Angst, Sorge, Macht, Moderation und Spiritualität

Der Versuch einer Standortbestimmung… und ein Studienvorschlag ist der Kern dieses Artikels. Er beschäftigt sich mit den Grundlagen unserer europäisch-gepägten Kultur.

Wenn wir unsere Gewohnheiten genau betrachten, suchen wir bei Schwierigkeiten verallgemeinernd geschrieben immer nach dem einen Stein, der den Fluss unseres in-der-Welt-Seins in die Richtung gelenkt hat, in der er jetzt fließt. Wir nennen das gerne Kausalität, oder einfach ausgedrückt: „Der eine Fehler, die eine Fügung, das eine Glück und der eine Umstand, der den Ausschlag gab, die gerade jetzt wahrgenommene Richtung einzuschlagen“ und so unseren Standort zu definieren und zu gestalten.



Weniger verbreitet, aber immer noch allgemein verfügbar ist die Ansicht, das es auch mehrere Faktoren der oben genannten Art gewesen sein könnten, die diese Richtung maßgeblich erzeugt hat. Und dann werden die einzelnen Motive aufgezählt, in eine zeitlich eingrenzende Reihenfolge gebracht und zu einem Gesamtbild geformt, das dann dazu verwendet werden kann, um diese Ereignisse entweder wieder und wieder zu wiederholen oder aber diese Ereignisreihe nicht weiter entstehen und wirken zu lassen. Das Gefüge, das so entsteht, ist die Grundlage des menschlichen Erfolges. Darauf beruht jede Zivilisation, jede Gesellschaft und alle Organisationsformen, zu der sich Menschen zusammenschließen.

Betrachten wir das an einem einfachen Beispiel. Eine Gruppe von Menschen wohnt/haust irgendwo auf dieser Welt, sammelt, jagt und lebt ansonsten so in den Tag hinein. Die erbeutete Nahrung wird dann bei Bedarf in einen essbaren Zustand gebracht und vertilgt. Nach einer gewissen Zeit ergibt sich die Situation, das man einem der Mitglieder sein Essen wegnimmt, vielleicht weil er der Einzige war, der noch über einen Vorrat verfügte, und die Diebe stellen dann erstaunt fest, das dieses Essen ganz anders oder genauer gesagt viel besser schmeckt als das, was sie sonst zu verzehren pflegen. Also beschließen sie, das der Bestohlene künftig für alle kochen und zubereiten muss und entbinden ihn (vielleicht) dafür von anderen Tätigkeiten. Er wird zum Koch der Gruppe, und zwar deshalb, weil er das besonders gut kann. Jedes Mal, wenn sich in der Folge dann eine andere Begabung eines Mitglieds herausstellt, handeln sie ebenso, und so entstand das Prinzip der Arbeitsteilung, das heute alle Gesellschaften auszeichnet. Die vielen Vorteile, die dieses Prinzip mit sich bringt, sind offensichtlich. Aber es birgt auch einige Nachteile, die sich mehr verborgen als offensichtlich allein schon durch Möglichkeiten der Vorteilsnahmen herausbilden. Stirbt der Koch, der Jäger, der Werkzeugmacher oder Bäcker, dann muss diese Tätigkeit von anderen übernommen werden. Das kann dazu führen, das dann eine Zeit lang weniger Fleisch auf dem Speiseplan vorkommt, das Essen eine Zeitlang nicht mehr so gut schmeckt oder die Werkzeuge nicht mehr so brauchbar hergestellt werden können. Das sorgt für Unmut und schlechte Stimmung. Steht mal eine Zeitlang nur noch ein Spezialist zu Verfügung, ist die Gefahr groß, das sich die Stärkeren der Gruppe seine Dienste sichern und die anderen weiter darben lassen. Es schält sich eine Hackordnung heraus, die sich immer mehr festigt. Erst sind es die Starken, die sich die Vorteile sichern, dann kommen mit der Größe der Gesellschaft wachsend die Begehrten hinzu, Beliebte, Witzige, Clevere, Schlaue, Rücksichtslose und nicht zu Vergessen die Hinterlistigen, und die Liste der Begabungen, die zur Vorteilsnahme einladen, könnte seitenlang fortgesetzt werden. Aus der Hackordnung aus teilnehmenden Menschen entstehen Hackordnungen der Funktionen, die sich dann immer weiter ausprägen in neue Wertigkeiten und Ordnungen. So entsteht aus einer Gesellschaft der Arbeitsteilung immer mehr ein Machtgefüge, das sich an den Begehrlichkeiten der Macht-Ausübenden ausrichtet. Heutige Gesellschaften sind alle auf solchen Strukturen aufgebaut.

Was Mitglieder einer Gesellschaft heute verstehen müssen/sollten ist die permanente Anwesenheit dieser Struktur. Sie ist der Faden, der das Wollknäuel entstehen lässt, das wir heute so selbstverständlich voraussetzen und das uns (scheinbar) nicht offenbar wird. Sie ist ja nicht falsch, diese Ordnung, denn die Menschheit als Ganzes wäre heute nicht das, was sie ist ohne diese hätte erreichen können. Aber das Erkennen ist auch die Voraussetzung dafür, diese Struktur immer wieder den Notwendigkeiten anzupassen, die ein Leben zwangsläufig mit sich bringt. Strukturen wie diese erfordern einen ständigen Anpassungsprozess. Sie sind, das zeigt die Geschichte der Menschheit mehr als deutlich, niemals fest und endgültig. Mehr sogar, Gesellschaften sind dieser Prozess der ständigen Anpassung an die jeweilige Situation. Viele Gesellschaftsversuche der Vergangenheit sind doch gerade daran gescheitert, das sie nicht fähig und in der Lage waren, diesen ständigen Veränderungsprozess in Gang zu halten. Griechen, Römer, Ägypter sind für das Europa der Mittelmehrregion die Eindrucksvollsten und Bekanntesten davon, wohl weil sie Zeichen und Schriften hinterlassen haben, die ihre Struktur für die Nachwelt nachvollziehbar machten. Andere Völker haben nur wenig dauerhafte Spuren hinterlassen, waren aber nicht weniger erfolgreich. Und weitere Völker haben Spuren hinterlassen, die wir hier in Europa nicht verstehen oder deuten können und die so für Europa wenig Einfluss haben konnten. Ich denke dabei an China und weitere Völker Asiens, Afrikas und Amerikas und der eher als unbewohnbar erscheinen Gebiete der Welt.

Kommen wir zurück zur entscheidenden Aussage der letzten Abschnitts: Das Verstehen-Müssen der Strukturen, in denen wir Menschen leben. Daran hapert es nach meiner Auffassung in der heutigen Zeit in nahezu allen Gesellschaften auf der Weltkugel. Das ist so, weil Europa und seine Menschen seit Jahrhunderten ihr Verständnis ihrer Struktur/Kultur erfolgreich in die Welt hinaustragen und dabei nur wenige bis gar keine Anstrengungen unternahmen, fremde Kulturen zu verstehen, sondern sich damit begnügten, diese lediglich zu erobern und in ihrem Sinne zu formen. Das Motiv war und ist es auch heute noch Ausbeutung, ein Prinzip, das die Eroberer im Verhältnis Mensch-Natur erfolgreich angewandt hatten und das mit der Seefahrt auf Menschen anderer Weltregionen ausgedehnt wurde. Was sie dabei angerichtet haben, was sie zerstört haben und was dabei verlorenging, ist unschätzbar groß. Auch andere Völker, denken wir nur einmal an die Bewohner der Osterinseln, haben wie Europa ihre Lebensgrundlage geschmälert und sogar vernichtet. Das ist wahr. Aber niemand davon war so großflächig „erfolgreich“ wie die europäischen Eroberer. Wir finden die Ansätze und Grundlagen europäischer Prägung in nahezu allen Regionen der Welt. Betrachten wir das heutige Europa, ehemals eine grüne, von Wald übersäte Weltregion mit optimalen Lebensbedingungen, müssen wir erkennen, das Rodung, Rohstoffausbeutung und Umweltgestaltung den Kontinent für das Leben insgesamt betrachtet in eine monotone und feindliche Welt verformt haben. So war Spanien früher eine grüne und dicht bewaldete Halbinsel. Gleiches gilt mehr oder weniger für die ganze Mittelmeerregion. Die Zahl der ausgestorbenen Arten geht in die Millionen, und mittlerweile müssen Menschen immer mehr Aufgaben erledigen, die früher ganz von selbst geschahen. Blüten bestäuben, Boden düngen, Hänge befestigen, Wassermassen bändigen, die klimatischen Bedingungen erhalten, die Flüsse, Seen und Meere schützen und viele andere Erfordernisse der heutigen Zeit sind verursacht durch Unverständnis und nicht einfach so entstanden. Die Ausrede, das wir es nicht besser wussten oder verstanden ist zwar im Kern richtig, aber ich lasse sie nicht mehr gelten, seit wir wissen können/müssen, das es so ist wie es ist.



Wenn wir verstehen wollen, warum die europäische Kultur und Wirtschaftsweise so fatale Folgen für die Welt verursacht, müssen wir auf die Grundlagen, besser gesagt auf die Setzungen zurückgehen, die diese Kultur begründen. Viele unserem Denken zugrunde gelegten Motive stammen aus der griechischen Antike, wurden im Weltreich der Römer weiter ausgeformt und dann durch die christliche Lehre weiter verdichtet. Sie beruhen nahezu vollständig auf der Bereitschaft, einen Seins-Grund anzunehmen und über diesem ein System zu errichten, das auf Kausalität beruht. Vom Feuer über das Wasser gingen diese möglichen Urgründe über in Ideen und Monaden [1. Der Terminus Monas (von altgriechisch μονάς monás „Einheit, Einfachheit“) oder Monade bezieht sich naturphilosophisch auf eine gedachte Einheit von zugleich physischer und psychischer Bedeutung. Die Monadenlehre unterscheidet sich von der Urstofflehre der Vorsokratiker durch die Anwendung mathematischer Methoden auf die sich ergebenden Fragen, insbesondere hinsichtlich der seit René Descartes vollzogenen begrifflichen Trennung von Res extensa und Res cogitans und erscheint damit als holistischer Aspekt des Leib-Seele-Problems. In der Geschichte der Philosophie wurden unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs Monade entwickelt, deren Grundaspekte aber erstaunlich konstant blieben. Sie beginnen bei den Pythagoreern und entfalten sich insbesondere im Neuplatonismus, in der christlichen Mystik, der jüdischen Kabbala sowie in der hermetischen Tradition. Später bündeln sich dann fast alle in der Leibnizschen Monadologie, bevor sie im 19. Jahrhundert in Spezialbedeutungen auseinanderfallen. Wikipedia DE], Archetypen [2. Archetypen sind definiert als psychische (auch psychophysische) Strukturdominanten, die als unbewusste Wirkfaktoren das menschliche Verhalten und das Bewusstsein beeinflussen. Auch zum Bewusstsein selbst und zu seiner Entwicklung zeige die Kulturgeschichte archetypische Bilder, wie zum Beispiel die Himmelslichter, besonders auch die Sonne als Tagesgestirn (auch in Verbindung mit Vorstellungen von lichtbringenden, also symbolisch verstanden bewusstseinsbringenden Gottheiten). Einige Archetypen entsprächen zentralen kollektiven Ur-Erfahrungen der Menschheit wie z. B. weiblich/männlich, Geburt, Kindheit, Pubertät, Wandlung und Tod. Auch die Vielfalt religiöser Erfahrung könne angesehen werden als nach archetypischen Mustern strukturiert, welche interreligiös (religionsübergreifend) anzutreffen seien. Das tiefenpsychologische Konzept der Archetypen geht auf den Schweizer Psychiater und Psychologen Carl Gustav Jung zurück, der die Analytische Psychologie erfand. Es ist ein offenes Konzept, das keine exklusiven Definitionen von Archetypen und keine bestimmte Anzahl derselben enthält.] und Existenzialien [3. Existenzialien sind neben den Kategorien eine Möglichkeit, wie sich Sein beschreiben lässt. Der Begriff der Existenzialien, durch Martin Heidegger geprägt, ist dabei dem menschlichen Sein, dem Dasein im Sprachgebrauch Heideggers, vorbehalten. Er ist wesentlich mit Heideggers Programm der Fundamentalontologie verbunden.] und enden im Religiösen mit dem Gefüge eines transzendenten Gottes, der über die Welt wacht und der den eine Seele tragenden Menschen als Hüter seiner Schöpfung eingesetzt habe. Soweit eine mehr als grobe Aufzählung der europäisch-geistigen Entwicklungsgeschichte. Fundamental daran ist die Annahme eines Urgrundes, der das Denken in die Lage versetzt, die Kausalitätsreihe, die stets als gegeben angenommen wird, zu einem Ende zu bringen, die sonst als unendlich gesetzt werden müsste. Dafür wird dann jeweils ein gesetzter Urbegriff als eine Wirkung begriffen, die sich selbst als Ursache zugrunde gelegt sieht. Das kann ein Gott sein, die Seele, das Selbst, das Sein oder einfach auch der nur Urgrund. Dieses Postulat ist sozusagen „der Fixpunkt im All, der das Universum aus den Angeln zu heben versteht“, den Archimedes immer wieder ironisch betonte und zu finden oder zu erklären versuchte. Er war sich aber klar darüber, das dieser Fixpunkt nicht existiert, ja sogar, niemals existieren kann.

Kommen wir auf die Grundlagen westlich-europäischen Denkens zurück. Die Sätze dazu stammen aus der Feder von Aristoteles. Es sind deren vier, die alles bestimmen:

  • Den Satz von einem Grund, der ausreichend fest sein muss (Fixpunkt).
  • Den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (Es gibt nur Seiend oder Nicht-Seiend).
  • Den Satz vom der zwingenden Widerspruchsfreiheit (Seiend kann nicht Nicht-Seiend sein).
  • Den Satz der Identität (Jedes Seiende ist sich selbst).

Den Satz von Grund wurde bereits beschrieben. Wenn wir Kausalität beibehalten, müssen wir irgendwo und irgendwann den Punkt finden, in dem alles endet. Das muss dann eine Wirkung sein, die sich selbst Ursache ist. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sagt aus, das man nicht gleichzeitig etwas sein und etwas nicht-sein kann. Das Glas ist entweder gefüllt oder leer? Da wird es schon schwierig. Was ist mit halb-gefüllt oder halb-leer? Oder es heißt, der Würfel ist rot. Aber es gibt Lichtverhältnisse, wo bestimmtes Licht einen sonst roten Gegenstand andersfarbig aussehen lässt. Oder nehmen wir den Gegensatz Mann-Frau. Da sind wir heute bereits weiter. Der Satz der Identität sagt aus, das sich zwei materialisierte Gegenstände oder Wesen sich mindestens in einer Eigenschaft oder einem Bezug unterscheiden müssen. Zwei vollkommen gleiche Dinge können nicht auf exakt dem gleichen Punkt im Raum stehen, sonst wären sie nicht Zwei. Das soll zunächst einmal genügen, um zu beschreiben, worum es bei der Betrachtung geht. Schon Klaus Heinrich [6. Klaus Heinrich (geb. 23. September 1927 in Berlin; † 23. November 2020) war ein deutscher Professor für Religionswissenschaft auf religionsphilosophischer Grundlage. Er gehörte zu den Mitbegründern der Freien Universität Berlin. Seine Vorlesungen gelten als Großversuch der Selbstaufklärung über das Verhältnis von ästhetischem und transzendentalem Subjekt. Tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik, hrsg. v. Wolfgang Albrecht u. a., Frankfurt am Main und Basel 1981] fragte nach, wofür diese Formeln eigentlich stehen sollen, wogegen sie sich eigentlich wehren. Warum sei das Gegenteil nicht zulässig, warum muss das Dritte ausgeschlossen sein und was könne dieses Dritte eigentlich sein. Warum muss/soll ich Widerspruch vermeiden und was wäre, wenn ich das zuließe? Und warum man Identität behaupten müsse, erschloss sich ihm wie mir auch nicht. Diese vier Sätze sind gesetzt, wie der Name schon sagt. Was bedeutet „setzen“ in diesem Sinne?

Gehen wir kurz in die Mathematik. Bei einer Iteration, die zur Auflösung von Gleichungen mit drei Unbekannten herangezogen werden kann, wird stets eine Unbekannte gesetzt. So werden aus drei Unbekannten zwei und die Auflösung kann erfolgen. Der gesetzte Wert stimmt aber nicht. Aus dem Ergebnis der Auflösung mit zwei Unbekannten aber kann ersehen werden, wohin sich der gesetzte Wert bewegen muss, um zu einem möglichen Wert zu kommen. Durch ständige Wiederholung und Korrektur des Setzwertes kann dann eine größtmögliche Annäherung an das „richtige“ Ergebnis erzielt werden. Wie gesagt war das eine Setzung und zwei verbleibende Unbekannte. In der Welt der Dinge aber gibt es zumindest schon vier Setzungen (s.o.), die unsere Logik begründen, und der Dinge gibt es Unzählige. Sind Dinge feste Gegenstände mit einer Erscheinungsdauer, bleibt es noch einfach. Wenn wir aber in die Philosophie eintauchen und uns mit Erscheinungen des Lebensgefüge von Menschen auseinandersetzen (Zu beachten ist das Setzen in der Auseinandersetzung…), werden die zu befragenden Dinge und mehr noch die Setzungen mehr und mehr ungreifbar (Niemand kann sie ergreifen…) Zu diesen gehören Gott, Vernunft, Sein, Seele, Unbewusstes, u.s.w. Nun ist doch erst mal die Frage zu klären: Stimmen diese Setzungen?“ Nehmen wir den christlichen Glauben. Gäbe es keinen Gott in der Transzendenz [4. Transzendenz beschreibt den Bezug auf einen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindlicher Wirklichkeit liegt. In Philosophie, Theologie und Religionswissenschaft wird damit auf ein metaphysisches Wesen des Wirklichen an sich selbst Bezug genommen, das sich in der philosophisch-theologischen Tradition mit dem Begriff eines göttlichen, unendlichen Grundes erfahrbarer, endlicher Wirklichkeit verbindet.Wikipedia (DE)], bräche das ganze christlich-theologische Gerüst zusammen. Um das Gerüst zu erhalten, müssen wir glauben, dürfen wir nicht zweifeln, ist es nicht erlaubt zu hinterfragen. Ist das aber mit dem Begriff der Freiheit der Menschen und seiner Würde vereinbar? Und was beschreiben Freiheit und Würde eigentlich? Auch hier werden wir von Definition zu Definition gelangen, werden Setzungen die Basis des Befragen-Könnens bilden. Was würde denn erscheinen, wenn wir alle Setzungen in Frage stellen oder sie im Nachdenken sogar weglassen? Könnten wir dann noch unsere Sprache beibehalten? Gäbe es Sprache noch? Gäbe es weiterhin Ortungsprinzipien, nach denen wir uns richten können? Gäbe es Schutz vor Gewalt, Verbrechen, Macht? Ist Gewalt und Verbrechen nicht auch Machtausübung, und weiter gefragt, kann Machtausübung vor Macht schützen?

Vielleicht halten Sie jetzt inne und kommen zu der Frage, ober der Schreibende hier nicht einfach nur frech, kindlich oder sogar zersetzend unterwegs ist. Wo bliebe die Sicherheit, die Ordnung, die Orientierung, wenn wir dieses alles aufgeben? Die Antwort darauf ist sehr einfach und stellte sich schon oben in den Fragen ein: Etwas „in Frage stellen“ und „im Nachdenken etwas aufgeben“ heißt doch nicht, eine Revolution einzuleiten, alles umzustoßen und das Neue sogleich in die Realität umzusetzen. Nehmen wir die Gewalt im Alltag, die sich in vielen Formen höchstwahrscheinlich einstellen würde, wenn es keine Polizeigewalt gäbe, die das zu verhindern versteht. Wir setzen also Gewalt gegen Gewalt ein. Aber Gewalt/Macht auf der einen Seite erzeugt immer Ohnmacht auf der anderen Seite. Wie viel Ordnungsmacht ist also wirklich notwendig? [8. Das Phänomen RAF begann zu einer Zeit, als polizeiliche Gewalt eingesetzt wurde, um politisch Andersdenkende zu unterdrücken. Erst kamen Knüppel und Wasserwerfer, dann Tränengas und Pistolenschüsse…, und dann wehrten sich die Ohnmächtigen…] Macht aber wird nicht nur durch Polizei ausgeübt. Auch Vorgesetzte haben Macht, Amtsträger verfügen über Macht, Geldbesitz erzeugt Macht, Wissenschaft verfügt über Macht und die meisten Menschen weichen einer auf sie gerichteten Machtausübung gerne aus, auch wenn sie als gerechtfertigt daher kommt. Ich behaupte, sie fühlen ihre Ohnmacht, und das erzeugt Angst. Oder nehmen wir die Straßenverkehrsordnung. Ohne diese würde Chaos und Willkür auf den Straßen herrschen? Ein Ort in Deutschland hat den Versuch gemacht, in der Innenstadt alle „Regeln durch Schilder und Ampeln“ abzuschaffen [5. siehe Drachten und Umgebung, H-ttps://www.deutschlandfunk.de/stadt-ohne-schilder-100.html, Der Schilderwald wurde von 100 auf 4 Schilder reduziert. Es wurde Kreisverkehr eingeführt.], und siehe da, es wurde langsamer gefahren, es kam zu weniger Unfällen und der Verkehr lief trotzdem flüssiger, weil weniger Wartezeiten auftraten. Sogar Fußgänger fühlten sich sicherer. Das hat eine Untersuchung der Hochschule dort sogar wissenschaftlich belegt. Wir müssen erfragen oder hinterfragen, ob unsere Ordnungsprinzipien wirklich sinnvoll sind oder nicht. Schauen sie in Bilder einer indische Großstadt. Der Verkehr dort ist unerträglich dicht, es bestehen wenige Regeln und es funktioniert irgendwie doch.

Nun kann dieses Thema immer weiter ausgeführt werden und wir kämen auch in der Größe einer Enzyklopädie nicht zu einer Lösung, die Grundlage der Umgestaltung einer Gesellschaft werden könnte. Nun beabsichtige ich das auch gar nicht. Ich frage eher nach dem was falsch ist in den Grundzügen unseres Denkens. Die Frage ist doch nicht zuerst: Was macht uns Angst? Die Frage ist doch eher so zu stellen: Was ist Angst? Und eine andere Frage ist nicht: Was will ich (für ein Leben führen)? Die Frage ist zunächst: Was ist Leben? Die Frage ist auch nicht: Wer bin ich? Die Frage ist: Wer stellt diese Fragen? Damit muss ich mich beschäftigen, bevor ich nach Lösungen suche. Nun könnte ich einfach sagen, diese Fragen stellt mein Selbst, meine Vernunft, meine Seele oder die Monade, und sie richtet sich an Gott, den Schöpfer oder das Universum. Und ich harre der Dinge und warte auf die Antwort, die sich mir irgendwie und irgendwann erschließt. Ich höre eine Predigt, lese ein Buch, höre eine Anleitung, habe eines Geistesblitz (Intuition, Führung) und die Antwort erscheint. Wirklich? Wie viele Setzungen waren in der Antwort enthalten? Sind diese Setzungen richtig? Und ich stelle meine Fragen erneut und bekomme andere Antworten, die wiederum Setzungen enthalten. Und so dreht sich die Scheibe immerzu und nach Monaten und Jahren habe ich mich nicht von der Stelle zu bewegen vermocht. Bei mir zu Hause stehen hunderte möglicher Antworten auf ebenso viele Fragen in Billy-Regalen und die Bücher dazu füllen Listen, die ich mittlerweile elektronisch verwalten muss, da mir längst der Überblick verlorengegangen ist. Haben sie mich weitergebracht? Ich fürchte: Nein. Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, das sie mir halfen, Fragen zu stellen, besser, konkreter, genauer, die an mich selbst gerichtet Setzungen aufspüren und sodann hinterfragen. Ich fand unzählige davon, und ich fürchte, ebenso viele oder mehr stehen mir noch bevor.



Ein paar Antworten, die zu Ergebnisse geführt haben, möchte ich kurz ausführen, da deren Inhalte sich bewährt haben. Beginnen wir mit der Angst. Die Angst ist ebenso wie der Schmerz eine Grundmotiv menschlichen Lebens. Wir wissen doch nach wie vor nicht, was im oder nach dem nächsten Atemzug geschieht, können es nicht wissen, da unser Leben endlich ist und der Zeitpunkt des Endes des Andauerns sich uns nicht erschließt. Alle möglichen Antworten darauf erwiesen sich bisher als von Setzungen gegründet. Angst zeigt sich in vielen Situationen, und das scheint gut zu sein, weil sie erst das Fragen, vom dem ich sprach, möglich macht. Ich stehe hier zu einer Aussage Heideggers, das Angst zu empfinden und auszuhalten die Türe öffnen kann, die entbergt, das sie hinter dem Seienden das Sein zu entdecken vermag, das sich gewöhnlich dort verbirgt. Und das, sollte es eintreffen, so hoffe ich oftmals, wird mir die eine oder andere Frage zusätzlich beantworten, wird sie in die richtige Form bringen oder mir das Leben vor der Angst näherbringen. Mit dem Schmerz verhält es sich ebenso wie mit der Angst. Nur ist Schmerz viel offensichtlicher, bei weitem nicht so verborgen und weniger verstrickt. Schmerz zeigt an, das etwas nicht (mehr) stimmig ist, das der Körper zum Beispiel verletzt ist oder seine Funktionen nicht wahrnehmen kann, das eine Lebenssituation psychisch-seelisch so aus den Fugen geraten ist, das das Geschehen als Schmerz (Trennungsschmerz, Heimweh, Verrat, Beleidigung) wahrgenommen wird. Ich würde sogar sagen, das Wut und Zorn mit Schmerz direkt verwandt sind oder gemeinsame Wurzeln haben. Darauf verweisen auch die schwachen Stimmungen, die sich aus den drei genannten starken (Schmerz, Wut, Zorn) ableiten. Wir können sie Unwohlsein, Aufbegehren und Einforderung nennen und sie somit als die zivilisiert-erlaubten Ableger der drei ansehen. Auch das gegenläufige Konstrukt birgt eine Stimmungen, nur geht sie in eine andere Richtung. Fühlen sich Schmerz und Ableger als zunehmend nagend an, weisen aber immer noch eine Gegenreaktion auf, so sind Trauer und ihre Verwandten (Depression, Antriebslosigkeit) mehr dämpfend und gehen vielleicht sogar unter die Linie der Wahrnehmung, die unser Lebensgefüge als normal ansieht. Sie machen hilflos, lassen kein Aufbegehren (mehr) zu [6. Daher arbeitet jede Trauerarbeit, jede Psychotherapie neben dem Verstehen auch immer wieder auf das Aufbegehren des Lebens hin, das der Patient wiedererlangen soll.]. Ich glaube hier an einem Punkt zu sein, an dem ich den nächsten Sprung wagen sollte.

Wir können ein Leben in nahezu allen Situationen, die uns begegnen, immer als grundsätzlich „aufbegehrend“ beschreiben. Wir reagieren aufbegehrend auf Bedürfnisse mit dem Ziel, diese zu stillen, also entweder „still“ werden zu lassen oder gar zu „sättigen“, was die Stimmung im ersten Fall auf Normalnull zu dämpfen oder wie im zweiten Fall sogar über das Normal zu heben vermag. Denken wir an den Hunger, der still wird, wenn ich etwas Essbares zu mir nehme oder der bei ausreichender und besonders angefragter Kost sogar zu einem hoch stimmigen Wohlsein führt. Nahrungsaufnahme, Befriedung der Sexualität, dazu beizutragen, sich angenommen, geliebt und gebraucht fühlen zu können, Vergnügen empfinden, Recht gehabt zu haben, weder Angst noch Furcht haben zu müssen und/oder auf einem Siegertreppchen zu stehen sind solche Begebenheiten, die durch Aufbegehren erschlossen werden. Sogar sich zur Wehr zu setzen, sich zu entziehen, sich zu gedulden, sich zurückzunehmen, sich zu schützen, sich zu produzieren, sich herauszustellen, sich zu rechtfertigen, etwas zu wünschen, zu hoffen, zu gewähren u.s.w. lassen alle sich als in letzter Konsequenz als Begehren erklären. Begehren ist eines, wenn nicht sogar das Grundmotiv des Lebens. Dieses richtet sich nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten, Begehren zu können und zu deren Befriedung zu gelangen. Der Löwe in der Savanne begehrt das zur Nahrungsbefriedung notwendige Zebra… nur dann, wenn er Hunger hat. Satt kann er inmitten einer Zebraherde ruhig schlafen. Beim Menschen sähe das wohl anders aus, weil dieser sein Begehren auch auf Zukünftiges richten könnte. Er weiß, das er auch morgen wieder Hunger haben wird und versucht daher schon heute ein Tier zu erlegen, auch wenn er sich gerade satt fühlt. Die große Masse aller Lebewesen kann diese Form der Vorsorge nur begrenzt oder gar nicht betreiben. Hier ist der Mensch die große Ausnahme, überragt er in seinem Begehren-können alle anderen Lebewesen. Pflanzen begehren ebenfalls, wie jeder im Garten oder Wald erkennen kann. Ihr Begehren sucht durch Wurzelbildung nach Wasser, sucht durch Wachstum nach ausreichendem Zugang zu Sonne und Licht. Tiere verbringen den Großteil ihres Lebens mit der Suche nach Nahrung, jagend oder äsend. Was beide Genannten vermissen lassen ist das Motiv der Sorge, das sich in Vermeidung, Vorsorge und Absicherung ausdrückt. Der Mensch ist, wie die Beschreibung belegt, ein/der Meister des Begehrens und der (Vor)Sorge. Dafür grenzt er den ihm zugängliche Weltausschnitt ein, er ergreift Besitz und verteidigt diesen gegenüber allen anderen. Selbst innerhalb der Gemeinschaften, die zunehmend größer werden, hat sich dieses Prinzip heute durchgesetzt. Waren frühere Gemeinschaften noch gemeinsam agierende Kommunen, finden sich Menschen heute zunehmend als Alleinstehend in ihrer Welt wieder. Dieses Alleinsein, das keine Macht auszuprägen in der Lage ist, wiederum erzeugt Ohnmacht und weitere Angst, die sich immer weiterführend in Sorge ausdrücken wird.

Fassen wir in aller Kürze zusammen. Der Mensch kann Angst und Schmerz empfinden, und aus diesem Vermögen heraus entwickelt er ein Begehren, das aus der Summe aller Lebewesen an Größe und Umfang mehr als einzigartig herausragt. Dieses übergroße Begehren lässt das entstehen, was wir in den verschiedenen Formen der Sorge wiederfinden. Diese Sorge wird vom Menschen derart aufgenommen, das er Gemeinschaften bildet, um sich besser in der Welt behaupten können. Diese Gemeinschaften wiederum ermöglichen/erfordern Arbeitsteilung, Spezialistentum, Rollenverteilungen und bedingen Besitzverhältnisse. Zur Organisation derselben muss dann zwangsläufig ein Machtgefüge ausgebildet werden, um die vielfältigen und unterschiedlichen Vorgänge steuern zu können. Aus diesem Machtgefüge heraus entwickeln sich Hackordnungen, die wiederum Angst und Schmerz auszulösen verstehen und sich in zusätzliche Sorgen verwandeln.

Das ist der heutige Stand der Menschheit und damit das große Problem unserer Welt, denn Sorge, Angst und Schmerz in der Menschheit haben ein Ausmaß angenommen, das die Grenzen des sich selbst regulierenden Systems namens Leben auf unserem Planeten zu sprengen vermag. Diese Spiralen aus Begehren, Zusammenarbeit, Machtausübung, Eingrenzung erzeugen mehr und mehr die Motive Angst und Sorge, zu deren Vermeidung diese Spiralen einst in Gang gesetzt wurden. Der Mensch hat mit seiner Zivilisation, die sich durch Ausgrenzung der Natur und Ausbeutung derselben einschließlich des Menschen selbst durch sich selbst einen Kreislauf erzeugt, der immer weiter in die genannten Spiralen gehen muss. Die Beweisführung dieses Artikels sehe ich als eine/die Lagebeschreibung an, zu deren Lösung ein Schreiben wie das Gelesene beitragen kann und soll. Zu Verstehen „Was-Ist“ ist immer die Grundlage, Änderungsmöglichkeiten zu erforschen und zu benennen. Wir können ein Lebensgefüge nicht ändern, wenn wir nicht verstehen, wo wir uns gerade befinden und wie das Bestehende funktioniert. Die Kreis- und Spiralläufe müssen durchbrochen oder angehalten werden, wenn sich etwas befrieden soll. Für mich sind die Vorstellungen, die sich in „Begehren“ ausdrücken, der Schlüssel dazu. Nur das Hauptmotiv selbst lässt eine nachhaltige Änderung zu.



Ich beginne neu. Das bisher geschriebene steht für die Welt, die ich vorfinde, ja vielleicht sogar schaffe mit meiner vorgegebenen Wahrnehmung, meiner immerzu trennenden Sprache und den Setzungen einer, nein, heute sogar mehrerer Traditionen, die weit über das mir Bekanntgewordene hinausreicht. Sie alle suggerieren mir Begehren, verschreiben mir Tun-müssen, beschreiben mir Denken-müssen, verpflichten mich aus einer Angst heraus zur Sorge. Aber wovor soll Angst herrschen, wovor soll Sorge schützen? Ist Begehren wirklich das Maß aller Dinge, leben wir, um zu begehren? Leben wir, um die Früchte unseres Begehrens zu ernten, zu genießen oder zu erdulden? Oder macht unser Begehren, durch die Angst, die es erzeugt durch die Möglichkeit des Nicht-Gelingens, nicht erst das sichtbar, was in spirituellen Praktiken herausgekitzelt, hervorgebracht oder entborgen wird? Gehen wir also doch einmal davon aus, das Begehren die menschliche Neigung ist, die ihn genau zu dem befähigt, was mit der spirituellen Praxis hervorgehoben werden soll. Muss dann nicht, um den Spiralen und Kreisen, die oben beschrieben wurden, zu entgehen, nicht noch etwas dazu kommen, noch etwas wirken, um die Wiederkehr des Ewig-Selben zu vermeiden? Was könnte das sein? Welche Neigung, welche Fähigkeit, welche Gabe könnte das bewirken? Es dürfte nichts absolut Neues sein, dürfte die eingeschworenen Besitztümer und Gewohnheiten nicht allzu sehr bedrohen, dürfte in allen Traditionen nur mit überwiegend positiv besetzten Inhalten gefüllt sein, dürfte aber hier und da die Negation nicht ausschließen. Und das Gesuchte sollte fähig sein anzuknüpfen an die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse gleich welcher Art diese auch sein mögen. Das einzige geflügelte Wort dazu, das mir einfällt, ist Maß halten oder „maßvoll“ im Sinne von moderat und/oder „nicht übertrieben“. Leider hat unserer deutscher Wortschatz das Maß halten nicht mehr in seiner Liste stehen. Ich nehme daher für künftige Beschreibungen das Wort „moderat“, das im Duden für gemäßigt und maßvoll steht.

Was bedeutet moderat vorgehen im oben genannte Sinne, wenn wir über Kausalität, also das Ursache-Wirkung-Prinzip sprechen, wie es am Anfang im ersten Kapitel beschrieben wurde? Dementsprechend muss alles, was wir einer Wirkung zuschreiben, aus einer Ursache erwachsen. Nun gibt es aber als Ursachen meist viele Möglichkeiten und Menschen haben die Neigung, uns die uns gefügigste herauszusuchen.

Exkurs: Nehmen wir das Ergebnis einer Analyse als Beispiel. Ein Ergebnis zeigt Daten, die ungewöhnlich sind und so eigentlich nicht auftreten dürften, wenn das geprüfte Material „in Ordnung“ (…spricht für sich…) sein soll. In einer sachgerechten Analytik wäre es daher notwendig, alle Möglichkeiten durch Versuchsanordnungen zu überprüfen, bis der Fehler gefunden wurde. Das können in der Summe sehr viele werden. In der Regel der Wirtschaftlichkeit wird das vermieden, indem das gesamte Material entweder verworfen wird (…, da überprüfen meist teurer als ersetzen ist…) oder aber irgend eine Möglichkeit der Prüfmethode in einem Fehlerprotokoll einfach gesetzt wird und somit das Ergebnis aus der Reparatur/Studie, zu der die Analyse diente, herausgelöst und ignoriert werden kann (willkürliche Setzung). Nun wird jeder vermuten, das die erste Lösung der Standard sein sollte? Weit gefehlt, in meiner Erfahrung ist die willkürliche Methode eher als Standard anzusehen. Wie oft, frage ich, hat man ein Gerät zur Reparatur gebracht und nach dem erstmaligen Anschalten stellt sich heraus, das es noch immer genau so klappert wie zuvor. Ein Teil wurde zwar ersetzt, aber eben gerade das nicht, der das unsägliche Klappern verursachte. Halten wir fest: Menschen neigen bei komplexen Problemlösungen gerne und oft zu willkürlichen Setzungen.

Des Weiteren sind/neigen kausale Wirkungsketten, die Menschen nachzuvollziehen sich bemühen, ein hochgradig verzweigte und verwickelte Gebilde. Eine wahrgenommene Wirkung kann viele Ursachen haben, nicht nur die eine, die wir vordergründig als gegeben wahrnehmen. Schon kleine und eher winzige Beigaben können große unvorhersehbare Wirkungen entfalten. Der mythische Schmetterlings-Flügelschlag, der ein Erdbeben auslöst, ist dafür sozusagen das narrative Maximum. Was aber wäre denn gegeben, wenn wir auf die grundsätzliche Verwendung der Kausalität verzichten würden und sie als einen Sonderfall ansehen würden, der nur bei rein praktischen und technischen Dingen hier und da zu Anwendung käme? Das Lebendige sozusagen, das Organische würde nur zum Teil, das psychische aber nur selten diesem Prinzip unterworfen sein. An dessen Stelle würde das Prinzip des Prozesses stehen, der nirgend wo und nirgend wann anfing und endet? Und Lebewesen sind Teil und Ganzes dieses Prozesses zugleich, wie das im Taoismus als gültig angesehen wird. Dann gäbe es keine Ereignisse mehr, die sich in Ursachen und Wirkungen unterteilen ließen. Dann gäbe es nur den Strom des Lebens, der Tendenzen und Neigungen zeitigt und nur darüber beeinflusst oder geglättet werden könnte. Und darin sollte/müsste sich der Mensch moderat verhalten, sollte Handlungen und Methoden meiden, die zu Ohnmacht, Hass, Ablehnung und dergleichen beitragen können und sollte sich eher im Sinne von Nicht-Tun, Nicht-Handeln oder Wu Wei bewegen, wobei dieser Begriff geklärt werden muss. [8. Der Begriff Wu wei, auch Wuwei, stammt aus dem Daoismus, erstmals wird er im Daodejing erwähnt. Er wird definiert als Nichthandeln im Sinne von Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns. Der Begriff Wu Wei begründet sich aus der daoistischen Auffassung vom Dao, dem umfassenden Ursprung und Wirkprinzip, das die Ordnung und Wandlung der Dinge bewirkt, so dass es nicht weise wäre, in das Walten dieses Prinzips einzugreifen. Die letzte Wahrheit ist gemäß dieser Lehre eins und handelt spontan, ohne dass der Geist des Menschen in sie eingreifen müsste. Die Rückkehr zum Ursprung kann nur erfolgen, wenn das dualistische Denken aufgegeben wird und die Handlungen natürlich und spontan erfolgen. Wu Wei bedeutet nicht, dass man gar nicht handelt, sondern dass die Handlungen spontan in Einklang mit dem Dao entstehen. Dadurch wird das Notwendige leicht und mühelos getan und sowohl Übereifer als auch blinder Aktionismus (die als hinderlich betrachtet werden) vermieden. Es ist ein Zustand der inneren Stille, der zur richtigen Zeit die richtige Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt. Das Vollkommene wird im Daoismus als leer, weich und spontan gedacht und entsprechend sollte auch das Handeln sein, d. h. ohne ein Eingreifen des dualistischen Intellekts, sich der Situation anpassend und intuitiv. Das vollkommene Handeln erkennt intuitiv das beste Mittel und es erscheint als sinnlos, seine Energie in unfruchtbaren Handlungen um der Handlung willen zu erschöpfen, sondern das Handeln sollte sich auf die geeigneten Umstände und Mittel beschränken. Die beste Übersetzung des Begriffes Wu Wei wäre somit „Nicht-Eingreifen“, „tätiges Nichthandeln“ bzw. „Handeln durch Nicht-Handeln“, und es handelt sich um eine Art von kreativer Passivität. Aus dieser Haltung des Geschehen-Lassens resultieren auch Gewaltlosigkeit und Widerstandslosigkeit als natürliche Folge. Wikipedia DE] Die Frage stellt sich, ob nicht erwogen werden sollte, das Prinzip, das Wu Wei zugrunde liegt, doch hier und da auf das menschliche Denken auch in Europa anzuwenden.

Gemeinschaften bilden sich aus vielen, oftmals sehr unlogischen Gründen. Der gemeinsame Feind lässt Feinde auch schon mal zu Verbündeten werden, sagt ein Sprichwort.

Exkurs: Oftmals verbinden sich Menschen in Familien zu einer Gemeinschaft, die eben gerade nicht auf Mitgefühl und Vertrauen beruht. Das ist kein modernes Phänomen, das gibt es seit den Anfängen der Geschichtsschreibung. Auch heute noch wird einer Freundschaft oftmals weniger Bindung zugetraut als einer Blutsverwandtschaft. Ehen wurden zum Beispiel lange Zeit aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Motiven gestiftet. Liebe und gegenseitiges Vertrauen sind sehr modernen Phänomene und stehen noch nicht lange in hohem Kurs. Auch bilden sich Gemeinschaften heraus, ohne das diese irgendwie beabsichtigt oder begründet werden. Ehe sich der Einzelne versah, wird er einer Gemeinschaft zugehörig und kann sich aus dieser auch nicht mehr befreien. Viele Filme der Neuzeit befassen sich mit diesem Thema. Auch Staatsangehörigkeiten, Hautfarben, gemeinsames Erleben oder gemeinsame Interessen führen zu Gemeinschaften.



Die Frage ist doch, wo beginnt Gemeinschaft und wo kann sie enden. Endet sie überhaupt, oder sind Menschen nicht per se eine Gemeinschaft? Oder mehr noch, ist Leben auf diesem Planeten nicht per se eine Gemeinschaft? Gehört zu Gemeinschaft nicht auch das Prinzip „Leben und Leben lassen“ grundlegend dazu. Wenn wir die Insekten ausrotten, wer bestäubt dann die Pflanzenblüten, von deren Früchten letztlich auch Menschen leben? Wenn wir die Pflanzenwelt immer mehr einschränken, wer produziert dann den Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen und wie kann das CO2 abgebaut werden, das uns ansonsten vergiften und ersticken würde/wird, wenn das nicht (mehr) unsere Pflanzen übernehmen (können)? Das Leben besteht doch aus Gleichgewichten. Lebewesen sind das Futter von Lebewesen. Die Großen fressen die Kleinen. Und alles Tote kehrt zurück in die Welt den Kreislauf des Lebens. Es ist doch die Gemeinschaft des Lebens, dass wir schützen müssen. Um selbst weiterleben zu können, müssen alle und alles weiterleben können. Die Entwicklungen/Evolution sind/ist doch niemals abgeschlossen. Das zu erkennen ist doch nicht schwer und auch nicht kompliziert. Was wir einfügen sollten/können ist „Maß halten“ (Moderation und/oder Moderator [9. Ein Moderator (von demselben lateinischen Wort mit der Bedeutung ‚Mäßiger‘, ‚Lenker‘, ‚Handhaber‘, ‚Regierer‘; abgeleitet vom Verb moderare ‚mäßigen, in Schranken halten, regeln‘) ist eine Person, die ein Gespräch lenkt oder in einer Kommunikation vermittelt. Die Tätigkeit selbst bezeichnet man als Moderation.]) also dafür sorgen, das sich Einzelne nicht über alle anderen erheben und sie so ersticken. Wir Menschen aber sind untereinander und auch zu anderen schon auf dem Weg, dieser Einzelne zu werden oder sogar schon zu sein. Nur sehen wir uns selber nicht. Wir sehen nur die Anderen. Wir müssen aufhören damit! Wir entscheiden doch heute nahezu weltweit, wer wann und wo und wie leben darf und wer nicht. Und wir beanspruchen soviel Lebensraum für uns allein, das sich viele Arten nicht mehr in Leben einfinden können und aussterben. Ich halte das für das größte Problem der Menschheit heute. Wir müssen entscheiden, ob wir so weitermachen wollen und wie wir unsere Übermacht zügeln. Helmut Schmidt sagte einmal in einem Interview, das „das ungebremste Wachstum der Menschheit das größte Problem darstellt, das er sieht“. Diese Aussage wurde überhört, bereits vom Interviewer regelrecht ignoriert und in der Breite des Gesprächs und der Diskussion darüber niemals aufgegriffen. Wir Menschen vermeiden scheinbar gerne Erkenntnisse, deren Inhalte uns einengen, die unsere Begierden nicht zufriedenstellen oder unseren Ansprüchen die Rechtfertigung entziehen könnten. Wir sind blind auf den Augen der ganzheitlichen Sichtweisen.

Halten wir einmal fest, was ausgesagt wurde auf den letzten Seiten und fassen nochmal kurz zusammen. Die Regeln von Logik und Sprache beruhen auf Setzungen, die aus dem Ganzen nur noch Teile beleuchten können. Das ist der blinde Fleck unter anderen auch der der Wissenschaften. Nicht anders sieht es aus in den gesellschaftlichen Formen, die ebenfalls auf Setzungen und weiterführend auf Erzählungen beruhen, die uns Formen vorgaukeln, die wir ohne das nie akzeptieren würden. Das beste Beispiel dafür ist der Vorrang der Familie, die in nahezu allen Kulturen gepflegt wird. Weiterhin sind Gesellschaften der zur Zeit gewohnten Größe nur mit Machtausübung und Machtstrukturen, sprich Hackordnungen aufrechtzuerhalten, die dann wiederum zu Ohnmacht und aktiven/passivem Widerstand herausfordern, die ihrerseits Sorgen erzeugen.

Exkurs: Morgen muss ich mich impfen lassen, nicht weil es mir Sorge bereitet, das ich an der Krankheit leiden könne, die die Impfung zu verhindern sucht, sondern weil ich geimpft sein muss, um an den Einrichtungen der Gesellschaft teilhaben zu können, da mir ansonsten verboten sein könnte, zu Sportveranstaltungen, Konzerten oder Kulturveranstaltungen zu gehen oder die verhindern könnten, das man seinen Urlaub antreten kann, weil die Flug- oder Reisegesellschaften mir ihre Dienste verweigern. Gleiches gilt für medizinische und körpernahe Dienstleistungen. Die Sorge wird verursacht durch eine Sorge, die als Wirkung einer Ursache zugeordnet ist, die wiederum auf einer Setzung beruht, die weder bewiesen noch belegt werden kann. Überschreite ich den einen Termin, gelte ich künftig als ungeimpft, obwohl ich geimpft bin und muss mich wahrscheinlich erneut sogar mehrfach impfen lassen, um wieder als geimpft zu gelten. Und so sollte/muss ich mich fügen, da ich einer Gesellschaft angehöre, die das von mir verlangt und ansonsten mit Machtausübung droht, die mir heute wiederum Sorge bereitet. Heidegger zu lesen ist da doch deutlich einfacher im Verstehen-Können. Und dabei habe ich ja noch einiges ausgelassen.

Alles in Allem wäre es nunmehr Zeit, ein Fazit zu ziehen. Das ist jedoch nicht so einfach, wie die 10 Seiten, die jetzt schon beschrieben sind, es vermuten lassen. Die Frage, die mich seit vielen Jahren umtreibt, ist doch die: Ist es sinnvoll, sich in Sachen Gemeinschaft/Gesellschaft auf seiner Ansicht bezüglich Gerechtigkeit und Sinnhaftigkeit zu bestehen oder ist es nicht doch besser, sich den Mehrheiten und Gegebenheiten der Ordnung zu fügen, der man sich angeschlossen hat. Meine Ansicht dazu ist zwiespältig und nicht so einfach zu erklären. Einerseits bestehe ich auf meinen Rechten und versuche, meinen Pflichten, die ich eingegangen bin, nachzukommen. Andererseits bin ich nicht bereit, mich einer Meinung oder Ansicht anzuschließen, nur weil über Macht verfügende Menschen und Organisationen diese mir aufzuoktroyieren versuchen. Es kann also sein, das ich mich im Gegensatz zu meiner Überzeugung dazu hinreißen lasse, mich dem Druck der Gemeinschaft zu beugen, weil ich die Kraft nicht aufbringen möchte, mich den Ressentiments entgegenzustellen, die mir ansonsten drohen. Allerdings würde ich diese Nachgiebigkeit nicht verallgemeinern und somit doch von Fall zu Fall entscheiden wollen/müssen. Bei den Impfungen habe ich mich dazu entschlossen, über ein gültiges Zertifikat verfügen zu wollen, um einerseits reisen und auch meinen sportlichen Aktivitäten ungestört nachkommen zu können. Viele mögen das als schwach empfinden, aber dauernd gegen Wände zu laufen ist auch nicht gerade eine gute Idee und zeugt weder von Stärke noch von Intelligenz. Menschen sind sich anpassende Wesen, an die Umgebung, an die Gemeinschaft, an Machtverhältnisse, an das Wetter und die Nahrungsquellen. Ich finde das weder falsch noch feige. Es ist eben doch immer genau so wie es ist. Jeder hat nur ein Leben, und man sollte sich überlegen, wie man es gestalten und leben kann/soll/muss. Es gibt die ideale Lösung einfach nicht. Es gab sie noch nie, und es wird sie auch in Zukunft nicht geben (können).

Machtausübung erzeugt Ohnmacht, die erst zu Sorge und dann zu Widerstand führt. Gewaltausübung führt zu Gegengewalt, die über die Sorge zu Widerstand führt. Sorge führt zu Maßnahmen der (Vor)Sorge, die zu Verstrickungen führt, die wiederum über den so erzeugten Widerstand zu neuer Sorge verführt. In Ereignisketten zu denken verführt zur Anwendung von Kausalität und der Gefahr von Setzungen, die in der Komplexität der Gesellschaften unvermeidlich zu Ungerechtigkeit, Machtausübung, Sorge und Widerstand führen. Ausbeutung zum Beispiel der Natur führt unweigerlich zum Zusammenbruch derselben, was Sorge bereitet, die mit Vorsorge beantwortet Machtausübung erfordert, die wiederum erst zu neuer Sorge und dann zu Widerstand führt. Und diese ganze Sorgengebilde wiederum beruhen auf Setzungen, die sich aus Begehren herausbilden und deren Übermaß zu Ungerechtigkeit und weiterer Sorge führt, was wiederum Widerstand erzeugt.

Ist dieser (Kreis)Lauf nicht mehr als eindeutig erkennbar. Er beruht auf den grundlegenden Setzungen unserer Kultur. Meine Überlegung geht dahin, diese Kreise zu überdenken und vielleicht zu versuchen, sie gezielt zu durchbrechen. Dazu erscheint mir nur die Basis geeignet, die sich in Prozessdenken und Nicht-Handeln (Wu Wei, s.o.) ausdrückt. Ich empfehle daher allen, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen, das Studium des Taoismus und seiner Schöpfer Laotse, Zwangzi und anderer, aber nicht um zu ersetzen, sondern sich darüber die Einsichten und Möglichkeiten zu erschließen, die in der Lage wären, unsere europäische Kultur auf eine feine und vorsichtige Art und Weise erneut zu kultivieren. Die Aufgabe wäre, Mittel und Wege zu finden, diese Läufe zu dämpfen, zu glätten oder gar einzuebnen. Wie das geht und was dazu notwendig ist, lässt sich nicht niederschreiben. Dazu muss sich jeder Einzelne in der ihm zugänglichen Weise mit den Grundzügen auseinandersetzen, die seine Kultur heute prägen. Es gibt kein System, keine Doktrin, keine Ordnung, keine Vorgaben und keine Setzung, die das für alle gleich übernehmen könnte. Hier ist jeder selbst gefragt und jeder für sich allein verantwortlich. Das ist (für mich) die eigentliche Aufgabe von Spiritualität.




Zwischen Kognition, Homöostase, Priorisierungen und Strategie

Der Versuch einer einfachen Beschreibung des Bewusstseins

Einleitung

Über die Entwicklung und Wirklichkeit des Phänomens Bewusstsein gibt es unzählige Theorien und Geschichten, die sich in Bezug zu Inhalt und Zielsetzung fast alle in entscheidender Weise unterscheiden. Sucht man nach einer Definition des Begriffes, zum Beispiel bei Wikipedia, bekommt man schnell eine sehr lange Latte an Beispielen.



Das Inhaltsverzeichnis dazu sieht ungefähr wie nachfolgend aus:

Bewusstsein in der Philosophie: Bewusstsein als Rätsel, Das Qualiaproblem, Das Intentionalitätsproblem, Innenperspektive und Außenperspektive, Bewusstsein, Materialismus und Dualismus

Bewusstsein in den Naturwissenschaften: Neurowissenschaften, Psychologie, Kognitionswissenschaft

Selbstbewusstsein: Selbstbewusstsein als Bewusstsein vom Selbst, Philosophie, Psychologie, Selbstbewusstsein als Bewusstsein von mentalen Zuständen

Bewusstsein bei Tieren: keine Erkenntnisse

Bewusstsein in den Religionen: Abrahamitische Religionen, Hinduismus und Buddhismus

Nun ist eine solche Breite in der Definitionsfrage dieses Begriffes genau die Grundlage, die dazu einlädt, diesen Begriff als „undefinierbar“ zu bezeichnen. Wenn jeder Wissenschaftszweig, jede Religion und jede Sprache eine andere Definition zugrunde legt, ist sozusagen das Chaos schnell perfekt.

Erster Versuch einer Definition von Bewusstsein

Beginnen wir als bei dem uns zugänglichen einfachsten Lebewesen, den Einzellern. Nach Damasio [1. Wie wir denken, wie wir fühlen, S.14, Antonio Damasio, Hanser-Verlag.] sind sie intelligent auf eine bemerkenswerte Weise. Sie nutzen aber weder Geist noch Bewusstsein, sondern eine Art von Kognition, die es ihnen ermöglicht, mit ihrer Umwelt zurecht zu kommen und über ihr Leben und dessen Fortbestehen zu bestimmen. Damasio nennt dieses „nicht-explizite Fähigkeiten“, also eindeutig vorhandene Fähigkeiten, und bekennt im „nicht“, das sie einer mentalen Betrachtung, wie sie heute im wissenschaftlichen Denken üblich sein sollte, verborgen bleiben. Alle Lebewesen verfügen über diese Fähigkeiten. Sie sind die Grundlage für Leben. Diese sind auch beim Menschen vorhanden und zu erkennen, aber wohl mehr durch ihr Wirken als durch ihre beobachtbaren Aktivitäten. Neben diesen verwendet der Mensch weitere Fähigkeiten, die wir als Kreativität und Vernunft beschreiben könn(t)en. Diese erweisen sich deutlich besser erforschbar und sind daher, zumindest glauben das die damit beschäftigten Wissenschaften, auch explizit schon erforscht.

Spätestens mit der Entwicklung und Ausbildung eines Nervensystems beginnt der ein Prozess bei allen Lebewesen, den man gerne als „geisthaft“ beschreiben kann. Dieser stellt sich dar wie ein ständig aktualisierter Strom von Daten, die etwas über die direkte Umwelt (über die Sinnesorgane) als auch den Zustand des eigenen Organismus (über dem Körper eigene Detektionssysteme) aussagen. Dieser Strom steht mit den nicht-expliziten Fähigkeiten in einen beständigen Austausch und Abgleich und sichert auf diese Weise den Fortbestand des Lebewesens auf beeindruckende Weise. Ich werde diese Mischung aus expliziten Fähigkeiten und Sinnes-Daten erst einmal „Lebensstrom“ nennen.

Erst die darauf entwickelte Vergrößerung und Erweiterung der Nerven und Gehirn-Areale ermöglicht es, dem Lebensstrom Bilder zu entnehmen und abzuspeichern und erlaubt es dem Lebewesen, sich ihrer zu erinnern. Die sich daraus ergebende Fähigkeit, erinnernde Bilder mit dem laufenden Lebensstrom abzugleichen und daraus Nutzen zu ziehen, würde ich Geist nennen wollen. Zu finden ist dieser in allen komplexen Lebewesen, die über ein ausgebildetes Nervensystem verfügen und sich damit in ihrer Welt orientieren können/müssen. Mindestens das gesamt tierische Leben verfügt über Geist. Neuere Forschung, die auch Pflanzen und Insekten bzw. Insektenstaaten Geist zuschreiben, sind zwar spannend und interessant, bilden aber für diesen Artikel und seinem Thema wenig Nutzen.

Bewusstsein in dem gesuchten Sinn findet sich überwiegend erst in Säugetieren, zu denen auch der Mensch gehört. Vielleicht können wir das, was bisher von mir benannt wurde, als die archaische Lebenswelt bezeichnen, was aber nicht auf die Bedeutung altertümlich, vorzeitlich oder frühzeitlich, sondern auf eine prä-bewusste Kognition hindeutet. Mit dem Bewusstsein kommt eine ganz neue Weise der Orientierung eines Lebewesens in die Welt. Aus dem Bilderstrom des Geistes bilden sich verschiedene Eingrenzungen, Zusammenfassungen und Deutungen heraus, die zu perspektivischen Sichtweisen führen. Ganz herausragend in diesen Neuerungen ist die Perspektive, die den Lebewesen ein „Ich“ ermöglichen, das sich in einer Welt befindet und/oder von ihr umgeben ist. Das Wesen erkennt sich selbst (seinen Körper) letztlich als eine Einheit, die von anderen Einheiten oder Dingen umgeben ist. Dieses Ich-Erkennen ist in meiner Vorstellung die erste Form eines Bewusstseins. Weitere Perspektiven, die darauf nahezu automatisch folgen mussten, sind verbunden mit den Wesen, die neben und mit diesem Ich in der Welt sind. Wir können das die „Wir/Die“-Sichtweisen nennen. Alle Perspektiven haben die Neigung, die Welt aus einer bestimmten, zuvor festgelegten Eingrenzung zu betrachten. Dazu gehören auch die bekannten Grenzziehungen, die wir heute Freunde, Partner, Familien, Gruppen, Völker, Staaten, Ethnien und so weiter nennen, die dann alle entweder unter „Meine“ oder unter „Die Anderen“ fallen können.

Nahezu alle heute üblichen Beschreibungen über die Entwicklung von Geist, Vernunft, Verstand und Bewusstsein beschäftigen sich letztlich mit den Ausprägungen dieser perspektivischen Betrachtungsweisen. Gebser zum Beispiel betrachtet nach der archaischen Bedingung das magische, das mythische und das mentale Bewusstsein und vermutet, das unterschiedliche Raum und Zeit-Wahrnehmungen eine große Rolle spielen könnten und prognostiziert eine sich entwickelnde neue diaphane Ebene, die im Kommen sei. Andere Autoren arbeiten mit Entwicklungsstufen verschiedenster Nomenklatur und anderen Teilungen der Gesamtentwicklung in Abschnitte. Weitere andere verfolgen die Entwicklung des Bewusstseins an unseren Kindern. Ihnen allen aber, und das ist für mich der ganz mächtige Haken, ist gemeinsam, das sie sich alle auf Teile des Bewusstseinsstromes beschränken, mit anderen Worten auf die Perspektiven der Betrachtungen und vergessen dabei die drei anfangs genannten Phänomene, die ich die nicht-expliziten Fähigkeiten, den Lebensstrom und Geist genannt habe. Diese drei, die in nahezu allen Kulturen so massiv im Schatten der Perspektiven verschüttet wurden, aber hatten sich über Jahrmillionen bewährt und wären wohl auch heute noch in der Lage, auch ohne Bewusstsein, das (Über-)Leben zu meistern. Und ich denke, das diese einfachste Meisterung nicht einmal halb soviel unserer Lebensgrundlagen zerstören würde wie wir das heute mit unserem Bewusstsein und seinen Prägungen Tag für Tag tun.



Worauf will ich hinaus?

Wie wir oben gesehen haben, beruht unser Leben auf der organischen Basis des Körpers. Wir brauchen ihn, um zu leben, und wenn er stirbt, fällt auch der Geist, zumindest konnte man bisher keinen verstorbenen Geist auf unserer Welt nachweisen und in andere Welten können wir nicht vordringen. Es gibt darüber viele Theorien, große Geschichten, aber sehr sehr wenig gesicherte Substanz. Und auch die Verbindung von Lebensstrom zu Geist ist von großer Bedeutung. Das nämlich ist unsere Grundlage, unsere geistige Basis, unser Grund, der nach wie vor relativ sich gestaltet, unter den wir aber nicht werden vordringen können. Aus dem Zusammenspiel der drei bilden sich Perspektiven, die somit alle auf Auswahl und Eingrenzung beruhen. Das ist auch sinnvoll. Aber bald schon in der Ausbildung des Bewusstseins wurden diese wenigen ausgewählten Perspektiven zu einer neuen Basis, auf der weitere Perspektiven entstanden sind. Und diese wurden wiederum zur Basis von neuen Perspektiven, die weitere Perspektiven erschufen, und so weiter und so weiter. Und auf jeder dieser neuen Ebenen sieht der jeweilige Denker nur noch die ihm bekannte und zugrunde gelegten Perspektiv-Ebenen und vergisst dabei sowohl die vorausgegangenen anderen Setzungen als auch den Grund darunter. Aber diese Ebenen sind da und sie sind nach wie vor wirksam.

Die Begrifflichkeiten von Jean Gebser

Magisch: Nehmen wir uns jetzt einmal eine solche Perspektiv-Ebene vor und erkunden ihre Auswirkungen. Ich beginne zuerst mit der Ebene/Stufe, die Gebser als magisch bezeichnet hat. Die Worte Magie und magisch weisen auf auf das Adjektiv geheimnisvoll mit den Bedeutungen, über die auch rätselhaft, unergründlich oder auch dunkel (verborgen) etwas aussagen. Das wir heute auch Zauberkräfte mit diesem Wort verbinden, ist leider etwas ungeschickt, denn Magie (Geheimnis) ist nicht Zauber, sondern Zauber beruht eher auf der Voraussetzung magischen Empfindens und Handelns. Erst kommt das Geheimnis, dann der Zauber dazu und darüber. Irgendwann begann der Mensch damit, Naturphänomene und Natur-Eigenschaften mit Göttern, die in der Umwelt wohnen und sich ausdrücken, zu verbinden. Naturphänomen waren zum Beispiel die Sonne, der Mond, das Meer, Blitz und Donner, Wasser, Wetter und so weiter. Eigenschaften der Natur waren beispielhaft die nächtliche Dunkelheit, die Fruchtbarkeit der Böden, die Fruchtbarkeit und Gesundheit der Menschen oder die Mächtigkeit der Berge. Wenn diese Phänomene zuschlugen, Freunde einfach starben, die Ernte verdarb oder die Natur sich unwirklich verhielt, begannen findige Menschen zu versuchen, die damit verbundenen Götter (in Geschichten überliefert und weitergetragen…) zu besänftigen, in dem man Opfer darbrachte, Beschwörung ausrichtete oder anderen Zauber anwandte. Es bildeten sich Gruppen von Menschen heraus, die im Zaubern (Wahrsagen, Einfluss auf Götter nehmen können, Zeichen deuten…) besonders begabt erschienen und sich daher fast ausschließlich dieser Aufgabe widmeten und von den anderen dafür versorgt und entlohnt wurden. Andere Menschen waren begabt darin, zu organisieren und Gemeinschaften zu bilden, deren Zusammenhalt größere Sicherheit versprach. Andere wiederum waren begabte Kämpfer und Krieger, die große Kraft ausstrahlten, und in der Auseinandersetzung mit den Anderen größere Erfolge versprach. Unter dem Einfluss dieser Entwicklung entstanden die Phänomene Macht, Religion und Krieg, die sich in den darauf folgenden Entwicklungsebenen und weiteren Perspektiv-Bildungen eine herausragende Grundlage lieferten. Diese drei bildeten die wirk-mächtigsten Motive zur Auswahl der Perspektiven, die für die Weiterentwicklung der Kulturen heutiger Prägung von Bedeutung wurden und somit viele andere Sichtweisen in die Verborgenheit verdrängten. Auch die Ich- und Wir-Perspektiven wurden übernommen und weitergetragen, und zwar in beiden Formen: Ich/Wir auf der einen, Der/Die auf der anderen Seite. Man erkennt unschwer die Geburt dessen, was wir heute Dualismus nennen, und damit die Abschwächung der vielen Grautöne zwischen den Gegensätzen, und man erkennt die ersten Herausbildungen von Herrschaftsstrukturen, die im Dualismus gefangen auch gleichzeitig zu Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen wurden. Viele Magische Elemente (Zauber, Macht, Krieg) sind bis heute erhalten geblieben und beeinflussen uns auch heute noch. In den Erzählungen darüber wird meist von Epochen berichtet, in den Frieden herrschte und die Götter dem Volk wohlgesonnen waren und natürlich auch von den unzähligen Auseinandersetzungen zwischen den sich bildenden Gruppen.

Mythos: Wie wir oben (Magie) gesehen haben, beruht das magische Weltbild bereits auf einer Erzählung, denn irgendwoher müssen ja die Riten, die Zaubereien und Opferhandlungen, die allgemeine Gültigkeit erlangten, herstammen und sie müssen weitergetragen werden. Auch das mythische Weltbild beruht auf Erzählungen, jedoch sind diese nicht mehr ausschließlich mit Götterbildern verknüpft, sondern es gewinnen zusätzlich zu diesen auch Menschen an Bedeutung, die ich zunächst einmal als Helden bezeichnen möchte. Ganz besonders sind hier die Menschenführer genannt, die die in der magischen Zeit noch in kleinen Verbänden organisierte Menschheit zu größeren Einheiten, in Europa Fürstentümern oder sogar zu Reichen zusammenschließen konnten. Trotzdem wurden die in der magischen Epoche vorherrschenden Phänomene wie der Zauber und die Ich/Wir-Perspektiven auch in die mythische Zeit übernommen, nur eben durch vermehrtes Wissen in etwas abgeschwächteren Formen. Was ich als Mythos bezeichne ist die Zeit der Eroberer, der weisen Herrscher (z.B.: Die alten, noch heute hochverehrten Kaiser in China) und der großen reichen Städte, die ein hohes Identifikationspotential hatten. Ganz besonders beeindruckend belegen das die Inhalte der Erzählungen aus der jeweiligen Zeit; mit anderen Worten: Die Themen, die dazu ausgesucht wurden. Wie auch heute noch zu beobachten, hangeln sich diese von Ereignis zu Ereignis. In der mentalen Struktur erweitert sich das bereits ausgeformte Feld der Funktionen des Bewusstseins, wobei diese später meist nur noch von kriegerischen Auseinandersetzungen oder dem Wechsel der Epochen von Familiendynastien erzählen.

Die mentale Struktur: In der mentalen Geist/Bewusstseinsstruktur vereinzeln und spezialisieren sich die in den vergangenen Ebenen entwickelten Phänomene mehr und mehr. Religiöse Formen, herrschende Formen und kriegerische Auseinandersetzungen werden in ein Spezialistentum versetzt, was aber nicht heißt, das der Austausch zwischen ihnen, die gegenseitigen Beeinflussungen nachließen, im Gegenteil, die Verzahnungen zwischen den Funktionen wurde enger und enger, und es bildete sich Elitegruppen heraus, die diese drei Bereiche besetzt hielten. Diese wurden nach wie vor durch Familiendynastien und Verwandtschaftsbeziehungen gefüllt. Man denke dabei nur an den Begriff des „blauen Blutes“, die für eine adelige Abstammung sprach. Sowohl die Führung der Krieger/Militär, der Religion als auch der Herrscher wurde sozusagen aus einer Gruppe heraus beherrscht. Trotzdem gab es nach wie vor den Zauber in den breiten Schichten der Bevölkerung, nach wie vor waren Abstammung und Blutsverwandtschaft, waren Wir-Gruppen (…contra Die-Gruppen) in ganz entscheidender Weise am Geschehen beteiligt und sehr einflussreich. Und auch die Erzählungen haben sich im Verhältnis zum Mythos wenig verändert. Was sich veränderte, waren die Lebensräume, die durch die technischen Entwicklungen immer größere Ausmaße erreichten und daher immer größere Verwaltungen notwendig machten.

Ein kurz gefasster Zwischenstand: Was wir im großen und ganzen sehen können ist, das in der Ausbildung der Bewusstseinsebenen nicht abgeschlossene Bereiche entstanden und durch Neuerungen ersetzt wurden, sondern das sich bis zum heutigen rationalen Stand ein fließender, unregelmäßiger und nicht zu verallgemeinernder Prozess stattfand, der selbst innerhalb eines Volkes oder gar einer Familie durchaus unterschiedliche Tiefen erreichen konnte. Besonders die Elitegruppen eines Volkes besaß nahezu zu jeder Zeit deutlich mehr an Differenzierung und Bildung als das gemeine Volk oder gar die unterdrückten Schichten. Und auch heute noch zeigen sich die verschiedenen Stufen selbst innerhalb kleiner Einheiten. Ich denke daher nicht, das die Teilung in archaisch, magisch, mythisch, mental und rational in einer verallgemeinernden Form Gültigkeit haben sollte. Jede dieser genannten Stufen bildete einfach neue Perspektiven-Bündel heraus, die aus der ungeheuer großen Vielfalt der möglichen Perspektiven eine Auswahl darstellt, ohne allerdings so gradlinig bei allen Menschen anzukommen. Was wir aber immer wieder beobachten können ist die Neigung, die neu erwählten Bündel als eine neue Basis zu etablieren, unter die zu gehen als Rückschritt oder Regression angesehen wurde. Besonders deutlich ist das im letzten Schritt der Erzählung, die wir das rationale Bewusstsein nennen. Wir können diese Einteilungen in Stufen heute nur noch als ein grobes Mittel nehmen, um ohne großen Text eine Epochen-Prägung zu benennen, aber nicht als Maßstab für eine Beurteilung oder Wertung.



Das rationale Bewusstsein: Diese Stufe ist eng mit der mentalen Ebene verknüpft und stellt eine Pervertierung derselben dar. Heute ist die Welt in allen Räumen erforscht und besiedelt und es gibt nahezu keine Möglichkeiten mehr gibt, in weitere neue Räume und Abenteuer vorzustoßen. Das allgemeine Wissen und die technischen Möglichkeit sind so groß und breit, das sie von niemanden mehr überblickt werden können. Uns seien wir ehrlich, auch unsere Fortschritte in der Digitalisierung bieten da wenig Raum für mehr Übersicht. Wir haben in allen Belangen des Lebens einen so hohen Spezialisierungsgrad erreicht, das ein annähernd natürliches Leben eines Menschen zwischen Nahrungsbeschaffung, Unterkunft und Orientierung nicht mehr oder nur noch schwer möglich erscheint. Die Ich-Perspektive ist rein nur noch in wenigen privaten Räumen anzutreffen, es überwiegt das Wir-Gefühl und die Wissenschaft hoffte, mit der Globalisierung würden wir mehr und mehr die Die-Perspektiven verlieren. Aber das scheint nicht der Fall zu sein, denn eine wachsende Zahl an Menschen strebt zu ausschließenden Wir-Perspektiven zurück. Unser Wissen beziehen wir heute aus Spezial-Wissenschaften, die nicht mehr miteinander zu reden scheinen und so Techniken in die Welt setzen, die langfristig gesehen zum Scheitern verurteilt sind/sein müssen, weil sie den Bezug zur Ganzheit verloren haben. Wir streben immer mehr zu Nationalismus und Gruppendenken zurück, dabei brauchten die Probleme der Menschheit ein globales Zusammenarbeiten aller Völker. Klima und Pandemien zum Beispiel richten sich nicht nach Grenzen und Ethnien. Vielleicht ist klar geworden, was eine rationale Weltsicht bedeutet. Ich werde später noch im Detail einige der wichtigen Themen einzeln ansprechen.

Fazit: Auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen wird schnell klar, das Bewusstsein im heutigen Gewand nicht etwas mit Zeit und Raumphänomen zu tun hat. Das kann nicht (mehr) in Stufen, Entfaltungen oder Entwicklungen gesehen werden, sondern das Ganze sollte als ein Prozess gelten. Der bewegt sich nicht in einer Richtung, sondern stellt aufgrund der Prägungen von Organismus und Umwelt jeweils eine Auswahl der machbaren Möglichkeiten/Perspektiven dar. Aus einer Vielzahl von Erklärungen werden die gerade in der Breite der Bevölkerung durchsetzbaren auswählt. Diese Auswahl ist dann eher mit einer Mutation vergleichbar, die nach einem zufriedenstellenden Bewältigungsmechanismus sucht, der der aktuellen Lage angemessen ist. Und dieser Prozess läuft nicht linear ab, sondern kann sich auch regressiv umkehren, wenn Organismus und Umwelt sich verändern oder das Leben sich erschwert. Ich denke, das sich heute die Menschheit schwer damit tut, vergangene Auswahlen loszulassen und/oder sich zu neuen Ufern zu bewegen. Bei Schwierigkeiten greifen wir lieber auf alte und gut bekannte sogenannte bewährte Auswahlen zurück. Wir glauben zwar, linear fortschrittlich zu denken, haben aber vergessen, das sich zyklische, regressive und selbst weiter zurückliegende Formen hervorragend geschlagen haben und vielleicht heute erneut wieder eine Lösung im neuem Gewand bieten könnten. Auf der anderen Seite bieten sich ständig neue Technologie-Ideen an, die Probleme aller Art in naher Zukunft endgültig lösen könnten. [2. Beispiele könnten sein das Herumspielen an genetischen Materialien, das Spielen mit Massenvernichtungswaffen, um Feinde zu vernichten oder die fortgesetzte rücksichtslose Plünderung der natürlichen Ressourcen, weil wir die irgendwann notwendigen Lösung schon noch rechtzeitig finden werden. Alle drei beruhen auf der Methode, das machbare auch zu tun, selbst wenn es große bis unabsehbare Risiken birgt.]. Zwischen diesen Extremen wanken wir seit Jahrzehnten hin und her, und ich denke, wir können in dieser Zeit nur Glück als Ursache dafür nennen, das es noch nicht laut geknallt hat.

Fassen wir zusammen, was bisher gesagt wurde: Das Aufkommen des Phänomens Bewusstsein beruht auf einem Prozess. Dieser ermöglicht auf der Basis eines organischen Organismus und einem Nervensystem die Ausbildung und Auswertung von perspektivischen Sichtweisen und Bildern. Durch die Vielzahl an Möglichkeiten, die sich daraus bildeten, wurde jeweils die Notwendigkeit geboren, Auswahlen zu treffen, und zwar sowohl aus der Masse der Perspektiven als auch aus der Vielzahl von Erzählungen und Techniken, die sich dann wiederum als Basis für neue Perspektiven, Erzählungen und Sichtweisen und Techniken etablierten. Dieser in vielen Zyklen ablaufender Prozess sorgt aus heutiger Sicht für die Vielfalt an Kulturen, die jeweils eine unterschiedliche kleine Zahl an auswählten Perspektiven als Grundlage für sich priorisierten. Da das Geschehen nicht linear abläuft, es niemals alle Teilnehmer der Gruppen erreichen konnte und auch nicht von allen übernommen wurde/werden konnte, entstand die Vielzahl von Sichtweisen auf Welt und Leben und deren Notwendigkeiten, die wir heute überall wahrnehmen. Selbst innerhalb der Kulturen an sich gibt es eine Vielzahl an Prägungen, die alle Bereiche der gezeigten Entwicklung umfassen können. Auch in der heutigen rationalen Weltsicht samt Aufklärung gibt es Zauber, Heldentum, sich in Ich und Wir ausdrückende Identifikationen und die allseits zu beobachtenden Dualismen, die letztlich auf ein „entweder, oder“-System hinauslaufen. Wir können eigentlich nicht sagen, auf welcher Bewusstseinsstufe wir leben (können/müssen/sollten). Das könnte sich morgen schon, durch Umweltkatastrophen, Kriege oder Seuchen oder auch durch Neuentdeckungen ausgelöst, grundlegend ändern. Letztlich aber sorgt nur das Basissystem Organismus/Umwelt für eine Form, die sich zum Überleben eignet, und nicht unsere gelebte Bewusstseinsstufe. Wir müssen erkennen, das wir (nach wie vor) nicht wissen, wie Leben entsteht und wie es geschützt werden kann. Das zu erkennen wird zur Zeit die hervorstechenste Notwendigkeit darstellen, die es zu berücksichtigen gilt. Dazu müssen wir uns nicht die Theorien und Visionen anschauen, die es in der Ratio so zahlreich gibt, sondern wir müssen uns die perspektivischen Auswahlen anschauen, die wir (sagen wir mal) in den letzten fünf Jahrtausenden getroffen haben und diese ständig neu anpassen und gestalten. Dazu gehört auch, alte Setzungen aufzuheben und neue Auswahlen zutreffen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Felder Politik (Macht, Herrschaft), Wissen (Wissenschaft, Forschung, Bildung, Technik, Kultur) und Religion (Mythen, Erzählungen, Weisheit, Aufklärung), da auf Grundlage dieser Stichworte sich das Leben (samt Ernährung, Unterkunft und Beschäftigung) heute abspielt. Es wäre angesagt, sowohl die getroffenen Auswahlen und Setzungen als auch ihre Priorisierungen einer erneuten Hinterfragung zu unterziehen. Die dazu erforderlichen Gremien sollten sich aus Spezialisten dieser Themen und aus gesellschaftlich anerkannten Persönlichkeiten zusammensetzen und so gestaltet sein, das die Mitglieder während ihrer Tätigkeit nicht in aktuell anliegende Entscheidungen und Debatten involviert sein sollten. Weiterhin sollten die Gremien zumindest für eine bestimmte Zeit ihrer Arbeit abseits der medialen Aufmerksamkeit nachgehen können. Beispiel dafür könnten die unzähligen Think Tanks sein, nur das sich die Themen, die dort behandelt werden müssten, nicht im Sinne von Elitepositionen, sondern im Sinne der Menschheit und für die Erhaltung unseres Planeten und seiner Vielheit ausgearbeitet werden sollten. Dafür müssten die Gremien, um unabhängig zu sein, von der breiten Allgemeinheit finanziert werden.



Worüber wir reden sollten

Hier in diesem Abschnitt versuche ich einen Überblick zu geben, wie wir uns Bewusstsein vorstellen könnten und wie das Ganze in einem Überblick aussehen könne. Dazu verwende ich zunächst einmal Formatierungen:

Linksbündig erscheinen Begriffe, Aussagen und Definitionen, die nach heutigem Stand als belegbar oder erforschbar gelten.
Rechtsbündig erscheinen solche Begriffe…, die auch heute noch als verborgen gelten müssen und weder belegbar noch erforschbar gesetzt sind.
Mittelbündig erscheinen dann alle Begriffe…, die im Halbdunkel der Wissenschaft und Forschung stehen und daher häufig nur in Theoriebildungen vorliegen.

Über die rechtsbündig formatierten Stichworte wissen wir nichts und es ist unwahrscheinlich für die Menschheit, jemals über diese Inhalte genaueres zu erfahren. Ähnlich, aber mit einem niedrigerem Wahrscheinlichkeitsgrad verhält es sich mit den mittig formatierten Begriffen. Die linksbündig formatierten Begriffe unterliegen unserem Wissen.

Versuch einer Übersicht

Eindeutig belegbar

Sich im Halbdunkel befindend

Verborgen


HOMÖOSTASE

Nicht explizite Fähigkeiten
aller Lebenwesen


Lebewesen mit einem funktionalen
Nervensystem (Tiere)


Pflanzen ?


Speicherung, Erinnerung von Bildern zu(m)
– Eigenwahrnehmung
– Umgebung
– Nahrungsquellen
– Unterkunft und Schutzquellen


Auswertung der Bilder mit nachfolgenden
– ersten Priorisierungen
– Auswahlen für lebensnotwendige Handlungen
– erste Setzungen von Gewohnheiten


Ist das vielleicht die für das Denken des Menschen unüberwindliche Grenze ??!!


KULTUR

Weitere Setzungen aufgrund von
Gewohnheiten und Funktionalität

– Spezialisierung
– Kulturelle Grundannahmen
– Aufbau einer Herrschafts- und Machthierarchie


Weitere Setzungen, die sich aufgrund
der bisherigen Setzungen anbieten und
die Erfolg, Sicherheit und Wohlstand
versprechen


Weitere Setzungen

– dto…



Von der Homöostase zu Kultur

Wie man in dem Versuch einer Übersicht sehen konnte, gibt es zwischen der Auswahl lebensnotwendigen Handlungen, ersten Setzungen und Priorisierungen eine für dem Menschen in heutiger Gestalt überwindbare (?) Grenze. Diese Grenze zurück in Richtung Homöostase zu überschreiten würde die Bedingungen auslöschen, auf die das Mensch-Sein sich heute gründet. Wir können nicht zurück oder hinübergehen, ohne unser Bewusstsein, wie auch immer das definiert werden mag, zu verlassen, denn wir könnten dann unsere Erkenntnisse nicht zurücktragen. Hier irrt Platon mit seinem Höhlengleichnis. In der Homöostase sind die Grundlagen für unser Leben angelegt, und diese sind neben der Nahrungsbeschaffung die Aufrechterhaltung der notwendigen Handlungs- und Schutzmaßnahmen (Ruheräume, Revierabsicherung), die ein einzelnes Lebenwesen zum Überleben und die Gattung als Art (Fortpflanzung, Schutz des Nachwuchses) braucht. Diese Anlagen sind für uns heute zwar nachvollziehbar, ihr Entstehen aber entbehrt jeglicher möglicher Erklärung. Oder um es einfach auszudrücken: Wir wissen es nicht! Wir wissen weder, was das Leben an sich ist noch wie die ersten Regelungen zustande kamen, und wir sollten so ehrlich sein und das auch zugeben. Alle weiteren Ebenen würde ich einer kulturellen Entwicklung zuordnen, denn sie erfolgen aufgrund der im Abschnitt Homöostase dargestellten Grundlagen und sind damit für uns auch hinterfragbar. Irgendwo zwischen heute und dieser Grenze fanden all die Setzungen, Auswahlen und Gewohnheitsanfänge statt, denen wir uns heute ausgesetzt sehen. Und tatsächlich glaube ich, das wir so weit wie möglich dort hinabtauchen müssen, um andere und stabilere Grundlagen für unser Leben in der Zukunft zu finden. Beschäftigen wir uns daher etwas genauer mit diesem Bereich und fragen nach, ob die Entscheidungen von damals auch heute noch Gültigkeit besitzen (sollten). Und ich beginne jeden Abschnitt dieses Kapitels mit einer Frage.

Politik (Macht, Herrschaft)

Stimmt es wirklich, das das Zusammenspiel von mehreren oder vielen Menschen immer einer Führung bedarf, die sich meist in einer Person konzentriert?

Vom Familienoberhaupt über die Clanführer und Dorfältesten geht der bunte Reigen über Häuptlinge, Adelige, Fürsten und Könige bis zu heutigen Diktatoren, Präsidenten und Kanzler, die stets die Macht oder zumindest einen großen Teil davon auf sich vereinigen konnten. Und auch die Mittel und Rechtfertigungen dazu sind uns mehr als deutlich bekannt, die zur Festigung dieser Ämter verwendet wurden. Zuerst waren es immer wohl die Stärksten, die sich der Macht bemächtigen konnten, hier und da auch mal die Klügsten, dann kamen die Schlauen, die Hinterlistigen, die Brutalen und die Gierigen. Dann kamen die zur Macht, die sich gut organisieren konnten, sich verbünden konnten und/oder die größten Reichtümer besaßen. Und das hat sich nicht geändert bis zum heutigen Tag. Wollen wir das wirklich beibehalten? Brauchen wir dieses System wirklich auch heute noch, oder fällt uns da nicht doch etwas Besseres ein?

Mit der Demokratie steht uns doch ein sehr gutes und wirksames Mittel zur Verfügung, um von Missbrauch, Willkür und Gewalt Abstand zu nehmen. Trotzdem haben wir dieses Mittel immer wieder in die alte, unbrauchbare Richtung zurückgedreht. Heute werden zusehens immer mehr Demokratien (heutiger Prägung) in Richtung Oligarchie (Diktatur der Reichen), Ochlokratie (Diktatur der Mehrheit) und Faschismus (Diktatur der Rücksichtslosen) umgewandelt. Ist Demokratie einfach nicht funktional, müssen wir zurückweichen oder doch eher neue Schritte in Richtung einer größeren Beteiligung aller wagen? Und was wären eigentlich die Voraussetzungen, die letzteres zuließen? Sind wir uns als Volk dieser Aufgabe bewusst? Ich glaube: Nein. Wir müssen uns aber damit beschäftigen. Wie wollen wir sonst Kriege verhindern, das Klima retten, den Planeten erhalten und die vielen anderen Aufgaben wie Hunger, Krankheit und andere Katastrophen verhindern? Wie soll das gehen, wenn wir nicht alle gemeinsam an einem Strang ziehen? Wollen wir uns wirklich auf das Hoffen beschränken, das sagt: Es wird schon weiterhin irgendwie gutgehen?

Wissen (Wissenschaft, Forschung, Bildung, Technik, Kultur)

Unsere Zivilisation baut auf Wissen auf, das wir mittels Forschung, Entwicklung und Technik in unser Lebensgefüge einbauen. Dazu benötigt wird im heutigen Verständnis so etwas wie Bildung, das dann mit den Erstgenannten zusammen als Kultur betrachtet wird. Soweit wir zurückblicken können hat uns das wirklich sehr weit gebracht. Das stimmt, aber heute sehen wir, das wir diesen Weg so wie gewohnt nicht weiter gehen können. Unser Erfolg beruht auf der Ausbeutung der Natur. Und er beruht auf der Ausbeutung von Menschen durch den Menschen. Er wird begleitet von Not, Gewalt, Misstrauen, Angst, Aussichtslosigkeit und was sonst noch so alles. Lässt sich das wirklich nicht ändern?

Müssen wir auch hier wirklich zurückweichen in verlassene Positionen, wie das heute vielfach geschieht? Ist mehr Technik wirklich die Lösung für ein gutes Leben? Und sprechen nicht die relativ armen, mit relativ wenig Technik ausgestatteten Völker, die die Glücks-Statistiken seit deren Einführung anführen, nicht doch eine andere Sprache?

Meiner Meinung nach müssen wir die zahlreichen Setzungen, die der Wissenschaft und deren Wirken in das Leben hinein zugrunde liegen, hinterfragt werden. Wir können uns doch nicht darauf berufen, das sich irgendwann einmal in der Zukunft die passende Lösung schon finden lassen wird. Das ging früher einmal, als die Radien der Technik noch gering waren. Heute, bei globaler Reichweite, geht das nicht mehr. Beispiele gibt es reichlich. Die wichtigsten sind doch wohl die Entwicklung von Atomwaffen und die Nutzung von Atomkraftwerken, wo wir doch gar nicht wissen, wie deren Abfälle sicher entsorgt werden können. Da muss es noch nicht einmal Kriege oder Unfälle geben, die uns damit konfrontieren. Das alleinige Vorhandensein ist schon genug, um unbewältigte Probleme zu zeugen. Weitere Probleme bereitet die Herstellung von Kunststoffen, deren Entsorgung zwar möglich, aber noch immer zu teuer zu sein scheint.

Religion (Mythen, Erzählungen, Weisheit, Aufklärung)

Lange Zeit bildeten religiöse Ideen in Form von Erzählungen, Mythen und Weisheitsdichtungen das gesellschaftliche Fundament aller Menschen-Gemeinschaften. Wenn man sich heute diese Geschichten (Narrative) ansieht, wird man sehen müssen, das alle Hinweise einen Kern enthalten, der auf den Anteil der Homöostase im Geiste/Bewusstsein des Menschen hindeutet. Bis zur Aufklärung war Religion die einzige wirkliche Ordnung, die alle Bereiche des Lebens umschloss. Heute hat die Religion und ihre Verwandten nur noch einen geringen Anteil am Lebensgefüge zumindest des westlich rational geprägten Erdenbewohners. Heute sprechen wir mehr von Weltbildern, Staatstheorien oder Dogmen, wenn wir uns auf eine Ordnung beziehen wollen. Das fatale daran ist, das wir zunehmend den homöostatischen Kern vergessen (haben), der uns letztlich begründet. Wir bewegen uns sozusagen nur noch in den Bereichen der Kultur. Da es viele Kulturen gibt, gibt es immer wieder Streit und Auseinandersetzungen um den richtigen Weg. So aber ist Ganzheit in der Welt nicht möglich, denn der Bezug zur Wirklichkeit verschwindet aus dem Gesichtsfeld zugunsten einer Theorie oder eines Abbilds, welche ich weiter oben Perspektiven von Perspektiven genannt habe. Wir verlieren den Bezug zum (unbekannten) Leben.

In vielen Weisheitsdichtungen ist maßvolles Handeln, maßvolle Ausübung von Macht und eine maßvolle Auslegung von „Haben und Sein“ das grundlegende Thema. Wir können den Planeten, der uns trägt, nicht über seine Regenerationsgrenze hinaus ausbeuten. Wir können Macht und Herrschaft auf Dauer nicht so ausüben, das das Gebaren Widerstand erzeugt. Wir müssen die Themenbereiche Gleichheit und Gerechtigkeit in unsere Überlegungen einbeziehen, sonst ist Zusammenarbeit nicht möglich. Und wir müssen nicht nur dem Menschen, sondern auch den anderen Lebensformen Lebens- und Entwicklungsraum ermöglichen. Das Leben in seiner Gesamtheit ist eine Kette. Wenn wir wichtige Glieder darin zerstören, wird alles Leben in Gefahr geraten. Wir wissen zu wenig darüber, um heute schon endgültige Entscheidungen zu treffen.

Ernährung, Unterkunft und Beschäftigung

Wir erfahren heute immer mehr Informationen darüber, wie sich die Lebenswelt entwickelt, zu deren Ausbeuter wir uns aufgeschwungen haben. Und diese Berichte sagen aus, das wir zu viel und zu oft über das Maß hinaus schießen, das die Natur bräuchte, um (noch) regenerieren zu können. Wir fischen die Meere leer, zerstören unsere Anbauflächen durch Überdüngung und chemische Mittel, wir roden die Wälder und versiegeln/verzäunen immer mehr Flächen, die eigentlich Pflanzen und Tieren vorbehalten sein sollten. Und vom Abfall der Industrien, der ja auch irgendwie entsorgt werden muss, haben wir schon gesprochen. Trotzdem müssen sich nach wie vor alle Lebewesen ernähren, müssen atmen können und wollen auch die Menschen in einem natürlichen Umfeld zumindest ihre Freizeit verbringen. All das zusammen funktioniert heute schon nicht mehr, und die Zuwachsraten der Menschheit lässt auch in Zukunft keine Besserung erwarten. Hier müssen dringend Lösung gefunden werden.



Das Bewusstsein ist das Problem, aber auch die Lösung

Alle denkbaren Bewusstseinsstufen des Menschen heute sind unterwegs zur mentalen Ebene, wie sie weiter oben beschrieben wurde. Aus dem Magischen und Mythischen geht es zu mehr Breite zur mentalen Ebene, aus dem Rationalen muss es zurückgehen aus der Perversion auf die funktionale Ebene. So würde Gebser das wohl beschreiben. Und wenn die entscheidende Masse im Mentalen angekommen ist, müsste es zielstrebig weiter ins diaphane Bewusstsein gehen. Wie diese Stufe letztlich aussehen wird, wissen wir heute (noch) nicht. Angesichts der Probleme allerdings, die wir heute weltweit sehen, kann man deutlich die Perspektiven erkennen, die aus den Problemen herausführen könnten. Es gäbe viele Möglichkeiten. Neben neuen Technologien, die alle Probleme lösen, könnte zum Beispiel das Reduzieren der Menschheit eine Perspektive darstellen. In drei Generationen mit einer Einkind-Politik ließe sich das verwirklichen.

Was sich auf jeden Fall sagen lässt ist, das ein zurück in die dunkleren Phasen der Bewusstseinsgeschichte nicht funktionieren kann. Wir müssen uns als Menschen in großer Zahl auf der Ebene einfinden, auf der eine Weiterentwicklung möglich sein kann. Das ist, nach heutigem Wissen die vollständig ausgebildete mentale Bewusstseinsstruktur. Diese enthält die vorgängigen Strukturen in sich, erkennt diese auch an und erweitert so den Schatz an Erfahrung soweit, das sich neue Wege ergeben könn(t)en. Das ist der Stand der Geisteswissenschaften, der Stand der Historienforschung und der Stand der allgemeinen Naturwissenschaften heute. Und so sprechen auch viele spirituelle Traditionen seit alters her. Entwicklung benötigt die Akzeptanz und Offenheit gegenüber allen durchlaufenen Stationen unserer Geschichte. Wir können und dürfen das Alte nicht vergessen und dürfen uns nicht ausschließlich einem Neuen, sei es bekannt oder auch nur erwünscht, zuwenden. Das widerspricht allen Erfahrungen der Menschheit. Wichtig ist aus meiner Ansicht heraus, die uns zugänglichen Perspektiven und Setzungen zu hinterfragen und bessere, weitsichtigere Setzungen zu finden.

Und wozu soll das bisher geschriebene alles gut sein?

Diese Frage stellt sich eigentlich [1. Eigentlich: Sie scheint normal zu sein, ist es aber nicht?!] immer dann, wenn wir uns fragen, wie wir die sehr berühmte Frage nach dem Sinn des Lebens stellen, und wir nicht zugeben wollen, das wir es weder wissen noch wissen können. Wir setzen dabei, die Philosophien von Jahrtausenden zeigen das deutlich, voraus, dass wir entweder auf der Suche nach einem wie immer beschaffenen Urgrund, nach einem außerhalb unserer Vorstellungen und Fähigkeiten liegenden Parallel-Universum (Transzendenz, Dimension) oder aber einem wie immer beschaffenen Schöpfer (Gott, Götter, Herr, Urahn) sind, der uns diese Frage zumindest „phantastisch“ beantworten wird durch Zeichen, Offenbarung, seine Vertreter auf Erden oder einem von vielen angenommenen Glauben. Und das Wort „phantastisch“ trifft diese Aktivitäten wie der Hammer den Kopf, wenn ein Nagel versenkt werden soll. Die gestellte Frage muss und kann aber nur so beantwortet werden:

„WIR WISSEN ES NICHT!“

Das ist unschön und wenig erhebend, aber trotz aller Versuche bisher die einzige richtige Antwort. Natürlich darf jeder Mensch einen Glauben haben. Ja, warum auch nicht? Das Problem dabei ist, das er verstehen muss, das es ein Glaube ist, und das ihm bewusst ist, das das sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen erheblich Schwierigkeiten bereiten wird, den Glauben zu halten und das es daneben unzählige Menschen geben wird, die einen anderen Glauben haben werden. Dieses Wissen ist wichtig, weil es verhindert, das Menschen sich ihres Glaubens wegen verfeinden, sich deshalb gegenseitig bekämpfen und umbringen. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen. Aber der Glaube ist ja nicht die einzige Unsitte der Menschheit. Da gibt es auch noch, wie zuvor schon erwähnt, die Macht und den Reichtum.

Macht hat ein Mensch nicht einfach so. Dazu gehören entweder besondere Fähigkeiten, besondere Erscheinungsformen, gehören Reichtum, der mit der Macht eng verknüpft ist oder aber ein besonderer Status, der von einer großem Mehrheit der geführten Gruppe getragen, geglaubt oder gewährt wird. Macht an sich bringt eine Gruppe von Menschen dazu, sich wie eine Person zu verhalten, die sich sozusagen im Anführer konzentriert. Große Anführer und Machtausübende waren gute Kämpfer, überragende Strategen, wunderschöne, begehrte Frauen und Menschen mit großer Ausstrahlung. Erklären lassen sich in der Aufzählung nur die ersten drei, die letzte bleibt im Dunkel des Unwissens. Was ist Ausstrahlung? Wie wird sie erworben? Worauf beruht sie? Ich halte nach wie vor diese Erscheinungsform für ungeklärt. Wir sollten Ausstrahlung aber nicht verwechseln mit „die Begeisterung einer Gruppe oder Masse wecken können“, „Begierde oder Hass erzeugen zu können“, oder einfach nur ein gut geschulter Redner zu sein. Diese drei lassen sich lernen, denn sie stellen immer nur eine geschickt vermarktete Auswahl möglicher Perspektiven dar. 2000 Jahre Christentum mit all seinen Erscheinungsformen sind ein gutes Beispiel dafür. Ausstrahlung haben nur wenige Menschen. Berühmte Beispiele aus der Neuzeit sind Ghandi, Mandela, King, Beispiele aus der Historie sind Jesus, Mohammed oder Laotse, um nur einige wenige zu nennen. Wenn wir Ausstrahlung begegnen, werden wir es daran bemerken, das weder Begierde noch Macht noch Glauben im Spiel sind. Da ist ein Mensch der strahlt, so ganz ohne Grund. Wir sehen es, können es aber nicht erklären. Und es ist nicht immer nur das Gute, das wir dabei erleben werden. Auch das Erlebnis von Ausstrahlung nämlich kann zur Begierde werden und beraubt uns damit unserer Freiheit.

Alle Phänomen dieser Art müssen uns bewusst sein, wenn wir in ein entwicklungsfähiges Bewusstsein wie das Mentale vordringen oder zurückkehren wollen. Wir müssen sie alle kennen und handhaben können: Begierde, Macht, Besitz, Hass, Ausstrahlung, Begeisterung und so weiter. Und es hilft nicht, das wir das Beachten dieser Kenntnisse dann als „LIEBE“ bezeichnen. Denn mit dieser Zusammenfassung haben schon wieder eine Auswahl getroffen, die von jedem anders interpretiert werden kann. Wir sollten es einfach so benennen, wie wir es auch erfahren. Und das Rätselraten darüber, wohin es eigentlich gehen könne, ist unsinnig. Wir wissen es nicht! Punkt.

Wir hören oft, das so eine Weltsicht Nihilismus sei, eine totale wenn nicht sogar totalitäre Verneinung, die den Menschen Angst machen wird und die daher für eine Gesellschaft schlecht wäre. Ich halte das für einen Irrtum. Ein Mensch, der jegliche Form von Sinngebung verneint, also keinen Glauben annimmt oder kein Ziel wie auch immer geartet verfolgt, ist wenig manipulierbar. Er wird keiner Versprechung nachlaufen, keiner Fahne folgen oder vor anderen aus taktischen Gründen den Bückling machen. Wozu sollte das gut sein? Und ich sage „wenig manipulierbar“, denn er wird sein eigenes Leben und das seiner Lieben beschützen wollen wie alle Wesen auf dieser Welt das so tun. Er stellt sich oder er weicht hier und da auch aus, wenn der/ein Erfolg ungewiss scheint. „Überleben wollen“ gehört zur Homöostase, vielleicht nicht um jeden Preis, aber sicherlich wird das sehr oft das entscheidende Motiv sein, das sich durchsetzt. Und verraten kann man nur einen Glauben, ein Ziel, eine Anhängerschaft oder ein Dogma, und wer diese nicht beherbergt, kann sich auch eines Verrats nicht schuldig machen. Wer kein Ziel kennt, wird auch nicht irgendwann irgendwo ankommen müssen. So einfach kann Argumentieren sein. Und was bleibt ist das Leben in all seiner Pracht und Vielheit. Wir machen Menschen, die wir lieben, gerne zum Geburtstag eine Überraschung. Warum aber lassen wir uns nicht jeden Tag überraschen, vom Leben, von der Welt und von den unbegrenzten Möglichkeiten darin. So würde ich den aus der Mode gekommenen Begriff der WEISHEIT heute definieren wollen. Vielleicht ist das ein bisschen zu einfach, aber wollen wir immer weiter mit undurchschaubaren Definitionen arbeiten? Ich denke nicht!




Die segmentierte Lebenswelt als Werkzeug der Praxis

In den modernen Wissenschaften werden Menschenbilder, was so viel heißt wie sich der Mensch als Wesen in der Welt (Planet), in einer Gesellschaft (Kultur) und in seiner Selbstansicht (Selbstkonzept, Ideal, Weltanschauung) einordnet oder von außen betrachtet eingeordnet wird, in verschiedenen Disziplinen oder Unterdisziplinen behandelt und somit in Bruchstücken, sowohl in den Beschreibungen als auch in den gültigen Paradigmen, beschrieben. Trotzdem sind sowohl subjektive und objektive Sichtweisen als auch die animalischen (körperlichen) Befindlichkeiten und Bedürfnisse nicht einwandfrei zu trennen, sind Überschneidungen sichtbar, die wiederum in Unterdisziplinen (zB. Sozialpsychologie, Arbeitspsychologie, Organisationspsychologie, Betriebspsychologie, Pädagogische Psychologie, Erziehung, Gesundheitspsychologie und Psychotherapie) behandelt werden und daher ein weiteres System der Erklärungen produzieren. Mit den Einzelformen entstehen jeweils Wordings, die dann auch noch kunterbunt durchmischt fremdverwendet werden. Diese ganze Systematik, vereinzelt und in Schubladen organisiert, ist unscharf und daher für den allgemeinen Gebrauch vollkommen unbrauchbar. So taugt das Freud‘sche Konzept von Überich, Ich und Es zwar als Bild innerhalb einer Therapie, aber leider nicht mehr für eine Beschreibung der Grundlagen einer gesellschaftlichen Sichtweise oder gar einer Motivationsanalyse. Wir brauchen aber in einer immer komplizierteren Welt eine Matrix, um Beschreibungen und Erklärungen kommunizieren zu können.

Ich möchte daher ein relativ einfaches Modell vorschlagen, das den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit beschreibt, Rückschlüsse erlaubt und die Fähigkeit besitzt, ohne großen Aufwand eine beschreibungsfähige Ansicht zu konstruieren, mit dem gesellschaftliche Phänomene ins Bild gesetzt werden können, ohne ein langjähriges Psychologiestudium vorauszusetzen. Ich möchte dafür die Lebenswelt des allgemeinen Menschen in drei ineinander verzahnte Segmente aufteilen.

  1. Zur animalischen Welt gehören alle Bedürfnisse und Voraussetzungen, die ein Leben auf diesem Planeten sicherstellen. Dazu gehören die Aspekte Nahrung, Atmung, Fortpflanzung und Sicherheit.
  2. Zur kulturellen Einbettung gehören alle Aspekte, die im Zusammenwirken zwischen Menschen untereinander und die zwischen Mensch und Umwelt notwendig und sinnvoll sind und die, sofern sie beachtet würden, vor einer Bedrohung der animalischen Erfüllung bewahren könnten.
  3. Selbstkonzepte: Hierzu gehören Ideale, Werte und Selbstbilder, die ein Mensch für sich selbst entscheidet und verfolgt. Als Beispiele können dienen das Ausüben-Wollen von Macht, das sich Einordnen- und Unterordnen-Wollen in Konzepte des Zusammenlebens oder auch einfach nur das Bild, das jeder von sich selbst hat.

Jeder Mensch befindet sich mehr oder weniger in jedem der Segmente wieder. Diese bilden zusammen ein Geflecht, das im Idealfall auf einem individuellen Gleichgewichtszustand aus Motiven dieser Segmente beruht. Wird das Gleichgewicht gestört, versucht die Lebenswelt aus den noch vorhandenen Inhalten einen neuen Gleichgewichtszustand zu formen. Dieses gelingt im alltäglichen kleinen Bereich normalerweise recht gut, bei Superstörungen wie Pubertät, Trennung oder Jobveränderungen kann es aber zu Zeiten kommen, in denen das Gleichgewicht erheblich verändert wird und nur noch unter offensichtlichen Einschränkungen getragen werden kann. Krankheit (animalisch), Depression (selbst) und Aggression (Kultur) sind Beispiele solcher Einschränkungen, die ganz überwiegend einem der großen Segmente zugeordnet werden können. Neben Einschränkungen treten auch Übersteigerungen auf, wie sie vom Narzissmus (selbst), körperlicher Selbstoptimierung (animalisch) oder blinder Fankultur bekannt sind. Des Weiteren gibt es Mischformen, die wesentlich schwieriger und meist nur beispielhaft zu beschreiben sind. Und es gibt auch noch das Motiv der Beschränkung des gesamten Lebensgefüges, weil Segmentanteile nur noch in der Verkleinerung aller zu einem Gleichgewicht geführt werden können.

Nun sehe ich es nicht als Aufgabe an, hier eine Katalogisierung zu versuchen und alle möglichen Krankheiten in Segmenten, Unter-, Teil- und Mischsegmenten unterzubringen. Viel wichtiger erscheint mir die Fragestellung, wie aus einer erkannten Störung über die Zuordnung von Einschränkung und Übersteigerung ein Ausgangspunkt gefunden werden kann, von dem aus Patient und Arzt, Patient und Analytiker oder Teilnehmer und Lehrer gemeinsam in eine vermeintlich stabilere Konfiguration aufbrechen können.

Da ich weder Arzt noch Analytiker, sondern nur als Yogalehrer tätig bin, kann ich nur aus dieser Sicht fortfahren. Im Yoga steht mir mit Asana, Pranayama und Meditation eine Übungspraxis zur Verfügung, die für die Ausbildung eines neuen und dauerhaft stabilen Gleichgewichtszustandes hilfreich sein kann. Ergänzend dazu bekomme ich mit philosophisch begründeten Fragestellungen einen guten Zugang zum kulturellen Segment, so dass alle Bereiche zumindest mit Arbeitsformen abgedeckt sind. Den Rahmen zu einer gemeinsamen Arbeit bilden Einzelstunden und/oder -gespräche vor oder nach Gruppenstunden. Darin entscheidet sich, ob und in welcher Form Hilfestellungen meinerseits erfolgen können.

So ist offensichtlich, dass unfallbedingte Einschränkungen, stressbedingte Störungen und Selbstwertstörungen nicht in ein und derselben Weise angegangen werden können. Auch fordern Einschränkungen fast immer Aufbauarbeit, Übersteigerungen aber in der Mehrzahl Abbauarbeit. Häufig spielt Angst eine Rolle, spielen die gesellschaftliche Position und  Zugehörigkeit mit in ein Selbstbild hinein oder ist der Wille die entscheidende Kraft, die gestärkt oder gebremst werden muss. Immer aber ist wichtig, einen stabilen Ausgangspunkt zu finden und von dort eine Richtung und Intension zu bestimmen, die zu einer Veränderung führen kann. Dazu sind die Segmente der Lebenswelt in der vorliegenden Form eine große Hilfe.

Exkurs: Ganz neu ist das Konzept ja auch nicht, da im Yoga mit Asana, Pranayama und Meditation die Übungsformen und mit Yama und Niyama ein kulturelles Segment, sprich eine philosophische Einbindung schon gegeben ist, nur das die zugrunde gelegte Kultur nicht der unsrigen entspricht.
In einer pluralistischen Welt mit unzähligen Erscheinungen genügt die Beschreibung von vereinzelten Übungsformen aus meiner Sichtweise allein nicht. Es muss auch differenziert werden, in welcher Weise welche Übung zu wirken in der Lage ist. Und es muss die Möglichkeit geben, Übungsformen und Übungen so zu kombinieren, das eine zielführende Praxis erreicht wird. Die Mittel dazu sind Erfahrung, Selbsterfahrung, eigene Praxis und Reflektion und die Umsetzung in Übungsabfolgen und -abläufen für sich und andere.