Spirituelle Suche und Weisheit

Bei der spirituellen
Suche sprechen wir gerne, ausgelöst durch eine große wahrgenommene
Sehnsucht, von der Suche nach Einheit, Befreiung, Erlösung,
Erleuchtung, um durch deren Verwirklichung ins Wahre, Schöne, Gute
oder auch nur in eine friedvolle Stimmung und Lebensführung zu
kommen, die die Angst vor dem Tod oder dem Vergehen endgültig zu
besiegen und so der Welt, dem Lebendigen und uns selbst das wie immer
gestaltete Paradies zurückzuerobern verspricht. Das ist die Vision
nahezu aller Befreiungs-Theorien, die die Welt und deren umfangreiche
Literatur zu bieten hat. Ich möchte nachfolgend einmal versuchen,
etwas Struktur in diese Formen zu bringen und werde mich dann trauen,
einige Begriffe und Annahmen kritisch zu hinterfragen.



Zunächst bedeutet
spirituell zunächst einmal „Geistigkeit“, also eine
Lebenshaltung, die der geistigen und fein-stofflichen den Vorzug vor
der materiellen Welt einräumt. Diese Ausrichtung erfolgt in dem
festen Glauben, eine Sehnsucht zu verspüren, die nach dieser als
Priorität angesehenen Fähigkeit Ausschau halten lässt. Nun ist
eine Sehnsucht in normalen Fällen ein Gefühl, das uns uns nach
einem bekannten und als wohlfühlend erkannten Umfeld zurücksehnen
lässt, also einer Umgebung oder Ausrichtung, die uns gewohnt war und
die wir verloren haben. Die Sehnsucht nach dem Zuhause oder auch
einer bestimmten Menschengruppe, nach bestimmten Orten oder
klimatischen Verhältnissen, nach bestimmten Essen oder einer
Tätigkeit ist nahezu jedem hinlänglich bekannt und auch
verständlich. Die Sehnsucht nach Befreiung allerdings würde, im
selben sprachlichen Kontext gebraucht, bedeuten, das wir einmal frei
waren, diese Freiheit verloren haben und uns dahin zurücksehnen. Ein
verständliches Gefühl. Wie aber würde es sein, wenn wir vollkommen
sicher sein müssten, das wir die so ersehnte Freiheit noch niemals
haben genießen können, zumindest nicht in diesem unserem Leben seit
unserer Geburt?

Das würde bedeuten,
das wir diese Sehnsucht nicht aus uns heraus, also aufgrund einer
eigenen erlebten Erfahrung, sondern auch einem anderen Grunde in uns
aufleuchten sehend erkennen müssten. Diese anderen Gründe könnte
die Geschichten sein, die uns Religionen, deren Bräuche und
Überlieferungen, also Erzählungen vermitteln. Das Paradies zum
Beispiel ist so eine Geschichte, die uns den Verlust der perfekten
Welt vermittelt und uns anhält, ja nur alles so zu tun, wie es
verlangt wird, um den Einzug in diese schöne Welt nicht zu verpassen
oder zu verspielen. Andere Geschichten erzählen von einem Raum des
endlosen Lebens, in dem es weder Not noch Angst gibt und in der alle
Wesen in Glückseligkeit verharren. Das Nirvana des Hinduismus ist so
ein Raum, der über die Realisierung von Atman/Brahman gewonnen und
die leidensreichen Wiedergeburten ein für allemal beenden würde.
Andere Wege der Sehnsucht-weckenden Geschichten sprechen davon, das
es Mittel und Wege gibt, uns vom Leiden in der Welt zu befreien und
was uns ermöglicht, ein glückliches und einfachen eben zu führen
im Einklang mit der Natur und seinen Schönheiten. Viele sogenannte
Aussteiger und sogar eine ganze Generation der westlich-zivilisierten
Welt in den 70er Jahren sind diesen Rufen gefolgt. Diese Geschichten
sind bekannt, verbreitet und heute jedem zugänglich. Die moderne
Geisteswissenschaft nennt sie Narrative, Kultur-begründende
Erzählungen, die unser Denken und Streben zu begründen vermögen.
Was wäre also, wenn sich die wahrgenommene spirituelle Sehnsucht auf
diesen Narrativen begründen würde? Würden wir einen oder den
wichtigen Unterschied bemerken?



Gehen wir in der
Eingangsbeschreibung einen Schritt weiter und beschäftigen wir uns
mit den Zielen, denen unser Aufbruch zugrunde liegen könnte. Ich
meine die Suche nach Einheit, Befreiung, Erlösung, Erleuchtung, oder
um eine Verwirklichung ins Wahre, Schöne, Gute oder auch nur in eine
friedvolle Stimmung und Lebensführung. Wie kann ich mir das
vorstellen? In den meisten Theorien um Befreiung überhaupt geht es
doch um die Erringung einer Haltung, die als Einheit, Das Eine, Das
All-Eine oder Gott, Atman, oder Monade beschrieben wird. Auch die
altbekannte Seele, die es stets und immerzu zu retten gilt in
christlichen Religionen, gehört hier in die Sammlung hinein. Keines
dieser Begriffe, alle als Substantiv angelegt, liegt in irgend einer
Form eine materiell oder wissenschaftlich zu begründende Substanz
zugrunde. Substantive beschreiben Lebewesen, Gegenstände und
Begriffe, so will es deren Definition. Begriffe wiederum beruhen auf
hierarchischen Systemen, die sich aus Einzelbegriffen zusammensetzen
und so komplizierte Vorgänge in einem Wort zu beschreiben vermögen.
Ein schönes Beispiel hierfür ist Kants „Kategorischer Imperativ“,
dessen Verständnis-Voraussetzungen ganze Bücher zu füllen vermag.
Auch die Eingangs genannten Begriffe Einheit, Atman und so fort sind
solche Begriffsbündel, die so leicht und einfach nicht zu verstehen
sind. Erschwerend kommt hinzu, das verschiedene spirituelle
Traditionen in Bezug auf den Inhalt dieser Begriffe sehr
unterschiedliche Bündel benützen und diese als Begriff dann auch
anders definiert sehen wollen. Die Befreiungen des Hinduismus, des
Buddhismus und des Christentums haben, hört man in deren Erzählungen
genau hinein, nicht viel miteinander gemein. Was allerdings wäre mit
all diesen Begriffen, die ja auch alle auf eine absolute Einheit
zielen, wenn Platon recht hätte und seine Behauptung sich als
richtig erweisen würde, das der Mensch als Wesen und mithilfe der
Sprache, die er pflegt, Einheit gar nicht denken kann. Was wäre
also, wenn es Einheit zwar gäbe, aber der Mensch sie nicht erfassen
könnte? Würde er sie trotzdem weiter anstreben wollen, anstreben
können?

Wer sich dann etwa
intensiver mit dem Thema beschäftigt, findet heraus, das sich sei
nahezu 2500 Jahren unzählige Menschen mit diesem Problem beschäftigt
haben und daraus eine unendlich Vielfalt an Zugängen geschaffen
wurde, mit denen das Undenkbare denkbar gemacht werden kann, soll
oder sollte. Jeder Religionsgründer, jeder Philosoph, jeder Weise,
sie alle sind sogar in verschiedenen Weltgegenden und Kulturgebäuden
zu Hause, beschreibt im Grunde seinen Zugang zu dieser
Problemstellung. Es gibt Streit darüber, Disput genannt, es gibt
verschiedenen Grundstrukturen, in denen diese Abhandlungen
beschritten werden und fast ein jeder glaubte sich selbst mit seinen
Ausführungen im Zenit des Universums angesiedelt zu haben.
Grundsätzlich aber gibt es zwei große Strömungen, zwei Wege der
Lösung. Die eine und am weitesten verbreitete Lösung erkennt einen
Bereich des Begrifflichen als gegeben an, den der Mensch weder
begreifen, denken noch erkennen kann, der damit transzendental ist
und als gegeben, gesetzt verstanden werden muss. Transzendentalien
sind Begriffe wie Gott, das Wahre, das Schöne, das Gute, die
Vernunft, die Idee usw, die allem Seienden als Modus zukommen. Sie
sind nicht jenseits des Begriffes, sondern sozusagen als Grundlage,
Font im Begriff als Voraussetzung enthalten.

Die zweite Grundlage
baut auf der Begrifflichkeit der Immanenz auf. Diese bezieht sich
nicht auf Begriffe, sondern auf den Gegenstand, den der Begriff
beschreibt und weist diesem eine innewohnende Eigenschaft zu, die
weder durch Folgerung noch durch Interpretation abgeleitet oder
begründet werden kann. Spinoza zum Beispiel beschreibt Gott als die
eine Ursache aller Wirkungen, die allerdings auch andere Ursachen
zwangsläufig mit einschließt. Immanenz bedeutet immer einen
Einschluss aller Gegenstände und Bedingungen, die Leben und Welt
hervorbringen. Eines der schönsten und weitreichendsten Beispiele
für Immanenz-Denken und dies bezüglich allen Seins zeigt sich im
Taoismus, in dem das „Tao des Himmels“ die rechte Beschreibung
des Wegs benennt, der zum Heil und zum Gelingen führt. Immanenz wird
allerdings in der heute federführenden westlich-orientierten
Philosophie immer nur als Unterkategorie gesehen, wird mit
Naturalismus oder als Einschluss ins Absolute angesehen,
gleichgesetzt und wie eine Vorbedingung behandelt, die dann doch
letztlich ins Gegenteil, also ins Transzendente hinüber führt.
Schelling ist hierfür ein leuchtendes Beispiel.



Alle bisher
genannten spirituellen Begriffe und Erscheinungen beruhen letztlich
auf der Suche nach dem Einen, das alles andere einschließt und somit
dem Fragen ein Ende bereitet in der Hoffnung, damit das Leiden zu
beenden und in Glück und Frieden leben zu können. Was aber, wenn
wir damit einer Täuschung aufgesessen sind und einsehen müssten,
das diese ganzen dialektischen Gebäude sich schon mit einer einzigen
Frage zum Einsturz bringen ließen? Wenn wir das Gute, das Glück und
den Frieden, die Freiheit und die Erlösung anstreben und dieses
alles auch erreichen, wo blieben das Schlechte, das Unglück und der
Unfrieden, die doch mit ihrem Gegenteil auch in die Welt gesetzt
wurden und die es es nun zurückzulassen gilt? Was ist dann mit
denen? Verschwinden die einfach? Wenn sie verschwinden, gibt es
Glück, Frieden und das Gute dann überhaupt noch und was haben wir
dann letztlich erreicht? Der Positivist würde es wahrscheinlich
Glückseligkeit nennen, der Pessimist würde wohl Langeweile dazu
sagen, und was sagt der Weise dazu? Würde der Weise nicht sagen, das
sowohl ein Nachdenken als auch ein Ignorieren dieser Fragen nicht zu
einem Ergebnis kommen kann? Der Weise sagt dazu, das Suchen nicht zum
Finden führt, und meint damit, das die ganze Mühe niemals zum Ziel
führen kann, weil… Und auch hier gibt es wieder viele
Begründungen, aber diese gelten entweder nur für jetzt oder nur für
dich oder beides oder keines von beiden. Was aber meint der Weise
aber damit?

Weisheit ganz
allgemein gesagt, das sich der Mensch am Lauf der Welt, die sich in
Immanenz (Tao, Gott) äußert, orientieren müsse. Da alles
„von-selbst-so-ist, wie es ist“ ist, alles ständig im Wandel
gegriffen ist, sind Natürlichkeit, Spontanität und
Wandlungsbereitschaft die Grundlage für rechtes Handeln und Denken.
In dem wir Harmonie bevorzugen und zurücktreten, bescheiden sind und
ohne ein Ziel zu verfolgen unser Leben leben, kommt alles zu einem
guten Ende. Für den Taoismus, der diese Grundsätze pflegt, gibt es
die Unterscheidungen und Begriffspaare wie Gut und Schlecht, Glück
und Unglück, Frieden und Unfrieden nicht, sondern diese treten im
beständigen Wandel stets gemeinsam auf, werden in der Schrift auch
oftmals zusammen in einem Zeichen verbunden und es gilt, diese
Gegensätze zu überwinden, oder anders gesagt nicht in diesen
Gegensätzen zu denken. Und der Weise begründet das damit, das diese
Paare zwar zunächst kurzfristig zwecks Unterscheidung als hilfreich
ansehen werden können, aber durch den Wandel keinem Wesen oder Ding
dauerhaft zugeschrieben werden können. Damit wird eine Zuweisung
grundsätzlich verhindert. Nichts ist daher von Dauer und so wird
auch nichts als grundlegend betrachtet. Es kann auf diesem Grund
keine Lehre aufgebaut und gesichert werden. Was bedeutet diese
Sichtweise aber für ein Leben in einem westlichen Industriestaat, in
Arbeitsteilung, Sozialverbund und einem kapitalistisch organisierten
Wirtschaftssystem? Das ist eine sehr berechtigte Frage, und darauf
gibt es bis heute wenige Antworten.

Zunächst einmal ist
zu entscheiden, was wir definitiv erfahren haben und somit als Wissen
aus eigenem Erleben zur Verfügung haben und Wissen, das wir nur
gehört und erlesen oder uns nur vermittelt wurde. So ist zum
Beispiel das Gros des Erlebens der Kindheit in der Regel erzähltes
Wissen. Meine erste klare Erinnerung verweist auf das vierte
Lebensjahr und besteht nur aus ein paar Bildern, die als Video nur
Sekunden lang wäre. Die nächsten Erinnerungen verweisen bereits auf
den Schulhof der Grundschule, weitere Erinnerungen gehen meist auf
sehr einschneidende Erlebnisse (Beerdigung, Streit, Strafe) zurück.
Der ganze Rest ist eher dunkel, unscharf und kaum zu einer Geschichte
zusammensetzbar. Mit anderen Worten ausgedrückt ist meine
Kindheitserinnerung entweder mir erzählt worden oder besteht aus
sehr dezenten Fragmenten. Mit dieser Erkenntnis im Gepäck kann ich
aus heutiger Sicht eigentlich nur sagen, das ich irgendwann mit 12
oder 13 Jahren wie aus einem Traum aufgewacht bin. Im Grunde war zu
diesem Zeitpunkt bereits alles fertig, der Status in der Familie, die
Ausbildungsrichtung und auch die Freundes- und Bekanntenkreise sowie
das Gros der Interessen. Selbst die Schule samt meiner Leistungen
darin entzog sich demnach so vollkommen meiner Einwirkung. Ich wurde
in ein Leben geworfen, das seine Bestimmung bereits erhalten hatte.
Die erste wirkliche Freie Gestaltung meinerseits bestand aus der Wahl
meines Ausbildungsplatzes, der gegen den Willen meiner Eltern
erfolgte und daher meine erste freie Entscheidung darstellte. Nur,
die Wahl dazu bestand nicht etwa aus der unendlich großen Zahl an
Berufen, sie bestand im meinem Fall aus genau zwei Alternativen, es
ging also nur noch um ein so oder so. Weder die eine noch die andere
konnte ich damals in voller Klarheit sehen. Ich entschied faktisch
nur nach dem Kriterium, was ich nicht wollte.



Exkurs:

Grundsätzlich gibt es für jede Form des Lebens Phasen, die
allgemein als gültig angesehen werden können. Die Phase der
Kindheit und der frühen Jugend erfolgt in Abhängigkeit von den
Erwachsenen (Phase 1), die die Betreuung von jungen Menschen
übernommen haben. Dann erfolgt in noch sehr jungen Jahren die Phase
der Abnabelung von den ersten Göttern, die praktisch die Eltern
darstellen und Pubertät (Phase 2) genannt wird. Mit etwas Glück
trifft man, wie oben beschrieben, hier erstmals eine eigene
Entscheidung. Dann geht die Ausbildung in die zweite Phase, Beruf,
Passion, Orientierung genannt (Phase 3), in der Regel kombiniert mit
der beginnenden Aufgabe als Eltern, dann erfolgt eine
Stagnationsphase in einer beruflichen Routine, begleitet von der
Abnabelung der eigenen Kinder (Phase 4), dann kommt der Eintritt in
den Ruhestand (Phase 5), der dann von Stagnation begleitet (Phase 6)
mit dem Tod endet, entweder mit Krankheit und Pflege begleitet,
unterschiedlich lang oder auch kurz und überraschend. Was wir aber
immer sehen können, meiner Meinung auch müssen, ist die Tatsache,
das sich hier im Leben eines Menschen nur ein einziger
Abnabelungsprozess ausgebildet hat. Zumindest wird in unserer Kultur
und Wissenschaft in der allgemeinen Anschauung und kulturellen
Beschreibung nur ein einziger dieser Prozesse beschrieben und
behandelt, und das ist die Pubertät. Das ist meiner Ansicht nach
falsch. Warum sehe ich das so? Ab Phase drei gibt es in unserer
westlichen Kultur keine wirklich Wahl mehr. Es muss ja ein Einkommen
aufrecht erhalten werden. Jeder Bissen und jeder Schluck kostet. Der
erlernte Beruf, die gegründete Familie erlaubt maximal noch eine
berufliche Fortbildung, die zwar mehr Geld bringt, aber dafür über
Jahre hinweg die komplette freie Zeit bindet. Bleibt man einfach im
Beruf, erfolgen automatisch Stagnationsphasen. Nur wenige Berufe
erfordern lebenslanges Lernen, und so wird die Routine Tagesgeschäft.
Das nervt, erst sich selbst, dann die Umgebung, und führt nicht
gerade zu einer ausgeglichenen Stimmungsstabilität. Viele Ehen gehen
in dieser Zeit einfach zugrunde. Dann wird das Rentenalter erreicht.
Die Kinder sind selbstständig, die Routine erlischt und plötzlich
steht die große Freiheit vor der Türe. Ein leistungsloses
Einkommen, viel freie Zeit und 52 Wochen Urlaub. Nicht jeder
verkraftet das. Wohl dem, der jetzt über ein Hobby, einen
Bekanntenkreis in der gleichen Altersgruppe und/oder eine Passion
verfügt, die ein sinnvolles sich beschäftigen erlaubt. Vorbereiten
konnten sich nur wenige auf all diese Brüche. Die meisten Wendungen
und Wandlungen kommen unverhofft und ungeplant. Muss das aber so
sein?

Was ist daraus
abzulesen? Warum schreibe ich das auf? Und natürlich habe ich mich
gefragt, wie viel davon ist autobiographisch. Und auch die Frage habe
ich gestellt, ob man dieses alles als eine allgemein gültigen Ablauf
bezeichnen kann. Was mir persönlich immer mehr auffällt und zur
Klarheit kommt, ist die Tatsache, das wir in unserer zivilisierten
Welt zwar immer mehr Wahrheiten erkennen und Erscheinungen aufdecken,
das daraus aber nahezu immer keinerlei Reaktionen erfolgen.
Anscheinend, zumindest ist dies ein erster Erklärungsansatz, erkennt
die große Mehrheit der Menschen zwar die Aussagen im Einzelnen, aber
verfügt nicht mehr über die Fähigkeit, diese einzelnen
Erkenntnisse zu einem Ganzen zusammen zu fügen. Ich für meinen Teil
habe mir einige Traditionen spirituellen Arbeitens angesehen, und
obwohl ich mich letztlich für zwei dieser Übungsweisen entschieden
habe, halte ich alle anderen Möglichkeiten nicht für falsch oder
unbrauchbar. Und um in Zen-Sprech diese Erkenntnis auszudrücken, all
diese oftmals auch seltsam anmutenden Wege führen zu ein und
demselben Ziel. Sie sind nur unterschiedliche Pfade im gleichen
Gelände, denn: Der Weg liegt vor unseren Füßen, ist unendlich
breit und ist so offensichtlich, dass er wie der Wald vor lauter
Bäumen nicht wahrgenommen wird. Das Problem dabei ist, das ein
Abstand zwar hilfreich wäre, um wahrnehmen zu können, aber nicht
möglich erscheint. Denn von Allem als Einem kann es keinen Abstand
geben. Es müsste also mindestens zwei geben, um eines davon
wahrnehmen zu können. Und aus Zweien entsteht dann ein Drittes und
daraus, wie es im Zen heißt, die Welt. Aber die Welt ist trotzdem
nur Eines, und dieses Wissen im Hintergrund zu halten und doch in
Teilungen zu denken ist das große Problem der spirituellen Suche
überhaupt.



Nun sind
Transzendenz und Immanenz ja Gegensätze, die beide bis zum Einen hin
gedacht, aber nicht denkend realisiert werden können. Daher
versuchen beide Richtungen, das Denken auf die eine oder andere Art
auszugrenzen, auszuschließen. Aber im Einen geht ausschließen ja
eigentlich ebenfalls nicht. Daher versucht der Weise auch nicht, das
Denken auszuschließen, sondern zu vereinen. Und die Mittel zu diesem
zunächst als unmöglich zu bezeichneten Sehen ist der Versuch, das
Denken in Gegensätzen und Wertungen, die ja ebenfalls immer etwas
ausschließen, zu meiden, soweit das eben möglich ist. Dies gelingt
in der Annahmen der Wandlung, die immanent gedacht, sowohl das eine
wie das andere als vorhanden betrachtet, aber durch den Abstand der
Wandlung jeweils immer nur eines von beiden zur Existenz kommen
lässt, das andere aber denkend als immanent mit einbezieht. So kann
eine Aussage heute richtig, aber morgen bereits falsch sein, kann ein
Rat für den einen richtig, für einen anderen aber falsch sein. Da
nichts von Bestand angenommen wird, ist nichts als Gesetz, Regel oder
Sein festgelegt. Alles besteht in Abhängigkeit zu anderen. Daher
kann es für Weisheit auch keine Regeln, keine Festlegungen, keine
Grundsätzlichkeit geben. Alles steht zu etwas in Abhängigkeit, um
existent zu sein. Die Fachwelt nennt das relativierend denken. Es
gibt nur endlose Relationen, keine feste Substanz. Daher auch die
Aussage, das im Grunde genommen alles leer ist, da nichts, was
existiert, ewig andauern kann. Alles ist im Fluss, oder besser gesagt
im Wandel. Niemand kann sagen, wann dieser Wandel einsetzt und wie
lange er andauert. Und da nichts ewig ist, was vergehen kann, kann
das alles auch leer genannt werden. Und so ist auch der Satz zu
verstehen, das „nur die Leere existiert“, denn ewig ist nur das,
was nicht vergehen kann. „Sein an sich“, das ist die Lehre der
Weisheit, gibt es nicht und kann es sogar gar nicht geben. Kein Gott,
kein Selbst, kein Atman und keine Monade wird ewig andauern, kein
Verstand, keine Vernunft und kein Sein kann als ewig gültig
angenommen werden. Sein kann nur etwas in Bezug zu anderen. Dazu aber
kann es nicht auf Das Eine reduziert werden. Es kann nur in Relation
gedacht werden.

Wenn wir uns in
Spiritualität bewegen, muss und sollte uns dieser Konflikt in jedem
Fall klar vor Augen stehen. Das Eine ist und bleibt im Hintergrund,
immer, ist nicht fassbar und nicht vermittelbar. Und ab zwei erst ist
Dialektik, also Denken überhaupt möglich. Wir können uns daher der
Wirklichkeit, der Wahrheit denkend nur annähern, aber das Ziel nie
erreichen. Und nur, wer bereit ist, das auch zu verstehen, kann weise
genannt werden. Die spirituelle Suche bleibt daher immer ohne Ziel.
Es ist der Weg, um den es geht, es ist das Fortschreiten auf einem
Weg (…der kein Ziel haben kann, weil ein Ziel den Weg am Ende
verlöschen ließe…), auf dem spirituelle Suche stattfindet.




Es sind Interpretationen, die den Fluss zum Stehen bringen…

Im spirituellen
Umfeld sind Sätze, die mit „Ich“ anfangen, oft verpönt. Und
meist wird dieses „Ich“ dann nicht als Subjekt, sondern als
Objekt betrachtet, wie zum Beispiel im Zen in der Frage: „Was bin
ich?“ Was aber bedeutet das? Für mich ist das eine der
schwierigsten Fragen, die ich kenne.



In unserer Sprache
ist die Trennung von Subjekt (Ich sehe/denke/bin…) und Objekt (das
Gesehene/Gedachte/Seiende…) selbstverständlich. Daher beginnen
viele Sätze mit „Ich…“ und deuten von da auf ein
Objekt. Subjekt und Objekt bewohnen so verwendet nicht die gleiche
Welt. Für das Subjekt ist alles, was nicht-Subjekt ist, Welt. Es
gibt daher immer ein „Ich“ und eine „Welt“. Bin ich aber
nicht auch in der Welt, bin ich nicht sogar ein Teil der Welt, gehört
also „Ich“ nicht zur Welt und die Welt nicht ebenso zum „Ich“?
Immanenz nennt die Wissenschaft dieses Phänomen, das wir aber aus
meist praktischen Gründen in unserer Sprache stets missachten. Man
nennt das Dualismus. Und Dualismus ist eine Setzung, die uns das
logische Denken, dem wir folgen (wollen), auferlegt. Geht das nur so?
Diese Frage beschäftigt mich seit langem.

Nach unserer Logik
ist Sein ein absoluter Begriff. Und Aristoteles hat
festgelegt, das „zu sein“ nicht gleichzeitig „nicht zu sein“
bedeuten kann. Nehmen wir den Menschen als Ding, so ist er jetzt im
Augenblick ganz sicher im Sein. In 200 Jahren allerdings wird er das
wohl nicht mehr sein können. Der Zustand des „nicht-Seins“ wird
also mit großer Sicherheit entstehen. Wie geht das aber dann, vom
„Sein“ ins „Nicht-Sein“ hinüberzuwechseln, wenn das nach
unserer Logik gar nicht langsam und kontinuierlich geschehen kann,
denn für einen Übergang müsste „Sein“ dann das „nicht-Sein“
ja bereits enthalten, um hinüber wechseln zu können. Nach
Aristoteles und auch nach heutiger Auffassung geht das nicht, ist das
unlogisch. Nun sind solche Fragen philosophischer Natur und für
Otto-Normal keine ernsthaft zu betreibenden Problemfälle. Wir
sterben einfach, basta. So ist das eben! Das „Warum sterben wir?“
und auch die Frage nach dem „Danach“ sind nicht so wichtig.
Trotzdem, diese Frage liegt oft und ganz besonders in der Aktualität
wie ein Stein im Rucksack der Seele, bringt die Unsicherheit und
Ungewissheit doch die alltägliche Angst hervor, die allgemein üblich
in unserem Kulturkreis mit dem Tod verbunden wird. „Sein“ kann
nicht als absolut gesetzt werden. Trotzdem verwenden wir es genau so,
warum? Was fehlt? Müsste zwischen „Sein“ und „nicht-Sein“
nicht ein Übergang gesetzt werden, der so etwas wie Dauer besitzt?
Lässt das unsere Sprache überhaupt zu?



Eine Lösung des
Problems mit dem „Sein“ ist die Setzung einer „Seele“.
Diese ist unsterblich, ewig, wird uns ins Paradies nach guten Taten
oder in die Hölle nach schlechten Taten eintreten lassen oder
irgendwie wiedergeboren werden, um sich erneut zu bewähren. Wenn ich
einem Menschen die Seele abspreche oder behaupte, diese sei verloren,
werde ich große Reaktionen heraufbeschwören. Die Seele, auch gerne
Monade oder Atman genannt, obwohl weder jemals erkannt, gesehen noch
gewogen ist ein heiliges Gut. Sie erlöst vor der Angst. Aber sie
verhindert auch das Leben. 2000 Jahre christliche Geschichte [1.
Empfehlung: Schatten über Europa, Rolf Bergmeier, ISBN
978-3-86569-075-3] zeigen mehr als deutlich auf, wie groß die Angst
vor dem Seelenverlust sein kann und welche fatalen Wirkungen diese
neue Angst zeugt. Diese sind in weiten Teilen der Welt auch heute
noch oft größer als die Angst vor dem Tod. Haben wir mit der der
Setzung der Seele also nur eine Angst gegen eine andere eingetauscht?
War die Setzung der Seele nur ein cleveres Machtinstrument, das
Wenigen die Macht über viele gab? Diese Frage möge jeder selbst für
sich beantworten.

Was mich weiterhin
beschäftigt, sind Worte wie Selbst, Geist, Schöpfung usw. Nun hören
wir sehr oft in spirituellen Kreisen, das der/die Eine oder Andere
auf der Suche nach dem wahren Selbst sich befindet. Das zur
Zeit als aktiv empfundene Selbst wird folglich als unwahr aufgefasst,
das wahre Selbst aber ist im unwahren Selbst verborgen und wird durch
die Ausübung von Techniken aufgedeckt. Das „wahre Selbst“ also
steckt direkt im oder hinter dem „unwahren Selbst“. Was geschieht
dann mit dem unwahren Selbst, wenn das wahre Selbst erscheint? Stirbt
es? Wie dem auch sei. Wahr und Unwahr sind also bis zur Läuterung
gemeinsam in einem Ding zu Hause. Nach Aristoteles ist das aber
trotzdem nicht möglich. Sein und nicht-Sein, wahr und unwahr? Wo ist
da der Unterschied? Wer hat sein wahres Selbst schon jemals gesehen?
Wer hat sein Selbst, ob unwahr oder wahr, schon jemals gesehen? Was
machen diese Setzungen aus? Sie sind reine Spekulation. Warum
verwenden wir sie dann aber dauernd?

Eine weitere
wunderbare Bedeutung hat das Wort Geist. Es bezeichnet das
mentale Konstrukt, das wir wie oben schon gesehen „Ich“ nennen
und in eins gesetzt ist mit dem ebenfalls schon erwähnten Selbst.
Eine besondere Rolle spielt das neben Geist verwendete Wort GEIST,
das den Individuellen Geist weit überflügelt und ihn in eine
kosmische Umgebung setzt und damit das ausdrückt, was die Summe
aller geistigen Aktivitäten von Leben darstellt, auch gerne als
Speicherbewusstsein [2. Alaya vijnana] und Schatz des Lebens
bezeichnet. In vielen spirituellen Traditionen ist daher als
Übungsweg angelegt, von Geist zu GEIST zu gelangen, teilweise als
Transzendenz [3. Gott, etwas außerhalb der Welt stehendes, der
Grund, das der sinnlichen Wahrnehmung verschlossene.] oder auch in
dessen Gegenteil, als Immanenz [4. Das in allen Dingen enthaltene.]
bezeichnet. Mentale Zustände, in denen diese Barrieren überwunden
sind heißen dann Meditation oder Versenkung, Trance oder Hypnose.
Allerdings beschreiben trotzdem viele Lehren von
Bewusstseinstechniken diese Zustände als unvollkommen, ja sogar
gefährlich und es wird davor gewarnt, sie dauerhaft zu erreichen und
sozusagen in ihnen steckenzubleiben. Sie zeigen wie im Buddhismus
beschrieben nur an, welchen Fortschritt die Übenden gemacht haben
und diese werden immer wieder aufgefordert, auch diese Ergebnisse zu
überwinden. Darüber hinaus fortschreitende Zustände heißen dann
lichte Weite oder kosmisches Bewusstsein. Ich selbst kann dazu nichts
sagen, denn diese beiden sind mir weder zugänglich noch bekannt.



In unseren Sprachen
sprechen wir gerne, wenn wir die Welt und ihr Dasein positiv
überhöhen, von Schöpfung, was nichts anderes bezeichnet als
entweder von Gott gemacht oder aus sich selbst entstanden, je nachdem
welche Religion oder Weltanschauung der These zugrunde liegt. Im
Gegensatz zur Schöpfung ist die Welt meist schlecht und
unvollkommen, entweder durch den Menschen selbst gemacht [5.
Sündenfall im Christentum] oder durch den Einfluss von Stimmungen
wie Habgier, Hass und Neid [6. Buddhismus], die scheinbar aus dem
Nichts plötzlich auftauchen und die Welt vergiften. Die Schöpfung
selbst ist meist vollkommen und wird nur durch falsches Denken,
falsches Benehmen, durch falsche Geschichten oder Erzählungen
verdunkelt und muss daher nur befreit werden, um wieder ein Paradies
zu sein. Besonders große Organisationen berufen sich gerne auch die
Schöpfung und geben vor, Verwalter und Befreier derselben zu sein.
In der Historie erleben wir diese meist so in Szene gesetzt, das sie
durch den Glauben an diesen Anspruch große Macht gewonnen hatten und
haben und diese stets zu missbrauchen verstanden. Ich selbst halte es
daher mit Krishnamurti, der eine Organisation als Träger von
Weisheit als nicht vereinbar/machbar verstand.

Und dann müssen wir
noch über unser Verständnis von Zeit reden. Zeit, das sind
sich sogar die Wissenschaft und die Esoterik einig, gibt es nicht.
Zeit ist ein Konstrukt des Menschen, eine Erfindung des Menschen.
Nicht umsonst hat die Wissenschaft die Zeit erst an der Bewegung und
dann an dem Raum festgezurrt. Die Natur kennt nur einen Wechsel der
Jahreszeiten, die durch den Abstand zur Sonne und durch dies daraus
resultierenden Klimaveränderungen und Lebensbedingungen
gekennzeichnet sind. Weiterhin entsteht unterschiedlich in der uns
zugänglichen Welt ein Wechsel der Hell-Dunkel-Zeiten. Die Zeit, die
wir meinen zu kennen und die 24 Stunden und 3600 Minuten pro Tag in
einem 365 Tage usw. dauernden Jahr enthält ist ein künstliches,
nicht am Leben orientierten Produkt der Technik. Wir erinnern uns an
die Vergangenheit. Diese erstellt Regeln und Handlungsweisen, die
sich bewährt haben und die uns eine Fortsetzung eines Lebens
ermöglichen. Diese Vergangenheit wird ständig gefüllt mit einem
kontinuierlichen Strom von Erlebnissen aus der Gegenwart. Aus diesen
erinnerten Erlebnissen konstruiert und erschließt sich der Mensch
eine Idee der Zukunft, in dere er sich Fortschritt erhofft und die
eine möglichst angenehme Fortsetzung des Lebens ermöglicht. Ein
eigentlich genialer Schachzug, der das eben sichert, aber auch mit
Risiken behaftet. Denn die mögliche Zukunft, so sie denn nicht die
erhoffte Qualität besitzt, erzeugt auch Angst und Negativität,
erzeugt über den Wunsch nach Sicherheit auch Gier, Hass und Neid.
Und hier entstehen auch die Leiden, die das menschliche Leben so
reichhaltig ausfüllten und die eigentlich unsinnig und unerwünscht
sind. Was für diese Lage wichtig wäre und was mir im europäischen
Denken oft fehlt sind daher Begriffe, die eine Dauer in der Gegenwart
auszudrücken imstande sind und die eine Neigung beschreiben können,
eine Neigung, die positive und negative Motive in Bewegung zu bringen
imstande ist. Nun ist in meiner Anschauung Negativität nicht
grundsätzlich schlecht, aber sie sollte mit der Freude, die ich
jetzt mal Positivität nennen möchte, zumindest in einer
ausgeglichen Balance stehen. Meiner Ansicht nach sind Freude und Leid
die Würze des Lebens. Beide in Balance zu halten ist Lebenskunst,
sie durch Erfahrung ineinander zu verweben aber ist Weisheit. Angst
und Leid zu überwinden geschieht durch das Bewusstsein ihrer
Beschaffenheiten, die Kenntnis über die Ursachen und die unendliche
Neuausrichtung der Neigungen, die einen Ausgleich, eine Balance
ermöglichen. So wird im Thema Freude und Leid für mich ein Schuh
daraus.



Es gibt viele
weitere Worte und Redewendungen die in diesem Rahmen gerne und oft
Verwendung finden und gebraucht werden, um etwas zu beschreiben, was
nahezu unbeschreiblich erscheint. Die hohe Anziehungskraft dieser
Beschreibungen drückt die Sehnsucht der Menschen aus, zurück in
einen wie immer auch geartetes paradiesischen Zustand zurückzukehren,
wo das Leben und das Sein vollkommen und leicht und jeglicher
Gefahren enthoben ist. Dafür dann sind Menschen bereit, zu üben, zu
sitzen, zu singen, zu tanzen, zu praktizieren oder zu kämpfen, um
nur einige Techniken zu nennen, und sie wenden viel Zeit und Energie
auf, um dabei sein zu dürfen bei der großen Befreiung.

Nun könnte
man aus meiner Wortwahl schließen, das ich das alles ganz
entsetzlich finde und empfehlen würde, dass man das dringend
abstellen müsse. Nun, das oder zu Gegenteil ist der Fall. Ich
schätze Menschen sehr, die sich um ihr Seelenheil bemühen und
bereit sind, dafür Opfer zu bringen. Und ich wünschte mir, das es
mehr und mehr werden.

Was ich mit meinen
Zeilen erreichen möchte ist aber die Einsicht, das es nicht die
Wortbedeutungen sind, die in der Spiritualität eine Rolle spielen.
Es sind auch nicht die unzähligen Aktivitäten und Bemühungen, die
für Veränderungen aufgewendet werden, die ich hier beschreiben
möchte. Was mir am Herzen liegt ist die Ansicht, das es vor allem
nicht allein darum geht, andere Menschen zu überzeugen, einen von
mir favorisierten Weg zu gehen, sondern das jeder einzelne Mensch
selbst und für sich zu der Überzeugung gelangen muss, seinen
eigenen spirituellen Weg zu gehen. Und dafür können gerne
Gleichgesinnte helfen, können unterstützen, können sozusagen
helfen, bei der Sache zu bleiben, aber letztlich ist jeder für sich
auf dem spirituellen Weg allein unterwegs. Seinen Weg erst einmal für
sich selbst zu gehen ist die Bedingung, in der Entwicklung überhaupt
möglich ist. Und dabei sind die Worte und Beschreibungen anderer, so
gut sie auch gemeint sein können, eher hinderlich als förderlich.
Der eigene Weg ist immer ganz neu, wird an jedem Tag neu sein, und
ist immer verschieden vom Weg der anderen. Das ist meine Überzeugung.
Und daher ist es auch sehr schwer und sehr verwegen, große
Organisationen zu gründen, die die Lehre einer wie immer gearteten
Freiheit in die Welt hinaustragen. Die Freiheit kann immer nur die
Freiheit des Einzelnen sein. Es geht einfach nicht anders. Und jeder,
der darüber lange genug nachgedacht hat, wird wie ich irgendwann zu
diesem Punkt kommen müssen. Ob dieser danach noch überwunden werden
kann, ist für mich ungewiss.



In vielen
spirituellen Texten wird mit den Bedeutungen von ich, sein, selbst,
Geist und Seele dialektisch gespielt. Ihr Verwendung bezieht sich auf
Bedeutungen und Schlussfolgerungen, die genau betrachtet einen in
sich geschlossenen Kreis bilden. In unzähligen Verkettungen werden
diese Begriffe ineinander verwoben, werden zu Argumentationsketten
verbaut, die letztlich immer wieder zu dem gleichen Ergebnis führen.
Dieses Ergebnis kann wie folgt beschrieben werden: „Du tust nicht
genug, daher…“. „Du musst mehr tun, damit…“ ist auch ein
schönes Ergebnis dieser Ketten. Gemeint ist damit aber nur, das du
etwas tun musst für andere, für die Organisation zum Beispiel, für
den Guru, den Meister, für die Gemeinschaft und, und, und. Mehr tun,
größer wirken, mehr investieren, ist das Ziel dieser Dialektik.
Dabei sprechen alle Traditionen und besonders der Buddhismus davon,
das unser Leiden daher kommt, das wir eben immer mehr wollen. In
meiner Anschauung ist Freiheit nur in sich selbst verwirklichbar. Nur
ich selbst kann für mich und damit auch für meine Umwelt frei sein.
Mein einziges Wirken besteht dann darin, für andere ein Vorbild zu
sein. Viele große Meister waren unscheinbar, wurden oft verkannt
oder zogen sich in die Einsamkeit zurück, da sie ihr
„nicht-wie-alle-anderen-zu-denken“ für sich und andere als
Gefahr empfanden. Sokrates wurde gezwungen, den Giftbecher zu leeren,
Laotse zog sich in seiner bekannten Geschichte in die Einsamkeit der
Berge zurück und ward nie mehr gesehen, und unzählige Andere werden
ebenso gehandelt haben, von denen daher nie etwas bekannt werden
konnte. Anders zu sein war und ist immer noch gefährlich, und der
Weise erkennt das auch und handelt entsprechend.

Wie kann ich mich
also verhalten, meiner Meinung nach, gegenüber den oben
beschriebenen Wortschöpfungen und Gefahren, die darauf basieren?
Unsere Sprache verwendet nun einmal ich und sein, verwendet Selbst
und Seele, und die Schöpfung ist auch, wie im letzten Satz zu sehen,
nicht gerade selten. Ich helfe mir so, das ich Sprache generell als
unvollkommen empfinde, ich Kommunikation insgesamt als unvollkommen
empfinde, und das schließt so vielfältige Dinge mit ein wie
Rituale, Gesten, Zeichen, Musik, Kunst, Literatur, Offenbarungen und
die vielen anderen wortlosen Ausdrucksformen ebenso. Wir Menschen
können eben nicht nur ausdrücken, was in uns vorhanden ist, sondern
auch das, was wir gehört haben und nur vermuten, was uns suggeriert
wurde, was uns Angst zu machen droht oder sich durch geschickte
Manipulation in uns verfestigt hat. Und da wir zur Zeit erleben, das
Kommunikation überhand nimmt und wir sozusagen fast erschlagen
werden von der Vielfalt und dem Reichtum an Bedeutungen, empfehle ich
einem alten Sprichwort gemäß: „Fragen zu stellen ist wichtiger
als Antworten zu finden!“. Ich frage mich zum Beispiel immer
häufiger, was ich meine oder gemeint habe, wenn ich einen Satz im
Gespräch oder im Artikel wieder mal mit „Ich“ begonnen habe,
frage mich, was für mich das Wort „selbst“ bedeutet, wenn es bei
mir Verwendung fand, und vermeide Worte wie Schöpfung oder Seele in
meinen Beschreibungen, da sie alles und auch nichts bedeuten können.
Das Verb „sein“ allerdings und das Verständnis von Zeit sind in
unserer Sprache unverzichtbar, und ich muss mir sehr bewusst darüber
sein, was genau sie bedeuten und wie ich sie entsprechend verwenden
sollte.



Wie gerne würde ich empfehlen, in eine Sprache zu wechseln, in der diese dialektischen Verfahren nicht bekannt sind und keine Bedeutung gewinnen konnten. Neben einigen Sprachen von Naturvölkern ist heute allerdings die Wahl dazu sehr beschnitten. Es gibt nur eine alte, nicht dialektisch vergorene Kultursprache, die diesem Anspruch meiner Meinung nach gerecht wird, und diese kommt auch heute schon im eigenen Volk immer seltener zum Tragen. Gemeint ist das klassische Chinesisch, die Sprache Chinas aus der Zeit von Laotse und Konfuzius. Und daher möchte ich gerne eine kleine Kostprobe anhängen, wie diese Sprache aussah, die ohne Verkettung in Dialektik auskam, und die doch eine Hochkultur begründet hat.

Himmel, Erde,
tief-dunkel, gelb
Welt, Zeit, fluten, brach-liegen
Sonne,
Mond, anfüllen, Abendstrahlen
Gestirne, Sternbilder, aufreihen,
ausbreiten
Kälte, kommen, Hitze, gehen
Herbst, ernten,
Winter, horten

(Unter dem) unergründlichen (tief-dunkeln) Himmel (die) gelbe Erde,
(in der) Welt (die) Zeit, (das eine) flutend, (das andere) brach(liegend),
Sonne (und) Mond füllen an (die) Strahlen des Abends,
Gestirne (und) Sternbilder reihen (sich auf und) breiten (sich) aus,
(Die) Kälte (des Winters) kommt, (die) Hitze (des Sommers) geht,
(Im) Herbst (wird) geerntet, (im) Winter gehortet.

Der aus den
Tausend-Zeichen-Klassiker stammende Text, den jeder Gebildete seiner
Zeit auswendig zu lernen hatte, drückt aus, was wichtig ist zu einer
bestimmten Zeit zu tun im ewigen Wechsel der Jahreszeiten:

Wenn Sonne und Mond
am unergründlichen Himmel (tief-dunkel) den Abend über der gelben
Erde bestrahlen, wenn die neue Jahreszeit sich wandelnd (flutend)
über die unberührte (brachliegende) Welt ergießt, wenn die
Gestirne und Sterne sich aufreihen, wenn die Hitze des Sommers sich
in die Kälte des Winters zu wandeln ankündigt, ist Herbst und die
rechte Zeit zu ernten und die Nahrung für den Winter zu horten.

In beginnenden Herbst erscheinen Sonne und Mond am Abend gemeinsam am Himmel in wunderbaren Sonnenuntergängen. Die meist klaren Herbstnächte erlauben erstmals wieder den Sternen, anders als in den warmen Jahreszeiten, sich am Himmel zu zeigen. Die Jahreszeit erlebt erneut einen Wandel, aus Hitze wird Kälte werden und die Menschen sind angehalten, zu ernten und Nahrung für den Winter zurückzulegen.

Wie klar und ausdrucksvoll wird hier beobachtet, wie ein Jahreszeitenwechsel sich ankündigt. Und ganz klar wird den Menschen ans Herz gelegt, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Keine Pflicht und kein Sollen erfüllt die Zeilen. Alle Worte erscheinen wie selbstverständlich. Und niemand wird sich widersprechend gegen diese Zeilen erheben wollen. Könnten doch unsere europäischen Sprachen sich auch so klar ausdrücken…, der Fluss würde dann wieder fließen.