Eine dritte Ode an die Un-Entschiedenheit: Stille Meditation

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit, der ich damit den dritten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über die Meditation. Dieses Wort ist heute so durchgestaltet, verbreitet und missbraucht, das sich der eigentliche Sinn, wie er sich aus der Überlieferung ergibt, sich so gut wie nicht mehr auffinden lässt.



Der Artikel ist (leider) etwas länger geworden, als ich das beabsichtigt hatte, aber: Ich konnte es mit weniger Worten nicht so ausdrücken, wie es mir in den Sinn kam.

Die Unentschiedenheit, mit der wir leben müssen, …

… wenn wir Meditation praktizieren. Was ich hier zu beschreiben versuche ist, meine Erfahrung zu Papier zu bringen, ohne dabei zu Überhöhen oder zu Untertreiben oder mich in Nachbetungen zu erschöpfen. Meditation ist eine Lebenspraxis, die offen, der Buddhist würde sagen, „leer“ ist. Es gibt kein Ziel, keine Methode usw, es gibt zunächst nur das persönliche Motiv, das im Grunde genommen sehr unterschiedlich sein kann. Ich empfehle, am Anfang alle in Frage kommenden Motive zu nutzen, um die Praxis zu beginnen, und dann nach der Einrichtung der Gewohnheit eines nach dem anderen zu negieren, neudeutsch: zu canceln, um dann ohne Vorgabe, ohne Zielvorstellung und ohne Rezept… in sein Sitzen gehen zu können. xX

Auch die Bestätigung eines Meditations-Meisters erhalten zu wollen, die Bestätigung also, die meditative Praxis erreicht/erklommen zu haben, ist bereits ein Konzept. Also, alles gezielt Angestrebte ist in meiner Vorstellung alles mögliche, aber nicht Meditation. Sie erfordert also eine oftmals sehr lange Vorbereitungsphase, erfordert viele Versuche mit meist bescheidenem Ausgang, wird hier und da Verwirrung, Sorge und Ernüchterung erzeugen und bedarf daher Mut, Hartnäckigkeit und einen sehr langen Atem. Es darf nicht entscheidend sein, ob die Praxis ein Gefühl des Gelingens oder Misslingens erzeugt. Ich betrachte sie als eine Lebenspraxis, in etwa so wie das Atmen, das Schlafen und das, um ein Motiv der modernen Kultur zu nennen, Zähneputzen. Meditation ist und bleibt ein „Weg in unbekanntes Terrain“, nicht vorgegeben, nicht planbar und auch nicht zu irgendwelchen Zwecken gut. Meditation ist Meditation, ist Zazen, ist Sitzen, ist „leer“ im buddhistischen Sinne, also nicht beschreibbar. Und das ist gut so!

Im nachfolgenden Text versuche ich diese durchaus gewagten Aussagen aus meiner Sicht zu begründen. Es ist, wie gesagt, meine persönliche Ansicht, wie sie gerade eben, wo ich das hier schreibe, vorliegt. Vielleicht kann sich diese schon morgen ändern/geändert haben. Beginnen möchte ich mit der Beschreibung der Meditation in Wikipedia. Es folgt eine Kritik der dort gemachten Aussagen und im Text eingebettet, wie ich das alternativ zu Wikipedia bzw. dem Schreiber dort sehe und praktiziere.

Meditation in Wikipedia:

Meditation bezeichnet eine Gruppe von Geistesübungen, die in verschiedenen Traditionen seit Jahrtausenden überliefert sind. Ein wesentliches Element meditativer Techniken ist das bewusste Steuern der Aufmerksamkeit. Das Üben von Meditation soll nachhaltige positive Veränderungen im Denken, Fühlen und Wahrnehmen bewirken oder zu bestimmten religiös definierten Einsichten und Zuständen führen. Effekte von Meditationstraining auf Kognition, Emotionen, Hirnfunktion, Immunsystem, Epigenetik sowie auf die psychische Gesundheit sind wissenschaftlich belegt. Meditation ist ein zentrales Element in verschiedenen Religionen, insbesondere dem Buddhismus, wie auch im Hinduismus, Konfuzianismus und Christentum. Seit dem 20. Jahrhundert wird Meditation zunehmend auch in der westlichen Welt praktiziert und wissenschaftlich erforscht.

Nun ist Meditation eine Sache, die sich meiner Ansicht nach so materialistisch ausgeformt/-gestaltet nicht darstellen lässt, denn im Grunde ist ein Nutzen dieser Praxis weder wissenschaftlich belegbar noch kann sie bestimmten Zielen in Form einer Technik, die zu einem vorgegebenen Ziel führt, zugewiesen werden. Natürlich hat das Sitzen in Stille Veränderungen in Körper und Geist (beide sind eine Einheit…) zur Folge, aber, und das ist mehr als entscheidend, können diese nicht bewusst herbeigeführt werden. Aber genau das wäre Wissenschaft: Wenn ich A tue und verfolge, passiert B. Und ich kann das in einem validen Verfahren jederzeit erneut belegen. Denn: Niemand kann vorhersagen, wie sich Meditation auf das Sein eines Menschen auswirkt. Es ist ja gerade dieses Nicht-Wissen-Können, das zur „Technik/Gewohnheit“ wird und in meiner Erfahrung kann eine Praxis desselben nicht planmäßig angestoßen werden, auch wenn viele Bücher und Veröffentlichungen das dem Leser so mehr oder weniger geradezu in den Mund legen.

a. Es geht in der Meditation sinnvoller Weise doch zunächst einmal um die äußere Form. Jeder Einsteiger wird das sehr deutlich körperlich erfahren. Still sitzen über einen Zeitraum von mehreren Abschnitten, die sich in der Summe nur in Stunden ausdrücken lassen, ist eine Praxis, die sich so einfach schon allein körperlich nicht umsetzen lässt. Einschlafende Beine, wegdämmern, dösen, einschlafen und damit verbunden Rücken- und Beinschmerzen werden jede meditative Stimmung verderben.

b. Dann geht Meditation, so sie denn gelingt (s.u.), in Bewusstseinsschichten hinein, die dem alltäglichen Geist sprich Verstand unzugänglich sind. Aber diese sind nicht, wie viele Schriften vermuten lassen, in einem wie immer auch gestalteten Jenseits angesiedelt, sondern sie sind hier, in dieser Welt, in diesem Körper, in dieser Persönlichkeit. Sie transzendent zu nennen ist verschroben, um einen sanften Ausdruck zu gebrauchen, denn Transzendenz [1. Transzendenz (von lateinisch transcendentia „das Übersteigen“) beschreibt den Bezug auf einen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindbarer Wirklichkeit liegt. Wikipedia.de] liegt, wie der Name schon sagt, jenseits des Bewusstseinsfensters, das sich einer Persönlichkeit öffnen kann. Auch sehe ich nicht, das man ein Bewusstsein so wirklich eindeutig in verschiedene Abschnitte wie ein Offenes-Bewusstsein, ein Unter-Bewusstsein und dazu noch in ein Un-Bewusstes trennen kann. Auch hier ist der Begriff [1. Bewusstsein (abgeleitet von dem mittelhochdeutschen Wort bewissen im Sinne von „Wissen über etwas habend“,lateinisch conscientia „Mitwissen“ und altgriechisch syneídēsis „Miterscheinung“, „Mitbild“, „Mitwissen“, synaísthēsis „Mitwahrnehmung“, „Mitempfindung“ und phrónēsis „bei Sinnen sein, denken“) ist im weitesten Sinne das Erleben mentaler Zustände und Prozesse. Eine allgemein gültige Definition des Begriffes ist aufgrund seines unterschiedlichen Gebrauchs mit verschiedenen Bedeutungen schwer möglich. Wikipedia.de] bereits so geprägt, das weder eine Definition und folgerichtig daher auch keine Unterteilung möglich erscheint. Solcherlei Einteilungen und Spitzfindigkeiten entbehren jeglicher wahrnehmbaren und/oder wissenschaftlichen Basis.



c. Dann kann man mit einer geistigen Tätigkeit [1. Geist heißt ja deshalb Geist, weil er keine materielle Erscheinung ist. HpS] keine materiellen Änderungen erzeugen. Das ist nach wie vor und ich fürchte für lange Zeit noch eine SF-Vision. Meditation kann nur hervorbringen, was schon da ist. Dazu werden für die Meditation die verschiedensten Techniken und Werkzeuge vermittelt. Das ist sicherlich ein guter Weg für den Einstieg, aber schon in der Phase der Festigung, wenn die Meditation also wie das Zähneputzen zur alltäglichen Praxis wird, kann mit den unterschiedlichen Konzentrationen [1. Jede Technik ist im Grunde genommen (nur) eine Konzentration.] nicht mehr sinnvoll gearbeitet werden. Jede Konzentration bedarf des Denkens, bedarf der Sprache, legt fest und verdeckt/verschleiert so das Unbekannte. Sie sind daher alles andere als offen.

d. Was bitte sehr hat Meditation mit Epigenetik [1. Die Epigenetik ist das Fachgebiet der Biologie, das sich mit der Frage befasst, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Sie untersucht die Änderungen der Genfunktion, die nicht auf Veränderungen der Sequenz der Desoxyribonukleinsäure, etwa durch Mutation oder Rekombination, beruhen und dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden.Wikipedia (DE)] zu tun. Der Einfluss der Umwelt auf die Gene wird beim stillen Herumsitzen nicht anders sein als wenn ich im Garten in aller Stille Unkraut jäte oder wenn ich im Büro eine Excelliste bearbeite. Wenn Meditation wirksam die Gesundheit verbessert, wie oftmals wissenschaftlich behauptet und wie das von vielen Menschen auch bestätigt wird, was ich auch tue, hat das natürlich auch Einfluss auf das Erscheinungsbild des Menschen allgemein als auch auf die Hirnfunktion und die Reaktionen auf die Umwelt, aber auch auf die Verdauung, auf das Nagelwachtum und alle anderen Erscheinungsänderungen. Auch ist bei guter Gesundheit bestimmt ein Stimmungswechsel zum positiven hin zu verzeichnen, der sich so bei Krankheit nicht zeigen wird. Ich halte die Phrasen zur Epigenetik und Hirnfunktion für den Versuch, der Wissenschaft eine Legitimierung zu geben, die sie aufgrund der Fremdheit des Geschehens gar nicht haben kann. Denn fremd sind der Wissenschaft die Aussagen von Meditierenden, dass 1. Meditation weder etwas mit Denken noch mit Wissen zu tun hat, das 2. Meditation nicht gewollt herbeigeführt werden kann und 3. eine Ebene beschreibt, die nichts mit Raum und Zeit zu tun hat, also keine Gegenstände noch deren Benennung kennt. Nichts im Hirn zeigt Meditation messbar an, außer, das der Mensch sehr ruhig wird [1. Was das EEG mit elektromagnetischen Wellen von 8-13,9 Hz also eine Ruhefrequenz sprich Alpha-Wellen anzeigt.], was beim langen Stillsitzen oder ausgeprägten Ruhezeiten ja auch nicht außergewöhnlich ist. Wo soll die Unruhe dabei herkommen? Vom Geist vielleicht? Und wie wird der im Gegensatz zu Hirnaktivität gemessen? In Alpha-, Beta- oder Gamma-Wellen vielleicht? Ich halte die Aussagen der Wissenschaften für sehr gewagt, wenn nicht sogar anmaßend.

Zu a. Die äußere Form der Meditation (Sitzen, Zazen)

Meditation bedarf der körperlichen Ruhe und der Abgeschiedenheit, denn der Übende braucht sozusagen Platz in seinem Bewusstseinsfenster. Der abgesonderte Meditationsplatz, störungsfrei gestaltet, führt die Sinne in einen Ruhezustand. Meist sind die Augen geschlossen oder halb geöffnet, der Körper bewegt sich äußerlich nicht und ruht fest in seinem Sitz für eine ziemlich lange Zeit. Das alles sind Umstände, in die zu wechseln ein Mensch, der innerhalb einer Zivilisation eingebunden lebt, so ohne weiteres nicht imstande sein kann. Aus einem ereignisreichem Tag, gefüllt mit Ansprachen, Gesprächen, Wahrnehmungen, Lernen und all den lebensnotwendigen Verrichtungen in eine Form zu wechseln, die nahezu als „leer“ beschrieben werden kann ist also die erste Aufgabe, die eine Praxis anzustreben hat. Das braucht Zeit und Übung. Dazu braucht es in jedem Fall zunächst einmal eine Sitzhaltung, die auch bereit ist, still zu sein. Meine Überlegung geht dahin, das körperlich still sein nur dann gelingt, wenn es dem Körper gut geht und ihm alles zur Verfügung steht, was er braucht. Also empfehle ich, zunächst einmal lange Zeit darauf zu verwenden, einen Sitz entsprechend zu gestalten. Verspannungen, die Schmerzen erzeugen, Fehlhaltungen, die weder Atem noch Kreislauf frei laufen lassen, sind in jedem Fall zu meiden. Auch sollten weder Beine noch Arme einschlafen, sollte der Geist nicht dösen oder sogar wegdämmern, sollte das Denken auch nicht sich mit Alltäglichem beschäftigen. Mir hilft nach wie vor, mich immer wieder auf das Sitzen zu konzentrieren, wenn ich bemerke, das anderes geschieht.

Ich habe lange daran gearbeitet, mir die Lotushaltung als Sitz zu erarbeiten, denn diese ist besonders geeignet, fest und mühelos zu werden. Fest ist der Lotus deshalb, weil hier zwischen Hara und Perineum ein Spannungsgefälle entsteht, das die Arbeit des Aufgerichtet-Seins übernimmt und so Mühelosigkeit im Sitzen erschließt. Andere Sitzhaltungen sind da in meiner Erfahrung bedeutend aufwendiger gestaltet. Soweit zunächst einmal die äußere Form einer Meditation, wie ich sie sehe. Wir brauchen einen stillen und störungsfreien Ort, brauchen einen tragfähigen Sitz und die Bereitschaft, vom Alltag loszulassen.

Zu b. Offenheit heißt Abwesenheit von Vorstellungen

Wenn wir uns genau vorstellen, was oder wohin uns Meditation führen wird, gelingt sie nicht. Das sagen alle Äußerungen von Meditationsmeistern (Zen, Yoga, Buddhismus). Also sollten wir das ganze Wissen um… und Wünschen zu… einfach sausen lassen und uns einfach, heißt ausschließlich, nur dem Sitzen zuwenden. Was darin geschieht, geschieht, Punkt. Wir können zwar den Körper stillhalten, aber wir können weder das Hören noch das Sehen und schon gar nicht das Denken abstellen. Und unser Körper erzählt im Stillsitzen unaufhörlich, wie es ihm geht und was er gerne verändern würde. Trotz dieser Störungen/Impulse, die immer da sind, bleibt der Übende in seiner Betrachtung unfixiert, das heißt, er hört, sieht, denkt mehr oder weniger unaufhörlich, aber das Geschehen findet wenig zielgerichtete Beachtung und wird zunehmend wie das Grundrauschen eines Radios oder einer Stadt wahrgenommen. Unfixiert heißt, weder ordnend, bewertend noch in Worte fassend, wird dieses Rauschen als Hintergrund zugelassen. Der Rest des Wahrnehmungsfensters ist offen, nicht gefüllt oder leer. Wir wissen nicht, was dort erscheint, haben keine Vorstellung davon, was kommen soll oder nicht kommen soll, sind weder voll einer Erwartung noch einer Furcht. Und so geht das weiter bis zum nächsten Gedanken, nächsten Bild, nächsten Ton oder der nächsten Körperwahrnehmung.

Eine Methode, mit Störungen umzugehen

Definition: In den nachfolgenden Zeilen wird das Wort Unfixiertheit oftmals verwendet. Das Wort beschreibt in meinem Denken einen Zustand der Wahrnehmung, der sich auf nichts, was einen Namen trägt oder in Worten sich ausdrücken lässt, konzentriert ist. Die Wahrnehmung ist dabei vergleichbar mit einem Film, der ununterbrochen im Bewusstseinsfenster abläuft. Da der Film keine nachvollziehbare Ereigniskette beschreibt, die spannend, interessant oder außergewöhnlich daher kommt, läuft er einfach so ohne große Gedankenwellen ab. Ich könnte auch sagen, er ist ganz einfach alltägliche Normalität, vielleicht sogar als langweilig zu beschreiben und ganz bestimmt wenig abwechslungsreich. Der Film bezieht sich auf nichts und sagt, da er keinen Grund kennt, auch nichts aus. Er ist, wie der Buddhist sagen würde, leer.

Wenn wir die Augen geschlossen haben, sehen wir auch immer noch ein Bild. Das ist zwar wenig spannend, aber es erzeugt, bewusst geschaut, eine Konzentration. Wir sollten aber den Inhalt des Bildes nicht erfassen, nicht in Worte oder Beschreibungen, nicht in Bewertungen oder Vor-/Abneigungen einkleiden, sondern einfach als diffuses Bild ohne Inhalt stehen lassen. Das Betrachten des Bildes ist damit für mich eine Technik, die zum Beispiel in der Lage ist, einen Gedankenstrom, einen Strom des Denken zu unterbrechen und/oder sogar abzustellen. Ist das Geschehen, was in relativ kurzer Zeit geschieht, kehrt der Übende wieder zur Unfixiertheit zurück.

Gleiches wie die Bilder der Augen sind die Geräusche des Hörens. Auch hier kann das Geschehen nicht abgestellt werden. Wir hören immer. Auch hier entsteht eine Technik, wenn sich die Konzentration zum Hören zieht. Auch hier werden die Geräusche weder geordnet noch zum Verständnis seiner Hintergründe geführt, sondern wir hören Töne, Punkt. Und wenn so verwendet, kehrt der Übende wieder zur Unfixiertheit zurück.

Wir haben einen Körper, der ständig Wahrnehmungen absondert. Es entsteht ein Prickeln hier und ein Zucken dort, hier eine Strömung, dort ein aufleuchtender Nerv, die Verdauung, der Atem und der Kreislauf sind allgegenwärtig. Wird eine dieser Wahrnehmungen zur Last, ragt also aus dem Hintergrundrauschen der Sinne deutlich hervor, wird bei mir zum Beispiel ein Wechsel zur Gestaltung des Sitzens erfolgen. Ich gehe dann zum Spannungsfeld zwischen Hara und Perineum und gestalte kurz und zügig meine Aufrichtung neu, indem ich mich energetisch (ist trotzdem unbewegt…) neu ausrichte. Dann nach wenigen Änderungen komme ich wieder zur Unfixiertheit zurück.

Die häufigste und daher auch wichtigste Störung ist das Aufkommen von Gedanken. Diese können aus dem Alltäglichem kommen, aus der Erinnerung an frühere Zeiten oder auch aus Motiven entstehen, die irgendwann durch Medien zugeführt wurden. Die Methode der Wahl ist es, den angekommenen Gedanken nicht weiter zu verfolgen oder gar ein darauf aufbauendes Gedankengebäude zu errichten, sondern ihn einfach stehen zu lassen. Gelingt das, wird der Gedanke sich ebenso unaufdringlich zurückziehen wie er auch gekommen ist. Gelingt es nicht, gehe ich zu einer der anderen Sinneswahrnehmungen hinüber und höre einem Moment bewusst oder sehe das Bild. Auch der Gang zurück zu Wahrnehmung bzw. Gestaltung des Sitzens ist ein guter Wechsel, der Gedanken abblitzen lässt. Nach wenigen Augenblicken aber gehe ich wieder zur Unfixiertheit zurück.



Zu c. Das Hervorquellen des Unbeachteten

In der Meditation entstehen, wie bereits bemerkt, freie Räume im Fenster des Bewusstseins, die sich immer wieder schnell mit zum Teil weit zurückreichenden Erinnerungen füllen. Diese werden bald nach dem Erscheinen als Gedanken wahrgenommen und wie Gedanken (s.o.) behandelt. Da wir diese Gedanken nicht erwarten, werden wir sie mit Sicherheit meist erstaunt einen Augenblick betrachten, sprachlos darüber, das sie überhaupt noch da sind und immer noch gedacht werden können. Es ist eine gute Maßnahme, sich dafür etwas Zeit zu nehmen, Zeit zum Staunen. Staunen aber ist ohne Worte, ohne Ordnung oder Wertung. Staunen ist nur Schauen, das heißt, wir erleben das Motiv dieser Gedanken neu, erlebe ohne zu benennen, zu werten und/oder einzuordnen. Ich sehe solche Gedankenströme als unverarbeitete Erlebnisse der Vergangenheit [1. Erinnerungen und Gedanken sind immer Ereignisse aus der Vergangenheit.], die entweder Eindruck hinterlassen oder Prägungen gezeugt haben, ohne jedoch jemals bewusst wahrgenommen oder in Stille betrachtet worden zu sein. Das wird hier in der Stille und ohne Reflexion nachgeholt, so das diese Motive erfüllt in das Vergessen abgleiten können. Diese Motive schlummern im Sediment des Bewusstseins. Sie an die Oberfläche gelangen zu lassen ist der erste Schritt, ihr Wirken im Verborgenen, das meist wenig hilfreich ist, zu beenden.

Ich denke mir die Arbeit meines Bewusstseins in Meditation etwa so: Mein Leben währt schon fast 70 Jahre, und die Informationsfülle, die ich in dieser Zeit aufgesogen, verarbeitet und gefiltert habe ist unvorstellbar groß. Wichtig für das Verständnis derselben ist die Beschaffenheit des Filters beziehungsweise weiterführend die Assimilationsfähigkeit, mit der ein Bewusstsein diese Unmenge an Daten wichtet, einordnet, kategorisiert und somit zu einem händelbaren Bewusstseinsstrom eindampft. Dabei wird Bekanntes zu Bekanntem, Wünscheswertes zu Wünscheswertem, Langweiliges zu Langweiligem und so weiter sortiert und so nicht weiter beachtet oder verarbeitet, so das Raum entsteht für so sagenumwobene Dinge wie Kultur, Narrative, Moral, Ethik und so weiter.

Meditation ist dann gegeben, wenn …

1. …diese ausgesonderten Filtrate, dieses Eingeordnete und bekannt Langweilige, das ja da ist und wie ein Sediment am Boden des Gefäßes schlummert, im Sitzen zurückgeführt/aufgewühlt wird in ein aufnahmefähiges Bewusstsein, das sich gerade, was das Alltägliche betrifft, in einer Ruhephase befindet. Wir sagen heute gerne dazu, das käme aus dem Unterbewusstsein. Es wird dann betrachtet und behandelt wie einen Gedanken, zunächst mit Staunen, dann evtl. durch den Wechsel auf eine Sinneskonzentration…

2. …das momentan Erlebte ohne Filter aufgenommen, betrachtet und geschaut wird, wenn also das Filtern, Ordnen und Bearbeiten durch Vorstellungen wie Kultur, Narrativ oder Moral unterbleibt. Die Wahrnehmung ist jetzt, hier, einfach und unbeeinflusst.

3. …wenn die Meditationssitzung gefühlt sehr schnell vorübergeht, ich sozusagen denke: Ich habe doch erst zwei/drei Gedanken gedacht, und habe dafür 25 Minuten gebraucht? Wenn Zeit und Raum keine Rolle spielen, so sagt man über Meditation, verbleibt keine Erinnerung.

Meditation ist dann nicht gegeben, wenn…

1. …die Sitzung gefühlt sehr lange dauert und sich ewig hinzieht. Meist sind dabei Träume, Wachträume, Dösen, Nachdenken und Wiederholungen der immer gleichen Gedanken oder sogar kurze Schlafphasen zu verzeichnen.

2. …die Zeit mit Gedankengebäuden und langwierigen Planungen, Formulierungen, Sorgen und Nöten gefüllt wird und sozusagen bereits im Vorfeld zur Zeit nach der Sitzung Überlegungen getroffen werden, die meist mit „Wenn…, dann…“ oder „So würde es gehen…“ beginnen oder enden.

3. Wenn der Körper aufgrund Störungen nicht ruhig zu sitzen bereit ist und sozusagen auf dem Sitz herumrutscht und/oder sich gedankliche Überlegungen einschleichen, was und warum diese und jene Wahrnehmung auftritt. „Ich will doch meditieren…, warum gelingt es nicht?“

Zu d. Hinabtauchen in die tiefen Schichten des Bewusstseins

Die tiefen Schichten des Bewusstseins, von denen ich hier in sehr gewagter Weise schreibe, da ich mich dabei nur auf Bücherwissen, also Beschreibungen von Meditationsmeistern und Wissenschaftlern beziehen kann, haben nach meinen Recherchen nichts mit Zeit, Raum, Wissen, Techniken, Rezepten, Konzepten und festgelegten Neigungen oder Verfahren zu tun, sondern sind die Ebenen, die aus der langen Entwicklungsgeschichte des Menschen stammen. Diese sind/wurden/werden in der Regel durch Kulturinhalte, Narrative, Moral und Ethik überdeckt und so unwirksam gemacht. Diese Schichten enthalten aber nicht nur unerwünschte Inhalte wie Gewalt, Triebe und Überlebensstrategien, sondern auch sehr nützliche und gut ausgestaltete Fähigkeiten, die ich mit Vorsicht als Intuition bezeichnen würde. Diese Schichten zu öffnen erfordert Mut und ein hohes Maß an persönlicher Festigkeit und Zurückhaltung, was nachvollziehbar ist, da eben nicht nur positive Motive zum Vorschein kommen. So erklärt sich auch, warum ein Schutzraum um sich herum, absolute Stille, Unbewegtkeit und innere Zurückgezogenheit für die Meditation notwendige Rahmenbedingungen sind. Es treten eben auch unerwartete Einblicke [1. Der Buddhismus nennt das „Die Versucher“ (Mára, abgeleitet von marati: sterben). Sie werden meist mit Lust, Unzufriedenheit, Gier, Eitelkeit beschrieben und sind die „teuflischen“ Versuchungen, die nicht nur im Alltag, sondern auch in der Meditation auftreten können.] auf, die einen Menschen durchaus aus der Fassung zu bringen in der Lage sind. Diese unbeachtet zu lassen ist wie schon erwähnt eine der großen Aufgaben/Herausforderungen der Meditationsarbeit.

Ich sehe hier nicht, wie wissenschaftliche Methoden hier zu helfen in der Lage wären. Es gibt bezüglich Geist, und mit dem hat das alles zu tun, keine Messmethode. Das bestimmte Hirnregionen aktiviert werden und das dann auf bestimmte Motive gewichtet werden kann, sagt nichts bzw. nicht viel aus über den Inhalt, der hier aktiv ist. Meiner Ansicht nach können nur Stimmungen mit diesen Aktivitätszentren in Verbindung gebracht werden. Und mit den Stimmungen ist das so eine Sache. Mancher bekommt ein gute Stimmung bei gesellschaftlich erwünschten Erscheinungen, aber es geht, wie die Krankenakten der Psychologie und Psychiatrie belegen, auch anders herum. Außerdem sind Messmethoden immer auch mit Aufnahmesensoren und Geräten verbunden. Allein schon deren Anwesenheit wird die Messung beeinflussen. Von der Erwartungshaltung, die sich in/an/mit der Versuchsperson verbindet, möchte ich hier erst gar nicht anfangen. Es gilt das Unschärfeprinzip, das aussagt, das nicht nur die geprüfte Person, sondern auch der Prüfer und das Umfeld der Prüfung auf das Messergebnis Einfluss nehmen. Wie sollen da brauchbare und gesicherte wissenschaftliche Ergebnisse gefunden werden. Selbst die großen Zen-Meister der Geschichte hüllten sich angesichts ihrer Erfahrungen in der Meditation stets in Schweigen und versuchten, ihre Schüler auf sehr personalisierte Weise zu fördern. Manch Schüler bekam Schläge, andere der gleichen Schule wurden gelobt, Dritte wurden lange Zeit so gut wie nicht beachtet und so weiter. Wir alle kennen die Geschichten, die ganze Bücherreihen füllen. Es gibt also kein Rezept und keine Konzepte, die Meditation sinnvoll beschreiben können. Wir sind allein in der Praxis, ganz auf uns allein gestellt, und jeder Übende hat wahrscheinlich seinen eigenen Weg.

So weit zu den Aussagen, die ich machen kann. Das heißt unter Berücksichtigen der oben genannten Fragen, ohne sie auch nur irgendwie Beantworten zu wollen, wird meiner Ansicht nach ein brauchbarer „Schuh“ aus der Praxis des Meditierens. Wohin der Schuh uns führen wird? Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht (mehr) wissen. Ich bin und bleibe in der Frage „Warum Meditation?“ offen, sprich: Unentschieden. Und wenn etwas offen ist, unentschieden, gibt es wenig darüber zu berichten.




Eine zweite Ode an die Un-Entschiedenheit: Sinn – Woher kommen/gehen wir?

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit [1.Der antike Skeptiker Pyrrhon von Elis wendet die Unentschiedenheit in Form der Aoristie an und postulierte, dass die Dinge nicht unterscheidbar, unbeständig und damit nicht zu beurteilen seien. Daher dürfe man weder unseren Wahrnehmungen noch unseren Vorstellungen glauben, woraus die Pflicht entstünde, sich nicht zu entscheiden.] , der ich damit den zweiten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über den Sinn, wie er sich in philosophischen/wissenschaftlichen, religiösen und spirituellen Fragen äußern wie: Warum hat Gott uns erschaffen? Gibt es einen Schöpfer? Ist das Universum leer? Wozu leben wir? Gibt es Regeln fürs „richtige“ Leben?



Für den religiösen Menschen ist der Sinn des Lebens klar. Er lebt, um Göttern (in all ihren Namen und Formen) zu gefallen und so Vorteile innerhalb dieses Lebens als auch danach zu ergattern oder in einer anderen Perspektive zumindest ruhig und ohne Angst vor Strafe schlafen zu können. Nun wissen wir von der Philosophie, das alle Beweise, alle Ableitungen und Erläuterungen zur Frage „Gibt es (einen) Gott/Götter“, irgendwann auf Holzwegen sich wiederfinden. Holzwege, das sind Wege, die irgendwann immer dünner werden und letztlich im Nirgendwo enden. Und ist man dann am Ende des Weges angekommen, hilft nur noch Glauben. Zumindest scheinen so viele, meiner Ansicht sogar fast alle Menschen auf diese Frage zu reagieren, sofern sie sich ihr jemals gestellt haben. Die meisten anderen Menschen, die sich dieser Frage entziehen, lehnen das Stellen dieser Frage ab oder reden nicht darüber mit dem Hinweis auf Aberglauben und nennen sich dann Atheisten [3. Atheismus (von altgriechisch átheos „ohne Gott“) bezeichnet die Abwesenheit oder Ablehnung des Glaubens an einen Gott oder Götter… Im Gegensatz dazu bezeichnen Deismus und Theismus ( theós „Gott“) den Glauben an Götter.] Sie stellen in Zentral-Europa heute wohl schon die Mehrheit.

Nun ist die Frage nach dem Sinn des Lebens in meinem Verständnis eine der elementaren Fragen, die ein nachdenkender Geist zu stellen in der Lage ist. Sie ergibt anders als die wissenschaftlichen Fragen , die nach „woher“, „wie“ und „warum so“ fragen, eine Antwort, die weite Teile des weiteren Lebens zu beeinflussen in der Lage ist. Sie stellt die Frage nach einem Zweck, einem Plan oder einfacher geschrieben nach einer Motivation, mit der mein Leben über die wie immer geartete Bühne gehen sollte und lässt somit keinen Spielraum offen. Die Entscheidung, es eben so und so zu denken und damit genau so und folgerichtig zu handeln versperrt die Möglichkeit der Offenheit, ganz gleich, ob ich mich für eine Theorie entscheide oder aber, gegensätzlich gedacht, diese Frage ausschließe. Die extremen Antworten sind also „Es gibt einen Gott und ich handele nach seinem Willen…“ oder „Ich ignoriere die Möglichkeit der Fragestellung vollkommen…“. Mit der ersten Entscheidung baue ich ein Fundament, auf der sich letztlich jede Frage des Lebens beantworten lässt, mit der zweiten Antwort verschiebe ich die Beantwortung in eine ungewisse Zukunft, ohne auch nur den Versuch zu machen, ein Fundament zu errichten. Bildlich ausgedrückt befände ich mich im ersten Fall auf einem Boot im riesigen Ozean, im Zweiten schwimme ich sozusagen ungesichert im wie immer gearteten Wasser, ausgeliefert an Wellen und Strömung.

Nun gibt es verschiedentliche Versuche, das Problem zu lösen, in dem ich Gott aus der Transzendenz in die Immanenz verschiebe und ihn nicht als Person, sondern alles Existierende als eine Ganzheit zu betrachten, die dann Universum und/oder Leerheit genannt wird. Als „polarer Teil“ der immanenten Ganzheit bin ich dann bildlich gesprochen Mensch und Gott zugleich. Als Manifestation der Leerheit ist es mehr oder weniger ebenso. Ob ich aus dem Ganzen an sich oder aus dem Nichts komme und dorthin zurückkehren werde, macht im Prinzip wenig Unterschied. In beiden Fällen gibt es dann eine Fülle von Erklärungsversuchen, die meist zusätzliche meist theoretisch-wissenschaftliche Vorstellungen in diese Theorien einfließen lassen, um die sich automatisch einstellenden Unwägbarkeiten zu beantworten. Eine weitere Vorstellung ist die des eines Geistes [4. nicht materiell, allumfassend, körperlos, zeitlos, endlos, nicht greifbar, jenseits der Naturgesetze (HpS)], also „Alles ist Geist“, zu der ich mich dann ebenfalls als ein „polarer Anteil“ denken kann.

Was alle Erklärungsversuche oben beinhalten, ist letztlich, das es eine Entscheidung geben muss, der ich mich dann in der einen oder anderen Weise verpflichte. Die abendländischen Religionen sind mehr auf Gott ausgerichtet, also auf eine Person in der Transzendenz, die alles bestimmt. Die asiatischen Religionen sind mehr auf einen polaren Anteil an der Immanenz ausgerichtet, sei es Universum, Geist oder Leere, zu denen es aufbauend immer Erklärungsversuche geben muss. Die Wissenschaften beschäftigen sich nicht mit dieser Frage. Sie vermeidet Entscheidungen zu Fragen, deren Antworten sich nicht belegen lassen können/werden. In der Summe der aufgezeigten Möglichkeiten bleiben also sarkastisch geschrieben zwei Extreme und eine Ignoranz.

Ich sehe nur einen einzigen Ausweg aus dieser misslichen Lage, in der denkendes Leben auf dieser Welt steht. Dieser Ausweg findet sich in der Möglichkeit, offen zu bleiben, sich eben nicht zu entscheiden. Jeder denkende Mensch steht doch vor der Frage, wie er einen Sinn in seinem Tun, das über das einfache „nur leben“ hinausgeht, findet. Und da es viele Möglichkeiten gibt, keine davon endgültig zu beantworten ist, bleibt für mich letztlich nur die Unentschiedenheit, die Offenheit, mit der ich mir die Freiheit vorbehalte, mich von Fall zu Fall, von Tag zu Tag oder sogar von Moment zu Moment neu zu positionieren. Ich gehe dabei davon aus, das Entscheidungen über Zugehörigkeiten erst dann getroffen werden müssen, wenn eine Wahl letztlich nicht mehr zur Verfügung steht. Wenn es keine Wahl mehr gibt, sind Entscheidungen eindeutig und ohne Qualen möglich. Ich denke da an die vielen Menschen in vielen Jahrhunderten, die sich entschieden hatten und in einer ihnen feindlich gesinnten Welt leben mussten, die sie letztlich nur unnötig zerstört hat. Ich denke da nicht nur an Pharisäer, Häretiker, an Hexen und Hexer, an Ungläubige und wie sonst noch religiöse Abweichler genannt wurden. Ich denke dabei auch an Zugehörigkeiten zu Völkern, Nationen, Ethnien, Rassen, Systemen und was es sonst so alles an Konstrukten gibt, die über Leben und Tod zu entscheiden sich anmaßen. Menschen mit Zugehörigkeit haben Kriege ausgelöst, Verfolgungen beschlossen und durchgeführt, haben damit immer wieder mit Füßen getreten, was wir Menschlichkeit [2. Der Begriff „menschliches Verhalten“ (mit Betonung des Attributs „menschlich“) hingegen hat einen normativen Gehalt, geht also von Vorstellungen darüber aus, wie der Mensch sein solle oder angeblich seiner wahren Natur oder idealen Bestimmung nach sei. Unter dieser Voraussetzung bezeichnet das Wort „Menschlichkeit“ in einer engeren Wortbedeutung Züge des Menschen, die objektiv als richtig oder gut gelten, zum Beispiel Mitleid, Nächstenliebe, Güte, Milde, Toleranz, Wohlwollen, Hilfsbereitschaft. Als subjektives Ziel der Selbstveredelung wird demgegenüber auch das Streben nach harmonischem Ausgleich von Sinnlichkeit und Sittlichkeit genannt. Wikipedia] nennen und Lebewesen ohne Not ihrer Freiheit beraubt. Unentschieden zu sein beraubt nicht ohne Not. Der Unentschiedene braucht zu essen, zu trinken und eine Bleibe. Und natürlich ist auch eine Gemeinschaft mit anderen hilfreich und lebenswert. Aber müssen die zugehörigen Mitglieder alle einer Ansicht/Meinung sein? Es genügt doch meist schon, nach einem Konsens [3. Der Konsens bedeutet die übereinstimmende Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage ohne verdeckten oder offenen Widerspruch. Wikipedia DE] zu suchen, auch wenn das hier und da schwierig, langwierig und aufreibend sein mag. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit, es doch wirklich mal mit „Freiheit“ zu versuchen. Frei zu sein heißt ja letztlich nicht, immerzu machen zu können, was mir gerade so in den Sinn kommt. Auch der freie Mensch muss sich hier und da entscheiden. Wer sich aber ohne Not(-wendigkeit) entscheidet, ist in meinen Augen nicht mehr frei! Er hat die Un-Freiheit für sich gewählt.

Ich sehe für die Menschen in Deutschland heute zum Beispiel keine Notwendigkeit, sich für oder gegen Zugehörigkeiten und besonders für einengende Regeln entscheiden zu müssen. Wir könnten alle weitgehend offen sein und es auch noch lange bleiben. Und das gilt für viele, sehr viele Schubladen unserer Gesellschaft. Hier gilt in meinem Verständnis immer noch als Leitgedanke der kategorische Imperativ [1. Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Auf unmittelbare Kritik reagierte Kant mit einem Anwendungsbeispiel in dem Aufsatz „Über ein vermeintes Recht“, aus Menschenliebe zu lügen. Wikipedia DE (Es lohnt sich, das dort einmal nachzulesen.)], den ich für die bisher beste Regel halte, die je für die Ausgestaltung von Gesellschaft in Freiheit gefunden wurde. Trotzdem würde ich sie ergänzen wollen um die Aufgabe, dem Ideal der Freiheit für alles Leben immer näher zu kommen. Das gilt besonders für die Unbill [2. Billigkeit (griechisch Epikie) ist ein im deutschen Recht vorkommender unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem eine gerechte oder angemessene Anwendung allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen im Einzelfall verstanden wird. Wikipedia DE] des „Fressens und Gefressen-Werdens“ sowie die des „Verdrängens aus dem Lebensraum“. Diese in naher Zukunft nicht zu ändernden „Natur-Gesetze“ müssen so erträglich wie möglich für alle Wesen gestaltet werden.

Für mich ist „Freiheit an sich“ die Möglichkeit, sich nur dann entscheiden zu müssen, wenn es eine Not(-wendigkeit) dazu gibt. Dazu gehört es auch, Regeln zu befolgen, die einer funktionalen Ordnung wie einer Gesellschaft ihre Form geben. Dabei ist Konsens die einzige sinnvolle Bedingung, was auch einschließt, das die Personen/Wesen, die nicht mit diskutieren können, durch mitfühlende Parteinahme einbezogen werden. Das ist eine sehr große Aufgabe, fast schon eine Bürde, aber sie ist durchaus lösbar. Wir müssten uns nur eindeutig dafür entscheiden.




Ich kann nichts dagegen tun …

, „warum ich tue, was ich tue“, und „warum ich nicht ein anderes tue, was ich durchaus auchIch kann nichts dagegen tun, aber immer wieder, unregelmäßig und buchstäblich aus dem Nichts heraus taucht bei mir die Frage auf tun könnte“. Ich habe keine Ahnung, warum diese Frage auftaucht, worin sich dieses Auftauchen begründet und warum sie mir gerade jetzt in den Kopf schießt, wo doch auch so ganz andere Gedanken möglich wären.
Es gibt durchaus Erklärungen. Sie sind rational begründet, angesehen und gelten als berechtigt, sind allgemein verständlich und doch, sooft ich sie mir neu erkläre, sie befriedigen mich nicht. Da ist zunächst der gerne gebrauchte Hinweis auf das Unbewusste, auf die nicht verarbeiteten Erinnerungen, die Bilder oder Geschichten und den Versuch, diesen Missstand zu beheben. Dann finde ich auch gerne die gesellschaftliche Rolle, die ich, erst hineingeboren und später hinein gearbeitet, nun einmal zu spielen habe. Dann gibt es noch Erklärungen, die einen Gott oder ein Schicksal herbeizitieren, die meine Rolle so festgelegt haben, wie sie nun einmal erscheint.
Keine dieser Erklärungen lässt mich heute einen Schlusspunkt setzten unter diese Fragen. Dabei wäre es doch so einfach und auch so normal, dies einfach zu tun. Viele Menschen tun es, und sie stammen aus alle Schichten, wie unschwer in Talkshows und sozialen Netzwerken zu erlesen, zu erschauen und zu hören ist. Viele scheinen zufrieden zu sein und manche sind fast ein wenig stolz, wenn sie die Auswahl ihrer Entscheidung einer breiten Zuhörerschaft zum Besten geben dürfen. Viele scheinen auch glücklich zu sein mit ihrer Antwort. Warum kann ich mich dann nicht auch entschließen, endlich auch diese Auswahl zu treffen und ebenfalls glücklich zu sein? Macht es aber wirklich glücklich, wenn man sich entschieden hat? Was ist mit dem Verlust dessen, gegen das man sich entschieden hat. Was ist mit all den verpassten Gelegenheiten, den nicht wahrgenommenen Möglichkeiten und den vielen ungeschlagenen Schlachten?
Was wäre eigentlich, aus einer widersprechenden Perspektive betrachtet, wenn es zu dieser Frage nach dem „warum …“ gar keine richtige Antwort gäbe. Was wäre, wenn diese Frage gar nicht beantwortet werden will, sondern sich immer nur dann in einen Kopf schöbe, weil die gleiche Frage zu einer anderen Zeit immer auch eine andere Antwort erhalten kann? Sie wäre damit zu keiner Zeit abschließend festlegbar, wäre nicht beantwortbar. Was heute noch eindeutig und klar mit „nein“ beantwortet werden muss, kann morgen bereits durch andere Voraussetzungen, durch Entwicklung und neue Perspektiven zu einem eindeutigen „ja“ herausfordern. Vielleicht ist es besser, sich nicht wirklich grundlegend zu entscheiden, sondern die Entscheidungen nur so weit zu setzen, wie es unbedingt notwendig erscheint. Und morgen wäre dann eine neue Entscheidung möglich?
Unentschiedenheit erscheint anstrengend, gewiss, und Entschiedenheit fordert wahrscheinlich Opfer, sicher. Und stehen sich diese Möglichkeiten wirklich so unversöhnlich gegenüber? Zu dem „ja“ und dem „nein“ könnte sich ein „weder noch“, vielleicht auch noch ein „sowohl als auch“ gesellen, und als letzter Ausweg bliebe noch, der Frage zu widerstehen und sie offen stehen zu lassen, sie zu ignorieren oder gar auszusitzen. Und mehr Möglichkeiten zu gewinnen, so sagt man oft, ist doch immer auch ein Vorteil. Allerdings wäre die Welt weniger übersichtlich, noch schlechter überschaubar und vielleicht sogar ein wenig verwirrend.
Ich würde mich dabei entschließen müssen, einen Mittelweg zu gehen, manches zu entscheiden, manches aufzuschieben, hier zu kämpfen und dort vorsichtig zu sein, hier zu fordern und dort nachzugeben. Und gut zu vermitteln wird dieser Mittelweg auch nicht sein, lieben Menschen doch Klarheit und Kontinuität. Und doch, dieser dritte Weg hat seinen ureigenen Charme.
Nun denn, heute werde ich diesen grauen Weg wohl wieder gehen, und morgen?
Morgen ist nur … ein anderer Tag.