Wenn wir Yoga üben werden Fragen auftauchen…

…irgendwann, und auf diese Fragen sollten Antworten gegeben werden. Da ist zum Beispiel die Frage, warum meiner Schultern immer wieder fest und geschlossen sind, warum bei vielen Übungen Schmerzen auftauchen im Rücken, in den Füssen, in Bauch und Brustkorb. Und es tauchen Fragen auf wie, was mache ich falsch, was ist an mir nicht in Ordnung, warum passiert mir das und folgend die Frage, ob das jemals wieder in Ordnung kommt?
Alles diese Fragen sind folgerichtig gestellt und auch verständlich, aber nicht wirklich zielführend und daher nur so zu beantworten: Das sind nicht die Fragestellungen, die sinnvoll und angebracht sind und die daher selten zu Ergebnissen führen. Ich würde die Frage gerne anders stellen wollen, und zwar in der Richtung: Was kann ich tun, um Abhilfe zu schaffen? Was brauche ich dafür? Wie komme ich weiter? Das sind die Fragen, mit denen ich mich als Yogalehrer beschäftigen kann. Diese Fragen kann ich beantworten, hier kann ich Hilfe anbieten.

Natürlich wollen wir gerne wissen, woher unsere Anlagen kommen.  Und eine gute und richtige Antwort würde dafür auch hilfreiche Motive bringen. Aber seien wir mal ehrlich: Was in dieser Welt ist einfach ableitbar? Wofür können wir klar und präzise Ursachen und deren Wirkungen beschreiben und ableiten. Das gelingt zwar in der Mechanik meistens, das gelingt in der Physik noch oft, in der Chemie aber bereits seltener, in der Philosophie und im Menschsein eigentlich nie. Wir spekulieren und legen uns einfache Antworten zurecht. Das ist die Realität. Und diese Antworten sind bereits durchsetzt mit Vorstellungen, Wünschen und Selbsteinschätzungen, die die Ebene der Wahrheit nur noch spärlich berühren. Es ist, wissenschaftlich gesprochen, nicht einfach, Klarheit in nicht messbaren Bereichen zu finden. Und messbar ist im Menschen nur Gewicht und Schuhgröße. Schon bei der Körpergröße wird es variabel, bei Spannung, Tonus, Muskel-und Nervenaktivität fängt das Raten an. Vom Geist will ich hier gar nicht erst schreiben.

Yoga ist anders als die Wissenschaft ein System zur Intervention an und mit mir selbst. Und Yoga funktioniert mit Erfahrungen und der Methode Versuch und Irrtum. Da ist nichts klar und abgegrenzt. Jeder Mensch ist anders. Und letztlich ist es nicht wichtig, wo ein Problem herkommt, sondern wichtig ist, wie jeder Einzelne zu Linderung, Abschwächung und Lösung seiner Problemchen kommen kann. Dafür gibt es Übungen, und dafür gibt es Yogalehrer, die helfen können, die richtigen Formen zu finden. Dazu ist es manchmal notwendig, den Finger in die Wunde zu legen. Eine Schwäche offen anzusprechen ist immer mühsam für beide Seiten, den Hilfesuchenden und den Hilfegebenden gleichermaßen, aber notwendig.

Festzuhalten ist: Jeder Mensch hat seine Schwächen und Stärken.  Und jeder vernunftbegabte Mensch weiß das auch. Auch Yogalehrer haben Schwächen, auch Yogalehrer arbeiten an sich selbst. Und ganz ehrlich gesagt wissen diese Lehrer meist mehr über sich selbst als ihnen lieb ist, denn sie haben viele Gelegenheiten und viele Wahrnehmungen genossen, die ihnen aufzeigen konnten, wie wenig perfekt ein Menschsein im Allgemeinen so ist. Perfektion ist ja auch nicht Ziel der Übungen. Ziel der Übungen ist es, einen Gleichgewichtszustand zu erreichen, der für ein Leben tragend sein kann, für ein Leben ohne Schmerz und Not, für ein Leben ohne Leiden.

Alternativ dazu kenne ich nur die Versprechungen der Chemie und das Messer des Chirurgen. Passive Interventionen wie Massagen und dergleichen sind hilfreich für den Moment, für dauerhaften Frieden mit mir selbst aber kann nur ich selbst verantwortlich zeichnen. Und dazu muss ich üben, um so zu versuchen,  immer wieder zurück ins Gleichgewicht zu schwingen. Dafür genügen schon ein paar Minuten eines Tages, das sind vielleicht nur 1% meiner Zeit. Das ist ungefähr so viel wie für einen Kaffee trinken, einen Post abzusenden, ein „gefällt mir“ zu bestätigen  oder einen Plausch zu halten. Ich kenne keinen sinnvolleren Einsatz von Zeit!




Wie Yoga wirkt (Versuch einer Beschreibung)

Wenn ich mich über die Wirkungsweisen von Yoga unterrichten möchte, erwarte ich eine gut gegliederte und Schritt für Schritt nachvollziehbare sachliche Beschreibung, wie sie für z.B. ein Kochrezept oder eine Bauanleitung auch gegeben würde. Ich erwarte Hintergrundinformationen, eine Risikobeschreibung und eine Aussage über die Erwartungsgrenzen, mit denen ich beim Üben von Yoga konfrontiert werde.

Nun möchte ich einmal frech behaupten, dass man mit vielen im Netz zugänglichen Beschreibungen (siehe Exkurs) nicht viel anfangen kann. Diese Ansätze beschreiben die Wirkungsweise von Yoga in etwa so, als wenn man sagt, man werfe eine Tablette ein und, simsalabim, alle Beschwerden sind weg. Ist damit aber die Frage des „wie“ oder des „warum“ auch beantwortet? Muss man als Übender wirklich nur einfach an die Wirkung der Übungen glauben, sich nur darauf einlassen, den vielfältigen Doktrin folgen, um dann nach Jahren vielleicht einen unbestimmten Erfolg zu verbuchen und so vielleicht irgendwann eine Antwort zu erhalten? Ich teile diese Ansicht nicht und möchte nachfolgend versuchen, eine etwas gehaltvollere Beschreibung abzugeben.

Vorbeugende körperliche Wirkungen
Yoga in seiner klassischen körperlichen Form (asana) ist ein vorbeugendes körperliches Trainings, das auf drei Wirkungsweisen aufbaut:

    Yoga beinhaltet ein vorbeugendes, funktional-erhaltendes Training des Körpers
    Es kann therapeutische Maßnahmen bei Erkrankungen und Einschränkungen des Bewegungs- und Halteapparats begleiten
    und es sorgt für den Erwerb detektierender Fähigkeiten zu möglicher Krankheit, Stimmung und Einschränkung

Yoga arbeitet mit dem fühlenden und beobachtenden Bewusstsein des eigenen Körpers. Dieser ist in seiner Gesamtheit wie eine große Fühlfläche, auf der Signale wie das Bild auf einer Leinwand abbildet werden. Ist diese Leinwand aber zerknittert, gefleckt oder gar zerrissen, kann das darauf projizierte Bild nicht sauber wahrgenommen werden. Subtile Veränderungen am eigenen Körpergefüge registriert unser Bewusstsein also nur dann, wenn die Fühlfläche entspannt und gut ausgerichtet ist, über alle Funktionen verfügen kann, mit anderen Worten „rein“ ist. Verspannungen, Verhärtungen, Bewegungseinschränkungen, Fehlhaltungen und Mangel versperren (verschleiern) dem Ich den Blick auf die feinen Signale, die der Körper als Reaktion auf Krankheit, Überlastung und Unterversorgung abgibt. Es ist daher die Aufgabe von Yogaübungen, diese Fühlfunktion wieder fein auszubilden, zu reinigen.

Energetische Wirkungen
Die energetische Wahrnehmung funktionieren wie die schon beschriebenen körperlichen Signale, sind jedoch viel feiner (subtiler) ausgeprägt. Auch hier ist Steigerung der Wahrnehmung zunächst einmal das erste Gebot aller Übung. Das energetische Gefüge des Menschen ist überwiegend autonom und selbstbestimmt. Lediglich Atemausdruck und Konzentration vermögen hier in begrenztem Rahmen eine Anpassung vorzunehmen. Dazu muss das Körpergefüge sehr fein justiert und sensibel wahrzunehmen sein. Atem und Stimmung wirken im Menschen als eine polar vorliegende Ausdrucksform. Wenn also meine Stimmung den Atem verändern kann, dann kann im Umkehrschluss der Atem auch die Stimmung verändern. Ein zweites polares Paar ist mit der energetischen Versorgung und der Konzentration auf körperliche Funktionen gegeben. Atem- und Konzentrationsübungen schaffen also ein Wahrnehmungsgefüge, dass uns in die Lage versetzt, mit den genannten polaren Paaren zu arbeiten, frühzeitig einzugreifen, zu lindern oder sogar zu vermeiden.

Geistige (mentale) Wirkungsgefüge
In den meisten Fällen des täglichen Lebens drücken sich Stimmungen, Belastungen und Krankheit eindrucksvoll körperlich aus. Wir kennen das beim Beobachten der Menschen in unserem Bekanntenkreis. Allerdings sind wir nur selbst und in der Eigenbeobachtung in der Lage, kleine und beginnende Veränderungen zu erkennen. Meiner Erfahrung nach drücken sich die bereits genannten Stressoren sehr früh aus und können schon in ihrer ersten Ausprägung wahrgenommen werden. Ich spüre also, wenn sich beispielsweise eine Erkältung nähert, wenn meine Umwelt mich zu nerven beginnt oder Stimmungen mein in der Welt sein zu verhageln drohen.
Nehmen wir z.B. eine aufleuchtende Stimmung wie Wut, die sich durchaus fühlbar ankündigt. Wenn ich ihr erstes Aufleuchten bereits erkenne, mir also der Atemausdruck der Wut gut bekannt ist, kann ich in dem polaren Gefüge frühzeitig mäßigend und fördernd einwirken. Ähnliches gilt für Krankheit und Überlastung, wobei die Einwirkungsverfahren natürlich am Ziel ausgerichtet und abgestimmt sein müssen. Die Fähigkeit dazu wird durch regelmäßiges Üben erworben. Wir bauen Erfahrung auf. Der Ausbruch einer Erkältung z.B. könnte durch ein heißes Bad verhindert werden. Eine beginnende Überlastung kann durch ausgleichende Körperhaltungen bekämpft, Stress durch Entspannungsverfahren gedämpft werden.

Die Seele
Die Seele ist im Yoga als eine nicht zu beeinflussende Wesenheit dargestellt. Sie leidet lediglich mit aufgrund körperlicher, energetischer oder geistiger Spannungen und befreit sich, wenn diese auch befreit sind. Die als Atman dargestellte Seele kann also nur von Störendem befreit, nicht aber selbst ausgebildet oder verändert werden.

Zusammenfassung
Fassen wir noch einmal kurz zusammen, was als Beschreibung der Wirkungsweisen gesagt wurde:
Im Yoga geht es grundsätzlich und vor allem um die Wahrnehmung des eigenen Selbst. Dieses erfolgt natürlich über die Sinne und das reflektierende Bewusstsein (Geist), setzt aber ein sehr fein strukturiertes Körpergefüge und dessen feinstoffliche Wahrnehmung (fühlen) voraus. Der Sinn des Fühlens ist leider aufgrund der zivilisatorischen und kulturellen Einwirkungen heute meist starken Beschränkungen unterworfen. Yoga versucht in Form von Körper-, Atem- und Konzentrationsübungen diesen wichtigen Sinn wiederzubeleben, ihn maßgeblich zu verfeinern und so umfassender nutzbar zu machen.

Wir spüren doch sehr wohl einen aufsteigenden Hunger, einen sich ankündigenden Toilettengang oder das aufleuchtende Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit. Wenn wir nun frühzeitig spüren könnten, wann Krankheit sich ankündigt, Überlastungen sich negativ bemerkbar zu machen drohen oder Stress und Ausgebrannt sein sich zu etablieren beginnen und wie Stimmungen in uns hochkochen, wie viel Ärger, Not und Leid könnte im Alltäglichen vermieden werden. Und wie viel Zeit bliebe uns dann, um frei und unbelastet die wirklich drängenden Probleme dieser Welt – und die gibt es reichlich – anzugehen.

Und natürlich kann Yoga nicht dafür sorgen, unseren verbrauchenden Lebensstil unbeschränkt weiterführen zu können, weil es immer wieder die entstandenen Mangelsymptome beseitigt. Yoga arbeitet nur am eigenen Selbst. Es kann im Nachhinein ohnehin lediglich Schäden reparieren oder selbige ausgleichen. Es kann dafür sorgen, dass Einflüsse nicht allzu heftig auf Gesundheit und Lebensfreude schlagen können. Es kann frühzeitig warnen und vielleicht rechtzeitig dämpfen. Und natürlich kann Yoga dafür Sorgen, das viele Probleme gar nicht auftauchen können oder, soweit nicht vermeidbar, die Gesundheit allzu ausgeprägt belasten. Den Lebensstil ändern aber können wir nur mit Hilfe des Verstandes und seine Motive wie Überzeugung, Vernunft und Toleranz. Diese aber sind Fragen der Philosophie, Psychologie oder sogar der Politik, und dafür ist nun wirklich eine ganz andere thematische Ausrichtung angesagt.

Exkurs: Stichworte zur Beschreibung der Wirkungsweise von Yoga aus dem Netz (Internetrecherche, Google, „Yoga Wirkungsweise“):

Der Körper ist der Tempel unserer Seele.

    Wofür braucht die göttliche Seele einen Tempel und warum sollte ein Ich im Tempel eine Seele anbeten, die doch für solcherlei gar nicht zugänglich ist (siehe indische Philosophie: Atman).

Entschleunigung, innere Balance, körperliche Fitness, neue Perspektiven.

    Wenn Entschleunigung unseres Lebens helfen könnte, wieso sind dann Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut als stressfördernd eingeordnet, wo doch diese Lebenslagen ein Entschleunigen automatisch mit sich bringen? Wie entsteht innere Balance und was balancierend da mit wem? Und leben fitte Sportler automatisch gesund und finde ich durch Üben im stillen Kämmerlein die Lösung für Frieden und Freiheit? Sicher nicht!

Sanfter Sport mit starker Wirkung.

    Normalerweise ist Sport leistungsbezogen, die Wirkung oft eher ermüdend und belastend. Sport lebt nun einmal vom „schneller, höher, weiter“. Yoga ist hier das genaue Gegenteil.

Yoga als Medizin

    Medizin ist ein Mittel des Blockierens für Schmerz, Entzündung, fördert oder hemmt Auf- oder Abbau. Wie kann blockieren helfen? Blockieren kann nur Vermeiden und die Frage wird sein, wie sich die Vermeidungen der Mittel eingrenzen (Nebenwirkungen) lassen, damit ich nicht auch das vermeide, was ich gar nicht will?

Yoga als Therapie

    Therapie ist das Wiederherstellen der Gesundheit durch Ermöglichung und Beschleunigung der Heilung. Wozu Therapie, wenn ich erst gar nicht krank zu werden brauche? Gesundheit selbst muss und kann nicht therapiert werden. Yoga stellt Mittel und Wege bereit (durch lernen), die, wenn sie gebraucht werden, gelernt, geübt und auffindbar sein sollten.

Yoga hat auf viele Menschen eine beruhigende, ausgleichende Wirkung.

    Ist Ruhe und Ausgleich wirklich ein Motiv, mit dem sich ein Leben lebenswert gestalten lässt. Und warum nur für viele Menschen? Was ist mit Nervenkitzel, Risiko, Sport, Spaß, für das Menschen in aller Welt gerne die Ruhe und Ausgeglichenheit sausen lassen!

Harmonisierende Wirkungen

    Mich würde schon interessieren, was da so harmonisiert wird, und warum Harmonie immer (?) als so wichtig erscheint. Nichts auf dieser Welt ist harmonisch und nichts wird je harmonisch sein. Es überwiegt Kampf, Eigennutz und Narzissmus, und diese sind durch Harmoniegebote nicht zu reduzieren. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher.

Gesundheitsfördernde Wirkungen sind unbestritten.

    Na, das ist doch einmal eine Aussage. Lieber wäre mir, wenn sich das auch wissenschaftlich beweisen ließe! Und hilfreich wäre sicher auch, wenn Yogalehrer, die diese Ansichten allzu leichtfertig in die Welt setzen, zumindest mal ihre eigenen Rückenprobleme im Griff haben würden. Wie jedes Übungssystem ist Yoga keine Pille, die automatisch Heilung mit sich bringt. Yoga erfordert Fleiß, Mühe, Mut und Ausdauer, und wenn das dann alles zusammen gesundheitsfördernd wirkt, stimme ich zu. Ohne diese vier Motive ist auch Yoga nur ein bisschen turnen.

Positive Wirkungen

    Positive Wirkungen haben auch viele andere Dinge, unter anderen auch Rauschmittel und erziehende Maßnahmen, nur wirken diese meist nicht lange und das Erwachen im Entzug und in der Unfreiheit ist tückisch!

Manche meine Anmerkungen mögen zynisch wirken, aber so ist das eben mit gerne gebrauchten Phrasen: Sie befrieden nicht lange, sind angreifbar und überzeugen vor allem nicht grundlegend! Ich finde es daher wichtig zu vermitteln, wie sich Unterrichtsinhalte und Übungen begründen, welche Wirkungen zu erwarten sind und natürlich auch, welche Ziele man nicht erreichen kann.

Yoga hat mit Leistung eben nichts zu tun, ist keine Therapie für alles Unheil dieser Welt und ist auch keine Religion, und eignet sich ganz und gar nicht als Lebensphilosophie. Und mit dem Üben von Yoga tue ich wenig für den Weltfrieden, nichts gegen Hunger und Durst dieser Welt und ich bekämpfe nicht die Armut, nicht die Dummheit und nicht die Gewaltbereitschaft. Mit Yoga arbeite ich nur für mich selbst, für meine Einstellung und für meine ureigenen Wünsche und Bedürfnisse. Es kann die Auseinandersetzung mit anderen Menschen, und dazu zählen auch Gesellschaft und Politik, nicht ersetzen!