Yoga und das spirituelle Weltbild in meiner Praxis
Eigentlich weiß es jeder. Wenn wir regelmäßig Yoga üben, in Meditation sitzen, eine Kata oder Form vollführen oder uns in einer Entspannungshaltung befinden, folgen wir einem ganz ausdifferenzierten Weltbild, das uns in Samadhi, in Satori, die Befreiung von etwas, die Befreiung zu etwas oder in eine neue Fähigkeit führen möchte. Bevor wir uns dann in die Frage vertiefen, was Samadhi, Satori oder Befreiung sei und wie wir das Erreichen desselben überprüfen können, müssen wir uns erst einmal mit dem Begriff des Weltbildes auseinandersetzen.
Der Begriff Weltbild, wie er meist verwendet wird, ist eine Vorstellung der erfahrbaren Wirklichkeit als Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile (Wikipedia, Weltbild). Häufig wird auch der Begriff Weltanschauung genannt. Soweit so gut. Die Wissenschaft, die für solcherlei zuständig ist nennt sich Philosophie, und der Fachbereich, der dazu zu Rate gezogen werden kann ist die Ontologie (Seinswissenschaft). Allerdings enthalten Yoga wie alle östlichen Weisheitslehren nicht nur philosophische Anteile, sondern auch noch sehr viele religiöse Vorstellungen, die zwar meist dem Hinduismus oder Buddhismus entlehnt, aber zu einer eigenen Struktur zusammengefügt wurden. Nicht alle Yogis sind aber Hindus, und nicht alle Hindus praktizieren Yoga oder gar Meditation. Die Wissenschaften, die sich damit beschäftigen könnten, sind die Indologie und die vergleichende Religionswissenschaft. Um also Yoga zu verstehen, liegen jetzt als Studium das Einlesen in drei Wissenschaften sprich drei Meter Bücherregal samt Füllung vor uns? Oder gibt es nicht doch einen einfacheren Weg?
Wieviel Information und welches Vorwissen notwendig sind, entscheidet sich daran, wie ich mit z.B. mit Yoga umgehen möchte, was ich von diesem Umgang erwarte und wie tief ich eine Verstrickung in diese Praxis zuzulassen gedenke. Betrachte ich Yoga gesundheitlich, sportlich, betreibe ich es psychologisch, philosophisch oder glaube ich, für mich eine neue Religion, eine neue Form des Seins gefunden zu haben, an dem mein künftiges Leben sich gestaltet. Am Anspruch, den der Übende zugrunde legt, wird die Menge und die Auswahl des Lernmaterials sich orientieren müssen.
Für die erste Dimension (gesundheitlich, sportlich) genügt es meist, ein Yogastudio zu besuchen und sich einer gut geführten Gruppe anzuschließen. Die wenigen Fachbegriffe, die ich verstehen muss, finde ich in nahezu jedem Yogabuch auf den ersten praktischen Seiten. Wichtiger allerdings ist, sich mit den Grundbegriffen der Sportphysionomie vertraut zu machen und etwas zu lernen über Dehnung, Tonus, Haltung und vor allem über die Schwachpunkte der menschlichen Gestalt.
Für die zweite Dimension (psychologisch, philosophisch) wird deutlich mehr Fachwissen benötigt. Neben den Grundlagen der Yogaphilosophie und –psychologie ist es ratsam, sich völkerkundlich über Indien zu informieren, da sich die Schriften des notwendigen Studiums erst vor dem Hintergrund der Herkunftskultur abbilden und verstehen lassen.
Für die dritte Dimension (Leben in Yoga) werden sich alle Lebensbereiche grundlegend einer Wandlung unterziehen müssen. Wissen genügt hier nicht mehr. Hier ist ein Leben in Yoga gefragt. Im Europa des dritten Jahrtausends eine mächtige Herausforderung.
Und was oben beschrieben für Yoga gilt, gilt auch im Zen, in Vipassana, im Buddhismus und anderen spirituellen Weltbildern, die eine Übungs- und Lebenspraxis anbieten. Natürlich gibt es in und zwischen den Dimensionen Grauzonen und Abstufungen. Sie alle versprechen dem Übenden etwas in der Form: Wenn du A und B regelmäßig übst, bekommst du C und D; wenn du so und so lebst, wirst du so und so dich fühlen, erleben und den und den Sinn finden. Immer kommt zuerst das Tun, dann kommt irgendwann die Belohnung und zum Schluss ein tolles Leben in Freiheit, ohne Ärger, ohne Leiden, ohne Angst und ohne Sorgen. So wird es proklamiert und praktiziert, seit Jahrhunderten mit stets offenem Ausgang. Das Problem, das dabei immer wieder erscheint ist die schnöde Tatsache, dass wir belegbar nur dieses eine Leben so leben und es kein Zurück geben kann, denn jeder gelebte Tag wird Spuren hinterlassen. Was also ist zu tun, wie muss ich mich entscheiden, wie kann ich einen Weg sicher gehen? Darauf gibt es keine wirklich zufriedenstellende Antwort. Hier sind Entscheidungskraft, Mut, Vernunft und Verstand, ein fester Wille und eine klare Sicht auf meine jetzige Welt notwendig. Ich möchte etwas ändern? Wie weit muss ich dafür gehen? Wie hoch ist der Preis? Wie sicher ist der Weg?
Was bei der Betrachtung bisher nicht erwähnt wurde ist die Fragestellung, ob ich mich immerzu voll zu 100% einbringen muss? Soll oder muss ich sogar das ganze Lebenskonzept einer Praxis übernehmen, damit sie wirkt? Oder ist es möglich, sich aus und in einer Lehre voranzutasten und mit Vernunft, Geduld und etwas Gelassenheit den Teil eines Weges zu gehen, der mir jetzt mein Leben etwas zu beruhigen vermag. Fangen wir vielleicht doch einfach mal klein an. Wie ist ein Leben, wie fühlt sich ein Leben an ohne Rückenschmerzen? Ist es das gleiche Leben wie jetzt nur ohne Schmerzen, oder wird durch die Schmerzlosigkeit etwas frei, was mein Leben grundlegend zu ändern vermag? Ich denke, letzteres wird stattfinden. Zumindest spricht meine Erfahrung dafür, es so zu sehen. Ein ähnliches Motiv ergibt sich aus der Aufnahme einer Meditationspraxis. Auch ohne Samadhi, auch ohne Satori wird sich durch tägliche Praxis Bewegung in das Leben kommen und niemand kann vorhersehen, was das so genau sein wird. Der Weg ist ein Weg der Erfahrung, und Erfahrung gewinnen wir durch tun. Und was eine Erfahrung bewirkt, das steht nicht einmal in den Sternen. Das wird sich erst zeigen, wenn die Zeit gekommen und/oder der Mensch gereift ist.
Die Essenz der Worte oder das was ich zu sagen habe ist doch, dass wir unser Leben einfach leben und nicht entscheiden müssen, irgendeinem vorgefertigten Pfad zu folgen. Es ist mein Leben, meine Zeit, meine Intension. Dafür muss ich mich weder entschuldigen, noch rechtfertigen noch schämen. Nichts dergleichen ist von Nöten. Es gibt weder falsch noch richtig, denn Wissen über dieses unser Leben haben wir keines und wir sollten es auch nicht anstreben (sagt die Philosophie: Sokrates). Nur leben ist mehr als genug!
Vieles von dem, was bisher in mein Leben kam war gar nicht gewünscht, wurde von mir nicht erwartet und war auch nicht absehbar, selbst aus und mit Yoga nicht. Vieles, was ich begonnen und beendet habe, hat seine Schatten geworfen und seine Spuren hinterlassen. Aber immer bin ich doch der geblieben, der ich sein wollte, oft im nirgendwo zwischen modern und antiquiert, zwischen beliebt und übersehen, zwischen erfolgreich und dahin plätschernd, zwischen gefasst und zerbröselt, zwischen gerne gelebt und durchgestanden. Ich musste dafür weder Yogi sein noch sonst wie heilig, musste mich nicht so und so ernähren und so und so mein Leben gestalten, nur Hanspeter sein hat genügt. Und im selten stattfindenden Zurückschauen sage ich dazu nur: Es war ganz OK so.