. siehe Drachten und Umgebung, H-ttps://www.deutschlandfunk.de/stadt-ohne-schilder-100.html, Der Schilderwald wurde von 100 auf 4 Schilder reduziert. Es wurde Kreisverkehr eingeführt.], und siehe da, es wurde langsamer gefahren, es kam zu weniger Unfällen und der Verkehr lief trotzdem flüssiger, weil weniger Wartezeiten auftraten. Sogar Fußgänger fühlten sich sicherer. Das hat eine Untersuchung der Hochschule dort sogar wissenschaftlich belegt. Wir müssen erfragen oder hinterfragen, ob unsere Ordnungsprinzipien wirklich sinnvoll sind oder nicht. Schauen sie in Bilder einer indische Großstadt. Der Verkehr dort ist unerträglich dicht, es bestehen wenige Regeln und es funktioniert irgendwie doch.

Nun kann dieses Thema immer weiter ausgeführt werden und wir kämen auch in der Größe einer Enzyklopädie nicht zu einer Lösung, die Grundlage der Umgestaltung einer Gesellschaft werden könnte. Nun beabsichtige ich das auch gar nicht. Ich frage eher nach dem was falsch ist in den Grundzügen unseres Denkens. Die Frage ist doch nicht zuerst: Was macht uns Angst? Die Frage ist doch eher so zu stellen: Was ist Angst? Und eine andere Frage ist nicht: Was will ich (für ein Leben führen)? Die Frage ist zunächst: Was ist Leben? Die Frage ist auch nicht: Wer bin ich? Die Frage ist: Wer stellt diese Fragen? Damit muss ich mich beschäftigen, bevor ich nach Lösungen suche. Nun könnte ich einfach sagen, diese Fragen stellt mein Selbst, meine Vernunft, meine Seele oder die Monade, und sie richtet sich an Gott, den Schöpfer oder das Universum. Und ich harre der Dinge und warte auf die Antwort, die sich mir irgendwie und irgendwann erschließt. Ich höre eine Predigt, lese ein Buch, höre eine Anleitung, habe eines Geistesblitz (Intuition, Führung) und die Antwort erscheint. Wirklich? Wie viele Setzungen waren in der Antwort enthalten? Sind diese Setzungen richtig? Und ich stelle meine Fragen erneut und bekomme andere Antworten, die wiederum Setzungen enthalten. Und so dreht sich die Scheibe immerzu und nach Monaten und Jahren habe ich mich nicht von der Stelle zu bewegen vermocht. Bei mir zu Hause stehen hunderte möglicher Antworten auf ebenso viele Fragen in Billy-Regalen und die Bücher dazu füllen Listen, die ich mittlerweile elektronisch verwalten muss, da mir längst der Überblick verlorengegangen ist. Haben sie mich weitergebracht? Ich fürchte: Nein. Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, das sie mir halfen, Fragen zu stellen, besser, konkreter, genauer, die an mich selbst gerichtet Setzungen aufspüren und sodann hinterfragen. Ich fand unzählige davon, und ich fürchte, ebenso viele oder mehr stehen mir noch bevor.



Ein paar Antworten, die zu Ergebnisse geführt haben, möchte ich kurz ausführen, da deren Inhalte sich bewährt haben. Beginnen wir mit der Angst. Die Angst ist ebenso wie der Schmerz eine Grundmotiv menschlichen Lebens. Wir wissen doch nach wie vor nicht, was im oder nach dem nächsten Atemzug geschieht, können es nicht wissen, da unser Leben endlich ist und der Zeitpunkt des Endes des Andauerns sich uns nicht erschließt. Alle möglichen Antworten darauf erwiesen sich bisher als von Setzungen gegründet. Angst zeigt sich in vielen Situationen, und das scheint gut zu sein, weil sie erst das Fragen, vom dem ich sprach, möglich macht. Ich stehe hier zu einer Aussage Heideggers, das Angst zu empfinden und auszuhalten die Türe öffnen kann, die entbergt, das sie hinter dem Seienden das Sein zu entdecken vermag, das sich gewöhnlich dort verbirgt. Und das, sollte es eintreffen, so hoffe ich oftmals, wird mir die eine oder andere Frage zusätzlich beantworten, wird sie in die richtige Form bringen oder mir das Leben vor der Angst näherbringen. Mit dem Schmerz verhält es sich ebenso wie mit der Angst. Nur ist Schmerz viel offensichtlicher, bei weitem nicht so verborgen und weniger verstrickt. Schmerz zeigt an, das etwas nicht (mehr) stimmig ist, das der Körper zum Beispiel verletzt ist oder seine Funktionen nicht wahrnehmen kann, das eine Lebenssituation psychisch-seelisch so aus den Fugen geraten ist, das das Geschehen als Schmerz (Trennungsschmerz, Heimweh, Verrat, Beleidigung) wahrgenommen wird. Ich würde sogar sagen, das Wut und Zorn mit Schmerz direkt verwandt sind oder gemeinsame Wurzeln haben. Darauf verweisen auch die schwachen Stimmungen, die sich aus den drei genannten starken (Schmerz, Wut, Zorn) ableiten. Wir können sie Unwohlsein, Aufbegehren und Einforderung nennen und sie somit als die zivilisiert-erlaubten Ableger der drei ansehen. Auch das gegenläufige Konstrukt birgt eine Stimmungen, nur geht sie in eine andere Richtung. Fühlen sich Schmerz und Ableger als zunehmend nagend an, weisen aber immer noch eine Gegenreaktion auf, so sind Trauer und ihre Verwandten (Depression, Antriebslosigkeit) mehr dämpfend und gehen vielleicht sogar unter die Linie der Wahrnehmung, die unser Lebensgefüge als normal ansieht. Sie machen hilflos, lassen kein Aufbegehren (mehr) zu [6. Daher arbeitet jede Trauerarbeit, jede Psychotherapie neben dem Verstehen auch immer wieder auf das Aufbegehren des Lebens hin, das der Patient wiedererlangen soll.]. Ich glaube hier an einem Punkt zu sein, an dem ich den nächsten Sprung wagen sollte.

Wir können ein Leben in nahezu allen Situationen, die uns begegnen, immer als grundsätzlich „aufbegehrend“ beschreiben. Wir reagieren aufbegehrend auf Bedürfnisse mit dem Ziel, diese zu stillen, also entweder „still“ werden zu lassen oder gar zu „sättigen“, was die Stimmung im ersten Fall auf Normalnull zu dämpfen oder wie im zweiten Fall sogar über das Normal zu heben vermag. Denken wir an den Hunger, der still wird, wenn ich etwas Essbares zu mir nehme oder der bei ausreichender und besonders angefragter Kost sogar zu einem hoch stimmigen Wohlsein führt. Nahrungsaufnahme, Befriedung der Sexualität, dazu beizutragen, sich angenommen, geliebt und gebraucht fühlen zu können, Vergnügen empfinden, Recht gehabt zu haben, weder Angst noch Furcht haben zu müssen und/oder auf einem Siegertreppchen zu stehen sind solche Begebenheiten, die durch Aufbegehren erschlossen werden. Sogar sich zur Wehr zu setzen, sich zu entziehen, sich zu gedulden, sich zurückzunehmen, sich zu schützen, sich zu produzieren, sich herauszustellen, sich zu rechtfertigen, etwas zu wünschen, zu hoffen, zu gewähren u.s.w. lassen alle sich als in letzter Konsequenz als Begehren erklären. Begehren ist eines, wenn nicht sogar das Grundmotiv des Lebens. Dieses richtet sich nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten, Begehren zu können und zu deren Befriedung zu gelangen. Der Löwe in der Savanne begehrt das zur Nahrungsbefriedung notwendige Zebra… nur dann, wenn er Hunger hat. Satt kann er inmitten einer Zebraherde ruhig schlafen. Beim Menschen sähe das wohl anders aus, weil dieser sein Begehren auch auf Zukünftiges richten könnte. Er weiß, das er auch morgen wieder Hunger haben wird und versucht daher schon heute ein Tier zu erlegen, auch wenn er sich gerade satt fühlt. Die große Masse aller Lebewesen kann diese Form der Vorsorge nur begrenzt oder gar nicht betreiben. Hier ist der Mensch die große Ausnahme, überragt er in seinem Begehren-können alle anderen Lebewesen. Pflanzen begehren ebenfalls, wie jeder im Garten oder Wald erkennen kann. Ihr Begehren sucht durch Wurzelbildung nach Wasser, sucht durch Wachstum nach ausreichendem Zugang zu Sonne und Licht. Tiere verbringen den Großteil ihres Lebens mit der Suche nach Nahrung, jagend oder äsend. Was beide Genannten vermissen lassen ist das Motiv der Sorge, das sich in Vermeidung, Vorsorge und Absicherung ausdrückt. Der Mensch ist, wie die Beschreibung belegt, ein/der Meister des Begehrens und der (Vor)Sorge. Dafür grenzt er den ihm zugängliche Weltausschnitt ein, er ergreift Besitz und verteidigt diesen gegenüber allen anderen. Selbst innerhalb der Gemeinschaften, die zunehmend größer werden, hat sich dieses Prinzip heute durchgesetzt. Waren frühere Gemeinschaften noch gemeinsam agierende Kommunen, finden sich Menschen heute zunehmend als Alleinstehend in ihrer Welt wieder. Dieses Alleinsein, das keine Macht auszuprägen in der Lage ist, wiederum erzeugt Ohnmacht und weitere Angst, die sich immer weiterführend in Sorge ausdrücken wird.

Fassen wir in aller Kürze zusammen. Der Mensch kann Angst und Schmerz empfinden, und aus diesem Vermögen heraus entwickelt er ein Begehren, das aus der Summe aller Lebewesen an Größe und Umfang mehr als einzigartig herausragt. Dieses übergroße Begehren lässt das entstehen, was wir in den verschiedenen Formen der Sorge wiederfinden. Diese Sorge wird vom Menschen derart aufgenommen, das er Gemeinschaften bildet, um sich besser in der Welt behaupten können. Diese Gemeinschaften wiederum ermöglichen/erfordern Arbeitsteilung, Spezialistentum, Rollenverteilungen und bedingen Besitzverhältnisse. Zur Organisation derselben muss dann zwangsläufig ein Machtgefüge ausgebildet werden, um die vielfältigen und unterschiedlichen Vorgänge steuern zu können. Aus diesem Machtgefüge heraus entwickeln sich Hackordnungen, die wiederum Angst und Schmerz auszulösen verstehen und sich in zusätzliche Sorgen verwandeln.

Das ist der heutige Stand der Menschheit und damit das große Problem unserer Welt, denn Sorge, Angst und Schmerz in der Menschheit haben ein Ausmaß angenommen, das die Grenzen des sich selbst regulierenden Systems namens Leben auf unserem Planeten zu sprengen vermag. Diese Spiralen aus Begehren, Zusammenarbeit, Machtausübung, Eingrenzung erzeugen mehr und mehr die Motive Angst und Sorge, zu deren Vermeidung diese Spiralen einst in Gang gesetzt wurden. Der Mensch hat mit seiner Zivilisation, die sich durch Ausgrenzung der Natur und Ausbeutung derselben einschließlich des Menschen selbst durch sich selbst einen Kreislauf erzeugt, der immer weiter in die genannten Spiralen gehen muss. Die Beweisführung dieses Artikels sehe ich als eine/die Lagebeschreibung an, zu deren Lösung ein Schreiben wie das Gelesene beitragen kann und soll. Zu Verstehen „Was-Ist“ ist immer die Grundlage, Änderungsmöglichkeiten zu erforschen und zu benennen. Wir können ein Lebensgefüge nicht ändern, wenn wir nicht verstehen, wo wir uns gerade befinden und wie das Bestehende funktioniert. Die Kreis- und Spiralläufe müssen durchbrochen oder angehalten werden, wenn sich etwas befrieden soll. Für mich sind die Vorstellungen, die sich in „Begehren“ ausdrücken, der Schlüssel dazu. Nur das Hauptmotiv selbst lässt eine nachhaltige Änderung zu.



Ich beginne neu. Das bisher geschriebene steht für die Welt, die ich vorfinde, ja vielleicht sogar schaffe mit meiner vorgegebenen Wahrnehmung, meiner immerzu trennenden Sprache und den Setzungen einer, nein, heute sogar mehrerer Traditionen, die weit über das mir Bekanntgewordene hinausreicht. Sie alle suggerieren mir Begehren, verschreiben mir Tun-müssen, beschreiben mir Denken-müssen, verpflichten mich aus einer Angst heraus zur Sorge. Aber wovor soll Angst herrschen, wovor soll Sorge schützen? Ist Begehren wirklich das Maß aller Dinge, leben wir, um zu begehren? Leben wir, um die Früchte unseres Begehrens zu ernten, zu genießen oder zu erdulden? Oder macht unser Begehren, durch die Angst, die es erzeugt durch die Möglichkeit des Nicht-Gelingens, nicht erst das sichtbar, was in spirituellen Praktiken herausgekitzelt, hervorgebracht oder entborgen wird? Gehen wir also doch einmal davon aus, das Begehren die menschliche Neigung ist, die ihn genau zu dem befähigt, was mit der spirituellen Praxis hervorgehoben werden soll. Muss dann nicht, um den Spiralen und Kreisen, die oben beschrieben wurden, zu entgehen, nicht noch etwas dazu kommen, noch etwas wirken, um die Wiederkehr des Ewig-Selben zu vermeiden? Was könnte das sein? Welche Neigung, welche Fähigkeit, welche Gabe könnte das bewirken? Es dürfte nichts absolut Neues sein, dürfte die eingeschworenen Besitztümer und Gewohnheiten nicht allzu sehr bedrohen, dürfte in allen Traditionen nur mit überwiegend positiv besetzten Inhalten gefüllt sein, dürfte aber hier und da die Negation nicht ausschließen. Und das Gesuchte sollte fähig sein anzuknüpfen an die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse gleich welcher Art diese auch sein mögen. Das einzige geflügelte Wort dazu, das mir einfällt, ist Maß halten oder „maßvoll“ im Sinne von moderat und/oder „nicht übertrieben“. Leider hat unserer deutscher Wortschatz das Maß halten nicht mehr in seiner Liste stehen. Ich nehme daher für künftige Beschreibungen das Wort „moderat“, das im Duden für gemäßigt und maßvoll steht.

Was bedeutet moderat vorgehen im oben genannte Sinne, wenn wir über Kausalität, also das Ursache-Wirkung-Prinzip sprechen, wie es am Anfang im ersten Kapitel beschrieben wurde? Dementsprechend muss alles, was wir einer Wirkung zuschreiben, aus einer Ursache erwachsen. Nun gibt es aber als Ursachen meist viele Möglichkeiten und Menschen haben die Neigung, uns die uns gefügigste herauszusuchen.

Exkurs: Nehmen wir das Ergebnis einer Analyse als Beispiel. Ein Ergebnis zeigt Daten, die ungewöhnlich sind und so eigentlich nicht auftreten dürften, wenn das geprüfte Material „in Ordnung“ (…spricht für sich…) sein soll. In einer sachgerechten Analytik wäre es daher notwendig, alle Möglichkeiten durch Versuchsanordnungen zu überprüfen, bis der Fehler gefunden wurde. Das können in der Summe sehr viele werden. In der Regel der Wirtschaftlichkeit wird das vermieden, indem das gesamte Material entweder verworfen wird (…, da überprüfen meist teurer als ersetzen ist…) oder aber irgend eine Möglichkeit der Prüfmethode in einem Fehlerprotokoll einfach gesetzt wird und somit das Ergebnis aus der Reparatur/Studie, zu der die Analyse diente, herausgelöst und ignoriert werden kann (willkürliche Setzung). Nun wird jeder vermuten, das die erste Lösung der Standard sein sollte? Weit gefehlt, in meiner Erfahrung ist die willkürliche Methode eher als Standard anzusehen. Wie oft, frage ich, hat man ein Gerät zur Reparatur gebracht und nach dem erstmaligen Anschalten stellt sich heraus, das es noch immer genau so klappert wie zuvor. Ein Teil wurde zwar ersetzt, aber eben gerade das nicht, der das unsägliche Klappern verursachte. Halten wir fest: Menschen neigen bei komplexen Problemlösungen gerne und oft zu willkürlichen Setzungen.

Des Weiteren sind/neigen kausale Wirkungsketten, die Menschen nachzuvollziehen sich bemühen, ein hochgradig verzweigte und verwickelte Gebilde. Eine wahrgenommene Wirkung kann viele Ursachen haben, nicht nur die eine, die wir vordergründig als gegeben wahrnehmen. Schon kleine und eher winzige Beigaben können große unvorhersehbare Wirkungen entfalten. Der mythische Schmetterlings-Flügelschlag, der ein Erdbeben auslöst, ist dafür sozusagen das narrative Maximum. Was aber wäre denn gegeben, wenn wir auf die grundsätzliche Verwendung der Kausalität verzichten würden und sie als einen Sonderfall ansehen würden, der nur bei rein praktischen und technischen Dingen hier und da zu Anwendung käme? Das Lebendige sozusagen, das Organische würde nur zum Teil, das psychische aber nur selten diesem Prinzip unterworfen sein. An dessen Stelle würde das Prinzip des Prozesses stehen, der nirgend wo und nirgend wann anfing und endet? Und Lebewesen sind Teil und Ganzes dieses Prozesses zugleich, wie das im Taoismus als gültig angesehen wird. Dann gäbe es keine Ereignisse mehr, die sich in Ursachen und Wirkungen unterteilen ließen. Dann gäbe es nur den Strom des Lebens, der Tendenzen und Neigungen zeitigt und nur darüber beeinflusst oder geglättet werden könnte. Und darin sollte/müsste sich der Mensch moderat verhalten, sollte Handlungen und Methoden meiden, die zu Ohnmacht, Hass, Ablehnung und dergleichen beitragen können und sollte sich eher im Sinne von Nicht-Tun, Nicht-Handeln oder Wu Wei bewegen, wobei dieser Begriff geklärt werden muss. [8. Der Begriff Wu wei, auch Wuwei, stammt aus dem Daoismus, erstmals wird er im Daodejing erwähnt. Er wird definiert als Nichthandeln im Sinne von Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns. Der Begriff Wu Wei begründet sich aus der daoistischen Auffassung vom Dao, dem umfassenden Ursprung und Wirkprinzip, das die Ordnung und Wandlung der Dinge bewirkt, so dass es nicht weise wäre, in das Walten dieses Prinzips einzugreifen. Die letzte Wahrheit ist gemäß dieser Lehre eins und handelt spontan, ohne dass der Geist des Menschen in sie eingreifen müsste. Die Rückkehr zum Ursprung kann nur erfolgen, wenn das dualistische Denken aufgegeben wird und die Handlungen natürlich und spontan erfolgen. Wu Wei bedeutet nicht, dass man gar nicht handelt, sondern dass die Handlungen spontan in Einklang mit dem Dao entstehen. Dadurch wird das Notwendige leicht und mühelos getan und sowohl Übereifer als auch blinder Aktionismus (die als hinderlich betrachtet werden) vermieden. Es ist ein Zustand der inneren Stille, der zur richtigen Zeit die richtige Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt. Das Vollkommene wird im Daoismus als leer, weich und spontan gedacht und entsprechend sollte auch das Handeln sein, d. h. ohne ein Eingreifen des dualistischen Intellekts, sich der Situation anpassend und intuitiv. Das vollkommene Handeln erkennt intuitiv das beste Mittel und es erscheint als sinnlos, seine Energie in unfruchtbaren Handlungen um der Handlung willen zu erschöpfen, sondern das Handeln sollte sich auf die geeigneten Umstände und Mittel beschränken. Die beste Übersetzung des Begriffes Wu Wei wäre somit „Nicht-Eingreifen“, „tätiges Nichthandeln“ bzw. „Handeln durch Nicht-Handeln“, und es handelt sich um eine Art von kreativer Passivität. Aus dieser Haltung des Geschehen-Lassens resultieren auch Gewaltlosigkeit und Widerstandslosigkeit als natürliche Folge. Wikipedia DE] Die Frage stellt sich, ob nicht erwogen werden sollte, das Prinzip, das Wu Wei zugrunde liegt, doch hier und da auf das menschliche Denken auch in Europa anzuwenden.

Gemeinschaften bilden sich aus vielen, oftmals sehr unlogischen Gründen. Der gemeinsame Feind lässt Feinde auch schon mal zu Verbündeten werden, sagt ein Sprichwort.

Exkurs: Oftmals verbinden sich Menschen in Familien zu einer Gemeinschaft, die eben gerade nicht auf Mitgefühl und Vertrauen beruht. Das ist kein modernes Phänomen, das gibt es seit den Anfängen der Geschichtsschreibung. Auch heute noch wird einer Freundschaft oftmals weniger Bindung zugetraut als einer Blutsverwandtschaft. Ehen wurden zum Beispiel lange Zeit aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Motiven gestiftet. Liebe und gegenseitiges Vertrauen sind sehr modernen Phänomene und stehen noch nicht lange in hohem Kurs. Auch bilden sich Gemeinschaften heraus, ohne das diese irgendwie beabsichtigt oder begründet werden. Ehe sich der Einzelne versah, wird er einer Gemeinschaft zugehörig und kann sich aus dieser auch nicht mehr befreien. Viele Filme der Neuzeit befassen sich mit diesem Thema. Auch Staatsangehörigkeiten, Hautfarben, gemeinsames Erleben oder gemeinsame Interessen führen zu Gemeinschaften.



Die Frage ist doch, wo beginnt Gemeinschaft und wo kann sie enden. Endet sie überhaupt, oder sind Menschen nicht per se eine Gemeinschaft? Oder mehr noch, ist Leben auf diesem Planeten nicht per se eine Gemeinschaft? Gehört zu Gemeinschaft nicht auch das Prinzip „Leben und Leben lassen“ grundlegend dazu. Wenn wir die Insekten ausrotten, wer bestäubt dann die Pflanzenblüten, von deren Früchten letztlich auch Menschen leben? Wenn wir die Pflanzenwelt immer mehr einschränken, wer produziert dann den Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen und wie kann das CO2 abgebaut werden, das uns ansonsten vergiften und ersticken würde/wird, wenn das nicht (mehr) unsere Pflanzen übernehmen (können)? Das Leben besteht doch aus Gleichgewichten. Lebewesen sind das Futter von Lebewesen. Die Großen fressen die Kleinen. Und alles Tote kehrt zurück in die Welt den Kreislauf des Lebens. Es ist doch die Gemeinschaft des Lebens, dass wir schützen müssen. Um selbst weiterleben zu können, müssen alle und alles weiterleben können. Die Entwicklungen/Evolution sind/ist doch niemals abgeschlossen. Das zu erkennen ist doch nicht schwer und auch nicht kompliziert. Was wir einfügen sollten/können ist „Maß halten“ (Moderation und/oder Moderator [9. Ein Moderator (von demselben lateinischen Wort mit der Bedeutung ‚Mäßiger‘, ‚Lenker‘, ‚Handhaber‘, ‚Regierer‘; abgeleitet vom Verb moderare ‚mäßigen, in Schranken halten, regeln‘) ist eine Person, die ein Gespräch lenkt oder in einer Kommunikation vermittelt. Die Tätigkeit selbst bezeichnet man als Moderation.]) also dafür sorgen, das sich Einzelne nicht über alle anderen erheben und sie so ersticken. Wir Menschen aber sind untereinander und auch zu anderen schon auf dem Weg, dieser Einzelne zu werden oder sogar schon zu sein. Nur sehen wir uns selber nicht. Wir sehen nur die Anderen. Wir müssen aufhören damit! Wir entscheiden doch heute nahezu weltweit, wer wann und wo und wie leben darf und wer nicht. Und wir beanspruchen soviel Lebensraum für uns allein, das sich viele Arten nicht mehr in Leben einfinden können und aussterben. Ich halte das für das größte Problem der Menschheit heute. Wir müssen entscheiden, ob wir so weitermachen wollen und wie wir unsere Übermacht zügeln. Helmut Schmidt sagte einmal in einem Interview, das „das ungebremste Wachstum der Menschheit das größte Problem darstellt, das er sieht“. Diese Aussage wurde überhört, bereits vom Interviewer regelrecht ignoriert und in der Breite des Gesprächs und der Diskussion darüber niemals aufgegriffen. Wir Menschen vermeiden scheinbar gerne Erkenntnisse, deren Inhalte uns einengen, die unsere Begierden nicht zufriedenstellen oder unseren Ansprüchen die Rechtfertigung entziehen könnten. Wir sind blind auf den Augen der ganzheitlichen Sichtweisen.

Halten wir einmal fest, was ausgesagt wurde auf den letzten Seiten und fassen nochmal kurz zusammen. Die Regeln von Logik und Sprache beruhen auf Setzungen, die aus dem Ganzen nur noch Teile beleuchten können. Das ist der blinde Fleck unter anderen auch der der Wissenschaften. Nicht anders sieht es aus in den gesellschaftlichen Formen, die ebenfalls auf Setzungen und weiterführend auf Erzählungen beruhen, die uns Formen vorgaukeln, die wir ohne das nie akzeptieren würden. Das beste Beispiel dafür ist der Vorrang der Familie, die in nahezu allen Kulturen gepflegt wird. Weiterhin sind Gesellschaften der zur Zeit gewohnten Größe nur mit Machtausübung und Machtstrukturen, sprich Hackordnungen aufrechtzuerhalten, die dann wiederum zu Ohnmacht und aktiven/passivem Widerstand herausfordern, die ihrerseits Sorgen erzeugen.

Exkurs: Morgen muss ich mich impfen lassen, nicht weil es mir Sorge bereitet, das ich an der Krankheit leiden könne, die die Impfung zu verhindern sucht, sondern weil ich geimpft sein muss, um an den Einrichtungen der Gesellschaft teilhaben zu können, da mir ansonsten verboten sein könnte, zu Sportveranstaltungen, Konzerten oder Kulturveranstaltungen zu gehen oder die verhindern könnten, das man seinen Urlaub antreten kann, weil die Flug- oder Reisegesellschaften mir ihre Dienste verweigern. Gleiches gilt für medizinische und körpernahe Dienstleistungen. Die Sorge wird verursacht durch eine Sorge, die als Wirkung einer Ursache zugeordnet ist, die wiederum auf einer Setzung beruht, die weder bewiesen noch belegt werden kann. Überschreite ich den einen Termin, gelte ich künftig als ungeimpft, obwohl ich geimpft bin und muss mich wahrscheinlich erneut sogar mehrfach impfen lassen, um wieder als geimpft zu gelten. Und so sollte/muss ich mich fügen, da ich einer Gesellschaft angehöre, die das von mir verlangt und ansonsten mit Machtausübung droht, die mir heute wiederum Sorge bereitet. Heidegger zu lesen ist da doch deutlich einfacher im Verstehen-Können. Und dabei habe ich ja noch einiges ausgelassen.

Alles in Allem wäre es nunmehr Zeit, ein Fazit zu ziehen. Das ist jedoch nicht so einfach, wie die 10 Seiten, die jetzt schon beschrieben sind, es vermuten lassen. Die Frage, die mich seit vielen Jahren umtreibt, ist doch die: Ist es sinnvoll, sich in Sachen Gemeinschaft/Gesellschaft auf seiner Ansicht bezüglich Gerechtigkeit und Sinnhaftigkeit zu bestehen oder ist es nicht doch besser, sich den Mehrheiten und Gegebenheiten der Ordnung zu fügen, der man sich angeschlossen hat. Meine Ansicht dazu ist zwiespältig und nicht so einfach zu erklären. Einerseits bestehe ich auf meinen Rechten und versuche, meinen Pflichten, die ich eingegangen bin, nachzukommen. Andererseits bin ich nicht bereit, mich einer Meinung oder Ansicht anzuschließen, nur weil über Macht verfügende Menschen und Organisationen diese mir aufzuoktroyieren versuchen. Es kann also sein, das ich mich im Gegensatz zu meiner Überzeugung dazu hinreißen lasse, mich dem Druck der Gemeinschaft zu beugen, weil ich die Kraft nicht aufbringen möchte, mich den Ressentiments entgegenzustellen, die mir ansonsten drohen. Allerdings würde ich diese Nachgiebigkeit nicht verallgemeinern und somit doch von Fall zu Fall entscheiden wollen/müssen. Bei den Impfungen habe ich mich dazu entschlossen, über ein gültiges Zertifikat verfügen zu wollen, um einerseits reisen und auch meinen sportlichen Aktivitäten ungestört nachkommen zu können. Viele mögen das als schwach empfinden, aber dauernd gegen Wände zu laufen ist auch nicht gerade eine gute Idee und zeugt weder von Stärke noch von Intelligenz. Menschen sind sich anpassende Wesen, an die Umgebung, an die Gemeinschaft, an Machtverhältnisse, an das Wetter und die Nahrungsquellen. Ich finde das weder falsch noch feige. Es ist eben doch immer genau so wie es ist. Jeder hat nur ein Leben, und man sollte sich überlegen, wie man es gestalten und leben kann/soll/muss. Es gibt die ideale Lösung einfach nicht. Es gab sie noch nie, und es wird sie auch in Zukunft nicht geben (können).

Machtausübung erzeugt Ohnmacht, die erst zu Sorge und dann zu Widerstand führt. Gewaltausübung führt zu Gegengewalt, die über die Sorge zu Widerstand führt. Sorge führt zu Maßnahmen der (Vor)Sorge, die zu Verstrickungen führt, die wiederum über den so erzeugten Widerstand zu neuer Sorge verführt. In Ereignisketten zu denken verführt zur Anwendung von Kausalität und der Gefahr von Setzungen, die in der Komplexität der Gesellschaften unvermeidlich zu Ungerechtigkeit, Machtausübung, Sorge und Widerstand führen. Ausbeutung zum Beispiel der Natur führt unweigerlich zum Zusammenbruch derselben, was Sorge bereitet, die mit Vorsorge beantwortet Machtausübung erfordert, die wiederum erst zu neuer Sorge und dann zu Widerstand führt. Und diese ganze Sorgengebilde wiederum beruhen auf Setzungen, die sich aus Begehren herausbilden und deren Übermaß zu Ungerechtigkeit und weiterer Sorge führt, was wiederum Widerstand erzeugt.

Ist dieser (Kreis)Lauf nicht mehr als eindeutig erkennbar. Er beruht auf den grundlegenden Setzungen unserer Kultur. Meine Überlegung geht dahin, diese Kreise zu überdenken und vielleicht zu versuchen, sie gezielt zu durchbrechen. Dazu erscheint mir nur die Basis geeignet, die sich in Prozessdenken und Nicht-Handeln (Wu Wei, s.o.) ausdrückt. Ich empfehle daher allen, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen, das Studium des Taoismus und seiner Schöpfer Laotse, Zwangzi und anderer, aber nicht um zu ersetzen, sondern sich darüber die Einsichten und Möglichkeiten zu erschließen, die in der Lage wären, unsere europäische Kultur auf eine feine und vorsichtige Art und Weise erneut zu kultivieren. Die Aufgabe wäre, Mittel und Wege zu finden, diese Läufe zu dämpfen, zu glätten oder gar einzuebnen. Wie das geht und was dazu notwendig ist, lässt sich nicht niederschreiben. Dazu muss sich jeder Einzelne in der ihm zugänglichen Weise mit den Grundzügen auseinandersetzen, die seine Kultur heute prägen. Es gibt kein System, keine Doktrin, keine Ordnung, keine Vorgaben und keine Setzung, die das für alle gleich übernehmen könnte. Hier ist jeder selbst gefragt und jeder für sich allein verantwortlich. Das ist (für mich) die eigentliche Aufgabe von Spiritualität.




Zwischen Kognition, Homöostase, Priorisierungen und Strategie

Der Versuch einer einfachen Beschreibung des Bewusstseins

Einleitung

Über die Entwicklung und Wirklichkeit des Phänomens Bewusstsein gibt es unzählige Theorien und Geschichten, die sich in Bezug zu Inhalt und Zielsetzung fast alle in entscheidender Weise unterscheiden. Sucht man nach einer Definition des Begriffes, zum Beispiel bei Wikipedia, bekommt man schnell eine sehr lange Latte an Beispielen.



Das Inhaltsverzeichnis dazu sieht ungefähr wie nachfolgend aus:

Bewusstsein in der Philosophie: Bewusstsein als Rätsel, Das Qualiaproblem, Das Intentionalitätsproblem, Innenperspektive und Außenperspektive, Bewusstsein, Materialismus und Dualismus

Bewusstsein in den Naturwissenschaften: Neurowissenschaften, Psychologie, Kognitionswissenschaft

Selbstbewusstsein: Selbstbewusstsein als Bewusstsein vom Selbst, Philosophie, Psychologie, Selbstbewusstsein als Bewusstsein von mentalen Zuständen

Bewusstsein bei Tieren: keine Erkenntnisse

Bewusstsein in den Religionen: Abrahamitische Religionen, Hinduismus und Buddhismus

Nun ist eine solche Breite in der Definitionsfrage dieses Begriffes genau die Grundlage, die dazu einlädt, diesen Begriff als „undefinierbar“ zu bezeichnen. Wenn jeder Wissenschaftszweig, jede Religion und jede Sprache eine andere Definition zugrunde legt, ist sozusagen das Chaos schnell perfekt.

Erster Versuch einer Definition von Bewusstsein

Beginnen wir als bei dem uns zugänglichen einfachsten Lebewesen, den Einzellern. Nach Damasio [1. Wie wir denken, wie wir fühlen, S.14, Antonio Damasio, Hanser-Verlag.] sind sie intelligent auf eine bemerkenswerte Weise. Sie nutzen aber weder Geist noch Bewusstsein, sondern eine Art von Kognition, die es ihnen ermöglicht, mit ihrer Umwelt zurecht zu kommen und über ihr Leben und dessen Fortbestehen zu bestimmen. Damasio nennt dieses „nicht-explizite Fähigkeiten“, also eindeutig vorhandene Fähigkeiten, und bekennt im „nicht“, das sie einer mentalen Betrachtung, wie sie heute im wissenschaftlichen Denken üblich sein sollte, verborgen bleiben. Alle Lebewesen verfügen über diese Fähigkeiten. Sie sind die Grundlage für Leben. Diese sind auch beim Menschen vorhanden und zu erkennen, aber wohl mehr durch ihr Wirken als durch ihre beobachtbaren Aktivitäten. Neben diesen verwendet der Mensch weitere Fähigkeiten, die wir als Kreativität und Vernunft beschreiben könn(t)en. Diese erweisen sich deutlich besser erforschbar und sind daher, zumindest glauben das die damit beschäftigten Wissenschaften, auch explizit schon erforscht.

Spätestens mit der Entwicklung und Ausbildung eines Nervensystems beginnt der ein Prozess bei allen Lebewesen, den man gerne als „geisthaft“ beschreiben kann. Dieser stellt sich dar wie ein ständig aktualisierter Strom von Daten, die etwas über die direkte Umwelt (über die Sinnesorgane) als auch den Zustand des eigenen Organismus (über dem Körper eigene Detektionssysteme) aussagen. Dieser Strom steht mit den nicht-expliziten Fähigkeiten in einen beständigen Austausch und Abgleich und sichert auf diese Weise den Fortbestand des Lebewesens auf beeindruckende Weise. Ich werde diese Mischung aus expliziten Fähigkeiten und Sinnes-Daten erst einmal „Lebensstrom“ nennen.

Erst die darauf entwickelte Vergrößerung und Erweiterung der Nerven und Gehirn-Areale ermöglicht es, dem Lebensstrom Bilder zu entnehmen und abzuspeichern und erlaubt es dem Lebewesen, sich ihrer zu erinnern. Die sich daraus ergebende Fähigkeit, erinnernde Bilder mit dem laufenden Lebensstrom abzugleichen und daraus Nutzen zu ziehen, würde ich Geist nennen wollen. Zu finden ist dieser in allen komplexen Lebewesen, die über ein ausgebildetes Nervensystem verfügen und sich damit in ihrer Welt orientieren können/müssen. Mindestens das gesamt tierische Leben verfügt über Geist. Neuere Forschung, die auch Pflanzen und Insekten bzw. Insektenstaaten Geist zuschreiben, sind zwar spannend und interessant, bilden aber für diesen Artikel und seinem Thema wenig Nutzen.

Bewusstsein in dem gesuchten Sinn findet sich überwiegend erst in Säugetieren, zu denen auch der Mensch gehört. Vielleicht können wir das, was bisher von mir benannt wurde, als die archaische Lebenswelt bezeichnen, was aber nicht auf die Bedeutung altertümlich, vorzeitlich oder frühzeitlich, sondern auf eine prä-bewusste Kognition hindeutet. Mit dem Bewusstsein kommt eine ganz neue Weise der Orientierung eines Lebewesens in die Welt. Aus dem Bilderstrom des Geistes bilden sich verschiedene Eingrenzungen, Zusammenfassungen und Deutungen heraus, die zu perspektivischen Sichtweisen führen. Ganz herausragend in diesen Neuerungen ist die Perspektive, die den Lebewesen ein „Ich“ ermöglichen, das sich in einer Welt befindet und/oder von ihr umgeben ist. Das Wesen erkennt sich selbst (seinen Körper) letztlich als eine Einheit, die von anderen Einheiten oder Dingen umgeben ist. Dieses Ich-Erkennen ist in meiner Vorstellung die erste Form eines Bewusstseins. Weitere Perspektiven, die darauf nahezu automatisch folgen mussten, sind verbunden mit den Wesen, die neben und mit diesem Ich in der Welt sind. Wir können das die „Wir/Die“-Sichtweisen nennen. Alle Perspektiven haben die Neigung, die Welt aus einer bestimmten, zuvor festgelegten Eingrenzung zu betrachten. Dazu gehören auch die bekannten Grenzziehungen, die wir heute Freunde, Partner, Familien, Gruppen, Völker, Staaten, Ethnien und so weiter nennen, die dann alle entweder unter „Meine“ oder unter „Die Anderen“ fallen können.

Nahezu alle heute üblichen Beschreibungen über die Entwicklung von Geist, Vernunft, Verstand und Bewusstsein beschäftigen sich letztlich mit den Ausprägungen dieser perspektivischen Betrachtungsweisen. Gebser zum Beispiel betrachtet nach der archaischen Bedingung das magische, das mythische und das mentale Bewusstsein und vermutet, das unterschiedliche Raum und Zeit-Wahrnehmungen eine große Rolle spielen könnten und prognostiziert eine sich entwickelnde neue diaphane Ebene, die im Kommen sei. Andere Autoren arbeiten mit Entwicklungsstufen verschiedenster Nomenklatur und anderen Teilungen der Gesamtentwicklung in Abschnitte. Weitere andere verfolgen die Entwicklung des Bewusstseins an unseren Kindern. Ihnen allen aber, und das ist für mich der ganz mächtige Haken, ist gemeinsam, das sie sich alle auf Teile des Bewusstseinsstromes beschränken, mit anderen Worten auf die Perspektiven der Betrachtungen und vergessen dabei die drei anfangs genannten Phänomene, die ich die nicht-expliziten Fähigkeiten, den Lebensstrom und Geist genannt habe. Diese drei, die in nahezu allen Kulturen so massiv im Schatten der Perspektiven verschüttet wurden, aber hatten sich über Jahrmillionen bewährt und wären wohl auch heute noch in der Lage, auch ohne Bewusstsein, das (Über-)Leben zu meistern. Und ich denke, das diese einfachste Meisterung nicht einmal halb soviel unserer Lebensgrundlagen zerstören würde wie wir das heute mit unserem Bewusstsein und seinen Prägungen Tag für Tag tun.



Worauf will ich hinaus?

Wie wir oben gesehen haben, beruht unser Leben auf der organischen Basis des Körpers. Wir brauchen ihn, um zu leben, und wenn er stirbt, fällt auch der Geist, zumindest konnte man bisher keinen verstorbenen Geist auf unserer Welt nachweisen und in andere Welten können wir nicht vordringen. Es gibt darüber viele Theorien, große Geschichten, aber sehr sehr wenig gesicherte Substanz. Und auch die Verbindung von Lebensstrom zu Geist ist von großer Bedeutung. Das nämlich ist unsere Grundlage, unsere geistige Basis, unser Grund, der nach wie vor relativ sich gestaltet, unter den wir aber nicht werden vordringen können. Aus dem Zusammenspiel der drei bilden sich Perspektiven, die somit alle auf Auswahl und Eingrenzung beruhen. Das ist auch sinnvoll. Aber bald schon in der Ausbildung des Bewusstseins wurden diese wenigen ausgewählten Perspektiven zu einer neuen Basis, auf der weitere Perspektiven entstanden sind. Und diese wurden wiederum zur Basis von neuen Perspektiven, die weitere Perspektiven erschufen, und so weiter und so weiter. Und auf jeder dieser neuen Ebenen sieht der jeweilige Denker nur noch die ihm bekannte und zugrunde gelegten Perspektiv-Ebenen und vergisst dabei sowohl die vorausgegangenen anderen Setzungen als auch den Grund darunter. Aber diese Ebenen sind da und sie sind nach wie vor wirksam.

Die Begrifflichkeiten von Jean Gebser

Magisch: Nehmen wir uns jetzt einmal eine solche Perspektiv-Ebene vor und erkunden ihre Auswirkungen. Ich beginne zuerst mit der Ebene/Stufe, die Gebser als magisch bezeichnet hat. Die Worte Magie und magisch weisen auf auf das Adjektiv geheimnisvoll mit den Bedeutungen, über die auch rätselhaft, unergründlich oder auch dunkel (verborgen) etwas aussagen. Das wir heute auch Zauberkräfte mit diesem Wort verbinden, ist leider etwas ungeschickt, denn Magie (Geheimnis) ist nicht Zauber, sondern Zauber beruht eher auf der Voraussetzung magischen Empfindens und Handelns. Erst kommt das Geheimnis, dann der Zauber dazu und darüber. Irgendwann begann der Mensch damit, Naturphänomene und Natur-Eigenschaften mit Göttern, die in der Umwelt wohnen und sich ausdrücken, zu verbinden. Naturphänomen waren zum Beispiel die Sonne, der Mond, das Meer, Blitz und Donner, Wasser, Wetter und so weiter. Eigenschaften der Natur waren beispielhaft die nächtliche Dunkelheit, die Fruchtbarkeit der Böden, die Fruchtbarkeit und Gesundheit der Menschen oder die Mächtigkeit der Berge. Wenn diese Phänomene zuschlugen, Freunde einfach starben, die Ernte verdarb oder die Natur sich unwirklich verhielt, begannen findige Menschen zu versuchen, die damit verbundenen Götter (in Geschichten überliefert und weitergetragen…) zu besänftigen, in dem man Opfer darbrachte, Beschwörung ausrichtete oder anderen Zauber anwandte. Es bildeten sich Gruppen von Menschen heraus, die im Zaubern (Wahrsagen, Einfluss auf Götter nehmen können, Zeichen deuten…) besonders begabt erschienen und sich daher fast ausschließlich dieser Aufgabe widmeten und von den anderen dafür versorgt und entlohnt wurden. Andere Menschen waren begabt darin, zu organisieren und Gemeinschaften zu bilden, deren Zusammenhalt größere Sicherheit versprach. Andere wiederum waren begabte Kämpfer und Krieger, die große Kraft ausstrahlten, und in der Auseinandersetzung mit den Anderen größere Erfolge versprach. Unter dem Einfluss dieser Entwicklung entstanden die Phänomene Macht, Religion und Krieg, die sich in den darauf folgenden Entwicklungsebenen und weiteren Perspektiv-Bildungen eine herausragende Grundlage lieferten. Diese drei bildeten die wirk-mächtigsten Motive zur Auswahl der Perspektiven, die für die Weiterentwicklung der Kulturen heutiger Prägung von Bedeutung wurden und somit viele andere Sichtweisen in die Verborgenheit verdrängten. Auch die Ich- und Wir-Perspektiven wurden übernommen und weitergetragen, und zwar in beiden Formen: Ich/Wir auf der einen, Der/Die auf der anderen Seite. Man erkennt unschwer die Geburt dessen, was wir heute Dualismus nennen, und damit die Abschwächung der vielen Grautöne zwischen den Gegensätzen, und man erkennt die ersten Herausbildungen von Herrschaftsstrukturen, die im Dualismus gefangen auch gleichzeitig zu Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen wurden. Viele Magische Elemente (Zauber, Macht, Krieg) sind bis heute erhalten geblieben und beeinflussen uns auch heute noch. In den Erzählungen darüber wird meist von Epochen berichtet, in den Frieden herrschte und die Götter dem Volk wohlgesonnen waren und natürlich auch von den unzähligen Auseinandersetzungen zwischen den sich bildenden Gruppen.

Mythos: Wie wir oben (Magie) gesehen haben, beruht das magische Weltbild bereits auf einer Erzählung, denn irgendwoher müssen ja die Riten, die Zaubereien und Opferhandlungen, die allgemeine Gültigkeit erlangten, herstammen und sie müssen weitergetragen werden. Auch das mythische Weltbild beruht auf Erzählungen, jedoch sind diese nicht mehr ausschließlich mit Götterbildern verknüpft, sondern es gewinnen zusätzlich zu diesen auch Menschen an Bedeutung, die ich zunächst einmal als Helden bezeichnen möchte. Ganz besonders sind hier die Menschenführer genannt, die die in der magischen Zeit noch in kleinen Verbänden organisierte Menschheit zu größeren Einheiten, in Europa Fürstentümern oder sogar zu Reichen zusammenschließen konnten. Trotzdem wurden die in der magischen Epoche vorherrschenden Phänomene wie der Zauber und die Ich/Wir-Perspektiven auch in die mythische Zeit übernommen, nur eben durch vermehrtes Wissen in etwas abgeschwächteren Formen. Was ich als Mythos bezeichne ist die Zeit der Eroberer, der weisen Herrscher (z.B.: Die alten, noch heute hochverehrten Kaiser in China) und der großen reichen Städte, die ein hohes Identifikationspotential hatten. Ganz besonders beeindruckend belegen das die Inhalte der Erzählungen aus der jeweiligen Zeit; mit anderen Worten: Die Themen, die dazu ausgesucht wurden. Wie auch heute noch zu beobachten, hangeln sich diese von Ereignis zu Ereignis. In der mentalen Struktur erweitert sich das bereits ausgeformte Feld der Funktionen des Bewusstseins, wobei diese später meist nur noch von kriegerischen Auseinandersetzungen oder dem Wechsel der Epochen von Familiendynastien erzählen.

Die mentale Struktur: In der mentalen Geist/Bewusstseinsstruktur vereinzeln und spezialisieren sich die in den vergangenen Ebenen entwickelten Phänomene mehr und mehr. Religiöse Formen, herrschende Formen und kriegerische Auseinandersetzungen werden in ein Spezialistentum versetzt, was aber nicht heißt, das der Austausch zwischen ihnen, die gegenseitigen Beeinflussungen nachließen, im Gegenteil, die Verzahnungen zwischen den Funktionen wurde enger und enger, und es bildete sich Elitegruppen heraus, die diese drei Bereiche besetzt hielten. Diese wurden nach wie vor durch Familiendynastien und Verwandtschaftsbeziehungen gefüllt. Man denke dabei nur an den Begriff des „blauen Blutes“, die für eine adelige Abstammung sprach. Sowohl die Führung der Krieger/Militär, der Religion als auch der Herrscher wurde sozusagen aus einer Gruppe heraus beherrscht. Trotzdem gab es nach wie vor den Zauber in den breiten Schichten der Bevölkerung, nach wie vor waren Abstammung und Blutsverwandtschaft, waren Wir-Gruppen (…contra Die-Gruppen) in ganz entscheidender Weise am Geschehen beteiligt und sehr einflussreich. Und auch die Erzählungen haben sich im Verhältnis zum Mythos wenig verändert. Was sich veränderte, waren die Lebensräume, die durch die technischen Entwicklungen immer größere Ausmaße erreichten und daher immer größere Verwaltungen notwendig machten.

Ein kurz gefasster Zwischenstand: Was wir im großen und ganzen sehen können ist, das in der Ausbildung der Bewusstseinsebenen nicht abgeschlossene Bereiche entstanden und durch Neuerungen ersetzt wurden, sondern das sich bis zum heutigen rationalen Stand ein fließender, unregelmäßiger und nicht zu verallgemeinernder Prozess stattfand, der selbst innerhalb eines Volkes oder gar einer Familie durchaus unterschiedliche Tiefen erreichen konnte. Besonders die Elitegruppen eines Volkes besaß nahezu zu jeder Zeit deutlich mehr an Differenzierung und Bildung als das gemeine Volk oder gar die unterdrückten Schichten. Und auch heute noch zeigen sich die verschiedenen Stufen selbst innerhalb kleiner Einheiten. Ich denke daher nicht, das die Teilung in archaisch, magisch, mythisch, mental und rational in einer verallgemeinernden Form Gültigkeit haben sollte. Jede dieser genannten Stufen bildete einfach neue Perspektiven-Bündel heraus, die aus der ungeheuer großen Vielfalt der möglichen Perspektiven eine Auswahl darstellt, ohne allerdings so gradlinig bei allen Menschen anzukommen. Was wir aber immer wieder beobachten können ist die Neigung, die neu erwählten Bündel als eine neue Basis zu etablieren, unter die zu gehen als Rückschritt oder Regression angesehen wurde. Besonders deutlich ist das im letzten Schritt der Erzählung, die wir das rationale Bewusstsein nennen. Wir können diese Einteilungen in Stufen heute nur noch als ein grobes Mittel nehmen, um ohne großen Text eine Epochen-Prägung zu benennen, aber nicht als Maßstab für eine Beurteilung oder Wertung.



Das rationale Bewusstsein: Diese Stufe ist eng mit der mentalen Ebene verknüpft und stellt eine Pervertierung derselben dar. Heute ist die Welt in allen Räumen erforscht und besiedelt und es gibt nahezu keine Möglichkeiten mehr gibt, in weitere neue Räume und Abenteuer vorzustoßen. Das allgemeine Wissen und die technischen Möglichkeit sind so groß und breit, das sie von niemanden mehr überblickt werden können. Uns seien wir ehrlich, auch unsere Fortschritte in der Digitalisierung bieten da wenig Raum für mehr Übersicht. Wir haben in allen Belangen des Lebens einen so hohen Spezialisierungsgrad erreicht, das ein annähernd natürliches Leben eines Menschen zwischen Nahrungsbeschaffung, Unterkunft und Orientierung nicht mehr oder nur noch schwer möglich erscheint. Die Ich-Perspektive ist rein nur noch in wenigen privaten Räumen anzutreffen, es überwiegt das Wir-Gefühl und die Wissenschaft hoffte, mit der Globalisierung würden wir mehr und mehr die Die-Perspektiven verlieren. Aber das scheint nicht der Fall zu sein, denn eine wachsende Zahl an Menschen strebt zu ausschließenden Wir-Perspektiven zurück. Unser Wissen beziehen wir heute aus Spezial-Wissenschaften, die nicht mehr miteinander zu reden scheinen und so Techniken in die Welt setzen, die langfristig gesehen zum Scheitern verurteilt sind/sein müssen, weil sie den Bezug zur Ganzheit verloren haben. Wir streben immer mehr zu Nationalismus und Gruppendenken zurück, dabei brauchten die Probleme der Menschheit ein globales Zusammenarbeiten aller Völker. Klima und Pandemien zum Beispiel richten sich nicht nach Grenzen und Ethnien. Vielleicht ist klar geworden, was eine rationale Weltsicht bedeutet. Ich werde später noch im Detail einige der wichtigen Themen einzeln ansprechen.

Fazit: Auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen wird schnell klar, das Bewusstsein im heutigen Gewand nicht etwas mit Zeit und Raumphänomen zu tun hat. Das kann nicht (mehr) in Stufen, Entfaltungen oder Entwicklungen gesehen werden, sondern das Ganze sollte als ein Prozess gelten. Der bewegt sich nicht in einer Richtung, sondern stellt aufgrund der Prägungen von Organismus und Umwelt jeweils eine Auswahl der machbaren Möglichkeiten/Perspektiven dar. Aus einer Vielzahl von Erklärungen werden die gerade in der Breite der Bevölkerung durchsetzbaren auswählt. Diese Auswahl ist dann eher mit einer Mutation vergleichbar, die nach einem zufriedenstellenden Bewältigungsmechanismus sucht, der der aktuellen Lage angemessen ist. Und dieser Prozess läuft nicht linear ab, sondern kann sich auch regressiv umkehren, wenn Organismus und Umwelt sich verändern oder das Leben sich erschwert. Ich denke, das sich heute die Menschheit schwer damit tut, vergangene Auswahlen loszulassen und/oder sich zu neuen Ufern zu bewegen. Bei Schwierigkeiten greifen wir lieber auf alte und gut bekannte sogenannte bewährte Auswahlen zurück. Wir glauben zwar, linear fortschrittlich zu denken, haben aber vergessen, das sich zyklische, regressive und selbst weiter zurückliegende Formen hervorragend geschlagen haben und vielleicht heute erneut wieder eine Lösung im neuem Gewand bieten könnten. Auf der anderen Seite bieten sich ständig neue Technologie-Ideen an, die Probleme aller Art in naher Zukunft endgültig lösen könnten. [2. Beispiele könnten sein das Herumspielen an genetischen Materialien, das Spielen mit Massenvernichtungswaffen, um Feinde zu vernichten oder die fortgesetzte rücksichtslose Plünderung der natürlichen Ressourcen, weil wir die irgendwann notwendigen Lösung schon noch rechtzeitig finden werden. Alle drei beruhen auf der Methode, das machbare auch zu tun, selbst wenn es große bis unabsehbare Risiken birgt.]. Zwischen diesen Extremen wanken wir seit Jahrzehnten hin und her, und ich denke, wir können in dieser Zeit nur Glück als Ursache dafür nennen, das es noch nicht laut geknallt hat.

Fassen wir zusammen, was bisher gesagt wurde: Das Aufkommen des Phänomens Bewusstsein beruht auf einem Prozess. Dieser ermöglicht auf der Basis eines organischen Organismus und einem Nervensystem die Ausbildung und Auswertung von perspektivischen Sichtweisen und Bildern. Durch die Vielzahl an Möglichkeiten, die sich daraus bildeten, wurde jeweils die Notwendigkeit geboren, Auswahlen zu treffen, und zwar sowohl aus der Masse der Perspektiven als auch aus der Vielzahl von Erzählungen und Techniken, die sich dann wiederum als Basis für neue Perspektiven, Erzählungen und Sichtweisen und Techniken etablierten. Dieser in vielen Zyklen ablaufender Prozess sorgt aus heutiger Sicht für die Vielfalt an Kulturen, die jeweils eine unterschiedliche kleine Zahl an auswählten Perspektiven als Grundlage für sich priorisierten. Da das Geschehen nicht linear abläuft, es niemals alle Teilnehmer der Gruppen erreichen konnte und auch nicht von allen übernommen wurde/werden konnte, entstand die Vielzahl von Sichtweisen auf Welt und Leben und deren Notwendigkeiten, die wir heute überall wahrnehmen. Selbst innerhalb der Kulturen an sich gibt es eine Vielzahl an Prägungen, die alle Bereiche der gezeigten Entwicklung umfassen können. Auch in der heutigen rationalen Weltsicht samt Aufklärung gibt es Zauber, Heldentum, sich in Ich und Wir ausdrückende Identifikationen und die allseits zu beobachtenden Dualismen, die letztlich auf ein „entweder, oder“-System hinauslaufen. Wir können eigentlich nicht sagen, auf welcher Bewusstseinsstufe wir leben (können/müssen/sollten). Das könnte sich morgen schon, durch Umweltkatastrophen, Kriege oder Seuchen oder auch durch Neuentdeckungen ausgelöst, grundlegend ändern. Letztlich aber sorgt nur das Basissystem Organismus/Umwelt für eine Form, die sich zum Überleben eignet, und nicht unsere gelebte Bewusstseinsstufe. Wir müssen erkennen, das wir (nach wie vor) nicht wissen, wie Leben entsteht und wie es geschützt werden kann. Das zu erkennen wird zur Zeit die hervorstechenste Notwendigkeit darstellen, die es zu berücksichtigen gilt. Dazu müssen wir uns nicht die Theorien und Visionen anschauen, die es in der Ratio so zahlreich gibt, sondern wir müssen uns die perspektivischen Auswahlen anschauen, die wir (sagen wir mal) in den letzten fünf Jahrtausenden getroffen haben und diese ständig neu anpassen und gestalten. Dazu gehört auch, alte Setzungen aufzuheben und neue Auswahlen zutreffen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Felder Politik (Macht, Herrschaft), Wissen (Wissenschaft, Forschung, Bildung, Technik, Kultur) und Religion (Mythen, Erzählungen, Weisheit, Aufklärung), da auf Grundlage dieser Stichworte sich das Leben (samt Ernährung, Unterkunft und Beschäftigung) heute abspielt. Es wäre angesagt, sowohl die getroffenen Auswahlen und Setzungen als auch ihre Priorisierungen einer erneuten Hinterfragung zu unterziehen. Die dazu erforderlichen Gremien sollten sich aus Spezialisten dieser Themen und aus gesellschaftlich anerkannten Persönlichkeiten zusammensetzen und so gestaltet sein, das die Mitglieder während ihrer Tätigkeit nicht in aktuell anliegende Entscheidungen und Debatten involviert sein sollten. Weiterhin sollten die Gremien zumindest für eine bestimmte Zeit ihrer Arbeit abseits der medialen Aufmerksamkeit nachgehen können. Beispiel dafür könnten die unzähligen Think Tanks sein, nur das sich die Themen, die dort behandelt werden müssten, nicht im Sinne von Elitepositionen, sondern im Sinne der Menschheit und für die Erhaltung unseres Planeten und seiner Vielheit ausgearbeitet werden sollten. Dafür müssten die Gremien, um unabhängig zu sein, von der breiten Allgemeinheit finanziert werden.



Worüber wir reden sollten

Hier in diesem Abschnitt versuche ich einen Überblick zu geben, wie wir uns Bewusstsein vorstellen könnten und wie das Ganze in einem Überblick aussehen könne. Dazu verwende ich zunächst einmal Formatierungen:

Linksbündig erscheinen Begriffe, Aussagen und Definitionen, die nach heutigem Stand als belegbar oder erforschbar gelten.
Rechtsbündig erscheinen solche Begriffe…, die auch heute noch als verborgen gelten müssen und weder belegbar noch erforschbar gesetzt sind.
Mittelbündig erscheinen dann alle Begriffe…, die im Halbdunkel der Wissenschaft und Forschung stehen und daher häufig nur in Theoriebildungen vorliegen.

Über die rechtsbündig formatierten Stichworte wissen wir nichts und es ist unwahrscheinlich für die Menschheit, jemals über diese Inhalte genaueres zu erfahren. Ähnlich, aber mit einem niedrigerem Wahrscheinlichkeitsgrad verhält es sich mit den mittig formatierten Begriffen. Die linksbündig formatierten Begriffe unterliegen unserem Wissen.

Versuch einer Übersicht

Eindeutig belegbar

Sich im Halbdunkel befindend

Verborgen


HOMÖOSTASE

Nicht explizite Fähigkeiten
aller Lebenwesen


Lebewesen mit einem funktionalen
Nervensystem (Tiere)


Pflanzen ?


Speicherung, Erinnerung von Bildern zu(m)
– Eigenwahrnehmung
– Umgebung
– Nahrungsquellen
– Unterkunft und Schutzquellen


Auswertung der Bilder mit nachfolgenden
– ersten Priorisierungen
– Auswahlen für lebensnotwendige Handlungen
– erste Setzungen von Gewohnheiten


Ist das vielleicht die für das Denken des Menschen unüberwindliche Grenze ??!!


KULTUR

Weitere Setzungen aufgrund von
Gewohnheiten und Funktionalität

– Spezialisierung
– Kulturelle Grundannahmen
– Aufbau einer Herrschafts- und Machthierarchie


Weitere Setzungen, die sich aufgrund
der bisherigen Setzungen anbieten und
die Erfolg, Sicherheit und Wohlstand
versprechen


Weitere Setzungen

– dto…



Von der Homöostase zu Kultur

Wie man in dem Versuch einer Übersicht sehen konnte, gibt es zwischen der Auswahl lebensnotwendigen Handlungen, ersten Setzungen und Priorisierungen eine für dem Menschen in heutiger Gestalt überwindbare (?) Grenze. Diese Grenze zurück in Richtung Homöostase zu überschreiten würde die Bedingungen auslöschen, auf die das Mensch-Sein sich heute gründet. Wir können nicht zurück oder hinübergehen, ohne unser Bewusstsein, wie auch immer das definiert werden mag, zu verlassen, denn wir könnten dann unsere Erkenntnisse nicht zurücktragen. Hier irrt Platon mit seinem Höhlengleichnis. In der Homöostase sind die Grundlagen für unser Leben angelegt, und diese sind neben der Nahrungsbeschaffung die Aufrechterhaltung der notwendigen Handlungs- und Schutzmaßnahmen (Ruheräume, Revierabsicherung), die ein einzelnes Lebenwesen zum Überleben und die Gattung als Art (Fortpflanzung, Schutz des Nachwuchses) braucht. Diese Anlagen sind für uns heute zwar nachvollziehbar, ihr Entstehen aber entbehrt jeglicher möglicher Erklärung. Oder um es einfach auszudrücken: Wir wissen es nicht! Wir wissen weder, was das Leben an sich ist noch wie die ersten Regelungen zustande kamen, und wir sollten so ehrlich sein und das auch zugeben. Alle weiteren Ebenen würde ich einer kulturellen Entwicklung zuordnen, denn sie erfolgen aufgrund der im Abschnitt Homöostase dargestellten Grundlagen und sind damit für uns auch hinterfragbar. Irgendwo zwischen heute und dieser Grenze fanden all die Setzungen, Auswahlen und Gewohnheitsanfänge statt, denen wir uns heute ausgesetzt sehen. Und tatsächlich glaube ich, das wir so weit wie möglich dort hinabtauchen müssen, um andere und stabilere Grundlagen für unser Leben in der Zukunft zu finden. Beschäftigen wir uns daher etwas genauer mit diesem Bereich und fragen nach, ob die Entscheidungen von damals auch heute noch Gültigkeit besitzen (sollten). Und ich beginne jeden Abschnitt dieses Kapitels mit einer Frage.

Politik (Macht, Herrschaft)

Stimmt es wirklich, das das Zusammenspiel von mehreren oder vielen Menschen immer einer Führung bedarf, die sich meist in einer Person konzentriert?

Vom Familienoberhaupt über die Clanführer und Dorfältesten geht der bunte Reigen über Häuptlinge, Adelige, Fürsten und Könige bis zu heutigen Diktatoren, Präsidenten und Kanzler, die stets die Macht oder zumindest einen großen Teil davon auf sich vereinigen konnten. Und auch die Mittel und Rechtfertigungen dazu sind uns mehr als deutlich bekannt, die zur Festigung dieser Ämter verwendet wurden. Zuerst waren es immer wohl die Stärksten, die sich der Macht bemächtigen konnten, hier und da auch mal die Klügsten, dann kamen die Schlauen, die Hinterlistigen, die Brutalen und die Gierigen. Dann kamen die zur Macht, die sich gut organisieren konnten, sich verbünden konnten und/oder die größten Reichtümer besaßen. Und das hat sich nicht geändert bis zum heutigen Tag. Wollen wir das wirklich beibehalten? Brauchen wir dieses System wirklich auch heute noch, oder fällt uns da nicht doch etwas Besseres ein?

Mit der Demokratie steht uns doch ein sehr gutes und wirksames Mittel zur Verfügung, um von Missbrauch, Willkür und Gewalt Abstand zu nehmen. Trotzdem haben wir dieses Mittel immer wieder in die alte, unbrauchbare Richtung zurückgedreht. Heute werden zusehens immer mehr Demokratien (heutiger Prägung) in Richtung Oligarchie (Diktatur der Reichen), Ochlokratie (Diktatur der Mehrheit) und Faschismus (Diktatur der Rücksichtslosen) umgewandelt. Ist Demokratie einfach nicht funktional, müssen wir zurückweichen oder doch eher neue Schritte in Richtung einer größeren Beteiligung aller wagen? Und was wären eigentlich die Voraussetzungen, die letzteres zuließen? Sind wir uns als Volk dieser Aufgabe bewusst? Ich glaube: Nein. Wir müssen uns aber damit beschäftigen. Wie wollen wir sonst Kriege verhindern, das Klima retten, den Planeten erhalten und die vielen anderen Aufgaben wie Hunger, Krankheit und andere Katastrophen verhindern? Wie soll das gehen, wenn wir nicht alle gemeinsam an einem Strang ziehen? Wollen wir uns wirklich auf das Hoffen beschränken, das sagt: Es wird schon weiterhin irgendwie gutgehen?

Wissen (Wissenschaft, Forschung, Bildung, Technik, Kultur)

Unsere Zivilisation baut auf Wissen auf, das wir mittels Forschung, Entwicklung und Technik in unser Lebensgefüge einbauen. Dazu benötigt wird im heutigen Verständnis so etwas wie Bildung, das dann mit den Erstgenannten zusammen als Kultur betrachtet wird. Soweit wir zurückblicken können hat uns das wirklich sehr weit gebracht. Das stimmt, aber heute sehen wir, das wir diesen Weg so wie gewohnt nicht weiter gehen können. Unser Erfolg beruht auf der Ausbeutung der Natur. Und er beruht auf der Ausbeutung von Menschen durch den Menschen. Er wird begleitet von Not, Gewalt, Misstrauen, Angst, Aussichtslosigkeit und was sonst noch so alles. Lässt sich das wirklich nicht ändern?

Müssen wir auch hier wirklich zurückweichen in verlassene Positionen, wie das heute vielfach geschieht? Ist mehr Technik wirklich die Lösung für ein gutes Leben? Und sprechen nicht die relativ armen, mit relativ wenig Technik ausgestatteten Völker, die die Glücks-Statistiken seit deren Einführung anführen, nicht doch eine andere Sprache?

Meiner Meinung nach müssen wir die zahlreichen Setzungen, die der Wissenschaft und deren Wirken in das Leben hinein zugrunde liegen, hinterfragt werden. Wir können uns doch nicht darauf berufen, das sich irgendwann einmal in der Zukunft die passende Lösung schon finden lassen wird. Das ging früher einmal, als die Radien der Technik noch gering waren. Heute, bei globaler Reichweite, geht das nicht mehr. Beispiele gibt es reichlich. Die wichtigsten sind doch wohl die Entwicklung von Atomwaffen und die Nutzung von Atomkraftwerken, wo wir doch gar nicht wissen, wie deren Abfälle sicher entsorgt werden können. Da muss es noch nicht einmal Kriege oder Unfälle geben, die uns damit konfrontieren. Das alleinige Vorhandensein ist schon genug, um unbewältigte Probleme zu zeugen. Weitere Probleme bereitet die Herstellung von Kunststoffen, deren Entsorgung zwar möglich, aber noch immer zu teuer zu sein scheint.

Religion (Mythen, Erzählungen, Weisheit, Aufklärung)

Lange Zeit bildeten religiöse Ideen in Form von Erzählungen, Mythen und Weisheitsdichtungen das gesellschaftliche Fundament aller Menschen-Gemeinschaften. Wenn man sich heute diese Geschichten (Narrative) ansieht, wird man sehen müssen, das alle Hinweise einen Kern enthalten, der auf den Anteil der Homöostase im Geiste/Bewusstsein des Menschen hindeutet. Bis zur Aufklärung war Religion die einzige wirkliche Ordnung, die alle Bereiche des Lebens umschloss. Heute hat die Religion und ihre Verwandten nur noch einen geringen Anteil am Lebensgefüge zumindest des westlich rational geprägten Erdenbewohners. Heute sprechen wir mehr von Weltbildern, Staatstheorien oder Dogmen, wenn wir uns auf eine Ordnung beziehen wollen. Das fatale daran ist, das wir zunehmend den homöostatischen Kern vergessen (haben), der uns letztlich begründet. Wir bewegen uns sozusagen nur noch in den Bereichen der Kultur. Da es viele Kulturen gibt, gibt es immer wieder Streit und Auseinandersetzungen um den richtigen Weg. So aber ist Ganzheit in der Welt nicht möglich, denn der Bezug zur Wirklichkeit verschwindet aus dem Gesichtsfeld zugunsten einer Theorie oder eines Abbilds, welche ich weiter oben Perspektiven von Perspektiven genannt habe. Wir verlieren den Bezug zum (unbekannten) Leben.

In vielen Weisheitsdichtungen ist maßvolles Handeln, maßvolle Ausübung von Macht und eine maßvolle Auslegung von „Haben und Sein“ das grundlegende Thema. Wir können den Planeten, der uns trägt, nicht über seine Regenerationsgrenze hinaus ausbeuten. Wir können Macht und Herrschaft auf Dauer nicht so ausüben, das das Gebaren Widerstand erzeugt. Wir müssen die Themenbereiche Gleichheit und Gerechtigkeit in unsere Überlegungen einbeziehen, sonst ist Zusammenarbeit nicht möglich. Und wir müssen nicht nur dem Menschen, sondern auch den anderen Lebensformen Lebens- und Entwicklungsraum ermöglichen. Das Leben in seiner Gesamtheit ist eine Kette. Wenn wir wichtige Glieder darin zerstören, wird alles Leben in Gefahr geraten. Wir wissen zu wenig darüber, um heute schon endgültige Entscheidungen zu treffen.

Ernährung, Unterkunft und Beschäftigung

Wir erfahren heute immer mehr Informationen darüber, wie sich die Lebenswelt entwickelt, zu deren Ausbeuter wir uns aufgeschwungen haben. Und diese Berichte sagen aus, das wir zu viel und zu oft über das Maß hinaus schießen, das die Natur bräuchte, um (noch) regenerieren zu können. Wir fischen die Meere leer, zerstören unsere Anbauflächen durch Überdüngung und chemische Mittel, wir roden die Wälder und versiegeln/verzäunen immer mehr Flächen, die eigentlich Pflanzen und Tieren vorbehalten sein sollten. Und vom Abfall der Industrien, der ja auch irgendwie entsorgt werden muss, haben wir schon gesprochen. Trotzdem müssen sich nach wie vor alle Lebewesen ernähren, müssen atmen können und wollen auch die Menschen in einem natürlichen Umfeld zumindest ihre Freizeit verbringen. All das zusammen funktioniert heute schon nicht mehr, und die Zuwachsraten der Menschheit lässt auch in Zukunft keine Besserung erwarten. Hier müssen dringend Lösung gefunden werden.



Das Bewusstsein ist das Problem, aber auch die Lösung

Alle denkbaren Bewusstseinsstufen des Menschen heute sind unterwegs zur mentalen Ebene, wie sie weiter oben beschrieben wurde. Aus dem Magischen und Mythischen geht es zu mehr Breite zur mentalen Ebene, aus dem Rationalen muss es zurückgehen aus der Perversion auf die funktionale Ebene. So würde Gebser das wohl beschreiben. Und wenn die entscheidende Masse im Mentalen angekommen ist, müsste es zielstrebig weiter ins diaphane Bewusstsein gehen. Wie diese Stufe letztlich aussehen wird, wissen wir heute (noch) nicht. Angesichts der Probleme allerdings, die wir heute weltweit sehen, kann man deutlich die Perspektiven erkennen, die aus den Problemen herausführen könnten. Es gäbe viele Möglichkeiten. Neben neuen Technologien, die alle Probleme lösen, könnte zum Beispiel das Reduzieren der Menschheit eine Perspektive darstellen. In drei Generationen mit einer Einkind-Politik ließe sich das verwirklichen.

Was sich auf jeden Fall sagen lässt ist, das ein zurück in die dunkleren Phasen der Bewusstseinsgeschichte nicht funktionieren kann. Wir müssen uns als Menschen in großer Zahl auf der Ebene einfinden, auf der eine Weiterentwicklung möglich sein kann. Das ist, nach heutigem Wissen die vollständig ausgebildete mentale Bewusstseinsstruktur. Diese enthält die vorgängigen Strukturen in sich, erkennt diese auch an und erweitert so den Schatz an Erfahrung soweit, das sich neue Wege ergeben könn(t)en. Das ist der Stand der Geisteswissenschaften, der Stand der Historienforschung und der Stand der allgemeinen Naturwissenschaften heute. Und so sprechen auch viele spirituelle Traditionen seit alters her. Entwicklung benötigt die Akzeptanz und Offenheit gegenüber allen durchlaufenen Stationen unserer Geschichte. Wir können und dürfen das Alte nicht vergessen und dürfen uns nicht ausschließlich einem Neuen, sei es bekannt oder auch nur erwünscht, zuwenden. Das widerspricht allen Erfahrungen der Menschheit. Wichtig ist aus meiner Ansicht heraus, die uns zugänglichen Perspektiven und Setzungen zu hinterfragen und bessere, weitsichtigere Setzungen zu finden.

Und wozu soll das bisher geschriebene alles gut sein?

Diese Frage stellt sich eigentlich [1. Eigentlich: Sie scheint normal zu sein, ist es aber nicht?!] immer dann, wenn wir uns fragen, wie wir die sehr berühmte Frage nach dem Sinn des Lebens stellen, und wir nicht zugeben wollen, das wir es weder wissen noch wissen können. Wir setzen dabei, die Philosophien von Jahrtausenden zeigen das deutlich, voraus, dass wir entweder auf der Suche nach einem wie immer beschaffenen Urgrund, nach einem außerhalb unserer Vorstellungen und Fähigkeiten liegenden Parallel-Universum (Transzendenz, Dimension) oder aber einem wie immer beschaffenen Schöpfer (Gott, Götter, Herr, Urahn) sind, der uns diese Frage zumindest „phantastisch“ beantworten wird durch Zeichen, Offenbarung, seine Vertreter auf Erden oder einem von vielen angenommenen Glauben. Und das Wort „phantastisch“ trifft diese Aktivitäten wie der Hammer den Kopf, wenn ein Nagel versenkt werden soll. Die gestellte Frage muss und kann aber nur so beantwortet werden:

„WIR WISSEN ES NICHT!“

Das ist unschön und wenig erhebend, aber trotz aller Versuche bisher die einzige richtige Antwort. Natürlich darf jeder Mensch einen Glauben haben. Ja, warum auch nicht? Das Problem dabei ist, das er verstehen muss, das es ein Glaube ist, und das ihm bewusst ist, das das sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen erheblich Schwierigkeiten bereiten wird, den Glauben zu halten und das es daneben unzählige Menschen geben wird, die einen anderen Glauben haben werden. Dieses Wissen ist wichtig, weil es verhindert, das Menschen sich ihres Glaubens wegen verfeinden, sich deshalb gegenseitig bekämpfen und umbringen. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen. Aber der Glaube ist ja nicht die einzige Unsitte der Menschheit. Da gibt es auch noch, wie zuvor schon erwähnt, die Macht und den Reichtum.

Macht hat ein Mensch nicht einfach so. Dazu gehören entweder besondere Fähigkeiten, besondere Erscheinungsformen, gehören Reichtum, der mit der Macht eng verknüpft ist oder aber ein besonderer Status, der von einer großem Mehrheit der geführten Gruppe getragen, geglaubt oder gewährt wird. Macht an sich bringt eine Gruppe von Menschen dazu, sich wie eine Person zu verhalten, die sich sozusagen im Anführer konzentriert. Große Anführer und Machtausübende waren gute Kämpfer, überragende Strategen, wunderschöne, begehrte Frauen und Menschen mit großer Ausstrahlung. Erklären lassen sich in der Aufzählung nur die ersten drei, die letzte bleibt im Dunkel des Unwissens. Was ist Ausstrahlung? Wie wird sie erworben? Worauf beruht sie? Ich halte nach wie vor diese Erscheinungsform für ungeklärt. Wir sollten Ausstrahlung aber nicht verwechseln mit „die Begeisterung einer Gruppe oder Masse wecken können“, „Begierde oder Hass erzeugen zu können“, oder einfach nur ein gut geschulter Redner zu sein. Diese drei lassen sich lernen, denn sie stellen immer nur eine geschickt vermarktete Auswahl möglicher Perspektiven dar. 2000 Jahre Christentum mit all seinen Erscheinungsformen sind ein gutes Beispiel dafür. Ausstrahlung haben nur wenige Menschen. Berühmte Beispiele aus der Neuzeit sind Ghandi, Mandela, King, Beispiele aus der Historie sind Jesus, Mohammed oder Laotse, um nur einige wenige zu nennen. Wenn wir Ausstrahlung begegnen, werden wir es daran bemerken, das weder Begierde noch Macht noch Glauben im Spiel sind. Da ist ein Mensch der strahlt, so ganz ohne Grund. Wir sehen es, können es aber nicht erklären. Und es ist nicht immer nur das Gute, das wir dabei erleben werden. Auch das Erlebnis von Ausstrahlung nämlich kann zur Begierde werden und beraubt uns damit unserer Freiheit.

Alle Phänomen dieser Art müssen uns bewusst sein, wenn wir in ein entwicklungsfähiges Bewusstsein wie das Mentale vordringen oder zurückkehren wollen. Wir müssen sie alle kennen und handhaben können: Begierde, Macht, Besitz, Hass, Ausstrahlung, Begeisterung und so weiter. Und es hilft nicht, das wir das Beachten dieser Kenntnisse dann als „LIEBE“ bezeichnen. Denn mit dieser Zusammenfassung haben schon wieder eine Auswahl getroffen, die von jedem anders interpretiert werden kann. Wir sollten es einfach so benennen, wie wir es auch erfahren. Und das Rätselraten darüber, wohin es eigentlich gehen könne, ist unsinnig. Wir wissen es nicht! Punkt.

Wir hören oft, das so eine Weltsicht Nihilismus sei, eine totale wenn nicht sogar totalitäre Verneinung, die den Menschen Angst machen wird und die daher für eine Gesellschaft schlecht wäre. Ich halte das für einen Irrtum. Ein Mensch, der jegliche Form von Sinngebung verneint, also keinen Glauben annimmt oder kein Ziel wie auch immer geartet verfolgt, ist wenig manipulierbar. Er wird keiner Versprechung nachlaufen, keiner Fahne folgen oder vor anderen aus taktischen Gründen den Bückling machen. Wozu sollte das gut sein? Und ich sage „wenig manipulierbar“, denn er wird sein eigenes Leben und das seiner Lieben beschützen wollen wie alle Wesen auf dieser Welt das so tun. Er stellt sich oder er weicht hier und da auch aus, wenn der/ein Erfolg ungewiss scheint. „Überleben wollen“ gehört zur Homöostase, vielleicht nicht um jeden Preis, aber sicherlich wird das sehr oft das entscheidende Motiv sein, das sich durchsetzt. Und verraten kann man nur einen Glauben, ein Ziel, eine Anhängerschaft oder ein Dogma, und wer diese nicht beherbergt, kann sich auch eines Verrats nicht schuldig machen. Wer kein Ziel kennt, wird auch nicht irgendwann irgendwo ankommen müssen. So einfach kann Argumentieren sein. Und was bleibt ist das Leben in all seiner Pracht und Vielheit. Wir machen Menschen, die wir lieben, gerne zum Geburtstag eine Überraschung. Warum aber lassen wir uns nicht jeden Tag überraschen, vom Leben, von der Welt und von den unbegrenzten Möglichkeiten darin. So würde ich den aus der Mode gekommenen Begriff der WEISHEIT heute definieren wollen. Vielleicht ist das ein bisschen zu einfach, aber wollen wir immer weiter mit undurchschaubaren Definitionen arbeiten? Ich denke nicht!




Das Problem mit der „Rückkehr zum Urgrund“

Oftmals, wenn ich ein Buch oder eine Schrift mir vornehme, mit der ich Informationen und Anstöße zum Lebensgefüge meiner Selbst zu bekommen hoffe, stoße ich auf einen Vorschlag, eine Anweisung oder eine Idee, die soviel ausdrückt, als müsse ich eine Handlung verfolgen, die zurück zum Uranfang, zum Ursprung oder zum Urgrund führen könne. „Zurück“ ist der erste Begriff, der mich stört, denn ein Zurück kann es doch nur in Gedanken, innerhalb von Vorstellung und Geschichten, geben. Und die zweite Störung empfinde ich bei der Vorsilbe „Ur“, die mir zu suggerieren scheint, es gebe so etwas wie den einen Ausgangspunkt der Entwicklung, den einen Anfang, das Ereignis des Anfangs, der heute in mein aktuelles Leben mündet.



Gedanken zum Verzweifeln – 001

Beginnen wir also mit der Begrifflichkeit „zurück“. Also mir ist im Grunde genommen keine Handlung bekannt, die dazu in der Lage wäre, einen Gedanken und der damit verbundenen Handlung, der in der Vergangenheit liegt, rückgängig, ungeschehen zu machen oder in „nicht stattgefunden“, „nicht wirklich gewesen“ zu verwandeln. Selbst ein reiner Gedanke, der mir in den Kopf steigt und aufgrund seiner Seltsamkeit [1. Seltsamkeit = passt nicht in mein gelebtes Gefüge] sofort wieder verworfen wurde, wurde gedacht und bleibt somit wirklich. Denn wie oft geschieht es mir, das in einer späteren stillen Minute dieser seltsame Gedanke wieder erscheint, um erneut anzufragen, ob er nicht doch irgendwie zu berücksichtigen sei. Und auch eine Handlung, die begangen, aber nicht von irgend jemand bemerkt wurde, ist begangen und damit auch vorhanden. Wir wissen als einzelne Menschen doch gar nicht, was Gedanken und Handlungen in die Welt zu setzen vermögen. Das alles zu überblicken würde uns unserer ganzen Kraft berauben und lähmen für alle Zeit. Es ist doch gerade das Geheimnis des Menschen, das er in der Lage ist, ohne wirklich zu wissen, was zu tun sei, in Angesicht des Flusses des Erscheinenden, einfach gehen kann. Es ist seine Stärke, das er, ohne grundsätzlich von Programm, Instinkt oder Trieb gesteuert zu sein, in vielfältiger und oft auch seltsamer Weise handeln kann. Er macht einfach. Das ist ja auch das Problem, das menschliches Dasein seinem eigenen Selbstgefühl stellt. Wir wissen oft nicht, versichern uns oft nicht, schützen uns oft nicht und tun trotzdem ständig etwas. Was, um zum Thema zurückzukehren, bedeutet dann „zurückgehen zur Quelle“, zum Anfang, als ob die Quelle jemals der eine Anfang gewesen sei. Haben wir nämlich die Quelle gefunden, fragen wir doch weiter, wo das Wasser herkommt, das diese Quelle speist. Und haben wir den Grund gefunden, aus dem das Wasser zur Quelle fließt, fragen wir weiter, wie es denn dort hinkommen konnte. Und was mit dem Fluss, der Quelle und dem Wasser sich nicht lösen lässt, lässt sich auch mit Gott und meinem Selbst nicht lösen. Das Ausschließen, Transzendieren oder Einrahmen, das wir in nahezu jeder Schrift irgendwo finden, ist doch auch keine Lösung, sondern die Fragen bleiben. Und was wir im Grunde dann tun, ist, irgendwann aus der puren Verzweiflung heraus ein Ende zu setzen, das jeder Logik unseres Denkens widerspricht. [2. Was in der Bibel steht, stimmt! Woher weiß ich das? Es steht in der Bibel!] Das Fragen wird so niemals zu einem Ende kommen können, das ist in meiner Vorstellung einfach sicher, denn ein Ende zu setzen heißt doch, mit Glauben beginnen zu müssen. Und mit Glauben habe zumindest ich so mein Problem.



Betrachten wir, um weiterzukommen, dann einfach den zweiten Störenfried, die Vorsilbe „Ur“. Laut Wikipedia dient die Vorsilbe Ur… dem Bezug auf eine lang vergangene, alte oder ursprüngliche Sache. Einen weiteren Bezug findet diese Vorsilbe in Bezug zu einem Ausgangspunkt und als Steigerungsform (Augmentativbildung) wie bei „urgermanisch“ zum Beispiel. Der nächste Bezug ist die Verwendung bei Ahnenreihen, wo sowohl zukünftige als auch vergangene Verwandte mit Ur… beginnen wie bei Urenkel und Urahnen. Und natürlich gibt es diese Steigerungsform auch bei Jugendsprachen, wo sie wie bei „urcool oder urgeil“ als ins Exzessiv gesteigert verwendet werden.

Was ist also jetzt der Uranfang? Wahrscheinlich ist meiner Einschätzung nach damit der Ausgangspunkt gemeint, den der Sprecher als letzten oder öfters auch mal als ersten Punkt seiner Befragungsreihe festgelegt hat. Wir finden solche Punkte in der Astronomie als Urknall, in der zum Beispiel christlichen Theologie als der Urahn (Adam), in der Chemie als der Urstoff (Wasserstoff als Element). In der Spiritualität finden wir solche End- oder Anfangspunkte als Atman oder das Selbst, wobei beide als die letzte oder erste Ebene angesehen werden. Wir können das dann zielführend den Urgrund nennen. Nun sind die europäischen und indischen Systeme ja alle auf der Kausalität, dem Ursache-Wirkungsprinzip aufgebaut. Hier liegt wie bei nahezu allen europäisch orientierten Religionen und Anschauungen [3. Die Wissenschaften westlichen Stils sind hier ebenfalls dabei.] entweder ein oder mehrere Götter oder ein synthetisches Prinzip (Transzendenz, Existenz, Universum) zugrunde. Kurz gesagt ist die Befragungsreihe ja nicht abgeschlossen an den genannten Punkten, sie wird aber einfach so, sozusagen willkürlich, unterbrochen, weil die Menschen der Gesellschaft sich in Glauben und Wissen und in Bezug zu entsprechenden Definitionen darauf geeinigt haben, das so zu tun.

Was wir bis jetzt vorfinden, ist doch folgender Sachverhalt: Bei den zusammengesetzten Wörtern aus den Eingangszeilen, gibt es einen gesetzten Punkt, der nur aufgrund einer Vereinbarung nicht überschritten werden sollte. Diesen Punkt nennen wir Grund, Urgrund. Zurück zu ihm können wir nicht gehen, das haben wir schnell eingesehen. Wir können ihn uns nur vorstellen. Und in dieser Vorstellung kreierten, erfanden Menschen jeglicher Tradition in allen Zeiten ihren ureigenen (im Modus der Verstärkung) Beginn. Ich sehe das heute so wie zum Beispiel bei den alltäglichen Beurteilungen der Spezialisten an den Börsen. Jeder reimt sich dort irgend etwas zusammen, proklamiert das öffentlich und hofft, das viele Andere dieser Argumentation folgen und mit Taten unterfüttern, wobei mit zunehmenden Erfolg das Erratene immer mehr Wahrnehmung und somit mehr Wirklichkeit bekommt. Das besonders die erfolgreichen Treiber dieser Wirklichkeit in Wahrheit am Anfang ihrer Tätigkeit eigentlich Lügner und Betrüger waren, spielt dann schon bald keine Rolle mehr. Und hier haben wir dann auch die spezifische Eigenschaft des Menschen, die diese Lebensform vor allen anderen Wesen auszeichnet: Menschen sind unter allen Tieren die am höchsten entwickeltesten Lügner und Betrüger [4. Darüber in einem anderen, späteren Artikel mehr…]. Ihren Erfolg verdanken sie in weiten Teilen der überragenden Fähigkeiten zur Täuschung und Überlistung ihrer Feinde und Opfer, und weitergehend sogar noch gegenüber sich selbst. Und natürlich spielt auch Ausbeutung in allen Belangen eine Rolle. Aber das ist dann eine ganz andere Gedankenlinie. Nun gelten diese Ausführungen für alle der Kausalität folgenden Systeme. Aber es gibt ja auch solche, die weder diesem Prinzip folgen (Das klassische China wäre ein Beispiel) noch so etwas wie einen Urgrund kennen. Der Buddhismus sieht eine Leere als so etwas wie den Grund an, aber „leer“ ist ja ein Eigenschaftswort, das so etwas bedeutet wie „nicht gefüllt mit etwas“. Da ist also bezüglich der Füllung kein Etwas, kein Subjekt zu erkennen. Und da die Metapher eines Gefäßes im buddhistischen Theoriegebäude ja auch bestritten wird, das Gefäß Universum ist unendlich und wird sogar als zeitlos gedacht, kann es somit gar nicht leer sein. Leer-Sein-Können bedarf immer eines abgegrenzten Raumes, eines Rahmens. Den gibt es für das Universum aber nicht. Im Mahayana [5. Der Mahayana ist die vorherrschende Form des Buddhismus] wird das sogar noch weitergeführt und als „Leerheit“ bezeichnet, also als ein Substantiv eines ursprünglichen Adjektivs. Für uns Europäer ist das vollkommen unlogisch. Im Leeren ist keine Substanz, kein Anfang, kein Ereignis, das sich eingrenzen ließe, möglich. Wo etwas leer ist, da ist nichts drinnen. Und wie kann etwas Unbegrenztes, Unendliches und sogar zeitlich nicht Eingrenzbares, als sozusagen „Alles, was ist“, leer sein.



Es stellt sich doch stets die Frage, was es mit dem Urgrund, den wir finden sollen und wollen und der so wichtig scheint, eigentlich verbinden. Was erreichen wir eigentlich, wenn wir den Urgrund erreichen? Was gibt es dort, was es hier und jetzt nicht zu geben scheint? Häufig wird dieses Erreichen als eine Erleuchtung angesehen, als ein Ankommen in Vollendung, eine Erfahrung, die alles andere in den Schatten stellt. Aber betrachten wir das einmal nüchtern. Das dort zu Erreichende wird ja nicht erst jetzt für uns geschaffen. Es ist ja schon da, war schon da vor meiner Geburt, und wird mein kurzes Leben auch überdauern. Darin sind sich sich alle einig, die zurück zum Ursprung wollen. Was erreichen, erleben, erfahren wir also, wenn wir ankommen? Ist es nicht eher das Erlebnis der Erfahrung, sich über Jahre hinweg stets geirrt zu haben, herumgeirrt zu sein in Geschichten und Setzungen, die nicht einmal die Spur einer Realität aufweisen. Und ist das Ergebnis der Brillensuche, das beschreibt, das ich dieses gesuchte Objekt schon die ganze Zeit auf der Nase sitzen habe und ich ich nicht in der Lage war, das zu bemerken, nicht eher ernüchternd und nicht als erhaben zu betrachten. Im Buddhismus sind Gier, Hass und Verblendung die drei großen Übel, die den Menschen auszeichnen. Weniger zu begehren, weniger zu hassen und weniger verblendet zu sein wäre also ein Schritt auf dem Weg zum Ziel. Aber ist die Suche nach einem Ziel nicht auch Begehren. Ist unsere Verblendung, die wir bemerken müssen, um ans Ziel zu gelangen, nicht gleichzeitig auch zumindest etwas Hass auf uns selbst, zumindest in der Form, in der wir uns gerade jetzt sehen. Und ist Verblendet-Sein nicht immer mit „einem Wissen, das…“ verknüpft. Ist also, um exakt weiter zu fragen, ein Ziel zu haben nicht Verblendung? Somit wäre auch das Zurückkehren wollen zum Ursprung also auch Verblendung? Kompliziert? Nein, Logik!

Betrachten wir daher das ganze Dilemma mal aus einer weiteren Perspektive. Gibt es einen Anfang? War am Anfang meiner Existenz wirklich meine Zeugung oder Geburt? Für mich als Mensch betrachtet mag das aus allgemein gültiger Sichtweise ja folgerichtig sein. Für mich persönlich aber finde ich diesen Anfangspunkt nicht. Viel eher erscheint mir das Erlebnis eines Aufwachens in einer bereits vor-ausgebildeten Existenz viel wahrscheinlicher zu sein. Der erste und älteste Punkt in meiner Erinnerung liegt in etwa im Alter von vier Jahren und besteht nur aus einer sehr kurzen Sequenz. Bereits der nächste Punkt liegt Jahre später, bei etwa acht Jahren und war ein sehr einschneidendes Erlebnis. Dazwischen ist, bis auf sehr kleine Zwischentöne, überwiegend Bilder, absolute Leere, in der Definition „keine Erinnerung“. Trotzdem kommt es mir vor, als wäre diese Leere doch irgendwie von mir durchlebt, durchlitten worden. Da ist kein Bruch durch die fehlenden Erinnerungen. Treiben wir es jetzt einfach mal auf die Spitze. Was wäre, wenn wir uns generell an Vergangenes nicht erinnern könnten? Wie würden wir denken, wie leben? Ich bin mir sicher, das wir als Menschen so in freier Wildbahn nicht hätten überleben können. Die Erinnerung gebiert in meiner Vorstellung ja gerade die Fähigkeiten, mit denen der körperlich eigentlich so schwache Mensch sich in der Natur gegen viele Neider und gefräßige Feinde hat durchsetzen können. Sollte die Erinnerung also nicht eine besondere Rolle spielen auch in der Planung einer Zukunft?

Es gibt im Chinesischen die schöne Geschichte mit dem Boot, das bei einer Wanderung zur Überfahrt eines gefährlichen Stromes benötigt wurde. Am anderen Ufer angekommen allerdings, ist es dann nicht mehr von Nöten. Es kann getrost zurückgelassen werden. Wenn unsere Erinnerungen wie das Boot gesehen werden, müssten wir dann nicht zu einer Schlussfolgerung kommen, die besagt, das Erinnerungen der Vergangenheit hier und da mal von Nutzen, überwiegend aber eher zu einer Last zu werden drohen, wenn sie nicht wirksam ausgedünnt werden. Die Frage ist doch, wie kann so ausgedünnt werden, das verschwindet, was wir nicht brauchen, und bleibt, was in naher Zukunft eventuell noch benötigt wird. Ich weiß nicht, wie das geschehen kann. Und damit bin ich wieder an der Stelle angekommen, die ich am Anfang des Artikels schon einmal gestreift habe. Ich weiß nicht und gehe trotzdem. Und wieder einmal bin ich gedanklich im Kreis gelaufen.



Oftmals müssen wir raten, müssen einfach tun auch ohne Wissen, ohne Nachdenken, ohne Sicherheit. Ist es nicht das, was ein Leben so richtig spannend und aufregend macht. Was ich allerdings einschränkend konstatieren muss ist der Ratschlag, das bei allem Mut trotzdem immer etwas im Hintergrund eine Rollen spielen sollte, das sinnvolle Maß. Daher unterscheiden wir auch zwischen den Begriffen Mut und Wagemut. Wir müssen viel riskieren, um recht zu leben, ja, aber das gilt eben nicht für alles und nicht zu jeder Zeit. Maß-Halten ist somit nicht nur ein Begriff für das Langweilige in einem, sondern sogar eine absolut notwendige Bestrebung für das Leben. Ein rechtes Leben enthält daher in meiner Vision immer einen gut durchdachten Anteil von Maß. Das gilt das für den Umgang mit Menschen, mit Tieren und Pflanzen, mit der Technik und auch innerhalb von kulturellen Systemen. Die Frage, die ich mir häufig stelle, ist: Muss das wirklich sein? Und sehr häufig und mit zunehmenden Alter immer öfter lautet die Antwort: Nein. Und manchmal wird auch schnell „nein“ gedacht und es trotzdem unmittelbar in eine Tat umgesetzt. So ist das eben mit mir als Mensch. Vollkommen-Sein geht wohl doch anders.

Wie am Anfang in der Überschrift ausgeführt, sind diese Zeilen der Versuch 001. Es werden weitere Versuche folgen müssen, wie das dreistellige Format das schon in der Überschrift, durchaus pessimistisch vorgeprägt, vorzugeben scheint. Vielleicht mit einem anderen Einstieg, vielleicht mit anderen, konträren Gedanken, vielleicht auch mit anderen Schlussfolgerungen. Ich denke, es müssen im Denken noch viele Versuche zum Scheitern gebracht werden, um wirksam vorwärts zu kommen. Es bleibt, zumindest für mich als Schreiber, spannend. Und das ist es auch, was mich auch in Zukunft hoffentlich zum Denken-Wollen beflügeln wird.




Spirituelle Suche und Weisheit

Bei der spirituellen
Suche sprechen wir gerne, ausgelöst durch eine große wahrgenommene
Sehnsucht, von der Suche nach Einheit, Befreiung, Erlösung,
Erleuchtung, um durch deren Verwirklichung ins Wahre, Schöne, Gute
oder auch nur in eine friedvolle Stimmung und Lebensführung zu
kommen, die die Angst vor dem Tod oder dem Vergehen endgültig zu
besiegen und so der Welt, dem Lebendigen und uns selbst das wie immer
gestaltete Paradies zurückzuerobern verspricht. Das ist die Vision
nahezu aller Befreiungs-Theorien, die die Welt und deren umfangreiche
Literatur zu bieten hat. Ich möchte nachfolgend einmal versuchen,
etwas Struktur in diese Formen zu bringen und werde mich dann trauen,
einige Begriffe und Annahmen kritisch zu hinterfragen.



Zunächst bedeutet
spirituell zunächst einmal „Geistigkeit“, also eine
Lebenshaltung, die der geistigen und fein-stofflichen den Vorzug vor
der materiellen Welt einräumt. Diese Ausrichtung erfolgt in dem
festen Glauben, eine Sehnsucht zu verspüren, die nach dieser als
Priorität angesehenen Fähigkeit Ausschau halten lässt. Nun ist
eine Sehnsucht in normalen Fällen ein Gefühl, das uns uns nach
einem bekannten und als wohlfühlend erkannten Umfeld zurücksehnen
lässt, also einer Umgebung oder Ausrichtung, die uns gewohnt war und
die wir verloren haben. Die Sehnsucht nach dem Zuhause oder auch
einer bestimmten Menschengruppe, nach bestimmten Orten oder
klimatischen Verhältnissen, nach bestimmten Essen oder einer
Tätigkeit ist nahezu jedem hinlänglich bekannt und auch
verständlich. Die Sehnsucht nach Befreiung allerdings würde, im
selben sprachlichen Kontext gebraucht, bedeuten, das wir einmal frei
waren, diese Freiheit verloren haben und uns dahin zurücksehnen. Ein
verständliches Gefühl. Wie aber würde es sein, wenn wir vollkommen
sicher sein müssten, das wir die so ersehnte Freiheit noch niemals
haben genießen können, zumindest nicht in diesem unserem Leben seit
unserer Geburt?

Das würde bedeuten,
das wir diese Sehnsucht nicht aus uns heraus, also aufgrund einer
eigenen erlebten Erfahrung, sondern auch einem anderen Grunde in uns
aufleuchten sehend erkennen müssten. Diese anderen Gründe könnte
die Geschichten sein, die uns Religionen, deren Bräuche und
Überlieferungen, also Erzählungen vermitteln. Das Paradies zum
Beispiel ist so eine Geschichte, die uns den Verlust der perfekten
Welt vermittelt und uns anhält, ja nur alles so zu tun, wie es
verlangt wird, um den Einzug in diese schöne Welt nicht zu verpassen
oder zu verspielen. Andere Geschichten erzählen von einem Raum des
endlosen Lebens, in dem es weder Not noch Angst gibt und in der alle
Wesen in Glückseligkeit verharren. Das Nirvana des Hinduismus ist so
ein Raum, der über die Realisierung von Atman/Brahman gewonnen und
die leidensreichen Wiedergeburten ein für allemal beenden würde.
Andere Wege der Sehnsucht-weckenden Geschichten sprechen davon, das
es Mittel und Wege gibt, uns vom Leiden in der Welt zu befreien und
was uns ermöglicht, ein glückliches und einfachen eben zu führen
im Einklang mit der Natur und seinen Schönheiten. Viele sogenannte
Aussteiger und sogar eine ganze Generation der westlich-zivilisierten
Welt in den 70er Jahren sind diesen Rufen gefolgt. Diese Geschichten
sind bekannt, verbreitet und heute jedem zugänglich. Die moderne
Geisteswissenschaft nennt sie Narrative, Kultur-begründende
Erzählungen, die unser Denken und Streben zu begründen vermögen.
Was wäre also, wenn sich die wahrgenommene spirituelle Sehnsucht auf
diesen Narrativen begründen würde? Würden wir einen oder den
wichtigen Unterschied bemerken?



Gehen wir in der
Eingangsbeschreibung einen Schritt weiter und beschäftigen wir uns
mit den Zielen, denen unser Aufbruch zugrunde liegen könnte. Ich
meine die Suche nach Einheit, Befreiung, Erlösung, Erleuchtung, oder
um eine Verwirklichung ins Wahre, Schöne, Gute oder auch nur in eine
friedvolle Stimmung und Lebensführung. Wie kann ich mir das
vorstellen? In den meisten Theorien um Befreiung überhaupt geht es
doch um die Erringung einer Haltung, die als Einheit, Das Eine, Das
All-Eine oder Gott, Atman, oder Monade beschrieben wird. Auch die
altbekannte Seele, die es stets und immerzu zu retten gilt in
christlichen Religionen, gehört hier in die Sammlung hinein. Keines
dieser Begriffe, alle als Substantiv angelegt, liegt in irgend einer
Form eine materiell oder wissenschaftlich zu begründende Substanz
zugrunde. Substantive beschreiben Lebewesen, Gegenstände und
Begriffe, so will es deren Definition. Begriffe wiederum beruhen auf
hierarchischen Systemen, die sich aus Einzelbegriffen zusammensetzen
und so komplizierte Vorgänge in einem Wort zu beschreiben vermögen.
Ein schönes Beispiel hierfür ist Kants „Kategorischer Imperativ“,
dessen Verständnis-Voraussetzungen ganze Bücher zu füllen vermag.
Auch die Eingangs genannten Begriffe Einheit, Atman und so fort sind
solche Begriffsbündel, die so leicht und einfach nicht zu verstehen
sind. Erschwerend kommt hinzu, das verschiedene spirituelle
Traditionen in Bezug auf den Inhalt dieser Begriffe sehr
unterschiedliche Bündel benützen und diese als Begriff dann auch
anders definiert sehen wollen. Die Befreiungen des Hinduismus, des
Buddhismus und des Christentums haben, hört man in deren Erzählungen
genau hinein, nicht viel miteinander gemein. Was allerdings wäre mit
all diesen Begriffen, die ja auch alle auf eine absolute Einheit
zielen, wenn Platon recht hätte und seine Behauptung sich als
richtig erweisen würde, das der Mensch als Wesen und mithilfe der
Sprache, die er pflegt, Einheit gar nicht denken kann. Was wäre
also, wenn es Einheit zwar gäbe, aber der Mensch sie nicht erfassen
könnte? Würde er sie trotzdem weiter anstreben wollen, anstreben
können?

Wer sich dann etwa
intensiver mit dem Thema beschäftigt, findet heraus, das sich sei
nahezu 2500 Jahren unzählige Menschen mit diesem Problem beschäftigt
haben und daraus eine unendlich Vielfalt an Zugängen geschaffen
wurde, mit denen das Undenkbare denkbar gemacht werden kann, soll
oder sollte. Jeder Religionsgründer, jeder Philosoph, jeder Weise,
sie alle sind sogar in verschiedenen Weltgegenden und Kulturgebäuden
zu Hause, beschreibt im Grunde seinen Zugang zu dieser
Problemstellung. Es gibt Streit darüber, Disput genannt, es gibt
verschiedenen Grundstrukturen, in denen diese Abhandlungen
beschritten werden und fast ein jeder glaubte sich selbst mit seinen
Ausführungen im Zenit des Universums angesiedelt zu haben.
Grundsätzlich aber gibt es zwei große Strömungen, zwei Wege der
Lösung. Die eine und am weitesten verbreitete Lösung erkennt einen
Bereich des Begrifflichen als gegeben an, den der Mensch weder
begreifen, denken noch erkennen kann, der damit transzendental ist
und als gegeben, gesetzt verstanden werden muss. Transzendentalien
sind Begriffe wie Gott, das Wahre, das Schöne, das Gute, die
Vernunft, die Idee usw, die allem Seienden als Modus zukommen. Sie
sind nicht jenseits des Begriffes, sondern sozusagen als Grundlage,
Font im Begriff als Voraussetzung enthalten.

Die zweite Grundlage
baut auf der Begrifflichkeit der Immanenz auf. Diese bezieht sich
nicht auf Begriffe, sondern auf den Gegenstand, den der Begriff
beschreibt und weist diesem eine innewohnende Eigenschaft zu, die
weder durch Folgerung noch durch Interpretation abgeleitet oder
begründet werden kann. Spinoza zum Beispiel beschreibt Gott als die
eine Ursache aller Wirkungen, die allerdings auch andere Ursachen
zwangsläufig mit einschließt. Immanenz bedeutet immer einen
Einschluss aller Gegenstände und Bedingungen, die Leben und Welt
hervorbringen. Eines der schönsten und weitreichendsten Beispiele
für Immanenz-Denken und dies bezüglich allen Seins zeigt sich im
Taoismus, in dem das „Tao des Himmels“ die rechte Beschreibung
des Wegs benennt, der zum Heil und zum Gelingen führt. Immanenz wird
allerdings in der heute federführenden westlich-orientierten
Philosophie immer nur als Unterkategorie gesehen, wird mit
Naturalismus oder als Einschluss ins Absolute angesehen,
gleichgesetzt und wie eine Vorbedingung behandelt, die dann doch
letztlich ins Gegenteil, also ins Transzendente hinüber führt.
Schelling ist hierfür ein leuchtendes Beispiel.



Alle bisher
genannten spirituellen Begriffe und Erscheinungen beruhen letztlich
auf der Suche nach dem Einen, das alles andere einschließt und somit
dem Fragen ein Ende bereitet in der Hoffnung, damit das Leiden zu
beenden und in Glück und Frieden leben zu können. Was aber, wenn
wir damit einer Täuschung aufgesessen sind und einsehen müssten,
das diese ganzen dialektischen Gebäude sich schon mit einer einzigen
Frage zum Einsturz bringen ließen? Wenn wir das Gute, das Glück und
den Frieden, die Freiheit und die Erlösung anstreben und dieses
alles auch erreichen, wo blieben das Schlechte, das Unglück und der
Unfrieden, die doch mit ihrem Gegenteil auch in die Welt gesetzt
wurden und die es es nun zurückzulassen gilt? Was ist dann mit
denen? Verschwinden die einfach? Wenn sie verschwinden, gibt es
Glück, Frieden und das Gute dann überhaupt noch und was haben wir
dann letztlich erreicht? Der Positivist würde es wahrscheinlich
Glückseligkeit nennen, der Pessimist würde wohl Langeweile dazu
sagen, und was sagt der Weise dazu? Würde der Weise nicht sagen, das
sowohl ein Nachdenken als auch ein Ignorieren dieser Fragen nicht zu
einem Ergebnis kommen kann? Der Weise sagt dazu, das Suchen nicht zum
Finden führt, und meint damit, das die ganze Mühe niemals zum Ziel
führen kann, weil… Und auch hier gibt es wieder viele
Begründungen, aber diese gelten entweder nur für jetzt oder nur für
dich oder beides oder keines von beiden. Was aber meint der Weise
aber damit?

Weisheit ganz
allgemein gesagt, das sich der Mensch am Lauf der Welt, die sich in
Immanenz (Tao, Gott) äußert, orientieren müsse. Da alles
„von-selbst-so-ist, wie es ist“ ist, alles ständig im Wandel
gegriffen ist, sind Natürlichkeit, Spontanität und
Wandlungsbereitschaft die Grundlage für rechtes Handeln und Denken.
In dem wir Harmonie bevorzugen und zurücktreten, bescheiden sind und
ohne ein Ziel zu verfolgen unser Leben leben, kommt alles zu einem
guten Ende. Für den Taoismus, der diese Grundsätze pflegt, gibt es
die Unterscheidungen und Begriffspaare wie Gut und Schlecht, Glück
und Unglück, Frieden und Unfrieden nicht, sondern diese treten im
beständigen Wandel stets gemeinsam auf, werden in der Schrift auch
oftmals zusammen in einem Zeichen verbunden und es gilt, diese
Gegensätze zu überwinden, oder anders gesagt nicht in diesen
Gegensätzen zu denken. Und der Weise begründet das damit, das diese
Paare zwar zunächst kurzfristig zwecks Unterscheidung als hilfreich
ansehen werden können, aber durch den Wandel keinem Wesen oder Ding
dauerhaft zugeschrieben werden können. Damit wird eine Zuweisung
grundsätzlich verhindert. Nichts ist daher von Dauer und so wird
auch nichts als grundlegend betrachtet. Es kann auf diesem Grund
keine Lehre aufgebaut und gesichert werden. Was bedeutet diese
Sichtweise aber für ein Leben in einem westlichen Industriestaat, in
Arbeitsteilung, Sozialverbund und einem kapitalistisch organisierten
Wirtschaftssystem? Das ist eine sehr berechtigte Frage, und darauf
gibt es bis heute wenige Antworten.

Zunächst einmal ist
zu entscheiden, was wir definitiv erfahren haben und somit als Wissen
aus eigenem Erleben zur Verfügung haben und Wissen, das wir nur
gehört und erlesen oder uns nur vermittelt wurde. So ist zum
Beispiel das Gros des Erlebens der Kindheit in der Regel erzähltes
Wissen. Meine erste klare Erinnerung verweist auf das vierte
Lebensjahr und besteht nur aus ein paar Bildern, die als Video nur
Sekunden lang wäre. Die nächsten Erinnerungen verweisen bereits auf
den Schulhof der Grundschule, weitere Erinnerungen gehen meist auf
sehr einschneidende Erlebnisse (Beerdigung, Streit, Strafe) zurück.
Der ganze Rest ist eher dunkel, unscharf und kaum zu einer Geschichte
zusammensetzbar. Mit anderen Worten ausgedrückt ist meine
Kindheitserinnerung entweder mir erzählt worden oder besteht aus
sehr dezenten Fragmenten. Mit dieser Erkenntnis im Gepäck kann ich
aus heutiger Sicht eigentlich nur sagen, das ich irgendwann mit 12
oder 13 Jahren wie aus einem Traum aufgewacht bin. Im Grunde war zu
diesem Zeitpunkt bereits alles fertig, der Status in der Familie, die
Ausbildungsrichtung und auch die Freundes- und Bekanntenkreise sowie
das Gros der Interessen. Selbst die Schule samt meiner Leistungen
darin entzog sich demnach so vollkommen meiner Einwirkung. Ich wurde
in ein Leben geworfen, das seine Bestimmung bereits erhalten hatte.
Die erste wirkliche Freie Gestaltung meinerseits bestand aus der Wahl
meines Ausbildungsplatzes, der gegen den Willen meiner Eltern
erfolgte und daher meine erste freie Entscheidung darstellte. Nur,
die Wahl dazu bestand nicht etwa aus der unendlich großen Zahl an
Berufen, sie bestand im meinem Fall aus genau zwei Alternativen, es
ging also nur noch um ein so oder so. Weder die eine noch die andere
konnte ich damals in voller Klarheit sehen. Ich entschied faktisch
nur nach dem Kriterium, was ich nicht wollte.



Exkurs:

Grundsätzlich gibt es für jede Form des Lebens Phasen, die
allgemein als gültig angesehen werden können. Die Phase der
Kindheit und der frühen Jugend erfolgt in Abhängigkeit von den
Erwachsenen (Phase 1), die die Betreuung von jungen Menschen
übernommen haben. Dann erfolgt in noch sehr jungen Jahren die Phase
der Abnabelung von den ersten Göttern, die praktisch die Eltern
darstellen und Pubertät (Phase 2) genannt wird. Mit etwas Glück
trifft man, wie oben beschrieben, hier erstmals eine eigene
Entscheidung. Dann geht die Ausbildung in die zweite Phase, Beruf,
Passion, Orientierung genannt (Phase 3), in der Regel kombiniert mit
der beginnenden Aufgabe als Eltern, dann erfolgt eine
Stagnationsphase in einer beruflichen Routine, begleitet von der
Abnabelung der eigenen Kinder (Phase 4), dann kommt der Eintritt in
den Ruhestand (Phase 5), der dann von Stagnation begleitet (Phase 6)
mit dem Tod endet, entweder mit Krankheit und Pflege begleitet,
unterschiedlich lang oder auch kurz und überraschend. Was wir aber
immer sehen können, meiner Meinung auch müssen, ist die Tatsache,
das sich hier im Leben eines Menschen nur ein einziger
Abnabelungsprozess ausgebildet hat. Zumindest wird in unserer Kultur
und Wissenschaft in der allgemeinen Anschauung und kulturellen
Beschreibung nur ein einziger dieser Prozesse beschrieben und
behandelt, und das ist die Pubertät. Das ist meiner Ansicht nach
falsch. Warum sehe ich das so? Ab Phase drei gibt es in unserer
westlichen Kultur keine wirklich Wahl mehr. Es muss ja ein Einkommen
aufrecht erhalten werden. Jeder Bissen und jeder Schluck kostet. Der
erlernte Beruf, die gegründete Familie erlaubt maximal noch eine
berufliche Fortbildung, die zwar mehr Geld bringt, aber dafür über
Jahre hinweg die komplette freie Zeit bindet. Bleibt man einfach im
Beruf, erfolgen automatisch Stagnationsphasen. Nur wenige Berufe
erfordern lebenslanges Lernen, und so wird die Routine Tagesgeschäft.
Das nervt, erst sich selbst, dann die Umgebung, und führt nicht
gerade zu einer ausgeglichenen Stimmungsstabilität. Viele Ehen gehen
in dieser Zeit einfach zugrunde. Dann wird das Rentenalter erreicht.
Die Kinder sind selbstständig, die Routine erlischt und plötzlich
steht die große Freiheit vor der Türe. Ein leistungsloses
Einkommen, viel freie Zeit und 52 Wochen Urlaub. Nicht jeder
verkraftet das. Wohl dem, der jetzt über ein Hobby, einen
Bekanntenkreis in der gleichen Altersgruppe und/oder eine Passion
verfügt, die ein sinnvolles sich beschäftigen erlaubt. Vorbereiten
konnten sich nur wenige auf all diese Brüche. Die meisten Wendungen
und Wandlungen kommen unverhofft und ungeplant. Muss das aber so
sein?

Was ist daraus
abzulesen? Warum schreibe ich das auf? Und natürlich habe ich mich
gefragt, wie viel davon ist autobiographisch. Und auch die Frage habe
ich gestellt, ob man dieses alles als eine allgemein gültigen Ablauf
bezeichnen kann. Was mir persönlich immer mehr auffällt und zur
Klarheit kommt, ist die Tatsache, das wir in unserer zivilisierten
Welt zwar immer mehr Wahrheiten erkennen und Erscheinungen aufdecken,
das daraus aber nahezu immer keinerlei Reaktionen erfolgen.
Anscheinend, zumindest ist dies ein erster Erklärungsansatz, erkennt
die große Mehrheit der Menschen zwar die Aussagen im Einzelnen, aber
verfügt nicht mehr über die Fähigkeit, diese einzelnen
Erkenntnisse zu einem Ganzen zusammen zu fügen. Ich für meinen Teil
habe mir einige Traditionen spirituellen Arbeitens angesehen, und
obwohl ich mich letztlich für zwei dieser Übungsweisen entschieden
habe, halte ich alle anderen Möglichkeiten nicht für falsch oder
unbrauchbar. Und um in Zen-Sprech diese Erkenntnis auszudrücken, all
diese oftmals auch seltsam anmutenden Wege führen zu ein und
demselben Ziel. Sie sind nur unterschiedliche Pfade im gleichen
Gelände, denn: Der Weg liegt vor unseren Füßen, ist unendlich
breit und ist so offensichtlich, dass er wie der Wald vor lauter
Bäumen nicht wahrgenommen wird. Das Problem dabei ist, das ein
Abstand zwar hilfreich wäre, um wahrnehmen zu können, aber nicht
möglich erscheint. Denn von Allem als Einem kann es keinen Abstand
geben. Es müsste also mindestens zwei geben, um eines davon
wahrnehmen zu können. Und aus Zweien entsteht dann ein Drittes und
daraus, wie es im Zen heißt, die Welt. Aber die Welt ist trotzdem
nur Eines, und dieses Wissen im Hintergrund zu halten und doch in
Teilungen zu denken ist das große Problem der spirituellen Suche
überhaupt.



Nun sind
Transzendenz und Immanenz ja Gegensätze, die beide bis zum Einen hin
gedacht, aber nicht denkend realisiert werden können. Daher
versuchen beide Richtungen, das Denken auf die eine oder andere Art
auszugrenzen, auszuschließen. Aber im Einen geht ausschließen ja
eigentlich ebenfalls nicht. Daher versucht der Weise auch nicht, das
Denken auszuschließen, sondern zu vereinen. Und die Mittel zu diesem
zunächst als unmöglich zu bezeichneten Sehen ist der Versuch, das
Denken in Gegensätzen und Wertungen, die ja ebenfalls immer etwas
ausschließen, zu meiden, soweit das eben möglich ist. Dies gelingt
in der Annahmen der Wandlung, die immanent gedacht, sowohl das eine
wie das andere als vorhanden betrachtet, aber durch den Abstand der
Wandlung jeweils immer nur eines von beiden zur Existenz kommen
lässt, das andere aber denkend als immanent mit einbezieht. So kann
eine Aussage heute richtig, aber morgen bereits falsch sein, kann ein
Rat für den einen richtig, für einen anderen aber falsch sein. Da
nichts von Bestand angenommen wird, ist nichts als Gesetz, Regel oder
Sein festgelegt. Alles besteht in Abhängigkeit zu anderen. Daher
kann es für Weisheit auch keine Regeln, keine Festlegungen, keine
Grundsätzlichkeit geben. Alles steht zu etwas in Abhängigkeit, um
existent zu sein. Die Fachwelt nennt das relativierend denken. Es
gibt nur endlose Relationen, keine feste Substanz. Daher auch die
Aussage, das im Grunde genommen alles leer ist, da nichts, was
existiert, ewig andauern kann. Alles ist im Fluss, oder besser gesagt
im Wandel. Niemand kann sagen, wann dieser Wandel einsetzt und wie
lange er andauert. Und da nichts ewig ist, was vergehen kann, kann
das alles auch leer genannt werden. Und so ist auch der Satz zu
verstehen, das „nur die Leere existiert“, denn ewig ist nur das,
was nicht vergehen kann. „Sein an sich“, das ist die Lehre der
Weisheit, gibt es nicht und kann es sogar gar nicht geben. Kein Gott,
kein Selbst, kein Atman und keine Monade wird ewig andauern, kein
Verstand, keine Vernunft und kein Sein kann als ewig gültig
angenommen werden. Sein kann nur etwas in Bezug zu anderen. Dazu aber
kann es nicht auf Das Eine reduziert werden. Es kann nur in Relation
gedacht werden.

Wenn wir uns in
Spiritualität bewegen, muss und sollte uns dieser Konflikt in jedem
Fall klar vor Augen stehen. Das Eine ist und bleibt im Hintergrund,
immer, ist nicht fassbar und nicht vermittelbar. Und ab zwei erst ist
Dialektik, also Denken überhaupt möglich. Wir können uns daher der
Wirklichkeit, der Wahrheit denkend nur annähern, aber das Ziel nie
erreichen. Und nur, wer bereit ist, das auch zu verstehen, kann weise
genannt werden. Die spirituelle Suche bleibt daher immer ohne Ziel.
Es ist der Weg, um den es geht, es ist das Fortschreiten auf einem
Weg (…der kein Ziel haben kann, weil ein Ziel den Weg am Ende
verlöschen ließe…), auf dem spirituelle Suche stattfindet.




Es sind Interpretationen, die den Fluss zum Stehen bringen…

Im spirituellen
Umfeld sind Sätze, die mit „Ich“ anfangen, oft verpönt. Und
meist wird dieses „Ich“ dann nicht als Subjekt, sondern als
Objekt betrachtet, wie zum Beispiel im Zen in der Frage: „Was bin
ich?“ Was aber bedeutet das? Für mich ist das eine der
schwierigsten Fragen, die ich kenne.



In unserer Sprache
ist die Trennung von Subjekt (Ich sehe/denke/bin…) und Objekt (das
Gesehene/Gedachte/Seiende…) selbstverständlich. Daher beginnen
viele Sätze mit „Ich…“ und deuten von da auf ein
Objekt. Subjekt und Objekt bewohnen so verwendet nicht die gleiche
Welt. Für das Subjekt ist alles, was nicht-Subjekt ist, Welt. Es
gibt daher immer ein „Ich“ und eine „Welt“. Bin ich aber
nicht auch in der Welt, bin ich nicht sogar ein Teil der Welt, gehört
also „Ich“ nicht zur Welt und die Welt nicht ebenso zum „Ich“?
Immanenz nennt die Wissenschaft dieses Phänomen, das wir aber aus
meist praktischen Gründen in unserer Sprache stets missachten. Man
nennt das Dualismus. Und Dualismus ist eine Setzung, die uns das
logische Denken, dem wir folgen (wollen), auferlegt. Geht das nur so?
Diese Frage beschäftigt mich seit langem.

Nach unserer Logik
ist Sein ein absoluter Begriff. Und Aristoteles hat
festgelegt, das „zu sein“ nicht gleichzeitig „nicht zu sein“
bedeuten kann. Nehmen wir den Menschen als Ding, so ist er jetzt im
Augenblick ganz sicher im Sein. In 200 Jahren allerdings wird er das
wohl nicht mehr sein können. Der Zustand des „nicht-Seins“ wird
also mit großer Sicherheit entstehen. Wie geht das aber dann, vom
„Sein“ ins „Nicht-Sein“ hinüberzuwechseln, wenn das nach
unserer Logik gar nicht langsam und kontinuierlich geschehen kann,
denn für einen Übergang müsste „Sein“ dann das „nicht-Sein“
ja bereits enthalten, um hinüber wechseln zu können. Nach
Aristoteles und auch nach heutiger Auffassung geht das nicht, ist das
unlogisch. Nun sind solche Fragen philosophischer Natur und für
Otto-Normal keine ernsthaft zu betreibenden Problemfälle. Wir
sterben einfach, basta. So ist das eben! Das „Warum sterben wir?“
und auch die Frage nach dem „Danach“ sind nicht so wichtig.
Trotzdem, diese Frage liegt oft und ganz besonders in der Aktualität
wie ein Stein im Rucksack der Seele, bringt die Unsicherheit und
Ungewissheit doch die alltägliche Angst hervor, die allgemein üblich
in unserem Kulturkreis mit dem Tod verbunden wird. „Sein“ kann
nicht als absolut gesetzt werden. Trotzdem verwenden wir es genau so,
warum? Was fehlt? Müsste zwischen „Sein“ und „nicht-Sein“
nicht ein Übergang gesetzt werden, der so etwas wie Dauer besitzt?
Lässt das unsere Sprache überhaupt zu?



Eine Lösung des
Problems mit dem „Sein“ ist die Setzung einer „Seele“.
Diese ist unsterblich, ewig, wird uns ins Paradies nach guten Taten
oder in die Hölle nach schlechten Taten eintreten lassen oder
irgendwie wiedergeboren werden, um sich erneut zu bewähren. Wenn ich
einem Menschen die Seele abspreche oder behaupte, diese sei verloren,
werde ich große Reaktionen heraufbeschwören. Die Seele, auch gerne
Monade oder Atman genannt, obwohl weder jemals erkannt, gesehen noch
gewogen ist ein heiliges Gut. Sie erlöst vor der Angst. Aber sie
verhindert auch das Leben. 2000 Jahre christliche Geschichte [1.
Empfehlung: Schatten über Europa, Rolf Bergmeier, ISBN
978-3-86569-075-3] zeigen mehr als deutlich auf, wie groß die Angst
vor dem Seelenverlust sein kann und welche fatalen Wirkungen diese
neue Angst zeugt. Diese sind in weiten Teilen der Welt auch heute
noch oft größer als die Angst vor dem Tod. Haben wir mit der der
Setzung der Seele also nur eine Angst gegen eine andere eingetauscht?
War die Setzung der Seele nur ein cleveres Machtinstrument, das
Wenigen die Macht über viele gab? Diese Frage möge jeder selbst für
sich beantworten.

Was mich weiterhin
beschäftigt, sind Worte wie Selbst, Geist, Schöpfung usw. Nun hören
wir sehr oft in spirituellen Kreisen, das der/die Eine oder Andere
auf der Suche nach dem wahren Selbst sich befindet. Das zur
Zeit als aktiv empfundene Selbst wird folglich als unwahr aufgefasst,
das wahre Selbst aber ist im unwahren Selbst verborgen und wird durch
die Ausübung von Techniken aufgedeckt. Das „wahre Selbst“ also
steckt direkt im oder hinter dem „unwahren Selbst“. Was geschieht
dann mit dem unwahren Selbst, wenn das wahre Selbst erscheint? Stirbt
es? Wie dem auch sei. Wahr und Unwahr sind also bis zur Läuterung
gemeinsam in einem Ding zu Hause. Nach Aristoteles ist das aber
trotzdem nicht möglich. Sein und nicht-Sein, wahr und unwahr? Wo ist
da der Unterschied? Wer hat sein wahres Selbst schon jemals gesehen?
Wer hat sein Selbst, ob unwahr oder wahr, schon jemals gesehen? Was
machen diese Setzungen aus? Sie sind reine Spekulation. Warum
verwenden wir sie dann aber dauernd?

Eine weitere
wunderbare Bedeutung hat das Wort Geist. Es bezeichnet das
mentale Konstrukt, das wir wie oben schon gesehen „Ich“ nennen
und in eins gesetzt ist mit dem ebenfalls schon erwähnten Selbst.
Eine besondere Rolle spielt das neben Geist verwendete Wort GEIST,
das den Individuellen Geist weit überflügelt und ihn in eine
kosmische Umgebung setzt und damit das ausdrückt, was die Summe
aller geistigen Aktivitäten von Leben darstellt, auch gerne als
Speicherbewusstsein [2. Alaya vijnana] und Schatz des Lebens
bezeichnet. In vielen spirituellen Traditionen ist daher als
Übungsweg angelegt, von Geist zu GEIST zu gelangen, teilweise als
Transzendenz [3. Gott, etwas außerhalb der Welt stehendes, der
Grund, das der sinnlichen Wahrnehmung verschlossene.] oder auch in
dessen Gegenteil, als Immanenz [4. Das in allen Dingen enthaltene.]
bezeichnet. Mentale Zustände, in denen diese Barrieren überwunden
sind heißen dann Meditation oder Versenkung, Trance oder Hypnose.
Allerdings beschreiben trotzdem viele Lehren von
Bewusstseinstechniken diese Zustände als unvollkommen, ja sogar
gefährlich und es wird davor gewarnt, sie dauerhaft zu erreichen und
sozusagen in ihnen steckenzubleiben. Sie zeigen wie im Buddhismus
beschrieben nur an, welchen Fortschritt die Übenden gemacht haben
und diese werden immer wieder aufgefordert, auch diese Ergebnisse zu
überwinden. Darüber hinaus fortschreitende Zustände heißen dann
lichte Weite oder kosmisches Bewusstsein. Ich selbst kann dazu nichts
sagen, denn diese beiden sind mir weder zugänglich noch bekannt.



In unseren Sprachen
sprechen wir gerne, wenn wir die Welt und ihr Dasein positiv
überhöhen, von Schöpfung, was nichts anderes bezeichnet als
entweder von Gott gemacht oder aus sich selbst entstanden, je nachdem
welche Religion oder Weltanschauung der These zugrunde liegt. Im
Gegensatz zur Schöpfung ist die Welt meist schlecht und
unvollkommen, entweder durch den Menschen selbst gemacht [5.
Sündenfall im Christentum] oder durch den Einfluss von Stimmungen
wie Habgier, Hass und Neid [6. Buddhismus], die scheinbar aus dem
Nichts plötzlich auftauchen und die Welt vergiften. Die Schöpfung
selbst ist meist vollkommen und wird nur durch falsches Denken,
falsches Benehmen, durch falsche Geschichten oder Erzählungen
verdunkelt und muss daher nur befreit werden, um wieder ein Paradies
zu sein. Besonders große Organisationen berufen sich gerne auch die
Schöpfung und geben vor, Verwalter und Befreier derselben zu sein.
In der Historie erleben wir diese meist so in Szene gesetzt, das sie
durch den Glauben an diesen Anspruch große Macht gewonnen hatten und
haben und diese stets zu missbrauchen verstanden. Ich selbst halte es
daher mit Krishnamurti, der eine Organisation als Träger von
Weisheit als nicht vereinbar/machbar verstand.

Und dann müssen wir
noch über unser Verständnis von Zeit reden. Zeit, das sind
sich sogar die Wissenschaft und die Esoterik einig, gibt es nicht.
Zeit ist ein Konstrukt des Menschen, eine Erfindung des Menschen.
Nicht umsonst hat die Wissenschaft die Zeit erst an der Bewegung und
dann an dem Raum festgezurrt. Die Natur kennt nur einen Wechsel der
Jahreszeiten, die durch den Abstand zur Sonne und durch dies daraus
resultierenden Klimaveränderungen und Lebensbedingungen
gekennzeichnet sind. Weiterhin entsteht unterschiedlich in der uns
zugänglichen Welt ein Wechsel der Hell-Dunkel-Zeiten. Die Zeit, die
wir meinen zu kennen und die 24 Stunden und 3600 Minuten pro Tag in
einem 365 Tage usw. dauernden Jahr enthält ist ein künstliches,
nicht am Leben orientierten Produkt der Technik. Wir erinnern uns an
die Vergangenheit. Diese erstellt Regeln und Handlungsweisen, die
sich bewährt haben und die uns eine Fortsetzung eines Lebens
ermöglichen. Diese Vergangenheit wird ständig gefüllt mit einem
kontinuierlichen Strom von Erlebnissen aus der Gegenwart. Aus diesen
erinnerten Erlebnissen konstruiert und erschließt sich der Mensch
eine Idee der Zukunft, in dere er sich Fortschritt erhofft und die
eine möglichst angenehme Fortsetzung des Lebens ermöglicht. Ein
eigentlich genialer Schachzug, der das eben sichert, aber auch mit
Risiken behaftet. Denn die mögliche Zukunft, so sie denn nicht die
erhoffte Qualität besitzt, erzeugt auch Angst und Negativität,
erzeugt über den Wunsch nach Sicherheit auch Gier, Hass und Neid.
Und hier entstehen auch die Leiden, die das menschliche Leben so
reichhaltig ausfüllten und die eigentlich unsinnig und unerwünscht
sind. Was für diese Lage wichtig wäre und was mir im europäischen
Denken oft fehlt sind daher Begriffe, die eine Dauer in der Gegenwart
auszudrücken imstande sind und die eine Neigung beschreiben können,
eine Neigung, die positive und negative Motive in Bewegung zu bringen
imstande ist. Nun ist in meiner Anschauung Negativität nicht
grundsätzlich schlecht, aber sie sollte mit der Freude, die ich
jetzt mal Positivität nennen möchte, zumindest in einer
ausgeglichen Balance stehen. Meiner Ansicht nach sind Freude und Leid
die Würze des Lebens. Beide in Balance zu halten ist Lebenskunst,
sie durch Erfahrung ineinander zu verweben aber ist Weisheit. Angst
und Leid zu überwinden geschieht durch das Bewusstsein ihrer
Beschaffenheiten, die Kenntnis über die Ursachen und die unendliche
Neuausrichtung der Neigungen, die einen Ausgleich, eine Balance
ermöglichen. So wird im Thema Freude und Leid für mich ein Schuh
daraus.



Es gibt viele
weitere Worte und Redewendungen die in diesem Rahmen gerne und oft
Verwendung finden und gebraucht werden, um etwas zu beschreiben, was
nahezu unbeschreiblich erscheint. Die hohe Anziehungskraft dieser
Beschreibungen drückt die Sehnsucht der Menschen aus, zurück in
einen wie immer auch geartetes paradiesischen Zustand zurückzukehren,
wo das Leben und das Sein vollkommen und leicht und jeglicher
Gefahren enthoben ist. Dafür dann sind Menschen bereit, zu üben, zu
sitzen, zu singen, zu tanzen, zu praktizieren oder zu kämpfen, um
nur einige Techniken zu nennen, und sie wenden viel Zeit und Energie
auf, um dabei sein zu dürfen bei der großen Befreiung.

Nun könnte
man aus meiner Wortwahl schließen, das ich das alles ganz
entsetzlich finde und empfehlen würde, dass man das dringend
abstellen müsse. Nun, das oder zu Gegenteil ist der Fall. Ich
schätze Menschen sehr, die sich um ihr Seelenheil bemühen und
bereit sind, dafür Opfer zu bringen. Und ich wünschte mir, das es
mehr und mehr werden.

Was ich mit meinen
Zeilen erreichen möchte ist aber die Einsicht, das es nicht die
Wortbedeutungen sind, die in der Spiritualität eine Rolle spielen.
Es sind auch nicht die unzähligen Aktivitäten und Bemühungen, die
für Veränderungen aufgewendet werden, die ich hier beschreiben
möchte. Was mir am Herzen liegt ist die Ansicht, das es vor allem
nicht allein darum geht, andere Menschen zu überzeugen, einen von
mir favorisierten Weg zu gehen, sondern das jeder einzelne Mensch
selbst und für sich zu der Überzeugung gelangen muss, seinen
eigenen spirituellen Weg zu gehen. Und dafür können gerne
Gleichgesinnte helfen, können unterstützen, können sozusagen
helfen, bei der Sache zu bleiben, aber letztlich ist jeder für sich
auf dem spirituellen Weg allein unterwegs. Seinen Weg erst einmal für
sich selbst zu gehen ist die Bedingung, in der Entwicklung überhaupt
möglich ist. Und dabei sind die Worte und Beschreibungen anderer, so
gut sie auch gemeint sein können, eher hinderlich als förderlich.
Der eigene Weg ist immer ganz neu, wird an jedem Tag neu sein, und
ist immer verschieden vom Weg der anderen. Das ist meine Überzeugung.
Und daher ist es auch sehr schwer und sehr verwegen, große
Organisationen zu gründen, die die Lehre einer wie immer gearteten
Freiheit in die Welt hinaustragen. Die Freiheit kann immer nur die
Freiheit des Einzelnen sein. Es geht einfach nicht anders. Und jeder,
der darüber lange genug nachgedacht hat, wird wie ich irgendwann zu
diesem Punkt kommen müssen. Ob dieser danach noch überwunden werden
kann, ist für mich ungewiss.



In vielen
spirituellen Texten wird mit den Bedeutungen von ich, sein, selbst,
Geist und Seele dialektisch gespielt. Ihr Verwendung bezieht sich auf
Bedeutungen und Schlussfolgerungen, die genau betrachtet einen in
sich geschlossenen Kreis bilden. In unzähligen Verkettungen werden
diese Begriffe ineinander verwoben, werden zu Argumentationsketten
verbaut, die letztlich immer wieder zu dem gleichen Ergebnis führen.
Dieses Ergebnis kann wie folgt beschrieben werden: „Du tust nicht
genug, daher…“. „Du musst mehr tun, damit…“ ist auch ein
schönes Ergebnis dieser Ketten. Gemeint ist damit aber nur, das du
etwas tun musst für andere, für die Organisation zum Beispiel, für
den Guru, den Meister, für die Gemeinschaft und, und, und. Mehr tun,
größer wirken, mehr investieren, ist das Ziel dieser Dialektik.
Dabei sprechen alle Traditionen und besonders der Buddhismus davon,
das unser Leiden daher kommt, das wir eben immer mehr wollen. In
meiner Anschauung ist Freiheit nur in sich selbst verwirklichbar. Nur
ich selbst kann für mich und damit auch für meine Umwelt frei sein.
Mein einziges Wirken besteht dann darin, für andere ein Vorbild zu
sein. Viele große Meister waren unscheinbar, wurden oft verkannt
oder zogen sich in die Einsamkeit zurück, da sie ihr
„nicht-wie-alle-anderen-zu-denken“ für sich und andere als
Gefahr empfanden. Sokrates wurde gezwungen, den Giftbecher zu leeren,
Laotse zog sich in seiner bekannten Geschichte in die Einsamkeit der
Berge zurück und ward nie mehr gesehen, und unzählige Andere werden
ebenso gehandelt haben, von denen daher nie etwas bekannt werden
konnte. Anders zu sein war und ist immer noch gefährlich, und der
Weise erkennt das auch und handelt entsprechend.

Wie kann ich mich
also verhalten, meiner Meinung nach, gegenüber den oben
beschriebenen Wortschöpfungen und Gefahren, die darauf basieren?
Unsere Sprache verwendet nun einmal ich und sein, verwendet Selbst
und Seele, und die Schöpfung ist auch, wie im letzten Satz zu sehen,
nicht gerade selten. Ich helfe mir so, das ich Sprache generell als
unvollkommen empfinde, ich Kommunikation insgesamt als unvollkommen
empfinde, und das schließt so vielfältige Dinge mit ein wie
Rituale, Gesten, Zeichen, Musik, Kunst, Literatur, Offenbarungen und
die vielen anderen wortlosen Ausdrucksformen ebenso. Wir Menschen
können eben nicht nur ausdrücken, was in uns vorhanden ist, sondern
auch das, was wir gehört haben und nur vermuten, was uns suggeriert
wurde, was uns Angst zu machen droht oder sich durch geschickte
Manipulation in uns verfestigt hat. Und da wir zur Zeit erleben, das
Kommunikation überhand nimmt und wir sozusagen fast erschlagen
werden von der Vielfalt und dem Reichtum an Bedeutungen, empfehle ich
einem alten Sprichwort gemäß: „Fragen zu stellen ist wichtiger
als Antworten zu finden!“. Ich frage mich zum Beispiel immer
häufiger, was ich meine oder gemeint habe, wenn ich einen Satz im
Gespräch oder im Artikel wieder mal mit „Ich“ begonnen habe,
frage mich, was für mich das Wort „selbst“ bedeutet, wenn es bei
mir Verwendung fand, und vermeide Worte wie Schöpfung oder Seele in
meinen Beschreibungen, da sie alles und auch nichts bedeuten können.
Das Verb „sein“ allerdings und das Verständnis von Zeit sind in
unserer Sprache unverzichtbar, und ich muss mir sehr bewusst darüber
sein, was genau sie bedeuten und wie ich sie entsprechend verwenden
sollte.



Wie gerne würde ich empfehlen, in eine Sprache zu wechseln, in der diese dialektischen Verfahren nicht bekannt sind und keine Bedeutung gewinnen konnten. Neben einigen Sprachen von Naturvölkern ist heute allerdings die Wahl dazu sehr beschnitten. Es gibt nur eine alte, nicht dialektisch vergorene Kultursprache, die diesem Anspruch meiner Meinung nach gerecht wird, und diese kommt auch heute schon im eigenen Volk immer seltener zum Tragen. Gemeint ist das klassische Chinesisch, die Sprache Chinas aus der Zeit von Laotse und Konfuzius. Und daher möchte ich gerne eine kleine Kostprobe anhängen, wie diese Sprache aussah, die ohne Verkettung in Dialektik auskam, und die doch eine Hochkultur begründet hat.

Himmel, Erde,
tief-dunkel, gelb
Welt, Zeit, fluten, brach-liegen
Sonne,
Mond, anfüllen, Abendstrahlen
Gestirne, Sternbilder, aufreihen,
ausbreiten
Kälte, kommen, Hitze, gehen
Herbst, ernten,
Winter, horten

(Unter dem) unergründlichen (tief-dunkeln) Himmel (die) gelbe Erde,
(in der) Welt (die) Zeit, (das eine) flutend, (das andere) brach(liegend),
Sonne (und) Mond füllen an (die) Strahlen des Abends,
Gestirne (und) Sternbilder reihen (sich auf und) breiten (sich) aus,
(Die) Kälte (des Winters) kommt, (die) Hitze (des Sommers) geht,
(Im) Herbst (wird) geerntet, (im) Winter gehortet.

Der aus den
Tausend-Zeichen-Klassiker stammende Text, den jeder Gebildete seiner
Zeit auswendig zu lernen hatte, drückt aus, was wichtig ist zu einer
bestimmten Zeit zu tun im ewigen Wechsel der Jahreszeiten:

Wenn Sonne und Mond
am unergründlichen Himmel (tief-dunkel) den Abend über der gelben
Erde bestrahlen, wenn die neue Jahreszeit sich wandelnd (flutend)
über die unberührte (brachliegende) Welt ergießt, wenn die
Gestirne und Sterne sich aufreihen, wenn die Hitze des Sommers sich
in die Kälte des Winters zu wandeln ankündigt, ist Herbst und die
rechte Zeit zu ernten und die Nahrung für den Winter zu horten.

In beginnenden Herbst erscheinen Sonne und Mond am Abend gemeinsam am Himmel in wunderbaren Sonnenuntergängen. Die meist klaren Herbstnächte erlauben erstmals wieder den Sternen, anders als in den warmen Jahreszeiten, sich am Himmel zu zeigen. Die Jahreszeit erlebt erneut einen Wandel, aus Hitze wird Kälte werden und die Menschen sind angehalten, zu ernten und Nahrung für den Winter zurückzulegen.

Wie klar und ausdrucksvoll wird hier beobachtet, wie ein Jahreszeitenwechsel sich ankündigt. Und ganz klar wird den Menschen ans Herz gelegt, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Keine Pflicht und kein Sollen erfüllt die Zeilen. Alle Worte erscheinen wie selbstverständlich. Und niemand wird sich widersprechend gegen diese Zeilen erheben wollen. Könnten doch unsere europäischen Sprachen sich auch so klar ausdrücken…, der Fluss würde dann wieder fließen.




Das Ende der Geschichten? Eine Denkreise

Eigentlich, ja
richtig, eigentlich habe ich längst genug von all den Geschichten,
die mir einreden wollen, so und so oder nicht so und deshalb und
darum zu sein. Sie stimmen einfach nicht, diese Geschichten, nicht
hinten, nicht vorne, und in der Mitte ganz und gar nicht. Es gab
historisch niemals einen Anfang, und ein Ende wird es daher auch
nicht geben können.



Tatsächlich
erschließt sich mir das Leben so, dass ich irgendwann aufgewacht bin
und somit einer Welt begegnete, so wie sie einfach ist. Diese Welt
wurde nicht geschaffen, verdankt nichts und niemand ihr Sein, ist
auch nicht von irgendwo gekommen und strebt auch nicht zu einem Ziel
hin. Zumindest gibt es dafür keinen wirklichen Beleg. Sie ist, sonst
nichts. Soweit ist mir die Sache klar. Und weil ich mich in dieser
Welt befinde, bin ich nicht automatisch Herr, Knecht oder Diener. Ich
bin nur ein sehr kleiner Teil dieser Welt wie alle Dinge
einschließlich aller anderen Lebewesen auch. Und ich habe die
Freiheit zu leben wie alles andere auch. Alles und jedes sollte darin
seinen Platz finden und niemand sollte die Möglichkeit wahrnehmen
dürfen, darüber zu entscheiden, was wann und wo etwas sein darf und
was nicht. Doch dieser absolute Anspruch hat seine Grenzen, denn wie
alles mir Bekannte ist „werden und vergehen“ eine der
Grundstrukturen dieser Welt, so wie wir sie nun einmal kennen. Werden
und vergehen in der Welt heißt, geboren zu werden und zu sterben,
darin essen und trinken zu müssen, darin seinen Platz finden und
auch halten zu müssen, darin Träume zu haben und auch
Enttäuschungen zu erleben.

Es ist in meiner Vorstellung einfach nicht so, das geboren zu werden ein Glück, und sterben zu müssen eine Plage ist. Stellt man sich ein Leben ohne sterben vor, so ist unser erster Gedanke bestimmt nicht das Glück, endlich ohne diese Konsequenz ewig in den Tag hinein zu leben. Ohne ein Ende zu leben heißt, dass nichts mehr Bedeutung gewinnt, nichts mehr sich verändert, nichts mehr geschieht, alles so bleibt, wie es ist für die Ewigkeit. Der gleiche Tag immer wieder, kein älter werden, keine Erfahrung sammeln, keine Freude über Neues oder Sinnstiftendes mehr finden. Irgendwann weiß ich alles und fange nichts damit mehr an, weil es egal geworden ist. Wie trostlos, wie leer. Obwohl, wie „leer“ zu sein ist für viele Menschen schon ein Anreiz. Viele spirituelle Traditionen werben mit diesem Ziel, halten leer zu sein (im Denken) für das Ziel aller Ziele. Ist das aber wirklich so? Ist es wirklich das Ziel dieser Verfahren, „leer“ zu sein in diesem Sinne. Ich glaube das so nicht. Leer zu sein als Ziel der Meditation heißt nicht nicht zu denken. „Leer zu sein“ heißt, dem Werden und Vergehen, dem Wandel nicht im Wege zu stehen, der alles Lebende auszeichnet. Es heißt, auf dem Weg der Wandlung zu leben, mehr noch, diesen Pfad zu sehen und ihm zu folgen, ohne Widerstand, ohne all die Emotionen, Wünsche und Ziele, denen wir so schöne Namen gegeben haben wie Begierde, Zorn, Hass, Neid, Wahn, Lust oder Macht. Einfach tun, was das Leben, das ich führe, verlangt, zu essen, wenn es hungert, zu schlafen, wenn es müde ist, sich einen neuen Platz zu suchen, wenn der alte nicht mehr für das Leben spendet. Und das dabei nicht alles gelingen kann, sollte uns nicht wundern. Wenn viele eine Platz für sich suchen, wird es auch Reibung geben, zumal unser Planet sich mit immer mehr Menschen füllt. Es ist daher nicht verwunderlich, das die Weisen aller Traditionen sich stets in die Einsamkeit zurückzogen. Denn wer dieses leere Leben für sich zu leben anstrebt, stößt regelmäßig mit denen zusammen, die diese Erkenntnis nicht machen konnten oder diese gar ganz und gar ablehnen. Das war früher so, das ist heute so und wird in Zukunft auch so bleiben.



Das Lebewesen sich
ernähren müssen, das Lebewesen sich nur von Leben ernähren können,
ist eine Binsenweisheit. Auch das Salatblatt ist schließlich Leben.
Es stellt sich aber nicht die Frage, ob wir es tun müssen, sondern
die Frage lautet vielmehr: Wie wir es tun, damit auch anderes Leben
seinen Raum behalten kann? Muss sich, um Klartext zu reden, der
Mensch immer weiter ausbreiten und diesem Planeten ersticken? Und
muss sich der Mensch so maßlos bedienen an den Ressourcen der Natur,
das der ganze Lebensraum immer schneller im Chaos versinkt? Wir
Menschen leben ja auch nicht in Gemeinschaften, auch wenn das immer
so erzählt wird, sondern wir leben in Parzellen, eingezäunt,
gepflegt. Wehe dem Unkraut, das sich auf den heimischen Rasen
verirrt. Wir leben von anderen Parzellen isoliert und sind für alle
Lebewesen, die wir nicht niedlich finden, unzugänglich. Auch der
ungeliebte Nachbar, Mensch seinesgleichen, findet keinen Zugang in
unsere heilige Parzelle. Ist das Gemeinschaft, Gemeinschaft unter
Menschen, Gemeinschaft unter Lebewesen, in der Natur, in der Welt?
Ist es wirklich das Ziel des Lebens, in Parzellen zu wohnen? Geht
weiterhin das Töten, das wir tun müssen, nur so wie wir es jetzt
tun? Müssen wir unser lebendes Essen in Schachteln aufziehen, an
einem artgerechten Leben hindern von ersten bis zum letzten Tag, oder
geht das auch anders? Das sind Fragen, die auf den Nägeln brennen.
Ich sehe nicht einmal einen Anfang einer Antwort, die als Lösung
Bestand haben könnte.

Und dann hatte ich
noch die Träume, Wünsche und die Enttäuschungen genannt, die
ebenso zum werden und vergehen gehören wie die schon ausgeführten.
Was sind Träume? Woher kommen Wünsche? Was ist eine Enttäuschung?
Diese Fragen sind schwer-wiegend und weit-reichend, denn sie
bestimmen den Großteil unseres mentalen Lebens. Wo kommen Träume
her, nicht die, an die wir uns morgens nach dem Erwachen dunkel
erinnern, sondern gemeint sind die Träume, die zum Leben erweckt
werden, indem ich strebe, verfolge, entwickle und investiere. Es sind
die Träume, die uns einen Tag überstehen lassen, der, seien wir
ehrlich, nahezu keine Zeit mehr lässt zum Leben. Und haben wir es
dann geschafft, ein Leben eingerichtet, so wie es eben geht, dann
kommen die Wünsche, die uns immer weiter treiben. Wünsche sind,
wenn wir ehrlich gestehen, all das zu besitzen, zu tun und zu leben,
was andere auch getan, bekommen oder verdient haben. Was ich nicht
kenne, wünsche ich nicht. Ich kann nur wünschen, was ich kenne, und
da ich etwas zu haben wünsche, das ich noch nicht habe, kann es nur
etwas sein, was andere mir gezeigt oder erzählt haben. Krass
gefragt, muss ich, um wer zu sein, auf dem Mount Everest gestanden
haben? Ich war mal auf dem höchsten Berg Deutschlands, der
Zugspitze. Sie lag voll im Nebel, und ich habe nichts gesehen außer
Wänden, Schnee und habe dort eine Gaststätte besucht, in der
schlechtes Essen verkauft wurde. War das eine Enttäuschung? Nein. Es
gibt Fotos, die ich auch im Internet mir hätte ansehen können. Aber
ich konnte wochenlang erzählen, auf der Zugspitze gewesen zu sein,
und ich konnte auch die Bilder zeigen, die ich gekauft hatte. Was für
ein Irrsinn. Eine Enttäuschung ist das herausfallen aus einer
Täuschung. Ich hatte sozusagen etwas falsches im Kopf und musste es
bemerken. Ist das gut oder schlecht? Die Frage ist nicht so einfach
zu beantworten. Denn wenn ich den Berg nicht besucht hätte, würde
ich von anderen als träge eingestuft. So war es halt nur ein Pech
mit dem Wetter. Somit wäre in diesem Fall eine Ent-Täuschung
gewesen, wenn ich gelernt hätte, das etwas zu tun, um erzählen zu
können, schlichtweg nicht der Freude meinerseits, sondern dem… ja
was eigentlich, dem
Neid der anderen Futter gibt?

Jetzt
mal ganz ehrlich? Ist das alles, was ich hier bis jetzt geschrieben
habe, nicht traurig und desillusionierend? Dieser
Inhalt ist mir eingefallen,
als ich einen Brief eines Freundes zu beantworten begonnen hatte. Der
Hilferuf lautete kurz gesagt etwa so: Wie
die Stille und die Ruhe zu
Hause denn zu ertragen
ist, wenn es gelingt, diese sich auch
einfinden zu lassen. Ich
habe diesen Brief mit den nachfolgenden Zeilen beantwortet:

Was ich bemerkt und in letzter Zeit aufgenommen habe ist die Tatsache, dass man sich selbst nicht ändern kann und auch nicht braucht. Eine verrückte Ansicht? Nein! Meiner Meinung und Erfahrung geht es einzig und allein darum, sich bewusst zu werden, was im Leben nicht stimmt. Und dann, wenn das geschehen ist, aufmerksam zu sein und möglichst früh zu bemerken, wann ich wieder mal geneigt bin, wie gewohnt in die falsche Richtung zu steuern. Und dann ist es relativ einfach, sich eine andere Neigung zu geben. Das ist ein wenig so wie auf einem Brett zu balancieren. Zunächst ist die Ausgleichsbewegung grob, aber mit der Übung wird sie immer feiner, und bald entwickelt sich das, und du brauchst die große Aufmerksamkeit nicht mehr, weil die innere Natur gelernt hat, auf dem Brett stabil zu sein. Ein Prozess wie ein Leben ist etwas fließendes, das nicht aufgehalten werden darf, um laufen zu können. Grobe Korrekturen stören das Fließen. Daher spreche und handle ich mehr von Änderung, sondern mehr im Sinn von Neigung oder geneigt sein, und überlasse den Rest dem „in der Welt sein“. Es geschieht, und ich lasse geschehen, und wenn es falsch läuft, neige ich mich in die mir besser erscheinende Richtung und warte geduldig auf die Richtungsänderung. Aber ich bleibe nicht stehen, kehre nicht mehr um, versuche nicht mehr mich umzubauen oder vertiefe mich nicht mehr in die Geschichten, die eigentlich nur trösten sollen. Das ist eine etwas selten angewandte Art der Wandlung, die gerne in der Psychologie und Philosophie übersehen und wenig kommentiert wird, weil sie keine Brüche erzeugt, die zu einem Ahaaa- oder Ohhh-Erlebnis führen, was Auflage schafft und wissenschaftliche Diskussionen erzeugt. Der Wandel darin entsteht still und leise und eckt nicht nur nicht an, sondern geht mehr wie selbstverständlich über die Bühne. Das ist meine neue Art heute, mich zu wandeln. Das gibt mir Frieden und lässt mich jetzt selbst in der Langeweile des Rentnerlebens noch getragen und still sein.



Was
heißt das jetzt im Kontext eines Lebens? Was
tun? Was denken? Wie antworten?

Wir
leben alle in unseren Geschichten. Diese bilden nämlich die Basis
für unser Denken. Denken findet nicht in der Welt, sondern auf den
mentalen Ansichtskarten der Welt statt. Ohne die Begriffe, die Dinge
auf den Karten in Absprache mit anderen erhalten, können diese nicht
in Beziehung zueinander gebracht werden. Die Begriffe wie Namen und
deren Erscheinungen, Bewegungen, Veränderungen bilden Sprachen.Was
in der Sprache, die wir zu sprechen gelernt haben, abgebildet werden
kann, ist die Basis unseres Denkens. Hier
entstehen diese Träume, Wünsche und Enttäuschungen, um nur drei
Motive zu nennen. Worüber wir uns also klar werden müssen, ist die
Beschaffenheit dieser Basis des Denkens. Was sagt diese Basis über
unser Leben aus?

Da
ist, um irgendwo zu beginnen, die Aussage: Ich denke…
Und da wir glauben, das
begründen zu müssen,
heißt es: …also bin ich. Cogito ergo sum, ich denke, also bin ich.
Um sich diesen Satz in seiner Nützlichkeit
klarzumachen, genügt es, einfach mal von einem anderen Ding
auszugehen und zB. zu sagen: Es hat
eine Eigenschaft, also
ist es: Wasser ist nass,
also ist es. Aber der
Fehler liegt ja nicht, wie
wir sehen werden, nur in
der Schlussfolgerung,
sondern schon in der Absicht,
die erlebte
Wirklichkeit
begründen zu müssen. Das muss ich nicht!
Grabe
ich weiter, komme ich zu der Frage, die da heißt: Ich bin?
Oder anders gefragt: Bin ich? Was heißt das? Sein, so wie es gedacht
wird, setzt eine Substanz,
einen Geist voraus, der nicht dem Leben unterliegt, der also nicht
vergeht, somit ewig ist. Wäre das nicht ewig, wäre „Sein“ eine
falsche Aussage, denn sie hätte Anfang und Ende und würde vergehen,
also nicht ewig sein.
Somit müsste ich mich fragen, ob sich in der Basis meines Denkens
nicht schon einen Fehler eingeschlichen hat, denn ob es diese
Grundsubstanz/Geist überhaupt gibt, weiß ich nicht.

Und
dann ist da ja noch das „Ich“,
das denkt, also auf der Karte mit den Namen der Dinge Beziehungen und
Einteilungen vornimmt und zu Schlussfolgerungen kommt. Wenn ich einen
Stein von Ort A nach B verlege, habe ich etwas getan. Das „Ich“
ist dabei das Lebewesen Mensch, das in der Welt lebt und wahrgenommen
hat, einen Stein verlegt zu haben. Ist klar, also worüber reden wir
eigentlich? Wenn ich aber nur
die Absicht bekunde, einen
Stein von A nach B verlegen zu wollen, wer ist „Ich“
dann? Ist
die Idee bereits eine Substanz, ein Geist, oder was auch immer? Was
ist, wenn ich den Schwerpunkt meines Denkens auf die Frage lege, was
der Stein auf B in Beziehung zu A bedeuten könnte, wenn
ich ihn verlegen würde? A
und B sind darin Punkte auf einer gedachten, abgesprochenen
Landkarte, deren Existenz nicht wirklich belegbar ist. Und dann…

Diese
unsinnige Satz
ist doch nur der Anfang einer endlosen Diskussion, die wie ein Keim
immer neue Keime produziert. Das geht weiter und weiter und weiter…
und was daraus entsteht sind:
Träume, Wünsche und Ent-Täuschungen. In
der Basis unseres Denkens gibt es viele Sätze dieser Art, die
zerpflückt schlicht und einfach nichts bedeuten, nichts
bewirken und aussagen.
Viele davon sind einfach
nur falsch oder
zeigen sich als willkürlich gesetzt: Ich komme leer auf die Welt und
habe die Aufgabe zu lernen. Da war/ist ein Gott, der das so wollte
und das getan hat. Er hat mich erschaffen nach seinem Ebenbild. Daher
darf ich als auserwähltes Ebenbild (Der
Esel zum Beispiel darf das nicht.)
auch oft Gott
spielen. Gott macht keine Fehler, also sein
Ebenbild auch nicht. Mein
Lernen orientiert sich an den Beispielen, die mir in
den Jahren der Ausbildung begegnen.
Vater, Mutter werden von
mir kopiert, und ihr
Lebensablauf bestimmt somit direkt den meinen. Verlieren Eltern in
der Pubertät ihre große
Bedeutung,was
gar nicht so selten
vorkommt, übernehmen
Vorgesetzte, Promis und Freunde diese Aufgabe, mir ein Beispiel zu
sein. Und die gemeinsame Sprache samt den damit erzählten
Geschichten bilden zusammen
eine Kultur, die ebenfalls
und fortschreitend mir als
Beispiel dient. Und so geht das weiter und weiter und weiter…

Seien wir ehrlich! Nichts davon ist wirklich als Notwendigkeit belegt. Und wahr wird es erst dann, wenn ich dem auch bereitwillig mit Taten oder Denkvorgängen folge. Soll ich also nicht folgen? Oder soll ich dem nur nicht immer folgen? Soll ich also alles und jedes hinterfragen? Wie soll das gehen? Wonach entscheide ich? Muss ich mich immerzu entscheiden?



Fragen wir doch einmal anders herum: „Muss ich überhaupt einen Plan haben, um zu leben?“ oder auch mal: „Ist mein jetziges Leben gut oder schlecht; lebe ich also verkürzt gefragt unter gerechten oder willkürlichen Bedingungen?“. Das sind scheinbar banale Fragen… auf den ersten Blick, denn ein zweiter Blick beschert mir genau genommen viele weitere Fragen, und die Antworten sind nicht automatisch in den Fragen enthalten, sofern das, wie die Philosophie verkündet, die falschen Fragen waren. Es sind eben grundlegende Fragen, die ein alltägliches Fragen, ein Suchen und ein Finden-Können erst begründen. Wenn es mir also gut geht, gibt es wohl keinen Grund, mein Leben zu ändern? Wenn es mir folglich schlecht geht, sollte ich aber mein Leben verändern! Aber geht das? Es scheint ja nicht so einfach zu sein. Wenn ich unter gerechten Bedingungen lebe habe ich Glück, unter willkürlichen Bedingungen dagegen hatte ich bis heute Pech. Stimmt das? Und wenn „ja“, kann ich das ja wohl nicht so einfach ändern. Und dann dazu eine alles entscheide Frage: „Gibt es Glück und Gerechtigkeit überhaupt? Und was muss geschehen, damit diese Frage sich beantwortet? Genügen dazu Definitionen? Brauche ich Moral, Ethik, Religion und Dogma, um eine mir genügende Antwort zu finden?
Wir sehen, unsere gewohnten Denkweisen finden hier, falls überhaupt, nur sehr holprig einen Zugang zu Antworten. Das ist so, weil wir in festgelegten Motiven, Schemen, Formalitäten, Gewohnheiten, Verfahrensweisen, Riten und Gesetzen denken. Sogar der Vorgang des Trauerns hat eine bestimmte und von allen einzuhaltende Form. Die normale Trauer ist meist in unserer Kultur ein Spiel, eine Maske, ein vorgegebenes Verhalten. „Nicht schlecht über den Toten sprechen…“, die echte oder auch unechte Trauer der anderen nicht durch Freude stören ist das Gebot auf dieser Veranstaltung. Etwas wird geschützt, das vielleicht gar nicht echt sein muss, und vielleicht wird etwas unterdrückt, was wahr ist. Und dieses kleine Beispiel steht stellvertretend für all die ungeschriebenen und geschriebenen Gebote, die unser Leben bestimmen.
Geht das auch anders? Das ist eine im Moment zumindest die erste wirklich produktive Frage dieses Artikels.

Wir hören oft, wenn wir uns mit solchen Fragen beschäftigen, das wir uns selbst oder unsere richtige Mitte finden müssen. Ratgeber, Zeitschriften und Bücher sind voll davon. Aber unser „Selbst“ ist, wie oben bereits hinterfragt, doch nur ein Name ohne Substanz, ein Zeichen auf der Landkarte. Das als Substanz behandeln zu wollen [Mein Selbst ist…], wie es im Ratgeber-Milieu oftmals geschieht, ist ein fragwürdiges Verfahren. Gleiches gilt übrigens auch, die Theologie bitte ich um Verständnis, mit einer wie immer gearteten Seele oder Monade. Und auch die Existenz eines Atman ist nebenbei erwähnt bisher unbelegt.
Und die Mitte? Ja, das ist ein Problem für sich, das einige Worte mehr bedarf. Ist die Mitte wirklich nur das mathematische Mittelding zwischen zwei Extremen? Was ist das Mittel zwischen gut und böse, heilsam und schädlich, nützlich und sinnfrei: Langweilig vielleicht? Wie findet ein Mensch, der geliebt werden möchte und niemanden findet, der dieses Gefühl in ihm auslöst, seine Mitte? Wo ist die Mitte in der Gesellschaft? Und ruht die Mitte immer, oder kann sie auch bewegt sein? Was ist diese Mitte eigentlich? Meiner Ansicht nach sind das gute Fragen, und gute Antworten darauf sind eher rar.



Beginnen
wir mit einem Zitat eines China-Kenners und Philosophen, Francois
Jullien (aus „Der Weise Hängt An Keiner Idee“, Seite 33):

Diese „rechte Mitte“
ist deshalb „recht“, weil sie reguliert ist: Man verharrt oder
„erstarrt“ in keiner Position, sondern bewegt und entwickelt sich
unablässig, um sich der Situation anzupassen; es gibt zwar eine
„Mitte“, doch ist sie doppelt: Sie befindet sich an den beiden
Extremen, die beide jeweils in sich legitim sind…

Sich
der Situation anzupassen, sich seiner Möglichkeiten bewusst zu sein
und im Bereich des nützlichen, möglichen und legitimen, vielleicht
sogar zusammenfassend gesagt
im „Heilsamen“
dieser Spanne zu handeln,
nennt man in China, im chinesischen Denken die „rechte Mitte
wahren“. Das ist etwas anderes als Mittelmaß oder im ängstlichen
„sowohl als auch“ sich von Ausprägungen und Festlegungen
fernzuhalten. Das kann heißen, das eine Mal über die Strenge zu
schlagen und an einem anderen Tag schlicht „nein“ zu sagen zur
selben Anforderung, und dazwischen liegt ja noch der ganze
Graubereich, der ebenfalls legitim sein kann. In dieser Spanne ist
eine Lebendigkeit möglich, die fast das Gegenteil zeigt von der
Starre eines Mittelmaßes, wie es in Europa gedacht wird.

Brauchen
wir Ratgeber um zu leben? Brauchen wir immerzu einen Plan? Müssen
wir wirklich alles wissen und durchdringen, was uns im Leben begegnen
könnte? Müssen wir uns auf jedes erdenkliche Szenario vorbereiten?
Und wie viel Vorsorge und Vorarbeit ist wirklich nötig, um glücklich
und frei leben zu können? Ich habe den Eindruck, das wir niemals
fertig werden mit den Anforderungen, die wir uns selbst immerzu
stellen. Wir hetzen sozusagen
einem Ideal hinterher, das
viel zu
hoch gehängt ist und
daher niemals zu
erreichen ist. Im Buddhismus werden alle Forderungen an einen Mönch
mit „der (die, das) rechte…“ begonnen. Sollten wir nicht auch
unsere Ängstlichkeiten, unsere Anforderungen an unser
Selbst und an die Welt um uns herum nicht auch
mit dem Wort „recht(e)“
beginnen? Und was legt dann fest, was das „rechte Maß“ dieses
„rechten“ ist? Vielleicht
sollten wir einmal beginnen, dieses rechte Maß nicht festzulegen für
alle Zeit, sondern intuitiv und spontan im Augenblick einfach nur das
„rechte“ zu tun und darauf vertrauen, das das Leben lebt und
keinen Plan braucht, um zu gelingen. Ein Haus bauen zu wollen braucht
einen Plan, ein Leben zu
bauen eigentlich
nicht. Leben, wissen,
lernen, bedenken und sich vorstellen wie gewohnt, zu wissen, was
„recht“ ist, aber offen und unentschieden bleiben für den einen
Augenblick, in
dem sich das Handeln lohnt
und vertrauen darauf, das es geht.
Das wäre doch mal ein Plan, etwas ungewohnt vielleicht,
aber doch bedenkenswert.

Nun
mehr, aus Seite 5 angekommen, frage ich mich, was um alles in der
Welt habe ich hier zu Papier, nein, zu „Bits“ gebracht? Und wie
komme ich darauf, so etwas zu einem
Text zusammen
zu schreiben?
Ich nenne das Geschriebene
nach kurzer Überlegung
jetzt einfach einmal eine
Denkreise,
ausgelöst durch einen Brief, ein Telefonat oder ein Gespräch denke
ich schreibend darüber
nach, woher und warum diese Kommunikation so
zustande kam, was
ich ausgelassen, nicht erwähnt, nicht bedacht habe oder haben könnte
und schreibe das einfach so mal auf. Eine Denkreise eben, inspiriert
durch den Begriff der Phantasiereise, und ich
füge das jetzt
ebenso einfach der
Überschrift hinzu. Eine
Denkreise in diesem Sinne verfolgt keinen Plan, kein roter Faden
zieht sich durch den Text und keine Botschaft wird verfolgt. Es steht
da einfach so da, wie es in den Kopf geschossen kam.