Yoga – Versuch einer traditionsfreieren Sichtweise

Eine andere, etwas philosophischere Lebens-Sichtweise auf die Körper-, Atem- und Meditationsarbeit mit Yoga. Was Yoga und die Essenz der anderen Praktiken heute ist und sein kann, sein soll und wie die Übungen gesehen, praktiziert und verstanden werden können ist in unzähligen Büchern, Schriften und Veröffentlichungen mehr als überdeutlich belegt. Wie nimmt man zum Beispiel Asanas wie Drehsitz oder Kopfstand ein, welche Körperpartien werden dabei bearbeitet, welches Energiegefüge wird dabei angesprochen und was sind die überwiegend positiven Wirkungen der Übung ist in vielfältigen Quellen mehr als ausführlich dargelegt und braucht keine weiteren Versuche.



Es gibt zwar immer wieder kleine Neuerungen, aber in Großen und Ganzen gesehen ist die Arbeit des Beschreibens weitestgehend getan. Gut, es gibt immer wieder neue, warnende Hinweise, die Übungen nicht zu übertreiben, nicht alle einfach so anzunehmen und diverse Vorsichtsmaßnahmen, besonders für Menschen mit den üblichen Zivilisationsleiden [1. Bluthochdruck, Rückenleiden, Gefäßerkrankungen, Herzschwächen, Übergewicht, Diabetes, usw.] zu beachten. Weiterhin werden immer mehr Verknüpfungen vorgenommen, die aus unterschiedlichen Traditionen stammende Übungen, Motive und Praktiken zusammenfügen [2. Tao-Yoga, Hormon-Yoga, Thai-Yoga] und die Möglichkeiten, etwas für sich selbst zu tun, immer stärker erweitern. Und ich möchte diese Trends auch gar nicht angreifen oder relativieren, auch wenn ich für mich persönlich nicht alle Kombinationen für sinnvoll erachte. Im Gegenteil, ich bin froh darüber, das immer mehr Menschen erkennen, das körperliche, geistige und seelische Gesundheit einen großen Wert besitzen. Ich möchte auch niemanden davon abhalten, sich einer der genannten Praktiken zu verschreiben. Allerdings muss ich der Möglichkeit warnen, die immer vielfältigeren Praktiken wie Romane zu konsumieren und regelrecht in ein Stil-Hopping zu verfallen, anstatt sich einer einzigen Praxis anzunehmen, sich darin immer mehr zu verfeinern und zu wachsen. Es geht nicht um Masse und das übliche „immer mehr Desselben“, sondern dem Gedanken, das man immer nur einem Weg zielführend folgen kann. Diverse Wegkreuzungen und Gabelungen gibt es im Yoga immer mehr, und im Versuch, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, bleibt der Übende beim Hopping im Grunde in einem permanenten Anfängerdasein gefangen. Nun ist es schon gut sich viele Stile anzuschauen, aber das kann und darf in meiner Überzeugung nicht in einem stetigen Wechsel der Praxis-Grundlagen enden. Ich habe mir selbst auch viele Stile angesehen, habe einige Lehrer konsultiert und mit Fragen genervt, aber diese Neigung hat nie dazu geführt, den Weg zu verlassen, zu dem ich mich entschlossen hatte. Ich war und bin heute immer noch der Ansicht, das Neugierde eine gute Eigenschaft des Menschen ist und daher auch im Yoga seinen Platz hat. Und ich möchte im folgenden den Versuch wagen zu erklären, wie ich das heute, nach 30 Jahren Praxis, noch immer sehe.

Zunächst einmal sei grundsätzlich gesagt, das es für mich im Yoga mehr um „Sein“ geht und nicht so sehr um „Haben“. Das führt dazu, das ich auf der einen Seite nicht alles wissen muss, was über Yoga und seine Intensionen gesagt, geschrieben und berichtet wird. Ich muss auch nicht alle Muskeln kennen, die eine Asana anspricht, nicht alle Wirkungen auf Organe und Psyche kennen, alles verstehen und darüber auch noch dozieren können. Das alles ist das, was mehr zur Kategorie Haben gehört. Auf der anderen Seite geht es, obwohl Yoga im Unterricht, besonders für mich als Lehrer, nicht ganz ohne Haben-Inhalte zu präsentieren geht, tatsächlich viel mehr um Erleben und Erkennen in der Praxis. Und die Aufgabe als Lehrer ist es, seine Teilnehmer im Unterricht dorthin zu führen, wo erleben, erkennen und wahrnehmen möglich ist. Das ist nicht immer einfach, nicht immer nach Vorgaben zu erreichen und bedarf viel Ausdauer und Geduld auf beiden Seiten. Zum einen muss der Lehrer die notwendige Zeit erhalten, um seine Teilnehmer einschätzen zu können und das notwendige Vertrauen aufzubauen, zum anderen muss der Teilnehmer dem Lehrer das Kennenlernen ermöglichen und warten können, bis der Vertrauenspegel die notwendige Stärke erreicht hat. Nur unter Bedingungen des Vertrauens können Lehrer und Teilnehmer eine für beide Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit bewirken.



Und eine weitere Schwierigkeit tritt auf, wenn man mit Yoga beginnt: Yoga beginnt dort, wo der/die Übende in der eingenommenen Haltung, ob vollständige Asana oder Vorübung ist dabei unerheblich, entspannen kann. Mit Entspannung ist hier gemeint, den Körper in seiner Gesamtheit aus jeglichen unnötigen Spannungen zu befreien. Gerne wird das mit dem Wort „loslassen“ eingefordert. Dazu muss man wissen, das eine Haltung, und Asana ist Haltung, immer irgendwo gehalten werden muss. Selbst das Stehen in Tadasana, ja sogar das Liegen in Shavasana benötigt hier und da im Körper eine Haltespannung, sonst fällt der Körper aus der sicheren Haltung heraus und/oder bedroht sogar seine lebenswichtigen Funktionen wie Atmung und Kreislauf. Schon in der Hatha-Yoga-Pradipika ist diese Bedingung beschrieben. Das bedeutet, das die/der Übende unterscheiden können muss, was notwendig ist und was überflüssig zu sein scheint. Hier kann der Lehrer nur bedingt helfen und muss den Aussagen seiner Teilnehmer vertrauen können. Nach der Entspannung des Körpers in besagter Weise folgt nach der Pradipika das Einrichten und anschließende Loslassens des Atems. Darauf erfolgt dann nach einer Gewöhnungszeit die Stille des Geistes, was zu den Yoga-Stufen 5-8 die Zugänge öffnen wird. So sieht der Weg des Yoga ungefähr aus, wie er in den Schriften von alters her beschrieben wird. Rekapitulieren wir, was als Einstiegsbedingung für den Yogaweg gefordert wurde und auch heute noch erforderlich ist:

  • Die größtmögliche Entspannung des Körpers in Asana, …
  • … gefolgt von einem eingerichteten und losgelassenem Atem und …
  • … der darauf folgende Stille des Geistes, die zur Meditation den Zugang öffnet.
  • Meditatives Verweilen in Asana öffnet somit die Wirkungen des Yoga.

Und an dieser Stelle beginnt Yoga erst zu einem Weg zu werden. Davor werden lediglich die Grundbedingungen geschaffen. Das Yogaübungen auch ohne das Betreten des Weges begangen werden, hier und da Fehlhaltungen beseitigen können und der Gesundheit ganz generell dienlich sind, steht damit nicht in Frage. Aber seine wirklich Pracht entfaltet Yoga erst nach Erreichen der genannten Bedingungen. Was sind die Wirkungen, was entfaltet sich dann in der Übung? Nun ist das so einfach und leicht nicht zu beschreiben. Nahezu alle Schriften verweisen darauf, das die geheimen Wirkungen nicht preisgegeben werden sollen, denn sie können den unvorbereiteten Menschen nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern sogar schädigen. Nun sind nicht alle Wirkungen Siddhis, wie die geheimen Fähigkeiten im Yoga genannt werden. Einige der wenige spektakulären Wirkungen sind durchaus beschreibbar.

Beginnen wir zunächst einmal, den übenden Menschen unter genannten Vorbedingen zu beschreiben. Nehmen wir dazu als Asana einen Menschen im Drehsitz. Mit einer ausreichenden körperlichen Beweglichkeit [3. Auch ein sinnvoll verwendetes Hilfsmittel wie ein Gurt kann die Haltung vervollständigen. Besonders korpulente Menschen können die Bindung des Drehsitzes mit den Armen nur selten bewerkstelligen.] ist der Drehsitz für den Übenden nahezu mühelos. Bei gelungener Bindung ist lediglich für den aufrecht gehaltenen Kopf etwas Spannung nötig. Die Atmung kann mühelos ihre Bahnen ziehen und der Sitz an sich ist vollständig eingebettet, so das die Teile des Körpers wie im Aufbau einer Pyramide ein festes, mühe- und reglos gestaltetes Sitzen ermöglichen. Und dann alles unnötige entfernen und für eine Minute lang Stille aufkommen lassen: Ein Genuss ohne gleichen. So oder ähnlich können nahezu alle Asana praktiziert werden, auch Gleichgewichtsübungen und Haltungen, die hier und da einen Krafteinsatz fordern. Das Zuviel entfernen ist loslassen, den Atem einrichten und ziehen lassen und dann die Stille des Geistes genießen, so erfolgt der Weg des Yoga in der Körperübung. Ähnlich, allerdings im Detail den Haltungen angepasst erfolgt auch Pranayama (Atemübung) und Meditation. Immer ist eine Haltung zu stehen, sitzen oder liegen, immer ist zu atmen, immer ist Ruhe zu halten im Geist. Und so geübt werden die Wirkungen des Yoga sich entfalten.



Nun werde ich nicht die besonderen übermenschlichen Fähigkeiten beschreiben, die verschiedene Autoren dem erfolgreichen Yoga zuschreiben. Das ist, ich hatte es erwähnt, nicht sinnvoll. Aber ich kann über Wirkungen berichten, die sich ergeben können, wenn Menschen mit Defiziten beginnen mit Yoga zu arbeiten. Und seien wir ehrlich: Defizite haben wir in Europa alle, seien es körperliche, organische oder psychische. Stress, falsche Ernährung, Überlastung, falsche Vorstellungen und überzogene Wünsche seien hier beispielhaft genannt. Und ich nehme mich selbst dabei nicht aus. Ich finde solche Defizite bei mir nahezu regelmäßig beim Üben auch noch nach 30 Jahren Yoga. Und das ist auch ganz normal, denn ich werde älter und kämpfe wie alle Menschen mit körperlichem Verschleiß, den Wirkungen schlechter Gewohnheiten und den Übeln der Überflussgesellschaft. Lassen wir das mal so stehen. Welche Wirkungen zeitigen das richtige Üben?

Jeder, der mit Yoga beginnt, es übt oder praktiziert, [4. …nicht „macht“, Yoga machen ist Unsinn, denn machen kann man nur etwas in einer materieller Umgebung. Der Mensch aber sollte als organisch aufgefasst werden…], wird in Sachen Beweglichkeit an seine Grenzen stoßen. Dann wäre es notwendig, den ein oder anderen Körperradius durch Dehnungen zu vergrößern. Nun habe ich festgestellt, das Dehnungen, zum Beispiel Richtung Grätsche, viel leichter von Statten gehen, wenn man im Modus „Loslassen, Entspannen und Still-Werden“ an der Grenze seiner Beweglichkeit verharrt, anstatt mit Kraft über die ungeliebte Schwelle hinauszustreben. Die Grenze der Beweglichkeit ist dort, wo man gerade noch ohne Anstrengung hin gelangt. Das heißt auch, das man diese Grenze spürt, was bedeutet, das man sie schon mal leicht zu überschreiten versucht haben muss. In der Dunkelheit erkennt man ein festes Möbelstück dann, wenn man dagegen stößt und seinen Widerstand erfährt. Und dann vermag das Möbelstück, gegen das wir uns im Loslassen lehnen können, uns in der Dunkelheit Sicherheit zu geben. In Asana ermöglicht uns die Grenze, die wir erfahren, in Sicherheit eingebettet zu sein, wodurch Entspannung möglich wird und die Übung die zur Zeit mögliche Wirkung zeitigt. Verharrt man dicht an der Grenze, wird der Körper versuchen, dort für künftige Begebenheiten Raum zu schaffen. Er tut das auf seine ganz eigene Art und Weise, und kein Wissen kann uns dabei nützlich sein. Es können Wochen vergehen, und nichts geschieht. Und dann plötzlich macht der Körper einen Sprung, und siehe da, der Radius hat sich über Nacht erweitert. Und er machte das ohne die schmerzhaften Begleiterscheinungen, die sportliche Dehnungen gewöhnlich so an sich haben. Der Körper hat sozusagen durch die ständige Wiederholung der Anforderung – an der Grenze verharren – diese aufgenommen, die Bedingungen für Erweiterung geschaffen und dann wirksam umgesetzt.

Eine andere Art von Wirkung können Yoga-Übungen erzeugen, wenn der Körper oder seine Teile von unseeligen Verspannungen durchzogen wird. Meist macht sich dieses Beschwernis dann als schmerzhafte Äußerung in dem einen oder anderen Muskel bemerkbar, den wir dann als „verspannt“ bezeichnen. Das aber greift meist deutlich zu kurz. Im Grunde ist nicht der schmerzhafte Muskel verspannt, sondern das ganze System Mensch leistet sich Verspannung. Wer an seine erste klassische Thai-Massage zurückdenkt, wird wissen, was damit gemeint ist. Wo der Massage-Therapeut damals bei mir alles Verspannungen zu finden vermochte, werde ich niemals vergessen. Das zog sich von der Fußsohle bis zum Nacken hinauf und es wurde eine sehr lange Stunde. Im Grunde ist, wenn Schmerzen irgendwo auftreten, zum Beispiel Knie, das ganze System Mensch in Unordnung. Und entsprechend genügt es nicht, nur das Knie zu bearbeiten. Wichtig sind auch alle direkten und indirekten Mit- und Gegenspieler in diesem Körper, der genau genommen mehr einem Netzwerk von Funktionen ähnelt als einer Ansammlung von nicht austauschbaren Teilen. Kommt ein Mensch mit schmerzendem Knie in eine Übungsstunde, bleibt meist das Knie selbst unbearbeitet. Zunächst einmal müssen seine Nachbarn geöffnet, entspannt werden, und die betroffene Nachbarschaft kann sehr weit gehen in einem Netz. Weiterhin ist der Schmerz gepeinigte Mensch auch psychisch betroffen, sei es durch genervt, sei es ungeduldig, sei es verbittert sein. Und auch diese Verspannungen müssen gelöst werden, bevor lindernde Wirkungen zustande kommen können. Beim Thema Knie kam in der Vergangenheit oft heraus, das das Knie wie auch der Geist nur das Opfer waren eines Täters, der in der Wade, im Oberschenkel, in der Fußsohle oder gar in der Hüfte seine Platz hat. Irgendwann spürt eine Übung den Täter auf, und siehe da, nach seiner Beruhigung verschwanden dann auch die Schmerzen im Knie. Und natürlich kann die Ursache, die einen Täter erst gemacht hat, auch in der Psyche gelegen haben. Grundsätzlich gilt, Schmerzen hat nicht ein Teil, sondern immer der ganze Mensch. Und somit muss auch der ganze Mensch Ziel einer Behandlung sein, im genanten Fall als Beispiel mit Therapie-Übungsstunden.



Die Stufen 5-8 des Patanjali-Yoga-Systems beschäftigen sich mit Meditation. Und auch wenn die bisher beschriebenen „Turnstunden“ nur ganz kurz Meditationseinheiten ermöglichen – Ich bleibe zur Zeit insgesamt 2 Minuten in jeder Asana – braucht es für Meditation in Sinne von Dhyana schon etwas längere Übungszeiten. In der Regel werden für eine Sitzung in Meditation etwas zwischen 20 und 30 Minuten angesetzt, und empfohlen werden zumindest zwei Sitzungen pro Tag. Das ist auch sinnvoll, denn zum Beispiel in den Lotushaltungen, die für die Meditation sicher die Besten aller Sitzhaltungen sind, sollten die Beinseiten schon gleichmäßig belastet werden. Kreuzbeinige Sitzhaltungen zeigen immer eine einseitige Belastung. Ein Bein liegt unten, ein Bein oben, und das führt bei längerer einseitiger Belastung zu Fehlhaltungen im Becken- und Hüftbereich, im Oberschenkel und im Knie bis zum Fuß hinunter. Irgendwann dann ist entspanntes Sitzen so nicht mehr möglich. Jede Sitzhaltung ist eine Asana, und zu deren Einrichtung, Haltung und Vorbedingungen gelten daher auch die bereits vorgestellten Aussagen. Und auch hier ist es oftmals notwendig, längere Zeit für der Ausformung der Sitzhaltung zu investieren. Die Stille der Gedanken im Geist ist nur möglich in einem entspannten Körper und in Begleitung eines ruhig und mühelos fließenden Atems. Die Stille des Geistes führt ohne unser Zutun zu Samadhi, der Versenkung. Das einmal zu erreichen ist der erste Meilenstein auf dem Weg der Meditation. Der zweite Meilenstein finden wir in der Aussage, Samadhi öfters zu erreichen oder sogar regelmäßig zu erfahren. Hier aber gehe ich jetzt nicht mehr weiter, denn ich sollte nur von Dingen schreiben, die ich auch durch bestätigte Erfahrung belegen und somit bezeugen kann. Weiter bin ich bisher nicht vorgedrungen.

Soweit zunächst einmal eine Beschreibung meiner Ansichten über die Praxis des Yoga, so wie ich es selbst praktiziere und auch unterrichte. Das die Wirkungen des Yoga wie gelesen nur erlebt, nicht aber erlernt werden kann, ist die Maxime der Weitergabe der Techniken immer Hilfe zur Selbsthilfe, oder anders formuliert ist es das Ziel der Weitergabe, zu regelmäßiger selbstständiger Praxis zu ermuntern. Und regelmäßig heißt täglich, und selbstständig heißt „allein für sich zu Hause“. Die Arbeit in der Gruppe und/oder mit einem Lehrer ist lediglich eine zusätzliche Ergänzung, die zu neuen Ideen und neuer Motivation beitragen kann. Allein zu Hause zu üben, ohne Anleitung, ohne Kritik, ohne fachliche Betreuung, ohne Lehrer, Guru oder Meister, bedarf in meinen Augen aber einer weltanschaulichen, philosophischen und ontologisch geschulten Basis, mit der der Übende aus der oftmals Schicksal-verliebten, Regel-hörigen, Traditions-verstrickten, oder mit anderen Worten gesagt dogmatisch verhärteten Sichtweise über Yoga und Körperarbeit auszusteigen vermag. Yoga als Praxis bedarf keiner Symbole, keiner besonderen Lebensweise, keinerlei Lifestil und auch keiner besonderen Atmosphäre, und das besonders dann nicht, wenn man allein zu Hause für sich übt. Es genügt eine rutschfeste Matte, ein ruhiges Umfeld und etwas Zeit. Mehr nicht!

Die Yogaschriften sind sehr alt, mindestens 1000 Jahre, und niemand weiß wirklich genau, wer dort alles geschrieben hat und welche Intention die Autoren verfolgt haben. Eindeutig und klar sind die Hintergründe wirklich nicht, und viele Beschreibungen und Verfahren muten uns heute etwas archaisch an. Besonders der in neueren Büchern stets rot bezeichnete Abschnitt der Pradipika zum Beispiel spricht dafür mehr als deutlich. Ich bin der Ansicht, das man die Zeit der Verfasser berücksichtigen muss, in der die Werke entstanden. Die Religion und Kultur spielen eine sehr große Rolle, die Vorstellungen über Körper, Krankheit und Auswirkungen des Todes (Wiedergeburt, Nirvana, Fegefeuer, Paradies) spielen Rollen, und viele möglich andere, aber weniger prägnante Vorstellungen sollten ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Dann ist Yoga und seine Übungen für Männer als Übende ausgelegt. Frauen spielten in den Kulturen der damaligen Zeit keine oder vielleicht nur eine sehr kleine Rolle, besonders in Indien. Summa sumarum erfolgt daraus die Schlussfolgerung, das die besagten Schriften heute nach und mit den bestehenden Kulturvoraussetzungen überarbeitet und neu ausgelegt werden müssen. Eine Arbeit, von der sich viele moderne Autoren gerne drücken. Yoga ist nach den Beschreibungen der alten Schriften aus heutiger Sicht mit vielen religiösen und spektakulären Facetten ausgelegt, ist voller Übertreibungen und ausgeschmückten Geschichten. Da finden sich oftmals Anweisungen, die nur geübte Fakire ausführen können, da wirken Wunderheiler und übermächtige Gurus, da werden übermenschliche Wundertaten wie Selbstverständlichkeiten gesehen und dem lesenden Publikum angedient. Nun findet man Solcherlei in allen Religionen und Kulturen, aber gerade Indien ist bekannt dafür, in Erzählungen gerne maßlos zu übertreiben. Wer sich weiterhin einmal die Krankheiten angesehen hat, die heute noch in auf klassische Schriften sich beziehenden Yogabüchern ausgewiesen werden, wird feststellen, das viele davon heute in der Volksgesundheit nahezu keine Rolle mehr spielen. Und wirklich wichtige Krankheiten heute, wie Übergewicht, Diabetis, Bluthochdruck, Krebs, MS, Alergien, Psychisch-Ausgebrannt-Sein (Burnout), fehlen dafür vollkommen. Nur orthopädische Leiden wie Rückenschmerzen, verkürzte oder verspannte Muskelpartien und die üblichen körperlichen Überlastungsstörungen durch zu viel und zu harte Arbeit ziehen sich durch von der Antike bis heute in nahezu allen Traditionen.



Was Yoga und eine mögliche Auslegung betrifft, sind aber nicht alle Inhalte der klassischen Schriften wo zuvor ausgewiesen für die Moderne nicht verwendbar. Interessant sind aber dann nicht die vielen Details, sondern viel mehr die Prinzipien, die dort beschrieben werden. So schreibt die Pradipika zum Beispiel, das ein entspannter Körper, ein sanfter natürlicher Atem und die Stille des Geistes eine hervorragende Ausgangslage bieten, um heilsame Veränderungen im Körper-Geist-(Seele)-System Mensch zu bewirken. Und das stimmt exakt und ist auf den Punkt getroffen. Ich will in den nachfolgenden Zeilen einmal versuchen, etwas näher auf solche Prinzipien einzugehen.

  • Zunächst einmal muss festgehalten werden, das ich als Mensch keinen Körper habe, sondern einer bin. Dann, wenn wir diese Beobachtung wahrnehmen, haben wir auch keine Schmerzen, keine Krankheiten, sondern wir sind diese Schmerzen und verursachen damit die Krankheit selbst. Unfälle, Vergiftungen und Gewaltanwendungen, die von außen an uns herangetragen werden, müssen dabei logischerweise unberücksichtigt bleiben.
  • Dann leben und denken wir ja sehr überzeugt in einer Ursache-Wirkung-Erzählung. Selten aber wird dabei berücksichtigt, das eine Wirkung auch zwei oder mehr Ursachen haben kann, das eine Ursache auch viele Wirkung haben kann, und das auch viele Ursachen für viele Wirkungen am Anfang stehen können. So eindeutig und klar, wie so manche Beschreibung das sieht, ist das Prinzip Kausalität daher leider nicht zu verstehen. Und allein schon die Tatsache, das es hoch entwickelte Kulturen gibt (China, Taoismus, Konfuzianismus), die vollkommen auf dieses Prinzip verzichten und trotzdem sich sehr hoch entwickeln konnten und das auch heute noch fortgesetzt tun, spricht dafür, diesem Prinzip nicht den Stellenwert einzuräumen, der ihm in der Philosophie europäischer Prägung zugestanden wird. Überhaupt hält die Suche nach den Ursachen eines Motivs selten einer Überprüfung auf Vollzähligkeit stand. Sehr oft wird in den Wissenschaften, selbst in der Medizin heutiger Prägung, das erste sich bietende Motiv als Ursache deklariert, angenommen und dann einer Behandlung unterzogen. Die oft zu hörenden Geschichten von Menschen, die monate- und jahrelang von Arzt zu Arzt, von Therapie zu Therapie irren, ohne wirkliche Hilfe zu bekommen, sprechen hier eine eindeutige Sprache. Und die vielen Irrtümer der Wissenschaften, von der Erde als Scheibe bis zur Ignoranz der Gefährlichkeit der Radioaktivität, die viele dieser auch heute noch nicht zuschreiben, gibt es Unmengen an Beispielen.
  • Weiterhin leben wir in einer Kultur, die Moralvorstellungen in der Form von Narrativen als ihre Basis betrachtet, die weniger die vielfältigen Möglichkeiten eines glücklichen Lebens in Sinne hat, sondern sich vielmehr ein Leben angefüllt mit Tugenden, Pflichten und Passionen vorstellt und dieses als grundlegend voraussetzt. Nur sind Passionen selten mit einem guten Leben vereinbar, Pflichten selten mit Erfüllung bedacht und Tugenden selten freudvoll. Wollen wir wirklich nur noch in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben, nur noch das Beste aus allem machen, oder ist nicht immer auch schon die Möglichkeit gegeben, einfach zufrieden zu sein mit dem, was ist.
  • Dazu kommt, das sehr viele Weltsichten und Religionen Europas und Indiens darauf ausgerichtet sind, einen möglichst guten Start ins Jenseits sprich Paradies zu erwirtschaften oder eine bessere Ausgangsbasis für die wie immer auch ausgestaltete Wiedergeburt zu erlangen. Das verlangt Opfer im hier und jetzt und auch das kann selten als frei und freudvoll angesehen werden. Das geht von einem Verzicht auf jegliche sinnliche Erfüllung bis zu einem zwanghaft aufgerichtetem Leben in Einsamkeit (Kloster) oder sogar unter Martyrien (wie Asketen im Hinduismus). Wer aber kennt die Antwort auf die Frage: Was passiert nach dem Ableben wirklich? Wiedergeburt, Paradies oder Hölle, die Unterwelt, Nirvana, Himmlische Freuden oder Höchstes Gericht? Warum leben wir nicht einfach unser Leben und lassen uns überraschen? Zu einfach?
  • Dann leben und denken wir seit mehr als 2000 Jahren einen Dualismus, der sich definiert als eine absolute Vorgabe der Widerspruchsfreiheit innerhalb einer Aussage. Das heißt, es gibt nur noch ein Entweder-Oder, und alles wird radikal reduziert auf zwei Möglichkeiten. Dabei übersehen werden meist drei weitere Möglichkeiten einer Entscheidung bei einer Wahl zwischen zweier Motiven: Da gibt es doch auch das Weder-Noch, da gibt es ein Sowohl-Als-Auch und es bieten sich sogar noch zwei weitere Lösungen an, die da heißen, Offenheit oder „Ich entscheide mich jetzt nicht…“ und die Skepsis, die da sagt „Die Frage ist falsch gestellt. Sie ist für mich daher so nicht relevant“. Und warum sollte es immer nur zwei Möglichkeiten geben. Vielleicht gibt es drei, vier oder unendlich viele Varianten. Warum hat man eigentlich mal Brainstorming erfunden? Damit alles auf Zwei reduziert bleibt, zwischen denen man sich entscheiden kann? Eigentlich Unsinn…



In meiner Vorstellung angesichts einer Absicht, Problemstellung, Entscheidung oder Zielvorgabe, die es zu erreichen, zu lösen oder zu entscheiden gilt, sollten alle Möglichkeiten erwogen oder abgeschätzt werden. Meist bleiben aus der Vielzahl dann sowieso nur wenige gängige und heilsam dienende Varianten bestehen. Selten sind es mal gerade Zwei oder gar nur eine Einzige. Oftmals werden dabei schnell Varianten in Betracht gezogen, die sich bereits bewährt haben in der eigenen Geschichte, die aus Erzählungen anderer bekannt geworden sind oder die eine große Sicherheit versprechen, um dann schnell darauf zu drängen, umgesetzt zu werden. Sie beginnen häufig mit „Man“. Bemerke ich diese Motive, reagiere ich vorsichtig. Was einmal oder mehrmals geklappt hat, kann und muss nicht beim nächsten Mal ebenfalls gelingen. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, die aber oft in der Hetze der Zeit vernachlässigt wird. Gerade in der Körperarbeit ist das häufig zu beobachten. Der Satz von 60 Asanas hat sich in 1000 Jahren immer wieder bewährt. Wir sollten ihn nicht ändern, und die Anweisungen des/der Lehrer unbedingt folgen, denn er/sie unterrichtet aus einer sehr alte Tradition. Leider kennen alte, sehr alte Traditionen keinen Acht-Stunden-Büro-Job mit Bildschirm und Tastatur. Auch gibt es in den alten Traditionen kein ADHS, keine Depressionen, kein Borderline-Syndrom und auch keinen Burnout. Auch waren Bewegungsmangel, Übergewicht und andere Hoch-Zivilisationskrankheiten in den alten Zeiten seltener zu beobachten. Dafür gab es andere Erschwernisse, die heute gar fast keine Rolle mehr spielen. Warum sollten daher die guten alten Yogaübungen dieser Zeit also gegen unsere schlechten Gewohnheiten helfen. Sicherlich gibt es im weit fortgeschrittenen Yoga-Milieu, besonders in den Meditationsanleitungen, gewisse Übereinstimmungen in allen Zeiten. Aber die körperlichen Voraussetzungen dazu sind auf jeden Fall verschieden. Ich plädiere daher auf jeden Fall für ein ganz besonders genaues Hinschauen, welche Yamas, Niyamas, Asanas, Pranayamas und Meditationen den neuen Anforderungen noch gerecht werden. Selten muss ja zum Beispiel bei Asana und Pranayama die ganze Übung verändert werden, es sind mehr die Intensität der Übung, die Intensionen und die kurzzeitigen Zielvorstellungen, die an die Moderne angepasst werden sollten. Die alten Yamas und Niyamas im besonderen berühren die philosophischen, ontologischen und gesellschaftlichen Zustände und Erfordernisse der heutigen Zeit in Mitteleuropa nur wenig. Dazu sind die Formulierungen für die Komplexität unserer Zivilisation zu oberflächlich und nicht differenziert genug.

Im Grunde kann und muss heute für das Üben von Yoga eine andere Grundausstattung an Vorbedingungen präsentiert werden. Das beginnt damit, das Yoga für ein Leben konzipiert werden sollte, das heute, hier und jetzt und in einer Lebenserwartungs-nahen Zukunft geschehen soll. Für eine Wiedergeburt vorzuarbeiten oder vorgegebenen Regeln zu folgen, die ein paradiesisches Weiterleben nach dem Tod ermöglichen könnten, wird unserer heutigen Erwartung ans Yoga nicht mehr oder nur noch selten gerecht. Fünf Erscheinungsbilder für Yoga können heute beobachtet werden:

  • Da gibt es Yoga als Freude an Sport und Bewegung.
  • Dann Yoga als Vorsorgepraxis bezüglich der körperlichen Gesundheit.
  • Dann wird Yoga als Therapieform verwendet, um Zivilationsbelastungen zu kurieren.
  • Dann gibt es Yoga als eine Steigerungsform im Selbstgestaltungsprozess. Das gilt sowohl für körperliche (z.B. Beweglichkeit) als auch mentale (z.B. Konzentration) und meditative (z.B. Bewusstseinserweiterung) Formen.
  • Weiterhin kann Yoga als spirituelles Narrativ (Wir Yogi(ni)s…) praktiziert werden.

Alle fünf Formen besitzen ihren Charme und gelten als sehr beliebt. Und sie haben ihre Berechtigungen. Trotzdem können eigentlich nur „die Freude an Bewegung“ und eine „Vorsorgepraxis“ den vollen Yoga-Ansprüchen genügen. Die Therapieformen benötigen Erweiterungen, zu nennen sind da bevorzugt Ayurveda, Thai-Massage und natürlich ärztliche Begleitung [1. Das ist schon aus rechtlicher Sicht unbedingt erforderlich.]. Als Selbstgestaltung-Praxis müsste geklärt werden, wo denn die Zielvorstellung derselben eigentlich liegen sollte. Wenn man sich in der Yoga-Literatur umschaut, gibt es dafür eigentlich nur Warnungen. Große Kundalini-Erfahrungen zum Beispiel gehen oftmals mit langwierigen körperlichen Krankheitsbildern einher, kleinere Energie-Erfahrungen lassen die Fragen offen, welcher Nutzen daraus abgeleitet werden kann. Nur langjährige Erfahrungen und intensive Übungspraxis könnten eine solide Grundlage dafür schaffen. Sicherheitshalber aber keine Energie-Erfahrungen mehr zu machen aber werden dem Yoga einfach auch nicht gerecht, da diese gebraucht würden, um seine Gestaltungsabsicht kontrollieren und leiten zu können. Die in den Schriften beschriebene yogische Meditationspraxis dann ist eine sehr eingeschränkte Form und lässt viele Motive unangesprochen. Hier sind zum Beispiel Zen und und die Zinn‘schen Stressreduktionsmethoden deutlich weiter. Und die Identifizierung mit der Gruppe, die das eigentliche Motiv der häufigen Identifikation mit der Yoga-Lehre ist, ist auch nur ein Narrativ unter vielen anderen. Nicht-Identifikation wäre eher statt dessen angesagt: „Ich lebe in Unabhängigkeit, Unbedingtheit und Freiheit“. Es sind ja gerade die Identifikationen mit irgendwelchen Vorstellungen, die das moderne Leben so belastend machen. Als Fazit bleiben nur „Freude an Bewegung“ und die Vorsorge als Motive übrig, die in der Breite der Gesellschaft praktiziert werden und als fördernd angesehen werden könnten. Seien wir ehrlich: Wer hat heute noch Zeit und Muße, um täglich zwei Stunden Yoga und Meditation über einen langen, in Jahren auszudrückenden Zeitraum, üben zu können. Und das ist sozusagen vom Aufwand her das Minimum, das erbracht werden müsste, um zumindest eine solide Grunderfahrungen des Yoga vermitteln zu können.



Kommen wir jetzt, nachdem der Status „heute“ ausreichend dargelegt wurde, zu den Voraussetzungen im Denken und in der Lebensgestaltung, die Yoga als fördernd ausstatten können.

Yoga, ob als Freude an Bewegung oder als Technik auf ein Ziel ausgerichtet ist immer Arbeit an sich selbst. Es kann nicht gemacht werden, was nur den körperlichen Aspekt einschließen würde, es kann auch nicht mal so als Ausgleich für irgendetwas Belastendes angesehen werden, weil das den ganzheitlichen Aspekt, der immer da ist, nicht einschließen würde, noch kann es mal so einfach mitgenommen werden, weil zum Beispiel meine Freunde das auch machen. Yoga ist Arbeit an sich selbst. Man kann nicht ins Wasser springen, ohne nass zu werden. Wenn ich an mir selbst arbeite, verändert sich das Sein, unmerklich vielleicht, aber nachhaltig. Und ohne Erfahrung oder fachliche Anleitung weiß der Übende nicht, was da so alles betroffen sein wird. Yoga arbeitet, kann somit ein Lebensgefüge verändern. Ob das Ergebnis dann als gewünscht betrachtet oder eher betroffen machend erlebt wird, ist ungewiss. Wohlgemerkt, ich spreche von einer vollen Yoga-Praxis, das heißt täglich zwei Stunden als Minimum in einem in Jahren zu rechnenden Zeitraum.

Yoga-Übungen, ob Asana, Pranayama oder Meditation, müssen, um wirksam sein zu können, angemessen ausgeführt werden. Zuviel oder zu wenig Intension, ohne Konzentration ausgeführt, ohne Maß oder mit zu viel Ehrgeiz ausgeführt wirken sie gar nicht oder gehen sogar in eine unerwünschte Richtung, sprich: So können sie sogar Schaden anrichten! Yoga arbeitet körperlich immer an der Grenze zwischen der Wahrnehmung von „da tut sich was“ und beginnendem Schmerz. In diesem schmalen Fenster erscheinen energetische Wahrnehmungen, sind leichte Anspannungen und auch Entspannungen wirksam möglich. Innerhalb dieser Begrenzungen zu bleiben erfordert einen maßvollen Einsatz von Willen, erfordert ein hohes Maß an Konzentration und Vertrauen in die eigene Beständigkeit. Die Arbeit mit dem Atem, Pranayama, erfordert zusätzlich die Gewissheit, das der Atem nicht falsch ist oder Veränderungen bedarf, um gut zu sein, sondern das man sich nur weitere Möglichkeit erschließt, die der Atem gehen kann und die ihn dann zu einem vielseitigerem Wirken in die Lage versetzen. Bei den Meditationsübungen wird der Übende schrittweise an die Wahrnehmung der Wirklichkeit herangeführt. Das ist nicht immer nur wunderschön, sondern geht tief in die eigene Konzeptionierung hinein und konfrontiert den Übenden mit seinem wirklichen Sein. Er wird Gedanken, Wünsche und Triebe in sich entdecken, die ihm bisher nicht bewusst geworden sind und die oftmals mit den gesellschaftlichen Normen im Widerstreit stehen. Die Wanderung durch „das dunkle Tal der Seele“, wie Eckhardt das nannte, erst führt mit der Meditation dann ins heller werdende Licht. Darauf sollte man sich gefasst machen und das sollte man auch durchstehen wollen, bevor man auf die große Reise geht.

Yoga-Praxis hat nichts mit Fitness zu tun, nichts mit Sport oder Akrobatik. Auch muss für Yoga nicht unbedingt eine große Flexibilität vorausgesetzt werden. Im Gegenteil, je weniger Raum der Körper eines Übenden zur Verfügung stellt, desto eher wird er in den schmalen Korridor zwischen Wahrnehmung und Schmerz gelangen. Das Problem allerdings, das diese Aussage beinhaltet, ist, das die alt-bekannten und auch wirkungsvollen Yoga-Haltungen schon im Vorfeld eine recht hohe Flexibilität voraussetzen. Ist diese nicht begeben, müssen diese großen Übungen zugunsten von Vorübungen hinten angestellt werden. Grundsätzlich gilt, das die Ausgangshaltungen einer Yogaübungen leicht und bequem eingenommen werden müssen. Das gilt für den Meditationssitz, das Sitzen im Pranayama als auch für die Asanas. Beginnt die Übung bereits mit einer Anspannung, ist der Korridor der Wirksamkeit verschoben und der Übende kämpft dann nur noch gegen seinen Ehrgeiz. Aus der bequemen Ausgangshaltung beginnt das Vortasten in den beschriebenen Korridor, in dem letztlich verharrt wird. Das gilt für alle Haltungen gleichermaßen. Bei Übungen, die wie im Handstand natürlich eine Anspannung getragen werden muss, wird diese auf die notwendigen Regionen begrenzt, beim Handstand zum Beispiel sind das die haltenden Arme und Schultern. Woran aber erkennt der Übende bei anstrengenden Übungen, das die Haltung korrekt eingenommen wurde? Bei wenig erfahrenen Übungsteilnehmern wird diese Aufgabe vom Lehrer übernommen. Bei geübten Teilnehmern, die auch schon allein praktizieren, erfüllt diese Aufgabe Maha-Bandha. In allen Übungen ist die Wahrnehmung dieses Bandes, mehr oder weniger deutlich, möglich. Wie dieses Band gesetzt wird und wie es wirkt, übersteigt die Thematik dieses Artikels. Es wird dazu bald einen eigenen Artikel geben.

Zusammengefasst kann über Yoga gesagt werden, das wir es als eine Methode zur Arbeit am eigenen Lebendig-Sein ansehen sollten. Es hat weder religiöse noch esoterische oder mystische Hintergründe, schreibt weder eine spezielle Art sich zu kleiden, zu kommunizieren noch zu essen vor, braucht weder Hingabe an einen Guru noch Anbetung irgendwelcher Götter und kann somit von jedem Menschen praktiziert werden. Was er dazu braucht ist lediglich etwas Aufmerksamkeit, ein wenig guten Willen, viel Geduld und etwas Zeit zum Üben. Der notwendige Zeitaufwand beginnt bei etwa 20 Minuten täglich und steigert sich nach und nach auf eine Stunde. Unter Einbindung von Pranayama und Meditation erweitert sich das dann auf etwa zwei Stunden täglich. Weniger geht meiner Ansicht nach für eine volle Praxis, was ich den Yoga-Weg nenne, nicht. Dieser Weg kann nicht gültig für Alle beschrieben werden, der er erfordert individuelle Ausführungen und Intensionen, die nur mit dem Wort Selbsterfahrung ausreichend beschrieben sein können. Wer den Weg gehen will, muss bereit sein, Erfahrungen selbst, an eigenem Leib und Wesen, zu machen.




Padmasana und Meditation (Sitzen im Lotussitz)

Um Padmasana, das Sitzen im vollen Lotussitz, ranken sich viele Geschichten und Beschreibungen. Diese gehen von „für einen Europäer fast unmöglich“ bis zu „in wenigen Wochen erlernbar“. Viele Meditierende möchten gerne diese Sitzhaltung für ihr Zazen / Sitzen in Meditation nutzen, jedoch scheitern viele dabei, da sie entweder zu wenig über diese Asana wissen, diese mit unzureichenden Vorübungen oder gar mit Gewalt zu erreichen suchen und/oder einige Anpreisungen oder Beschreibungen nicht oder nur ungenügend verstehen. Ich habe mich daher entschlossen, ein wenig Licht ins Dunkel dieser Asana zu bringen.

Der komplette Artikel steht auf Parimoksa, meiner Seite für Themen der Meditation. Über ” mehr ” wird diese Seite geöffnet.

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Yogasana – Asana als Übungspraxis

Wenn wir uns im
westlichen Kulturkreis über Yoga unterhalten, sind dabei meist die
Praxis von Übungsstunden der Kern des Gesprächsthemas. Und ganz
allgemein wird davon ausgegangen, das nahezu jeder Übungen des Yoga
schon einmal gesehen hat, sie mit anderen Worten kennt und daher auch
eine Vorstellung davon besitzt, was diese Übungen bewirken, wie sie
ausgeführt werden und warum sie geübt werden. Das aber ist ein
großer Irrtum.



Ich habe mich
entschlossen, diesen Artikel zu schreiben, weil mir wieder einmal ein
Versuch beim Lesen in die Hände gelangt ist, der dieses falsche
Urteil angeht und versucht, eine etwas andere Sichtweise auf Asana zu
formulieren. Allerdings geht mir dieser Versuch [1. Viveka 58 –
Form folgt Funktion], so richtig auch die beschriebenen Inhalte sein
mögen, beileibe nicht weit genug. Yogasana auf „Form folgt
Funktion“ zu reduzieren ist eine in meinen Augen ungeschickte
Simplifizierung der Möglichkeiten, die eine Arbeit mit und in Asana
wirklich bietet. Auch ragt dann die praktische Ausgestaltung der
Übungsbeschreibung, die das Ende des Artikels schmückt, nicht
einmal einen halben Schritt über die Arbeit mit Einsteigern hinaus.

Die folgende
Beschreibung ist eine Anregung für Menschen, die mit ihren
Yoga-Übungen kein exakt formulierbares Ziel verfolgen. Für die
Begleitung einer Heilung, einem gezielten Energieaufbau bei
Mangelerscheinungen oder anderer therapeutischen Maßnahmen sind
andere Grundsätze von Nöten. Sowohl die Vorgehensweisen als auch
die Intensitäten liegen dann ganz wo anders.

Zunächst einmal ist
Yoga in seiner Gesamtheit ein System, das neben Körperarbeit (Asana)
auch Atemarbeit (Pranayama), und Meditation (Pratjahara, Dharana,
Dhyana, Samadhi) mit all seinen Prägungen ausweist. Es geht sogar,
und das ist wenig bekannt oder wird zumindest selten gelebt, von
einer ausformulierten Moral- und Ethikvorstellung (Yama, Niyama) aus.
Weiterhin gibt es in der Kultur, aus der Yoga stammt, einen
Gesundheitssystem namens Ayurveda, das mit Yoga vernetzt und nur in
Verbindung mit Yoga und seiner Praxis vollständig wird. Yoga selbst
beschreibt somit nur ein Teilbereich dessen, was deren Entwickler
über die Jahrhunderte hinweg mit der Kombination Ayurveda, Yoga und
Religion (Hinduismus) zu erreichen suchten. Yoga stellt in dieser
Kombination drei große Funktionen dar, die mit Prävention
(Gesundheitsvorsorge), Bewegungstherapie (Spannungsabbau,
Rehabilitation) und einer Erforschung des Körpers, des Geistes und
deren Möglichkeiten beschrieben werden kann. Nur in diesem Kontext
ist Yogasana sinnvoll zu verstehen. Soweit der kleiner Überblick
über die Einbettungen des Themas.

In Yogasana übe ich
mit einer Praxis, in der ich den Körper in eine bestimmte Pose
bringe, diese halte und die so verspricht, für mich ganz bestimmte
Ziele zu erreichen. Ich gehe also davon aus, das durch die Ursache
Asana eine gewünschte Wirkung herbeigeführt wird. Das ist die meist
formulierte Erläuterung zu Asana, und sie mag ja auch zum Teil
stimmen, aber sie erscheint mir sehr ungenau, sehr wage und
zusätzlich noch sehr profan zu sein. Zunächst einmal sei erläuternd
erwähnt, das meist nicht eine Ursache allein zu einer bestimmten
Wirkung führt, sondern das eine bestimmte Ursache allein schon viele
Wirkungen hervorrufen kann. Und mehr noch, meist werden wir erstaunt
feststellen, das viele Ursachen viele Wirkungen nach sich ziehen und
das somit eine genaues Urteil selten in Präzision möglich ist. Also
zu sagen, das die Asana wie z.B. der Kopfstand diese bestimmte
Wirkung erzeugt, ist mehr als ungewiss, und das kann auf nahezu alle
Übungen übertragen werden. Yoga wirkt meiner Ansicht nach als
System, und um Yoga beschreiben zu können, muss ich daher auch
systemisch argumentieren. Darin spielt dann eine bestimmte Übung nur
eine sehr begrenzte Rolle. Weiterhin muss ich beachten, welche
Intention (Ziele) der Übungsteilnehmer mit seiner Praxis verfolgt.
Das kann sein, das hier lediglich ein Ausgleich zur Arbeitswelt
geschaffen werden soll, kann aus Gründen der Gesundheit wie der
Bekämpfung von Rückenschmerzen motiviert sein oder ist einfach
durch das Sozialverhalten und dem Spaß und der Freude an Bewegung
begründet. Für alle diese Motive gilt das gleiche Übungssystem,
werden die gleichen Übungen eingenommen und die gleichen Regeln
befolgt? Ist das so? Ist Yogasana wirklich die alles umfassende
eierlegende Wollmilchsau? Und jetzt heißt es wohl üben, üben und
üben?



Der Schein trügt.
Posen wie z.B der Drehsitz und seine Variationen bieten viele
Möglichkeiten der Wirkungserzeugung an. Sie alle sind aber weder
gleichwertig, weder allgemein gültig noch für alle Menschen gleich
wirkend. Doch der Reihe nach!
Zunächst einmal ist der
vollständige Drehsitz z.B. eine Haltung, die nicht jeder Übende
gleich einzunehmen vermag. Daher werden gerne Vorstufen dieser
Haltung verwendet, wenn man in großen Gruppen übt, denn ein oder
zwei Beginnende sind immer wieder mit dabei und hier muss Rücksicht
genommen werden. Diese Vorübungen [2. a. Ein Bein gestreckt, ein
Bein übergestellt, dann gedreht; b. Ein Bein gestreckt, ein Bein
seitlich abgelegt, dann gedreht; c. einfach mit gestreckten Beinen
sitzend gedreht; d. Auf dem Stuhl sitzend gedreht; e. Ein Bein
gestreckt, ein Bein angestellt und gedreht; …um nur einige zu
nennen und mich beim Aufzählen auf mögliche Beinhaltungen
beschränkend. Dann gibt es ja noch Arme, Atem, Intention und
Intension…] aber haben jeweils vollkommen unterschiedliche Wirkung
zu Folge. Woher weiß ich das? Ich habe sie alle ausprobiert und
miteinander verglichen. Wer als Yogalehrer offene Stunden gibt, weiß
nie, welche Übende mit welchen Motiven sich in seinen Kurs
versammeln können. Er sollte daher alle Variationen, die er
unterrichtet, auch kennen. Große Teilnehmerzahlen sind zwar gut fürs
Geschäft, aber schlecht für den Teilnehmer, denn der Lehrer wird
sich um den Einzelnen nicht intensiv kümmern können. Ich sehe daher
bei mir maximal 10 bis 12 Teilnehmer als sinnvoll an. Mehr ist für
einen Lehrer eigentlich nicht zu schaffen ist. Und diese kleine
Anzahl geht auch nur dann richtig gut, wenn bereits die Hälfte der
Teilnehmer regelmäßige Kursbesucher sind.

Und da sind wir
schon mitten im Thema und an einer Stelle, die mir zum jetzigen
Zeitpunkt im Artikel zu früh für Detailäußerungen erscheint und
die ich daher zurückstellen möchte. Bleiben wir zunächst noch
etwas beim dem, was allgemein geäußert werden kann.

Ich möchte jetzt einfach einmal ohne begründende Erläuterung und Ableitung meine Ansicht zu Yogasana beschreiben. Jede Pose, die ein Körper einnimmt und etwas hält, stellt eine Herausforderung für viele Funktionen des Körpers dar. Der Atem muss stattfinden können. Der Kreislauf darf nicht übermäßig eingeschränkt sein. Muskeln müssen angespannt, entspannt oder zum Halten genutzt werden und es wird oftmals auch Kraft, Energie und Willensstärke gefordert. Dann sind natürlich immer auch Entspannung, sich lösen von Vorstellungen und andere psychologische Aufgaben zu bewältigen. Jede dieser Aktivitäten erzeugt Wirkungen. Und jede Wirkung wird als Ursache weitere Wirkungen nach sich ziehen. Wie also soll ich so ein Netzwerk mit einfachen Worten beschreiben? Meine Antwort ist einfach: Gar nicht!

Zäumen wir daher das Pferd daher mal von hinten auf. Wir alle kennen die hohe Beweglichkeit, die langjährige Yogaübende auszeichnet. Diese Beweglichkeit ist nicht das Ziel des Yoga, sondern sie ist eine kollaterale Wirkung. Yogasana werden immer so eingenommen, das sie sich in der Ausformung im Grenzbereich der Bewegungsmöglichkeit des Übenden befinden. Stellen wir uns den Bewegungsspielraum eines Menschen als eingezäunten Garten vor, so üben wir sinnvoll immer direkt am Zaun. Wir berühren diesen aber nicht und wir überwinden ihn auch nicht. Der Körper aber, der regelmäßig vor grenzwertige Aufgaben gestellt wird, sorgt in seiner Autonomie und Anpassungsfähigkeit immer für einen ausreichenden Spielraum in seinen Möglichkeiten. Üben wir immer am Zaun, wird der autonome Körper den umzäumten Raum folglich immer mehr weiten. So entsteht die hohe Beweglich von Yoga-Übenden. Warum aber üben wir immer direkt am Zaun? Der Zaum bildet eine Grenze, die vom Körper deutlich angezeigt wird, zunächst als Wahrnehmung, dann als Spannung und fortführend oder sogar bei Überwindung des Zaunes als Schmerz. Wenn ich demnach dort arbeite, erfahre ich etwas über meinen (Ver-)Spannungszustand und die mir noch zu erschließenden Möglichkeiten, indem ich mich entweder mit Normen der Yoga-Literatur oder anderen Übenden vergleiche. Ziel des Systems wäre demnach, mich von Verspannungen [3. Verspannungen haben vielfältige Einschränkungen zur Folge. Das betrifft den Atem, den Kreislauf, das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und andere gesundheitlich relevante Motive (Schmerz, Bewegungseinschränkungen). Verspannungen benötigen immer Energie, um gehalten werden zu können. Diese steht dann für die Alltagsbewältigung nicht zur Verfügung.] zu befreien.



Des weiteren kann mit Yogasana durchaus auch klassisch trainieren (hier spielt die Intension eine Rolle, die ich der Haltung gebe), sei es zu mehr Beweglichkeit (Vorwärtsbeuge) zu kommen, sei es die Ausdauer (Sonnengebet) zu steigern oder meine Kraft (Stockhaltung) zu erweitern. Allerdings unterscheiden sich Yogasana von Sporthaltungen in der Gestalt, das immer zum Ende einer Haltung eine Entspannungsreaktion vom Übenden gefordert ist. Viele fortgeschrittene Asana sind sogar so ausgelegt, das man ohne Entspannungseinsatz sie einfach gar nicht länger wird halten können. Daher ist es auch wichtig zu sehen, das eine hohe Grundbeweglichkeit das Üben von Asana durchaus im Wirkungsradius verstärkt [4. In der Sportmedizin werden Grundbeweglichkeiten ausgewiesen, die mit Elastizitätstest ausgeführt werden. z.B.: Intensivstretching und Ausgleichsgymnastik von Gerd Schnack, Deutscher Ärzte-Verlag, ISBN 3-7691-0239-8]. Wenn man sich diese in Ruhe anschaut, wird man feststellen, wie wenig Menschen diese auch alle zu erfüllen vermögen. Dazu gehören unter anderen die Hocke mit beiden Fußsohlen am Boden bei geschlossenen Knien und die Vorwärtsbeuge mit gestreckten Beinen, wobei hier die Hände ohne Mühe mit den Handgelenken bis über die Füße gelangen sollten. Dehnen, öffnen sowie kräftigen sind daher wichtige Grundmotive für eine sinnvolle Praxis.

Wir haben also jetzt
gesehen, das das Lösen von Verspannungen ein Grundmotiv von Asana
ist. Weiterhin kann mit den Haltungen auch mit ähnlichen Zielen wie
im Sport trainiert werden. Wodurch aber ist diese Praxis dann, wie
bereits oben kurz erwähnt, in Lage, in Sachen Gesundheit präventiv
(vorbeugend) zu wirken? Um die Grenzen des Bewegungsraumes nicht zu
überschreiten ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erforderlich.Der
Blick muss dafür bis in die tiefen Feinheiten der Körperwahrnehmung
hineinragen. Da unterschiedliche Asanas im Körper an verschiedenen
Stellen herausfordern, lernen wir den Körper in seiner Gesamtheit
kennen und sind schon nach wenigen Wochen der Übung in der Lage,
feinste Körperwahrnehmungen zu erkennen und diese auch durch
Erfahrung zu unterscheiden. Nun zeigt die Erfahrung, das sich
Krankheiten in aller Regel nicht von heute auf morgen einstellen,
sondern sich langfristig ankündigen. Entweder ein ungutes Gefühl,
eine leichte Veränderung der Haltung, der Zustand einer Spannung
oder ein anderer feiner energetischer Ausdruck zeigt sich, lange
bevor eine Krankheit zu greifen beginnt. Ich z.B. bekomme leichte
Entzündungen im Mund- und Rachenraum mehrere Tage vor einer
Erkältung, bekomme Schulterschmerzen bei langer Rechnerarbeit, die
sich durch ein leises Ziehen bemerkbar machen. Rechtzeitig erkannt,
kann so der angreifenden Krankheit früh begegnet werden. Ein Bad
(gegen die Erkältung) oder eine Lockerungsübung (für die Schulter)
zur rechten Zeit wirken bei mir als Beispiel wahre Wunder. Das Üben
von Yogasana hilft also durch Aufmerksamkeit, Krankheiten [5. Auch
die Verspannung ist eine Krankheit.], besonders in ihrer voll
ausgeformten Stärke, durch rechtzeitiges Gegensteuern zu vermeiden.
Eine Erkältung dauert dann mal zwei, drei Tage, der Schulterschmerz
ist meist in Minuten schon aufgehoben.

Dann bereitet
Yogasana auf die Meditationshaltungen vor, die ja auch ein Teil der
Yogapraxis sind. Nicht jeder Sitz ist für Stunden gehalten bequem
und unproblematisch. Ich denke sogar, das Yogasana für die
Erreichung der Ziele der Meditation bzw. deren Aufgabe unabkömmlich
sind. Aber das ist ein anderes Thema.

Fassen wir
tabellarisch mal zusammen, was wir bis hier gelesen haben:

  1. Yogasana
    dienen der Lösung und Vermeidung von Verspannungen.
  2. Yogasana
    helfen, den Körper wahrzunehmen und diesen zu verstehen.
  3. Yogasana
    helfen dabei, Krankheiten rechtzeitig zu erkennen oder zu vermeiden.
  4. Yogasana
    öffnen den Bewegungsraum und helfen Kreislauf und Atem.
  5. Yogasana
    trainieren Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer.
  6. Yogasana
    bereiten auf die Meditation vor



Das ist doch recht
gesehen schon eine ordentliche Palette guter Wirkungen. Aber wie
setzten wir jetzt die mehr allgemeinen Anforderungen für Asana um?
Wie kann ich mir das vorstellen? Nun, eine Asana ist einfach eine
Pose, die wie ein Rezept verstanden werden kann. Sie wird immer im
Grenzbereich der Beweglichkeit gehalten. Wenn dann eine bestimmte
Haltung eingenommen ist, beginnt man damit, diese entweder selbst zu
korrigieren oder vom Lehrer korrigieren zu lassen. Dann legt man eine
mäßige leichte Spannung in die Pose, um sie räumlich zu füllen
oder sogar etwas zu heben. Diese Spannung, die meist zur Basis
(Boden, Sitzen) geht und den Körper sich allgemein etwas verengen
lässt, lässt man dann nach wenigen Sekunden langsam abflachen, bis
sich der Körper wieder öffnet, weitet. An der Stelle (Schwelle), wo
der Körper sich noch erdet, aber schon öffnet, weitet, hält man
die Spannung bis zum Ende der Asana. Dabei öffnet sich sowohl der
Atemraum (Prana) als auch die Ausrichtung zur Erdmitte (Apana)
deutlich fühlbar. Die Pose erscheint dann fest und relativ mühelos.
Durch stetiges Üben in dieser Form, darin enthalten ist der
korrekte Einsatz von Bhandas und Marmas [6. Bhandas und Marmas sind
energetisch wirksame innere Bewegungen und Anbindungen, die uns in
die Lage versetzen, eine Haltung mühelos zu halten. Sie wirken wie
Siegel, die unsere optimale Haltung absichern.] werden sich
Verspannungen, Schutzverspannungen und behindernde Blockaden lösen
und zunehmend dem Körper mehr Raum geben. Mehr Raum bedeutet mehr
Energie, denn Energie braucht Raum, da sie bewegt ist und nicht
statisch gespeichert oder gehalten werden kann. Das ist in kurze
Worte gefasst der grobe Aufbau einer einzelnen Asana aus meiner
Sicht.

  1. Die Form
    einnehmen.
  2. Die Form
    korrigieren.
  3. Bhandas und
    Marmas einsetzen.
  4. Etwas mehr
    Spannung erzeugen und diese langsam zurückgehen lassen,
    beobachten…
  5. Die Form in
    der Wahrnehmung haltend etwas wirken lassen (stehen).

Die Übungsreihen,
mit denen man dann im Alltag arbeitet, enthalten Übungen, die
entweder in einer ganz bestimmten Weise eine Wirkung erzeugen sollen
oder ist eher allgemein gehalten, was bedeutet, das systematisch der
Körper nach Spannungen und Veränderungen durchleuchtet wird. Daher
der Aufbau vieler Traditionen des Yoga in festgelegten Übungsreihen.
Diese sind aber meiner Überzeugung nach mehr für Einsteiger
gedacht. Der erfahrene langjährig Yoga-übende Mensch wird solche
Reihen nicht brauchen. Er verfährt nach der Methode, „was ich in
der Körperwahrnehmung bei mir gefunden habe, werde ich auch sofort
angehen“. Daher ist eine eigene Übungspraxis zu Hause immer
sinnvoll. Die vielleicht eine gemeinsame Übungsstunde in der Woche
oder der Unterricht mit einem Lehrer ist nur ein Impulsgeber oder
eine Kontrolleinrichtung. Sie dienen dem Erlernen neuer Asanas, der
Erweiterung des geübten Portfolios und der Aufnahme von Tips und
Tricks, mit denen die Übungen verfeinert werden können. Außerdem
ist es immer auch interessant und gewinnend, sich mit Gleichgesinnten
zu treffen, gemeinsam zu üben und sich auszutauschen.

Dieses in der Fülle
nur leicht angeleuchtetes Beschreiben einer Asanapraxis (Yogasana)
ist meine Art, mit diesem uralten Rezept aus dem Yoga umzugehen. Die
Elemente religiöser Anteile, die häufig im Yoga beobachtet werden
können, interessieren mich nicht. Das Geschäft mit Yoga ist für
mich nicht von Bedeutung, und auch als Hobby würde ich Yoga ungern
bezeichnen. Yogasana, Pranayama und Meditation sind für mich wie
Körperpflege, wobei Körper und Geist in meinem Denken nicht
getrennt sind. Beide gemeinsam brauchen diese Pflege, um ein gesundes
und erfülltes Leben führen zu können.

Nun hat der Artikel
schon vier DIN-A4-Seiten und Details wie Tips, Tricks und Wege zur
Orientierung sind darin noch nicht enthalten. Jeder Mensch für sich
ist nun einmal eine einmalige Übungsfläche. Das macht die Sachlage
unübersichtlich. Jede Pose, jede Haltung, jede Übung und jeder
Atemzug ist eine einmalige Sache. Es gibt wenig Regeln und wenige
Schilder, mit denen eine solche Praxis einfach mal so durchgeführt
werden kann. Auch ein Lehrer hat für sich genommen eine einmalige
Struktur und kann daher meist nur für sich selbst sprechen. Da aber
Menschen doch nicht so unterschiedlich sind, das gar keine Merksätze
mehr gebildet werden könnten, und da Menschen lernen können,
Mitgefühl zu entwickeln und tolerant zu sein, ist die Arbeit
zwischen Lehrer und Schüler im Yoga immer auch ein Gespräch, ein
Austausch und innerhalb eines freundschaftlichen Rahmens angesiedelt.
So sehe ich meinen Yoga-Unterricht, und so werde ich es auch
weiterhin halten. Wo nur wenige Regeln sinnvoll sind, sollten auch
nur wenige als endgültig formuliert oder ausgewiesen werden.

Und um jetzt zum
Anfang zurückzukehren: Manchmal ist es wichtig, auch Form zu üben
und die Funktion hinten anzustellen. Denn erst die richtige Form
lässt oftmals die Funktion erst im Licht der Aufmerksamkeit
erscheinen. Yoga und Yogasana sind jeweils ein System [7. Systeme
müssen gelebt werden, um erkannt zu werden. Zuerst folgt man
jemanden, dem man vertraut. Dann versteht man, und fließt durch die
Übungsreihen. Dann reihen sich die Übungen mehr und mehr von
selbst. Und zum Schluss steigt man nur noch auf seine Matte und
verlässt sie wieder. Und dazwischen ist… nichts!], und keine
Aneinanderreihung von Einzelübungen.

Die Wirklichkeit, in der sich alles abbildet, ist kein weit entferntes Land.
Sie steckt in dir selbst, mittendrin.
Schau doch einfach mal dort nach.
Dort findest du alle Antworten auf alle Fragen.




Der Effekt von Kurzübungsreihen

Ich verwende in meiner persönlichen Praxis seit nunmehr 12 Monaten jeden Morgen eine Kurzübungsreihe von 10 bis 16 Minuten Länge und möchte hierzu über die damit verbundenen Erfahrungen berichten. Weiterhin habe ich mittlerweile mehrere solcher Reihen für Teilnehmer meiner Yogastunden zusammengestellt und auch hier liegen mir mittlerweile Erfahrungswerte vor.

Ich bin etwas überrascht angesichts der überaus positiven Erfahrungen, Rückmeldungen und Auswirkungen, die mit dieser kurzen Übungsweise verbunden sind. Meine eigene Praxis hat sich in vielfache Weise positiv verändert. Die erste Reihe dieser Art, die ich mehrere Monate aufgrund einer Schulterverspannung jeden Morgen geübt habe, hat die Schulter dauerhaft vom Schmerz befreit und verhinderte auch das Wiederauftreten desselben, nachdem ich die Übungsreihe abgesetzt hatte. Die heutige Übungsreihe, die sich mit der Fähigkeit, lang und ausdauernd kreuzbeinig sitzen zu können, also Übungen zur Öffnung und Dehnung der entsprechenden Regionen vorsieht, hat sich großartig bewährt. Ich sitze zurzeit wie ein Stein auf meinem Kissen, es gibt kein Einschlafen der Füße mehr und ich kann nach 50 Minuten sitzen ohne Schwierigkeiten und unvermittelt den Tag beginnen.

Es gibt weiterhin aus meiner Teilnehmerschar schon nach vier Wochen positive Rückmeldungen, die von einer Veränderung im täglichen Befinden berichten. Schmerzen treten seltener auf, sind wenig stark ausgeprägt oder nahezu ganz verschwunden. Es können Übungen gemacht werden, die vor der Übungsaufnahme nicht so gut gingen und auch in den Übungsstunden kann ich die positiven Wirkungen bei manchem schon im Sonnengebet registrieren. Viele Bewegungen sind rund geworden, sind gängig und bieten dem Zuschauer ein leichtes und müheloses Bild.

Einige meiner Teilnehmer haben sich selbst eine Reihe zusammengestellt und nutzen diese zur regelmäßigen täglichen Praxis. Daher möchte ich jetzt noch einige Ratschläge dazu loswerden, wie eine solche Reihe aussehen kann. Im Mittelpunkt einer Kurzübungsreihe steht die Übung, die an meiner Problemstellung am sinnvollsten zu einer Lösung beitragen kann. Das kann bei Schulterverspannungen zB das Kuhgesicht sein oder das Dreieck. Umrahmt wird diese Schlüsselübung von Übungen, die zusammen eine vollständige Reihe abgeben. Diese ist bestimmt von je einer Übung aus den Gruppen Vorwärtsbeugen, Rückbeugen, Drehhaltungen und Umkehrhaltungen. Dazwischen können Übungen eingebaut sein, in einen lockeren Übergang ermöglichen. Das ist zB der Hund, Stock (Dandasana) oder Asanas mit ähnlicher Intensität, die mit anderen Worten leicht und locker gehalten werden und als Ausgleich oder als Übergang dienen können. Auch Lagerungen wie die angelehnte stehende Vorwärtsbeuge oder eine Rückbeuge über einen Aufbau sind möglich und empfehlenswert, sofern das mit der Schlüsselhaltung vereinbar ist. Als Abschluss dient immer eine ruhig und leichte Übung. Zusammengenommen sollte die Reihe dann zwischen 8 und 12 Minuten lang sein, wobei jede Übung etwa eine Minute gehalten wird.

Die Übungsreihe in dieser Länge belastet weder den Körper noch den Geist, und auch der Stundenplan am Morgen wird nicht übermäßig aufgebläht. Somit sollte für jeden Übenden eine solche Reihe einmal pro Tag möglich sein. Soweit ich hören konnte gibt es auch Kinder, die mit Begeisterung ihrer Mutter entweder beim Üben zuschauen oder sich sogar selbst versuchen. Zehn Minuten am Tag sind immer möglich!

Viel Spaß also beim Üben. Wenn Sie eine Reihe brauchen und sich selbst nicht trauen, etwas zusammenzustellen, sprechen Sie mich an. Ich helfe Ihnen gerne mit Rat und Tat. Allerdings sollten Sie dazu schon mal eine meiner Stunden besuchen oder sich in einer Einzelstunde persönlich beraten lassen. Sie können zur Kontaktaufnahme die Kommentarfunktion des Blogs benutzen, da Kommentare vor Veröffentlichung von mir freigegeben werden müssen. Sollten Sie den Kommentar auf dem Blog nicht lesen wollen, bitte einfach dazu schreiben: „Bitte nicht veröffentlichen“. Ich lösche dann sofort nach dem Lesen und Antworten. Ich freue mich auf Ihre Nachricht! Auf meiner Homepage (sperzelhp.de unter Texte) sind eine Reihe von Übungsanleitungen aufgeführt, die auch von dort direkt ausgedruckt oder als PDF gespeichert werden können. Reinschauen kostet nichts!




Zum Wesen der Energie im Yoga

Ein Versuch, den Begriff der Energie, so wie er im Yoga Verwendung findet, zu beschreiben und zu definieren.

Einleitung
In vielen Bereichen des Yoga wird in umfangreicher Art und Weise das Wort ”Energie” oder die Bezeichnung ”energetisch” verwendet. Ich möchte versuchen, diesen Begriffen etwas größere Klarheit zu geben. Zunächst einmal ist ja Energie ein festgelegter Begriff in der Wissenschaft, und nahezu jeder Fachbereich besitzt dazu eine Definition. Schlägt man in einem Fremdwörterbuch nach, so findet man:

  • Energie: Tatkraft, Kraft, Nachdruck
  • Energie, physikalisch: Maßstab für die Fähigkeit eines Körpers oder Systems, Arbeit zu leisten.
  • Energieprinzip: Satz von der Erhaltung der Energie: Bei keinem Naturvorgang kann Energie verloren gehen oder aus nichts gewonnen werden.
  • Energisch: tatkräftig, nachdrücklich


Eine weitere Quelle für die Beschreibung von Energie fand ich bei Sheldrake, McKenna und Abraham (Denken am Rande des Undenkbaren):

(Es gibt in der Betrachtung der Welt) zwei Prinzipien: ein formatives Prinzip (morphogenetische Felder), und ein energetisches Prinzip. Energie ist das Prinzip der Veränderung, und reine Veränderung wäre Chaos. Eine Möglichkeit, sich diese beiden Prinzipien zu denken, ist die indische tandrische Vorstellung von Shakti als Energie und Shiva als dem formbildenden Prinzip, die in ihrem Zusammenwirken die Welt, wie wir sie kennen, erschaffen.

Die “analytische Psychologie” nach Jung sieht im Energiebegriff etwas ungreifbares, das letztlich als etwas Symbolisches verstanden werden muss. Energie ist hier immer quantitativer, niemals qualitativer Natur, da sich Energie nur in der Veränderung anderer Dinge zeigen kann. Sie kann nicht an sich wahrgenommen werden, ist kein Ding, lediglich ihre Wirkung wird registriert.

Jeweils für sich allein gesehen sagen uns diese Beschreibungen nichts neues. Betrachtet man sie aber in übergreifenden, also psychologisch-philosophischen Sinn, so finden sich hier noch einige Schlussfolgerungen, die einer mechanistischen Sichtweise von Energie als einem Ding eindeutig widersprechen.

Versuch einer umgreifenden Definition.

Wenn man die oben aufgeführten Beschreibung zusammenfasst und versucht, ein allen gemeinsames Moment heraus zu kristallisieren, so bleibt ungefähr nachfolgendes bestehen:

Energie beschreibt die einem Körper oder System innewohnende Fähigkeit (Potenz) zu Anpassung, Veränderung und Selbsterhaltung

Betrachten wir die unten aufgeführten Beispiele, so finden wir in allen diesen Satz bestätigt. Sogar ”die energische Nachbarin” trägt diesen Satz mit.

Yoga und Energie
Betrachten man dann einmal, wie der Energiebegriff im Yoga Verwendung findet:

  • Wir bauen im Üben Lebensenergie auf.
  • Wir erreichen durch die Übungen das Auflösen von Energieblockaden.
  • Wir setzen Energie frei und lenken diese durch den Körper. Körperpartien, die krank, schwach oder anfällig sind, werden mit diesen Energien gestärkt oder sogar geheilt.
  • Ein höheres Energieniveau führt uns zu Ausgeglichenheit und Lebensfreude.
  • Energetisch wirkt die Übung auf das Stirn und Scheitelchakra. Dies fördert die Konzentrationsfähigkeit, gibt Mut und Selbstvertrauen.

Alle diese Beschreibungen, wahllos herausgegriffen aus einem großen Korb, beschreiben ”die Fähigkeit zur Veränderung”. Die oben beschriebene Definition scheint angemessen und glaubwürdig. Als nächsten Schritt betrachtet man sich die Übungen in Einzelnen und stellt die Frage: ”Trifft diese Beschreibung?”

Asanapraxis

In der Asanapraxis ist der Energiebegriff wenig geläufig. Nur in wenigen Fachbüchern werden Asanas als energetisch wirksame Übungen oder Haltungen beschrieben. Betrachtet man andererseits das erfahrbare Wirken dieser Übungen, so werden nachfolgende Beobachtungen oft zitiert:

 

  • Man erhöht durch das üben von Asana die Flexibilität der Muskulatur beträchtlich. Es gibt wenige Körperübungen, die den Asanas hier gleichwertig gegenüberstehen.
  • Körperhaltung und Körperstatik verbessern sich.
  • Die hohe Elastizität erlaubt Bewegungen von Leichtigkeit und Eleganz.
  • Asanas schulen das Gleichgewicht, fördern Kraft und Beweglichkeit.
  • Durch meditative Praxis (Innerlichkeit) wird die Entspannungsfähigkeit verbessert und der Körper wird in allen Teilen einer bewussten geistigen Einwirkung zugänglich.
  • Die inneren Organe erfahren durch Druck und Verdrehung eine Massage, die ihre Funktionen verbessert.
  • Die Blutzirkulation wird verbessert. Besonders in Umkehrstellungen macht sich dieses bemerkbar, erlaubt diese Haltung doch augenblicklich ein Zurückfließen venösen Blutes zum Herzen.
  • Asanas fördern Verdauung und Stuhlgang.

Diese Aufzählung ließ sich noch weiter fortsetzen. Alles in allem aber sind alle diese Wirkungen in irgend einer Weise Veränderungen zum Besseren hin. Wenn Asana also eine energetisch wirksame Haltung ist, und diese dann in ihrer Wirkung Veränderung hervorruft, kann auch hier die oben beschriebene Definition bestehen.

Weiterhin ist zum Energieaspekt von Asanas zu sagen, dass viele dieser Haltungen eine innere Dynamik besitzen. Diese wird spürbar, wenn der Übende beginnt, eine Grundausstattung von Kraft und Beweglichkeit vorausgesetzt, im Grenzbereich der körperlichen Möglichkeiten (zB Dehnung oder Drehung) zu arbeiten.

Nehmen wir als ein Beispiel den Drehsitz.

Zunächst geht der Übende in eine Grundhaltung, korrigiert seine Rücken- und Beinhaltung, dreht sich so weit wie der Körper es bequem zulässt und baut dann mit den Armen eine Spannung (Energie) auf, die von der Bewegung des Atems getragen, durch Entspannung oder Loslassen in die Asana hineinführt. Durch das sich ständig wiederholende Aufrichten und Absinken in die Drehung hinein wird die Wirbelsäule und deren Lage in Bezug zum Gesamtaufbau ständig verändert und entlang dieser Veränderung wird dann ein Gefühl von Energie in Form von Kribbeln oder Wärme wahrnehmbar. Dieses wird durch die Veränderungen ausgelöst, die durch den energetischen Aufbau der Übung erreicht werden, und nicht durch irgendetwas anderes.

Weiterhin kann dann gesagt werden, dass, wenn die obige Beschreibung trifft, die hohe Beweglichkeit der Yogis eher ein Nebenprodukt ist als das sie eine gewollte Fähigkeit darstellt. Durch die Arbeit im Grenzbereich nämlich, in der dem Übenden energetische Veränderungen wahrnehmbar werden, ist eine zunehmende Dehnungsfähigkeit zwangsläufig als Nebenprodukt beigegeben. Natürlich sind eine gut dehnbare und gekräftigte Muskulatur gesundheitsfördernd, aber die Übertreibungen, die häufig bei Vorführungen und dergleichen zu beobachten sind, können so (auch aus der Überlieferung der Yogatexte heraus) nicht als authentisches Yoga gesehen werden. Sie stellen dann eine mitunter gesundheitsschädigende Fehlinterpretation dar.

Nicht die Dehnbarkeit und Akrobatik, sondern der energetisch wirksame Aufbau enthält den Segen dieser Übungspraxis. Und dieser Aufbau ist unabhängig von der Beweglichkeit des Einzelnen.

Pranayamapraxis

Prana oder Lebensenergie ist der grundlegende Begriff in dieser Übungspraxis. Sie beschreibt ein Phänomen, das von der Kraft, die Leben schafft, organisiert und erhält bis zur Summe allen Seins, der kosmischen Energie, dem großen Einen reicht. Wie alle Beschreibungen, die sowohl ein einzelnes, differenziertes betreffen als auch die große Summe allen Seins, verschwimmt dieser Begriff durch seine Breite und sagt damit alles und auch nichts. Ich bin Energie, nehme Energie auf, lebe in einer energetischen Welt und kehre in die große Energie zurück; nun, damit kann ich nicht viel anfangen.

Pranayama heißt übersetzt, die Energie beschränken oder unter Kontrolle bringen. Bereits hieraus ist ersichtlich, dass hier ein differenzierterer Energiebegriff notwendig wird. Denn, wenn alles Energie ist, kann ich nichts unter Kontrolle bringen genauso wenig, wie ich Wasser durch Wasser begrenzen kann. Meist liest man dann von verschiedenen Formen von Energie und meint damit feste Stoffe, mentale Strukturen wie den Gedanken und neben anderen eine göttliche Kraft, die überall existiert. Doch auch damit kommen wir kein Stück weiter, denn auch hier geht die Abstraktion ins Unendliche und wird damit nicht fassbar. Versucht man aber, die oben beschriebene Definition zu verwenden und in einige Begrifflichkeiten des Yoga zu integrieren, so erhält man folgendes:

Die Lebensenergie

Man beschreibt heute Leben als einen Prozess, der vor Jahrtausenden begonnen (Ursache unbekannt), sich bis heute fortsetzt. In dieser Zeit bildeten sich komplexe biologische Systeme, zu denen in der Spitzengruppe (den höchsten Entwicklungsstufen) auch der Mensch gehört. Diese Entwicklung, auch Evolution genannt, funktioniert nicht, wie bisher angenommen, durch ein Prinzip ”try and error”, sondern durch ein Integrationsprinzip. Hierbei werden für das Individuum Lösungen angestrebt, die den Zwängen der Umwelt Rechnung tragen, wobei neben permanent wirkenden Anpassungen auch Sprünge möglich waren und möglich sind, denn die Evolution ist nicht beendet. In dieser Beschreibung wird deutlich, dass wir uns durch Veränderung unserer Selbst und unserer Umwelt weiterentwickeln. Veränderung ist das Prinzip des Lebens. Dies eingesetzt in unsere Definition bekommen wir: Leben = Veränderung = Energie

Was bedeutet die Aufnahme von Prana?

Wir nehmen mit jedem Atemzug, mit jeder Nahrung und auch mit unseren Wahrnehmungen Prana auf. Nehmen wir den oben gebildeten Schluss (Leben = Veränderung = Energie) als Grundlage, so erhalten wir nachfolgende Antwort:

Die Aufnahme von Prana kann auch als ”die Schaffung und Aufrechterhaltung einer Struktur begriffen werden, die eine Veränderung auf der Basis des Bestehenden zulässt”. Wir bringen also durch die Aufnahme von Prana den Körper/Geist in einen relativ ”ungeschützten, gelösten, gelassenen, hingegebenen Zustand”, der auf der bestehenden Struktur basiert, aber in Grenzen Veränderungen möglich werden lässt. Dies impliziert dann aber auch, dass diese Veränderungen erwünscht sein sollten, sinnvoll und tragbar erscheinen. Man kann die Aufnahme von Energie dieser Art mit den politischen Gegebenheiten eines Staates vergleichen: Sinnvolle und zurückhaltende Handlungen und Reformen (kontrollierte Aufnahme von Energie) verbessern, Stagnation (fehlende Energieaufnahme) einerseits, aber auch Revolutionen (zu viel Energie) anderseits zerstören die Grundstruktur (Gesundheit) des Staates (Organismus).

Was bedeuten dann Wahrnehmungen von Energie?

Wir alle kennen den Schmerz, der, sich in einer bestimmten Körperregion ausbreitend, für Aufmerksamkeit sorgt und zumeist ein Schutzverhalten auslöst. Auch kennen wir aus Beschreibungen ein Verfahren, das durch Hinlenkung von Aufmerksamkeit in bestimmte Körperpartien dort für spürbare Veränderungen (meist An- oder Entspannungsreaktionen oder Spannungsänderungen) sorgt. Weiterhin wissen wir, dass bestimmte Bewegungen des Körpers, die bewusst ausgeführt werden, eine Hinlenkung der Aufmerksamkeit benötigen. So ist doch der Schluss naheliegend, dass auch unbewusst ablaufende oder seiende Körperfunktionen und Haltungen durch solche Konzentrierungen (zB Affirmationen, Autosuggestionen) beeinflusst werden können. Wenn wir also irgendwo Energie in uns spüren, ist gerade dort eine Veränderung im Gange, die wir zunächst wahrnehmen müssen und die durch bewusste Beeinflussung weitergeführt, zugelassen, aber auch gestoppt werden kann. Diese Fähigkeit zur Wahrnehmung und Korrektur herauszubilden, ist eines der Grundmotive des Yoga.

Was sind dann die Ziele der Atemübungen, der Verschlüsse und Gesten?

Die allgemeinen Atemübungen wie Kapalabhati, Wechselatmung und andere schaffen ein Grundmuster, das dem Übenden erlaubt, Veränderungen wahrzunehmen und damit diese Fähigkeit zu schulen. Gleiches gilt für die Bandhas, die die Wirbelsäule aufrichten und damit vielfältige Veränderungen (Verbesserung) in der Statik des Rumpfes schaffen und bemerkbar machen. Auch die Mudras gehen in diese Richtung, jedoch sind diese eher erlernten auslösenden Symbole für bestimmte Veränderungen. Wenn ich also eine ganz bestimmte Fingerhaltung immer bei einer ganz bestimmten Veränderung beibehalte (zB Entspannung, Anspannung, Körperhaltung), kann später allein diese Fingerhaltung den Körper/Geist zu der entsprechenden Veränderung inspirieren.

Zusammenfassung

Die oben genannte Definition für den Begriff der Energie in der Yogapraxis (Asana und Pranayama) als ”Fähigkeit zur Veränderung” lässt sich zumindest für die Körper- und Atemarbeit sehr gut einsetzen, können mit ihr doch viele Phänomene zumindest einigermaßen nachvollziehbar erläutert oder begründet werden. Das diese Definition nicht alle Bereiche umfassen kann, wird schon aus der Komplexität der Thematik deutlich. Besonders geistige (mentale, psychologische) und spirituelle (religiöse, philosophische und rituelle) Phänomene, Verfahren und Praktiken bedürfen einer anderen Sprache und sind auch nicht das Ziel solcher Simplifizierungen.




Die aktuellen Diskussionen zu Yoga

:

    Sind Haltungen wie Kopf- und Handstand, Schulterstand und Pflug zeitgemäß oder eher eine Spielart vergangener Zeit? Sind diese Übungen als gesundheitsfördernd einz

Wenn man die öffentliche Diskussion über Yoga (Zeitschriften, Bücher) aufmerksam verfolgt, schälen sich drei Themenbereiche mehr und mehr heraus, die zurzeit im Fokus stehen

    ustufen oder sollten man sie eher in die Kategorie einfügen, die einer breiten Allgemeinheit nicht empfohlen werden kann?
    Muss die Sichtweise, die heute als modernes Yoga bezeichnet wird und in dem entweder eine mehr sportliche oder mehr entspannungs-technische Ausrichtung im Vordergrund steht, nicht grundsätzlich überdacht werden?
    Gerne wird heute davon gesprochen, Mut zu neuen Inhalten zu finden. Trotzdem erscheint angesichts der Fülle neuer Inhalte, die möglich geworden ist, der Fundamentalismus, mit dem jede dieser neuen Richtungen sich von der Konkurrenz abzugrenzen pflegt, eine sehr bedenkliche Kraft zu entfalten.


Vielfalt und Abwechslung sind sicher sehr schöne und angenehme Umstände, aber bei allem Wohlwollen und jeglicher Toleranz (Toleranz meint ertragen, nicht lieben) sollte doch die Essenz des Yoga nicht aus den Augen verloren werden. Wie der Ayurveda ist Yoga unter anderem eine Übungspraxis, die Gesunderhaltung, Vorbeugung, Vermeidung und Abschwächung von Risikofaktoren für den Menschen im Sinne hat. Aber Yoga hat als großes Ziel auch „die Fähigkeit zur Versenkung (Samadhi)“ im Programm stehen. Und diese Aspekte sollten weit vor Wellness, Lifestyle und diversen Geschäftsinteressen stehen. Yoga ist nicht Sport, ist nicht Mode, nicht Alibi und schon gar kein Geschäftsmodell, sondern ist eine auf Erfahrungswissenschaft beruhende Methode zu Lebensformung.
Worauf begründet sich dieser Anspruch? Zunächst gibt es im klassischen Yoga nicht nur Asana und etwas Entspannung, sondern Yoga beginnt mit Selbstkontrolle (yama) und Verhaltensregeln (niyama), geht über Körper- und Atemarbeit weiter bis in die Ausformung der Geistesebene, die nach klassisch wissenschaftlicher Ansicht den Menschen ausmacht und allgemein als Bewusstsein bezeichnet wird. Dabei können religiöse und weltanschauliche Ansichten eine Rolle spielen, kann das mit neuen Lebensregeln und einer veränderten Lebensgestaltung einhergehen, muss es aber nicht. Yoga kann sowohl praktiziert werden von Menschen in Aschrams und dessen strengen Bedingungen bis hin zum Wohnzimmer eines Investmentbankers, wo höchstens noch der Lebenspartner von dieser Praxis erfährt. Es geht nicht um öffenliche Ausformung und Kundgabe, sondern um Inhalte und Wirkungsweisen. Wir tragen ja auch nicht die Landestrachten und Logos der Medikamentenhersteller mit uns herum oder vor uns her, denen wir vielleicht wie im Falle von Diabetes Überleben und Gesundheit verdanken.
Beginnen wir zunächst mit den Umkehrhaltungen und ihren Verwandten. Beim Kopfstand wird der Kopf und die Wirbelsäule belastet, beim Handstand Hand-, Arm- und Schultergefüge, beim Schulterstand Schulter und Schlüsselbeine. Dabei ist die Wirbelsäule beim Kopfstand natürlich ausgerichtet, beim Handstand ist sie Verbindungsträger zu den Schultern und Beinen und beim Schulterstand wird sie in einer unnatürlichen Beuge belastet. Diese Übungen sind also übungstechnisch nicht einheitlich einer Kategorie zuzuordnen, die alle in einer Schublade versammelt. Sie arbeiten und wirken unter anderem durch die Umkehrung, sind aber sehr unterschiedlich in Belastung und Ausformung und beanspruchen weiterhin einen unterschiedlichen energetischen Aufwand. Folglich sind die Wirkungen mit Ausnahme der auf Umkehrung basierenden auch unterschiedlich. Sowohl Knochen als auch Muskeln und Gewebe stellen sich auf Belastungen und Beanspruchung ein und bilden sich nach und nach entsprechend aus. Warum sollten die Wirbelsäule und der Kopf da eine Ausnahme machen. Das ist in vielen wissenschaftlichen Studien mehr als bewiesen. Außerdem werden in vielen Ländern dieser Erde große Lasten auf dem Kopf getragen, ohne das dort Gesundheitsgefahren auftreten. Für die Ausführung der Übungen ist es daher mehr erforderlich zu erkennen, wo ich jetzt gerade in meiner Belastungsfähigkeit stehe als mit verallgemeinernden Geboten und Verboten zu agieren. Und wenn der Übende dieses Urteil nicht zu leisten vermag, steht dies in der Verantwortung seines Lehrers. Und für den Lehrer sollte dann gelten, dass er nur Übungen unterrichtet, zu denen er selbst ein ausreichendes Erfahrungsgebäude hat aufbauen können. Regeln wie „nach A kommt B“ und „wenn A, dann B“ und „das muss so und nicht anders gemacht werden“, wie sie in einer Ausbildung normalerweise vermittelt werden, sind hier nicht einmal ansatzweise ausreichend.
Die Ausformung eines gesunden und leistungsfähigen Körpers ist im Yoga nicht der Sinn an sich, sondern eine Bedingung für die Arbeit in den höheren Stufen, die von der Technik her ein langes, entspanntes und ein gut eingerichtetes Sitzen erfordern. Dies gilt sowohl für Pranayama als auch für alle Stufen hinauf bis zur Meditation. Dabei kann Dehnung erforderlich sein, Öffnung und entspannungsförderndes Üben notwendig sein, aber diese Arbeiten sind doch dann nicht als der alleinige Inhalt, sondern mehr als Mittel zum Zweck anzusehen. Man übt einfach genauso viel, wie zum entspannten und schmerzfreien Sitzen notwendig ist. Darüber hinauszugehen ist gar nicht erforderlich. Für die Meisterung des Lotus wird man vielleicht etwas mehr Energie einsetzen müssen, auf einem Bänkchen aber kann nahezu jeder gut sitzen. Und eine stabile Wirbelsäule und gesunde Muskulatur ist auch im Büro und beim Spazierengehen hilfreich. Kunststücke ausführen zu können und Applaus dafür zu erhalten aber werden dabei nicht benötigt, im Gegenteil.
Yoga ist ein Rezept zur Einwirkung auf Konstitution und Prägung sowohl auf körperlicher, energetischer und geistiger Ebene und ist damit Arbeit am Bewusstsein. Und so unterschiedlich wie die Menschen sind auch die Wege zu betrachten, die zu einer erwünschten Korrektur führen können. Es gibt nicht den einen Weg, die eine Sichtweise und die einzige sinnvolle Konfiguration und so sind auch die möglichen Rezepte sehr unterschiedlich. Dass ein Lehrer dabei nur seine Rezepte bevorzugt und nur seine Erfahrungen einzubringen vermag, ist verständlich und auch nicht anders zu erwarten. Aber dies darf nicht zu einer Ideologisierung führen, die sich selbst und die eigene Richtung „ad absolutem“ setzt und andere Stile kategorisch ablehnt. Und so kann es passieren, dass ich in einer Stunde, die ich als Gast besuche, meine Übung im Detail anders gestalten möchte als es dort üblich angesagt wird. Und diese Freiheit möchte ich mir auch nicht nehmen lassen. Ich probiere gerne einmal etwas Neues aus, aber die letzte Entscheidung obliegt aber letztlich nur mir selbst.
Vieles an der laufenden Diskussion ist sehr stark an Details ausgerichtet und durchstreift nur sehr begrenzte Bereiche des Übungssystems. Meiner Meinung nach dürfen dabei aber die Grundzüge des Gesamtsystems nicht vernachlässigt oder sogar vergessen werden. Wenn Yoga alles und auch nichts sein kann, etwas anstrebt oder auch nicht, etwas bewirkt oder auch nicht, haben wir nicht nur das Ziel „frei sein zu wollen“ weit verfehlt. Vielmehr verwässern wir das Rezept, die Technik und lösen Sinn und Inhalte des Yoga auf zugunsten einer Mitnahmementalität, die schon in yama als Verbot (aparigraha) benannt wurde. Für mich ist das Ziel, samadhi zu erreichen, gleichbedeutend mit Freiheit, und Freiheit, oder anders gesagt: der Wunsch „frei zu sein“- und dazu zählt auch „frei zu sein von…“ – war und ist doch immer noch das Ziel aller Yogaübungen. Bei aller Intention und Begeisterung über Neuerungen sollten wir das nicht vergessen. Inhalte können sich verändern, Übungen verändern sich, aber der Weg an sich bleibt doch gleich. Und wenn wir nur etwas Artistik, Wellness und Lifestyle im Sinne haben oder einfach nur ein bisschen rumturnen wollen, sollten wir es nicht Yoga nennen. Yoga ist der achtstufige Weg, der von yama und niyama über asana, pranayama, pratyahara, dharana und dhyana bis zu samadhi geht. Nicht mehr und nicht weniger! Er gelingt nur in voller Selbstverantwortung, großem Selbstvertrauen und dem Mut, sich selbst ins Gesicht zu sehen.
Und mal ganz ehrlich: Wenn wir im Wald herumjoggen, sagen wir doch auch nicht, dass wir den leichtathletischen Zehnkampf trainieren.