Spirituelle Suche und Weisheit

Bei der spirituellen Suche sprechen wir gerne, ausgelöst durch eine große wahrgenommene Sehnsucht, von der Suche nach Einheit, Befreiung, Erlösung, Erleuchtung, um durch deren Verwirklichung ins Wahre, Schöne, Gute oder auch nur in eine friedvolle Stimmung und Lebensführung zu kommen, die die Angst vor dem Tod oder dem Vergehen endgültig zu besiegen und so der Welt, dem Lebendigen und uns selbst das wie immer gestaltete Paradies zurückzuerobern verspricht. Das ist die Vision nahezu aller Befreiungs-Theorien, die die Welt und deren umfangreiche Literatur zu bieten hat. Ich möchte nachfolgend einmal versuchen, etwas Struktur in diese Formen zu bringen und werde mich dann trauen, einige Begriffe und Annahmen kritisch zu hinterfragen.

Zunächst bedeutet spirituell zunächst einmal „Geistigkeit“, also eine Lebenshaltung, die der geistigen und fein-stofflichen den Vorzug vor der materiellen Welt einräumt. Diese Ausrichtung erfolgt in dem festen Glauben, eine Sehnsucht zu verspüren, die nach dieser als Priorität angesehenen Fähigkeit Ausschau halten lässt. Nun ist eine Sehnsucht in normalen Fällen ein Gefühl, das uns uns nach einem bekannten und als wohlfühlend erkannten Umfeld zurücksehnen lässt, also einer Umgebung oder Ausrichtung, die uns gewohnt war und die wir verloren haben. Die Sehnsucht nach dem Zuhause oder auch einer bestimmten Menschengruppe, nach bestimmten Orten oder klimatischen Verhältnissen, nach bestimmten Essen oder einer Tätigkeit ist nahezu jedem hinlänglich bekannt und auch verständlich. Die Sehnsucht nach Befreiung allerdings würde, im selben sprachlichen Kontext gebraucht, bedeuten, das wir einmal frei waren, diese Freiheit verloren haben und uns dahin zurücksehnen. Ein verständliches Gefühl. Wie aber würde es sein, wenn wir vollkommen sicher sein müssten, das wir die so ersehnte Freiheit noch niemals haben genießen können, zumindest nicht in diesem unserem Leben seit unserer Geburt?

Das würde bedeuten, das wir diese Sehnsucht nicht aus uns heraus, also aufgrund einer eigenen erlebten Erfahrung, sondern auch einem anderen Grunde in uns aufleuchten sehend erkennen müssten. Diese anderen Gründe könnte die Geschichten sein, die uns Religionen, deren Bräuche und Überlieferungen, also Erzählungen vermitteln. Das Paradies zum Beispiel ist so eine Geschichte, die uns den Verlust der perfekten Welt vermittelt und uns anhält, ja nur alles so zu tun, wie es verlangt wird, um den Einzug in diese schöne Welt nicht zu verpassen oder zu verspielen. Andere Geschichten erzählen von einem Raum des endlosen Lebens, in dem es weder Not noch Angst gibt und in der alle Wesen in Glückseligkeit verharren. Das Nirvana des Hinduismus ist so ein Raum, der über die Realisierung von Atman/Brahman gewonnen und die leidensreichen Wiedergeburten ein für allemal beenden würde. Andere Wege der Sehnsucht-weckenden Geschichten sprechen davon, das es Mittel und Wege gibt, uns vom Leiden in der Welt zu befreien und was uns ermöglicht, ein glückliches und einfachen eben zu führen im Einklang mit der Natur und seinen Schönheiten. Viele sogenannte Aussteiger und sogar eine ganze Generation der westlich-zivilisierten Welt in den 70er Jahren sind diesen Rufen gefolgt. Diese Geschichten sind bekannt, verbreitet und heute jedem zugänglich. Die moderne Geisteswissenschaft nennt sie Narrative, Kultur-begründende Erzählungen, die unser Denken und Streben zu begründen vermögen. Was wäre also, wenn sich die wahrgenommene spirituelle Sehnsucht auf diesen Narrativen begründen würde? Würden wir einen oder den wichtigen Unterschied bemerken?

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