Die Sucht nach der Suche

Wir wollen immer mehr: mehr Geld, mehr Status mehr Macht mehr Erleuchtung. Was wir sind, das ist einfach zu wenig. Wir wollen immer besser werden: immer gesünder, immer klüger, immer umfassender informiert, immer erleuchteter. Denn so wie wir jetzt sind, sind wir uns einfach nicht gut genug. Wir wollen haben, haben, haben. Nur sein, das langt uns einfach nicht. Wir sind getriebene; Menschen, die glauben auf der Suche nach sich selbst zu sein und doch nur vor sich selbst davonlaufen. Da wir uns nie gut genug sind, suchen wir nach Menschen, die das erreicht zu haben scheinen, was wir uns erträumen: Erleuchtete, Weise, Meister, Gurus. Und je exotischer sie aussehen und je weiter sie weg sind, desto besser. Wer will schon von seinem Vater oder Mann lernen? Wie langweilig! Da macht es doch viel mehr Sinn (und ist auch ökologisch viel sinnvoller!) ins Flugzeug zu steigen und nach Indien zu jetten, um dort seinen Übervater zu finden. Wer will schon in den Augen der eigenen Mutter bedingungslose Liebe leuchten sehen? Wie öde! Da ist es doch wesentlich aufregender, mit Hunderten anderer vor einer lebendigen Verkörperung der Göttin zu sitzen und sich eine Sekunde lang von ihr umarmen zu lassen. Dass auch die Mutter oder die Frau eine menschgewordene Göttin ist, das ist dann doch zu schwer anzunehmen. Dann wäre man ja wirklich ein Kind Gottes oder gar der Geliebte der Göttin und als solcher vollkommen. Aber wer vollkommen ist, der braucht sich nicht mehr zu verbessern. Und dann? Dann wäre unser Leben sinnlos geworden. Denn der Lebenssinn des spirituellen Suchers besteht ja nicht im Finden, sondern im Suchen. In dem Augenblick, in dem er erkennt, dass er das, was er gesucht hat, immer in sich hatte, wird sein bisheriges Leben sinnlos. Wir suchen ständig nach Gott. Aber wir suchen immer im Außen nach ihm. Und an dem einen Platz, an dem er wirklich zu Hause ist, an dem er immer war und immer sein wird, da suchen wir nie: in unserem eigenen Herzen. „Du brauchst keine Götter zu haben neben mir“, hatte das Herz geflüstert und war prompt als Befehl eines alten Mannes mit weißem Bart missverstanden worden. Seit wir glauben, unser Glück im Außen zu finden, haben wir es nie wiedergesehen, und suchen und suchen und suchen…“
Hanspeter Sperzel (1999)