Eine vierte Ode an die Un-Entschiedenheit: Präventives Yoga

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit, der ich damit den vierten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über Yoga, genau genommen über eine Form, die ich „Präventives Yoga“ nenne und deren Voraussetzungen erst erarbeitet sein müssen, bevor es begonnen werden kann.



Der Artikel ist ebenfalls wie sein Vorgänger deutlich länger geworden, als zunächst von mir beabsichtigt. Aber: Ich brauchte diese Länge, um ausdrücken zu können, was ich meine.

Die Unentschiedenheit, mit der wir leben müssen, …

… wenn wir Yoga praktizieren. Hierfür muss ich sehr viel weiter ausholen, als wenn ich schreiben würde: Yoga und seine Übungspraxis ist gut für die Gesundheit. Es kann Gesundheit fördern und diese auch wieder herstellen, so denn genügend Zeit zur Verfügung steht und die Übungen, die dazu notwendig sind, korrekt und zielführend angewendet werden. Aber, und das ist für mich hier in diesem Artikel entscheidend, dafür war und ist Yoga eigentlich nicht gedacht. In meiner Anschauung ist Yoga in seiner klassischen Prägung (Patanjali) präventiv ausgelegt und soll, wenn bereits als gesunder Mensch begonnen, die Gesundheit für eine lange Lebenszeit erhalten. Dazu werden bei Patanjali zunächst einmal Rahmenbedingen (yama, niyama: so etwa vergleichbar mit Moral und Ethik) formuliert, dann werden Körper und Atemübungen vorgestellt, die den gesund vorgefundenen Körper gesund erhalten können und dann geht es mit großer Konsequenz zur Einübung der Stille und weiterführend zur Meditation.

Exkurs: Natürlich helfen Yogaübungen wie Asana und Pranayama auch bei der Herstellung oder Wiedererlangung von Gesundheit. Dafür braucht es einen langen Atem, denn diese Gesundheit kann ja „nicht eingenommen“ werden, sondern müssen „durch Umgestaltung der ungesunden Anteile“ erarbeitet und in der Folge dessen auch gefestigt werden [1. Ich möchte es einmal mit einem Hausputz vergleichen. Zuerst einmal wird der Raum gründlich gereinigt, dann erfolgt die aufwendige Tätigkeit, die Sauberkeit auch für einen längeren Zeitraum zu erhalten. Den sauberen Raum zu erreichen ist ja kein in sich abgeschlossenes Ereignis, das Bestand hat, sondern es wird in seiner Folge ein Prozess angestoßen, die eigentlich nie zu einem Ende kommen kann, soll die Sauberkeit erhalten bleiben.] Im Yoga heißt das für einen Beginn der Praxis, das alle krankmachenden Anteile [1. Verspannungen, schlechte Gewohnheiten in allen Lebenslagen, falsche Nahrungsvorlieben, energetische Blockaden, Bewegungsmangel, häufiges stundenlanges Sitzen, usw.] dauerhaft umgestaltet werden müssen. Dazu werden die Stufen 3-5 verwendet, also Körper- und Atemübungen sowie die Fähigkeit, seine Sinne [1. Yoga kennt sechs Sinne. Zu den fünf bekannten kommt noch das Denken hinzu.] im Zaum halten zu können. Sind diese Aufgaben gelöst/erfüllt, kann mit dem „präventiven Yoga“ fortgesetzt werden.

Dieser Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit dem präventiven Yoga. Dazu sollten als Voraussetzungen für den Beginn genannt werden:

1. Gesundheit, oder besser ausgedrückt die Abwesenheit von Krankheit.

2. Eine angepasste Ausformung der Lebensumstände und seiner Gewohnheiten.

3. Ein ausreichende bis gute Form des Alltags, die nicht-schädigend mit Körper und Geist umgeht.

4. Ein unbelastete Einbettung in eine Gesellschaft mit anderen Menschen.

Gewöhnlich sind Menschen in Mitteleuropa stets geneigt, diese Voraussetzungen bei sich selbst als gegeben anzusehen. Dem kann und werde ich nicht zustimmen können, und ich denke, das wird, so nicht ein Wunder geschieht, auch noch lange so bleiben. Warum schreibe ich das so? Die Menschen in unseren westlichen Gesellschaften werden doch älter als in allen anderen Lebensgefügen. Ja, das stimmt, aber sie werden nicht gesund älter, sondern können meist das hohe Alter nur mit eine Unzahl von Medikamenten und operativen Eingriffen erreichen. Häufig ist alt-werden mit Bewegungseinschränkungen, ärztlich verordneten Nahrungsrestriktionen, häufigen Einnahmen von Medikamenten, mangelnder Beweglichkeit sowie Kraftlosigkeit und allen Arten von Schwindel- und körperlichen und geistigen Degenerationserscheinungen verbunden. Ich bin der festen Überzeugung, das viele dieser Einschränkungen vermieden werden könnten, wenn die Menschen rechtzeitig, also noch in gesundem Alter, mit Präventionsaktivitäten beginnen würden. Aber, wie bereits gesagt, dafür müssten sie zunächst einmal zu einer relativen Gesundheit gelangen; relativ deshalb, weil Verletzungen und Behinderungen, die nicht gerichtet werden können, verbleiben müssen und sozusagen „das Best-Mögliche“ daraus gemacht werden muss.

Zu 1. Abwesenheit von Krankheit

In der Regel basiert unser Gesundheitssystem auf der Bekämpfung von bereits sich herausgebildeten Krankheiten, und das sehr oft erst dann, wenn diese bereits stark ausgeprägt sind, sich als chronisch erweisen und für wirksame Gegenmaßnahmen ohne Chemie oder Messer es bereits zu spät ist. Dann mit Yoga anzufangen, ist zwar nicht vergebens, aber eine mühsame und zeitaufwendige Angelegenheit. Eine sinnvolle Yogapraxis setzt voraus, das der Übende zumindest mit den Grundhaltungen der Asana- und Pranayama-Arbeit vertraut ist und über genügend Kraft, Ausdauer, Körperwahrnehmung und Beweglichkeit verfügt, um diese auch in einem geschwächtem Zustand einnehmen zu können. Das sehe ich heute meinen Beobachten zufolge bei vielen, die mit Yoga beginnen, als meist nicht gegeben an. Wenn sich also eine Einschränkung bereits etabliert hat, ist der Beginn mit Yoga sehr viel schwieriger, als wenn gesund begonnen wird. Woher kommen die ganzen Einschränkungen, die fälschlich zu lange als „noch“ gesund angesehen werden. Da ist der Arbeitsalltag, das sind einseitige Belastungen im Sport, da sind die Setzungen von Prioritäten wie Karriere und das Geld-verdienen-müssen usw. Und natürlich spielt auch Unwissenheit eine große Rolle. Ich empfehle, jung und gesund mit dem Übungen im Yoga zu beginnen. Dann sind die Grundlagen gesetzt, um bei Bedarf Unstimmigkeiten angehen zu können. Yoga so begonnen schafft ein hohes Maß an Körperwahrnehmung, was in der Folge den Menschen auch in die Lage versetzt, auch beginnende Schwierigkeiten mit Gesundheit/Krankheit frühzeitig erkennen zu können. So sind die Gegenmaßnahmen, die (noch) mit Yoga möglich sind, auch problemlos anwendbar.

Zur Gesundheit, wie sie für präventiv wirksames Yoga erforderlich ist, zählen auch eine normal ausgestaltete Beweglichkeit [1. Dazu gibt die Orthopädie folgende Normen vor: 1. Eine Vorwärtsbeuge im Stehen mit geraden Beinen, die mit den Fingern den Boden zu berühren imstande ist; 2. die Fähigkeit, die Hände hinter dem Rücken zu verbinden, wobei eine Hand über den Kopf geführt wird, 3. die Fähigkeit, im Sitzen mit ausgestreckten Beine die Zehen mit den Handgelenken berühren zu können; 4. in der Bauchlage einen Oberschenkel mindestens 10 Zentimeter ohne Mühe anheben zu können; 5. sich ohne Abheben der Fersen in die Hocke zu begeben; 6. in einem tiefen Ausfallschritt nach vorne sollten die Oberschenkel einen 180° Winkel zueinander erreichen; 7. in der Rückenlage sollte ein angewinkeltes Bein mit dem Knie auf der Gegenseite abgelegt werden können, ohne das sich die gegenüberliegende Schulterseite vom Boden abheben muss.], eine für den Alltag ausreichende Kraft [1. Beispiele: Treppensteigen können, einen Einkauf nach Hause tragen können, …] sowie eine ausreichende Ausdauer [1. Beispiel: …um einen langen Spaziergang machen zu können, um hier und da auch einmal eine Arbeit über einen längeren Zeitraum im Stehen durchführen zu können, …]. Mit anderen Worten gesagt: Es sollte ein ganz normaler aktiver Alltag bewältigt werden können. Die Beweglichkeit ist insofern besonders wichtig, da viele Organe, Gelenke, Faszien und andere Körperpartien Bewegung in ihrer Umgebung benötigen, um gut funktionieren zu können.



Zu 2. Lebensumstände und Gewohnheiten

Viele Menschen unserer Zivilisation neigen dazu, alle persönlichen Bedürfnisse den Parametern Arbeit und Familie unterzuordnen, und sie vergessen dabei, wie wichtig es ist, sich um sich selbst zu kümmern. Lebensumstände aber sind nicht festgeschrieben und schon gar nicht in Stein gemeißelt. Sie können verändert werden. Das Leben ist kein Gefängnis, wo ganz klare und oft auch erzwungene Regeln gelten. Wenn ich doch bemerke, das die Art und Weise, in der mein Leben abläuft, mir weder bekommt noch mir gut tut, oder mich sogar stark belasten und/oder sogar schädigen, ist doch ein Wechsel in besser geformte Umstände erforderlich. Außerdem ist doch jedem, der früh am Tag die vielen Menschen sieht, die sich mit Bewegungseinschränkungen zur Arztpraxis quälen, klar sein, das er/sie älter werden wird und es ein Wunder wäre, ohne Einschränkungen ganz leicht durchs ganze Leben huschen zu können. So sagen mir viele Yoga-Einsteiger, sie hätten früher eigentlich nie Zeit gehabt, eine Yogapraxis zu beginnen. Sie nehmen an, das dabei mindestens 90-120 Minuten täglich oder 2-3 mal in der Woche notwendig wären. Dem ist nicht so. Ich denke, das einmal pro Woche eine 90 minütige Übungsreihe unter Anleitung plus 10-15 Minuten jeden Tag [1. …mit gesetzten Schwerpunkten entsprechend der Belastung oder nach Vorgabe eines Lehrers…] eine ausreichende Praxis darstellen, solange (noch) keine hartnäckigen Einschränkungen vorliegen.

Exkurs: Halten wir zunächst einmal fest: Der Mensch ist eine Einheit aus Körper und Geist. Und stellen wir weiterhin fest, das viele Organe und ihre Funktionen ineinander greifen und sich gegenseitig beeinflussen. So hat zum Beispiel eine niedrig-gradige oder stille Entzündung [1. Stille Entzündungen spielen sich konstant im Körper ab und äußern sich anfangs mit diffusen Symptomen. Dazu zählen: Schlappheit, Müdigkeit, Antriebslosigkeit. Allgemeines Krankheitsgefühl. Häufige Infekte. Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen, Paradontose, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit, …] ganz bestimmt eine oder mehrere Ursachen, die nicht ganz so einfach nach dem „wenn, dann…“-Schema betrachtet oder sogar diagnostiziert werden können. Falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, Schädigungen und Einschränkungen aller Organe, Stress, übermäßige körperliche Belastungen, eine Überlastung des Körpers und was sonst noch alles können dies mit verursacht haben. Von Alkohol und anderen Unsitten will ich gar nicht erst anfangen zu schreiben. Wäre es nicht schön, wenn manche der genannten möglichen Ursachen schon frühzeitig zu erkennen gewesen wären. Man hätte rechtzeitig Abhilfe schaffen können. So aber setzt sich die ganze Kolonne mit stetig steigender Anzahl von Missständen in Bewegung, die so einfach gar nicht (mehr) zum Stillstand gebracht werden kann. Der geübte Yoga-Praktizierende erkennt viele dieser Schwierigkeiten schon sehr früh, weil er für Veränderungen im Körper sensibilisiert ist. Viele weit verbreitete Beschwerden der heutigen Zeit beruhen auf diesen oder ähnlichen Prinzipien. Es ist doch so, das ein Missstand, der nicht erkannt wurde, eine ganze Latte von weiteren Missständen nach sich ziehen kann/wird. Und Missstände sind nicht nur Organversagen oder Verletzungen, sondern sind auch zu vieles Sitzen, zu wenig Bewegung, einseitige Ernährung usw., also Motive, die oft gar nicht mit Gesundheit in Beziehung gebracht werden. Meiner Erfahrung nach werden solcherlei wirksame Motive alle sehr frühzeitig von Körper und Geist angekündigt. Mangelnde Bewegung wird durch Unruhe angezeigt, vieles Sitzen erzeugt schwere Beine und Schwächen im Herz/Kreislauf-System. Und was einseitige/falsche Ernährung anrichtet, muss ich nicht extra beschreiben, das geht von der Magersucht bis zur Fettleibigkeit, von Störungen des Verdauungssystems bis zu Vergiftungen und Mangelerkrankungen. Wenn wir immerzu nur Symptome zu lindern oder abzustellen gedenken, wird eben die Kolonne der Schwächen immer länger. Eines zieht das Nächste und das Weitere hinter sich her, und irgendwann ist dann Schluss mit der lustigen Kolonnenfahrt, und der Körper zieht die Notbremse: Chronische Krankheit.

Zu 3. Sich nicht Selbst-schädigend verhalten

Um zu erkennen, welche aktuellen Reaktionen im Körper ablaufen, muss der Übende sensibilisiert sein, sonst erkennt er diese nicht und/oder interpretiert seine Beobachtungen falsch. Im Grunde genommen ist gesundes Leben doch sehr einfach:

1. Sich weder körperlich noch geistig überlasten.

2. Sich seinen körperlichen Stärken und Schwächen entsprechend verhalten.

3. Zeitweise auftretende Einschränkungen und ebensolche Dauereinschränkungen berücksichtigen [1. Jeder wird älter und verliert somit langsam aber sicher Körperspannung und Kraft. Mit 70 ist man keine 20 mehr. Schwangere Frauen sollten keine große Lasten tragen. Übergewichtige sollten auf ihre Ernährung achten. Die Einnahme von Medikamenten (z.B. Antibiotika) erfordern oftmals eine angepasste Nahrungsaufnahme. Zucker und Nicotin sind Suchtmittel. Und so könnte es noch Seitenweise weitergehen…]

4. Sich frei machen von Vorurteilen, Zwängen und ungeschriebenen Gesetzen. [1. Das ist notwendig, da jeder der genannten Punkte zumindest für Ärger, Leid und Lasten sorgen, wenn nicht sogar zu psychischen Störungen führen wird, die durchaus bereits als Krankheit angesehen werden können.]

Sich nicht-Selbst-schädigend verhalten heißt nicht, sich den Regeln der Ernährungsmoden zu unterwerfen. Ich zum Beispiel esse, was mir schmeckt und gut bekommt, und vertraue Sie auf meine eigene Wahrnehmung, und nicht auf Werbung und Studien. Auch werde ich mich nicht verleiten lassen, irgendwelche Dinge zu tun (Sport, Untersuchungen, Einschränkungen), die mir nicht selbst in den Sinn gekommen, also mir von außen zu-diktiert werden. Ich achte darauf, das ich die mir mögliche Beweglichkeit erhalten kann und mache Übungen dazu. Weiterhin achte ich darauf, ob und wie mein Alltag mir gelingt. Kann ich meine Einkäufe tragen, kann ich meinen Gartenarbeiten, meinen Wohnungsarbeiten, meine sportlichen Hobbys nachkommen, ohne danach erledigt, abgespannt oder übermäßig müde zu sein? Sollte hier und da ein Symptom auftreten, schaue ich mir das genau an und sorge mit Yoga oder anderen Maßnahmen für Abhilfe.



Zu 4. Die Einbettung in eine Gemeinschaft

Ich würde eine Empfehlung für alle aussprechen: Sich in ein gesellschaftliches Gefüge einordnen sollte immer angestrebt werden, sofern sich dieses nicht Menschen-feindlich verhält. Sollte es das doch tun, und ich gehöre ihm bereits an, ist Selbstschutz immer wichtiger als Gerechtigkeit. Nur so kann heute ein Mensch sein Leben sinnvoll gestalten. Anderes Beispiel: Ich werde, um meine Wasserkisten nach Hause zu transportieren, mich mit Sicherheit nicht auf ein Fahrrad verlassen, nur weil das in Mode gekommen ist. Ich mag mein Auto. Es war mit 18 Jahren und aus der Provinz stammend im Jahre 1972 ein Werkzeug zur Erlangung von Freiheit. Und ich werde es weiter verwenden, bis es mir verboten wird. Ich mag es auch nicht, zu einer Veranstaltung oder Feier durch das Fahrrad nass, durchgeschwitzt und abgehetzt anzukommen. Wozu ich allerdings gerne bereit bin, ist, mich an die mir vorgegebenen Gesetze zu halten. Ich bezahle meine Steuern und fahre auf der rechten Seite einer Fahrbahn. Aber, was nicht verboten ist, ist grundsätzlich erlaubt. Und was mir erlaubt ist, lasse ich mir nicht durch irgendwelche Mobbing-Gruppen absprechen. Was ich ebenfalls ablehne, ist meine Ansicht mit Druck, unlauteren Mitteln und voller Lautstärke durchsetzen zu wollen. Ich sagte es: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Und wenn mir mal was nicht passt, und weil es eben nicht verboten ist, reagiere ich darauf mit Toleranz [1. Kommt vom lateinischen „tolerare“ und heißt nichts anderes als ertragen, erleiden, erdulden.] Die Gesellschaft erlässt Gesetze. Wenn ich ihr angehören möchte, sollte ich sie befolgen. Alles andere ist, um es gelinde auszudrücken, unpassend. Wenn ich trotzdem Protest anmelden möchte, schreibe ich eine Veröffentlichung oder gehe auf eine angemeldete Demonstration. Dafür gibt es wie für alles andere Regeln. Und wenn mir die bestehenden Regel nicht gefallen, melde ich mich in einer Partei an und versuche so, diese zu ändern. Sachbeschädigung, Behinderung und Nötigung sind Straftaten, aber mit Sicherheit kein Protest. Nur so kann eine Gesellschaft bestehen. Ich kenne keinen anderen Weg. Wenn ich das nicht akzeptiere, sollte ich mir eine andere Gesellschaft suchen. Es gibt genug davon auf dieser Welt. Die Einbettung in eine Gesellschaft ist heute absolut notwendig. Ich kenne keinen Ort auf der Welt, wo dieses anders gestaltet wäre. Wenn ich ein freies, gesundes und gestaltendes Leben führen möchte, muss ich das wohl oder übel in Kauf nehmen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Hier fehlt leider jede Alternative. Ich empfehle, sich mehr und mehr unauffällig zu verhalten, weil: Menschen im Rampenlicht verlieren ihre Freiheit, nicht, weil sie diese durch den erworbenen Ruhm verlieren könnten und/oder abhängig werden, sondern weil andere sie unmöglich machen werden. Meine Beobachtung sagt eindeutig, das „berühmt“ und „frei“ selten miteinander harmonieren.

Soweit zu den Voraussetzungen. Kommen wir zurück zu dem, was ich Eingangs „Präventives Yoga“ genannt habe. Yoga so verstanden dient für einen Menschen, der die vier Punkte (s.o.) [1. Nicht-Selbst-schädigend, den Umständen angemessen, Abwesenheit von Krankheit, Einbettung in eine Gemeinschaft] gemeistert hat, hauptsächlich dazu, sich die so erworbene Freiheit zu erhalten. Regelmäßiges leichtes Üben von Yoga spürt jede Form von Anspannungen, Blockaden, Organschwächen und Belastungen sicher auf. Und jeder Übende kann dann relativ früh mit Gegenmaßnahmen beginnen, sei es, das ein Arzt zu Rate gezogen werden, eine Gewohnheit geändert, eine Beziehung angepasst oder ein Arbeitsalltag verbessert werden müsste. Zuerst kommt immer die Wahrnehmung einer Notwendigkeit, bevor diese in Handlungen oder Lebensveränderungen gestaltet werden kann. Das Yoga so nebenbei auch meist noch verhindert, das Blockaden überhaupt entstehen, Verspannungen sich fest etablieren oder Stress sich negativ auswirken kann, kommt noch fördernd hinzu. Dazu kommt eine gut trainierte Körperverfassung, eine durch und durch bewegliche und belastbare Muskulatur und ein Geist, der nicht verlernt hat, wahrzunehmen, zu lernen und seine Umwelt zu verstehen. Konflikte entstehen nicht, Leiden entsteht nicht, Mangel und Degeneration werden zumindest gebremst. Kann ich jemand mit diesen Aussagen zum Yoga locken? Bei mir war das erfolgreich. Ich bin fast 70 jahre alt und gesund und munter, komme ohne Medikamente aus und bin für mein Alter fit wie ein Turnschuh.

Unentschiedenheit

Wo kommt aber jetzt noch die Unentschiedenheit hinein, wo ich doch auf mehreren Seiten detailliert und ziemlich genau erklärt habe, was zu tun und zu lassen sei. Nun, das stimmt so nicht ganz. Denn erklärt habe ich nur den Weg, der zur Freiheit von Beschränkungen, dem Ausgangspunkt einer präventiven Yogapraxis, führt. Was ich nicht erklärt habe und auch nicht erklären kann, ist die Technik, das Rezept oder das Konzept, wie sie danach dauerhaft zu erhalten ist. Das kann ich auch nicht, weil: Es gibt keine Technik, kein Rezept und kein Konzept, das, sind die Voraussetzungen erfüllt, zum Erhalt derselben beitragen könnte. Ich nutze nur meine Übungen, um sich einschleichende Fehler aufspüren zu können. Gibt es keine: schön, gibt es welche: auch schön, weil ich sie nämlich jetzt kenne und beseitigen/umgestalten kann. Und alles darüber hinaus ist der Freiheit anheim gegeben, und die ist so individuell, so wechselhaft und unplanbar wie der Mensch und sein Leben. Und so wird wieder einmal, diesmal über Yoga ausgesprochen, ein „Schuh“ der Unentschiedenheit daraus. Wohin er mich tragen wird, weiß ich nicht und will auch eigentlich auch nicht (mehr) wissen. Freiheit heißt doch, jetzt und hier für mich jederzeit Entscheidungen treffen und sie vollziehen zu können/dürfen. Da gibt es keine Regeln außer die meiner Gemeinschaft und die meiner Möglichkeiten. Und selbst das ist/kann nicht für alle Zeit als festgezurrt (gelten). Und wenn etwas offen ist, unentschieden eben, gibt es wenig darüber zu berichten.




Eine dritte Ode an die Un-Entschiedenheit: Stille Meditation

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit, der ich damit den dritten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über die Meditation. Dieses Wort ist heute so durchgestaltet, verbreitet und missbraucht, das sich der eigentliche Sinn, wie er sich aus der Überlieferung ergibt, sich so gut wie nicht mehr auffinden lässt.



Der Artikel ist (leider) etwas länger geworden, als ich das beabsichtigt hatte, aber: Ich konnte es mit weniger Worten nicht so ausdrücken, wie es mir in den Sinn kam.

Die Unentschiedenheit, mit der wir leben müssen, …

… wenn wir Meditation praktizieren. Was ich hier zu beschreiben versuche ist, meine Erfahrung zu Papier zu bringen, ohne dabei zu Überhöhen oder zu Untertreiben oder mich in Nachbetungen zu erschöpfen. Meditation ist eine Lebenspraxis, die offen, der Buddhist würde sagen, „leer“ ist. Es gibt kein Ziel, keine Methode usw, es gibt zunächst nur das persönliche Motiv, das im Grunde genommen sehr unterschiedlich sein kann. Ich empfehle, am Anfang alle in Frage kommenden Motive zu nutzen, um die Praxis zu beginnen, und dann nach der Einrichtung der Gewohnheit eines nach dem anderen zu negieren, neudeutsch: zu canceln, um dann ohne Vorgabe, ohne Zielvorstellung und ohne Rezept… in sein Sitzen gehen zu können. xX

Auch die Bestätigung eines Meditations-Meisters erhalten zu wollen, die Bestätigung also, die meditative Praxis erreicht/erklommen zu haben, ist bereits ein Konzept. Also, alles gezielt Angestrebte ist in meiner Vorstellung alles mögliche, aber nicht Meditation. Sie erfordert also eine oftmals sehr lange Vorbereitungsphase, erfordert viele Versuche mit meist bescheidenem Ausgang, wird hier und da Verwirrung, Sorge und Ernüchterung erzeugen und bedarf daher Mut, Hartnäckigkeit und einen sehr langen Atem. Es darf nicht entscheidend sein, ob die Praxis ein Gefühl des Gelingens oder Misslingens erzeugt. Ich betrachte sie als eine Lebenspraxis, in etwa so wie das Atmen, das Schlafen und das, um ein Motiv der modernen Kultur zu nennen, Zähneputzen. Meditation ist und bleibt ein „Weg in unbekanntes Terrain“, nicht vorgegeben, nicht planbar und auch nicht zu irgendwelchen Zwecken gut. Meditation ist Meditation, ist Zazen, ist Sitzen, ist „leer“ im buddhistischen Sinne, also nicht beschreibbar. Und das ist gut so!

Im nachfolgenden Text versuche ich diese durchaus gewagten Aussagen aus meiner Sicht zu begründen. Es ist, wie gesagt, meine persönliche Ansicht, wie sie gerade eben, wo ich das hier schreibe, vorliegt. Vielleicht kann sich diese schon morgen ändern/geändert haben. Beginnen möchte ich mit der Beschreibung der Meditation in Wikipedia. Es folgt eine Kritik der dort gemachten Aussagen und im Text eingebettet, wie ich das alternativ zu Wikipedia bzw. dem Schreiber dort sehe und praktiziere.

Meditation in Wikipedia:

Meditation bezeichnet eine Gruppe von Geistesübungen, die in verschiedenen Traditionen seit Jahrtausenden überliefert sind. Ein wesentliches Element meditativer Techniken ist das bewusste Steuern der Aufmerksamkeit. Das Üben von Meditation soll nachhaltige positive Veränderungen im Denken, Fühlen und Wahrnehmen bewirken oder zu bestimmten religiös definierten Einsichten und Zuständen führen. Effekte von Meditationstraining auf Kognition, Emotionen, Hirnfunktion, Immunsystem, Epigenetik sowie auf die psychische Gesundheit sind wissenschaftlich belegt. Meditation ist ein zentrales Element in verschiedenen Religionen, insbesondere dem Buddhismus, wie auch im Hinduismus, Konfuzianismus und Christentum. Seit dem 20. Jahrhundert wird Meditation zunehmend auch in der westlichen Welt praktiziert und wissenschaftlich erforscht.

Nun ist Meditation eine Sache, die sich meiner Ansicht nach so materialistisch ausgeformt/-gestaltet nicht darstellen lässt, denn im Grunde ist ein Nutzen dieser Praxis weder wissenschaftlich belegbar noch kann sie bestimmten Zielen in Form einer Technik, die zu einem vorgegebenen Ziel führt, zugewiesen werden. Natürlich hat das Sitzen in Stille Veränderungen in Körper und Geist (beide sind eine Einheit…) zur Folge, aber, und das ist mehr als entscheidend, können diese nicht bewusst herbeigeführt werden. Aber genau das wäre Wissenschaft: Wenn ich A tue und verfolge, passiert B. Und ich kann das in einem validen Verfahren jederzeit erneut belegen. Denn: Niemand kann vorhersagen, wie sich Meditation auf das Sein eines Menschen auswirkt. Es ist ja gerade dieses Nicht-Wissen-Können, das zur „Technik/Gewohnheit“ wird und in meiner Erfahrung kann eine Praxis desselben nicht planmäßig angestoßen werden, auch wenn viele Bücher und Veröffentlichungen das dem Leser so mehr oder weniger geradezu in den Mund legen.

a. Es geht in der Meditation sinnvoller Weise doch zunächst einmal um die äußere Form. Jeder Einsteiger wird das sehr deutlich körperlich erfahren. Still sitzen über einen Zeitraum von mehreren Abschnitten, die sich in der Summe nur in Stunden ausdrücken lassen, ist eine Praxis, die sich so einfach schon allein körperlich nicht umsetzen lässt. Einschlafende Beine, wegdämmern, dösen, einschlafen und damit verbunden Rücken- und Beinschmerzen werden jede meditative Stimmung verderben.

b. Dann geht Meditation, so sie denn gelingt (s.u.), in Bewusstseinsschichten hinein, die dem alltäglichen Geist sprich Verstand unzugänglich sind. Aber diese sind nicht, wie viele Schriften vermuten lassen, in einem wie immer auch gestalteten Jenseits angesiedelt, sondern sie sind hier, in dieser Welt, in diesem Körper, in dieser Persönlichkeit. Sie transzendent zu nennen ist verschroben, um einen sanften Ausdruck zu gebrauchen, denn Transzendenz [1. Transzendenz (von lateinisch transcendentia „das Übersteigen“) beschreibt den Bezug auf einen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindbarer Wirklichkeit liegt. Wikipedia.de] liegt, wie der Name schon sagt, jenseits des Bewusstseinsfensters, das sich einer Persönlichkeit öffnen kann. Auch sehe ich nicht, das man ein Bewusstsein so wirklich eindeutig in verschiedene Abschnitte wie ein Offenes-Bewusstsein, ein Unter-Bewusstsein und dazu noch in ein Un-Bewusstes trennen kann. Auch hier ist der Begriff [1. Bewusstsein (abgeleitet von dem mittelhochdeutschen Wort bewissen im Sinne von „Wissen über etwas habend“,lateinisch conscientia „Mitwissen“ und altgriechisch syneídēsis „Miterscheinung“, „Mitbild“, „Mitwissen“, synaísthēsis „Mitwahrnehmung“, „Mitempfindung“ und phrónēsis „bei Sinnen sein, denken“) ist im weitesten Sinne das Erleben mentaler Zustände und Prozesse. Eine allgemein gültige Definition des Begriffes ist aufgrund seines unterschiedlichen Gebrauchs mit verschiedenen Bedeutungen schwer möglich. Wikipedia.de] bereits so geprägt, das weder eine Definition und folgerichtig daher auch keine Unterteilung möglich erscheint. Solcherlei Einteilungen und Spitzfindigkeiten entbehren jeglicher wahrnehmbaren und/oder wissenschaftlichen Basis.



c. Dann kann man mit einer geistigen Tätigkeit [1. Geist heißt ja deshalb Geist, weil er keine materielle Erscheinung ist. HpS] keine materiellen Änderungen erzeugen. Das ist nach wie vor und ich fürchte für lange Zeit noch eine SF-Vision. Meditation kann nur hervorbringen, was schon da ist. Dazu werden für die Meditation die verschiedensten Techniken und Werkzeuge vermittelt. Das ist sicherlich ein guter Weg für den Einstieg, aber schon in der Phase der Festigung, wenn die Meditation also wie das Zähneputzen zur alltäglichen Praxis wird, kann mit den unterschiedlichen Konzentrationen [1. Jede Technik ist im Grunde genommen (nur) eine Konzentration.] nicht mehr sinnvoll gearbeitet werden. Jede Konzentration bedarf des Denkens, bedarf der Sprache, legt fest und verdeckt/verschleiert so das Unbekannte. Sie sind daher alles andere als offen.

d. Was bitte sehr hat Meditation mit Epigenetik [1. Die Epigenetik ist das Fachgebiet der Biologie, das sich mit der Frage befasst, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Sie untersucht die Änderungen der Genfunktion, die nicht auf Veränderungen der Sequenz der Desoxyribonukleinsäure, etwa durch Mutation oder Rekombination, beruhen und dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden.Wikipedia (DE)] zu tun. Der Einfluss der Umwelt auf die Gene wird beim stillen Herumsitzen nicht anders sein als wenn ich im Garten in aller Stille Unkraut jäte oder wenn ich im Büro eine Excelliste bearbeite. Wenn Meditation wirksam die Gesundheit verbessert, wie oftmals wissenschaftlich behauptet und wie das von vielen Menschen auch bestätigt wird, was ich auch tue, hat das natürlich auch Einfluss auf das Erscheinungsbild des Menschen allgemein als auch auf die Hirnfunktion und die Reaktionen auf die Umwelt, aber auch auf die Verdauung, auf das Nagelwachtum und alle anderen Erscheinungsänderungen. Auch ist bei guter Gesundheit bestimmt ein Stimmungswechsel zum positiven hin zu verzeichnen, der sich so bei Krankheit nicht zeigen wird. Ich halte die Phrasen zur Epigenetik und Hirnfunktion für den Versuch, der Wissenschaft eine Legitimierung zu geben, die sie aufgrund der Fremdheit des Geschehens gar nicht haben kann. Denn fremd sind der Wissenschaft die Aussagen von Meditierenden, dass 1. Meditation weder etwas mit Denken noch mit Wissen zu tun hat, das 2. Meditation nicht gewollt herbeigeführt werden kann und 3. eine Ebene beschreibt, die nichts mit Raum und Zeit zu tun hat, also keine Gegenstände noch deren Benennung kennt. Nichts im Hirn zeigt Meditation messbar an, außer, das der Mensch sehr ruhig wird [1. Was das EEG mit elektromagnetischen Wellen von 8-13,9 Hz also eine Ruhefrequenz sprich Alpha-Wellen anzeigt.], was beim langen Stillsitzen oder ausgeprägten Ruhezeiten ja auch nicht außergewöhnlich ist. Wo soll die Unruhe dabei herkommen? Vom Geist vielleicht? Und wie wird der im Gegensatz zu Hirnaktivität gemessen? In Alpha-, Beta- oder Gamma-Wellen vielleicht? Ich halte die Aussagen der Wissenschaften für sehr gewagt, wenn nicht sogar anmaßend.

Zu a. Die äußere Form der Meditation (Sitzen, Zazen)

Meditation bedarf der körperlichen Ruhe und der Abgeschiedenheit, denn der Übende braucht sozusagen Platz in seinem Bewusstseinsfenster. Der abgesonderte Meditationsplatz, störungsfrei gestaltet, führt die Sinne in einen Ruhezustand. Meist sind die Augen geschlossen oder halb geöffnet, der Körper bewegt sich äußerlich nicht und ruht fest in seinem Sitz für eine ziemlich lange Zeit. Das alles sind Umstände, in die zu wechseln ein Mensch, der innerhalb einer Zivilisation eingebunden lebt, so ohne weiteres nicht imstande sein kann. Aus einem ereignisreichem Tag, gefüllt mit Ansprachen, Gesprächen, Wahrnehmungen, Lernen und all den lebensnotwendigen Verrichtungen in eine Form zu wechseln, die nahezu als „leer“ beschrieben werden kann ist also die erste Aufgabe, die eine Praxis anzustreben hat. Das braucht Zeit und Übung. Dazu braucht es in jedem Fall zunächst einmal eine Sitzhaltung, die auch bereit ist, still zu sein. Meine Überlegung geht dahin, das körperlich still sein nur dann gelingt, wenn es dem Körper gut geht und ihm alles zur Verfügung steht, was er braucht. Also empfehle ich, zunächst einmal lange Zeit darauf zu verwenden, einen Sitz entsprechend zu gestalten. Verspannungen, die Schmerzen erzeugen, Fehlhaltungen, die weder Atem noch Kreislauf frei laufen lassen, sind in jedem Fall zu meiden. Auch sollten weder Beine noch Arme einschlafen, sollte der Geist nicht dösen oder sogar wegdämmern, sollte das Denken auch nicht sich mit Alltäglichem beschäftigen. Mir hilft nach wie vor, mich immer wieder auf das Sitzen zu konzentrieren, wenn ich bemerke, das anderes geschieht.

Ich habe lange daran gearbeitet, mir die Lotushaltung als Sitz zu erarbeiten, denn diese ist besonders geeignet, fest und mühelos zu werden. Fest ist der Lotus deshalb, weil hier zwischen Hara und Perineum ein Spannungsgefälle entsteht, das die Arbeit des Aufgerichtet-Seins übernimmt und so Mühelosigkeit im Sitzen erschließt. Andere Sitzhaltungen sind da in meiner Erfahrung bedeutend aufwendiger gestaltet. Soweit zunächst einmal die äußere Form einer Meditation, wie ich sie sehe. Wir brauchen einen stillen und störungsfreien Ort, brauchen einen tragfähigen Sitz und die Bereitschaft, vom Alltag loszulassen.

Zu b. Offenheit heißt Abwesenheit von Vorstellungen

Wenn wir uns genau vorstellen, was oder wohin uns Meditation führen wird, gelingt sie nicht. Das sagen alle Äußerungen von Meditationsmeistern (Zen, Yoga, Buddhismus). Also sollten wir das ganze Wissen um… und Wünschen zu… einfach sausen lassen und uns einfach, heißt ausschließlich, nur dem Sitzen zuwenden. Was darin geschieht, geschieht, Punkt. Wir können zwar den Körper stillhalten, aber wir können weder das Hören noch das Sehen und schon gar nicht das Denken abstellen. Und unser Körper erzählt im Stillsitzen unaufhörlich, wie es ihm geht und was er gerne verändern würde. Trotz dieser Störungen/Impulse, die immer da sind, bleibt der Übende in seiner Betrachtung unfixiert, das heißt, er hört, sieht, denkt mehr oder weniger unaufhörlich, aber das Geschehen findet wenig zielgerichtete Beachtung und wird zunehmend wie das Grundrauschen eines Radios oder einer Stadt wahrgenommen. Unfixiert heißt, weder ordnend, bewertend noch in Worte fassend, wird dieses Rauschen als Hintergrund zugelassen. Der Rest des Wahrnehmungsfensters ist offen, nicht gefüllt oder leer. Wir wissen nicht, was dort erscheint, haben keine Vorstellung davon, was kommen soll oder nicht kommen soll, sind weder voll einer Erwartung noch einer Furcht. Und so geht das weiter bis zum nächsten Gedanken, nächsten Bild, nächsten Ton oder der nächsten Körperwahrnehmung.

Eine Methode, mit Störungen umzugehen

Definition: In den nachfolgenden Zeilen wird das Wort Unfixiertheit oftmals verwendet. Das Wort beschreibt in meinem Denken einen Zustand der Wahrnehmung, der sich auf nichts, was einen Namen trägt oder in Worten sich ausdrücken lässt, konzentriert ist. Die Wahrnehmung ist dabei vergleichbar mit einem Film, der ununterbrochen im Bewusstseinsfenster abläuft. Da der Film keine nachvollziehbare Ereigniskette beschreibt, die spannend, interessant oder außergewöhnlich daher kommt, läuft er einfach so ohne große Gedankenwellen ab. Ich könnte auch sagen, er ist ganz einfach alltägliche Normalität, vielleicht sogar als langweilig zu beschreiben und ganz bestimmt wenig abwechslungsreich. Der Film bezieht sich auf nichts und sagt, da er keinen Grund kennt, auch nichts aus. Er ist, wie der Buddhist sagen würde, leer.

Wenn wir die Augen geschlossen haben, sehen wir auch immer noch ein Bild. Das ist zwar wenig spannend, aber es erzeugt, bewusst geschaut, eine Konzentration. Wir sollten aber den Inhalt des Bildes nicht erfassen, nicht in Worte oder Beschreibungen, nicht in Bewertungen oder Vor-/Abneigungen einkleiden, sondern einfach als diffuses Bild ohne Inhalt stehen lassen. Das Betrachten des Bildes ist damit für mich eine Technik, die zum Beispiel in der Lage ist, einen Gedankenstrom, einen Strom des Denken zu unterbrechen und/oder sogar abzustellen. Ist das Geschehen, was in relativ kurzer Zeit geschieht, kehrt der Übende wieder zur Unfixiertheit zurück.

Gleiches wie die Bilder der Augen sind die Geräusche des Hörens. Auch hier kann das Geschehen nicht abgestellt werden. Wir hören immer. Auch hier entsteht eine Technik, wenn sich die Konzentration zum Hören zieht. Auch hier werden die Geräusche weder geordnet noch zum Verständnis seiner Hintergründe geführt, sondern wir hören Töne, Punkt. Und wenn so verwendet, kehrt der Übende wieder zur Unfixiertheit zurück.

Wir haben einen Körper, der ständig Wahrnehmungen absondert. Es entsteht ein Prickeln hier und ein Zucken dort, hier eine Strömung, dort ein aufleuchtender Nerv, die Verdauung, der Atem und der Kreislauf sind allgegenwärtig. Wird eine dieser Wahrnehmungen zur Last, ragt also aus dem Hintergrundrauschen der Sinne deutlich hervor, wird bei mir zum Beispiel ein Wechsel zur Gestaltung des Sitzens erfolgen. Ich gehe dann zum Spannungsfeld zwischen Hara und Perineum und gestalte kurz und zügig meine Aufrichtung neu, indem ich mich energetisch (ist trotzdem unbewegt…) neu ausrichte. Dann nach wenigen Änderungen komme ich wieder zur Unfixiertheit zurück.

Die häufigste und daher auch wichtigste Störung ist das Aufkommen von Gedanken. Diese können aus dem Alltäglichem kommen, aus der Erinnerung an frühere Zeiten oder auch aus Motiven entstehen, die irgendwann durch Medien zugeführt wurden. Die Methode der Wahl ist es, den angekommenen Gedanken nicht weiter zu verfolgen oder gar ein darauf aufbauendes Gedankengebäude zu errichten, sondern ihn einfach stehen zu lassen. Gelingt das, wird der Gedanke sich ebenso unaufdringlich zurückziehen wie er auch gekommen ist. Gelingt es nicht, gehe ich zu einer der anderen Sinneswahrnehmungen hinüber und höre einem Moment bewusst oder sehe das Bild. Auch der Gang zurück zu Wahrnehmung bzw. Gestaltung des Sitzens ist ein guter Wechsel, der Gedanken abblitzen lässt. Nach wenigen Augenblicken aber gehe ich wieder zur Unfixiertheit zurück.



Zu c. Das Hervorquellen des Unbeachteten

In der Meditation entstehen, wie bereits bemerkt, freie Räume im Fenster des Bewusstseins, die sich immer wieder schnell mit zum Teil weit zurückreichenden Erinnerungen füllen. Diese werden bald nach dem Erscheinen als Gedanken wahrgenommen und wie Gedanken (s.o.) behandelt. Da wir diese Gedanken nicht erwarten, werden wir sie mit Sicherheit meist erstaunt einen Augenblick betrachten, sprachlos darüber, das sie überhaupt noch da sind und immer noch gedacht werden können. Es ist eine gute Maßnahme, sich dafür etwas Zeit zu nehmen, Zeit zum Staunen. Staunen aber ist ohne Worte, ohne Ordnung oder Wertung. Staunen ist nur Schauen, das heißt, wir erleben das Motiv dieser Gedanken neu, erlebe ohne zu benennen, zu werten und/oder einzuordnen. Ich sehe solche Gedankenströme als unverarbeitete Erlebnisse der Vergangenheit [1. Erinnerungen und Gedanken sind immer Ereignisse aus der Vergangenheit.], die entweder Eindruck hinterlassen oder Prägungen gezeugt haben, ohne jedoch jemals bewusst wahrgenommen oder in Stille betrachtet worden zu sein. Das wird hier in der Stille und ohne Reflexion nachgeholt, so das diese Motive erfüllt in das Vergessen abgleiten können. Diese Motive schlummern im Sediment des Bewusstseins. Sie an die Oberfläche gelangen zu lassen ist der erste Schritt, ihr Wirken im Verborgenen, das meist wenig hilfreich ist, zu beenden.

Ich denke mir die Arbeit meines Bewusstseins in Meditation etwa so: Mein Leben währt schon fast 70 Jahre, und die Informationsfülle, die ich in dieser Zeit aufgesogen, verarbeitet und gefiltert habe ist unvorstellbar groß. Wichtig für das Verständnis derselben ist die Beschaffenheit des Filters beziehungsweise weiterführend die Assimilationsfähigkeit, mit der ein Bewusstsein diese Unmenge an Daten wichtet, einordnet, kategorisiert und somit zu einem händelbaren Bewusstseinsstrom eindampft. Dabei wird Bekanntes zu Bekanntem, Wünscheswertes zu Wünscheswertem, Langweiliges zu Langweiligem und so weiter sortiert und so nicht weiter beachtet oder verarbeitet, so das Raum entsteht für so sagenumwobene Dinge wie Kultur, Narrative, Moral, Ethik und so weiter.

Meditation ist dann gegeben, wenn …

1. …diese ausgesonderten Filtrate, dieses Eingeordnete und bekannt Langweilige, das ja da ist und wie ein Sediment am Boden des Gefäßes schlummert, im Sitzen zurückgeführt/aufgewühlt wird in ein aufnahmefähiges Bewusstsein, das sich gerade, was das Alltägliche betrifft, in einer Ruhephase befindet. Wir sagen heute gerne dazu, das käme aus dem Unterbewusstsein. Es wird dann betrachtet und behandelt wie einen Gedanken, zunächst mit Staunen, dann evtl. durch den Wechsel auf eine Sinneskonzentration…

2. …das momentan Erlebte ohne Filter aufgenommen, betrachtet und geschaut wird, wenn also das Filtern, Ordnen und Bearbeiten durch Vorstellungen wie Kultur, Narrativ oder Moral unterbleibt. Die Wahrnehmung ist jetzt, hier, einfach und unbeeinflusst.

3. …wenn die Meditationssitzung gefühlt sehr schnell vorübergeht, ich sozusagen denke: Ich habe doch erst zwei/drei Gedanken gedacht, und habe dafür 25 Minuten gebraucht? Wenn Zeit und Raum keine Rolle spielen, so sagt man über Meditation, verbleibt keine Erinnerung.

Meditation ist dann nicht gegeben, wenn…

1. …die Sitzung gefühlt sehr lange dauert und sich ewig hinzieht. Meist sind dabei Träume, Wachträume, Dösen, Nachdenken und Wiederholungen der immer gleichen Gedanken oder sogar kurze Schlafphasen zu verzeichnen.

2. …die Zeit mit Gedankengebäuden und langwierigen Planungen, Formulierungen, Sorgen und Nöten gefüllt wird und sozusagen bereits im Vorfeld zur Zeit nach der Sitzung Überlegungen getroffen werden, die meist mit „Wenn…, dann…“ oder „So würde es gehen…“ beginnen oder enden.

3. Wenn der Körper aufgrund Störungen nicht ruhig zu sitzen bereit ist und sozusagen auf dem Sitz herumrutscht und/oder sich gedankliche Überlegungen einschleichen, was und warum diese und jene Wahrnehmung auftritt. „Ich will doch meditieren…, warum gelingt es nicht?“

Zu d. Hinabtauchen in die tiefen Schichten des Bewusstseins

Die tiefen Schichten des Bewusstseins, von denen ich hier in sehr gewagter Weise schreibe, da ich mich dabei nur auf Bücherwissen, also Beschreibungen von Meditationsmeistern und Wissenschaftlern beziehen kann, haben nach meinen Recherchen nichts mit Zeit, Raum, Wissen, Techniken, Rezepten, Konzepten und festgelegten Neigungen oder Verfahren zu tun, sondern sind die Ebenen, die aus der langen Entwicklungsgeschichte des Menschen stammen. Diese sind/wurden/werden in der Regel durch Kulturinhalte, Narrative, Moral und Ethik überdeckt und so unwirksam gemacht. Diese Schichten enthalten aber nicht nur unerwünschte Inhalte wie Gewalt, Triebe und Überlebensstrategien, sondern auch sehr nützliche und gut ausgestaltete Fähigkeiten, die ich mit Vorsicht als Intuition bezeichnen würde. Diese Schichten zu öffnen erfordert Mut und ein hohes Maß an persönlicher Festigkeit und Zurückhaltung, was nachvollziehbar ist, da eben nicht nur positive Motive zum Vorschein kommen. So erklärt sich auch, warum ein Schutzraum um sich herum, absolute Stille, Unbewegtkeit und innere Zurückgezogenheit für die Meditation notwendige Rahmenbedingungen sind. Es treten eben auch unerwartete Einblicke [1. Der Buddhismus nennt das „Die Versucher“ (Mára, abgeleitet von marati: sterben). Sie werden meist mit Lust, Unzufriedenheit, Gier, Eitelkeit beschrieben und sind die „teuflischen“ Versuchungen, die nicht nur im Alltag, sondern auch in der Meditation auftreten können.] auf, die einen Menschen durchaus aus der Fassung zu bringen in der Lage sind. Diese unbeachtet zu lassen ist wie schon erwähnt eine der großen Aufgaben/Herausforderungen der Meditationsarbeit.

Ich sehe hier nicht, wie wissenschaftliche Methoden hier zu helfen in der Lage wären. Es gibt bezüglich Geist, und mit dem hat das alles zu tun, keine Messmethode. Das bestimmte Hirnregionen aktiviert werden und das dann auf bestimmte Motive gewichtet werden kann, sagt nichts bzw. nicht viel aus über den Inhalt, der hier aktiv ist. Meiner Ansicht nach können nur Stimmungen mit diesen Aktivitätszentren in Verbindung gebracht werden. Und mit den Stimmungen ist das so eine Sache. Mancher bekommt ein gute Stimmung bei gesellschaftlich erwünschten Erscheinungen, aber es geht, wie die Krankenakten der Psychologie und Psychiatrie belegen, auch anders herum. Außerdem sind Messmethoden immer auch mit Aufnahmesensoren und Geräten verbunden. Allein schon deren Anwesenheit wird die Messung beeinflussen. Von der Erwartungshaltung, die sich in/an/mit der Versuchsperson verbindet, möchte ich hier erst gar nicht anfangen. Es gilt das Unschärfeprinzip, das aussagt, das nicht nur die geprüfte Person, sondern auch der Prüfer und das Umfeld der Prüfung auf das Messergebnis Einfluss nehmen. Wie sollen da brauchbare und gesicherte wissenschaftliche Ergebnisse gefunden werden. Selbst die großen Zen-Meister der Geschichte hüllten sich angesichts ihrer Erfahrungen in der Meditation stets in Schweigen und versuchten, ihre Schüler auf sehr personalisierte Weise zu fördern. Manch Schüler bekam Schläge, andere der gleichen Schule wurden gelobt, Dritte wurden lange Zeit so gut wie nicht beachtet und so weiter. Wir alle kennen die Geschichten, die ganze Bücherreihen füllen. Es gibt also kein Rezept und keine Konzepte, die Meditation sinnvoll beschreiben können. Wir sind allein in der Praxis, ganz auf uns allein gestellt, und jeder Übende hat wahrscheinlich seinen eigenen Weg.

So weit zu den Aussagen, die ich machen kann. Das heißt unter Berücksichtigen der oben genannten Fragen, ohne sie auch nur irgendwie Beantworten zu wollen, wird meiner Ansicht nach ein brauchbarer „Schuh“ aus der Praxis des Meditierens. Wohin der Schuh uns führen wird? Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht (mehr) wissen. Ich bin und bleibe in der Frage „Warum Meditation?“ offen, sprich: Unentschieden. Und wenn etwas offen ist, unentschieden, gibt es wenig darüber zu berichten.




Die sportliche Aktivität als Ausgleich für Alltagsbelastungen?!

Das sportliche Aktivitäten als gesund bzw. der Gesundheit fördernd gelten ist ein allgemein gültiges Narrativ und wird heute nicht mehr hinterfragt. Natürlich gibt es auch noch die Vertreter des „Kein Sport bitte…“, aber sie sind der allgemeinen Überzeugung nach zu einer verschwindend kleinen und meist verborgenen bleibenden Minderheit geworden. Stimmt das? Ich denke nicht. Meiner Beobachtung nach betreiben mindestens 50% der Menschen in Deutschland keinen Sport bzw. eine (ich sage das mal einfach so…) sportliche Alibi-Aktivität.



Warum denke ich so? Nun, ich sehe beim Spazierengehen sehr oft Menschen, die Ihre Geh-Runden, Jogging-Runden oder Radler-Runden absolvieren. Und ich sehe viele dieser Menschen ihre Aktivität mit einer verbissenen und physiologisch wenig hilfreichen Qualität ausführen. Dazu tragen ungünstige Körperhaltungen, eine meist einseitige Belastung und ein wenig ausgefeilten Bewegungsspiel bei. Nun gebe ich zu, das meine Beobachtungen sicherlich auch auf einer Perspektive beruhen, die von meiner eigenen Ansicht darüber geprägt ist. Allerdings sind das Beobachtungen ja immer und können auch nicht wirklich ausgeschlossen werden.

Zu den sportlichen Betätigungen unserer Zeit wird häufig angeführt, das unser Körper zu den einseitigen Belastungen des Alltages einen Ausgleich benötigen würde. Dazu zählen mangelnde Bewegungsmöglichkeiten im Büro ebenso wie einseitige körperliche Belastungen wie zum Beispiel das Tragen von Kindern und Gegenständen, handwerkliches Arbeiten oder umfangreiche Laufwege. Zunächst einmal eine nicht ganz dumme Frage: Warum ausgleichen und nicht die die Belastungen abbauen? Wenn wir aber zur Überzeugung kommen, ausgleichen müssen, das ist ein Teil meiner Argumentation, sollte es doch so geschehen, das zur einseitigen Belastung nicht noch weitere einseitige Belastungen hinzukommen. Wenn ich also jeden Tag acht Stunden vor dem Rechner im Büro sitze, sind des Abends zehn Kilometer Jogging oder Radfahren gar kein sinnvoller Ausgleich, da hier durch die Ausdauerleistung und die Arbeit weniger Muskelgruppen nur eine weitere einseitige Last geschaffen und zudem ein extremes Gegenspiel gesetzt wird. Weiterhin können verspannte Muskelgruppen, die durch langes ruhiges Halten bereits inaktiv und meist auch schon fest geworden sind, nicht durch zusätzliche Belastungen entspannt werden. Wie kann eine Belastung entspannen? Wie sollte das geschehen? Zusätzlich stellt sich die Frage: Wenn ich in meinem Alltag Ausdauer, Kraft oder Beweglichkeit nicht brauche, wozu sind dann die Fähigkeiten zu großen Ausdauerleistungen, große Kraft und Beweglichkeit eigentlich für mein Leben gut? Sollten die Ausgleichsleistungen, die so dringend benötigt werden, nicht besser so gestaltet sein, das die Belastungsstörungen des Alltags (z.B. Rückenschmerzen) abgebaut und so Körperkonstitution geschaffen werden, die auf den Alltag abgestimmt sind und zu einem Arbeitsalltag ohne Belastungsstörungen führen können? Es stellt sich wieder die Frage: Wie kann das geschehen?

Zunächst einmal gibt es meiner Ansicht nach keine allgemein gültigen Rezepte dafür. Jeder Mensch gestaltet sich anders aus, individuell eben. Und natürlich hat Sport auch einen Spaßfaktor. Und Sport hat auch einen Suchtcharakter. Jeder Langläufer weiß das. Nun will ich niemanden den Spaß verderben, das ist selbstverständlich. Spaß zu haben ist eine der wirksamen Gesundheitslösungen. Und jeder darf/kann/soll auch das machen dürfen, was Spaß macht, selbstverständlich. Ich sprechen hier aber nicht über Spaß, sondern einerseits über den Suchtcharakter einerseits und besonders über Ausgleichssport zur Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und/oder des körperlichen Wohlgefühls andererseits, der als Mittel zum Zweck betrieben wird. Modern sind ja auch die neuen Vorstellungen, die mit Selbstoptimierung, Selbst-Überwachung und den Vorgaben zur Gesundheitsförderung einschließlich aller Fitness-Trecker (Apps zur Gesundheitsüberwachung in Uhren und Smartphones) zu tun haben.

Zunächst einmal sollte schon im Vorfeld der Überlegungen festgehalten werden, das wir heute in weiten Teilen der Bevölkerung eine deutliche Störung des Bewegungslebens auffinden können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Für eine Analyse der Lösungsmöglichkeiten derselben durch einen Übungsleiter zum Beispiel sind diese aber zunächst einmal nur zum Teil von Belang, da sie meist in Verhaltensweisen zu suchen sind, die der Freiheit des Einzelnen unterliegen. Die Lebenswirklichkeit kann nur der Betroffene selbst ändern, ins Spiel bringen oder ein wenig modifizieren. Für den Übungsleiter heißt es nur festzustellen, welche Übungen und Maßnahmen sportlicherseits helfen könnten, das Problem zu lindern, anzusprechen, sichtbar zu machen und/oder zu bearbeiten/beseitigen. Das ist und bleibt ein schwieriges Unterfangen, denn meist sind die Problemfelder in den Körpern bereits breit verstrickt und mit einem einfachen „so geht es“ nicht zu lösen. Betrachten wir einmal kurz einige Problemfelder, die eine Rolle spielen. Da sind zu nennen die Atmung, die Haltung, die Beweglichkeit, der Leistungswille, die Entspannungsfähigkeit, die Natürlichkeit in der Bewegung, die Innen- und Außenbewegung und die Energie, die allen Genannten zugrunde liegt.



Beginnen möchte ich mit der Innen- und Außenbewegung. [1. Die beiden Begriffe stammen von Dore Jacobs, die schon 1985 zwei wunderbare Bücher über die menschliche Bewegung (ISBN: 3 7800 6038 8) und Bewegungslehre (ISBN: 3 7800 6039 6) geschrieben hat.] Die Außenbewegung ist der eine Part der menschlichen Bewegung, der sich in Gymnastik, Yoga und Körperbildungs-Bewegungen ausdrückt, aber auch in Arbeit und Haltungen im Alltag. Die Innenbewegung ist die autonom oder halbautonom begleitende Atem und Kreislaufbewegung sowie die ergänzenden Organtätigkeiten, die sowohl den Körper als auch den Geist erst möglich machen. Im Grunde sind beide gar nicht zu trennen, weil ohne Letztere Leben an sich gar nicht möglich wäre. Was immer ich auch tue, denke, wahrnehme oder auslebe, es wird begleitet von Innenbewegungen. Die wörtliche Unterscheidung ist lediglich hilfreich, um beschreiben zu können, warum wir heute in Europa in der Wahrnehmung unserer Innenbewegung so erbärmlich schwach sind und diese Schwäche in übertriebener Außenbewegung und/oder Geistesarbeit zu überdecken versuchen. Die Unterscheidung ist notwendig, um aufzuzeigen, das da noch viel mehr ist als in der Leibeserziehung und -wahrnehmung allgemein angenommen wird.

Beginnen wir der Reihe nach mit der Atmung. Die Atmung ist eine Innenbewegung und somit ein autonomes System, auch wenn der Wille bzw. Geist gezielte Vorgaben für das Atmen einfordern kann. Denn im Grunde können wir den Atem nur in einer groben Form geistig beeinflussen wie zum Beispiel „nur die Bauchatmung zu nutzen“, länger Ein- oder Auszuatmen und/oder Atempausen zu machen. Beim Schwimmen können wir nur dann atmen, wenn der Kopf aus dem Wasser herausragt. Andere Sportarten bevorzugen bestimmte Atemformen, um das Ergebnis einer Handlung positiv zu beeinflussen. Immer betroffen sind Rhythmus, Länge und die großen Bewegungen, die der Mensch in Bezug zum Atem fühlt und spürt. Für die wirklich wichtigen Atemvorgänge aber, wie der Austausch von O2 und CO2 in den Bläschen und Kapillaren und der Transport über das Blut aber steht keine willentliche Beeinflussung zur Verfügung. Daher sehe ich die Atmung als autonom an und befürworte Atemkontrolle nur in Form hilfreicher Gesten, nicht aber als Mittel zur Umerziehung. Unterschieden werden häufig Hautatmung, Bauchatmung, Brustatmung, Rückenatmung, Flankenatmung und so weiter. Was mir in aller Regel fehlt, ist die Anmerkung, die gleichzeitig Einschränkung ist, das alle dieser Arten meist individuell gemischt auftreten und daher Vorgaben als allgemeine Regel vollkommen sinnlos sind. Häufig wird die Bauchatmung besonders hervorgehoben, aber sie allein kann doch wohl nicht das Nonplusultra sein. Ich bevorzuge, wenn ich denn gefragt werde, als optimale Atemform die „individuell ausgeprägte Vollatmung“ bei der alle möglichen Formen zusammenwirken. Sicherlich, wenn jemand eine ganz bestimmte Form der Atmung warum auch immer gar nicht vollziehen kann, sollte er diese vielleicht lernen. Aber das neu Gelernte ersetzt das Altbewährte nicht und sollte nur als mögliche Ergänzung angesehen werden. Viel wichtiger ist in meiner Vorstellung, den Körper so zu formen und in standzuhalten, das weder Verspannungen noch Gewohnheiten sowohl die Atmung als auch andere Bereiche der Innenbewegung behindern können. Der Körper entscheidet dann, wie er atmet, und nicht der Geist. Neben der Nahrungsaufnahme ist die Atmung die einzige Hauptfunktionalität, mit der ein Mensch bewusst auf seine Innenbewegung einwirken kann.

Die nächste große Funktion bzw. Einflussfaktor auf die Innenbewegung ist die Haltung in dem Sinne, das der Mensch versuche solle, seine Körperform so zu gestalten und auszurichten, das jede erwünschte Form der Innenbewegung möglich bleibt. Sinn dieser Forderung ist es, jede Art von Schmerz, von Verspannung und Beeinträchtigung im Körper des Menschen soweit zu reduzieren, wie das möglich erscheint. Natürlich kann hier kein für alle Menschen gültiges Programm aufgesetzt werden, das behaupten würde, die und die Übungen würden ein garantiert gesundes und langes Leben herstellen oder begünstigen. Das wäre absurd. Der junge Mensch ist lange bevor er seine Möglichkeiten erkennen und wahrnehmen kann bereits durch seine Umwelt derart geprägt, das daraus folgend nahezu immer ein individueller Status als Ausgangsposition vorausgesetzt werden muss. In Frage der Haltung muss weiterhin unterschieden werden zwischen der äußeren Ausformung der körperlichen Strukturen und der inneren Haltung, die ich in dem weiteren Text als „Mentale Einstellung“ bezeichnen werde. In diesem Abschnitt geht es fast ausschließlich um den ersten Punkt der Haltung, den körperlichen Strukturen sozusagen, die wie bereits weiter oben erwähnt auf die inneren Strukturen Einfluss nehmen können. „Wie geschieht das?“ ist dazu eine Frage und die zweite fragt: „Was ist eine ‚gesunde‘ Haltung?“ Beginnen möchte ich mit der Zweiten.



Eine ‚gesunde‘ Haltung ist keine ganz bestimmte Körperform, keine ganz bestimmte Form des Körperbaus, der Aufrichtung oder des ganz allgemeinen Bewegungsspiels oder gar der Ernährung. Eine gesunde Haltung ist die Fähigkeit des autonomen inneren Systems, sich nahezu jederzeit auf äußere Umstände, sei es Arbeit, Sport, Ruhe oder andere Anforderungen einzustellen und die Funktionalität des Menschen passend zur Aufgabe einzustellen. Dazu gehören die genau passende Bereitstellung von Sauerstoff und der Abtransport von CO2 in Form von Atmung, die Bereitstellung von Zellennahrung über Verdauung, Kreislauf, Säfte, Hormone und Botenstoffe, die Einstellung der Körpertemperatur, die Fokussierungen wie Aufmerksamkeit, Gelöstheit, Konzentration und und so weiter. Dazu gehören selbstverständlich auch die nervlich strukturierten Systeme, die ja zum Teil wie die Atmung auch bewusst angesteuert werden können. Da gibt es insgesamt gesehen ein weites Feld von Abhängigkeiten und Anpassungen. Haltung drückt sich immer aus in den genannten Fokussierungen. Der Torwart, der einen Torschuss erwartet braucht eine andere Fokussierung als ein Angestellter, der nach erfolgreicher Arbeit zu Hause in seinen Sessel sinkt und entspannen möchte. Das Kochen in der Küche ist anders fokussiert als eine Schreinerarbeit. Ich denke mal, jeder kann das bestätigen. Die Frage aber, um die es gehen sollte, ist doch die, ob unsere Körper zu dieser erwünschten Anpassung überhaupt (noch) in der Lage sind. Und da sind wir bei der zweiten Frage angelangt: „Wie geschieht das?“. Wie viel Einfluss hat der Mensch kurzfristig auf die genannten Fokussierungen? Die Antwort ist meist einfach: „Keinen“.

Einige Beispiele sollen das Problem verdeutlichen:
A. Eine nach vorne herabhängende Schulter und der damit verbundene Rundrücken sind nicht nur ein Haltungsfehler, der einfach „unschön“ aussieht. Diese Haltung beeinträchtigt die Atmung in der Gestalt, das die Lungen nur (noch) in den oberen Bereichen durchlüftet wird. Die Lungenspitzen bekommen wenig bis gar nichts mehr ab. Die Folgen davon sind ein schnellerer Atemrhythmus und damit kürzere Verweilzeiten der Luft in der Lunge. Diese Not-Anpassung wird die Qualität der Atmung deutlich herabsetzen. Wir atmen dann viel öfter als notwendig und haben dazu noch deutlich weniger Erfolg damit.

B. Ein nach vorne gekipptes Becken und folgend das hochgezogene/hochgehaltene Gesäß machen eine Vollatmung unmöglich. Meist fehlt die Flanke bei der Atmung völlig, der Bauch trägt nur wenig bei und der Mensch ist gezwungen, fast ausschließlich hoch zu atmen. Die falsche, meist schnell auch noch festgefügte Beckenhaltung beeinträchtigt das Zwerchfell beim Absenken-Können, so das die Schwerkraft zum Atem wenig beiträgt. Muskelkraft muss aufgebracht werden, um den Brustkorb zu weiten. Diese in Europa häufig zu sehende Fehlhaltung ist wenig effektiv und verbraucht viel Energie für wenig Erfolg. Kurzatmigkeit ist die Folge, schnelle Atemrhythmen schon bei kleiner Belastung und eine Minderung der Leistungsfähigkeit sind die Folgen.

C. Eine übertrainierte Beinmuskulatur und die Unfähigkeit, seine Beine zu strecken bewirkt durch die Anforderung, aufrecht zu sein ein nach vorne gekipptes Becken und damit die in Abschnitt zuvor bewirkten Atem-Minderungen. Gleichzeitig wird ein Bewegungs- und Haltungsbild erzeugt, das einem Menschen das gerade zu stehen, das locker zu gehen und sich leicht zu bewegen unmöglich macht. Unfunktionale Züge durch verkürzte Muskeln verhindern ein sich locker Ausbalancieren, nötigen zum Feststellen und behindern damit nahezu alle so dringend gebrauchte Innenbewegungen.

Eine Bewegungsschulung sollte daher immer dafür sorgen, das die genannten Fehlhaltungen ausgeglichen werden. Ein Horchen auf die Innenbewegungen ist dafür viel wirkungsvoller als das pure Erlernen von Technik. Es geht nicht um das „Was mache ich“ oder das „Wie mache ich“, sondern es geht darum, wie mein Innenleben auf meine Alltagsanforderungen reagiert und wie ich durch Gymnastik, Sport und Yoga helfen kann, dieses Spiel wieder lebendig zu bekommen. Es geht um Qualität und nicht um Quantität. „Viel hilft viel“ ist dabei vollkommen fehl am Platz.

Vielleicht muss noch gesagt werden, das Atem immer aus drei Bewegungen besteht: Einatem, Ausatem, Atempause, wobei die Letztgenannte eine sehr wichtige Rolle spielt. Ohne Atempause kann sich die Chemie des Atems nicht vollkommen entfalten und bewirkt Kurzatmigkeit und Leistungsminderung.



Kommen wir dann zu dem Thema Beweglichkeit. Wie viel davon ist erforderlich? Wie komme ich damit auf ein Maß, das meinen Ansprüchen, besser noch meinen Anforderungen genügt und wie fange ich an, das zu erreichen? Das sind alles Fragen, die einzeln nicht ausreichend beantwortet werden können. Unsere Beweglichkeit ist im Grunde genommen bereits ein Anpassungsprozess der Innenbewegung, denn hier wird die Muskulatur nicht gezogen oder gedehnt, sondern auf ein Spannungsfenster eingestellt, das sich orientiert an den Alltagsbewegungen. Wenn ich regelmäßig und konstant bestimmte Bewegungen ausführe, stellt sich die bewegte Muskulatur mit der Zeit auf diese Länge nicht nur ein, sondern ergänzt sie zusätzlich noch mit etwas Spielraum, schon um Verletzungsgefahren zu reduzieren. Bei Arbeitsbewegungen und leichten tänzerischen Posen ist das relativ einfach. Spannend und vielschichtig aber wird es, wenn zusätzlich dicht an der Beweglichkeitsgrenze große Krafteinwirkungen notwendig werden. Ein weit ausfallender Spreizschritt mit plötzlichem Halt zum Beispiel beim Tennis verbunden mit einer schleudernden Körperbewegung in eine Drehung hinein, der Schlag mit dem Schläger auf den Ball, eine schnell darauf folgende Entspannung und dann der Start in die nächste Laufbewegung hinein ist so ein Fall, der so einfach nicht zu gestalten ist. Beweglichkeit in Kombi mit großer Kraft und Ausdauer verlangen ein genau dosiertes regelmäßiges Körpertraining. Einfach so auf den Platz zu gehen und zu spielen erhöht die Verletzungsgefahr bei diesem Sport auf ein Vielfaches. Gleiches gilt für Laufen, Fuß- und Handball, Skifahren und andere beliebte Sportarten. Auch Wandern in den Bergen zum Beispiel gehört dazu. Was die Beweglichkeit zusätzlich zu steigern vermag ist eine gute Entspannungsfähigkeit. Dazu aber erst später mehr. Im Beweglichkeitstraining genügt es meist, einfach an seiner Beweglichkeitsgrenze gymnastisch zu arbeiten. Stellt man sich seine Beweglichkeit als ein Wiesengrundstück vor, so arbeiten wir sinnvollerweise innerhalb der Begrenzung und somit stets dicht am Zaun. Alles Weitere besorgt die Innenbewegung in Form von autonom gesteuerten Anpassungsprozessen. Wie weitreichend die Beweglichkeit ausgeformt werden sollte ist ebenfalls eine individuelle Größe. Die Anforderungen des Alltags sollten den Umfang einer Beweglichkeitsempfehlung bestimmen. Viele sportliche und freizeitliche Anforderungen wie Tanzen, Wandern, Tennis oder Ballspiele uns so weiter erfordern unterschiedliche Körperkonstitutionen, weil sie unterschiedliche Belastungen enthalten. Ein körperlich arbeitender Mensch hat andere körperliche Bedürfnisse als ein sitzender Mensch im Büro. Für mich gilt daher als Norm, das jeder Teilnehmer einer Yoga- oder Gymnastikveranstaltung die Übungen machen sollte, die seinem Alltagsbedürfnis entsprechen. Große Beweglichkeit, hohe Kraftanforderungen und lange Ausdauer sind nicht zusammen in einer Ausstattung zu haben. Sie behindern sich auf die eine oder andere Weise. Sie müssen daher individuell abgestimmt werden. Trotzdem gibt es in meiner Vorstellung eine allgemeine Regel: Die Innenbewegungen sollten durch ein Trainingskonzept nicht eingeschränkt werden. Bei purem Beweglichkeitstraining ist die Gefahr, sich Einschränkungen einzufangen, eher gering. Allerdings sollte die erreichte Beweglichkeit beim Üben auf jeden Fall durch passende Ausdauer- und Kraftübungen ergänzt werden. Auch hohe Beweglichkeit muss stabil und leistungsfähig ausgestaltet sein.

Kommen wir in kurzer Form zu Kraft- und Ausdauer. Und ein jeder kennt wohl die Auswirkungen, die ein zu viel davon darstellen: Rein ausgeformte Muskelpakete auf der einen Seite und extrem verhärtete Hungerhaken sind wohl im Volksmund eine beliebte satirische Bezeichnung für die beiden Extremprägungen. Beide haben ihre extremen Schattenseiten. Beide sind in der Beweglichkeit meist massiv eingeschränkt, die einen durch die Vergrößerung und die anderen durch die Versteifung der Muskulatur. Von diesen extremen Prägungen einmal abgesehen müssen die Fähigkeiten zu Kraft und Ausdauer mit der Beweglichkeit des Menschen harmonieren. Ich sagte es bereits. Unharmonische Prägungen belaste die Innenbewegungen und überfordern die Leitungsfähigkeiten der inneren Organe, die den erhöhten Verbrauch von Brennmaterial, Sauerstoff und Entgiftung ja auch irgendwie schultern müssen. Dazu kommen bei extremen sportliche Leistungen oft auch Medikamentenkonsum (Schmerzmittel) und/oder Nahrungsergänzungsmittel hinzu, was den Organismus zusätzlich belastet. Mit anderen Worten: Kraft und Ausdauer ist solange gut, wie die Innenbewegungen ungehindert ihre Arbeit bewältigen können. Alles Weitere wird sich auf Dauer als wenig nachhaltig herausstellen. Hier eine allgemeine Grenze oder rote Linie ziehen zu wollen ist eher ungeschickt. Hier muss von Fall zu Fall bzw. von Mensch zu Mensch gestaltet werden.



Gehen wir weiter in den oben genannten Stichworten. Ein wirklich schwieriges Element in der sportlichen Trainingslandschaft stellt der individuelle Leistungswille oder anders herum formuliert der Leistungsgedanke an sich dar. Viele Menschen sind heute bereit, sowohl in der Arbeit als auch im sportlichen Training sehr hohe Leistung zu bringen, bedenken aber oft nicht die Folgen, wenn dieser Wille auf eine körperliche Konstitution trifft, die diesem Leistungsgedanken nicht gewachsen ist. Ich betreue seit 45 Jahren Gruppen von Menschen in Gymnastik, Sport und Yoga, und ich mache immer wieder die Erfahrung, das der Wille eines Neueinsteigers, mit den anderen mithalten zu können oder sich den notwendigen Korrekturen durch Ausweichen zu entziehen, sehr groß ist. Das ist verständlich, denn wir leben ja in einer Leistungsgesellschaft, aber nützlich und hilfreich sind diese Aktionen nicht. In der Körper- und Bewegungsbildung hat der Leistungsgedanke wenig Sinn, denn sowohl Ausweichbewegungen in den Übungen noch Übertreibungen darin werden die allseits zu beobachtenden Schwachstellen nur verschleiern, aber nicht entfernen können. Wenn eine von mir betreute Gruppe sich etabliert hat, muss ich viel mehr Zeit damit verbringen, die Teilnehmer zu bremsen, also auf ein ihnen zuträgliches Leistungsniveau zu setzen als damit, notwendige Korrekturen und Zwischenlösungen anzubieten und zu etablieren. Ich verstehe sehr gut, das man sich nicht gerne in seinen Schwachstellen zeigen möchte, aber, und das ist entscheidend, ein Übungsleiter muss/sollte die Schwachstellen seiner Teilnehmer kennen. Wie anders kann er das Training und seine Inhalte an die Erfordernisse anpassen. Jeder Mensch hat Schwachstellen. Die Frage ist doch mehr, behindern diese die Lebensabläufe oder wäre ihre Abwesenheit nur „nett zu haben“. Jeder würde doch wohl, um ein Beispiel zu gestalten, gerne mal einen Marathon gewinnen, aber muss das unbedingt sein und ist das den Aufwand wert, der dazu notwendig ist. In meiner Vorstellung sind Spaß und Freude am Sport deutlich höher zu bewerten als eine sichtbare Leistung.

Kommen wir dann zur Entspannungsfähigkeit. Das ist, grob gesagt und Ausnahmen bestätigen die Regel, ein großes Problem in unserer Sport- und Lebenswelt. Die Fähigkeit sich zu entspannen ist in meiner Vorstellung in der Ausübung jeder Sportart, und da schließe ich auch Gymnastik und Yoga mit ein, entscheidend, denn nur ohne Spannung lässt sich Spaß und Freude am Sport verwirklichen. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, wo man nach einem Sportturnier gemeinsam mit seinen Gegnern entspannt und wohl gelaunt feiern ging. Da gab es keine traurige und verzerrte Gesichter, wenn man bei Meisterschaft oder Turnier nur Zweiter geworden war. Vorherrschend war die Freude am gemeinsamen Wettkampf. Das sieht man heute nur noch selten. Heute scheint selbst der Zweite schon ein Verlierer zu sein und fristet unbeachtet im Schatten des Siegers sein Dasein. Und das gilt sowohl für Zuschauer als auch für die Akteure. Was ich damit ausdrücken möchte ist die für mich selbstverständliche Beobachtung, das es ein Begleitmoment des Entspannt-Seins ist, angemessen siegen oder verlieren zu können. Ohne das ist Sport nur noch Kampf und Leistungs-Krieg. Weder Triumph noch Verzagen sollte hier einen übermäßigen Ausdruck finden. Es geht eben nur um Spaß und Freude. Nun gibt es in Gymnastik und Yoga ja keine Wettkämpfe, wenn man mal die Sportgymnastik als Ausnahme ansieht. Ich bin der Überzeugung, dass das Sich-Vergleichen mit anderen in diesen Bewegungs- und Trainingsformen nichts zu suchen hat. Beide lehren ein Sich-Bewegen und Sich-Entspannen können, ja mehr noch, Entspannen ist dabei das Gleiche wie die Geschwindigkeit beim Laufen oder die Torbilanz beim Ballspiel, sie ist das zentrale Trainingselement. Und dabei haben Ich-gesteuerte Emotionen keinen Platz. Diese in Mode gekommene Unsitte ist Unsinn und auch nicht nachhaltig.
Was, kommen wir zu eigentlichen Thema zurück, ist eigentlich Entspannung? Schauen wir uns mal zwei typische Definitionen dazu an:



  • Unter dem Begriff Entspannungsverfahren werden Techniken zusammengefasst, die körperliche und seelische Anspannung reduzieren sowie das allgemeine Wohlbefinden fördern sollen. Entspannungsverfahren werden als übende Verfahren bezeichnet, da deren positive Effekte durch regelmäßiges Üben zunehmen. [1. DocCheck Flexikon, https://flexikon.doccheck.com/de/ Entspannungsverfahren]
  • Entspannung, psychophysischer Zustand mit einer geringen Aktivierung, subjektiv und physiologisch besonders deutlich nach einer vorausgegangenen Anspannung, die sich unter Ruhebedingungen oder durch aktive Entspannung löst. Entspannung hat verschiedene Aspekte, wobei neben dem Erleben von emotionaler, geistiger und körperlicher Beruhigung und Gelöstheit typische physiologische Veränderungen eintreten… [2. Spektrum.de, https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/entspannung/4161]

Während die erste Definition Entspannungsfähigkeit scheinbar nur als eine Technik, also ein Mittel zum Zweck anzusehen scheint, zeigt die Zweite das ganz anders. Ein Zustand geringer Aktivierung, der scheinbar nur nach einer Anspannung als Lösung auftritt und zur Beruhigung dienen soll. Entschuldigen Sie meine Unnachgiebigkeit, aber das ist beides vollkommen verfehlt und nicht das, was Entspannung und die Fähigkeit dazu zu leisten vermag. In meiner Definition ist Entspannung ein Gleichgewichtszustand, der die Innen- und Außenwelt des Menschen in einen Gleichklang, auch gerne Einklang genannt, zu bringen vermag. Hierbei ist die mentale Einstellung (s.o.) zwar als eine Bedingung der Außenwelt anzusehen, aber sie ist sicherlich auch ein wichtiges Bindeglied zwischen diesen Welten. Nehmen wir einmal an, die Außenwelt verlangt eine ganz bestimmte Leistung in Form von Arbeit, Bewegung oder einer verwandten Aktion. Dann sollte doch, um Erfolg zu haben, die Innenwelt die erforderlichen Ressourcen bereitstellen, die dafür notwendig sind. Tut sie das, wird das Projekt mit sehr guten Voraussetzungen starten können, bringt sie das nicht, ist doch wohl ein Scheitern höchst wahrscheinlich. Für die Bereitstellung der Ressourcen aber muss der Körper reagieren, muss sich gestalten und verändern können. Das ist nur möglich, wenn ich ihn seine autonome Aufgabe vollziehen lasse und ihm dabei die Freiheit gebe, das auf seine Weise zu tun. Diese Freiheit zu haben nenne ich Entspannung, und das gilt sowohl organtechnisch, bewegungstechnisch als auch mental. In der Spezialität von Spannung nenne ich das auch gerne Tonus, was nicht weniger bedeutet als die Fähigkeit, sofort und unmittelbar reagieren zu können, weil der Körper bereit ist und über die notwendigen Ressourcen (Kraft, Beweglichkeit, Spannung, Ausdauer, Atemvermögen usw.) bereits verfügt. Entspannungsfähigkeit ist somit in der Definition ein Prozess, der sich nur im Fenster der verfügbaren Ressourcen bewegen kann. Dieses Fenster ist nie Nichts und auch selten Alles, was sein könnte. Wenn ich zum Beispiel in einer Körperpartie beweglicher werden möchte, also zu dehnen beabsichtige, muss ich erstens bereit sein, die zu dehnenden Muskeln zu entspannen. Dann muss ich zweitens eine Möglichkeit finden, andere Körperpartien in mir zu finden, die es ermöglichen, diese Muskel auch zu öffnen oder zu lösen, weil sie deren Haltearbeit übernehmen. Dann muss ich drittens bereit sein, die notwendige Öffnung so vorzunehmen, das die betroffene Muskulatur einen so starken Impuls erhält, das diese auch öffnend reagiert und ich muss viertens darauf achten, dabei nicht zu übertreiben, da der zu öffnende Muskel sonst in eine sich schützende Verspannung zurückfällt. Die Erfüllung all dieser Bedingungen nenne ich Entspannung in einem Dehnvorgang. Ähnliche Bedingungen finden sich auch bei der Arbeit und bei Ausdauerleistungen, wobei die angewendeten Kräfte zur Bewältigung der Aufgabe auch bereit stehen und der Tätige das auch in seiner Selbstwahrnehmung auch richtig erkennen sollte. Entspannungsfähigkeit ist also bei mir nicht ein Vorgang des sich vollkommen Fallenlassens oder dient einem Zweck wie der Erholung, sondern ist ein stets aktiver begleitender Prozessparameter innerhalb der Tätigkeiten wie Gymnastik oder Yoga, Sport und Arbeit. Erst anstrengen und dann entspannen ist nicht gefragt. Entspannung und Anstrengung gehen parallel als Prozessparameter in eine Tätigkeit mit ein.



Wenn man ohne Vorkenntnisse oder Erwartungen zwei Menschen bei einer gleichen Bewegung in Arbeit oder Sport beobachtet, wird man niemals das Gleiche sehen. Jeder Mensch bewegt sich anders, verhält sich anders und drückt sich anders in seinem Involviert-Sein aus. So kommt zum Beispiel der eine Läufer vollkommen abgehetzt und fertig durch die Ziellinie, während ein Anderer scheinbar mühelos und wie entspannt die gleiche Linie erreicht. Besonders deutlich erkennt man das am Gesichtsausdruck und der Haltung. Interessant ist, das die Natürlichkeit einer Bewegung und deren Ausdruck sich stets auch in Haltung und Gestimmt-Sein ausdrücken. Natürlich ist eine Bewegung dann, wenn sich die Innenbewegung und die Außenbewegung harmonisch zueinander verhalten und innen die Ressourcen bereitstehen, die für die Außenleistung gebraucht werden. Gerät ein Sportler an seine Leistungsgrenze, sollte er eigentlich das erkennen und entsprechend seine Aktion einstellen oder unterbrechen. Nur zählt ja im Sport meist das Ankommen, die Quantität, die erfolgreiche Lösung der Aufgabe oder das Ausstechen des Gegners, zählt oft also nur noch der Ehrgeiz und die Leidensfähigkeit oder mit anderen Worten seine Grenzen maßlos zu überschreiten. Ich halte das für einen grandiosen Fehler unseres Denkens und versuche daher, diese Überschreitungen in meinen Unterricht zu verhindern. Dies geschieht dadurch, das ich die Natürlichkeit im Ausdruck meiner Teilnehmer in Auge behalte und wenn notwendig einschreite. Erhöhte Atemfrequenzen, verzerrte Gesichter einerseits und Gelassenheit und freudvoller Ausdruck anderseits sind dafür gute Bewertungsparameter. Gymnastik und Yoga kann nur gelassen und mit Freude an Bewegung erfolgreich praktiziert werden. Alles andere ist Illusion.

Was jetzt noch fehlt ist eine Erläuterung des Begriffes der Energie. In der Bewegungslehre ist Energie immer definiert als das innere Potential, eine Bewegung ausführen, halten oder fortsetzen zu können. Sie kommt von innen und ist letztlich betrachtet die Grundlage jeder Veränderung, zu der auch Bewegung, Öffnung, Dehnung, Leistung und so weiter gehören. Letztlich ist ein Organismus wie ein Körper mit all seinen Funktionen auf Energie angewiesen und es ist müßig, sich darüber zu streiten, ob diese eine grundlegende oder abgeleitete Größe darstellt. Wo immer sich etwas bewegt, ist Energie notwendig. Nun gibt es sowohl im Yoga als auch in mehr westlich geprägten Sportarten verschiedenste Theorien, wie, was und woher diese Energie ihren Ausgangspunkt und ihre Aktivität findet. Ich halte diesen Ausdruck „Energie“ daher lediglich für einen Namen, der ein eingegrenztes Feld innerhalb einer Lehre darstellt, die sich mit Veränderung oder Bewegung beschäftigt. Aussagen wie „Alles ist Energie“ oder „Das ist viel Energie“ oder „Spüre die Energie in dir“ sind Ausdrucksformen einer Innenbewegung, die jeder Mensch auf seine Weise in sich zu spüren vermag. Sie sind nicht Aussagen zur Weltbeschaffenheit oder anderer philosophischer Theorien.

Soweit zunächst einmal die Begrifflichkeiten, die ich verwende, und deren Gehalt in meiner Ansicht zum Thema. Wie sich das dann im Unterricht ausgestaltet und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, überlasse ich jedem Leser/Teilnehmer selbst. Ich selbst bemühe mich im Unterricht, diese genannten Positionen so gut wie möglich zu vertreten und für jeden meiner Teilnehmer ein angemessenes Programm zu gestalten, so weit das in einem Gruppenunterricht möglich ist. Wichtig für mich ist, das ein Teilnehmer die Halle oder das Studio freier in der Wahrnehmung seiner Selbst verlässt als er/sie diese Räume betreten hat. Und wenn dann von den Erklärungen, Vorschlägen, Anweisungen und Ratschlägen etwas hängen bleibt und/oder gar zur Lösung eines Bewegungsproblems beiträgt, habe ich meine Arbeit erfolgreich getan.

Vielen Dank für Ihre Geduld … und gutes Gelingen weiterhin …




Der Karma-Gedanke in der Verdrängung

Die Idee vom Karma, wie sie allgemein üblich vertreten wird, ist etwa folgende: Wenn du im Leben gutes tust, dann wirst du dafür belohnt, wenn du böses tust, dann wirst du dafür bestraft. Und damit all das auch in aller Gerechtigkeit von statten geht, sitzt da irgendwo ein allmächtiger Buchhalter und macht Kreuze und Stiche, führt also ein Konto über seine Schäfchen.

Nun ist das ja alles schön und gut, aber … ich bin ein Vedantin, das heißt, ich glaube nicht an einen von mir getrennten Gott irgendwo, sondern… und da fängt es schon an, schwierig zu werden. Und bei aller Suche im Innen und Außen habe ich den Buchhalter noch immer nicht gefunden. Irgendetwas an dieser einfachen Sichtweise ist falsch, und ich möchte in ein paar Beispielen zu begründen versuchen, warum das so nicht stimmen kann:

  • Wenn es einen allmächtigen Gott gibt, warum degradiert er/sie/es sich zu einem Buchhalter. Warum führt er Buch über Gut und Schlecht, wo er doch bestimmen könnte, was geschieht. Warum gestattet er seinen Schäfchen Sünden, um sie dann zu bestrafen. Ist er vielleicht doch ein Sadist?
  • Warum darf Arjuna in der Gita morden, ohne schlechtes Karma aufzubauen, während seine Gegner in der gleichen Schlacht verdammt werden? Warum macht der allmächtige Krishna dem grausamen Spiel nicht gleich ein Ende?
  • Wie kommt es, das Gut und Schlecht sich im Laufe der letzten tausend Jahren immer wieder wandeln konnten. Was heute Gut ist, kann morgen schlecht sein und der Erfolg: heute gutes Karma, morgen schlechtes? Und das soll ein kosmisches Gesetz sein?
  • Wie wir aus den Yoga-Sutren lesen können, sind Zuneigung und Abneigung gleichermaßen zu meiden. Sind wir also dem Guten zugeneigt, ist das Schlecht, sind wir dem Schlechten zugeneigt, ist das auch schlecht. Was nun?

Die Liste dieser Fragestellungen könnte noch viele Seiten füllen. Aber es sollte klar geworden sein, das sich etwas in dieser Denke einfach nicht zusammen reimt.

Ich möchte hier einen anderen Ansatz vorstellen. Dieser Ansatz ist ein bisschen weniger einfach, aber doch etwas weniger mit Fragen behaftet. Zunächst sind ein paar Leitgedanken festzuhalten, die mittlerweile, wo die Kulturen sich vermischen und berühren, allgemein anerkannt sind:

Gut und schlecht sind festgefügte Formen der Konvention.

Das bedeutet, das in der einer Konvention (Kultur) etwas gut sein kann, was in einer anderen als schlecht betrachtet wird. Und Konventionen sind überwiegend unbewusste Steuerungsmechanismen, Bedingtheiten, über die wir selten reflektieren.

Der Mensch ist ein psychologisch bedingtes Wesen

Der Mensch unserer Zeit ist viel mehr als bedingt anzusehen, als dies je in einer Zeit zu Bewusstsein gekommen sein kann. Und Bewusstsein, so wie wir es üblicherweise verstehen, ist nur ein kleiner Teil unseres Wesens, der über einem riesigen unbewussten Eisberg herausragt. Regiert wird der Mensch aber vom Ganzen, und so weiß er nur wenig über seine wahren Motive und Hintergründe.

Der Mensch ist eine Einheit aus Körper, Geist und Seele

Wir mögen es nicht wahrhaben, aber der Mensch ist Mensch nur als Ganzes. Wir essen nicht mit dem Körper, denken mit dem Geist und lieben aus unserer Seele heraus, sondern alle drei, die niemals getrennt waren, essen, denken und lieben gleichermaßen. Sie sind eins, nicht drei!

Alles ist Energie und gehorcht daher energetischen Prinzipien

Gleichgültig, ob Gedanke, Handlung, Gefühl, Wahrnehmung oder Stimmung, alles das ist Energie und gehorcht daher auch den Prinzipien, die für Energie allgemein gefunden werden können.

Wenn wir diese vier Sätze akzeptieren, und das sollte uns nicht schwer fallen, dann kann ein Karma-Gedanken geformt werden, der sehr viel klarer und genauer beschreibt, wie Karma wirkt und existiert.

Mit einem Beispiel lässt sich dies sehr anschaulich beschreiben:

Einem Bekannten geschieht ein Missgeschick, und durch dieses werde ich verletzt, gekränkt oder beleidigt und in mir baut sich eine Energie auf, die wir als Wut bezeichnen und die gegen den vermeintlichen Verursacher der Kränkung gerichtet ist, der damit in mir diese Wut provoziert hat. Er trägt damit Schuld und baut schlechtes Karma für sich auf. Aber auch ich baue schlechtes Karma auf, denn ich fröne einer Wut, die gesellschaftlich verpönt ist. Dumm gelaufen, sagt man dann dazu. Aber dieser allgemein anerkannte Gedanke ist falsch! Nachfolgend will ich versuchen, dies zu erläutern:

Das Missgeschick: Missgeschicke durchziehen unser tägliches Leben wie die Luft, die wir zum Atmen brauchen. Aus ihnen entsteht Kummer und Leid ebenso wie manche Freude und Glück. Es ist eine Frage des Bewusstseins, dies zu erkennen und zu akzeptieren. Es hätte besser laufen können, ja, ist es aber nicht. Ist der, dem daher ein Missgeschick geschieht, schuldig? In aller Regel kennt die Konvention dafür eine einfache Regelung: Man entschuldigt sich und gut ist es!

Die Kränkung: Eine Kränkung wird uns nicht von außen zugeführt, sondern sie entsteht in uns selbst. Sie ist damit eine Energie, die aus uns selbst entsteht, in uns wirkt und in uns vergeht. Sie ist also salopp gesagt etwas „was uns gehört“, von uns gebildet wird, gelebt wird und auch wieder abgetragen wird. Kein Außenstehender vermag uns dieses an zu tun, wenn wir es nicht selbst wollten oder unbewusst vollziehen. Eine wahrgenommene Kränkung, einmal genauer betrachtet, ist eine Differenz zwischen unserem Selbstbild und einer Wahrnehmung, die diesem widerspricht. Sie ist damit etwas eigenes. Fügt mir also jemand eine Kränkung zu, so ist der Ausdruck oder Handlung des Anderen mit unserem Selbstbild nicht vereinbar. Das könnte uns kalt lassen, nicht bewegen oder aber zu Erläuterung und Öffnung einladen, aber kränken?

Die Wut: Mit der Wut verhält es sich wie mit der Kränkung, sie ist eine eigene Energie und dies sogar vollkommen. Und sie nur ist eine der möglichen Ausdrucksformen einer Kränkung (ist etwas, was krank macht!). Auch Trauer, Depression oder Zorn könnte Kränkung ausdrücken. Sie ist eine Energie, die Raum braucht und gelebt werden will. Sie muss nicht zwangsläufig ausgedrückt werden oder in Handlung münden. Ob und wie dies geschieht, ist eine Frage der Bewusstheit und Selbstanschauung!

Setzt ich diese Beschreibungen klar und präzise um, so entsteht aus der kränkenden Situation folgendes reales Bild:

Da gibt es einen Menschen, der mich anders sieht, als ich dies wünsche, und ich sollte mich jetzt fragen, welches dieser beiden Bilder denn der Wirklichkeit näher steht. Um dies heraus zu finden, bedarf es der Kommunikation mit dem Anderen. Geschieht dieses, so kann die Situation nicht nur gerettet werden, sondern durch die Auseinandersetzung erreiche ich einen Zuwachs an Erkenntnis.

Ist dies allerdings nicht möglich (auch andere Menschen sind manchmal gekränkt!) und Wut steigt in mir auf, erkenne ich diese Energie als meine eigene und gebe ihr Raum, ohne sie mehr als notwendig auszudrücken oder in Handlung fließen zu lassen. Die dazu notwendige Aufmerksamkeit muss ich einbringen. Sie ist notwendig, um den Automatismus des „in Handlung fliesen“ zu steuern. Alles weitere regelt sich! So baue ich auch kein schlechtes Karma auf, denn die Energie lebt und verwandelt sich durch unsere Aufmerksamkeit in Lebensenergie, die uns eher bereichert als beengt! Unterdrückte Energie jedoch würde im Geheimen ihre Kraft entfalten, die nur durch weitere Energie (Lebensenergie) gebunden werden kann. Ich habe nicht nur den schlechten Einfluss zu kompensieren, sondern muss auch noch einen zusätzlichen Bedarf decken. Schlechtes Karma baut sich ebenfalls auf, wenn in dieser Situation projiziert wird (der Andere ist schuld…), die Situation eskaliert und ich mir einen neuen Feind schaffe, der sich revanchieren wird. So fiele die Aggression meinerseits auch wieder auf mich zurück!

Der Versuch einer allgemein gültigen Formulierung?

Karma ist nicht die sehr einfache und logische Funktion des „wenn…, dann…“, sondern ein lebendiger Begriff von tiefer psychologischer Bedeutung. Es ist nicht etwas, was von außen mir aufgezwungen ist und damit unabwendbar erscheint, sondern eine tief in mir wurzelnde und mit meinem „in der Welt sein“ verbundene lebendige Fähigkeit des eigenen Wesens. Von daher ist es beeinflussbar, steuerbar und folglich auch vermeidbar. Einzige Bedingungen dafür ist sind Verstehen ihres Wirkens, der Einblick in die Natur ihrer Vernetzungseigenschaften und die Fähigkeiten, bewusst mit all diesem umzugehen. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht wirklich!

Der Schlüsselbegriff der Fähigkeit, mit Karma umzugehen, ist Bewusstheit! Dieses bedeutet zu wissen, was in mir vorgeht, warum dies geschieht und wie ich das Geschehen beeinflussen kann oder zumindest könnte. Dazu gehört weiterhin, meine Grenzen zu kennen und diese zu beachten. Bewusst zu sein ist keine dem Willensakt unterworfene Fähigkeit, sondern ein lebendiger und vitaler Wesenszug, der gepflegt und zugelassen sein muss. Das heißt zurückzugehen zu den Wurzeln des Lebensbaumes, ohne die frischen Triebe in der Baumspitze zu verlieren, also ein Spagat der besonderen Art.

Ein weiterer Schlüssel zum Karma ist die Kenntnis um die Art und Weise seines Wirkens. Dies ist umso wichtiger, als das Karma nicht diesen gradlinigen, linearen Denkweisen folgt, die wir ihm gewöhnlich zugrunde legen. Legen wir eine energetische Auffassung als Grund unter die Begrifflichkeit, so ist Karma der Ausdruck eines inneren Prozesses, der je nach Verfassung des tragenden Menschen bewusst oder unbewusst abläuft und der wie ein Energieanstieg betrachtet werden kann. Energie ist die sowohl die Fähigkeit zu handeln als auch die Fähigkeit wahrzunehmen. Sie ist unspezifisch und nicht vorgeprägt als Wut, Trauer oder Zorn, sondern ist neutral und weder gut noch schlecht, sondern kann einfach als Ausdruck des Lebendigen betrachtet werden. Wie eine sich aufbauende Energie sich ausdrückt, ist abhängig von der Art unserer Konditionierung, also Konvention, Erfahrung und Kultur. Diese drei sind gegenüber der aktiven Willensäußerung eines bewussten Menschen formbar und daher auch veränderbar.




Wie halte ich es mit Traditionen in Yoga und Meditation

Die Grundfragen des Lebens werden durch unsere Kultur, unsere Wissenschaften und unsere Vereinbarungen (Konventionen) nicht beantwortet. Sie bleiben scheinbar unaussprechlich und wortlos im Dunkeln. Zwar gibt es unzählige Versuche, durchaus erfolgreich zu einer Näherung der Antwort zu kommen, aber die Schwelle der Klarheit haben die wenigsten von ihnen erreicht und wahrscheinlich nur ganz wenige überschritten.

Zwei Motive sind herauszuheben, mit denen die meisten Denker und Traditionsgründer unserer westlichen Kultur arbeiten:

  • Ich verzichte auf Vorsätze und Vorgaben und überlasse die Auskleidung des Lebens jedem selbst, zähle allerdings Fakten und gesichertes Wissen auf und gebe so eine fundierte Hilfestellung. Alles weitere ist jedem selbst überlassen: Jeder ist selbst seines Glückes Schmied, jeder kümmert sich um sich selbst und so wird von unsichtbarer Hand gesteuert alles gut. Ein Beispiel dafür sind Yogastunden, in denen sich die Lehrenden wenig bis gar nicht um die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Teilnehmer kümmern, also einfach ihrem oft sogar noch vorgefertigtem Plan folgen und das auch noch strikt durchziehen. Das Motto heißt: Üben, üben, üben.
  • Ich erbaue einen moralischen und ethischen Rahmen um einen Teil oder die Masse einer Gesellschaft herum und baue diesen je nach Wissen und Notwendigkeit permanent aus und um, um die Menschen zu lenken und vor Gefahren zu schützen. Religionen und absolute Herrschersysteme, aber auch Sekten und Gurus verfolgen meist diesem Weg. Er ist gefüllt mit Vorgaben (Essen, Trinken, Achtsamkeit; Gesinnung) und wird vermittelt mit einem ganz großen Ziel (Paradies, Märtyrer, Befreiung, Erleuchtung) im Gepäck.

Beide Wege, die sich oberflächlich grundlegend zu widersprechen scheinen, werden seit Beginn aller Kulturen verfolgt. Sie werden oftmals einerseits  als „die große Freiheit“ (Free- Stile, Utilitarismus) oder andererseits als „die Gemeinschaft“ (z.B.: Sekten, Alternativsysteme) betrachtet. Je nachdem, welche Anschauung man dabei mit sich führt, wird diese Ausrichtung auch in den persönlichen Lebensweg eingebaut und verfolgt. Somit sind auch die Übungswege des Yoga und der Meditation von diesen Grundausrichtungen geprägt, da die Übenden dieses schon privat verfolgen und auf die Matte und das Kissen mitbringen. Was für Yoga und das Üben mir wichtig erscheint ist, die Ausrichtung in den Extremformen „frei“ oder „total gerichtet“ als jeweils einseitige Formen zu meiden. Für Yoga und Meditation sind diese beiden in meiner Anschauung eher wie eine Aufgabe in Hegels Dialektik zu sehen, wo aus These und Antithese eine Synthese zu erfolgen hat, die die Ausgangspunkte nicht nur umfasst, sondern die Summe beider übersteigt.

Da ist dann in den neuen Stilen einerseits die große Freiheit, in der Traditionen und Techniken aus diesen vollkommen frei und unbehindert ineinander verzahnt werden. Vielen Yogarichtungen deuten das bereits an in ihren Namen: Yin-Yoga: Yin/Yang ist aus dem Taoismus und entstammt der Kultur Chinas, Yoga kommt aus Indien und ist eher Hinduistisch geprägt). Aku-Yoga: (Akupunktur stammt ursprünglich aus China und beruht auf dem Meridiansystem, Yoga ist indisch und baut auf Chakren und Pranaströmen auf.)

Dann sind da andererseits die fast vollständig erhaltenen alten Traditionen von Yoga, die sich Wort für Wort an ihrem Gründer ausrichten und darin keinerlei Varianz zulassen. Auch hier sehe ich eine Gefahr heraufziehen, die dann aber nicht in der Verwässerung, sondern mehr in der Verhärtung liegt. „Das muss so sein, weil der Meister…“ und „Das ist so vom Meister (end)gültig festgelegt…“ sind Sätze, die man gerne in den Übungsstunden hört. In alten Yogastilen kann man das oft beobachten, aber auch neuere Gurus machen davon gerne Gebrauch. Sie sind leicht zu erkennen an der verquasteten Sprache und Begrifflichkeit, an den immer weiter fortgeführten Ritualen, die beim Nachlesen der Bedeutungen eigentlich gar nichts mit dem Übungswesen zu tun haben. Ein schönes Beispiel ist das beliebte Gayatrie-Mantra, das eine rein religiöse Bitte an Gott, also ein Gebet darstellt. „Das muss so“ würde die Werbung heute dazu in der beliebten Verkürzung sagen. Ich sehe das anders.

Auch ich verwende Übungen aus verschiedenen Yogarichtungen und anderen östlichen Schulen (TaiChi, Karate, Zen), allerdings versuche ich stets, die Systeme soweit wie möglich in ihrem Kontext zu belassen. Wenn ich Übungsreihen für Yoga baue, wähle ich daher das Energiesystem des Yoga (Ströme, Prana, Elemente), da dieses genau abgestimmt ist auf die Wirkungsweisen dieser Übungen. Auch die Übungen aus dem Tai Chi oder dem Karate, die evtl. dazukommen, werden von mir somit auch mit dem Pranasystem beschrieben. Das mag den einen oder anderen Kenner verschiedenster östlicher Praktiken verwirren, ist aber durchaus angebracht und sinnvoll. Es ist schon schwierig, die Wirkungsweisen und -formen allein eines Systems zu verfolgen, wenn dann noch jede Einzelübung in einem anderen Kontext gesehen werden muss, ist Unterricht in einer gemischten Gruppe eigentlich nicht mehr möglich. Allerdings gibt es auch persönliche Anforderungen, die sich so nicht vereinfachen lassen. Als Yogaübender außerhalb der Lehrertätigkeit habe ich natürlich auch andere Interessen. So habe ich mich für Zen als Meditationsweg entschieden. Wenn ich selbst allein Meditation übe, bewege ich mich daher im System des Zen, nutze Übungen, Beschreibungen und die Haltung dieser Tradition. Wenn ich im Yogaunterricht Meditation unterrichte, bewege ich mich trotzdem ausschließlich im System des Yoga. Wenn ich aber während einem Shesshin Yogaübungen beschreibe, bewege ich mich ausschließlich im System des Zen. Und wenn ich eine Karate-Kata übe, bewege ich mich im System dieser Tradition, die zwar dem Zen sehr nahe steht, aber in einigen Punkten auch andere Motive in sich birgt. Das ist für mich möglich, da ich mich über viele Jahre nacheinander mit den Systemen, die hier genannt wurden, auseinandergesetzt habe. 20 Jahre Kampfsport, über 20 Jahre Yoga und mehr als 15 Jahre Zen, manches in zeitlich begrenzten Räumen, haben mir diese Systeme nahegebracht.  Sie sind für mich wie Sprachen, die einmal erlernt sehr schnell wieder präsent sein können, auch wenn sie monatelang mal nicht gesprochen wurden.

Ich vertrete die Ansicht, dass man die Traditionen östlicher Praxen nicht wahllos vermischen sollte. Weiterhin glaube ich trotzdem, dass sich diese höchst wirksam ergänzen können, wenn man in der Lage ist, von Sprache zu Sprache zu übersetzen. Daher plädiere ich auch dafür, Begriffe und Namen verschiedener Übungen und Motive in die Muttersprache, in meinem Fall ins deutsche, zu übersetzen. Auf diese Weise steigt man aus der Gefahr aus, von unterschiedlich vorgebildeten Teilnehmern unterschiedlich verstanden zu werden.
Hier im Anschluss möchte ich für mich und meinen Unterricht das indische Prana-System und seine fünf Hauptströme kurz skizieren und dafür eine allgemein verständliche Begrifflichkeit vorschlagen.

Prana nennt das indische System einerseits alle Energieströme des Körpers als Sammelbegriff, andererseits aber auch den Energiestrom, der den Rumpf-Atem-Raum (Unterbauch über Brust bis Schlüsselbeinregion) in zum Kopf aufsteigender Richtung füllt und prägt. Für den Sammelbegriff genügt daher einfach das Wort „Energie“. Für den untergeordneten Prana-Strom würde „Atemenergie“  eine ausreichende  Begrifflichkeit bezeichnen.
Apana nennt das indische System die Energie, die sich mit der Schwerkraft zur Erde hin bewegt. Sie ist die Grundlage für Festigkeit, bedeutet Halt und Stärke. Da Schwerkraft immer in Richtung Erdmittelpunkt zieht, würde ich für Apana den Begriff „Erdenergie“ vorschlagen.
Udana heißt der Energiestrom im indischen System, der zwischen den Schulterblättern entspringt und über Hals und Nacken in den Kopf hinaufströmt. Diese Energie ist eng mit dem „Kinnsiegel“ (original: Kinnverschluss, Bandha)  verbunden, der über die Bewegungsrichtung vom Kinn zum Hinterkopf der Atemenergie Richtung und Form zu geben in der Lage ist. Hierfür bietet der Begriff „Kinnenergie“ eine ausreichend klare Beschreibung.
Samana nennt sich die Energie des unteren Bauches und des Körperzentrums. Diese Energie zeigt sich nicht wie ein Strom, sondern ist mehr wie eine Quelle zu beschreiben, wobei diese Quelle sowohl Energie aufzunehmen als auch abzugeben vermag. Im Körperschwerpunkt angesiedelt und sich mehr wie ein Feld verhaltend, ist diese Form sehr gut mit dem Wort „Zentral(energie)feld“ beschrieben. Zentrum dieses Feldes ist der Energieknotenpunkt Kanda, der sich deutlich oberhalb des ersten Chakras in Höhe der Nabelregion befindet. Er beschreibt im Yoga die „Körpermitte“ und sollte daher auch so heißen. Nicht verwechselt werden sollte dieser Punkt mit Hara, der deutlich tiefer im Körper angelegt ist, weil er erst dort Kraft und Stärke erzeugen, nicht aber als Gelöstheit wie bei Kanda erfahren werden kann.
Vijana nennt sich die alles umschließende und sich sehr lebendig anfühlende Energie im ganzen Körper, die sich zunächst mit prickeln oder kribbeln bemerkbar macht und sich dann zunehmend ausbreitend im ganzen Körper und über ihn hinaus wahrnehmen lässt. Da sie sehr lebendig erscheint, überall das Leben umschließt und verbindet würde ich diese somit als „Lebensenergie“ bezeichnen.

Mit der vorgelegten Begrifflichkeit kann Yoga und sein Übungssystem in all seinen Farben und Formen für westliche Menschen geeignet beschrieben werden. Die Beschreibungen, die sich mit Kundalini und seinen Bedingungen beschäftigen, bleiben dabei außen vor. Sie sind für mich eher eine esoterische Form des Yoga, die es zwar auch geben darf, da solche Erfahrungen durchaus auftreten können. Für den Großteil der Yogaübenden ist das aber nicht von Belang. Nur sehr wenige erreichen diese bewusstseinserweiterte Extremform und, ganz ehrlich gesagt, finde ich persönlich diese auch nicht erstrebenswert. Für ein gesellschaftlich aktives Leben in der westlichen Welt bietet eine große Kundalini-Erfahrung wenig Substanz. Zu abgehoben und vereinzelt erscheint das Leben der Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben (wollen) und zu gering erscheint mir deren Wirkungsgrad für das Gros der Menschheit.

Exkurs: Gayatrie-Mantra
Oh Gott! Du bist der Geber des Lebens, Entferner des Schmerzes und des Kummers,
der Erlöser des Glücks, oh! Schöpfer des Universums, mögen wir dein höchstes Sünden zerstörendes Licht empfangen, mögest du unseren Intellekt in die richtige Richtung führen.




Zum Wesen der Energie im Yoga

Ein Versuch, den Begriff der Energie, so wie er im Yoga Verwendung findet, zu beschreiben und zu definieren.

Einleitung
In vielen Bereichen des Yoga wird in umfangreicher Art und Weise das Wort ”Energie” oder die Bezeichnung ”energetisch” verwendet. Ich möchte versuchen, diesen Begriffen etwas größere Klarheit zu geben. Zunächst einmal ist ja Energie ein festgelegter Begriff in der Wissenschaft, und nahezu jeder Fachbereich besitzt dazu eine Definition. Schlägt man in einem Fremdwörterbuch nach, so findet man:

  • Energie: Tatkraft, Kraft, Nachdruck
  • Energie, physikalisch: Maßstab für die Fähigkeit eines Körpers oder Systems, Arbeit zu leisten.
  • Energieprinzip: Satz von der Erhaltung der Energie: Bei keinem Naturvorgang kann Energie verloren gehen oder aus nichts gewonnen werden.
  • Energisch: tatkräftig, nachdrücklich


Eine weitere Quelle für die Beschreibung von Energie fand ich bei Sheldrake, McKenna und Abraham (Denken am Rande des Undenkbaren):

(Es gibt in der Betrachtung der Welt) zwei Prinzipien: ein formatives Prinzip (morphogenetische Felder), und ein energetisches Prinzip. Energie ist das Prinzip der Veränderung, und reine Veränderung wäre Chaos. Eine Möglichkeit, sich diese beiden Prinzipien zu denken, ist die indische tandrische Vorstellung von Shakti als Energie und Shiva als dem formbildenden Prinzip, die in ihrem Zusammenwirken die Welt, wie wir sie kennen, erschaffen.

Die “analytische Psychologie” nach Jung sieht im Energiebegriff etwas ungreifbares, das letztlich als etwas Symbolisches verstanden werden muss. Energie ist hier immer quantitativer, niemals qualitativer Natur, da sich Energie nur in der Veränderung anderer Dinge zeigen kann. Sie kann nicht an sich wahrgenommen werden, ist kein Ding, lediglich ihre Wirkung wird registriert.

Jeweils für sich allein gesehen sagen uns diese Beschreibungen nichts neues. Betrachtet man sie aber in übergreifenden, also psychologisch-philosophischen Sinn, so finden sich hier noch einige Schlussfolgerungen, die einer mechanistischen Sichtweise von Energie als einem Ding eindeutig widersprechen.

Versuch einer umgreifenden Definition.

Wenn man die oben aufgeführten Beschreibung zusammenfasst und versucht, ein allen gemeinsames Moment heraus zu kristallisieren, so bleibt ungefähr nachfolgendes bestehen:

Energie beschreibt die einem Körper oder System innewohnende Fähigkeit (Potenz) zu Anpassung, Veränderung und Selbsterhaltung

Betrachten wir die unten aufgeführten Beispiele, so finden wir in allen diesen Satz bestätigt. Sogar ”die energische Nachbarin” trägt diesen Satz mit.

Yoga und Energie
Betrachten man dann einmal, wie der Energiebegriff im Yoga Verwendung findet:

  • Wir bauen im Üben Lebensenergie auf.
  • Wir erreichen durch die Übungen das Auflösen von Energieblockaden.
  • Wir setzen Energie frei und lenken diese durch den Körper. Körperpartien, die krank, schwach oder anfällig sind, werden mit diesen Energien gestärkt oder sogar geheilt.
  • Ein höheres Energieniveau führt uns zu Ausgeglichenheit und Lebensfreude.
  • Energetisch wirkt die Übung auf das Stirn und Scheitelchakra. Dies fördert die Konzentrationsfähigkeit, gibt Mut und Selbstvertrauen.

Alle diese Beschreibungen, wahllos herausgegriffen aus einem großen Korb, beschreiben ”die Fähigkeit zur Veränderung”. Die oben beschriebene Definition scheint angemessen und glaubwürdig. Als nächsten Schritt betrachtet man sich die Übungen in Einzelnen und stellt die Frage: ”Trifft diese Beschreibung?”

Asanapraxis

In der Asanapraxis ist der Energiebegriff wenig geläufig. Nur in wenigen Fachbüchern werden Asanas als energetisch wirksame Übungen oder Haltungen beschrieben. Betrachtet man andererseits das erfahrbare Wirken dieser Übungen, so werden nachfolgende Beobachtungen oft zitiert:

 

  • Man erhöht durch das üben von Asana die Flexibilität der Muskulatur beträchtlich. Es gibt wenige Körperübungen, die den Asanas hier gleichwertig gegenüberstehen.
  • Körperhaltung und Körperstatik verbessern sich.
  • Die hohe Elastizität erlaubt Bewegungen von Leichtigkeit und Eleganz.
  • Asanas schulen das Gleichgewicht, fördern Kraft und Beweglichkeit.
  • Durch meditative Praxis (Innerlichkeit) wird die Entspannungsfähigkeit verbessert und der Körper wird in allen Teilen einer bewussten geistigen Einwirkung zugänglich.
  • Die inneren Organe erfahren durch Druck und Verdrehung eine Massage, die ihre Funktionen verbessert.
  • Die Blutzirkulation wird verbessert. Besonders in Umkehrstellungen macht sich dieses bemerkbar, erlaubt diese Haltung doch augenblicklich ein Zurückfließen venösen Blutes zum Herzen.
  • Asanas fördern Verdauung und Stuhlgang.

Diese Aufzählung ließ sich noch weiter fortsetzen. Alles in allem aber sind alle diese Wirkungen in irgend einer Weise Veränderungen zum Besseren hin. Wenn Asana also eine energetisch wirksame Haltung ist, und diese dann in ihrer Wirkung Veränderung hervorruft, kann auch hier die oben beschriebene Definition bestehen.

Weiterhin ist zum Energieaspekt von Asanas zu sagen, dass viele dieser Haltungen eine innere Dynamik besitzen. Diese wird spürbar, wenn der Übende beginnt, eine Grundausstattung von Kraft und Beweglichkeit vorausgesetzt, im Grenzbereich der körperlichen Möglichkeiten (zB Dehnung oder Drehung) zu arbeiten.

Nehmen wir als ein Beispiel den Drehsitz.

Zunächst geht der Übende in eine Grundhaltung, korrigiert seine Rücken- und Beinhaltung, dreht sich so weit wie der Körper es bequem zulässt und baut dann mit den Armen eine Spannung (Energie) auf, die von der Bewegung des Atems getragen, durch Entspannung oder Loslassen in die Asana hineinführt. Durch das sich ständig wiederholende Aufrichten und Absinken in die Drehung hinein wird die Wirbelsäule und deren Lage in Bezug zum Gesamtaufbau ständig verändert und entlang dieser Veränderung wird dann ein Gefühl von Energie in Form von Kribbeln oder Wärme wahrnehmbar. Dieses wird durch die Veränderungen ausgelöst, die durch den energetischen Aufbau der Übung erreicht werden, und nicht durch irgendetwas anderes.

Weiterhin kann dann gesagt werden, dass, wenn die obige Beschreibung trifft, die hohe Beweglichkeit der Yogis eher ein Nebenprodukt ist als das sie eine gewollte Fähigkeit darstellt. Durch die Arbeit im Grenzbereich nämlich, in der dem Übenden energetische Veränderungen wahrnehmbar werden, ist eine zunehmende Dehnungsfähigkeit zwangsläufig als Nebenprodukt beigegeben. Natürlich sind eine gut dehnbare und gekräftigte Muskulatur gesundheitsfördernd, aber die Übertreibungen, die häufig bei Vorführungen und dergleichen zu beobachten sind, können so (auch aus der Überlieferung der Yogatexte heraus) nicht als authentisches Yoga gesehen werden. Sie stellen dann eine mitunter gesundheitsschädigende Fehlinterpretation dar.

Nicht die Dehnbarkeit und Akrobatik, sondern der energetisch wirksame Aufbau enthält den Segen dieser Übungspraxis. Und dieser Aufbau ist unabhängig von der Beweglichkeit des Einzelnen.

Pranayamapraxis

Prana oder Lebensenergie ist der grundlegende Begriff in dieser Übungspraxis. Sie beschreibt ein Phänomen, das von der Kraft, die Leben schafft, organisiert und erhält bis zur Summe allen Seins, der kosmischen Energie, dem großen Einen reicht. Wie alle Beschreibungen, die sowohl ein einzelnes, differenziertes betreffen als auch die große Summe allen Seins, verschwimmt dieser Begriff durch seine Breite und sagt damit alles und auch nichts. Ich bin Energie, nehme Energie auf, lebe in einer energetischen Welt und kehre in die große Energie zurück; nun, damit kann ich nicht viel anfangen.

Pranayama heißt übersetzt, die Energie beschränken oder unter Kontrolle bringen. Bereits hieraus ist ersichtlich, dass hier ein differenzierterer Energiebegriff notwendig wird. Denn, wenn alles Energie ist, kann ich nichts unter Kontrolle bringen genauso wenig, wie ich Wasser durch Wasser begrenzen kann. Meist liest man dann von verschiedenen Formen von Energie und meint damit feste Stoffe, mentale Strukturen wie den Gedanken und neben anderen eine göttliche Kraft, die überall existiert. Doch auch damit kommen wir kein Stück weiter, denn auch hier geht die Abstraktion ins Unendliche und wird damit nicht fassbar. Versucht man aber, die oben beschriebene Definition zu verwenden und in einige Begrifflichkeiten des Yoga zu integrieren, so erhält man folgendes:

Die Lebensenergie

Man beschreibt heute Leben als einen Prozess, der vor Jahrtausenden begonnen (Ursache unbekannt), sich bis heute fortsetzt. In dieser Zeit bildeten sich komplexe biologische Systeme, zu denen in der Spitzengruppe (den höchsten Entwicklungsstufen) auch der Mensch gehört. Diese Entwicklung, auch Evolution genannt, funktioniert nicht, wie bisher angenommen, durch ein Prinzip ”try and error”, sondern durch ein Integrationsprinzip. Hierbei werden für das Individuum Lösungen angestrebt, die den Zwängen der Umwelt Rechnung tragen, wobei neben permanent wirkenden Anpassungen auch Sprünge möglich waren und möglich sind, denn die Evolution ist nicht beendet. In dieser Beschreibung wird deutlich, dass wir uns durch Veränderung unserer Selbst und unserer Umwelt weiterentwickeln. Veränderung ist das Prinzip des Lebens. Dies eingesetzt in unsere Definition bekommen wir: Leben = Veränderung = Energie

Was bedeutet die Aufnahme von Prana?

Wir nehmen mit jedem Atemzug, mit jeder Nahrung und auch mit unseren Wahrnehmungen Prana auf. Nehmen wir den oben gebildeten Schluss (Leben = Veränderung = Energie) als Grundlage, so erhalten wir nachfolgende Antwort:

Die Aufnahme von Prana kann auch als ”die Schaffung und Aufrechterhaltung einer Struktur begriffen werden, die eine Veränderung auf der Basis des Bestehenden zulässt”. Wir bringen also durch die Aufnahme von Prana den Körper/Geist in einen relativ ”ungeschützten, gelösten, gelassenen, hingegebenen Zustand”, der auf der bestehenden Struktur basiert, aber in Grenzen Veränderungen möglich werden lässt. Dies impliziert dann aber auch, dass diese Veränderungen erwünscht sein sollten, sinnvoll und tragbar erscheinen. Man kann die Aufnahme von Energie dieser Art mit den politischen Gegebenheiten eines Staates vergleichen: Sinnvolle und zurückhaltende Handlungen und Reformen (kontrollierte Aufnahme von Energie) verbessern, Stagnation (fehlende Energieaufnahme) einerseits, aber auch Revolutionen (zu viel Energie) anderseits zerstören die Grundstruktur (Gesundheit) des Staates (Organismus).

Was bedeuten dann Wahrnehmungen von Energie?

Wir alle kennen den Schmerz, der, sich in einer bestimmten Körperregion ausbreitend, für Aufmerksamkeit sorgt und zumeist ein Schutzverhalten auslöst. Auch kennen wir aus Beschreibungen ein Verfahren, das durch Hinlenkung von Aufmerksamkeit in bestimmte Körperpartien dort für spürbare Veränderungen (meist An- oder Entspannungsreaktionen oder Spannungsänderungen) sorgt. Weiterhin wissen wir, dass bestimmte Bewegungen des Körpers, die bewusst ausgeführt werden, eine Hinlenkung der Aufmerksamkeit benötigen. So ist doch der Schluss naheliegend, dass auch unbewusst ablaufende oder seiende Körperfunktionen und Haltungen durch solche Konzentrierungen (zB Affirmationen, Autosuggestionen) beeinflusst werden können. Wenn wir also irgendwo Energie in uns spüren, ist gerade dort eine Veränderung im Gange, die wir zunächst wahrnehmen müssen und die durch bewusste Beeinflussung weitergeführt, zugelassen, aber auch gestoppt werden kann. Diese Fähigkeit zur Wahrnehmung und Korrektur herauszubilden, ist eines der Grundmotive des Yoga.

Was sind dann die Ziele der Atemübungen, der Verschlüsse und Gesten?

Die allgemeinen Atemübungen wie Kapalabhati, Wechselatmung und andere schaffen ein Grundmuster, das dem Übenden erlaubt, Veränderungen wahrzunehmen und damit diese Fähigkeit zu schulen. Gleiches gilt für die Bandhas, die die Wirbelsäule aufrichten und damit vielfältige Veränderungen (Verbesserung) in der Statik des Rumpfes schaffen und bemerkbar machen. Auch die Mudras gehen in diese Richtung, jedoch sind diese eher erlernten auslösenden Symbole für bestimmte Veränderungen. Wenn ich also eine ganz bestimmte Fingerhaltung immer bei einer ganz bestimmten Veränderung beibehalte (zB Entspannung, Anspannung, Körperhaltung), kann später allein diese Fingerhaltung den Körper/Geist zu der entsprechenden Veränderung inspirieren.

Zusammenfassung

Die oben genannte Definition für den Begriff der Energie in der Yogapraxis (Asana und Pranayama) als ”Fähigkeit zur Veränderung” lässt sich zumindest für die Körper- und Atemarbeit sehr gut einsetzen, können mit ihr doch viele Phänomene zumindest einigermaßen nachvollziehbar erläutert oder begründet werden. Das diese Definition nicht alle Bereiche umfassen kann, wird schon aus der Komplexität der Thematik deutlich. Besonders geistige (mentale, psychologische) und spirituelle (religiöse, philosophische und rituelle) Phänomene, Verfahren und Praktiken bedürfen einer anderen Sprache und sind auch nicht das Ziel solcher Simplifizierungen.