Wenn ich mich über die Wirkungsweisen von Yoga unterrichten möchte, erwarte ich eine gut gegliederte und Schritt für Schritt nachvollziehbare sachliche Beschreibung, wie sie für z.B. ein Kochrezept oder eine Bauanleitung auch gegeben würde. Ich erwarte Hintergrundinformationen, eine Risikobeschreibung und eine Aussage über die Erwartungsgrenzen, mit denen ich beim Üben von Yoga konfrontiert werde.
Nun möchte ich einmal frech behaupten, dass man mit vielen im Netz zugänglichen Beschreibungen (siehe Exkurs) nicht viel anfangen kann. Diese Ansätze beschreiben die Wirkungsweise von Yoga in etwa so, als wenn man sagt, man werfe eine Tablette ein und, simsalabim, alle Beschwerden sind weg. Ist damit aber die Frage des „wie“ oder des „warum“ auch beantwortet? Muss man als Übender wirklich nur einfach an die Wirkung der Übungen glauben, sich nur darauf einlassen, den vielfältigen Doktrin folgen, um dann nach Jahren vielleicht einen unbestimmten Erfolg zu verbuchen und so vielleicht irgendwann eine Antwort zu erhalten? Ich teile diese Ansicht nicht und möchte nachfolgend versuchen, eine etwas gehaltvollere Beschreibung abzugeben.
Vorbeugende körperliche Wirkungen
Yoga in seiner klassischen körperlichen Form (asana) ist ein vorbeugendes körperliches Trainings, das auf drei Wirkungsweisen aufbaut:
Yoga beinhaltet ein vorbeugendes, funktional-erhaltendes Training des Körpers
Es kann therapeutische Maßnahmen bei Erkrankungen und Einschränkungen des Bewegungs- und Halteapparats begleiten
und es sorgt für den Erwerb detektierender Fähigkeiten zu möglicher Krankheit, Stimmung und Einschränkung
Yoga arbeitet mit dem fühlenden und beobachtenden Bewusstsein des eigenen Körpers. Dieser ist in seiner Gesamtheit wie eine große Fühlfläche, auf der Signale wie das Bild auf einer Leinwand abbildet werden. Ist diese Leinwand aber zerknittert, gefleckt oder gar zerrissen, kann das darauf projizierte Bild nicht sauber wahrgenommen werden. Subtile Veränderungen am eigenen Körpergefüge registriert unser Bewusstsein also nur dann, wenn die Fühlfläche entspannt und gut ausgerichtet ist, über alle Funktionen verfügen kann, mit anderen Worten „rein“ ist. Verspannungen, Verhärtungen, Bewegungseinschränkungen, Fehlhaltungen und Mangel versperren (verschleiern) dem Ich den Blick auf die feinen Signale, die der Körper als Reaktion auf Krankheit, Überlastung und Unterversorgung abgibt. Es ist daher die Aufgabe von Yogaübungen, diese Fühlfunktion wieder fein auszubilden, zu reinigen.
Energetische Wirkungen
Die energetische Wahrnehmung funktionieren wie die schon beschriebenen körperlichen Signale, sind jedoch viel feiner (subtiler) ausgeprägt. Auch hier ist Steigerung der Wahrnehmung zunächst einmal das erste Gebot aller Übung. Das energetische Gefüge des Menschen ist überwiegend autonom und selbstbestimmt. Lediglich Atemausdruck und Konzentration vermögen hier in begrenztem Rahmen eine Anpassung vorzunehmen. Dazu muss das Körpergefüge sehr fein justiert und sensibel wahrzunehmen sein. Atem und Stimmung wirken im Menschen als eine polar vorliegende Ausdrucksform. Wenn also meine Stimmung den Atem verändern kann, dann kann im Umkehrschluss der Atem auch die Stimmung verändern. Ein zweites polares Paar ist mit der energetischen Versorgung und der Konzentration auf körperliche Funktionen gegeben. Atem- und Konzentrationsübungen schaffen also ein Wahrnehmungsgefüge, dass uns in die Lage versetzt, mit den genannten polaren Paaren zu arbeiten, frühzeitig einzugreifen, zu lindern oder sogar zu vermeiden.
Geistige (mentale) Wirkungsgefüge
In den meisten Fällen des täglichen Lebens drücken sich Stimmungen, Belastungen und Krankheit eindrucksvoll körperlich aus. Wir kennen das beim Beobachten der Menschen in unserem Bekanntenkreis. Allerdings sind wir nur selbst und in der Eigenbeobachtung in der Lage, kleine und beginnende Veränderungen zu erkennen. Meiner Erfahrung nach drücken sich die bereits genannten Stressoren sehr früh aus und können schon in ihrer ersten Ausprägung wahrgenommen werden. Ich spüre also, wenn sich beispielsweise eine Erkältung nähert, wenn meine Umwelt mich zu nerven beginnt oder Stimmungen mein in der Welt sein zu verhageln drohen.
Nehmen wir z.B. eine aufleuchtende Stimmung wie Wut, die sich durchaus fühlbar ankündigt. Wenn ich ihr erstes Aufleuchten bereits erkenne, mir also der Atemausdruck der Wut gut bekannt ist, kann ich in dem polaren Gefüge frühzeitig mäßigend und fördernd einwirken. Ähnliches gilt für Krankheit und Überlastung, wobei die Einwirkungsverfahren natürlich am Ziel ausgerichtet und abgestimmt sein müssen. Die Fähigkeit dazu wird durch regelmäßiges Üben erworben. Wir bauen Erfahrung auf. Der Ausbruch einer Erkältung z.B. könnte durch ein heißes Bad verhindert werden. Eine beginnende Überlastung kann durch ausgleichende Körperhaltungen bekämpft, Stress durch Entspannungsverfahren gedämpft werden.
Die Seele
Die Seele ist im Yoga als eine nicht zu beeinflussende Wesenheit dargestellt. Sie leidet lediglich mit aufgrund körperlicher, energetischer oder geistiger Spannungen und befreit sich, wenn diese auch befreit sind. Die als Atman dargestellte Seele kann also nur von Störendem befreit, nicht aber selbst ausgebildet oder verändert werden.
Zusammenfassung
Fassen wir noch einmal kurz zusammen, was als Beschreibung der Wirkungsweisen gesagt wurde:
Im Yoga geht es grundsätzlich und vor allem um die Wahrnehmung des eigenen Selbst. Dieses erfolgt natürlich über die Sinne und das reflektierende Bewusstsein (Geist), setzt aber ein sehr fein strukturiertes Körpergefüge und dessen feinstoffliche Wahrnehmung (fühlen) voraus. Der Sinn des Fühlens ist leider aufgrund der zivilisatorischen und kulturellen Einwirkungen heute meist starken Beschränkungen unterworfen. Yoga versucht in Form von Körper-, Atem- und Konzentrationsübungen diesen wichtigen Sinn wiederzubeleben, ihn maßgeblich zu verfeinern und so umfassender nutzbar zu machen.
Wir spüren doch sehr wohl einen aufsteigenden Hunger, einen sich ankündigenden Toilettengang oder das aufleuchtende Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit. Wenn wir nun frühzeitig spüren könnten, wann Krankheit sich ankündigt, Überlastungen sich negativ bemerkbar zu machen drohen oder Stress und Ausgebrannt sein sich zu etablieren beginnen und wie Stimmungen in uns hochkochen, wie viel Ärger, Not und Leid könnte im Alltäglichen vermieden werden. Und wie viel Zeit bliebe uns dann, um frei und unbelastet die wirklich drängenden Probleme dieser Welt – und die gibt es reichlich – anzugehen.
Und natürlich kann Yoga nicht dafür sorgen, unseren verbrauchenden Lebensstil unbeschränkt weiterführen zu können, weil es immer wieder die entstandenen Mangelsymptome beseitigt. Yoga arbeitet nur am eigenen Selbst. Es kann im Nachhinein ohnehin lediglich Schäden reparieren oder selbige ausgleichen. Es kann dafür sorgen, dass Einflüsse nicht allzu heftig auf Gesundheit und Lebensfreude schlagen können. Es kann frühzeitig warnen und vielleicht rechtzeitig dämpfen. Und natürlich kann Yoga dafür Sorgen, das viele Probleme gar nicht auftauchen können oder, soweit nicht vermeidbar, die Gesundheit allzu ausgeprägt belasten. Den Lebensstil ändern aber können wir nur mit Hilfe des Verstandes und seine Motive wie Überzeugung, Vernunft und Toleranz. Diese aber sind Fragen der Philosophie, Psychologie oder sogar der Politik, und dafür ist nun wirklich eine ganz andere thematische Ausrichtung angesagt.
Exkurs: Stichworte zur Beschreibung der Wirkungsweise von Yoga aus dem Netz (Internetrecherche, Google, „Yoga Wirkungsweise“):
Der Körper ist der Tempel unserer Seele.
Wofür braucht die göttliche Seele einen Tempel und warum sollte ein Ich im Tempel eine Seele anbeten, die doch für solcherlei gar nicht zugänglich ist (siehe indische Philosophie: Atman).
Entschleunigung, innere Balance, körperliche Fitness, neue Perspektiven.
Wenn Entschleunigung unseres Lebens helfen könnte, wieso sind dann Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut als stressfördernd eingeordnet, wo doch diese Lebenslagen ein Entschleunigen automatisch mit sich bringen? Wie entsteht innere Balance und was balancierend da mit wem? Und leben fitte Sportler automatisch gesund und finde ich durch Üben im stillen Kämmerlein die Lösung für Frieden und Freiheit? Sicher nicht!
Sanfter Sport mit starker Wirkung.
Normalerweise ist Sport leistungsbezogen, die Wirkung oft eher ermüdend und belastend. Sport lebt nun einmal vom „schneller, höher, weiter“. Yoga ist hier das genaue Gegenteil.
Yoga als Medizin
Medizin ist ein Mittel des Blockierens für Schmerz, Entzündung, fördert oder hemmt Auf- oder Abbau. Wie kann blockieren helfen? Blockieren kann nur Vermeiden und die Frage wird sein, wie sich die Vermeidungen der Mittel eingrenzen (Nebenwirkungen) lassen, damit ich nicht auch das vermeide, was ich gar nicht will?
Yoga als Therapie
Therapie ist das Wiederherstellen der Gesundheit durch Ermöglichung und Beschleunigung der Heilung. Wozu Therapie, wenn ich erst gar nicht krank zu werden brauche? Gesundheit selbst muss und kann nicht therapiert werden. Yoga stellt Mittel und Wege bereit (durch lernen), die, wenn sie gebraucht werden, gelernt, geübt und auffindbar sein sollten.
Yoga hat auf viele Menschen eine beruhigende, ausgleichende Wirkung.
Ist Ruhe und Ausgleich wirklich ein Motiv, mit dem sich ein Leben lebenswert gestalten lässt. Und warum nur für viele Menschen? Was ist mit Nervenkitzel, Risiko, Sport, Spaß, für das Menschen in aller Welt gerne die Ruhe und Ausgeglichenheit sausen lassen!
Harmonisierende Wirkungen
Mich würde schon interessieren, was da so harmonisiert wird, und warum Harmonie immer (?) als so wichtig erscheint. Nichts auf dieser Welt ist harmonisch und nichts wird je harmonisch sein. Es überwiegt Kampf, Eigennutz und Narzissmus, und diese sind durch Harmoniegebote nicht zu reduzieren. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher.
Gesundheitsfördernde Wirkungen sind unbestritten.
Na, das ist doch einmal eine Aussage. Lieber wäre mir, wenn sich das auch wissenschaftlich beweisen ließe! Und hilfreich wäre sicher auch, wenn Yogalehrer, die diese Ansichten allzu leichtfertig in die Welt setzen, zumindest mal ihre eigenen Rückenprobleme im Griff haben würden. Wie jedes Übungssystem ist Yoga keine Pille, die automatisch Heilung mit sich bringt. Yoga erfordert Fleiß, Mühe, Mut und Ausdauer, und wenn das dann alles zusammen gesundheitsfördernd wirkt, stimme ich zu. Ohne diese vier Motive ist auch Yoga nur ein bisschen turnen.
Positive Wirkungen
Positive Wirkungen haben auch viele andere Dinge, unter anderen auch Rauschmittel und erziehende Maßnahmen, nur wirken diese meist nicht lange und das Erwachen im Entzug und in der Unfreiheit ist tückisch!
Manche meine Anmerkungen mögen zynisch wirken, aber so ist das eben mit gerne gebrauchten Phrasen: Sie befrieden nicht lange, sind angreifbar und überzeugen vor allem nicht grundlegend! Ich finde es daher wichtig zu vermitteln, wie sich Unterrichtsinhalte und Übungen begründen, welche Wirkungen zu erwarten sind und natürlich auch, welche Ziele man nicht erreichen kann.
Yoga hat mit Leistung eben nichts zu tun, ist keine Therapie für alles Unheil dieser Welt und ist auch keine Religion, und eignet sich ganz und gar nicht als Lebensphilosophie. Und mit dem Üben von Yoga tue ich wenig für den Weltfrieden, nichts gegen Hunger und Durst dieser Welt und ich bekämpfe nicht die Armut, nicht die Dummheit und nicht die Gewaltbereitschaft. Mit Yoga arbeite ich nur für mich selbst, für meine Einstellung und für meine ureigenen Wünsche und Bedürfnisse. Es kann die Auseinandersetzung mit anderen Menschen, und dazu zählen auch Gesellschaft und Politik, nicht ersetzen!