Yoga – Versuch einer traditionsfreieren Sichtweise

Eine andere, etwas philosophischere Lebens-Sichtweise auf die Körper-, Atem- und Meditationsarbeit mit Yoga. Was Yoga und die Essenz der anderen Praktiken heute ist und sein kann, sein soll und wie die Übungen gesehen, praktiziert und verstanden werden können ist in unzähligen Büchern, Schriften und Veröffentlichungen mehr als überdeutlich belegt. Wie nimmt man zum Beispiel Asanas wie Drehsitz oder Kopfstand ein, welche Körperpartien werden dabei bearbeitet, welches Energiegefüge wird dabei angesprochen und was sind die überwiegend positiven Wirkungen der Übung ist in vielfältigen Quellen mehr als ausführlich dargelegt und braucht keine weiteren Versuche.



Es gibt zwar immer wieder kleine Neuerungen, aber in Großen und Ganzen gesehen ist die Arbeit des Beschreibens weitestgehend getan. Gut, es gibt immer wieder neue, warnende Hinweise, die Übungen nicht zu übertreiben, nicht alle einfach so anzunehmen und diverse Vorsichtsmaßnahmen, besonders für Menschen mit den üblichen Zivilisationsleiden [1. Bluthochdruck, Rückenleiden, Gefäßerkrankungen, Herzschwächen, Übergewicht, Diabetes, usw.] zu beachten. Weiterhin werden immer mehr Verknüpfungen vorgenommen, die aus unterschiedlichen Traditionen stammende Übungen, Motive und Praktiken zusammenfügen [2. Tao-Yoga, Hormon-Yoga, Thai-Yoga] und die Möglichkeiten, etwas für sich selbst zu tun, immer stärker erweitern. Und ich möchte diese Trends auch gar nicht angreifen oder relativieren, auch wenn ich für mich persönlich nicht alle Kombinationen für sinnvoll erachte. Im Gegenteil, ich bin froh darüber, das immer mehr Menschen erkennen, das körperliche, geistige und seelische Gesundheit einen großen Wert besitzen. Ich möchte auch niemanden davon abhalten, sich einer der genannten Praktiken zu verschreiben. Allerdings muss ich der Möglichkeit warnen, die immer vielfältigeren Praktiken wie Romane zu konsumieren und regelrecht in ein Stil-Hopping zu verfallen, anstatt sich einer einzigen Praxis anzunehmen, sich darin immer mehr zu verfeinern und zu wachsen. Es geht nicht um Masse und das übliche „immer mehr Desselben“, sondern dem Gedanken, das man immer nur einem Weg zielführend folgen kann. Diverse Wegkreuzungen und Gabelungen gibt es im Yoga immer mehr, und im Versuch, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, bleibt der Übende beim Hopping im Grunde in einem permanenten Anfängerdasein gefangen. Nun ist es schon gut sich viele Stile anzuschauen, aber das kann und darf in meiner Überzeugung nicht in einem stetigen Wechsel der Praxis-Grundlagen enden. Ich habe mir selbst auch viele Stile angesehen, habe einige Lehrer konsultiert und mit Fragen genervt, aber diese Neigung hat nie dazu geführt, den Weg zu verlassen, zu dem ich mich entschlossen hatte. Ich war und bin heute immer noch der Ansicht, das Neugierde eine gute Eigenschaft des Menschen ist und daher auch im Yoga seinen Platz hat. Und ich möchte im folgenden den Versuch wagen zu erklären, wie ich das heute, nach 30 Jahren Praxis, noch immer sehe.

Zunächst einmal sei grundsätzlich gesagt, das es für mich im Yoga mehr um „Sein“ geht und nicht so sehr um „Haben“. Das führt dazu, das ich auf der einen Seite nicht alles wissen muss, was über Yoga und seine Intensionen gesagt, geschrieben und berichtet wird. Ich muss auch nicht alle Muskeln kennen, die eine Asana anspricht, nicht alle Wirkungen auf Organe und Psyche kennen, alles verstehen und darüber auch noch dozieren können. Das alles ist das, was mehr zur Kategorie Haben gehört. Auf der anderen Seite geht es, obwohl Yoga im Unterricht, besonders für mich als Lehrer, nicht ganz ohne Haben-Inhalte zu präsentieren geht, tatsächlich viel mehr um Erleben und Erkennen in der Praxis. Und die Aufgabe als Lehrer ist es, seine Teilnehmer im Unterricht dorthin zu führen, wo erleben, erkennen und wahrnehmen möglich ist. Das ist nicht immer einfach, nicht immer nach Vorgaben zu erreichen und bedarf viel Ausdauer und Geduld auf beiden Seiten. Zum einen muss der Lehrer die notwendige Zeit erhalten, um seine Teilnehmer einschätzen zu können und das notwendige Vertrauen aufzubauen, zum anderen muss der Teilnehmer dem Lehrer das Kennenlernen ermöglichen und warten können, bis der Vertrauenspegel die notwendige Stärke erreicht hat. Nur unter Bedingungen des Vertrauens können Lehrer und Teilnehmer eine für beide Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit bewirken.



Und eine weitere Schwierigkeit tritt auf, wenn man mit Yoga beginnt: Yoga beginnt dort, wo der/die Übende in der eingenommenen Haltung, ob vollständige Asana oder Vorübung ist dabei unerheblich, entspannen kann. Mit Entspannung ist hier gemeint, den Körper in seiner Gesamtheit aus jeglichen unnötigen Spannungen zu befreien. Gerne wird das mit dem Wort „loslassen“ eingefordert. Dazu muss man wissen, das eine Haltung, und Asana ist Haltung, immer irgendwo gehalten werden muss. Selbst das Stehen in Tadasana, ja sogar das Liegen in Shavasana benötigt hier und da im Körper eine Haltespannung, sonst fällt der Körper aus der sicheren Haltung heraus und/oder bedroht sogar seine lebenswichtigen Funktionen wie Atmung und Kreislauf. Schon in der Hatha-Yoga-Pradipika ist diese Bedingung beschrieben. Das bedeutet, das die/der Übende unterscheiden können muss, was notwendig ist und was überflüssig zu sein scheint. Hier kann der Lehrer nur bedingt helfen und muss den Aussagen seiner Teilnehmer vertrauen können. Nach der Entspannung des Körpers in besagter Weise folgt nach der Pradipika das Einrichten und anschließende Loslassens des Atems. Darauf erfolgt dann nach einer Gewöhnungszeit die Stille des Geistes, was zu den Yoga-Stufen 5-8 die Zugänge öffnen wird. So sieht der Weg des Yoga ungefähr aus, wie er in den Schriften von alters her beschrieben wird. Rekapitulieren wir, was als Einstiegsbedingung für den Yogaweg gefordert wurde und auch heute noch erforderlich ist:

  • Die größtmögliche Entspannung des Körpers in Asana, …
  • … gefolgt von einem eingerichteten und losgelassenem Atem und …
  • … der darauf folgende Stille des Geistes, die zur Meditation den Zugang öffnet.
  • Meditatives Verweilen in Asana öffnet somit die Wirkungen des Yoga.

Und an dieser Stelle beginnt Yoga erst zu einem Weg zu werden. Davor werden lediglich die Grundbedingungen geschaffen. Das Yogaübungen auch ohne das Betreten des Weges begangen werden, hier und da Fehlhaltungen beseitigen können und der Gesundheit ganz generell dienlich sind, steht damit nicht in Frage. Aber seine wirklich Pracht entfaltet Yoga erst nach Erreichen der genannten Bedingungen. Was sind die Wirkungen, was entfaltet sich dann in der Übung? Nun ist das so einfach und leicht nicht zu beschreiben. Nahezu alle Schriften verweisen darauf, das die geheimen Wirkungen nicht preisgegeben werden sollen, denn sie können den unvorbereiteten Menschen nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern sogar schädigen. Nun sind nicht alle Wirkungen Siddhis, wie die geheimen Fähigkeiten im Yoga genannt werden. Einige der wenige spektakulären Wirkungen sind durchaus beschreibbar.

Beginnen wir zunächst einmal, den übenden Menschen unter genannten Vorbedingen zu beschreiben. Nehmen wir dazu als Asana einen Menschen im Drehsitz. Mit einer ausreichenden körperlichen Beweglichkeit [3. Auch ein sinnvoll verwendetes Hilfsmittel wie ein Gurt kann die Haltung vervollständigen. Besonders korpulente Menschen können die Bindung des Drehsitzes mit den Armen nur selten bewerkstelligen.] ist der Drehsitz für den Übenden nahezu mühelos. Bei gelungener Bindung ist lediglich für den aufrecht gehaltenen Kopf etwas Spannung nötig. Die Atmung kann mühelos ihre Bahnen ziehen und der Sitz an sich ist vollständig eingebettet, so das die Teile des Körpers wie im Aufbau einer Pyramide ein festes, mühe- und reglos gestaltetes Sitzen ermöglichen. Und dann alles unnötige entfernen und für eine Minute lang Stille aufkommen lassen: Ein Genuss ohne gleichen. So oder ähnlich können nahezu alle Asana praktiziert werden, auch Gleichgewichtsübungen und Haltungen, die hier und da einen Krafteinsatz fordern. Das Zuviel entfernen ist loslassen, den Atem einrichten und ziehen lassen und dann die Stille des Geistes genießen, so erfolgt der Weg des Yoga in der Körperübung. Ähnlich, allerdings im Detail den Haltungen angepasst erfolgt auch Pranayama (Atemübung) und Meditation. Immer ist eine Haltung zu stehen, sitzen oder liegen, immer ist zu atmen, immer ist Ruhe zu halten im Geist. Und so geübt werden die Wirkungen des Yoga sich entfalten.



Nun werde ich nicht die besonderen übermenschlichen Fähigkeiten beschreiben, die verschiedene Autoren dem erfolgreichen Yoga zuschreiben. Das ist, ich hatte es erwähnt, nicht sinnvoll. Aber ich kann über Wirkungen berichten, die sich ergeben können, wenn Menschen mit Defiziten beginnen mit Yoga zu arbeiten. Und seien wir ehrlich: Defizite haben wir in Europa alle, seien es körperliche, organische oder psychische. Stress, falsche Ernährung, Überlastung, falsche Vorstellungen und überzogene Wünsche seien hier beispielhaft genannt. Und ich nehme mich selbst dabei nicht aus. Ich finde solche Defizite bei mir nahezu regelmäßig beim Üben auch noch nach 30 Jahren Yoga. Und das ist auch ganz normal, denn ich werde älter und kämpfe wie alle Menschen mit körperlichem Verschleiß, den Wirkungen schlechter Gewohnheiten und den Übeln der Überflussgesellschaft. Lassen wir das mal so stehen. Welche Wirkungen zeitigen das richtige Üben?

Jeder, der mit Yoga beginnt, es übt oder praktiziert, [4. …nicht „macht“, Yoga machen ist Unsinn, denn machen kann man nur etwas in einer materieller Umgebung. Der Mensch aber sollte als organisch aufgefasst werden…], wird in Sachen Beweglichkeit an seine Grenzen stoßen. Dann wäre es notwendig, den ein oder anderen Körperradius durch Dehnungen zu vergrößern. Nun habe ich festgestellt, das Dehnungen, zum Beispiel Richtung Grätsche, viel leichter von Statten gehen, wenn man im Modus „Loslassen, Entspannen und Still-Werden“ an der Grenze seiner Beweglichkeit verharrt, anstatt mit Kraft über die ungeliebte Schwelle hinauszustreben. Die Grenze der Beweglichkeit ist dort, wo man gerade noch ohne Anstrengung hin gelangt. Das heißt auch, das man diese Grenze spürt, was bedeutet, das man sie schon mal leicht zu überschreiten versucht haben muss. In der Dunkelheit erkennt man ein festes Möbelstück dann, wenn man dagegen stößt und seinen Widerstand erfährt. Und dann vermag das Möbelstück, gegen das wir uns im Loslassen lehnen können, uns in der Dunkelheit Sicherheit zu geben. In Asana ermöglicht uns die Grenze, die wir erfahren, in Sicherheit eingebettet zu sein, wodurch Entspannung möglich wird und die Übung die zur Zeit mögliche Wirkung zeitigt. Verharrt man dicht an der Grenze, wird der Körper versuchen, dort für künftige Begebenheiten Raum zu schaffen. Er tut das auf seine ganz eigene Art und Weise, und kein Wissen kann uns dabei nützlich sein. Es können Wochen vergehen, und nichts geschieht. Und dann plötzlich macht der Körper einen Sprung, und siehe da, der Radius hat sich über Nacht erweitert. Und er machte das ohne die schmerzhaften Begleiterscheinungen, die sportliche Dehnungen gewöhnlich so an sich haben. Der Körper hat sozusagen durch die ständige Wiederholung der Anforderung – an der Grenze verharren – diese aufgenommen, die Bedingungen für Erweiterung geschaffen und dann wirksam umgesetzt.

Eine andere Art von Wirkung können Yoga-Übungen erzeugen, wenn der Körper oder seine Teile von unseeligen Verspannungen durchzogen wird. Meist macht sich dieses Beschwernis dann als schmerzhafte Äußerung in dem einen oder anderen Muskel bemerkbar, den wir dann als „verspannt“ bezeichnen. Das aber greift meist deutlich zu kurz. Im Grunde ist nicht der schmerzhafte Muskel verspannt, sondern das ganze System Mensch leistet sich Verspannung. Wer an seine erste klassische Thai-Massage zurückdenkt, wird wissen, was damit gemeint ist. Wo der Massage-Therapeut damals bei mir alles Verspannungen zu finden vermochte, werde ich niemals vergessen. Das zog sich von der Fußsohle bis zum Nacken hinauf und es wurde eine sehr lange Stunde. Im Grunde ist, wenn Schmerzen irgendwo auftreten, zum Beispiel Knie, das ganze System Mensch in Unordnung. Und entsprechend genügt es nicht, nur das Knie zu bearbeiten. Wichtig sind auch alle direkten und indirekten Mit- und Gegenspieler in diesem Körper, der genau genommen mehr einem Netzwerk von Funktionen ähnelt als einer Ansammlung von nicht austauschbaren Teilen. Kommt ein Mensch mit schmerzendem Knie in eine Übungsstunde, bleibt meist das Knie selbst unbearbeitet. Zunächst einmal müssen seine Nachbarn geöffnet, entspannt werden, und die betroffene Nachbarschaft kann sehr weit gehen in einem Netz. Weiterhin ist der Schmerz gepeinigte Mensch auch psychisch betroffen, sei es durch genervt, sei es ungeduldig, sei es verbittert sein. Und auch diese Verspannungen müssen gelöst werden, bevor lindernde Wirkungen zustande kommen können. Beim Thema Knie kam in der Vergangenheit oft heraus, das das Knie wie auch der Geist nur das Opfer waren eines Täters, der in der Wade, im Oberschenkel, in der Fußsohle oder gar in der Hüfte seine Platz hat. Irgendwann spürt eine Übung den Täter auf, und siehe da, nach seiner Beruhigung verschwanden dann auch die Schmerzen im Knie. Und natürlich kann die Ursache, die einen Täter erst gemacht hat, auch in der Psyche gelegen haben. Grundsätzlich gilt, Schmerzen hat nicht ein Teil, sondern immer der ganze Mensch. Und somit muss auch der ganze Mensch Ziel einer Behandlung sein, im genanten Fall als Beispiel mit Therapie-Übungsstunden.



Die Stufen 5-8 des Patanjali-Yoga-Systems beschäftigen sich mit Meditation. Und auch wenn die bisher beschriebenen „Turnstunden“ nur ganz kurz Meditationseinheiten ermöglichen – Ich bleibe zur Zeit insgesamt 2 Minuten in jeder Asana – braucht es für Meditation in Sinne von Dhyana schon etwas längere Übungszeiten. In der Regel werden für eine Sitzung in Meditation etwas zwischen 20 und 30 Minuten angesetzt, und empfohlen werden zumindest zwei Sitzungen pro Tag. Das ist auch sinnvoll, denn zum Beispiel in den Lotushaltungen, die für die Meditation sicher die Besten aller Sitzhaltungen sind, sollten die Beinseiten schon gleichmäßig belastet werden. Kreuzbeinige Sitzhaltungen zeigen immer eine einseitige Belastung. Ein Bein liegt unten, ein Bein oben, und das führt bei längerer einseitiger Belastung zu Fehlhaltungen im Becken- und Hüftbereich, im Oberschenkel und im Knie bis zum Fuß hinunter. Irgendwann dann ist entspanntes Sitzen so nicht mehr möglich. Jede Sitzhaltung ist eine Asana, und zu deren Einrichtung, Haltung und Vorbedingungen gelten daher auch die bereits vorgestellten Aussagen. Und auch hier ist es oftmals notwendig, längere Zeit für der Ausformung der Sitzhaltung zu investieren. Die Stille der Gedanken im Geist ist nur möglich in einem entspannten Körper und in Begleitung eines ruhig und mühelos fließenden Atems. Die Stille des Geistes führt ohne unser Zutun zu Samadhi, der Versenkung. Das einmal zu erreichen ist der erste Meilenstein auf dem Weg der Meditation. Der zweite Meilenstein finden wir in der Aussage, Samadhi öfters zu erreichen oder sogar regelmäßig zu erfahren. Hier aber gehe ich jetzt nicht mehr weiter, denn ich sollte nur von Dingen schreiben, die ich auch durch bestätigte Erfahrung belegen und somit bezeugen kann. Weiter bin ich bisher nicht vorgedrungen.

Soweit zunächst einmal eine Beschreibung meiner Ansichten über die Praxis des Yoga, so wie ich es selbst praktiziere und auch unterrichte. Das die Wirkungen des Yoga wie gelesen nur erlebt, nicht aber erlernt werden kann, ist die Maxime der Weitergabe der Techniken immer Hilfe zur Selbsthilfe, oder anders formuliert ist es das Ziel der Weitergabe, zu regelmäßiger selbstständiger Praxis zu ermuntern. Und regelmäßig heißt täglich, und selbstständig heißt „allein für sich zu Hause“. Die Arbeit in der Gruppe und/oder mit einem Lehrer ist lediglich eine zusätzliche Ergänzung, die zu neuen Ideen und neuer Motivation beitragen kann. Allein zu Hause zu üben, ohne Anleitung, ohne Kritik, ohne fachliche Betreuung, ohne Lehrer, Guru oder Meister, bedarf in meinen Augen aber einer weltanschaulichen, philosophischen und ontologisch geschulten Basis, mit der der Übende aus der oftmals Schicksal-verliebten, Regel-hörigen, Traditions-verstrickten, oder mit anderen Worten gesagt dogmatisch verhärteten Sichtweise über Yoga und Körperarbeit auszusteigen vermag. Yoga als Praxis bedarf keiner Symbole, keiner besonderen Lebensweise, keinerlei Lifestil und auch keiner besonderen Atmosphäre, und das besonders dann nicht, wenn man allein zu Hause für sich übt. Es genügt eine rutschfeste Matte, ein ruhiges Umfeld und etwas Zeit. Mehr nicht!

Die Yogaschriften sind sehr alt, mindestens 1000 Jahre, und niemand weiß wirklich genau, wer dort alles geschrieben hat und welche Intention die Autoren verfolgt haben. Eindeutig und klar sind die Hintergründe wirklich nicht, und viele Beschreibungen und Verfahren muten uns heute etwas archaisch an. Besonders der in neueren Büchern stets rot bezeichnete Abschnitt der Pradipika zum Beispiel spricht dafür mehr als deutlich. Ich bin der Ansicht, das man die Zeit der Verfasser berücksichtigen muss, in der die Werke entstanden. Die Religion und Kultur spielen eine sehr große Rolle, die Vorstellungen über Körper, Krankheit und Auswirkungen des Todes (Wiedergeburt, Nirvana, Fegefeuer, Paradies) spielen Rollen, und viele möglich andere, aber weniger prägnante Vorstellungen sollten ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Dann ist Yoga und seine Übungen für Männer als Übende ausgelegt. Frauen spielten in den Kulturen der damaligen Zeit keine oder vielleicht nur eine sehr kleine Rolle, besonders in Indien. Summa sumarum erfolgt daraus die Schlussfolgerung, das die besagten Schriften heute nach und mit den bestehenden Kulturvoraussetzungen überarbeitet und neu ausgelegt werden müssen. Eine Arbeit, von der sich viele moderne Autoren gerne drücken. Yoga ist nach den Beschreibungen der alten Schriften aus heutiger Sicht mit vielen religiösen und spektakulären Facetten ausgelegt, ist voller Übertreibungen und ausgeschmückten Geschichten. Da finden sich oftmals Anweisungen, die nur geübte Fakire ausführen können, da wirken Wunderheiler und übermächtige Gurus, da werden übermenschliche Wundertaten wie Selbstverständlichkeiten gesehen und dem lesenden Publikum angedient. Nun findet man Solcherlei in allen Religionen und Kulturen, aber gerade Indien ist bekannt dafür, in Erzählungen gerne maßlos zu übertreiben. Wer sich weiterhin einmal die Krankheiten angesehen hat, die heute noch in auf klassische Schriften sich beziehenden Yogabüchern ausgewiesen werden, wird feststellen, das viele davon heute in der Volksgesundheit nahezu keine Rolle mehr spielen. Und wirklich wichtige Krankheiten heute, wie Übergewicht, Diabetis, Bluthochdruck, Krebs, MS, Alergien, Psychisch-Ausgebrannt-Sein (Burnout), fehlen dafür vollkommen. Nur orthopädische Leiden wie Rückenschmerzen, verkürzte oder verspannte Muskelpartien und die üblichen körperlichen Überlastungsstörungen durch zu viel und zu harte Arbeit ziehen sich durch von der Antike bis heute in nahezu allen Traditionen.



Was Yoga und eine mögliche Auslegung betrifft, sind aber nicht alle Inhalte der klassischen Schriften wo zuvor ausgewiesen für die Moderne nicht verwendbar. Interessant sind aber dann nicht die vielen Details, sondern viel mehr die Prinzipien, die dort beschrieben werden. So schreibt die Pradipika zum Beispiel, das ein entspannter Körper, ein sanfter natürlicher Atem und die Stille des Geistes eine hervorragende Ausgangslage bieten, um heilsame Veränderungen im Körper-Geist-(Seele)-System Mensch zu bewirken. Und das stimmt exakt und ist auf den Punkt getroffen. Ich will in den nachfolgenden Zeilen einmal versuchen, etwas näher auf solche Prinzipien einzugehen.

  • Zunächst einmal muss festgehalten werden, das ich als Mensch keinen Körper habe, sondern einer bin. Dann, wenn wir diese Beobachtung wahrnehmen, haben wir auch keine Schmerzen, keine Krankheiten, sondern wir sind diese Schmerzen und verursachen damit die Krankheit selbst. Unfälle, Vergiftungen und Gewaltanwendungen, die von außen an uns herangetragen werden, müssen dabei logischerweise unberücksichtigt bleiben.
  • Dann leben und denken wir ja sehr überzeugt in einer Ursache-Wirkung-Erzählung. Selten aber wird dabei berücksichtigt, das eine Wirkung auch zwei oder mehr Ursachen haben kann, das eine Ursache auch viele Wirkung haben kann, und das auch viele Ursachen für viele Wirkungen am Anfang stehen können. So eindeutig und klar, wie so manche Beschreibung das sieht, ist das Prinzip Kausalität daher leider nicht zu verstehen. Und allein schon die Tatsache, das es hoch entwickelte Kulturen gibt (China, Taoismus, Konfuzianismus), die vollkommen auf dieses Prinzip verzichten und trotzdem sich sehr hoch entwickeln konnten und das auch heute noch fortgesetzt tun, spricht dafür, diesem Prinzip nicht den Stellenwert einzuräumen, der ihm in der Philosophie europäischer Prägung zugestanden wird. Überhaupt hält die Suche nach den Ursachen eines Motivs selten einer Überprüfung auf Vollzähligkeit stand. Sehr oft wird in den Wissenschaften, selbst in der Medizin heutiger Prägung, das erste sich bietende Motiv als Ursache deklariert, angenommen und dann einer Behandlung unterzogen. Die oft zu hörenden Geschichten von Menschen, die monate- und jahrelang von Arzt zu Arzt, von Therapie zu Therapie irren, ohne wirkliche Hilfe zu bekommen, sprechen hier eine eindeutige Sprache. Und die vielen Irrtümer der Wissenschaften, von der Erde als Scheibe bis zur Ignoranz der Gefährlichkeit der Radioaktivität, die viele dieser auch heute noch nicht zuschreiben, gibt es Unmengen an Beispielen.
  • Weiterhin leben wir in einer Kultur, die Moralvorstellungen in der Form von Narrativen als ihre Basis betrachtet, die weniger die vielfältigen Möglichkeiten eines glücklichen Lebens in Sinne hat, sondern sich vielmehr ein Leben angefüllt mit Tugenden, Pflichten und Passionen vorstellt und dieses als grundlegend voraussetzt. Nur sind Passionen selten mit einem guten Leben vereinbar, Pflichten selten mit Erfüllung bedacht und Tugenden selten freudvoll. Wollen wir wirklich nur noch in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben, nur noch das Beste aus allem machen, oder ist nicht immer auch schon die Möglichkeit gegeben, einfach zufrieden zu sein mit dem, was ist.
  • Dazu kommt, das sehr viele Weltsichten und Religionen Europas und Indiens darauf ausgerichtet sind, einen möglichst guten Start ins Jenseits sprich Paradies zu erwirtschaften oder eine bessere Ausgangsbasis für die wie immer auch ausgestaltete Wiedergeburt zu erlangen. Das verlangt Opfer im hier und jetzt und auch das kann selten als frei und freudvoll angesehen werden. Das geht von einem Verzicht auf jegliche sinnliche Erfüllung bis zu einem zwanghaft aufgerichtetem Leben in Einsamkeit (Kloster) oder sogar unter Martyrien (wie Asketen im Hinduismus). Wer aber kennt die Antwort auf die Frage: Was passiert nach dem Ableben wirklich? Wiedergeburt, Paradies oder Hölle, die Unterwelt, Nirvana, Himmlische Freuden oder Höchstes Gericht? Warum leben wir nicht einfach unser Leben und lassen uns überraschen? Zu einfach?
  • Dann leben und denken wir seit mehr als 2000 Jahren einen Dualismus, der sich definiert als eine absolute Vorgabe der Widerspruchsfreiheit innerhalb einer Aussage. Das heißt, es gibt nur noch ein Entweder-Oder, und alles wird radikal reduziert auf zwei Möglichkeiten. Dabei übersehen werden meist drei weitere Möglichkeiten einer Entscheidung bei einer Wahl zwischen zweier Motiven: Da gibt es doch auch das Weder-Noch, da gibt es ein Sowohl-Als-Auch und es bieten sich sogar noch zwei weitere Lösungen an, die da heißen, Offenheit oder „Ich entscheide mich jetzt nicht…“ und die Skepsis, die da sagt „Die Frage ist falsch gestellt. Sie ist für mich daher so nicht relevant“. Und warum sollte es immer nur zwei Möglichkeiten geben. Vielleicht gibt es drei, vier oder unendlich viele Varianten. Warum hat man eigentlich mal Brainstorming erfunden? Damit alles auf Zwei reduziert bleibt, zwischen denen man sich entscheiden kann? Eigentlich Unsinn…



In meiner Vorstellung angesichts einer Absicht, Problemstellung, Entscheidung oder Zielvorgabe, die es zu erreichen, zu lösen oder zu entscheiden gilt, sollten alle Möglichkeiten erwogen oder abgeschätzt werden. Meist bleiben aus der Vielzahl dann sowieso nur wenige gängige und heilsam dienende Varianten bestehen. Selten sind es mal gerade Zwei oder gar nur eine Einzige. Oftmals werden dabei schnell Varianten in Betracht gezogen, die sich bereits bewährt haben in der eigenen Geschichte, die aus Erzählungen anderer bekannt geworden sind oder die eine große Sicherheit versprechen, um dann schnell darauf zu drängen, umgesetzt zu werden. Sie beginnen häufig mit „Man“. Bemerke ich diese Motive, reagiere ich vorsichtig. Was einmal oder mehrmals geklappt hat, kann und muss nicht beim nächsten Mal ebenfalls gelingen. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, die aber oft in der Hetze der Zeit vernachlässigt wird. Gerade in der Körperarbeit ist das häufig zu beobachten. Der Satz von 60 Asanas hat sich in 1000 Jahren immer wieder bewährt. Wir sollten ihn nicht ändern, und die Anweisungen des/der Lehrer unbedingt folgen, denn er/sie unterrichtet aus einer sehr alte Tradition. Leider kennen alte, sehr alte Traditionen keinen Acht-Stunden-Büro-Job mit Bildschirm und Tastatur. Auch gibt es in den alten Traditionen kein ADHS, keine Depressionen, kein Borderline-Syndrom und auch keinen Burnout. Auch waren Bewegungsmangel, Übergewicht und andere Hoch-Zivilisationskrankheiten in den alten Zeiten seltener zu beobachten. Dafür gab es andere Erschwernisse, die heute gar fast keine Rolle mehr spielen. Warum sollten daher die guten alten Yogaübungen dieser Zeit also gegen unsere schlechten Gewohnheiten helfen. Sicherlich gibt es im weit fortgeschrittenen Yoga-Milieu, besonders in den Meditationsanleitungen, gewisse Übereinstimmungen in allen Zeiten. Aber die körperlichen Voraussetzungen dazu sind auf jeden Fall verschieden. Ich plädiere daher auf jeden Fall für ein ganz besonders genaues Hinschauen, welche Yamas, Niyamas, Asanas, Pranayamas und Meditationen den neuen Anforderungen noch gerecht werden. Selten muss ja zum Beispiel bei Asana und Pranayama die ganze Übung verändert werden, es sind mehr die Intensität der Übung, die Intensionen und die kurzzeitigen Zielvorstellungen, die an die Moderne angepasst werden sollten. Die alten Yamas und Niyamas im besonderen berühren die philosophischen, ontologischen und gesellschaftlichen Zustände und Erfordernisse der heutigen Zeit in Mitteleuropa nur wenig. Dazu sind die Formulierungen für die Komplexität unserer Zivilisation zu oberflächlich und nicht differenziert genug.

Im Grunde kann und muss heute für das Üben von Yoga eine andere Grundausstattung an Vorbedingungen präsentiert werden. Das beginnt damit, das Yoga für ein Leben konzipiert werden sollte, das heute, hier und jetzt und in einer Lebenserwartungs-nahen Zukunft geschehen soll. Für eine Wiedergeburt vorzuarbeiten oder vorgegebenen Regeln zu folgen, die ein paradiesisches Weiterleben nach dem Tod ermöglichen könnten, wird unserer heutigen Erwartung ans Yoga nicht mehr oder nur noch selten gerecht. Fünf Erscheinungsbilder für Yoga können heute beobachtet werden:

  • Da gibt es Yoga als Freude an Sport und Bewegung.
  • Dann Yoga als Vorsorgepraxis bezüglich der körperlichen Gesundheit.
  • Dann wird Yoga als Therapieform verwendet, um Zivilationsbelastungen zu kurieren.
  • Dann gibt es Yoga als eine Steigerungsform im Selbstgestaltungsprozess. Das gilt sowohl für körperliche (z.B. Beweglichkeit) als auch mentale (z.B. Konzentration) und meditative (z.B. Bewusstseinserweiterung) Formen.
  • Weiterhin kann Yoga als spirituelles Narrativ (Wir Yogi(ni)s…) praktiziert werden.

Alle fünf Formen besitzen ihren Charme und gelten als sehr beliebt. Und sie haben ihre Berechtigungen. Trotzdem können eigentlich nur „die Freude an Bewegung“ und eine „Vorsorgepraxis“ den vollen Yoga-Ansprüchen genügen. Die Therapieformen benötigen Erweiterungen, zu nennen sind da bevorzugt Ayurveda, Thai-Massage und natürlich ärztliche Begleitung [1. Das ist schon aus rechtlicher Sicht unbedingt erforderlich.]. Als Selbstgestaltung-Praxis müsste geklärt werden, wo denn die Zielvorstellung derselben eigentlich liegen sollte. Wenn man sich in der Yoga-Literatur umschaut, gibt es dafür eigentlich nur Warnungen. Große Kundalini-Erfahrungen zum Beispiel gehen oftmals mit langwierigen körperlichen Krankheitsbildern einher, kleinere Energie-Erfahrungen lassen die Fragen offen, welcher Nutzen daraus abgeleitet werden kann. Nur langjährige Erfahrungen und intensive Übungspraxis könnten eine solide Grundlage dafür schaffen. Sicherheitshalber aber keine Energie-Erfahrungen mehr zu machen aber werden dem Yoga einfach auch nicht gerecht, da diese gebraucht würden, um seine Gestaltungsabsicht kontrollieren und leiten zu können. Die in den Schriften beschriebene yogische Meditationspraxis dann ist eine sehr eingeschränkte Form und lässt viele Motive unangesprochen. Hier sind zum Beispiel Zen und und die Zinn‘schen Stressreduktionsmethoden deutlich weiter. Und die Identifizierung mit der Gruppe, die das eigentliche Motiv der häufigen Identifikation mit der Yoga-Lehre ist, ist auch nur ein Narrativ unter vielen anderen. Nicht-Identifikation wäre eher statt dessen angesagt: „Ich lebe in Unabhängigkeit, Unbedingtheit und Freiheit“. Es sind ja gerade die Identifikationen mit irgendwelchen Vorstellungen, die das moderne Leben so belastend machen. Als Fazit bleiben nur „Freude an Bewegung“ und die Vorsorge als Motive übrig, die in der Breite der Gesellschaft praktiziert werden und als fördernd angesehen werden könnten. Seien wir ehrlich: Wer hat heute noch Zeit und Muße, um täglich zwei Stunden Yoga und Meditation über einen langen, in Jahren auszudrückenden Zeitraum, üben zu können. Und das ist sozusagen vom Aufwand her das Minimum, das erbracht werden müsste, um zumindest eine solide Grunderfahrungen des Yoga vermitteln zu können.



Kommen wir jetzt, nachdem der Status „heute“ ausreichend dargelegt wurde, zu den Voraussetzungen im Denken und in der Lebensgestaltung, die Yoga als fördernd ausstatten können.

Yoga, ob als Freude an Bewegung oder als Technik auf ein Ziel ausgerichtet ist immer Arbeit an sich selbst. Es kann nicht gemacht werden, was nur den körperlichen Aspekt einschließen würde, es kann auch nicht mal so als Ausgleich für irgendetwas Belastendes angesehen werden, weil das den ganzheitlichen Aspekt, der immer da ist, nicht einschließen würde, noch kann es mal so einfach mitgenommen werden, weil zum Beispiel meine Freunde das auch machen. Yoga ist Arbeit an sich selbst. Man kann nicht ins Wasser springen, ohne nass zu werden. Wenn ich an mir selbst arbeite, verändert sich das Sein, unmerklich vielleicht, aber nachhaltig. Und ohne Erfahrung oder fachliche Anleitung weiß der Übende nicht, was da so alles betroffen sein wird. Yoga arbeitet, kann somit ein Lebensgefüge verändern. Ob das Ergebnis dann als gewünscht betrachtet oder eher betroffen machend erlebt wird, ist ungewiss. Wohlgemerkt, ich spreche von einer vollen Yoga-Praxis, das heißt täglich zwei Stunden als Minimum in einem in Jahren zu rechnenden Zeitraum.

Yoga-Übungen, ob Asana, Pranayama oder Meditation, müssen, um wirksam sein zu können, angemessen ausgeführt werden. Zuviel oder zu wenig Intension, ohne Konzentration ausgeführt, ohne Maß oder mit zu viel Ehrgeiz ausgeführt wirken sie gar nicht oder gehen sogar in eine unerwünschte Richtung, sprich: So können sie sogar Schaden anrichten! Yoga arbeitet körperlich immer an der Grenze zwischen der Wahrnehmung von „da tut sich was“ und beginnendem Schmerz. In diesem schmalen Fenster erscheinen energetische Wahrnehmungen, sind leichte Anspannungen und auch Entspannungen wirksam möglich. Innerhalb dieser Begrenzungen zu bleiben erfordert einen maßvollen Einsatz von Willen, erfordert ein hohes Maß an Konzentration und Vertrauen in die eigene Beständigkeit. Die Arbeit mit dem Atem, Pranayama, erfordert zusätzlich die Gewissheit, das der Atem nicht falsch ist oder Veränderungen bedarf, um gut zu sein, sondern das man sich nur weitere Möglichkeit erschließt, die der Atem gehen kann und die ihn dann zu einem vielseitigerem Wirken in die Lage versetzen. Bei den Meditationsübungen wird der Übende schrittweise an die Wahrnehmung der Wirklichkeit herangeführt. Das ist nicht immer nur wunderschön, sondern geht tief in die eigene Konzeptionierung hinein und konfrontiert den Übenden mit seinem wirklichen Sein. Er wird Gedanken, Wünsche und Triebe in sich entdecken, die ihm bisher nicht bewusst geworden sind und die oftmals mit den gesellschaftlichen Normen im Widerstreit stehen. Die Wanderung durch „das dunkle Tal der Seele“, wie Eckhardt das nannte, erst führt mit der Meditation dann ins heller werdende Licht. Darauf sollte man sich gefasst machen und das sollte man auch durchstehen wollen, bevor man auf die große Reise geht.

Yoga-Praxis hat nichts mit Fitness zu tun, nichts mit Sport oder Akrobatik. Auch muss für Yoga nicht unbedingt eine große Flexibilität vorausgesetzt werden. Im Gegenteil, je weniger Raum der Körper eines Übenden zur Verfügung stellt, desto eher wird er in den schmalen Korridor zwischen Wahrnehmung und Schmerz gelangen. Das Problem allerdings, das diese Aussage beinhaltet, ist, das die alt-bekannten und auch wirkungsvollen Yoga-Haltungen schon im Vorfeld eine recht hohe Flexibilität voraussetzen. Ist diese nicht begeben, müssen diese großen Übungen zugunsten von Vorübungen hinten angestellt werden. Grundsätzlich gilt, das die Ausgangshaltungen einer Yogaübungen leicht und bequem eingenommen werden müssen. Das gilt für den Meditationssitz, das Sitzen im Pranayama als auch für die Asanas. Beginnt die Übung bereits mit einer Anspannung, ist der Korridor der Wirksamkeit verschoben und der Übende kämpft dann nur noch gegen seinen Ehrgeiz. Aus der bequemen Ausgangshaltung beginnt das Vortasten in den beschriebenen Korridor, in dem letztlich verharrt wird. Das gilt für alle Haltungen gleichermaßen. Bei Übungen, die wie im Handstand natürlich eine Anspannung getragen werden muss, wird diese auf die notwendigen Regionen begrenzt, beim Handstand zum Beispiel sind das die haltenden Arme und Schultern. Woran aber erkennt der Übende bei anstrengenden Übungen, das die Haltung korrekt eingenommen wurde? Bei wenig erfahrenen Übungsteilnehmern wird diese Aufgabe vom Lehrer übernommen. Bei geübten Teilnehmern, die auch schon allein praktizieren, erfüllt diese Aufgabe Maha-Bandha. In allen Übungen ist die Wahrnehmung dieses Bandes, mehr oder weniger deutlich, möglich. Wie dieses Band gesetzt wird und wie es wirkt, übersteigt die Thematik dieses Artikels. Es wird dazu bald einen eigenen Artikel geben.

Zusammengefasst kann über Yoga gesagt werden, das wir es als eine Methode zur Arbeit am eigenen Lebendig-Sein ansehen sollten. Es hat weder religiöse noch esoterische oder mystische Hintergründe, schreibt weder eine spezielle Art sich zu kleiden, zu kommunizieren noch zu essen vor, braucht weder Hingabe an einen Guru noch Anbetung irgendwelcher Götter und kann somit von jedem Menschen praktiziert werden. Was er dazu braucht ist lediglich etwas Aufmerksamkeit, ein wenig guten Willen, viel Geduld und etwas Zeit zum Üben. Der notwendige Zeitaufwand beginnt bei etwa 20 Minuten täglich und steigert sich nach und nach auf eine Stunde. Unter Einbindung von Pranayama und Meditation erweitert sich das dann auf etwa zwei Stunden täglich. Weniger geht meiner Ansicht nach für eine volle Praxis, was ich den Yoga-Weg nenne, nicht. Dieser Weg kann nicht gültig für Alle beschrieben werden, der er erfordert individuelle Ausführungen und Intensionen, die nur mit dem Wort Selbsterfahrung ausreichend beschrieben sein können. Wer den Weg gehen will, muss bereit sein, Erfahrungen selbst, an eigenem Leib und Wesen, zu machen.




Padmasana und Meditation (Sitzen im Lotussitz)

Um Padmasana, das Sitzen im vollen Lotussitz, ranken sich viele Geschichten und Beschreibungen. Diese gehen von „für einen Europäer fast unmöglich“ bis zu „in wenigen Wochen erlernbar“. Viele Meditierende möchten gerne diese Sitzhaltung für ihr Zazen / Sitzen in Meditation nutzen, jedoch scheitern viele dabei, da sie entweder zu wenig über diese Asana wissen, diese mit unzureichenden Vorübungen oder gar mit Gewalt zu erreichen suchen und/oder einige Anpreisungen oder Beschreibungen nicht oder nur ungenügend verstehen. Ich habe mich daher entschlossen, ein wenig Licht ins Dunkel dieser Asana zu bringen.

Der komplette Artikel steht auf Parimoksa, meiner Seite für Themen der Meditation. Über ” mehr ” wird diese Seite geöffnet.

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Geht Gedankenfreiheit in Yogaübungen?

Immer, wenn wir uns in einer Yogahaltung bewegen oder verharren, wird das Problem erkennbar, wie wir mit der zu verweilenden Zeit umgehen können. Wie jedes nahezu System ist auch unser Geist mit einer installierten oder gehaltenen Unbeweglichkeit massiv überfordert und wird, die Zeit nutzend, in Gedankengebäude hineinfallen. Diese Tatsache ist verständlich, erklärbar und auch vollkommen normal, und daher sollten wir uns als Übende auch darüber bewusst sein, das dieses so geschieht. Wenn wir zusätzlich zum Yoga auch Meditation praktizieren, wissen wir weiterhin, dass in optimaler Weise ein Zustand anzustreben ist, den man grob beschrieben als Gedankenfrei bezeichnen kann. In der Gedankenfreiheit aber, und das wird mit zunehmender Sicherheit zum Problem, verändert sich die Wahrnehmung der Zeit.  Das Problem entsteht dadurch, dass wir, solange die Gedankenfreiheit andauert, kein Zeitempfinden  haben, nur die Zeit der Gedanken registrieren und somit häufig zu kurz oder zu lang in der Übung verweilen.

Exkurs: Eine Yogaübung wirkt immer erst durch die Intensität und die Dauer des Impulses, den ich in den Körper hineingebe. Wie vielfach schon beschrieben wirkt dieser Impuls in dem Grenzbereich meiner Körperwahrnehmung, der zwischen dem Alltagsgefühl und einem beginnenden Schmerz liegt. Ich nenne diesen Zwischenbereich Tonus. Man spürt die Öffnung, spürt die notwendige Kraft, spürt die benötigte Energie, aber diese Wahrnehmung darf noch nicht Schmerz sein. Dass wir dann sozusagen im Grenzbereich unserer Dehnung arbeiten, erklärt auch die hohe Beweglichkeit, die durch Yoga und seine Übungen nach und nach ausgebaut wird. Dehnung ist nach neuer sportphysiologischer Forschung nicht allein die Dehnungsfähigkeit einer Muskelfaser, sondern mehr die Aufnahmefähigkeit und Tragfähigkeit einer Spannung, die ein Muskelfaserbündel zu tragen geneigt ist. Diese wird durch die Setzung von regelmäßigen Impulsen, die nichts anderes sind als das Zeigen eines Wunsches, gesteigert oder durch einen Mangel an Inanspruchnahme verringert werden. Daher ist regelmäßiges Ausdehnen sowohl  vor als auch nach Belastung so wichtig.

Da ich einerseits meditiere, danach aber auch Yogaübungen praktiziere und diese Tätigkeiten als Arbeitnehmer durch Zeitmangel stets eng zusammenliegen müssen, komme ich in einer Yogahaltung regelmäßig in Phasen (Sekunden) der Gedankenfreiheit. Das zeigt sich so, dass an manchen Tagen die 90 Sekunden Kopfstand wie im Flug vergehen, während sich die gleiche Zeit an anderen Tagen sich wie das Warten auf einen Termin anfühlt. Ich bin daher dazu übergegangen,  mittels einer Meditationsuhr die Übungszeit für jede Haltung festzulegen. Dazu gehört natürlich auch die Übungsabfolge zu planen, entsprechend vorzubereiten und regelmäßig die Zeiten anzupassen. Alternativ dazu könnte man in einem Minutenabstand gongen lassen und so die Zeitvorgaben halten. Wichtig ist auf jeden Fall, eine angemessene Zeit in der Übung zu sein. Der Übende benötigt etwas Zeit um sich einzurichten, der Körper benötigt weitere Zeit, um die Wirkung zu entfalten und den Impuls als Forderung aufzunehmen.

Meiner Erfahrung nach genügen für klassische Übungen in der Summe ein bis zwei Minuten, um das volle Potential einer Übung zu entfalten, wobei einige Sekunden der Einrichtung geschuldet werden müssen, bevor die eigentliche Übungszeit beginnt. In dieser versuche ich stets, nahezu still in der Beobachtung der Übung zu sein. Stille bedeutet weder ruckeln, noch korrigieren, noch geistig oder gedanklich irgendwelchen Träumen oder Gedankengebäuden nachzuhängen. Ganz in der Übung sein, nur Übung sein, ganz in der Wahrnehmung und nach Möglichkeit vollkommen in der Stille der Gedankenfreiheit verhalten sich Yogaübungen zum Körper wie die Musik zum Tanz. Sie beflügeln und ergänzen sich zu einem größeren Ganzen. Ich würde aus meiner Erfahrung heraus diesen optimalen Zustand als „schweben“ bezeichnen, ohne Last und Mühe und trotz Arbeit ruhend in sich selbst.




Wie halte ich es mit Traditionen in Yoga und Meditation

Die Grundfragen des Lebens werden durch unsere Kultur, unsere Wissenschaften und unsere Vereinbarungen (Konventionen) nicht beantwortet. Sie bleiben scheinbar unaussprechlich und wortlos im Dunkeln. Zwar gibt es unzählige Versuche, durchaus erfolgreich zu einer Näherung der Antwort zu kommen, aber die Schwelle der Klarheit haben die wenigsten von ihnen erreicht und wahrscheinlich nur ganz wenige überschritten.

Zwei Motive sind herauszuheben, mit denen die meisten Denker und Traditionsgründer unserer westlichen Kultur arbeiten:

  • Ich verzichte auf Vorsätze und Vorgaben und überlasse die Auskleidung des Lebens jedem selbst, zähle allerdings Fakten und gesichertes Wissen auf und gebe so eine fundierte Hilfestellung. Alles weitere ist jedem selbst überlassen: Jeder ist selbst seines Glückes Schmied, jeder kümmert sich um sich selbst und so wird von unsichtbarer Hand gesteuert alles gut. Ein Beispiel dafür sind Yogastunden, in denen sich die Lehrenden wenig bis gar nicht um die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Teilnehmer kümmern, also einfach ihrem oft sogar noch vorgefertigtem Plan folgen und das auch noch strikt durchziehen. Das Motto heißt: Üben, üben, üben.
  • Ich erbaue einen moralischen und ethischen Rahmen um einen Teil oder die Masse einer Gesellschaft herum und baue diesen je nach Wissen und Notwendigkeit permanent aus und um, um die Menschen zu lenken und vor Gefahren zu schützen. Religionen und absolute Herrschersysteme, aber auch Sekten und Gurus verfolgen meist diesem Weg. Er ist gefüllt mit Vorgaben (Essen, Trinken, Achtsamkeit; Gesinnung) und wird vermittelt mit einem ganz großen Ziel (Paradies, Märtyrer, Befreiung, Erleuchtung) im Gepäck.

Beide Wege, die sich oberflächlich grundlegend zu widersprechen scheinen, werden seit Beginn aller Kulturen verfolgt. Sie werden oftmals einerseits  als „die große Freiheit“ (Free- Stile, Utilitarismus) oder andererseits als „die Gemeinschaft“ (z.B.: Sekten, Alternativsysteme) betrachtet. Je nachdem, welche Anschauung man dabei mit sich führt, wird diese Ausrichtung auch in den persönlichen Lebensweg eingebaut und verfolgt. Somit sind auch die Übungswege des Yoga und der Meditation von diesen Grundausrichtungen geprägt, da die Übenden dieses schon privat verfolgen und auf die Matte und das Kissen mitbringen. Was für Yoga und das Üben mir wichtig erscheint ist, die Ausrichtung in den Extremformen „frei“ oder „total gerichtet“ als jeweils einseitige Formen zu meiden. Für Yoga und Meditation sind diese beiden in meiner Anschauung eher wie eine Aufgabe in Hegels Dialektik zu sehen, wo aus These und Antithese eine Synthese zu erfolgen hat, die die Ausgangspunkte nicht nur umfasst, sondern die Summe beider übersteigt.

Da ist dann in den neuen Stilen einerseits die große Freiheit, in der Traditionen und Techniken aus diesen vollkommen frei und unbehindert ineinander verzahnt werden. Vielen Yogarichtungen deuten das bereits an in ihren Namen: Yin-Yoga: Yin/Yang ist aus dem Taoismus und entstammt der Kultur Chinas, Yoga kommt aus Indien und ist eher Hinduistisch geprägt). Aku-Yoga: (Akupunktur stammt ursprünglich aus China und beruht auf dem Meridiansystem, Yoga ist indisch und baut auf Chakren und Pranaströmen auf.)

Dann sind da andererseits die fast vollständig erhaltenen alten Traditionen von Yoga, die sich Wort für Wort an ihrem Gründer ausrichten und darin keinerlei Varianz zulassen. Auch hier sehe ich eine Gefahr heraufziehen, die dann aber nicht in der Verwässerung, sondern mehr in der Verhärtung liegt. „Das muss so sein, weil der Meister…“ und „Das ist so vom Meister (end)gültig festgelegt…“ sind Sätze, die man gerne in den Übungsstunden hört. In alten Yogastilen kann man das oft beobachten, aber auch neuere Gurus machen davon gerne Gebrauch. Sie sind leicht zu erkennen an der verquasteten Sprache und Begrifflichkeit, an den immer weiter fortgeführten Ritualen, die beim Nachlesen der Bedeutungen eigentlich gar nichts mit dem Übungswesen zu tun haben. Ein schönes Beispiel ist das beliebte Gayatrie-Mantra, das eine rein religiöse Bitte an Gott, also ein Gebet darstellt. „Das muss so“ würde die Werbung heute dazu in der beliebten Verkürzung sagen. Ich sehe das anders.

Auch ich verwende Übungen aus verschiedenen Yogarichtungen und anderen östlichen Schulen (TaiChi, Karate, Zen), allerdings versuche ich stets, die Systeme soweit wie möglich in ihrem Kontext zu belassen. Wenn ich Übungsreihen für Yoga baue, wähle ich daher das Energiesystem des Yoga (Ströme, Prana, Elemente), da dieses genau abgestimmt ist auf die Wirkungsweisen dieser Übungen. Auch die Übungen aus dem Tai Chi oder dem Karate, die evtl. dazukommen, werden von mir somit auch mit dem Pranasystem beschrieben. Das mag den einen oder anderen Kenner verschiedenster östlicher Praktiken verwirren, ist aber durchaus angebracht und sinnvoll. Es ist schon schwierig, die Wirkungsweisen und -formen allein eines Systems zu verfolgen, wenn dann noch jede Einzelübung in einem anderen Kontext gesehen werden muss, ist Unterricht in einer gemischten Gruppe eigentlich nicht mehr möglich. Allerdings gibt es auch persönliche Anforderungen, die sich so nicht vereinfachen lassen. Als Yogaübender außerhalb der Lehrertätigkeit habe ich natürlich auch andere Interessen. So habe ich mich für Zen als Meditationsweg entschieden. Wenn ich selbst allein Meditation übe, bewege ich mich daher im System des Zen, nutze Übungen, Beschreibungen und die Haltung dieser Tradition. Wenn ich im Yogaunterricht Meditation unterrichte, bewege ich mich trotzdem ausschließlich im System des Yoga. Wenn ich aber während einem Shesshin Yogaübungen beschreibe, bewege ich mich ausschließlich im System des Zen. Und wenn ich eine Karate-Kata übe, bewege ich mich im System dieser Tradition, die zwar dem Zen sehr nahe steht, aber in einigen Punkten auch andere Motive in sich birgt. Das ist für mich möglich, da ich mich über viele Jahre nacheinander mit den Systemen, die hier genannt wurden, auseinandergesetzt habe. 20 Jahre Kampfsport, über 20 Jahre Yoga und mehr als 15 Jahre Zen, manches in zeitlich begrenzten Räumen, haben mir diese Systeme nahegebracht.  Sie sind für mich wie Sprachen, die einmal erlernt sehr schnell wieder präsent sein können, auch wenn sie monatelang mal nicht gesprochen wurden.

Ich vertrete die Ansicht, dass man die Traditionen östlicher Praxen nicht wahllos vermischen sollte. Weiterhin glaube ich trotzdem, dass sich diese höchst wirksam ergänzen können, wenn man in der Lage ist, von Sprache zu Sprache zu übersetzen. Daher plädiere ich auch dafür, Begriffe und Namen verschiedener Übungen und Motive in die Muttersprache, in meinem Fall ins deutsche, zu übersetzen. Auf diese Weise steigt man aus der Gefahr aus, von unterschiedlich vorgebildeten Teilnehmern unterschiedlich verstanden zu werden.
Hier im Anschluss möchte ich für mich und meinen Unterricht das indische Prana-System und seine fünf Hauptströme kurz skizieren und dafür eine allgemein verständliche Begrifflichkeit vorschlagen.

Prana nennt das indische System einerseits alle Energieströme des Körpers als Sammelbegriff, andererseits aber auch den Energiestrom, der den Rumpf-Atem-Raum (Unterbauch über Brust bis Schlüsselbeinregion) in zum Kopf aufsteigender Richtung füllt und prägt. Für den Sammelbegriff genügt daher einfach das Wort „Energie“. Für den untergeordneten Prana-Strom würde „Atemenergie“  eine ausreichende  Begrifflichkeit bezeichnen.
Apana nennt das indische System die Energie, die sich mit der Schwerkraft zur Erde hin bewegt. Sie ist die Grundlage für Festigkeit, bedeutet Halt und Stärke. Da Schwerkraft immer in Richtung Erdmittelpunkt zieht, würde ich für Apana den Begriff „Erdenergie“ vorschlagen.
Udana heißt der Energiestrom im indischen System, der zwischen den Schulterblättern entspringt und über Hals und Nacken in den Kopf hinaufströmt. Diese Energie ist eng mit dem „Kinnsiegel“ (original: Kinnverschluss, Bandha)  verbunden, der über die Bewegungsrichtung vom Kinn zum Hinterkopf der Atemenergie Richtung und Form zu geben in der Lage ist. Hierfür bietet der Begriff „Kinnenergie“ eine ausreichend klare Beschreibung.
Samana nennt sich die Energie des unteren Bauches und des Körperzentrums. Diese Energie zeigt sich nicht wie ein Strom, sondern ist mehr wie eine Quelle zu beschreiben, wobei diese Quelle sowohl Energie aufzunehmen als auch abzugeben vermag. Im Körperschwerpunkt angesiedelt und sich mehr wie ein Feld verhaltend, ist diese Form sehr gut mit dem Wort „Zentral(energie)feld“ beschrieben. Zentrum dieses Feldes ist der Energieknotenpunkt Kanda, der sich deutlich oberhalb des ersten Chakras in Höhe der Nabelregion befindet. Er beschreibt im Yoga die „Körpermitte“ und sollte daher auch so heißen. Nicht verwechselt werden sollte dieser Punkt mit Hara, der deutlich tiefer im Körper angelegt ist, weil er erst dort Kraft und Stärke erzeugen, nicht aber als Gelöstheit wie bei Kanda erfahren werden kann.
Vijana nennt sich die alles umschließende und sich sehr lebendig anfühlende Energie im ganzen Körper, die sich zunächst mit prickeln oder kribbeln bemerkbar macht und sich dann zunehmend ausbreitend im ganzen Körper und über ihn hinaus wahrnehmen lässt. Da sie sehr lebendig erscheint, überall das Leben umschließt und verbindet würde ich diese somit als „Lebensenergie“ bezeichnen.

Mit der vorgelegten Begrifflichkeit kann Yoga und sein Übungssystem in all seinen Farben und Formen für westliche Menschen geeignet beschrieben werden. Die Beschreibungen, die sich mit Kundalini und seinen Bedingungen beschäftigen, bleiben dabei außen vor. Sie sind für mich eher eine esoterische Form des Yoga, die es zwar auch geben darf, da solche Erfahrungen durchaus auftreten können. Für den Großteil der Yogaübenden ist das aber nicht von Belang. Nur sehr wenige erreichen diese bewusstseinserweiterte Extremform und, ganz ehrlich gesagt, finde ich persönlich diese auch nicht erstrebenswert. Für ein gesellschaftlich aktives Leben in der westlichen Welt bietet eine große Kundalini-Erfahrung wenig Substanz. Zu abgehoben und vereinzelt erscheint das Leben der Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben (wollen) und zu gering erscheint mir deren Wirkungsgrad für das Gros der Menschheit.

Exkurs: Gayatrie-Mantra
Oh Gott! Du bist der Geber des Lebens, Entferner des Schmerzes und des Kummers,
der Erlöser des Glücks, oh! Schöpfer des Universums, mögen wir dein höchstes Sünden zerstörendes Licht empfangen, mögest du unseren Intellekt in die richtige Richtung führen.




Karmalehre und Philosophie als Bedingung der Meditation des Jnana-yoga

Der Versuch, eine Verbindung zu formulieren zwischen westlicher Philosophie und östlicher Weisheit ist eine meiner Arbeiten aus 12/1999.

Wir leben in einer unbegrenzten, unendlichen Welt, die eine sowohl denkbare als auch undenkbare Fülle von Möglichkeiten enthält, eine Welt, die weder durch Zeit noch durch Raum begrenzt ist und die keinen Zeitpfeil kennt. Aber als Mensch sind wir eine gebundene Form des Lebens, gebunden an die Physis eines Organismus, gebunden an eine Richtung in der Zeit, gebunden durch Begrenzung des Raumes und gebunden durch Endlichkeit. An einer Stelle, einem Ort und einem Moment in diese Welt geworfen, beginnt zunächst die Kette von Ursache und Wirkung unser Leben zu bestimmen, lässt uns dieser Automatismus keine oder nur noch wenige Möglichkeiten zur Wahl.

Hier liegt unser Ausgangspunkt, hier stehen wir am Anfang unserer Praxis. Diesen  Punkt zu erkennen, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Befreiung aus den Rad des Lebens. Als begrenzte und gebundene Form besitzen wir nur die Fähigkeit, eine begrenzte Auswahl von Möglichkeiten aufzunehmen, zu erkennen und auch zu nutzen. Diese Erkenntnis (der zweite Schritt) ist zwangsläufig eine Folgerung der ersten und ist von außergewöhnlicher Banalität. Trotzdem sagt sie uns klar und deutlich, wie unser Leben zu gestalten sei, wenn wir Veränderung anstreben. Wenn wir selbst unser Leben in die Hand nehmen wollen, selbst gestalten und wählen wollen, müssen wir (erstens) das bereits laufende Rad anhalten oder zumindest stark verlangsamen, müssen uns weiterhin (zweitens) über die Fülle unserer Möglichkeiten klar geworden sein und dann (der dritte Schritt) mit Bedacht wählen. Jede Wahl setzt das Rad erneut in Gang, jede Wahl ist eine Begrenzung und eine Einschränkung zukünftiger Möglichkeiten. Dies ist die dritte Erkenntnis, sie folgt aus den anderen und ist unvermeidbar und unwiderlegbar. Wir können als begrenztes Wesen nur begrenzt aufnehmen, einerseits wird alles nicht aufgenommene wie ein Opfer preisgegeben und daher Leiden verursachen, andererseits wird alles aufgenommene unsere zukünftigen Möglichkeiten begrenzen, eine weitere Auswahl erschweren oder verhindern und daher ebenfalls Leiden nach sich ziehen.
Was also können/sollten wir tun? Wir sind niemals frei in der Entscheidung, und wir können niemals ganz frei werden, denn dazu müsste uns als Mensch Unbegrenztheit zufallen. Wählen wir also unseren Teil aus, und dreht sich damit das Rad in eindrucksvollen Geschwindigkeit, so sind wir begrenzt für den Rest unserer Tage in dieser Form als Mensch, das Rad dreht sich und wir folgen ihm. Das nicht Erwählte wird bald als Verlust erfahren werden. Wählen wir nur begrenzt und sparsam aus, halten wir also das Rad nur in langsamer Drehung, verzichten wir damit auf eine Vielzahl von Möglichkeiten und damit verbunden von Eindrücken zugunsten einer unbestimmten Zukunft, was zumindest im Moment des Verzichts ebenfalls als Verlust erfahren wird. Lassen wir uns treiben im Strom der immerwährenden Bewegung um uns herum, wählen wir also nicht und bestimmen wir nicht, so verzichten wir auf die Selbstbestimmtheit unseres Lebens, andere wählen für uns und wir werden zu ”Getriebenen”. Wo liegt da die Lösung?
Die Bhagavad Gita hält daher einen Rat für uns bereit, der in etwa so lautet:
Wir wählen aus der Fülle der Möglichkeiten aus nach bestem Wissen und Gewissen, tun dann, was wir tun müssen, aber wir gestalten unser Tun so, dass wir nicht hängen an den Früchten dieser Handlungen.
Aber was genau bedeutet dieser Satz, und wie geschieht so etwas in der Praxis? Wie kann ich mir dies vorstellen? Ist dieser Sinngehalt dieses Satzes nicht paradox? Gerade doch aus dem Streben nach den Früchten heraus haben wir begonnen, den Mechanismus unseres Leidens zu durchschauen. Um das Leiden zu mindern, und das sind doch die Früchte unseres Strebens, haben wir doch mit einer Praxis begonnen und sind erst so auf diesen Satz der Bhagavad Gita gestoßen. Fehlt hier dann nicht etwas entscheidendes? Müssen wir dann aufgrund dieses Satzes die Wege des Vergangenen nicht trennen von den Wegen, die vor uns liegen? War der vergangene Irrweg nicht erforderlich, ja zwangsläufig dann auch richtig, um hierher zu finden? Und ist diese Aussage nicht eine neues Paradox, dass ich nämlich nur auf Irrwegen zur Wahrheit finde, und mein neu einzuschlagender Weg ebenfalls ein Irrweg sein muss? Und wie kann ich mit dieser Paradoxie im Gepäck fortschreiten?
Dieser Sinngehalt ist unserem, zu Differenzierbarem zugeneigten einfachen Denken nicht erfassbar. Wir brauchen eine Hilfe, um dies zu erfassen. Wir müssen sich widersprechende Aussagen nebeneinander stellen können, ohne sie in Beziehung zu bringen, ohne sie aufeinander wirken zu lassen. Diese Hilfe finden wir in der philosophischen Idee vom Hintergrund, vom Einen, vom Umgreifenden, von Gott, von Tao oder von Brahman, auf dem sich solche konträren Facetten (Paradoxien) abbilden lassen.
Auf diesen Hintergrund sehen wir die Paradoxie wie die zwei Seiten einer Münze, wir nehmen auf, ohne zu verarbeiten, betrachten ohne Auswahl und Urteil, verzichten also auf die Schlussfolgerung, die sich zB in der Theorie von ”These, Antithese (diese bilden die Paradoxie) und Synthese (Urteil) ausdrückt.
Diese Betrachtung dann schafft Bilder und Symbole, zu denen sich durch ”wirken lassen”, das ist eine bewusst herbeigeführte Unbestimmtheit in unserem Denken, in der unendlichen Fülle der Möglichkeiten eines unbegrenzten Universums Entsprechungen finden lassen, die in ihrem Bewusstwerden als Idee sich in unserem Denken Ausdruck verleihen.

Diese Idee (nach Platon), wir können sie auch Intuition (im Yoga) nennen, steht uns, einmal erkannt, dann als erweiterte, fast immer auch neue Möglichkeit offen. Durch ihre Herkunft aus der Fülle, aus dem Hintergrund,  verbindet sie uns symbolisch mit allem und ist daher dem, was wir als die eine Wahrheit bezeichnen, sehr nahe. Diese Betrachtung und dieses ”wirken lassen” erreichen wir in der Praxis der stillen Meditation. Aber diese Praxis erfordert Bedingungen:

  • Die Bereitschaft zur Analyse, des Erkennens, was ist (jetzt und hier).
  • Die Bereitschaft des ”offen-seins” und ”offen-bleibens” für unbestimmte Zeit.
  • Die Bereitschaft, weiterhin zu erkennen und zu lernen.
  • Die Bereitschaft, die aufleuchtenden Paradoxien solange zu ertragen.

 

Ohne diese Bedingungen ist die Meditation oft nur ein unbestimmtes Staunen, wird sie wie zu einer kurzen Flucht aus dem Häusermeer der Städte in die freie Wildnis der Natur, von der nach der Rückkehr nichts bleibt als eine sehnsuchtsvolle Erinnerung, die bald neues Leiden gebiert. Wirkliche Meditation arbeitet im und mit dem Meditierenden, sie formt und weitet, erhellt und vermindert so Leiden. Sie braucht dazu eine Analyse und Kenntnis dessen, was ist (zB: Erkenntnis des Prinzips von Ursache und Wirkung – Karmalehre des Yoga), und sie braucht eine Methode der Vorstellung, die nicht formt, sondern wahrnimmt (zB: Philosophie der Idee nach Platon). Kenntnis, Wahrnehmung und die Wirkung der Meditation führen nur gemeinsam zum Erfolg, so wie erst ein Tisch mit drei Beinen zum sicheren Stehen findet.




Exkurs über „das Üben“ in Yoga und Meditation

Nach Wikipedia ist Üben “… eine Praxis, die auf Können bzw. besseres Können gerichtet ist. Geübt werden Praktiken, die man nicht unmittelbar durch Wille oder Entschluss ausführen kann, wie elementare und leibliche Lebens- und Weltvollzüge wie Gehen und Sprechen, komplexe Fertigkeiten und Fähigkeiten künstlerischer, sportlicher, handwerklicher und geistiger Art sowie individuelle Haltungen und Einstellungen.”
Im Umkehrschluss müssen also Handlungen etc. dann nicht mehr geübt werden, wenn ihre Aneignung für einen bestimmten Zeitraum ausreichend oder sogar nahezu abgeschlossen ist. Von einem vollständigen Aneignungsvollzug spricht man in Verbindung mit Üben aber nicht, da diese Fertigkeiten nur dann dauerhaft zur Verfügung stehen, wenn sie entweder regelmäßig ausführt oder aber nach längeren Pausen wieder einübt werden. Berücksichtigt man diese Aussagen, erschließt sich der Begriff “Übungspraxis”, der gerne für die Beschreibung von Yoga und Meditation verwendet wird, auf einfache Weise.

Schauen wir auf die Übungsinhalte im Yoga, so fallen zunächst die körperlichen Fähigkeiten ins Auge. Viele Übungen des Yoga erfordern schon für die Grundhaltung einen gut ausgearbeiteten Muskelaufbau und begleitende Fertigkeiten, die meist mit Balance und “know how” beschrieben werden können. Selten erwähnt, aber nicht weniger wichtig, sind Fertigkeiten, die mit Konzentration, Aufmerksamkeit und Gelassenheit zu tun haben. Auch diese Motive sind mit Üben und regelmäßigen Tun ausgestaltbar. Dazu kommt in meiner Vorstellung von Yoga eine Zielgerichtetheit, in der das Gehen auf dem Weg auf das vorgestellte Ziel hin optimierend gestaltet wird. Dazu gehören besonders Intensionen in Haltung, Art und Übungsweise sowie ergänzende Maßnahmen, die nicht dem Yoga zugehörig sind wie Massagen und evtl. auch Psychotherapien. Zusammenfassend würde ich sagen, dass der wirksamen Ausführung von Yoga eine Übungszeit vorgelagert sein muss, in der zunächst einmal Voraussetzungen geschaffen werden müssen.

Ähnlich ist die Ausführung von Meditation ebenfalls an Voraussetzungen gebunden. Sitzen können, Kraft und Wille vereinen können und ein hohes Maß an Gelassenheit sind hier die benötigten Motive. Auch diese fallen nicht vom Himmel und müssen eingebracht und ausdauernd geübt werden.

Ein Großteil der Zeit für Yoga und Meditation wird also zwangsläufig mit Vorübungen ausgefüllt sein. Das Halten der körperlichen Fähigkeiten, das Schaffen von Gelassenheit und Konzentrationsfähigkeit sowie die Ausgestaltung eines persönlichen Weges sind elementare Schritte in der Übungspraxis. Ohne diese Motive ist Yoga nur Turnen, Meditation nur Abhängen. Sind die Voraussetzungen aber geschaffen und werden diese regelmäßig gepflegt, kann Yoga zu einer energiereichen Weitung des Lebensgefüges beitragen, kann Meditation gelingen und in die Stille des Da-Seins führen.

Kommen wir noch einmal zur Beschreibung in Wikipedia: ” Jede Übung hat auch bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung eine ästhetisch-sinnliche, eine methodisch-kognitive und eine praktisch-ethische Dimension. In der Neuzeit trat der methodische und kognitive Aspekt immer mehr in den Vordergrund. Die ästhetisch-sinnliche und die praktisch-ethische gingen weitgehend verloren.” Diese Tendenz ist ganz prägnant in Yoga- und Meditationsangeboten der Neuzeit zu beobachten. Hunderte von Schulen, ausgrenzende Schwerpunkte und besonders der Ausschluss dringend benötigter mentaler Fertigkeiten aus der Praxis sprechen eine mehr als deutliche Sprache.

Beide Methoden, richtig ausgeführt, wirken aber in ein Lebensgefüge hinein, das sich nicht auf zwei Stunden Matte und Kissen begrenzen lässt, sondern dem 24 Stunden an jedem Tag zur Verfügung stehen, und das jahrzehntelang. Angebracht ist daher etwas mehr Sorgfalt, etwas mehr Geduld, und nicht zu vergessen etwas mehr Bescheidenheit. Das gilt für Übende, Teilnehmer an Veranstaltungen und ganz besonders für die unterrichtenden Lehrer und Vortragenden!




Die Problemstellung in der stillen Meditation

Häufig werden in jedem Leben eines Menschen Problemstellungen auftreten, die nur in einer Entscheidung beantwortet werden können (einfachste Form: soll ich A oder B). Ich möchte mich nachfolgend mit der häufig gestellten Frage beschäftigen, ob es sinnvoll ist, Fragen unter Zuhilfenahme der Meditationsmethode aufzulösen. Dazu werde ich ein stark verallgemeinertes Schema vorstellen, nach deren Abarbeitung ich diese Frage durchaus mit „ja“ beantworten würde.
Günstigstenfalls wird sich die Problemstellung auf eine Frage verdichten lassen, die meist innerhalb der zugehörigen Lebenswelt gestellt und damit auch gelöst werden kann. Will man eine Problemlösung mit Meditation konzipieren, muss zunächst die Fragestellung gut herausgearbeitet, dass heißt vorbereitet werden:
1. Welche Lebenswelt(en) sind betroffen? Im gesellschaftlichen Leben jedes modernen Menschen gibt es mehrere Lebenssphären, die ich allgemein wie folgt darstellen würde: Private persönliche Sphäre (Ich und Selbst); Familie oder Partnerschaft; Arbeitswelt; Berufung (Hobby und Passion)
2. Liegen Erfahrungen und prägende Befindlichkeiten vor, die das Ergebnis der Meditation (als problemlösende Methode) vergiften können?
3. Lässt sich die Problemstellung soweit verdichten oder eingrenzen, so dass klare Alternativen hervortreten?
4. Stehen mir genügend Informationen zur Verfügung oder sollte ich zuvor zusätzliches Studienmaterial heranziehen, bevor ich mit der eigentlichen Entscheidungsarbeit beginnen kann?
Meist verdichtet sich in der Beantwortung der o.g. Vorbereitung die Fragestellung bereits auf eine ganz einfache und mit A oder B zu beantwortende Fragestellung. Diese kann dann in der Meditation gehalten, getragen und später entschieden werden.
Die Meditationsmethode verneint dabei alle unbewusst getroffenen Entscheidungen. Dazu dient die Einladung, sich all seiner Möglichkeiten bewusst zu sein und diese über einen längeren Zeitraum unentschieden zu halten und mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, wie das Unbewusste, das auf Konventionen beruht, nörgelnd und drängend zu einer Lösung kommen möchte. Die Unentschiedenheit geht einher mit der strikten Verneinung jeder schnellen Antwort auf die aktuelle Fragestellung. In einer ersten Verweilzeit werden sich nach und nach alternative Antworten und Motive zu den konventionell üblichen dazugesellen. In einer weiteren Stufe wird sich dann eine der Varianten immer mehr in den Vordergrund stellen. Wird diese dann im erneuten Durcharbeiten mit einem Gefühl von Sicherheit und Zuversicht empfunden, kann die Problematik als aufgelöst gelten. Zusammengefasst erscheint diese Vorgehensweise meiner Anschauung nach ein guter Weg zu sein, von Konventionen befreit sich alltäglichen Fragen zu stellen. Nehmen wir als Beispiel eine einfache Frage, wie sie vielleicht alltäglich auftritt:
„Soll ich, wenn der Entscheidungsfall eintritt, A oder B wählen; wenn ich schließe, dass auf A hoffentlich C eintreffen wird und ich D vermeiden kann, weil B zwar statt C immer D zur Folge haben würde, ich dann aber F zusätzlich erreichen könnte.“

Beispiel 1: „Soll ich (als Dieb), wenn der Entscheidungsfall (Polizei fasst mich) eintritt, A (dichthalten) oder B (die Komplizen zu verraten) wählen; wenn ich schließe, dass auf A (dichthalten) hoffentlich C (später einen Anteil an der Beute zu bekommen) eintreffen wird und ich D (der Verlust der Freunde) vermeiden kann, weil B (die Komplizen verraten) zwar statt C (später einen Anteil an der Beute bekommen) immer D (der Verlust der Beute) zur Folge haben würde, ich dafür aber F (eine Strafmilderung) zusätzlich erreichen könnte.“
Beispiel 2: „Soll ich, wenn der Entscheidungsfall (Partner bei Untreue erwischt) eintritt, A (Partnerschaft beenden) oder B (nach einer Karenzzeit verzeihen) wählen; wenn ich schließe, dass auf A (beenden) hoffentlich C (neue Partnerschaft) eintreffen wird und ich D (einen aufzehrenden Streit) vermeiden kann, weil B (verzeihen) zwar statt C (neue Partnerschaft) immer D (ich behalte das Bekannte mit etwas Vertrauensverlust) zur Folge haben würde, ich dann aber F (mehr Beinfreiheit, weil ich etwas gut habe) zusätzlich erreichen könnte.“

Komplexe Sachverhalte mit vielen „wenn und aber“ eignen sich nicht als Thema einer Meditation. Diese Fragen müssen zunächst gedanklich verdichtet werden, was so etwas wie einen wiederkäuenden Prozess darstellt. In vielen Beispielen geht letztlich um die einfache Frage, ob Festhalten am Gewohnten (weitermachen, verzeihen, bleiben) oder Aufbruch zum Neuen (loslassen, aufbrechen) einschließlich aller Konsequenzen stattfinden sollte. Diese Fragestellung dann, so vereinfacht, ist zur Auflösung in Meditation durchaus geeignet.
Sehr nahe verwandt ist diese Verfahrensweise mit der Philosophie Krishnamurtis, die in einem Satz zusammengefasst … „geprägt von einer radikalen Verneinung von Guruismus, Religion und Organisation und ebenso radikaler Bejahung von Freiheit, Lebendigkeit, Aufmerksamkeit“ (Wikipedia) … ausgedrückt werden kann. In dieser Abschauung ist jede Entscheidung, ist jeder Moment und jede Lebenssituation grundsätzlich neu. Im psychologischen Geflecht des Lebens gibt es danach kein Wissen, keine Vorgaben und keine Erfahrung. In der Meditation versuchen wir, genau an diesem Punkt anzukommen.
Das heißt aber nicht, das diese Entscheidung, A oder B in der Meditationszeit gefällt wird. Nein, ganz und gar nicht, denn die Meditationszeit ist immer der zu bewältigenden Aufgabe gewidmet, nämlich im Mantra, im Koan, in der Atemübung oder einfach nur im stillen Sitzen zu sein. Nur wird die Fragestellung mich ständig belästigen, und das ist gut so, denn in der Meditation lernen wir, nicht vorschnell oder unbewusst zu entscheiden, sondern sich auf das Wesentliche, das Zurückkehren zur Aufgabe, zu konzentrieren. Und was in der Meditation gelingt, gelingt mehr oder weniger gut auch in der alltäglichen Zeit. Die Lösung der Fragestellung wird sich in der Offenheit, der Unentschiedenheit sehr bald einstellen, denn die Meditationspraxis schafft kontinuierlich Raum für Neues; und darunter wird auch die Lösung für das aktuelle Problem sein.
In meiner Vorstellung wird so ein Problem in der Meditation gelöst, ohne in der Meditation selbst präsent zu sein. Und mag es auch nach der Quadratur des Kreises klingen, für mich hat sich diese Vorgehensweise schon oft bewährt. Bitte genau lesen: Schon oft, nicht immer! Denn manchmal ist es gut und angebracht, seiner Spontanität freien Raum zu lassen. Aber das -wann Spontanität gut ist und wann besser nicht- ist ein ganz anderes Thema.




aavidya

Was bedeutet aavidya?
Wenn wir ein Sanskrit-Wörterbuch benutzen und den Begriff „avidya“ nachschlagen, werden wir als Übersetzung die Antwort „Nichtwissen“ erhalten. Nun ist Nichtwissen im indischen Kontext etwas vollkommen anderes als im westlichen dualen Denken.
Avidya ist die grundlegendste Ursache des Leidens, nämlich das Festhalten eines Wissens, das zu Leiden und Schmerz führt und daher aufgegeben werden muss. Dieses Wissen identifiziert sich mit seiner Persönlichkeit, seiner äußeren Erscheinung, seinen Erfolgen und Nichterfolgen, seinen Gedankenaktivitäten und seiner Stellung in Gesellschaften, indem es sagt: ICH… bin, habe, werde, darf, kann…

Da das vorgestellte A in Sanskrit eine Verneinung bedeutet, bezeichnet vidya das gute, echte, lebendige Wissen, das nicht zu Leiden führt und sich nicht identifiziert. Avidya wird dann zu einem Nichtwissen, das schlechte Eigenschaften hat und Leiden verursacht. Die Verdopplung der Verneinung am Anfang bedeutet dann so etwas wie „Nicht-Nichtwissen“. Es bezeichnet für mich den Versuch, ehrlich zu sich selbst zu sein und sich zunächst seines Nichtwissens (Leidens) bewusst zu werden und selbiges dann mehr und mehr zu vermeiden versuchen. Nichtwissen dann nicht anzustreben, übersetze ich mit „aavidya“.




Meditationsworkshop – Juli 2015

Die Fragestellung, was Meditation eigentlich sei, wie ihr Wirkungsmechanismus geht oder was man als Meditierender erreichen kann, wurde hunderttausendfach gestellt und zweihunderttausendfach beantwortet. Die Bücher und Beschreibungen zu diesem Thema würden, zusammengetragen, ganze Büchereien füllen können. Und doch ist jedes Mal, wenn für mich Meditation auf meiner Workshop-Liste auftaucht, Vorbereitung und Einstimmung erforderlich. Die Frage, die zur Beantwortung ansteht, heißt jedes Mal: Wie baue ich den WS auf, was will ich wie vermitteln, wo werde ich die Teilnehmer finden oder treffen können und wie kann ich sie dann ein Stück mitnehmen.

In einer früheren Arbeit habe ich versucht, dem Begriff „Meditation“ eine religions- und weltanschauungsfreie Definition zu geben:
Wir suchen in der Meditation nach dem Ruhenden in unserer Mitte im Glauben daran, dass wir so ein Leben ohne vermeidbares Leiden erreichen können. Dazu sind wir bereit, uns ganz und gar einzubringen, sind bereit, uns so anzunehmen, wie wir sind, mit allen Fehlern und allen Schwächen. Indem wir uns selbst erkennen, erkennen wir uns auch in der unauflösbaren Gemeinschaft mit allem anderen. Wir lösen die Knoten der Vergangenheit und gewinnen die Spontaneität eines geistigen Lebens.

Dieses geschah aufgrund der in der Vergangenheit vorherrschenden Gewohnheit, Ziele und Inhalte der Meditation jeweils auf der vorherrschenden religiösen und weltanschaulichen Konvention zu gestalten und man dabei auf Andersdenkende wenig Rücksicht nehmen musste, weil es diese im gewohnt klein strukturierten Umfeld gar nicht gab. Heute sieht das allerdings ganz anders aus, weil im multikulturellen Umfeld einer Großstadt viele Konventionen nebeneinander bestehen müssen. Besonders schwierig wird diese Vielfalt dann, wenn die Meditation als Thema in einem größeren Umfeld wie zum Beispiel einem Yogazentrum angeboten wird, wo Menschen mit Zielen zwischen „ich tue etwas für meine Gesundheit“ bis zu „ich strebe die Erleuchtung an“ in einem Raum zusammensitzen können. Ich möchte daher noch einmal in Kurzform versuchen, meine Intention für den Workshop „Meditation“, den ich in unserem Yogazentrum anleiten werde, zu formulieren.

Meditation ist ein elementarer Bestandteil des Yoga und kann daher auch aus seiner Praxis nicht eliminiert werden. Neben dem Willen, etwas zu seiner Entwicklung zu tun (Philosophie), neben dem Versuch, seinen Körper gesund, fühlend und kommunizierend zu erhalten (Asana-Praxis) und neben dem Bestreben, seine Stimmungen und Gefühlswallungen erfahrbar und veränderbar zu gestalten (Pranayama) ist die Arbeit an Gewohnheiten und Konventionen (Meditation) ein maßgebliches Ziel der Yogapraxis. Erst die Summe der genannten Techniken kann die Erreichung eines gesetzten Zieles bewirken, und die Meditation ist dabei so etwas wie der „Deckel auf dem Topf“. Sie schließt die Entwicklung, vollzieht die Veränderung, rundet den Eingriff ab. Und dabei ist, so unplausibel das auch klingen mag, die Formulierung des Zieles relativ unbedeutend.

Wenn wir uns auf die Matte begeben und uns ernsthaft mit der Praxis befassen, wollen wir etwas verändern, und dabei ist es nicht wichtig, ob wir nur unsere „körperlichen Schwächen“, unsere „psychischen Defizite“ oder eine „bewusstseinserweiternde Entwicklung“ in Sinn haben, die Zutaten sind immer gleich: Raum, Zeit(losigkeit) und Bewusstsein. Das Rezept allerdings, oder die Weise, wie die Zutaten in der Tagespraxis zu mischen sind, sind immer verschieden, denn jeder kann jetzt nur mit dem arbeiten, was sie/er jetzt gerade vorfindet. Das ist in einer theoretischen Form schwer zu verstehen und ebenso schwer zu formulieren. Lassen Sie mich also versuchen, das systemische Gebilde am Beispiel „Zeit“ zu erläutern.

Zeit ist etwas, was dem modernen Menschen kostbar und wertvoll ist, und in der Regel ist sogar die Methode, die zu mehr „Zeit haben“ führen könnte, also Yoga, aus Zeitgründen meist nicht ausreichend verwirklichbar. „Zeit haben“ ist nämlich nicht mit „mehr Zeit haben“ im Sinne von „mehr Geld besitzen“ zu definieren, weil der Tag eben nicht unendlich erweiterbar ist. Hier spielt uns die Sprache – die nebenbei gesagt nur eine Konvention ist – einen Streich. Mehr Zeit haben geht nur dann, wenn ich mich von dem löse, was meine Zeit bedrängt, wenn ich mich von dem löse, was mein zeitliches Erleben unübersichtlich und unüberschaubar macht und wenn ich erkenne, worin dieses Bedrängt sein besteht. Der Mensch ist ein sich selbst gestaltendes (autopoietisches) Wesen und kann daher von außen nur von Aggression bedrängt werden. Alle anderen bedrängenden Wahrnehmungen sind selbst gestaltet und daher auch veränderbar. Hier gilt das nachfolgende Rezept:

  • erkennen (erfühlen, wahrnehmen)
  • bedenken (reflektieren, nach Möglichkeiten suchen)
  • störendes beseitigen (unterlassen, verändern, gestalten)
  • erwünschtes fördern (üben, verbessern, erweitern)
  • neues eingliedern (Überzeugungsarbeit leisten, verzichten)
  • das Leben gestalten im neuen Gewand
      • Die Fragestellungen im Workshop selbst werden sich dem folgend auf nachfolgende Themen beziehen:

        • Welche Werkzeuge kann ich zur Korrektur der Sitzhaltung verwenden? Für die Korrektur der Haltung werde ich die Konzentration auf das Sitzen ansprechen (Apana-Effekt). Weiterhin wird das Zusammenführen der Fingerkuppen (Daumen, Daumen/Zeigefinger) thematisiert.
        • Sollte oder muss ich sogar in der Meditation mit einem Lehrer arbeiten? Die Antwort kann nur geteilt dargestellt werden: Für Menschen mit wenig Selbstvertrauen würde ich zur Zusammenarbeit mit einem Lehrer raten. Ansonsten ist die Arbeit auch ohne Führung möglich. Allerdings würde ich dazu raten, mit anderen Übenden in Kontakt zu sein.
        • Wie lange und wie oft und wann sollte ich meditieren? In der Regel ist der Morgen eine günstige Zeit. Allerdings sind persönliche Anlagen zu berücksichtigen (Schlafgewohnheiten, Belastung, Zeitkontingent, Umfeld).
        • Ist es möglich, Problemstellungen in die Meditation einzubringen? Im Prinzip: Ja. Allerdings wäre es sinnvoll, die Problemstellung zu einer einfachen Frage zu formulieren und diese unbeantwortet in die Meditation mitzunehmen. Zügige Antworten, die aufleuchten, werden stets verworfen. Die richtige Antwort wird sich später einstellen und man erkennt sie intuitiv.

    Für den Workshop wünsche ich mir eine angenehme, entspannte und sehr offene Atmosphäre. Es wird ein kurzweiliger Nachmittag werden!




Yoga als Übungspraxis

Yoga an sich ist eine lebenslange Übungspraxis. Dabei bezieht sich der erste Teil „Übung“ wie in der Sprache angelegt auf Motive, die der Übung bedürfen und daher nicht, noch nicht oder nicht vollständig zur Verfügung stehen. Die Bedeutung des Wortteils „Praxis“ bezieht sich auf die Motive, die verfügbar sind und lediglich der Vergewisserung (der Erinnerung) bedürfen. Mit anderen, kürzeren Worten ausgedrückt übt man, was man noch nicht kann und praktiziert, was nicht in Vergessenheit geraten sollte.
In der westlichen Welt wird der Mensch als Trinität von Körper, Geist und Seele betrachtet, wobei die letzten zwei in aller Regel noch als Geist-Seele zusammengefasst werden und somit nur noch eine Dualität übrigbleibt. Das Übungssystem Yoga ist unter diesen Gesichtspunkten nicht beschreibbar. Versuchen wir eine Beschreibung der körperlichen Motive, die geübt werden können in westlicher wissenschaftlicher Ausdrucksform, stoßen wir sehr schnell an unüberwindliche Hindernisse.
Da sind zunächst die physischen Voraussetzungen eines Körpers, die mit den Begriffen Muskeln, Sehnen und Bindegewebe beschrieben werden. Knochen und Organe an sich entziehen sich ja einer direkten Übung, sind aber durch die Erstgenannten mehr oder weniger kollateral erreichbar. Weitere Motive physischer Übungen sind der Atem, der als ein raumschaffendes Wesen angesehen werden muss sowie die energetische Versorgung, die zwischen Atem und Stoffwechsel angesiedelt wird. Weitere Motive wie Spannungszustände, räumliche Ausdehnung, Bewegungsausrichtung, Entspannung, Schwerkraftnutzung und –widerstand sind in westlicher Nomenklatur gar nicht beschreibbar.
In der Yogasprache sind all diese Motive mit Strukturen beschrieben, die unter Anderen sich sehr grob betrachtet mit Energie (Prana) und Ausrichtung (Elemente) beschäftigen.
Übungen für den Geist gibt es in westlichen Systemen fast nur in Psychiatrie und Psychologie, wobei beide sich meist darauf beschränken, gesellschaftlich abnormales Verhalten und Denken in Normalität zurückzuführen. Wachstum, Entwicklung, Evolution und Erweiterung geistiger Fähigkeiten sind hier nicht vorgesehen, ja mehr noch, erscheinen dem westlich geprägten Geist als unsinnige Ziele und werden in aller Regel als krank diagnostiziert. Die Seele dann ist in westlicher Nomenklatur ein unveränderliches Wesen, das sich lediglich noch religiösen Praktiken öffnen kann, wobei diese streng und unerbittlich Glauben als ihre Grundlage setzen. Bei Unglauben droht ewige Verdammnis und Fegefeuer.
Im System des Yoga ist der Geist lediglich ein Werkzeug zur Alltagsbewältigung. Ansonsten wird diese Funktion mehr oder weniger als störend und hinderlich für den Wesenskern (Seele) betrachtet, soll also gezügelt und eingebunden sein. In der Methodik der Übungen werden daher Fähigkeiten angestrebt, in denen der Geist zu schweigen hat. Die Seele oder der Wesenskern aber ist göttlich und unveränderlich, frei von Geburt an und ewig im Sein.
Wenn wir also uns das Übungssystem des Yoga anschauen wollen, kommen wir um die Akzeptanz einiger begrifflicher Besonderheiten nicht herum, wobei es unbedeutend ist, ob diese Motive in Sanskrit oder einer alltagssprachlichen Begrifflichkeit benannt werden. Weiterhin ist nur Lernen derselben nicht ausreichend, sondern die Motive dieser Beschreibungsformen müssen auch wahrgenommen und umgesetzt werden können. So sind Pranaströme keine geistigen Bilder, sondern wahrnehmbare und brauchbare Werkzeuge in Übung und Praxis. Die Elementenlehre beschreibt die Wahrnehmung von Schwere, Spannung, Ausrichtung und Ausdehnung und Bandhas (Siegel) und Mudras (Gesten), die auf den bereits genannten Motiven aufbauen, beschreiben Werkzeuge, mit denen diese Wahrnehmungen zu bewusster Veränderung eingesetzt werden können. Entspannungsfähigkeit und Spannungsaufbau sind dabei ebenso notwendig wie Zurückhaltung und Selbstkontrolle. Die Meditation weiterführend beschäftigt sich mit der Fähigkeit, unbewusste Motive zu ergründen, auszuschalten oder zu verändern. Ihr Ziel ist ein durch Erfahrung und gesellschaftlicher Norm unbelasteter Geist, der auch schweigen kann und der in der Lage ist, Neues zu formen, schöpferisch zu sein.
Sich diese Werkzeuge zu erarbeiten, wird „Üben“ genannt; sich diese Werkzeuge zu erhalten und bewusst einzusetzen zu können, wird „Praxis“ genannt. Beide zusammen bilden das Übungssystem des Yoga. Zeit, Geduld, Hingabe und die Bereitschaft, Neues zu versuchen sind die Eigenschaften, die auf Matte und Kissen mitzubringen sind. Es hat nichts zu tun mit Fun, Leistung, Sport oder gar pseudoreligiösem Eifer, nichts zu tun mit Ausstieg und Neuorientierung und schon gar nichts mit Weltanschauung. Es ist nur … ein praktischer Übungsweg!