Die sportliche Aktivität als Ausgleich für Alltagsbelastungen?!

Das sportliche Aktivitäten als gesund bzw. der Gesundheit fördernd gelten ist ein allgemein gültiges Narrativ und wird heute nicht mehr hinterfragt. Natürlich gibt es auch noch die Vertreter des „Kein Sport bitte…“, aber sie sind der allgemeinen Überzeugung nach zu einer verschwindend kleinen und meist verborgenen bleibenden Minderheit geworden. Stimmt das? Ich denke nicht. Meiner Beobachtung nach betreiben mindestens 50% der Menschen in Deutschland keinen Sport bzw. eine (ich sage das mal einfach so…) sportliche Alibi-Aktivität.



Warum denke ich so? Nun, ich sehe beim Spazierengehen sehr oft Menschen, die Ihre Geh-Runden, Jogging-Runden oder Radler-Runden absolvieren. Und ich sehe viele dieser Menschen ihre Aktivität mit einer verbissenen und physiologisch wenig hilfreichen Qualität ausführen. Dazu tragen ungünstige Körperhaltungen, eine meist einseitige Belastung und ein wenig ausgefeilten Bewegungsspiel bei. Nun gebe ich zu, das meine Beobachtungen sicherlich auch auf einer Perspektive beruhen, die von meiner eigenen Ansicht darüber geprägt ist. Allerdings sind das Beobachtungen ja immer und können auch nicht wirklich ausgeschlossen werden.

Zu den sportlichen Betätigungen unserer Zeit wird häufig angeführt, das unser Körper zu den einseitigen Belastungen des Alltages einen Ausgleich benötigen würde. Dazu zählen mangelnde Bewegungsmöglichkeiten im Büro ebenso wie einseitige körperliche Belastungen wie zum Beispiel das Tragen von Kindern und Gegenständen, handwerkliches Arbeiten oder umfangreiche Laufwege. Zunächst einmal eine nicht ganz dumme Frage: Warum ausgleichen und nicht die die Belastungen abbauen? Wenn wir aber zur Überzeugung kommen, ausgleichen müssen, das ist ein Teil meiner Argumentation, sollte es doch so geschehen, das zur einseitigen Belastung nicht noch weitere einseitige Belastungen hinzukommen. Wenn ich also jeden Tag acht Stunden vor dem Rechner im Büro sitze, sind des Abends zehn Kilometer Jogging oder Radfahren gar kein sinnvoller Ausgleich, da hier durch die Ausdauerleistung und die Arbeit weniger Muskelgruppen nur eine weitere einseitige Last geschaffen und zudem ein extremes Gegenspiel gesetzt wird. Weiterhin können verspannte Muskelgruppen, die durch langes ruhiges Halten bereits inaktiv und meist auch schon fest geworden sind, nicht durch zusätzliche Belastungen entspannt werden. Wie kann eine Belastung entspannen? Wie sollte das geschehen? Zusätzlich stellt sich die Frage: Wenn ich in meinem Alltag Ausdauer, Kraft oder Beweglichkeit nicht brauche, wozu sind dann die Fähigkeiten zu großen Ausdauerleistungen, große Kraft und Beweglichkeit eigentlich für mein Leben gut? Sollten die Ausgleichsleistungen, die so dringend benötigt werden, nicht besser so gestaltet sein, das die Belastungsstörungen des Alltags (z.B. Rückenschmerzen) abgebaut und so Körperkonstitution geschaffen werden, die auf den Alltag abgestimmt sind und zu einem Arbeitsalltag ohne Belastungsstörungen führen können? Es stellt sich wieder die Frage: Wie kann das geschehen?

Zunächst einmal gibt es meiner Ansicht nach keine allgemein gültigen Rezepte dafür. Jeder Mensch gestaltet sich anders aus, individuell eben. Und natürlich hat Sport auch einen Spaßfaktor. Und Sport hat auch einen Suchtcharakter. Jeder Langläufer weiß das. Nun will ich niemanden den Spaß verderben, das ist selbstverständlich. Spaß zu haben ist eine der wirksamen Gesundheitslösungen. Und jeder darf/kann/soll auch das machen dürfen, was Spaß macht, selbstverständlich. Ich sprechen hier aber nicht über Spaß, sondern einerseits über den Suchtcharakter einerseits und besonders über Ausgleichssport zur Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und/oder des körperlichen Wohlgefühls andererseits, der als Mittel zum Zweck betrieben wird. Modern sind ja auch die neuen Vorstellungen, die mit Selbstoptimierung, Selbst-Überwachung und den Vorgaben zur Gesundheitsförderung einschließlich aller Fitness-Trecker (Apps zur Gesundheitsüberwachung in Uhren und Smartphones) zu tun haben.

Zunächst einmal sollte schon im Vorfeld der Überlegungen festgehalten werden, das wir heute in weiten Teilen der Bevölkerung eine deutliche Störung des Bewegungslebens auffinden können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Für eine Analyse der Lösungsmöglichkeiten derselben durch einen Übungsleiter zum Beispiel sind diese aber zunächst einmal nur zum Teil von Belang, da sie meist in Verhaltensweisen zu suchen sind, die der Freiheit des Einzelnen unterliegen. Die Lebenswirklichkeit kann nur der Betroffene selbst ändern, ins Spiel bringen oder ein wenig modifizieren. Für den Übungsleiter heißt es nur festzustellen, welche Übungen und Maßnahmen sportlicherseits helfen könnten, das Problem zu lindern, anzusprechen, sichtbar zu machen und/oder zu bearbeiten/beseitigen. Das ist und bleibt ein schwieriges Unterfangen, denn meist sind die Problemfelder in den Körpern bereits breit verstrickt und mit einem einfachen „so geht es“ nicht zu lösen. Betrachten wir einmal kurz einige Problemfelder, die eine Rolle spielen. Da sind zu nennen die Atmung, die Haltung, die Beweglichkeit, der Leistungswille, die Entspannungsfähigkeit, die Natürlichkeit in der Bewegung, die Innen- und Außenbewegung und die Energie, die allen Genannten zugrunde liegt.



Beginnen möchte ich mit der Innen- und Außenbewegung. [1. Die beiden Begriffe stammen von Dore Jacobs, die schon 1985 zwei wunderbare Bücher über die menschliche Bewegung (ISBN: 3 7800 6038 8) und Bewegungslehre (ISBN: 3 7800 6039 6) geschrieben hat.] Die Außenbewegung ist der eine Part der menschlichen Bewegung, der sich in Gymnastik, Yoga und Körperbildungs-Bewegungen ausdrückt, aber auch in Arbeit und Haltungen im Alltag. Die Innenbewegung ist die autonom oder halbautonom begleitende Atem und Kreislaufbewegung sowie die ergänzenden Organtätigkeiten, die sowohl den Körper als auch den Geist erst möglich machen. Im Grunde sind beide gar nicht zu trennen, weil ohne Letztere Leben an sich gar nicht möglich wäre. Was immer ich auch tue, denke, wahrnehme oder auslebe, es wird begleitet von Innenbewegungen. Die wörtliche Unterscheidung ist lediglich hilfreich, um beschreiben zu können, warum wir heute in Europa in der Wahrnehmung unserer Innenbewegung so erbärmlich schwach sind und diese Schwäche in übertriebener Außenbewegung und/oder Geistesarbeit zu überdecken versuchen. Die Unterscheidung ist notwendig, um aufzuzeigen, das da noch viel mehr ist als in der Leibeserziehung und -wahrnehmung allgemein angenommen wird.

Beginnen wir der Reihe nach mit der Atmung. Die Atmung ist eine Innenbewegung und somit ein autonomes System, auch wenn der Wille bzw. Geist gezielte Vorgaben für das Atmen einfordern kann. Denn im Grunde können wir den Atem nur in einer groben Form geistig beeinflussen wie zum Beispiel „nur die Bauchatmung zu nutzen“, länger Ein- oder Auszuatmen und/oder Atempausen zu machen. Beim Schwimmen können wir nur dann atmen, wenn der Kopf aus dem Wasser herausragt. Andere Sportarten bevorzugen bestimmte Atemformen, um das Ergebnis einer Handlung positiv zu beeinflussen. Immer betroffen sind Rhythmus, Länge und die großen Bewegungen, die der Mensch in Bezug zum Atem fühlt und spürt. Für die wirklich wichtigen Atemvorgänge aber, wie der Austausch von O2 und CO2 in den Bläschen und Kapillaren und der Transport über das Blut aber steht keine willentliche Beeinflussung zur Verfügung. Daher sehe ich die Atmung als autonom an und befürworte Atemkontrolle nur in Form hilfreicher Gesten, nicht aber als Mittel zur Umerziehung. Unterschieden werden häufig Hautatmung, Bauchatmung, Brustatmung, Rückenatmung, Flankenatmung und so weiter. Was mir in aller Regel fehlt, ist die Anmerkung, die gleichzeitig Einschränkung ist, das alle dieser Arten meist individuell gemischt auftreten und daher Vorgaben als allgemeine Regel vollkommen sinnlos sind. Häufig wird die Bauchatmung besonders hervorgehoben, aber sie allein kann doch wohl nicht das Nonplusultra sein. Ich bevorzuge, wenn ich denn gefragt werde, als optimale Atemform die „individuell ausgeprägte Vollatmung“ bei der alle möglichen Formen zusammenwirken. Sicherlich, wenn jemand eine ganz bestimmte Form der Atmung warum auch immer gar nicht vollziehen kann, sollte er diese vielleicht lernen. Aber das neu Gelernte ersetzt das Altbewährte nicht und sollte nur als mögliche Ergänzung angesehen werden. Viel wichtiger ist in meiner Vorstellung, den Körper so zu formen und in standzuhalten, das weder Verspannungen noch Gewohnheiten sowohl die Atmung als auch andere Bereiche der Innenbewegung behindern können. Der Körper entscheidet dann, wie er atmet, und nicht der Geist. Neben der Nahrungsaufnahme ist die Atmung die einzige Hauptfunktionalität, mit der ein Mensch bewusst auf seine Innenbewegung einwirken kann.

Die nächste große Funktion bzw. Einflussfaktor auf die Innenbewegung ist die Haltung in dem Sinne, das der Mensch versuche solle, seine Körperform so zu gestalten und auszurichten, das jede erwünschte Form der Innenbewegung möglich bleibt. Sinn dieser Forderung ist es, jede Art von Schmerz, von Verspannung und Beeinträchtigung im Körper des Menschen soweit zu reduzieren, wie das möglich erscheint. Natürlich kann hier kein für alle Menschen gültiges Programm aufgesetzt werden, das behaupten würde, die und die Übungen würden ein garantiert gesundes und langes Leben herstellen oder begünstigen. Das wäre absurd. Der junge Mensch ist lange bevor er seine Möglichkeiten erkennen und wahrnehmen kann bereits durch seine Umwelt derart geprägt, das daraus folgend nahezu immer ein individueller Status als Ausgangsposition vorausgesetzt werden muss. In Frage der Haltung muss weiterhin unterschieden werden zwischen der äußeren Ausformung der körperlichen Strukturen und der inneren Haltung, die ich in dem weiteren Text als „Mentale Einstellung“ bezeichnen werde. In diesem Abschnitt geht es fast ausschließlich um den ersten Punkt der Haltung, den körperlichen Strukturen sozusagen, die wie bereits weiter oben erwähnt auf die inneren Strukturen Einfluss nehmen können. „Wie geschieht das?“ ist dazu eine Frage und die zweite fragt: „Was ist eine ‚gesunde‘ Haltung?“ Beginnen möchte ich mit der Zweiten.



Eine ‚gesunde‘ Haltung ist keine ganz bestimmte Körperform, keine ganz bestimmte Form des Körperbaus, der Aufrichtung oder des ganz allgemeinen Bewegungsspiels oder gar der Ernährung. Eine gesunde Haltung ist die Fähigkeit des autonomen inneren Systems, sich nahezu jederzeit auf äußere Umstände, sei es Arbeit, Sport, Ruhe oder andere Anforderungen einzustellen und die Funktionalität des Menschen passend zur Aufgabe einzustellen. Dazu gehören die genau passende Bereitstellung von Sauerstoff und der Abtransport von CO2 in Form von Atmung, die Bereitstellung von Zellennahrung über Verdauung, Kreislauf, Säfte, Hormone und Botenstoffe, die Einstellung der Körpertemperatur, die Fokussierungen wie Aufmerksamkeit, Gelöstheit, Konzentration und und so weiter. Dazu gehören selbstverständlich auch die nervlich strukturierten Systeme, die ja zum Teil wie die Atmung auch bewusst angesteuert werden können. Da gibt es insgesamt gesehen ein weites Feld von Abhängigkeiten und Anpassungen. Haltung drückt sich immer aus in den genannten Fokussierungen. Der Torwart, der einen Torschuss erwartet braucht eine andere Fokussierung als ein Angestellter, der nach erfolgreicher Arbeit zu Hause in seinen Sessel sinkt und entspannen möchte. Das Kochen in der Küche ist anders fokussiert als eine Schreinerarbeit. Ich denke mal, jeder kann das bestätigen. Die Frage aber, um die es gehen sollte, ist doch die, ob unsere Körper zu dieser erwünschten Anpassung überhaupt (noch) in der Lage sind. Und da sind wir bei der zweiten Frage angelangt: „Wie geschieht das?“. Wie viel Einfluss hat der Mensch kurzfristig auf die genannten Fokussierungen? Die Antwort ist meist einfach: „Keinen“.

Einige Beispiele sollen das Problem verdeutlichen:
A. Eine nach vorne herabhängende Schulter und der damit verbundene Rundrücken sind nicht nur ein Haltungsfehler, der einfach „unschön“ aussieht. Diese Haltung beeinträchtigt die Atmung in der Gestalt, das die Lungen nur (noch) in den oberen Bereichen durchlüftet wird. Die Lungenspitzen bekommen wenig bis gar nichts mehr ab. Die Folgen davon sind ein schnellerer Atemrhythmus und damit kürzere Verweilzeiten der Luft in der Lunge. Diese Not-Anpassung wird die Qualität der Atmung deutlich herabsetzen. Wir atmen dann viel öfter als notwendig und haben dazu noch deutlich weniger Erfolg damit.

B. Ein nach vorne gekipptes Becken und folgend das hochgezogene/hochgehaltene Gesäß machen eine Vollatmung unmöglich. Meist fehlt die Flanke bei der Atmung völlig, der Bauch trägt nur wenig bei und der Mensch ist gezwungen, fast ausschließlich hoch zu atmen. Die falsche, meist schnell auch noch festgefügte Beckenhaltung beeinträchtigt das Zwerchfell beim Absenken-Können, so das die Schwerkraft zum Atem wenig beiträgt. Muskelkraft muss aufgebracht werden, um den Brustkorb zu weiten. Diese in Europa häufig zu sehende Fehlhaltung ist wenig effektiv und verbraucht viel Energie für wenig Erfolg. Kurzatmigkeit ist die Folge, schnelle Atemrhythmen schon bei kleiner Belastung und eine Minderung der Leistungsfähigkeit sind die Folgen.

C. Eine übertrainierte Beinmuskulatur und die Unfähigkeit, seine Beine zu strecken bewirkt durch die Anforderung, aufrecht zu sein ein nach vorne gekipptes Becken und damit die in Abschnitt zuvor bewirkten Atem-Minderungen. Gleichzeitig wird ein Bewegungs- und Haltungsbild erzeugt, das einem Menschen das gerade zu stehen, das locker zu gehen und sich leicht zu bewegen unmöglich macht. Unfunktionale Züge durch verkürzte Muskeln verhindern ein sich locker Ausbalancieren, nötigen zum Feststellen und behindern damit nahezu alle so dringend gebrauchte Innenbewegungen.

Eine Bewegungsschulung sollte daher immer dafür sorgen, das die genannten Fehlhaltungen ausgeglichen werden. Ein Horchen auf die Innenbewegungen ist dafür viel wirkungsvoller als das pure Erlernen von Technik. Es geht nicht um das „Was mache ich“ oder das „Wie mache ich“, sondern es geht darum, wie mein Innenleben auf meine Alltagsanforderungen reagiert und wie ich durch Gymnastik, Sport und Yoga helfen kann, dieses Spiel wieder lebendig zu bekommen. Es geht um Qualität und nicht um Quantität. „Viel hilft viel“ ist dabei vollkommen fehl am Platz.

Vielleicht muss noch gesagt werden, das Atem immer aus drei Bewegungen besteht: Einatem, Ausatem, Atempause, wobei die Letztgenannte eine sehr wichtige Rolle spielt. Ohne Atempause kann sich die Chemie des Atems nicht vollkommen entfalten und bewirkt Kurzatmigkeit und Leistungsminderung.



Kommen wir dann zu dem Thema Beweglichkeit. Wie viel davon ist erforderlich? Wie komme ich damit auf ein Maß, das meinen Ansprüchen, besser noch meinen Anforderungen genügt und wie fange ich an, das zu erreichen? Das sind alles Fragen, die einzeln nicht ausreichend beantwortet werden können. Unsere Beweglichkeit ist im Grunde genommen bereits ein Anpassungsprozess der Innenbewegung, denn hier wird die Muskulatur nicht gezogen oder gedehnt, sondern auf ein Spannungsfenster eingestellt, das sich orientiert an den Alltagsbewegungen. Wenn ich regelmäßig und konstant bestimmte Bewegungen ausführe, stellt sich die bewegte Muskulatur mit der Zeit auf diese Länge nicht nur ein, sondern ergänzt sie zusätzlich noch mit etwas Spielraum, schon um Verletzungsgefahren zu reduzieren. Bei Arbeitsbewegungen und leichten tänzerischen Posen ist das relativ einfach. Spannend und vielschichtig aber wird es, wenn zusätzlich dicht an der Beweglichkeitsgrenze große Krafteinwirkungen notwendig werden. Ein weit ausfallender Spreizschritt mit plötzlichem Halt zum Beispiel beim Tennis verbunden mit einer schleudernden Körperbewegung in eine Drehung hinein, der Schlag mit dem Schläger auf den Ball, eine schnell darauf folgende Entspannung und dann der Start in die nächste Laufbewegung hinein ist so ein Fall, der so einfach nicht zu gestalten ist. Beweglichkeit in Kombi mit großer Kraft und Ausdauer verlangen ein genau dosiertes regelmäßiges Körpertraining. Einfach so auf den Platz zu gehen und zu spielen erhöht die Verletzungsgefahr bei diesem Sport auf ein Vielfaches. Gleiches gilt für Laufen, Fuß- und Handball, Skifahren und andere beliebte Sportarten. Auch Wandern in den Bergen zum Beispiel gehört dazu. Was die Beweglichkeit zusätzlich zu steigern vermag ist eine gute Entspannungsfähigkeit. Dazu aber erst später mehr. Im Beweglichkeitstraining genügt es meist, einfach an seiner Beweglichkeitsgrenze gymnastisch zu arbeiten. Stellt man sich seine Beweglichkeit als ein Wiesengrundstück vor, so arbeiten wir sinnvollerweise innerhalb der Begrenzung und somit stets dicht am Zaun. Alles Weitere besorgt die Innenbewegung in Form von autonom gesteuerten Anpassungsprozessen. Wie weitreichend die Beweglichkeit ausgeformt werden sollte ist ebenfalls eine individuelle Größe. Die Anforderungen des Alltags sollten den Umfang einer Beweglichkeitsempfehlung bestimmen. Viele sportliche und freizeitliche Anforderungen wie Tanzen, Wandern, Tennis oder Ballspiele uns so weiter erfordern unterschiedliche Körperkonstitutionen, weil sie unterschiedliche Belastungen enthalten. Ein körperlich arbeitender Mensch hat andere körperliche Bedürfnisse als ein sitzender Mensch im Büro. Für mich gilt daher als Norm, das jeder Teilnehmer einer Yoga- oder Gymnastikveranstaltung die Übungen machen sollte, die seinem Alltagsbedürfnis entsprechen. Große Beweglichkeit, hohe Kraftanforderungen und lange Ausdauer sind nicht zusammen in einer Ausstattung zu haben. Sie behindern sich auf die eine oder andere Weise. Sie müssen daher individuell abgestimmt werden. Trotzdem gibt es in meiner Vorstellung eine allgemeine Regel: Die Innenbewegungen sollten durch ein Trainingskonzept nicht eingeschränkt werden. Bei purem Beweglichkeitstraining ist die Gefahr, sich Einschränkungen einzufangen, eher gering. Allerdings sollte die erreichte Beweglichkeit beim Üben auf jeden Fall durch passende Ausdauer- und Kraftübungen ergänzt werden. Auch hohe Beweglichkeit muss stabil und leistungsfähig ausgestaltet sein.

Kommen wir in kurzer Form zu Kraft- und Ausdauer. Und ein jeder kennt wohl die Auswirkungen, die ein zu viel davon darstellen: Rein ausgeformte Muskelpakete auf der einen Seite und extrem verhärtete Hungerhaken sind wohl im Volksmund eine beliebte satirische Bezeichnung für die beiden Extremprägungen. Beide haben ihre extremen Schattenseiten. Beide sind in der Beweglichkeit meist massiv eingeschränkt, die einen durch die Vergrößerung und die anderen durch die Versteifung der Muskulatur. Von diesen extremen Prägungen einmal abgesehen müssen die Fähigkeiten zu Kraft und Ausdauer mit der Beweglichkeit des Menschen harmonieren. Ich sagte es bereits. Unharmonische Prägungen belaste die Innenbewegungen und überfordern die Leitungsfähigkeiten der inneren Organe, die den erhöhten Verbrauch von Brennmaterial, Sauerstoff und Entgiftung ja auch irgendwie schultern müssen. Dazu kommen bei extremen sportliche Leistungen oft auch Medikamentenkonsum (Schmerzmittel) und/oder Nahrungsergänzungsmittel hinzu, was den Organismus zusätzlich belastet. Mit anderen Worten: Kraft und Ausdauer ist solange gut, wie die Innenbewegungen ungehindert ihre Arbeit bewältigen können. Alles Weitere wird sich auf Dauer als wenig nachhaltig herausstellen. Hier eine allgemeine Grenze oder rote Linie ziehen zu wollen ist eher ungeschickt. Hier muss von Fall zu Fall bzw. von Mensch zu Mensch gestaltet werden.



Gehen wir weiter in den oben genannten Stichworten. Ein wirklich schwieriges Element in der sportlichen Trainingslandschaft stellt der individuelle Leistungswille oder anders herum formuliert der Leistungsgedanke an sich dar. Viele Menschen sind heute bereit, sowohl in der Arbeit als auch im sportlichen Training sehr hohe Leistung zu bringen, bedenken aber oft nicht die Folgen, wenn dieser Wille auf eine körperliche Konstitution trifft, die diesem Leistungsgedanken nicht gewachsen ist. Ich betreue seit 45 Jahren Gruppen von Menschen in Gymnastik, Sport und Yoga, und ich mache immer wieder die Erfahrung, das der Wille eines Neueinsteigers, mit den anderen mithalten zu können oder sich den notwendigen Korrekturen durch Ausweichen zu entziehen, sehr groß ist. Das ist verständlich, denn wir leben ja in einer Leistungsgesellschaft, aber nützlich und hilfreich sind diese Aktionen nicht. In der Körper- und Bewegungsbildung hat der Leistungsgedanke wenig Sinn, denn sowohl Ausweichbewegungen in den Übungen noch Übertreibungen darin werden die allseits zu beobachtenden Schwachstellen nur verschleiern, aber nicht entfernen können. Wenn eine von mir betreute Gruppe sich etabliert hat, muss ich viel mehr Zeit damit verbringen, die Teilnehmer zu bremsen, also auf ein ihnen zuträgliches Leistungsniveau zu setzen als damit, notwendige Korrekturen und Zwischenlösungen anzubieten und zu etablieren. Ich verstehe sehr gut, das man sich nicht gerne in seinen Schwachstellen zeigen möchte, aber, und das ist entscheidend, ein Übungsleiter muss/sollte die Schwachstellen seiner Teilnehmer kennen. Wie anders kann er das Training und seine Inhalte an die Erfordernisse anpassen. Jeder Mensch hat Schwachstellen. Die Frage ist doch mehr, behindern diese die Lebensabläufe oder wäre ihre Abwesenheit nur „nett zu haben“. Jeder würde doch wohl, um ein Beispiel zu gestalten, gerne mal einen Marathon gewinnen, aber muss das unbedingt sein und ist das den Aufwand wert, der dazu notwendig ist. In meiner Vorstellung sind Spaß und Freude am Sport deutlich höher zu bewerten als eine sichtbare Leistung.

Kommen wir dann zur Entspannungsfähigkeit. Das ist, grob gesagt und Ausnahmen bestätigen die Regel, ein großes Problem in unserer Sport- und Lebenswelt. Die Fähigkeit sich zu entspannen ist in meiner Vorstellung in der Ausübung jeder Sportart, und da schließe ich auch Gymnastik und Yoga mit ein, entscheidend, denn nur ohne Spannung lässt sich Spaß und Freude am Sport verwirklichen. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, wo man nach einem Sportturnier gemeinsam mit seinen Gegnern entspannt und wohl gelaunt feiern ging. Da gab es keine traurige und verzerrte Gesichter, wenn man bei Meisterschaft oder Turnier nur Zweiter geworden war. Vorherrschend war die Freude am gemeinsamen Wettkampf. Das sieht man heute nur noch selten. Heute scheint selbst der Zweite schon ein Verlierer zu sein und fristet unbeachtet im Schatten des Siegers sein Dasein. Und das gilt sowohl für Zuschauer als auch für die Akteure. Was ich damit ausdrücken möchte ist die für mich selbstverständliche Beobachtung, das es ein Begleitmoment des Entspannt-Seins ist, angemessen siegen oder verlieren zu können. Ohne das ist Sport nur noch Kampf und Leistungs-Krieg. Weder Triumph noch Verzagen sollte hier einen übermäßigen Ausdruck finden. Es geht eben nur um Spaß und Freude. Nun gibt es in Gymnastik und Yoga ja keine Wettkämpfe, wenn man mal die Sportgymnastik als Ausnahme ansieht. Ich bin der Überzeugung, dass das Sich-Vergleichen mit anderen in diesen Bewegungs- und Trainingsformen nichts zu suchen hat. Beide lehren ein Sich-Bewegen und Sich-Entspannen können, ja mehr noch, Entspannen ist dabei das Gleiche wie die Geschwindigkeit beim Laufen oder die Torbilanz beim Ballspiel, sie ist das zentrale Trainingselement. Und dabei haben Ich-gesteuerte Emotionen keinen Platz. Diese in Mode gekommene Unsitte ist Unsinn und auch nicht nachhaltig.
Was, kommen wir zu eigentlichen Thema zurück, ist eigentlich Entspannung? Schauen wir uns mal zwei typische Definitionen dazu an:



  • Unter dem Begriff Entspannungsverfahren werden Techniken zusammengefasst, die körperliche und seelische Anspannung reduzieren sowie das allgemeine Wohlbefinden fördern sollen. Entspannungsverfahren werden als übende Verfahren bezeichnet, da deren positive Effekte durch regelmäßiges Üben zunehmen. [1. DocCheck Flexikon, https://flexikon.doccheck.com/de/ Entspannungsverfahren]
  • Entspannung, psychophysischer Zustand mit einer geringen Aktivierung, subjektiv und physiologisch besonders deutlich nach einer vorausgegangenen Anspannung, die sich unter Ruhebedingungen oder durch aktive Entspannung löst. Entspannung hat verschiedene Aspekte, wobei neben dem Erleben von emotionaler, geistiger und körperlicher Beruhigung und Gelöstheit typische physiologische Veränderungen eintreten… [2. Spektrum.de, https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/entspannung/4161]

Während die erste Definition Entspannungsfähigkeit scheinbar nur als eine Technik, also ein Mittel zum Zweck anzusehen scheint, zeigt die Zweite das ganz anders. Ein Zustand geringer Aktivierung, der scheinbar nur nach einer Anspannung als Lösung auftritt und zur Beruhigung dienen soll. Entschuldigen Sie meine Unnachgiebigkeit, aber das ist beides vollkommen verfehlt und nicht das, was Entspannung und die Fähigkeit dazu zu leisten vermag. In meiner Definition ist Entspannung ein Gleichgewichtszustand, der die Innen- und Außenwelt des Menschen in einen Gleichklang, auch gerne Einklang genannt, zu bringen vermag. Hierbei ist die mentale Einstellung (s.o.) zwar als eine Bedingung der Außenwelt anzusehen, aber sie ist sicherlich auch ein wichtiges Bindeglied zwischen diesen Welten. Nehmen wir einmal an, die Außenwelt verlangt eine ganz bestimmte Leistung in Form von Arbeit, Bewegung oder einer verwandten Aktion. Dann sollte doch, um Erfolg zu haben, die Innenwelt die erforderlichen Ressourcen bereitstellen, die dafür notwendig sind. Tut sie das, wird das Projekt mit sehr guten Voraussetzungen starten können, bringt sie das nicht, ist doch wohl ein Scheitern höchst wahrscheinlich. Für die Bereitstellung der Ressourcen aber muss der Körper reagieren, muss sich gestalten und verändern können. Das ist nur möglich, wenn ich ihn seine autonome Aufgabe vollziehen lasse und ihm dabei die Freiheit gebe, das auf seine Weise zu tun. Diese Freiheit zu haben nenne ich Entspannung, und das gilt sowohl organtechnisch, bewegungstechnisch als auch mental. In der Spezialität von Spannung nenne ich das auch gerne Tonus, was nicht weniger bedeutet als die Fähigkeit, sofort und unmittelbar reagieren zu können, weil der Körper bereit ist und über die notwendigen Ressourcen (Kraft, Beweglichkeit, Spannung, Ausdauer, Atemvermögen usw.) bereits verfügt. Entspannungsfähigkeit ist somit in der Definition ein Prozess, der sich nur im Fenster der verfügbaren Ressourcen bewegen kann. Dieses Fenster ist nie Nichts und auch selten Alles, was sein könnte. Wenn ich zum Beispiel in einer Körperpartie beweglicher werden möchte, also zu dehnen beabsichtige, muss ich erstens bereit sein, die zu dehnenden Muskeln zu entspannen. Dann muss ich zweitens eine Möglichkeit finden, andere Körperpartien in mir zu finden, die es ermöglichen, diese Muskel auch zu öffnen oder zu lösen, weil sie deren Haltearbeit übernehmen. Dann muss ich drittens bereit sein, die notwendige Öffnung so vorzunehmen, das die betroffene Muskulatur einen so starken Impuls erhält, das diese auch öffnend reagiert und ich muss viertens darauf achten, dabei nicht zu übertreiben, da der zu öffnende Muskel sonst in eine sich schützende Verspannung zurückfällt. Die Erfüllung all dieser Bedingungen nenne ich Entspannung in einem Dehnvorgang. Ähnliche Bedingungen finden sich auch bei der Arbeit und bei Ausdauerleistungen, wobei die angewendeten Kräfte zur Bewältigung der Aufgabe auch bereit stehen und der Tätige das auch in seiner Selbstwahrnehmung auch richtig erkennen sollte. Entspannungsfähigkeit ist also bei mir nicht ein Vorgang des sich vollkommen Fallenlassens oder dient einem Zweck wie der Erholung, sondern ist ein stets aktiver begleitender Prozessparameter innerhalb der Tätigkeiten wie Gymnastik oder Yoga, Sport und Arbeit. Erst anstrengen und dann entspannen ist nicht gefragt. Entspannung und Anstrengung gehen parallel als Prozessparameter in eine Tätigkeit mit ein.



Wenn man ohne Vorkenntnisse oder Erwartungen zwei Menschen bei einer gleichen Bewegung in Arbeit oder Sport beobachtet, wird man niemals das Gleiche sehen. Jeder Mensch bewegt sich anders, verhält sich anders und drückt sich anders in seinem Involviert-Sein aus. So kommt zum Beispiel der eine Läufer vollkommen abgehetzt und fertig durch die Ziellinie, während ein Anderer scheinbar mühelos und wie entspannt die gleiche Linie erreicht. Besonders deutlich erkennt man das am Gesichtsausdruck und der Haltung. Interessant ist, das die Natürlichkeit einer Bewegung und deren Ausdruck sich stets auch in Haltung und Gestimmt-Sein ausdrücken. Natürlich ist eine Bewegung dann, wenn sich die Innenbewegung und die Außenbewegung harmonisch zueinander verhalten und innen die Ressourcen bereitstehen, die für die Außenleistung gebraucht werden. Gerät ein Sportler an seine Leistungsgrenze, sollte er eigentlich das erkennen und entsprechend seine Aktion einstellen oder unterbrechen. Nur zählt ja im Sport meist das Ankommen, die Quantität, die erfolgreiche Lösung der Aufgabe oder das Ausstechen des Gegners, zählt oft also nur noch der Ehrgeiz und die Leidensfähigkeit oder mit anderen Worten seine Grenzen maßlos zu überschreiten. Ich halte das für einen grandiosen Fehler unseres Denkens und versuche daher, diese Überschreitungen in meinen Unterricht zu verhindern. Dies geschieht dadurch, das ich die Natürlichkeit im Ausdruck meiner Teilnehmer in Auge behalte und wenn notwendig einschreite. Erhöhte Atemfrequenzen, verzerrte Gesichter einerseits und Gelassenheit und freudvoller Ausdruck anderseits sind dafür gute Bewertungsparameter. Gymnastik und Yoga kann nur gelassen und mit Freude an Bewegung erfolgreich praktiziert werden. Alles andere ist Illusion.

Was jetzt noch fehlt ist eine Erläuterung des Begriffes der Energie. In der Bewegungslehre ist Energie immer definiert als das innere Potential, eine Bewegung ausführen, halten oder fortsetzen zu können. Sie kommt von innen und ist letztlich betrachtet die Grundlage jeder Veränderung, zu der auch Bewegung, Öffnung, Dehnung, Leistung und so weiter gehören. Letztlich ist ein Organismus wie ein Körper mit all seinen Funktionen auf Energie angewiesen und es ist müßig, sich darüber zu streiten, ob diese eine grundlegende oder abgeleitete Größe darstellt. Wo immer sich etwas bewegt, ist Energie notwendig. Nun gibt es sowohl im Yoga als auch in mehr westlich geprägten Sportarten verschiedenste Theorien, wie, was und woher diese Energie ihren Ausgangspunkt und ihre Aktivität findet. Ich halte diesen Ausdruck „Energie“ daher lediglich für einen Namen, der ein eingegrenztes Feld innerhalb einer Lehre darstellt, die sich mit Veränderung oder Bewegung beschäftigt. Aussagen wie „Alles ist Energie“ oder „Das ist viel Energie“ oder „Spüre die Energie in dir“ sind Ausdrucksformen einer Innenbewegung, die jeder Mensch auf seine Weise in sich zu spüren vermag. Sie sind nicht Aussagen zur Weltbeschaffenheit oder anderer philosophischer Theorien.

Soweit zunächst einmal die Begrifflichkeiten, die ich verwende, und deren Gehalt in meiner Ansicht zum Thema. Wie sich das dann im Unterricht ausgestaltet und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, überlasse ich jedem Leser/Teilnehmer selbst. Ich selbst bemühe mich im Unterricht, diese genannten Positionen so gut wie möglich zu vertreten und für jeden meiner Teilnehmer ein angemessenes Programm zu gestalten, so weit das in einem Gruppenunterricht möglich ist. Wichtig für mich ist, das ein Teilnehmer die Halle oder das Studio freier in der Wahrnehmung seiner Selbst verlässt als er/sie diese Räume betreten hat. Und wenn dann von den Erklärungen, Vorschlägen, Anweisungen und Ratschlägen etwas hängen bleibt und/oder gar zur Lösung eines Bewegungsproblems beiträgt, habe ich meine Arbeit erfolgreich getan.

Vielen Dank für Ihre Geduld … und gutes Gelingen weiterhin …




Yogasana – Asana als Übungspraxis

Wenn wir uns im
westlichen Kulturkreis über Yoga unterhalten, sind dabei meist die
Praxis von Übungsstunden der Kern des Gesprächsthemas. Und ganz
allgemein wird davon ausgegangen, das nahezu jeder Übungen des Yoga
schon einmal gesehen hat, sie mit anderen Worten kennt und daher auch
eine Vorstellung davon besitzt, was diese Übungen bewirken, wie sie
ausgeführt werden und warum sie geübt werden. Das aber ist ein
großer Irrtum.



Ich habe mich
entschlossen, diesen Artikel zu schreiben, weil mir wieder einmal ein
Versuch beim Lesen in die Hände gelangt ist, der dieses falsche
Urteil angeht und versucht, eine etwas andere Sichtweise auf Asana zu
formulieren. Allerdings geht mir dieser Versuch [1. Viveka 58 –
Form folgt Funktion], so richtig auch die beschriebenen Inhalte sein
mögen, beileibe nicht weit genug. Yogasana auf „Form folgt
Funktion“ zu reduzieren ist eine in meinen Augen ungeschickte
Simplifizierung der Möglichkeiten, die eine Arbeit mit und in Asana
wirklich bietet. Auch ragt dann die praktische Ausgestaltung der
Übungsbeschreibung, die das Ende des Artikels schmückt, nicht
einmal einen halben Schritt über die Arbeit mit Einsteigern hinaus.

Die folgende
Beschreibung ist eine Anregung für Menschen, die mit ihren
Yoga-Übungen kein exakt formulierbares Ziel verfolgen. Für die
Begleitung einer Heilung, einem gezielten Energieaufbau bei
Mangelerscheinungen oder anderer therapeutischen Maßnahmen sind
andere Grundsätze von Nöten. Sowohl die Vorgehensweisen als auch
die Intensitäten liegen dann ganz wo anders.

Zunächst einmal ist
Yoga in seiner Gesamtheit ein System, das neben Körperarbeit (Asana)
auch Atemarbeit (Pranayama), und Meditation (Pratjahara, Dharana,
Dhyana, Samadhi) mit all seinen Prägungen ausweist. Es geht sogar,
und das ist wenig bekannt oder wird zumindest selten gelebt, von
einer ausformulierten Moral- und Ethikvorstellung (Yama, Niyama) aus.
Weiterhin gibt es in der Kultur, aus der Yoga stammt, einen
Gesundheitssystem namens Ayurveda, das mit Yoga vernetzt und nur in
Verbindung mit Yoga und seiner Praxis vollständig wird. Yoga selbst
beschreibt somit nur ein Teilbereich dessen, was deren Entwickler
über die Jahrhunderte hinweg mit der Kombination Ayurveda, Yoga und
Religion (Hinduismus) zu erreichen suchten. Yoga stellt in dieser
Kombination drei große Funktionen dar, die mit Prävention
(Gesundheitsvorsorge), Bewegungstherapie (Spannungsabbau,
Rehabilitation) und einer Erforschung des Körpers, des Geistes und
deren Möglichkeiten beschrieben werden kann. Nur in diesem Kontext
ist Yogasana sinnvoll zu verstehen. Soweit der kleiner Überblick
über die Einbettungen des Themas.

In Yogasana übe ich
mit einer Praxis, in der ich den Körper in eine bestimmte Pose
bringe, diese halte und die so verspricht, für mich ganz bestimmte
Ziele zu erreichen. Ich gehe also davon aus, das durch die Ursache
Asana eine gewünschte Wirkung herbeigeführt wird. Das ist die meist
formulierte Erläuterung zu Asana, und sie mag ja auch zum Teil
stimmen, aber sie erscheint mir sehr ungenau, sehr wage und
zusätzlich noch sehr profan zu sein. Zunächst einmal sei erläuternd
erwähnt, das meist nicht eine Ursache allein zu einer bestimmten
Wirkung führt, sondern das eine bestimmte Ursache allein schon viele
Wirkungen hervorrufen kann. Und mehr noch, meist werden wir erstaunt
feststellen, das viele Ursachen viele Wirkungen nach sich ziehen und
das somit eine genaues Urteil selten in Präzision möglich ist. Also
zu sagen, das die Asana wie z.B. der Kopfstand diese bestimmte
Wirkung erzeugt, ist mehr als ungewiss, und das kann auf nahezu alle
Übungen übertragen werden. Yoga wirkt meiner Ansicht nach als
System, und um Yoga beschreiben zu können, muss ich daher auch
systemisch argumentieren. Darin spielt dann eine bestimmte Übung nur
eine sehr begrenzte Rolle. Weiterhin muss ich beachten, welche
Intention (Ziele) der Übungsteilnehmer mit seiner Praxis verfolgt.
Das kann sein, das hier lediglich ein Ausgleich zur Arbeitswelt
geschaffen werden soll, kann aus Gründen der Gesundheit wie der
Bekämpfung von Rückenschmerzen motiviert sein oder ist einfach
durch das Sozialverhalten und dem Spaß und der Freude an Bewegung
begründet. Für alle diese Motive gilt das gleiche Übungssystem,
werden die gleichen Übungen eingenommen und die gleichen Regeln
befolgt? Ist das so? Ist Yogasana wirklich die alles umfassende
eierlegende Wollmilchsau? Und jetzt heißt es wohl üben, üben und
üben?



Der Schein trügt.
Posen wie z.B der Drehsitz und seine Variationen bieten viele
Möglichkeiten der Wirkungserzeugung an. Sie alle sind aber weder
gleichwertig, weder allgemein gültig noch für alle Menschen gleich
wirkend. Doch der Reihe nach!
Zunächst einmal ist der
vollständige Drehsitz z.B. eine Haltung, die nicht jeder Übende
gleich einzunehmen vermag. Daher werden gerne Vorstufen dieser
Haltung verwendet, wenn man in großen Gruppen übt, denn ein oder
zwei Beginnende sind immer wieder mit dabei und hier muss Rücksicht
genommen werden. Diese Vorübungen [2. a. Ein Bein gestreckt, ein
Bein übergestellt, dann gedreht; b. Ein Bein gestreckt, ein Bein
seitlich abgelegt, dann gedreht; c. einfach mit gestreckten Beinen
sitzend gedreht; d. Auf dem Stuhl sitzend gedreht; e. Ein Bein
gestreckt, ein Bein angestellt und gedreht; …um nur einige zu
nennen und mich beim Aufzählen auf mögliche Beinhaltungen
beschränkend. Dann gibt es ja noch Arme, Atem, Intention und
Intension…] aber haben jeweils vollkommen unterschiedliche Wirkung
zu Folge. Woher weiß ich das? Ich habe sie alle ausprobiert und
miteinander verglichen. Wer als Yogalehrer offene Stunden gibt, weiß
nie, welche Übende mit welchen Motiven sich in seinen Kurs
versammeln können. Er sollte daher alle Variationen, die er
unterrichtet, auch kennen. Große Teilnehmerzahlen sind zwar gut fürs
Geschäft, aber schlecht für den Teilnehmer, denn der Lehrer wird
sich um den Einzelnen nicht intensiv kümmern können. Ich sehe daher
bei mir maximal 10 bis 12 Teilnehmer als sinnvoll an. Mehr ist für
einen Lehrer eigentlich nicht zu schaffen ist. Und diese kleine
Anzahl geht auch nur dann richtig gut, wenn bereits die Hälfte der
Teilnehmer regelmäßige Kursbesucher sind.

Und da sind wir
schon mitten im Thema und an einer Stelle, die mir zum jetzigen
Zeitpunkt im Artikel zu früh für Detailäußerungen erscheint und
die ich daher zurückstellen möchte. Bleiben wir zunächst noch
etwas beim dem, was allgemein geäußert werden kann.

Ich möchte jetzt einfach einmal ohne begründende Erläuterung und Ableitung meine Ansicht zu Yogasana beschreiben. Jede Pose, die ein Körper einnimmt und etwas hält, stellt eine Herausforderung für viele Funktionen des Körpers dar. Der Atem muss stattfinden können. Der Kreislauf darf nicht übermäßig eingeschränkt sein. Muskeln müssen angespannt, entspannt oder zum Halten genutzt werden und es wird oftmals auch Kraft, Energie und Willensstärke gefordert. Dann sind natürlich immer auch Entspannung, sich lösen von Vorstellungen und andere psychologische Aufgaben zu bewältigen. Jede dieser Aktivitäten erzeugt Wirkungen. Und jede Wirkung wird als Ursache weitere Wirkungen nach sich ziehen. Wie also soll ich so ein Netzwerk mit einfachen Worten beschreiben? Meine Antwort ist einfach: Gar nicht!

Zäumen wir daher das Pferd daher mal von hinten auf. Wir alle kennen die hohe Beweglichkeit, die langjährige Yogaübende auszeichnet. Diese Beweglichkeit ist nicht das Ziel des Yoga, sondern sie ist eine kollaterale Wirkung. Yogasana werden immer so eingenommen, das sie sich in der Ausformung im Grenzbereich der Bewegungsmöglichkeit des Übenden befinden. Stellen wir uns den Bewegungsspielraum eines Menschen als eingezäunten Garten vor, so üben wir sinnvoll immer direkt am Zaun. Wir berühren diesen aber nicht und wir überwinden ihn auch nicht. Der Körper aber, der regelmäßig vor grenzwertige Aufgaben gestellt wird, sorgt in seiner Autonomie und Anpassungsfähigkeit immer für einen ausreichenden Spielraum in seinen Möglichkeiten. Üben wir immer am Zaun, wird der autonome Körper den umzäumten Raum folglich immer mehr weiten. So entsteht die hohe Beweglich von Yoga-Übenden. Warum aber üben wir immer direkt am Zaun? Der Zaum bildet eine Grenze, die vom Körper deutlich angezeigt wird, zunächst als Wahrnehmung, dann als Spannung und fortführend oder sogar bei Überwindung des Zaunes als Schmerz. Wenn ich demnach dort arbeite, erfahre ich etwas über meinen (Ver-)Spannungszustand und die mir noch zu erschließenden Möglichkeiten, indem ich mich entweder mit Normen der Yoga-Literatur oder anderen Übenden vergleiche. Ziel des Systems wäre demnach, mich von Verspannungen [3. Verspannungen haben vielfältige Einschränkungen zur Folge. Das betrifft den Atem, den Kreislauf, das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und andere gesundheitlich relevante Motive (Schmerz, Bewegungseinschränkungen). Verspannungen benötigen immer Energie, um gehalten werden zu können. Diese steht dann für die Alltagsbewältigung nicht zur Verfügung.] zu befreien.



Des weiteren kann mit Yogasana durchaus auch klassisch trainieren (hier spielt die Intension eine Rolle, die ich der Haltung gebe), sei es zu mehr Beweglichkeit (Vorwärtsbeuge) zu kommen, sei es die Ausdauer (Sonnengebet) zu steigern oder meine Kraft (Stockhaltung) zu erweitern. Allerdings unterscheiden sich Yogasana von Sporthaltungen in der Gestalt, das immer zum Ende einer Haltung eine Entspannungsreaktion vom Übenden gefordert ist. Viele fortgeschrittene Asana sind sogar so ausgelegt, das man ohne Entspannungseinsatz sie einfach gar nicht länger wird halten können. Daher ist es auch wichtig zu sehen, das eine hohe Grundbeweglichkeit das Üben von Asana durchaus im Wirkungsradius verstärkt [4. In der Sportmedizin werden Grundbeweglichkeiten ausgewiesen, die mit Elastizitätstest ausgeführt werden. z.B.: Intensivstretching und Ausgleichsgymnastik von Gerd Schnack, Deutscher Ärzte-Verlag, ISBN 3-7691-0239-8]. Wenn man sich diese in Ruhe anschaut, wird man feststellen, wie wenig Menschen diese auch alle zu erfüllen vermögen. Dazu gehören unter anderen die Hocke mit beiden Fußsohlen am Boden bei geschlossenen Knien und die Vorwärtsbeuge mit gestreckten Beinen, wobei hier die Hände ohne Mühe mit den Handgelenken bis über die Füße gelangen sollten. Dehnen, öffnen sowie kräftigen sind daher wichtige Grundmotive für eine sinnvolle Praxis.

Wir haben also jetzt
gesehen, das das Lösen von Verspannungen ein Grundmotiv von Asana
ist. Weiterhin kann mit den Haltungen auch mit ähnlichen Zielen wie
im Sport trainiert werden. Wodurch aber ist diese Praxis dann, wie
bereits oben kurz erwähnt, in Lage, in Sachen Gesundheit präventiv
(vorbeugend) zu wirken? Um die Grenzen des Bewegungsraumes nicht zu
überschreiten ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erforderlich.Der
Blick muss dafür bis in die tiefen Feinheiten der Körperwahrnehmung
hineinragen. Da unterschiedliche Asanas im Körper an verschiedenen
Stellen herausfordern, lernen wir den Körper in seiner Gesamtheit
kennen und sind schon nach wenigen Wochen der Übung in der Lage,
feinste Körperwahrnehmungen zu erkennen und diese auch durch
Erfahrung zu unterscheiden. Nun zeigt die Erfahrung, das sich
Krankheiten in aller Regel nicht von heute auf morgen einstellen,
sondern sich langfristig ankündigen. Entweder ein ungutes Gefühl,
eine leichte Veränderung der Haltung, der Zustand einer Spannung
oder ein anderer feiner energetischer Ausdruck zeigt sich, lange
bevor eine Krankheit zu greifen beginnt. Ich z.B. bekomme leichte
Entzündungen im Mund- und Rachenraum mehrere Tage vor einer
Erkältung, bekomme Schulterschmerzen bei langer Rechnerarbeit, die
sich durch ein leises Ziehen bemerkbar machen. Rechtzeitig erkannt,
kann so der angreifenden Krankheit früh begegnet werden. Ein Bad
(gegen die Erkältung) oder eine Lockerungsübung (für die Schulter)
zur rechten Zeit wirken bei mir als Beispiel wahre Wunder. Das Üben
von Yogasana hilft also durch Aufmerksamkeit, Krankheiten [5. Auch
die Verspannung ist eine Krankheit.], besonders in ihrer voll
ausgeformten Stärke, durch rechtzeitiges Gegensteuern zu vermeiden.
Eine Erkältung dauert dann mal zwei, drei Tage, der Schulterschmerz
ist meist in Minuten schon aufgehoben.

Dann bereitet
Yogasana auf die Meditationshaltungen vor, die ja auch ein Teil der
Yogapraxis sind. Nicht jeder Sitz ist für Stunden gehalten bequem
und unproblematisch. Ich denke sogar, das Yogasana für die
Erreichung der Ziele der Meditation bzw. deren Aufgabe unabkömmlich
sind. Aber das ist ein anderes Thema.

Fassen wir
tabellarisch mal zusammen, was wir bis hier gelesen haben:

  1. Yogasana
    dienen der Lösung und Vermeidung von Verspannungen.
  2. Yogasana
    helfen, den Körper wahrzunehmen und diesen zu verstehen.
  3. Yogasana
    helfen dabei, Krankheiten rechtzeitig zu erkennen oder zu vermeiden.
  4. Yogasana
    öffnen den Bewegungsraum und helfen Kreislauf und Atem.
  5. Yogasana
    trainieren Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer.
  6. Yogasana
    bereiten auf die Meditation vor



Das ist doch recht
gesehen schon eine ordentliche Palette guter Wirkungen. Aber wie
setzten wir jetzt die mehr allgemeinen Anforderungen für Asana um?
Wie kann ich mir das vorstellen? Nun, eine Asana ist einfach eine
Pose, die wie ein Rezept verstanden werden kann. Sie wird immer im
Grenzbereich der Beweglichkeit gehalten. Wenn dann eine bestimmte
Haltung eingenommen ist, beginnt man damit, diese entweder selbst zu
korrigieren oder vom Lehrer korrigieren zu lassen. Dann legt man eine
mäßige leichte Spannung in die Pose, um sie räumlich zu füllen
oder sogar etwas zu heben. Diese Spannung, die meist zur Basis
(Boden, Sitzen) geht und den Körper sich allgemein etwas verengen
lässt, lässt man dann nach wenigen Sekunden langsam abflachen, bis
sich der Körper wieder öffnet, weitet. An der Stelle (Schwelle), wo
der Körper sich noch erdet, aber schon öffnet, weitet, hält man
die Spannung bis zum Ende der Asana. Dabei öffnet sich sowohl der
Atemraum (Prana) als auch die Ausrichtung zur Erdmitte (Apana)
deutlich fühlbar. Die Pose erscheint dann fest und relativ mühelos.
Durch stetiges Üben in dieser Form, darin enthalten ist der
korrekte Einsatz von Bhandas und Marmas [6. Bhandas und Marmas sind
energetisch wirksame innere Bewegungen und Anbindungen, die uns in
die Lage versetzen, eine Haltung mühelos zu halten. Sie wirken wie
Siegel, die unsere optimale Haltung absichern.] werden sich
Verspannungen, Schutzverspannungen und behindernde Blockaden lösen
und zunehmend dem Körper mehr Raum geben. Mehr Raum bedeutet mehr
Energie, denn Energie braucht Raum, da sie bewegt ist und nicht
statisch gespeichert oder gehalten werden kann. Das ist in kurze
Worte gefasst der grobe Aufbau einer einzelnen Asana aus meiner
Sicht.

  1. Die Form
    einnehmen.
  2. Die Form
    korrigieren.
  3. Bhandas und
    Marmas einsetzen.
  4. Etwas mehr
    Spannung erzeugen und diese langsam zurückgehen lassen,
    beobachten…
  5. Die Form in
    der Wahrnehmung haltend etwas wirken lassen (stehen).

Die Übungsreihen,
mit denen man dann im Alltag arbeitet, enthalten Übungen, die
entweder in einer ganz bestimmten Weise eine Wirkung erzeugen sollen
oder ist eher allgemein gehalten, was bedeutet, das systematisch der
Körper nach Spannungen und Veränderungen durchleuchtet wird. Daher
der Aufbau vieler Traditionen des Yoga in festgelegten Übungsreihen.
Diese sind aber meiner Überzeugung nach mehr für Einsteiger
gedacht. Der erfahrene langjährig Yoga-übende Mensch wird solche
Reihen nicht brauchen. Er verfährt nach der Methode, „was ich in
der Körperwahrnehmung bei mir gefunden habe, werde ich auch sofort
angehen“. Daher ist eine eigene Übungspraxis zu Hause immer
sinnvoll. Die vielleicht eine gemeinsame Übungsstunde in der Woche
oder der Unterricht mit einem Lehrer ist nur ein Impulsgeber oder
eine Kontrolleinrichtung. Sie dienen dem Erlernen neuer Asanas, der
Erweiterung des geübten Portfolios und der Aufnahme von Tips und
Tricks, mit denen die Übungen verfeinert werden können. Außerdem
ist es immer auch interessant und gewinnend, sich mit Gleichgesinnten
zu treffen, gemeinsam zu üben und sich auszutauschen.

Dieses in der Fülle
nur leicht angeleuchtetes Beschreiben einer Asanapraxis (Yogasana)
ist meine Art, mit diesem uralten Rezept aus dem Yoga umzugehen. Die
Elemente religiöser Anteile, die häufig im Yoga beobachtet werden
können, interessieren mich nicht. Das Geschäft mit Yoga ist für
mich nicht von Bedeutung, und auch als Hobby würde ich Yoga ungern
bezeichnen. Yogasana, Pranayama und Meditation sind für mich wie
Körperpflege, wobei Körper und Geist in meinem Denken nicht
getrennt sind. Beide gemeinsam brauchen diese Pflege, um ein gesundes
und erfülltes Leben führen zu können.

Nun hat der Artikel
schon vier DIN-A4-Seiten und Details wie Tips, Tricks und Wege zur
Orientierung sind darin noch nicht enthalten. Jeder Mensch für sich
ist nun einmal eine einmalige Übungsfläche. Das macht die Sachlage
unübersichtlich. Jede Pose, jede Haltung, jede Übung und jeder
Atemzug ist eine einmalige Sache. Es gibt wenig Regeln und wenige
Schilder, mit denen eine solche Praxis einfach mal so durchgeführt
werden kann. Auch ein Lehrer hat für sich genommen eine einmalige
Struktur und kann daher meist nur für sich selbst sprechen. Da aber
Menschen doch nicht so unterschiedlich sind, das gar keine Merksätze
mehr gebildet werden könnten, und da Menschen lernen können,
Mitgefühl zu entwickeln und tolerant zu sein, ist die Arbeit
zwischen Lehrer und Schüler im Yoga immer auch ein Gespräch, ein
Austausch und innerhalb eines freundschaftlichen Rahmens angesiedelt.
So sehe ich meinen Yoga-Unterricht, und so werde ich es auch
weiterhin halten. Wo nur wenige Regeln sinnvoll sind, sollten auch
nur wenige als endgültig formuliert oder ausgewiesen werden.

Und um jetzt zum
Anfang zurückzukehren: Manchmal ist es wichtig, auch Form zu üben
und die Funktion hinten anzustellen. Denn erst die richtige Form
lässt oftmals die Funktion erst im Licht der Aufmerksamkeit
erscheinen. Yoga und Yogasana sind jeweils ein System [7. Systeme
müssen gelebt werden, um erkannt zu werden. Zuerst folgt man
jemanden, dem man vertraut. Dann versteht man, und fließt durch die
Übungsreihen. Dann reihen sich die Übungen mehr und mehr von
selbst. Und zum Schluss steigt man nur noch auf seine Matte und
verlässt sie wieder. Und dazwischen ist… nichts!], und keine
Aneinanderreihung von Einzelübungen.

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Geht Gedankenfreiheit in Yogaübungen?

Immer, wenn wir uns in einer Yogahaltung bewegen oder verharren, wird das Problem erkennbar, wie wir mit der zu verweilenden Zeit umgehen können. Wie jedes nahezu System ist auch unser Geist mit einer installierten oder gehaltenen Unbeweglichkeit massiv überfordert und wird, die Zeit nutzend, in Gedankengebäude hineinfallen. Diese Tatsache ist verständlich, erklärbar und auch vollkommen normal, und daher sollten wir uns als Übende auch darüber bewusst sein, das dieses so geschieht. Wenn wir zusätzlich zum Yoga auch Meditation praktizieren, wissen wir weiterhin, dass in optimaler Weise ein Zustand anzustreben ist, den man grob beschrieben als Gedankenfrei bezeichnen kann. In der Gedankenfreiheit aber, und das wird mit zunehmender Sicherheit zum Problem, verändert sich die Wahrnehmung der Zeit.  Das Problem entsteht dadurch, dass wir, solange die Gedankenfreiheit andauert, kein Zeitempfinden  haben, nur die Zeit der Gedanken registrieren und somit häufig zu kurz oder zu lang in der Übung verweilen.

Exkurs: Eine Yogaübung wirkt immer erst durch die Intensität und die Dauer des Impulses, den ich in den Körper hineingebe. Wie vielfach schon beschrieben wirkt dieser Impuls in dem Grenzbereich meiner Körperwahrnehmung, der zwischen dem Alltagsgefühl und einem beginnenden Schmerz liegt. Ich nenne diesen Zwischenbereich Tonus. Man spürt die Öffnung, spürt die notwendige Kraft, spürt die benötigte Energie, aber diese Wahrnehmung darf noch nicht Schmerz sein. Dass wir dann sozusagen im Grenzbereich unserer Dehnung arbeiten, erklärt auch die hohe Beweglichkeit, die durch Yoga und seine Übungen nach und nach ausgebaut wird. Dehnung ist nach neuer sportphysiologischer Forschung nicht allein die Dehnungsfähigkeit einer Muskelfaser, sondern mehr die Aufnahmefähigkeit und Tragfähigkeit einer Spannung, die ein Muskelfaserbündel zu tragen geneigt ist. Diese wird durch die Setzung von regelmäßigen Impulsen, die nichts anderes sind als das Zeigen eines Wunsches, gesteigert oder durch einen Mangel an Inanspruchnahme verringert werden. Daher ist regelmäßiges Ausdehnen sowohl  vor als auch nach Belastung so wichtig.

Da ich einerseits meditiere, danach aber auch Yogaübungen praktiziere und diese Tätigkeiten als Arbeitnehmer durch Zeitmangel stets eng zusammenliegen müssen, komme ich in einer Yogahaltung regelmäßig in Phasen (Sekunden) der Gedankenfreiheit. Das zeigt sich so, dass an manchen Tagen die 90 Sekunden Kopfstand wie im Flug vergehen, während sich die gleiche Zeit an anderen Tagen sich wie das Warten auf einen Termin anfühlt. Ich bin daher dazu übergegangen,  mittels einer Meditationsuhr die Übungszeit für jede Haltung festzulegen. Dazu gehört natürlich auch die Übungsabfolge zu planen, entsprechend vorzubereiten und regelmäßig die Zeiten anzupassen. Alternativ dazu könnte man in einem Minutenabstand gongen lassen und so die Zeitvorgaben halten. Wichtig ist auf jeden Fall, eine angemessene Zeit in der Übung zu sein. Der Übende benötigt etwas Zeit um sich einzurichten, der Körper benötigt weitere Zeit, um die Wirkung zu entfalten und den Impuls als Forderung aufzunehmen.

Meiner Erfahrung nach genügen für klassische Übungen in der Summe ein bis zwei Minuten, um das volle Potential einer Übung zu entfalten, wobei einige Sekunden der Einrichtung geschuldet werden müssen, bevor die eigentliche Übungszeit beginnt. In dieser versuche ich stets, nahezu still in der Beobachtung der Übung zu sein. Stille bedeutet weder ruckeln, noch korrigieren, noch geistig oder gedanklich irgendwelchen Träumen oder Gedankengebäuden nachzuhängen. Ganz in der Übung sein, nur Übung sein, ganz in der Wahrnehmung und nach Möglichkeit vollkommen in der Stille der Gedankenfreiheit verhalten sich Yogaübungen zum Körper wie die Musik zum Tanz. Sie beflügeln und ergänzen sich zu einem größeren Ganzen. Ich würde aus meiner Erfahrung heraus diesen optimalen Zustand als „schweben“ bezeichnen, ohne Last und Mühe und trotz Arbeit ruhend in sich selbst.