Verstand/Denken vs Intuition/Gefühl in der Spiritualität

Wer sich jemals mit Spiritualität, Esoterik oder den vielen Theorien und Methoden des Yoga und der Meditation beschäftigt hat, kann eine für unser Lebensgefühl im 3. JT seltsame Entdeckung machen: Es wird stets deklariert, das unser Verstand, unser Denken die Ursache allen Übels sei und wir diesen misstrauen und mehr Aufmerksamkeit dem Gefühl widmen sollten. Diese Überlegung halte ich durchaus für richtig, aber sehr oft ist die Absolutheit, mit der diese Aussage getätigt wird, mehr als deutlich überzogen und daher für den der Tradition folgenden Übenden gefährlich. Warum sehe ich das so?



Zunächst einmal hat uns schließlich erst unser Verstand in die Meditationsräume geführt, weil er dem Gefühl, das es mehr geben müsse als dieser Verstand uns normalerweise zugesteht, Rechnung trug. Mit anderen Worten: Der Verstand und sein Denken haben uns erst ermöglicht, uns Gedanken zu machen über die Kunst und Möglichkeit, den Verstand in seine Grenzen zu weisen und führt das dann auch in der Praxis aus. Absolut gedacht sagt uns also unser Verstand, folgten wir den übertriebenen Aussagen der Spiritualitätsliteratur, das wir auf ihn verzichten sollten und hilft uns auch dabei, sich selbst ruhig zu stellen. Das Gefühle und Intuitionen trügen können, ist aber doch allgemein bekannt und auch bewiesen. Die Scheidungsraten in freiheitlichen Gesellschaften sorgen da für ein mehr als deutliches Bild. Das aber auch der Verstand zu vollkommen unsinnigen Entscheidungen fähig ist, können wir ebenfalls tagein und tagaus in den Nachrichten erfahren. Wie also lösen wir dieses allzu offensichtliche Dilemma?

Wenn wir der Lösung auf die Spur kommen wollen müssen wir nicht die Spiritualität oder den Rationalismus, mit anderen Worten die Gegensätze des Problems, die sich scheinbar nicht in Einklang lassen, befragen, sondern uns zunächst einmal die Voraussetzungen der Dilemmabildung anschauen. Das Dilemma entsteht doch nur dann, wenn wir schon vor unseren Überlegung beschlossen haben, das sich Gefühl und Verstand unversöhnlich gegenüberstehen, wir also einen Gegensatz voraussetzen und diesen als Setzung absolut gültig zu verstehen gedenken. In unserer Logik, die meist ein Entweder-Oder verlangt, ist eine dritte Möglichkeit scheinbar nicht vorgesehen. Gerne berufen wir uns dabei auf den Dualismus und die Gesetze der Logik, denen wir folgen, aber: Erstens stimmt das mit dem Dualismus nicht, denn auch der Taoismus und andere spirituelle Traditionen folgen einem Dualismus (Yin – Yang), denn der hat per Definition…

Als Dualismus werden vor allem philosophische, religiöse, gesellschaftliche oder künstlerische Theorien, Lehren oder Systeme zur Deutung der Welt bezeichnet, die von zwei unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Grundelementen ausgehen, beispielsweise zwei Entitäten, Prinzipien, Mächten, Erscheinungen, Substanzen oder Seh- und Erkenntnisweisen. Beide Elemente stehen häufig in einem Spannungsverhältnis oder sogar Gegensatz zueinander, können sich aber auch als Polarität ergänzen. Wikipedia (DE)

…nichts mit Gegensätzen zu tun, und zweitens: Warum um alles in der Welt werden diese beiden denn als Gegensätze verstanden? Was wäre so schlimm daran, wenn die beiden, wie Dualität es zulässt, sich polar verhalten und vielmehr ergänzen statt trennen würden?

Denken wir den letzten Satz des vorherigen Absatzes einmal zu Ende. Dazu müssen wir uns den Begriff bzw. die Definition von Polarität in der Philosophie einmal genauer anschauen:

Polarität ist ein Ausdruck der Philosophie für das Verhältnis sich gegenseitig bedingender Größen. Sie unterscheidet sich vom Dualismus, bei dem die Größen als antagonistisch gesehen werden. Bei der Polarität geht es nicht um einen unvereinbaren Gegensatz, sondern um ein komplementäres Verhältnis. Eine Polarität besteht aus einem Gegensatzpaar und der Beziehung zwischen den Polen: hell – dunkel, kalt – heiß, schwarz – weiß, Mann – Frau, Liebe – Hass, arm – reich, krank – gesund usw. wobei einem einzelnen Pol nie eine Wertung zukommt. Die Pole sind die zwei gegenüberliegenden Enden derselben Sache, untrennbar zu einer Einheit verbunden und bedingen einander. Wikipedia (DE)

Wenn wir den Text richtig lesen und verstehen, sind die Pole lediglich die beiden Enden ein- und derselben Sache und darum keine Gegensätze. Sie sind komplementär [2. aus dem Franz.: (sich) ergänzend]. Wenn ich diese Konfiguration annehme und entsprechend verfahre, entsteht das oben genannte Dilemma einfach nicht, da sich die Pole sowohl ergänzen als auch gegensätzlich zueinander stehen. Es entsteht umgangssprachlich die logische Folgerung „sowohl als auch“. Ich sollte also aus einen jedem verständlich zu machenden Beispiel heraus der Tatsache, total „verliebt zu sein und für immer bei jemanden sein zu wollen…“ verbinden mit der Warnung des Verstandes, der erkennt: „Ich bin zwar verliebt…“, der aber auch die Folgen des „…für immer…“ abschätzen kann und dann die Warnung ausspricht, das die Chance des Gelingens im 3. JT. statistisch bei 50:50 steht. In Analogie dazu wäre die Aufforderung der spirituellen Literatur, den Verstand und das Denken aufzugeben und nur noch aus dem Bauchgefühl heraus zu leben, durchaus mit dem Hinweis zu verbinden, das der Mensch dabei eine wichtige, notwendig und auch brauchbare Erkenntnisweise verlieren würde, ohne die ein Bestehen in der heutigen Zeit gar nicht mehr machbar wäre.



Dann gibt es oft, wie in der Überschrift auch angemerkt, in der Literatur die häufig zu findende Gleichsetzung von Intuition und Gefühl oder zumindest die Betonung der Nähe der beiden Begriffsinhalte. Auch das scheint mir doch ein sehr verwegener Gedanke zu sein. Genau so, wie „versus“ nicht Gegensatz, sondern „gegenübergestellt“ bedeutet, ist Intuition und Gefühl nicht ein- und dasselbe. Schon die Definition in Wikipedia…:

Intuition (von mittellateinisch intuitio „unmittelbare Anschauung“, zu lateinisch intueri „genau hinsehen, anschauen“) ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen. Intuition ist ein Teil kreativer Entwicklungen. Der die Entwicklung begleitende Intellekt führt nur noch aus oder prüft bewusst die Ergebnisse, die aus dem Unbewussten kommen. Kritisch ist hierbei zu sehen, dass bei positiver Wirkung einer – zunächst nicht begründbaren – Entscheidung gerne von Intuition gesprochen wird, während man im Falle des Scheiterns schlicht „einen Fehler gemacht“ hat, wobei es gerade keinen Mechanismus gibt zu prüfen, welche mentalen Vorgänge zur jeweiligen Entscheidung führten. Einige Wissenschaftler vermuten, dass dem Informationsaustausch zwischen dem enterischen Nervensystem und dem Gehirn auch eine Rolle bei den intuitiven Entscheidungen („Bauchentscheidungen“) zukommt.

…enthält einen klar formulierten Hinweis darauf, das Intuition und was damit gemeint ist, in der sprachlichen Verwendung einige Unschärfen erkennen lässt. Wenn der Verstand nur noch ausführt, was der Bauch sagt, erfüllt er seine Aufgabe nicht mehr. Wenn dann zutreffende oder richtige Entscheidungen durch „Positives Denken“ in den Himmel gehoben, im Falle des Scheiterns aber „nur“ zu einem Fehler gemacht werden, sind doch offensichtlich schon Vorurteile, Setzungen oder Narrative im Spiel gewesen. Im letzten Satz dann sehen wir dann auch genau die Ursache der Sprachverwirrung: Intuitive Entscheidungen werden mit Bauchentscheidungen gleichgesetzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch beruhen Bauchentscheidungen auf Gefühl, ob Intuition aber im Bauch angesiedelt werden sollte, stelle ich in Frage. Denn sowohl Gefühl als auch Intuition leuchten einfach nur auf und müssen dann durch die Mitarbeit und Auslegung des Verstandes artikuliert und umgesetzt werden. Das dabei dann auch andere Funktionen des Geistes wie Narrative und andere Setzungen hinein strahlen können, ist sehr wahrscheinlich. Meiner Ansicht nach sind Verstand und Denken, Gefühl und Intuition vier Möglichkeiten der Wahrnehmung, die gleichberechtigt und ineinander verzahnt nicht voneinander getrennt werden können. Sie sind multipolar ausgelegt und sollten auch so gesehen werden.

Dieser letztgenannten Ansicht ist auch der Yoga, der sechs Sinne zählt und neben den bekannten fünf das Denken zu den Sinnesfunktionen zählt. Und zwischen Denken, Vernunft und Verstand sehe ich keine validierbare Unterscheidung. Wo hört Denken auf und Verstand und Vernunft beginnen? Und diese sechs Funktionen stehen dann im meiner persönlichen Wahrnehmung in der Übungspraxis sowohl polar als auch gegensätzlich nur der Stille gegenüber. In dieser Stille werden aber die Sinne nicht abgeschaltet, aber ihre Bedeutung und Wichtigkeit wird durch eine klar und eindeutig definierte Übungsweise massiv ab- bzw. eingegrenzt. Das erscheint in der körperlichen Praxis durch das unhinterfragte Befolgen der Anweisungen, wie der Körper zu bewegen und/oder zu halten sei, in der Meditation im Befolgen der Anweisung „nicht bewegen“ sowie im Verbleiben in der o.g. stillen Abgrenzung und/oder dem Verweilen in der vorgegebenen Konzentration. Der Begriff Stille bezieht sich also nicht auf das Hören oder Denken, sondern auf die Nicht-Umsetzung der durch die sechs Sinne erzeugten Impulse in Bewegung, Arbeit, Denken oder Spannung mit Ausnahme der durch den Lehrer oder die Tradition gegebenen Anweisungen für die Übung oder Übungsweise. Das könnte auch einfach mit einer Filterfunktion verglichen werden. Die sechs Sinne sind da und arbeiten ihrem Auftrag gemäß, aber nur die für die Praxis notwendigen Informationen werden den gesetzten Filter in Richtung Ausführung passieren können. Wir unterscheiden wie üblich in Übungs- und Unterrichtspraxis:

In einer Übungspraxis gibt es eine vorgegebenen Abfolge von Übungen, die über Verstand, Denken und Sinne gesetzt werden. Diese werden durch eine Vorlage, eine Erfahrung oder eine Zielvorstellung geprägt sein. Die Anweisungen werden genau befolgt und eingehalten. Es werden keine Bewertungen vorgenommen. Der Übende betritt den Übungsraum, er verlässt damit die alltägliche Sorgenwelt, durchlebt seine Übungen ohne Störung und kehrt mit dem Verlassen des Übungsraumes wieder ins Alltägliche zurück. Punkt. Üben ist ein Versuch, sich etwas zu erarbeiten, was seinen Platz noch nicht gefunden hat. Daher braucht es Führung, die zumindest auch schon durch eine Idee gelegt sein kann.

Eine Unterrichtspraxis wird im aktiven Teil wie die Übungspraxis durchlebt, enthält aber zusätzlich die Übermittlung von Wissen durch den Lehrer und die Möglichkeit, auch neue Anweisungen und/oder zugetragene Ideen zu erproben. Alles Weitere hat auch hier keinen Platz.

Die Meditationspraxis zeigt gewöhnlich einen in Bewegungslosigkeit gestellten Körper, der seine mentalen Bewegungen erfolgreich entweder in Stille (s.o.) oder in Konzentration eingrenzt. Da die Meditation kein Ziel kennt, kann man sie nicht üben. Man kann sie nur leben. Auch hier gilt das Verlassen des Alltäglichen und die Rückkehr zum Alltag nach Ende der Praxis als Erfolgsrezept.

Wenn ich das bisher geschriebene zusammenfassend bündeln wollte würde ich sowohl eine Unterteilung als auch eine Gegenüberstellung von Verstand/Denken und Gefühl/Intuition als unwirksam ablehnen. Die vier sind in meiner Vorstellung eine Multipolarität und daher nicht ein- oder abgrenzbar. Weiterhin halte ich die oft gehörte und gelesene Vorstellung, Yoga- und Meditationselemente in den Alltag übertragen zu wollen für eine Unzulänglichkeit, die als Verallgemeinerung nicht gelebt werden kann. Konzentrative, ausgrenzende und gefilterte Verfassungen sind im Alltag auch so zuhauf zu bemerken und müssen nicht mit den spirituellen Verfahren ähnlicher Prägung gleich gesetzt werden. Die Zeit der Übung in Yoga und Meditation sind begrenzte Zeiten und oftmals dazu nur in vor Störungen geschützter Umgebung angesiedelt. Sie in den Alltag tragen zu wollen verspricht wenig Erfolg. Trotzdem werden Yoga und Meditation den Alltag befruchten wie alles andere Erleben auch. Warum sollte es hier Ausnahmen geben. Gemachte Erfahrungen werden immer in die Gesamtheit des Empfindens eingearbeitet und wirken dort. Weiterhin ist zu bedenken, das jegliche Auswahl von Eindrücken und Auslegungen wie z.B. das „Positive Denken“ keine spirituelle Praxis genannt werden kann. Spiritualität leben heißt „Einen“ und „Zulassen“ und erlaubt weder Auswahl noch Bewertung. Einen heißt allen Sinnen [4. Die fünf klassischen Sinne plus Denken, einschließlich Verstand, Vernunft, Erfahrung, Intuition und mentales Fühlen, Unterbewusstsein, usw… ] ihren Raum geben und sie alle unbeschwert arbeiten zu lassen. Und die Entscheidung trifft nicht eine außen stehende oder intern übergeordnete Instanz, sondern die Summe der Sinnesfunktionen in innerer Abstimmung selbst. Sie alle tragen ihr Puzzleteil zur Entscheidungsfindung gleichberechtigt neben- und ineinander verzahnt bei. Welche Funktion dabei führend, bestimmend oder auch unberücksichtigt blieb ist dem Menschen selbst letztlich unbekannt. Die Einung entspricht sozusagen dem politischen Prozess eines Diskurses, der immer irgendwann zu einem Ergebnis führen muss. Die Sinne und deren Auslegung sind in politischer Systematik gesprochen Volk, Parlament und Regierung zugleich. Was in der Politik dann Demokratie genannt wird, ist in der Spiritualität zu „Innere Freiheit“.

Was folgt aus dieser Beschreibung für das Leben im Alltäglichen? Niemand kann genau und eindeutig bestimmen woher Empfindungen, Gefühle, Intuitionen und Visionen kommen und wie sie sich begründen. Wir haben nur gesicherten Zugriff auf erlebte aktuelle eigene Erfahrung. Eine gesprochene oder geschriebene Übermittlung ohne eigenes Erleben ist Halb-Wissen und daher immer mit Unsicherheit behaftet. Nun ist es so, das wir im 3. JT. nicht ohne Wissen und Halb-Wissen auskommen können, da niemand in einer so komplexen Gesellschaft alles was es gibt erlebt haben kann. Wir sind daher noch immer, auch wenn die Wissenschaften etwas anderes behaupten, neben Wissen auch auf Erkenntniswege angewiesen, die nicht bewiesen werden können und die ebenfalls mit Unsicherheit belegt sind. Aber das ist kein Dilemma, sondern die Wahrnehmung der purer Realität unserer Existenz. Unser Leben, unsere Entscheidungen, unser in der Welt sein ist mit Unsicherheit behaftet, denn es gibt kein Ewiges, auf das man sich berufen könnte. Alles ist vergänglich, das Leben selbst, das Wissen, die Erfahrung, das Erleben und alles Materielle ebenfalls. Sogar unser Planet, unser Sonnensystem und unsere Galaxis werden wohl nicht ewig existieren. Wir sollten, ja müssen uns mit der Endlichkeit und dem daraus folgenden Nicht-Wissen-Können abfinden, sonst wird unser Leben nicht gelingen. Wir machen sozusagen immer nur „das Beste daraus“. Mehr ist nicht möglich. Und wo Unsicherheit Standard ist, kann Gelingen, Sicherheit und Erfolg nicht garantiert sein. Und seien wir doch einfach mal ehrlich: Welche Funktion unserer mentalen Palette letztlich zu unseren Entscheidungen führt und warum … ist letztlich nicht von Belang. Entscheidung ist Entscheidung, und bereits deren Artikulation führt zu Konsequenzen. Wir sollten uns daher darauf einrichten, auch Misserfolge erleben zu können/müssen, und wir sollten lernen, auch die mit Haltung und in Würde zu überstehen. Das auch die Konsequenzen des Gelingens würdevoll und mit Haltung zu (er)tragen sind, muss nicht extra erwähnt werden. Auch das gehört zu gelebter Spiritualität.




Eine vierte Ode an die Un-Entschiedenheit: Präventives Yoga

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Sports, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit, der ich damit den vierten Teil einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an Ansichten über Yoga, genau genommen über eine Form, die ich „Präventives Yoga“ nenne und deren Voraussetzungen erst erarbeitet sein müssen, bevor es begonnen werden kann.



Der Artikel ist ebenfalls wie sein Vorgänger deutlich länger geworden, als zunächst von mir beabsichtigt. Aber: Ich brauchte diese Länge, um ausdrücken zu können, was ich meine.

Die Unentschiedenheit, mit der wir leben müssen, …

… wenn wir Yoga praktizieren. Hierfür muss ich sehr viel weiter ausholen, als wenn ich schreiben würde: Yoga und seine Übungspraxis ist gut für die Gesundheit. Es kann Gesundheit fördern und diese auch wieder herstellen, so denn genügend Zeit zur Verfügung steht und die Übungen, die dazu notwendig sind, korrekt und zielführend angewendet werden. Aber, und das ist für mich hier in diesem Artikel entscheidend, dafür war und ist Yoga eigentlich nicht gedacht. In meiner Anschauung ist Yoga in seiner klassischen Prägung (Patanjali) präventiv ausgelegt und soll, wenn bereits als gesunder Mensch begonnen, die Gesundheit für eine lange Lebenszeit erhalten. Dazu werden bei Patanjali zunächst einmal Rahmenbedingen (yama, niyama: so etwa vergleichbar mit Moral und Ethik) formuliert, dann werden Körper und Atemübungen vorgestellt, die den gesund vorgefundenen Körper gesund erhalten können und dann geht es mit großer Konsequenz zur Einübung der Stille und weiterführend zur Meditation.

Exkurs: Natürlich helfen Yogaübungen wie Asana und Pranayama auch bei der Herstellung oder Wiedererlangung von Gesundheit. Dafür braucht es einen langen Atem, denn diese Gesundheit kann ja „nicht eingenommen“ werden, sondern müssen „durch Umgestaltung der ungesunden Anteile“ erarbeitet und in der Folge dessen auch gefestigt werden [1. Ich möchte es einmal mit einem Hausputz vergleichen. Zuerst einmal wird der Raum gründlich gereinigt, dann erfolgt die aufwendige Tätigkeit, die Sauberkeit auch für einen längeren Zeitraum zu erhalten. Den sauberen Raum zu erreichen ist ja kein in sich abgeschlossenes Ereignis, das Bestand hat, sondern es wird in seiner Folge ein Prozess angestoßen, die eigentlich nie zu einem Ende kommen kann, soll die Sauberkeit erhalten bleiben.] Im Yoga heißt das für einen Beginn der Praxis, das alle krankmachenden Anteile [1. Verspannungen, schlechte Gewohnheiten in allen Lebenslagen, falsche Nahrungsvorlieben, energetische Blockaden, Bewegungsmangel, häufiges stundenlanges Sitzen, usw.] dauerhaft umgestaltet werden müssen. Dazu werden die Stufen 3-5 verwendet, also Körper- und Atemübungen sowie die Fähigkeit, seine Sinne [1. Yoga kennt sechs Sinne. Zu den fünf bekannten kommt noch das Denken hinzu.] im Zaum halten zu können. Sind diese Aufgaben gelöst/erfüllt, kann mit dem „präventiven Yoga“ fortgesetzt werden.

Dieser Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit dem präventiven Yoga. Dazu sollten als Voraussetzungen für den Beginn genannt werden:

1. Gesundheit, oder besser ausgedrückt die Abwesenheit von Krankheit.

2. Eine angepasste Ausformung der Lebensumstände und seiner Gewohnheiten.

3. Ein ausreichende bis gute Form des Alltags, die nicht-schädigend mit Körper und Geist umgeht.

4. Ein unbelastete Einbettung in eine Gesellschaft mit anderen Menschen.

Gewöhnlich sind Menschen in Mitteleuropa stets geneigt, diese Voraussetzungen bei sich selbst als gegeben anzusehen. Dem kann und werde ich nicht zustimmen können, und ich denke, das wird, so nicht ein Wunder geschieht, auch noch lange so bleiben. Warum schreibe ich das so? Die Menschen in unseren westlichen Gesellschaften werden doch älter als in allen anderen Lebensgefügen. Ja, das stimmt, aber sie werden nicht gesund älter, sondern können meist das hohe Alter nur mit eine Unzahl von Medikamenten und operativen Eingriffen erreichen. Häufig ist alt-werden mit Bewegungseinschränkungen, ärztlich verordneten Nahrungsrestriktionen, häufigen Einnahmen von Medikamenten, mangelnder Beweglichkeit sowie Kraftlosigkeit und allen Arten von Schwindel- und körperlichen und geistigen Degenerationserscheinungen verbunden. Ich bin der festen Überzeugung, das viele dieser Einschränkungen vermieden werden könnten, wenn die Menschen rechtzeitig, also noch in gesundem Alter, mit Präventionsaktivitäten beginnen würden. Aber, wie bereits gesagt, dafür müssten sie zunächst einmal zu einer relativen Gesundheit gelangen; relativ deshalb, weil Verletzungen und Behinderungen, die nicht gerichtet werden können, verbleiben müssen und sozusagen „das Best-Mögliche“ daraus gemacht werden muss.

Zu 1. Abwesenheit von Krankheit

In der Regel basiert unser Gesundheitssystem auf der Bekämpfung von bereits sich herausgebildeten Krankheiten, und das sehr oft erst dann, wenn diese bereits stark ausgeprägt sind, sich als chronisch erweisen und für wirksame Gegenmaßnahmen ohne Chemie oder Messer es bereits zu spät ist. Dann mit Yoga anzufangen, ist zwar nicht vergebens, aber eine mühsame und zeitaufwendige Angelegenheit. Eine sinnvolle Yogapraxis setzt voraus, das der Übende zumindest mit den Grundhaltungen der Asana- und Pranayama-Arbeit vertraut ist und über genügend Kraft, Ausdauer, Körperwahrnehmung und Beweglichkeit verfügt, um diese auch in einem geschwächtem Zustand einnehmen zu können. Das sehe ich heute meinen Beobachten zufolge bei vielen, die mit Yoga beginnen, als meist nicht gegeben an. Wenn sich also eine Einschränkung bereits etabliert hat, ist der Beginn mit Yoga sehr viel schwieriger, als wenn gesund begonnen wird. Woher kommen die ganzen Einschränkungen, die fälschlich zu lange als „noch“ gesund angesehen werden. Da ist der Arbeitsalltag, das sind einseitige Belastungen im Sport, da sind die Setzungen von Prioritäten wie Karriere und das Geld-verdienen-müssen usw. Und natürlich spielt auch Unwissenheit eine große Rolle. Ich empfehle, jung und gesund mit dem Übungen im Yoga zu beginnen. Dann sind die Grundlagen gesetzt, um bei Bedarf Unstimmigkeiten angehen zu können. Yoga so begonnen schafft ein hohes Maß an Körperwahrnehmung, was in der Folge den Menschen auch in die Lage versetzt, auch beginnende Schwierigkeiten mit Gesundheit/Krankheit frühzeitig erkennen zu können. So sind die Gegenmaßnahmen, die (noch) mit Yoga möglich sind, auch problemlos anwendbar.

Zur Gesundheit, wie sie für präventiv wirksames Yoga erforderlich ist, zählen auch eine normal ausgestaltete Beweglichkeit [1. Dazu gibt die Orthopädie folgende Normen vor: 1. Eine Vorwärtsbeuge im Stehen mit geraden Beinen, die mit den Fingern den Boden zu berühren imstande ist; 2. die Fähigkeit, die Hände hinter dem Rücken zu verbinden, wobei eine Hand über den Kopf geführt wird, 3. die Fähigkeit, im Sitzen mit ausgestreckten Beine die Zehen mit den Handgelenken berühren zu können; 4. in der Bauchlage einen Oberschenkel mindestens 10 Zentimeter ohne Mühe anheben zu können; 5. sich ohne Abheben der Fersen in die Hocke zu begeben; 6. in einem tiefen Ausfallschritt nach vorne sollten die Oberschenkel einen 180° Winkel zueinander erreichen; 7. in der Rückenlage sollte ein angewinkeltes Bein mit dem Knie auf der Gegenseite abgelegt werden können, ohne das sich die gegenüberliegende Schulterseite vom Boden abheben muss.], eine für den Alltag ausreichende Kraft [1. Beispiele: Treppensteigen können, einen Einkauf nach Hause tragen können, …] sowie eine ausreichende Ausdauer [1. Beispiel: …um einen langen Spaziergang machen zu können, um hier und da auch einmal eine Arbeit über einen längeren Zeitraum im Stehen durchführen zu können, …]. Mit anderen Worten gesagt: Es sollte ein ganz normaler aktiver Alltag bewältigt werden können. Die Beweglichkeit ist insofern besonders wichtig, da viele Organe, Gelenke, Faszien und andere Körperpartien Bewegung in ihrer Umgebung benötigen, um gut funktionieren zu können.



Zu 2. Lebensumstände und Gewohnheiten

Viele Menschen unserer Zivilisation neigen dazu, alle persönlichen Bedürfnisse den Parametern Arbeit und Familie unterzuordnen, und sie vergessen dabei, wie wichtig es ist, sich um sich selbst zu kümmern. Lebensumstände aber sind nicht festgeschrieben und schon gar nicht in Stein gemeißelt. Sie können verändert werden. Das Leben ist kein Gefängnis, wo ganz klare und oft auch erzwungene Regeln gelten. Wenn ich doch bemerke, das die Art und Weise, in der mein Leben abläuft, mir weder bekommt noch mir gut tut, oder mich sogar stark belasten und/oder sogar schädigen, ist doch ein Wechsel in besser geformte Umstände erforderlich. Außerdem ist doch jedem, der früh am Tag die vielen Menschen sieht, die sich mit Bewegungseinschränkungen zur Arztpraxis quälen, klar sein, das er/sie älter werden wird und es ein Wunder wäre, ohne Einschränkungen ganz leicht durchs ganze Leben huschen zu können. So sagen mir viele Yoga-Einsteiger, sie hätten früher eigentlich nie Zeit gehabt, eine Yogapraxis zu beginnen. Sie nehmen an, das dabei mindestens 90-120 Minuten täglich oder 2-3 mal in der Woche notwendig wären. Dem ist nicht so. Ich denke, das einmal pro Woche eine 90 minütige Übungsreihe unter Anleitung plus 10-15 Minuten jeden Tag [1. …mit gesetzten Schwerpunkten entsprechend der Belastung oder nach Vorgabe eines Lehrers…] eine ausreichende Praxis darstellen, solange (noch) keine hartnäckigen Einschränkungen vorliegen.

Exkurs: Halten wir zunächst einmal fest: Der Mensch ist eine Einheit aus Körper und Geist. Und stellen wir weiterhin fest, das viele Organe und ihre Funktionen ineinander greifen und sich gegenseitig beeinflussen. So hat zum Beispiel eine niedrig-gradige oder stille Entzündung [1. Stille Entzündungen spielen sich konstant im Körper ab und äußern sich anfangs mit diffusen Symptomen. Dazu zählen: Schlappheit, Müdigkeit, Antriebslosigkeit. Allgemeines Krankheitsgefühl. Häufige Infekte. Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen, Paradontose, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit, …] ganz bestimmt eine oder mehrere Ursachen, die nicht ganz so einfach nach dem „wenn, dann…“-Schema betrachtet oder sogar diagnostiziert werden können. Falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, Schädigungen und Einschränkungen aller Organe, Stress, übermäßige körperliche Belastungen, eine Überlastung des Körpers und was sonst noch alles können dies mit verursacht haben. Von Alkohol und anderen Unsitten will ich gar nicht erst anfangen zu schreiben. Wäre es nicht schön, wenn manche der genannten möglichen Ursachen schon frühzeitig zu erkennen gewesen wären. Man hätte rechtzeitig Abhilfe schaffen können. So aber setzt sich die ganze Kolonne mit stetig steigender Anzahl von Missständen in Bewegung, die so einfach gar nicht (mehr) zum Stillstand gebracht werden kann. Der geübte Yoga-Praktizierende erkennt viele dieser Schwierigkeiten schon sehr früh, weil er für Veränderungen im Körper sensibilisiert ist. Viele weit verbreitete Beschwerden der heutigen Zeit beruhen auf diesen oder ähnlichen Prinzipien. Es ist doch so, das ein Missstand, der nicht erkannt wurde, eine ganze Latte von weiteren Missständen nach sich ziehen kann/wird. Und Missstände sind nicht nur Organversagen oder Verletzungen, sondern sind auch zu vieles Sitzen, zu wenig Bewegung, einseitige Ernährung usw., also Motive, die oft gar nicht mit Gesundheit in Beziehung gebracht werden. Meiner Erfahrung nach werden solcherlei wirksame Motive alle sehr frühzeitig von Körper und Geist angekündigt. Mangelnde Bewegung wird durch Unruhe angezeigt, vieles Sitzen erzeugt schwere Beine und Schwächen im Herz/Kreislauf-System. Und was einseitige/falsche Ernährung anrichtet, muss ich nicht extra beschreiben, das geht von der Magersucht bis zur Fettleibigkeit, von Störungen des Verdauungssystems bis zu Vergiftungen und Mangelerkrankungen. Wenn wir immerzu nur Symptome zu lindern oder abzustellen gedenken, wird eben die Kolonne der Schwächen immer länger. Eines zieht das Nächste und das Weitere hinter sich her, und irgendwann ist dann Schluss mit der lustigen Kolonnenfahrt, und der Körper zieht die Notbremse: Chronische Krankheit.

Zu 3. Sich nicht Selbst-schädigend verhalten

Um zu erkennen, welche aktuellen Reaktionen im Körper ablaufen, muss der Übende sensibilisiert sein, sonst erkennt er diese nicht und/oder interpretiert seine Beobachtungen falsch. Im Grunde genommen ist gesundes Leben doch sehr einfach:

1. Sich weder körperlich noch geistig überlasten.

2. Sich seinen körperlichen Stärken und Schwächen entsprechend verhalten.

3. Zeitweise auftretende Einschränkungen und ebensolche Dauereinschränkungen berücksichtigen [1. Jeder wird älter und verliert somit langsam aber sicher Körperspannung und Kraft. Mit 70 ist man keine 20 mehr. Schwangere Frauen sollten keine große Lasten tragen. Übergewichtige sollten auf ihre Ernährung achten. Die Einnahme von Medikamenten (z.B. Antibiotika) erfordern oftmals eine angepasste Nahrungsaufnahme. Zucker und Nicotin sind Suchtmittel. Und so könnte es noch Seitenweise weitergehen…]

4. Sich frei machen von Vorurteilen, Zwängen und ungeschriebenen Gesetzen. [1. Das ist notwendig, da jeder der genannten Punkte zumindest für Ärger, Leid und Lasten sorgen, wenn nicht sogar zu psychischen Störungen führen wird, die durchaus bereits als Krankheit angesehen werden können.]

Sich nicht-Selbst-schädigend verhalten heißt nicht, sich den Regeln der Ernährungsmoden zu unterwerfen. Ich zum Beispiel esse, was mir schmeckt und gut bekommt, und vertraue Sie auf meine eigene Wahrnehmung, und nicht auf Werbung und Studien. Auch werde ich mich nicht verleiten lassen, irgendwelche Dinge zu tun (Sport, Untersuchungen, Einschränkungen), die mir nicht selbst in den Sinn gekommen, also mir von außen zu-diktiert werden. Ich achte darauf, das ich die mir mögliche Beweglichkeit erhalten kann und mache Übungen dazu. Weiterhin achte ich darauf, ob und wie mein Alltag mir gelingt. Kann ich meine Einkäufe tragen, kann ich meinen Gartenarbeiten, meinen Wohnungsarbeiten, meine sportlichen Hobbys nachkommen, ohne danach erledigt, abgespannt oder übermäßig müde zu sein? Sollte hier und da ein Symptom auftreten, schaue ich mir das genau an und sorge mit Yoga oder anderen Maßnahmen für Abhilfe.



Zu 4. Die Einbettung in eine Gemeinschaft

Ich würde eine Empfehlung für alle aussprechen: Sich in ein gesellschaftliches Gefüge einordnen sollte immer angestrebt werden, sofern sich dieses nicht Menschen-feindlich verhält. Sollte es das doch tun, und ich gehöre ihm bereits an, ist Selbstschutz immer wichtiger als Gerechtigkeit. Nur so kann heute ein Mensch sein Leben sinnvoll gestalten. Anderes Beispiel: Ich werde, um meine Wasserkisten nach Hause zu transportieren, mich mit Sicherheit nicht auf ein Fahrrad verlassen, nur weil das in Mode gekommen ist. Ich mag mein Auto. Es war mit 18 Jahren und aus der Provinz stammend im Jahre 1972 ein Werkzeug zur Erlangung von Freiheit. Und ich werde es weiter verwenden, bis es mir verboten wird. Ich mag es auch nicht, zu einer Veranstaltung oder Feier durch das Fahrrad nass, durchgeschwitzt und abgehetzt anzukommen. Wozu ich allerdings gerne bereit bin, ist, mich an die mir vorgegebenen Gesetze zu halten. Ich bezahle meine Steuern und fahre auf der rechten Seite einer Fahrbahn. Aber, was nicht verboten ist, ist grundsätzlich erlaubt. Und was mir erlaubt ist, lasse ich mir nicht durch irgendwelche Mobbing-Gruppen absprechen. Was ich ebenfalls ablehne, ist meine Ansicht mit Druck, unlauteren Mitteln und voller Lautstärke durchsetzen zu wollen. Ich sagte es: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Und wenn mir mal was nicht passt, und weil es eben nicht verboten ist, reagiere ich darauf mit Toleranz [1. Kommt vom lateinischen „tolerare“ und heißt nichts anderes als ertragen, erleiden, erdulden.] Die Gesellschaft erlässt Gesetze. Wenn ich ihr angehören möchte, sollte ich sie befolgen. Alles andere ist, um es gelinde auszudrücken, unpassend. Wenn ich trotzdem Protest anmelden möchte, schreibe ich eine Veröffentlichung oder gehe auf eine angemeldete Demonstration. Dafür gibt es wie für alles andere Regeln. Und wenn mir die bestehenden Regel nicht gefallen, melde ich mich in einer Partei an und versuche so, diese zu ändern. Sachbeschädigung, Behinderung und Nötigung sind Straftaten, aber mit Sicherheit kein Protest. Nur so kann eine Gesellschaft bestehen. Ich kenne keinen anderen Weg. Wenn ich das nicht akzeptiere, sollte ich mir eine andere Gesellschaft suchen. Es gibt genug davon auf dieser Welt. Die Einbettung in eine Gesellschaft ist heute absolut notwendig. Ich kenne keinen Ort auf der Welt, wo dieses anders gestaltet wäre. Wenn ich ein freies, gesundes und gestaltendes Leben führen möchte, muss ich das wohl oder übel in Kauf nehmen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Hier fehlt leider jede Alternative. Ich empfehle, sich mehr und mehr unauffällig zu verhalten, weil: Menschen im Rampenlicht verlieren ihre Freiheit, nicht, weil sie diese durch den erworbenen Ruhm verlieren könnten und/oder abhängig werden, sondern weil andere sie unmöglich machen werden. Meine Beobachtung sagt eindeutig, das „berühmt“ und „frei“ selten miteinander harmonieren.

Soweit zu den Voraussetzungen. Kommen wir zurück zu dem, was ich Eingangs „Präventives Yoga“ genannt habe. Yoga so verstanden dient für einen Menschen, der die vier Punkte (s.o.) [1. Nicht-Selbst-schädigend, den Umständen angemessen, Abwesenheit von Krankheit, Einbettung in eine Gemeinschaft] gemeistert hat, hauptsächlich dazu, sich die so erworbene Freiheit zu erhalten. Regelmäßiges leichtes Üben von Yoga spürt jede Form von Anspannungen, Blockaden, Organschwächen und Belastungen sicher auf. Und jeder Übende kann dann relativ früh mit Gegenmaßnahmen beginnen, sei es, das ein Arzt zu Rate gezogen werden, eine Gewohnheit geändert, eine Beziehung angepasst oder ein Arbeitsalltag verbessert werden müsste. Zuerst kommt immer die Wahrnehmung einer Notwendigkeit, bevor diese in Handlungen oder Lebensveränderungen gestaltet werden kann. Das Yoga so nebenbei auch meist noch verhindert, das Blockaden überhaupt entstehen, Verspannungen sich fest etablieren oder Stress sich negativ auswirken kann, kommt noch fördernd hinzu. Dazu kommt eine gut trainierte Körperverfassung, eine durch und durch bewegliche und belastbare Muskulatur und ein Geist, der nicht verlernt hat, wahrzunehmen, zu lernen und seine Umwelt zu verstehen. Konflikte entstehen nicht, Leiden entsteht nicht, Mangel und Degeneration werden zumindest gebremst. Kann ich jemand mit diesen Aussagen zum Yoga locken? Bei mir war das erfolgreich. Ich bin fast 70 jahre alt und gesund und munter, komme ohne Medikamente aus und bin für mein Alter fit wie ein Turnschuh.

Unentschiedenheit

Wo kommt aber jetzt noch die Unentschiedenheit hinein, wo ich doch auf mehreren Seiten detailliert und ziemlich genau erklärt habe, was zu tun und zu lassen sei. Nun, das stimmt so nicht ganz. Denn erklärt habe ich nur den Weg, der zur Freiheit von Beschränkungen, dem Ausgangspunkt einer präventiven Yogapraxis, führt. Was ich nicht erklärt habe und auch nicht erklären kann, ist die Technik, das Rezept oder das Konzept, wie sie danach dauerhaft zu erhalten ist. Das kann ich auch nicht, weil: Es gibt keine Technik, kein Rezept und kein Konzept, das, sind die Voraussetzungen erfüllt, zum Erhalt derselben beitragen könnte. Ich nutze nur meine Übungen, um sich einschleichende Fehler aufspüren zu können. Gibt es keine: schön, gibt es welche: auch schön, weil ich sie nämlich jetzt kenne und beseitigen/umgestalten kann. Und alles darüber hinaus ist der Freiheit anheim gegeben, und die ist so individuell, so wechselhaft und unplanbar wie der Mensch und sein Leben. Und so wird wieder einmal, diesmal über Yoga ausgesprochen, ein „Schuh“ der Unentschiedenheit daraus. Wohin er mich tragen wird, weiß ich nicht und will auch eigentlich auch nicht (mehr) wissen. Freiheit heißt doch, jetzt und hier für mich jederzeit Entscheidungen treffen und sie vollziehen zu können/dürfen. Da gibt es keine Regeln außer die meiner Gemeinschaft und die meiner Möglichkeiten. Und selbst das ist/kann nicht für alle Zeit als festgezurrt (gelten). Und wenn etwas offen ist, unentschieden eben, gibt es wenig darüber zu berichten.




Die sportliche Aktivität als Ausgleich für Alltagsbelastungen?!

Das sportliche Aktivitäten als gesund bzw. der Gesundheit fördernd gelten ist ein allgemein gültiges Narrativ und wird heute nicht mehr hinterfragt. Natürlich gibt es auch noch die Vertreter des „Kein Sport bitte…“, aber sie sind der allgemeinen Überzeugung nach zu einer verschwindend kleinen und meist verborgenen bleibenden Minderheit geworden. Stimmt das? Ich denke nicht. Meiner Beobachtung nach betreiben mindestens 50% der Menschen in Deutschland keinen Sport bzw. eine (ich sage das mal einfach so…) sportliche Alibi-Aktivität.



Warum denke ich so? Nun, ich sehe beim Spazierengehen sehr oft Menschen, die Ihre Geh-Runden, Jogging-Runden oder Radler-Runden absolvieren. Und ich sehe viele dieser Menschen ihre Aktivität mit einer verbissenen und physiologisch wenig hilfreichen Qualität ausführen. Dazu tragen ungünstige Körperhaltungen, eine meist einseitige Belastung und ein wenig ausgefeilten Bewegungsspiel bei. Nun gebe ich zu, das meine Beobachtungen sicherlich auch auf einer Perspektive beruhen, die von meiner eigenen Ansicht darüber geprägt ist. Allerdings sind das Beobachtungen ja immer und können auch nicht wirklich ausgeschlossen werden.

Zu den sportlichen Betätigungen unserer Zeit wird häufig angeführt, das unser Körper zu den einseitigen Belastungen des Alltages einen Ausgleich benötigen würde. Dazu zählen mangelnde Bewegungsmöglichkeiten im Büro ebenso wie einseitige körperliche Belastungen wie zum Beispiel das Tragen von Kindern und Gegenständen, handwerkliches Arbeiten oder umfangreiche Laufwege. Zunächst einmal eine nicht ganz dumme Frage: Warum ausgleichen und nicht die die Belastungen abbauen? Wenn wir aber zur Überzeugung kommen, ausgleichen müssen, das ist ein Teil meiner Argumentation, sollte es doch so geschehen, das zur einseitigen Belastung nicht noch weitere einseitige Belastungen hinzukommen. Wenn ich also jeden Tag acht Stunden vor dem Rechner im Büro sitze, sind des Abends zehn Kilometer Jogging oder Radfahren gar kein sinnvoller Ausgleich, da hier durch die Ausdauerleistung und die Arbeit weniger Muskelgruppen nur eine weitere einseitige Last geschaffen und zudem ein extremes Gegenspiel gesetzt wird. Weiterhin können verspannte Muskelgruppen, die durch langes ruhiges Halten bereits inaktiv und meist auch schon fest geworden sind, nicht durch zusätzliche Belastungen entspannt werden. Wie kann eine Belastung entspannen? Wie sollte das geschehen? Zusätzlich stellt sich die Frage: Wenn ich in meinem Alltag Ausdauer, Kraft oder Beweglichkeit nicht brauche, wozu sind dann die Fähigkeiten zu großen Ausdauerleistungen, große Kraft und Beweglichkeit eigentlich für mein Leben gut? Sollten die Ausgleichsleistungen, die so dringend benötigt werden, nicht besser so gestaltet sein, das die Belastungsstörungen des Alltags (z.B. Rückenschmerzen) abgebaut und so Körperkonstitution geschaffen werden, die auf den Alltag abgestimmt sind und zu einem Arbeitsalltag ohne Belastungsstörungen führen können? Es stellt sich wieder die Frage: Wie kann das geschehen?

Zunächst einmal gibt es meiner Ansicht nach keine allgemein gültigen Rezepte dafür. Jeder Mensch gestaltet sich anders aus, individuell eben. Und natürlich hat Sport auch einen Spaßfaktor. Und Sport hat auch einen Suchtcharakter. Jeder Langläufer weiß das. Nun will ich niemanden den Spaß verderben, das ist selbstverständlich. Spaß zu haben ist eine der wirksamen Gesundheitslösungen. Und jeder darf/kann/soll auch das machen dürfen, was Spaß macht, selbstverständlich. Ich sprechen hier aber nicht über Spaß, sondern einerseits über den Suchtcharakter einerseits und besonders über Ausgleichssport zur Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und/oder des körperlichen Wohlgefühls andererseits, der als Mittel zum Zweck betrieben wird. Modern sind ja auch die neuen Vorstellungen, die mit Selbstoptimierung, Selbst-Überwachung und den Vorgaben zur Gesundheitsförderung einschließlich aller Fitness-Trecker (Apps zur Gesundheitsüberwachung in Uhren und Smartphones) zu tun haben.

Zunächst einmal sollte schon im Vorfeld der Überlegungen festgehalten werden, das wir heute in weiten Teilen der Bevölkerung eine deutliche Störung des Bewegungslebens auffinden können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Für eine Analyse der Lösungsmöglichkeiten derselben durch einen Übungsleiter zum Beispiel sind diese aber zunächst einmal nur zum Teil von Belang, da sie meist in Verhaltensweisen zu suchen sind, die der Freiheit des Einzelnen unterliegen. Die Lebenswirklichkeit kann nur der Betroffene selbst ändern, ins Spiel bringen oder ein wenig modifizieren. Für den Übungsleiter heißt es nur festzustellen, welche Übungen und Maßnahmen sportlicherseits helfen könnten, das Problem zu lindern, anzusprechen, sichtbar zu machen und/oder zu bearbeiten/beseitigen. Das ist und bleibt ein schwieriges Unterfangen, denn meist sind die Problemfelder in den Körpern bereits breit verstrickt und mit einem einfachen „so geht es“ nicht zu lösen. Betrachten wir einmal kurz einige Problemfelder, die eine Rolle spielen. Da sind zu nennen die Atmung, die Haltung, die Beweglichkeit, der Leistungswille, die Entspannungsfähigkeit, die Natürlichkeit in der Bewegung, die Innen- und Außenbewegung und die Energie, die allen Genannten zugrunde liegt.



Beginnen möchte ich mit der Innen- und Außenbewegung. [1. Die beiden Begriffe stammen von Dore Jacobs, die schon 1985 zwei wunderbare Bücher über die menschliche Bewegung (ISBN: 3 7800 6038 8) und Bewegungslehre (ISBN: 3 7800 6039 6) geschrieben hat.] Die Außenbewegung ist der eine Part der menschlichen Bewegung, der sich in Gymnastik, Yoga und Körperbildungs-Bewegungen ausdrückt, aber auch in Arbeit und Haltungen im Alltag. Die Innenbewegung ist die autonom oder halbautonom begleitende Atem und Kreislaufbewegung sowie die ergänzenden Organtätigkeiten, die sowohl den Körper als auch den Geist erst möglich machen. Im Grunde sind beide gar nicht zu trennen, weil ohne Letztere Leben an sich gar nicht möglich wäre. Was immer ich auch tue, denke, wahrnehme oder auslebe, es wird begleitet von Innenbewegungen. Die wörtliche Unterscheidung ist lediglich hilfreich, um beschreiben zu können, warum wir heute in Europa in der Wahrnehmung unserer Innenbewegung so erbärmlich schwach sind und diese Schwäche in übertriebener Außenbewegung und/oder Geistesarbeit zu überdecken versuchen. Die Unterscheidung ist notwendig, um aufzuzeigen, das da noch viel mehr ist als in der Leibeserziehung und -wahrnehmung allgemein angenommen wird.

Beginnen wir der Reihe nach mit der Atmung. Die Atmung ist eine Innenbewegung und somit ein autonomes System, auch wenn der Wille bzw. Geist gezielte Vorgaben für das Atmen einfordern kann. Denn im Grunde können wir den Atem nur in einer groben Form geistig beeinflussen wie zum Beispiel „nur die Bauchatmung zu nutzen“, länger Ein- oder Auszuatmen und/oder Atempausen zu machen. Beim Schwimmen können wir nur dann atmen, wenn der Kopf aus dem Wasser herausragt. Andere Sportarten bevorzugen bestimmte Atemformen, um das Ergebnis einer Handlung positiv zu beeinflussen. Immer betroffen sind Rhythmus, Länge und die großen Bewegungen, die der Mensch in Bezug zum Atem fühlt und spürt. Für die wirklich wichtigen Atemvorgänge aber, wie der Austausch von O2 und CO2 in den Bläschen und Kapillaren und der Transport über das Blut aber steht keine willentliche Beeinflussung zur Verfügung. Daher sehe ich die Atmung als autonom an und befürworte Atemkontrolle nur in Form hilfreicher Gesten, nicht aber als Mittel zur Umerziehung. Unterschieden werden häufig Hautatmung, Bauchatmung, Brustatmung, Rückenatmung, Flankenatmung und so weiter. Was mir in aller Regel fehlt, ist die Anmerkung, die gleichzeitig Einschränkung ist, das alle dieser Arten meist individuell gemischt auftreten und daher Vorgaben als allgemeine Regel vollkommen sinnlos sind. Häufig wird die Bauchatmung besonders hervorgehoben, aber sie allein kann doch wohl nicht das Nonplusultra sein. Ich bevorzuge, wenn ich denn gefragt werde, als optimale Atemform die „individuell ausgeprägte Vollatmung“ bei der alle möglichen Formen zusammenwirken. Sicherlich, wenn jemand eine ganz bestimmte Form der Atmung warum auch immer gar nicht vollziehen kann, sollte er diese vielleicht lernen. Aber das neu Gelernte ersetzt das Altbewährte nicht und sollte nur als mögliche Ergänzung angesehen werden. Viel wichtiger ist in meiner Vorstellung, den Körper so zu formen und in standzuhalten, das weder Verspannungen noch Gewohnheiten sowohl die Atmung als auch andere Bereiche der Innenbewegung behindern können. Der Körper entscheidet dann, wie er atmet, und nicht der Geist. Neben der Nahrungsaufnahme ist die Atmung die einzige Hauptfunktionalität, mit der ein Mensch bewusst auf seine Innenbewegung einwirken kann.

Die nächste große Funktion bzw. Einflussfaktor auf die Innenbewegung ist die Haltung in dem Sinne, das der Mensch versuche solle, seine Körperform so zu gestalten und auszurichten, das jede erwünschte Form der Innenbewegung möglich bleibt. Sinn dieser Forderung ist es, jede Art von Schmerz, von Verspannung und Beeinträchtigung im Körper des Menschen soweit zu reduzieren, wie das möglich erscheint. Natürlich kann hier kein für alle Menschen gültiges Programm aufgesetzt werden, das behaupten würde, die und die Übungen würden ein garantiert gesundes und langes Leben herstellen oder begünstigen. Das wäre absurd. Der junge Mensch ist lange bevor er seine Möglichkeiten erkennen und wahrnehmen kann bereits durch seine Umwelt derart geprägt, das daraus folgend nahezu immer ein individueller Status als Ausgangsposition vorausgesetzt werden muss. In Frage der Haltung muss weiterhin unterschieden werden zwischen der äußeren Ausformung der körperlichen Strukturen und der inneren Haltung, die ich in dem weiteren Text als „Mentale Einstellung“ bezeichnen werde. In diesem Abschnitt geht es fast ausschließlich um den ersten Punkt der Haltung, den körperlichen Strukturen sozusagen, die wie bereits weiter oben erwähnt auf die inneren Strukturen Einfluss nehmen können. „Wie geschieht das?“ ist dazu eine Frage und die zweite fragt: „Was ist eine ‚gesunde‘ Haltung?“ Beginnen möchte ich mit der Zweiten.



Eine ‚gesunde‘ Haltung ist keine ganz bestimmte Körperform, keine ganz bestimmte Form des Körperbaus, der Aufrichtung oder des ganz allgemeinen Bewegungsspiels oder gar der Ernährung. Eine gesunde Haltung ist die Fähigkeit des autonomen inneren Systems, sich nahezu jederzeit auf äußere Umstände, sei es Arbeit, Sport, Ruhe oder andere Anforderungen einzustellen und die Funktionalität des Menschen passend zur Aufgabe einzustellen. Dazu gehören die genau passende Bereitstellung von Sauerstoff und der Abtransport von CO2 in Form von Atmung, die Bereitstellung von Zellennahrung über Verdauung, Kreislauf, Säfte, Hormone und Botenstoffe, die Einstellung der Körpertemperatur, die Fokussierungen wie Aufmerksamkeit, Gelöstheit, Konzentration und und so weiter. Dazu gehören selbstverständlich auch die nervlich strukturierten Systeme, die ja zum Teil wie die Atmung auch bewusst angesteuert werden können. Da gibt es insgesamt gesehen ein weites Feld von Abhängigkeiten und Anpassungen. Haltung drückt sich immer aus in den genannten Fokussierungen. Der Torwart, der einen Torschuss erwartet braucht eine andere Fokussierung als ein Angestellter, der nach erfolgreicher Arbeit zu Hause in seinen Sessel sinkt und entspannen möchte. Das Kochen in der Küche ist anders fokussiert als eine Schreinerarbeit. Ich denke mal, jeder kann das bestätigen. Die Frage aber, um die es gehen sollte, ist doch die, ob unsere Körper zu dieser erwünschten Anpassung überhaupt (noch) in der Lage sind. Und da sind wir bei der zweiten Frage angelangt: „Wie geschieht das?“. Wie viel Einfluss hat der Mensch kurzfristig auf die genannten Fokussierungen? Die Antwort ist meist einfach: „Keinen“.

Einige Beispiele sollen das Problem verdeutlichen:
A. Eine nach vorne herabhängende Schulter und der damit verbundene Rundrücken sind nicht nur ein Haltungsfehler, der einfach „unschön“ aussieht. Diese Haltung beeinträchtigt die Atmung in der Gestalt, das die Lungen nur (noch) in den oberen Bereichen durchlüftet wird. Die Lungenspitzen bekommen wenig bis gar nichts mehr ab. Die Folgen davon sind ein schnellerer Atemrhythmus und damit kürzere Verweilzeiten der Luft in der Lunge. Diese Not-Anpassung wird die Qualität der Atmung deutlich herabsetzen. Wir atmen dann viel öfter als notwendig und haben dazu noch deutlich weniger Erfolg damit.

B. Ein nach vorne gekipptes Becken und folgend das hochgezogene/hochgehaltene Gesäß machen eine Vollatmung unmöglich. Meist fehlt die Flanke bei der Atmung völlig, der Bauch trägt nur wenig bei und der Mensch ist gezwungen, fast ausschließlich hoch zu atmen. Die falsche, meist schnell auch noch festgefügte Beckenhaltung beeinträchtigt das Zwerchfell beim Absenken-Können, so das die Schwerkraft zum Atem wenig beiträgt. Muskelkraft muss aufgebracht werden, um den Brustkorb zu weiten. Diese in Europa häufig zu sehende Fehlhaltung ist wenig effektiv und verbraucht viel Energie für wenig Erfolg. Kurzatmigkeit ist die Folge, schnelle Atemrhythmen schon bei kleiner Belastung und eine Minderung der Leistungsfähigkeit sind die Folgen.

C. Eine übertrainierte Beinmuskulatur und die Unfähigkeit, seine Beine zu strecken bewirkt durch die Anforderung, aufrecht zu sein ein nach vorne gekipptes Becken und damit die in Abschnitt zuvor bewirkten Atem-Minderungen. Gleichzeitig wird ein Bewegungs- und Haltungsbild erzeugt, das einem Menschen das gerade zu stehen, das locker zu gehen und sich leicht zu bewegen unmöglich macht. Unfunktionale Züge durch verkürzte Muskeln verhindern ein sich locker Ausbalancieren, nötigen zum Feststellen und behindern damit nahezu alle so dringend gebrauchte Innenbewegungen.

Eine Bewegungsschulung sollte daher immer dafür sorgen, das die genannten Fehlhaltungen ausgeglichen werden. Ein Horchen auf die Innenbewegungen ist dafür viel wirkungsvoller als das pure Erlernen von Technik. Es geht nicht um das „Was mache ich“ oder das „Wie mache ich“, sondern es geht darum, wie mein Innenleben auf meine Alltagsanforderungen reagiert und wie ich durch Gymnastik, Sport und Yoga helfen kann, dieses Spiel wieder lebendig zu bekommen. Es geht um Qualität und nicht um Quantität. „Viel hilft viel“ ist dabei vollkommen fehl am Platz.

Vielleicht muss noch gesagt werden, das Atem immer aus drei Bewegungen besteht: Einatem, Ausatem, Atempause, wobei die Letztgenannte eine sehr wichtige Rolle spielt. Ohne Atempause kann sich die Chemie des Atems nicht vollkommen entfalten und bewirkt Kurzatmigkeit und Leistungsminderung.



Kommen wir dann zu dem Thema Beweglichkeit. Wie viel davon ist erforderlich? Wie komme ich damit auf ein Maß, das meinen Ansprüchen, besser noch meinen Anforderungen genügt und wie fange ich an, das zu erreichen? Das sind alles Fragen, die einzeln nicht ausreichend beantwortet werden können. Unsere Beweglichkeit ist im Grunde genommen bereits ein Anpassungsprozess der Innenbewegung, denn hier wird die Muskulatur nicht gezogen oder gedehnt, sondern auf ein Spannungsfenster eingestellt, das sich orientiert an den Alltagsbewegungen. Wenn ich regelmäßig und konstant bestimmte Bewegungen ausführe, stellt sich die bewegte Muskulatur mit der Zeit auf diese Länge nicht nur ein, sondern ergänzt sie zusätzlich noch mit etwas Spielraum, schon um Verletzungsgefahren zu reduzieren. Bei Arbeitsbewegungen und leichten tänzerischen Posen ist das relativ einfach. Spannend und vielschichtig aber wird es, wenn zusätzlich dicht an der Beweglichkeitsgrenze große Krafteinwirkungen notwendig werden. Ein weit ausfallender Spreizschritt mit plötzlichem Halt zum Beispiel beim Tennis verbunden mit einer schleudernden Körperbewegung in eine Drehung hinein, der Schlag mit dem Schläger auf den Ball, eine schnell darauf folgende Entspannung und dann der Start in die nächste Laufbewegung hinein ist so ein Fall, der so einfach nicht zu gestalten ist. Beweglichkeit in Kombi mit großer Kraft und Ausdauer verlangen ein genau dosiertes regelmäßiges Körpertraining. Einfach so auf den Platz zu gehen und zu spielen erhöht die Verletzungsgefahr bei diesem Sport auf ein Vielfaches. Gleiches gilt für Laufen, Fuß- und Handball, Skifahren und andere beliebte Sportarten. Auch Wandern in den Bergen zum Beispiel gehört dazu. Was die Beweglichkeit zusätzlich zu steigern vermag ist eine gute Entspannungsfähigkeit. Dazu aber erst später mehr. Im Beweglichkeitstraining genügt es meist, einfach an seiner Beweglichkeitsgrenze gymnastisch zu arbeiten. Stellt man sich seine Beweglichkeit als ein Wiesengrundstück vor, so arbeiten wir sinnvollerweise innerhalb der Begrenzung und somit stets dicht am Zaun. Alles Weitere besorgt die Innenbewegung in Form von autonom gesteuerten Anpassungsprozessen. Wie weitreichend die Beweglichkeit ausgeformt werden sollte ist ebenfalls eine individuelle Größe. Die Anforderungen des Alltags sollten den Umfang einer Beweglichkeitsempfehlung bestimmen. Viele sportliche und freizeitliche Anforderungen wie Tanzen, Wandern, Tennis oder Ballspiele uns so weiter erfordern unterschiedliche Körperkonstitutionen, weil sie unterschiedliche Belastungen enthalten. Ein körperlich arbeitender Mensch hat andere körperliche Bedürfnisse als ein sitzender Mensch im Büro. Für mich gilt daher als Norm, das jeder Teilnehmer einer Yoga- oder Gymnastikveranstaltung die Übungen machen sollte, die seinem Alltagsbedürfnis entsprechen. Große Beweglichkeit, hohe Kraftanforderungen und lange Ausdauer sind nicht zusammen in einer Ausstattung zu haben. Sie behindern sich auf die eine oder andere Weise. Sie müssen daher individuell abgestimmt werden. Trotzdem gibt es in meiner Vorstellung eine allgemeine Regel: Die Innenbewegungen sollten durch ein Trainingskonzept nicht eingeschränkt werden. Bei purem Beweglichkeitstraining ist die Gefahr, sich Einschränkungen einzufangen, eher gering. Allerdings sollte die erreichte Beweglichkeit beim Üben auf jeden Fall durch passende Ausdauer- und Kraftübungen ergänzt werden. Auch hohe Beweglichkeit muss stabil und leistungsfähig ausgestaltet sein.

Kommen wir in kurzer Form zu Kraft- und Ausdauer. Und ein jeder kennt wohl die Auswirkungen, die ein zu viel davon darstellen: Rein ausgeformte Muskelpakete auf der einen Seite und extrem verhärtete Hungerhaken sind wohl im Volksmund eine beliebte satirische Bezeichnung für die beiden Extremprägungen. Beide haben ihre extremen Schattenseiten. Beide sind in der Beweglichkeit meist massiv eingeschränkt, die einen durch die Vergrößerung und die anderen durch die Versteifung der Muskulatur. Von diesen extremen Prägungen einmal abgesehen müssen die Fähigkeiten zu Kraft und Ausdauer mit der Beweglichkeit des Menschen harmonieren. Ich sagte es bereits. Unharmonische Prägungen belaste die Innenbewegungen und überfordern die Leitungsfähigkeiten der inneren Organe, die den erhöhten Verbrauch von Brennmaterial, Sauerstoff und Entgiftung ja auch irgendwie schultern müssen. Dazu kommen bei extremen sportliche Leistungen oft auch Medikamentenkonsum (Schmerzmittel) und/oder Nahrungsergänzungsmittel hinzu, was den Organismus zusätzlich belastet. Mit anderen Worten: Kraft und Ausdauer ist solange gut, wie die Innenbewegungen ungehindert ihre Arbeit bewältigen können. Alles Weitere wird sich auf Dauer als wenig nachhaltig herausstellen. Hier eine allgemeine Grenze oder rote Linie ziehen zu wollen ist eher ungeschickt. Hier muss von Fall zu Fall bzw. von Mensch zu Mensch gestaltet werden.



Gehen wir weiter in den oben genannten Stichworten. Ein wirklich schwieriges Element in der sportlichen Trainingslandschaft stellt der individuelle Leistungswille oder anders herum formuliert der Leistungsgedanke an sich dar. Viele Menschen sind heute bereit, sowohl in der Arbeit als auch im sportlichen Training sehr hohe Leistung zu bringen, bedenken aber oft nicht die Folgen, wenn dieser Wille auf eine körperliche Konstitution trifft, die diesem Leistungsgedanken nicht gewachsen ist. Ich betreue seit 45 Jahren Gruppen von Menschen in Gymnastik, Sport und Yoga, und ich mache immer wieder die Erfahrung, das der Wille eines Neueinsteigers, mit den anderen mithalten zu können oder sich den notwendigen Korrekturen durch Ausweichen zu entziehen, sehr groß ist. Das ist verständlich, denn wir leben ja in einer Leistungsgesellschaft, aber nützlich und hilfreich sind diese Aktionen nicht. In der Körper- und Bewegungsbildung hat der Leistungsgedanke wenig Sinn, denn sowohl Ausweichbewegungen in den Übungen noch Übertreibungen darin werden die allseits zu beobachtenden Schwachstellen nur verschleiern, aber nicht entfernen können. Wenn eine von mir betreute Gruppe sich etabliert hat, muss ich viel mehr Zeit damit verbringen, die Teilnehmer zu bremsen, also auf ein ihnen zuträgliches Leistungsniveau zu setzen als damit, notwendige Korrekturen und Zwischenlösungen anzubieten und zu etablieren. Ich verstehe sehr gut, das man sich nicht gerne in seinen Schwachstellen zeigen möchte, aber, und das ist entscheidend, ein Übungsleiter muss/sollte die Schwachstellen seiner Teilnehmer kennen. Wie anders kann er das Training und seine Inhalte an die Erfordernisse anpassen. Jeder Mensch hat Schwachstellen. Die Frage ist doch mehr, behindern diese die Lebensabläufe oder wäre ihre Abwesenheit nur „nett zu haben“. Jeder würde doch wohl, um ein Beispiel zu gestalten, gerne mal einen Marathon gewinnen, aber muss das unbedingt sein und ist das den Aufwand wert, der dazu notwendig ist. In meiner Vorstellung sind Spaß und Freude am Sport deutlich höher zu bewerten als eine sichtbare Leistung.

Kommen wir dann zur Entspannungsfähigkeit. Das ist, grob gesagt und Ausnahmen bestätigen die Regel, ein großes Problem in unserer Sport- und Lebenswelt. Die Fähigkeit sich zu entspannen ist in meiner Vorstellung in der Ausübung jeder Sportart, und da schließe ich auch Gymnastik und Yoga mit ein, entscheidend, denn nur ohne Spannung lässt sich Spaß und Freude am Sport verwirklichen. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, wo man nach einem Sportturnier gemeinsam mit seinen Gegnern entspannt und wohl gelaunt feiern ging. Da gab es keine traurige und verzerrte Gesichter, wenn man bei Meisterschaft oder Turnier nur Zweiter geworden war. Vorherrschend war die Freude am gemeinsamen Wettkampf. Das sieht man heute nur noch selten. Heute scheint selbst der Zweite schon ein Verlierer zu sein und fristet unbeachtet im Schatten des Siegers sein Dasein. Und das gilt sowohl für Zuschauer als auch für die Akteure. Was ich damit ausdrücken möchte ist die für mich selbstverständliche Beobachtung, das es ein Begleitmoment des Entspannt-Seins ist, angemessen siegen oder verlieren zu können. Ohne das ist Sport nur noch Kampf und Leistungs-Krieg. Weder Triumph noch Verzagen sollte hier einen übermäßigen Ausdruck finden. Es geht eben nur um Spaß und Freude. Nun gibt es in Gymnastik und Yoga ja keine Wettkämpfe, wenn man mal die Sportgymnastik als Ausnahme ansieht. Ich bin der Überzeugung, dass das Sich-Vergleichen mit anderen in diesen Bewegungs- und Trainingsformen nichts zu suchen hat. Beide lehren ein Sich-Bewegen und Sich-Entspannen können, ja mehr noch, Entspannen ist dabei das Gleiche wie die Geschwindigkeit beim Laufen oder die Torbilanz beim Ballspiel, sie ist das zentrale Trainingselement. Und dabei haben Ich-gesteuerte Emotionen keinen Platz. Diese in Mode gekommene Unsitte ist Unsinn und auch nicht nachhaltig.
Was, kommen wir zu eigentlichen Thema zurück, ist eigentlich Entspannung? Schauen wir uns mal zwei typische Definitionen dazu an:



  • Unter dem Begriff Entspannungsverfahren werden Techniken zusammengefasst, die körperliche und seelische Anspannung reduzieren sowie das allgemeine Wohlbefinden fördern sollen. Entspannungsverfahren werden als übende Verfahren bezeichnet, da deren positive Effekte durch regelmäßiges Üben zunehmen. [1. DocCheck Flexikon, https://flexikon.doccheck.com/de/ Entspannungsverfahren]
  • Entspannung, psychophysischer Zustand mit einer geringen Aktivierung, subjektiv und physiologisch besonders deutlich nach einer vorausgegangenen Anspannung, die sich unter Ruhebedingungen oder durch aktive Entspannung löst. Entspannung hat verschiedene Aspekte, wobei neben dem Erleben von emotionaler, geistiger und körperlicher Beruhigung und Gelöstheit typische physiologische Veränderungen eintreten… [2. Spektrum.de, https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/entspannung/4161]

Während die erste Definition Entspannungsfähigkeit scheinbar nur als eine Technik, also ein Mittel zum Zweck anzusehen scheint, zeigt die Zweite das ganz anders. Ein Zustand geringer Aktivierung, der scheinbar nur nach einer Anspannung als Lösung auftritt und zur Beruhigung dienen soll. Entschuldigen Sie meine Unnachgiebigkeit, aber das ist beides vollkommen verfehlt und nicht das, was Entspannung und die Fähigkeit dazu zu leisten vermag. In meiner Definition ist Entspannung ein Gleichgewichtszustand, der die Innen- und Außenwelt des Menschen in einen Gleichklang, auch gerne Einklang genannt, zu bringen vermag. Hierbei ist die mentale Einstellung (s.o.) zwar als eine Bedingung der Außenwelt anzusehen, aber sie ist sicherlich auch ein wichtiges Bindeglied zwischen diesen Welten. Nehmen wir einmal an, die Außenwelt verlangt eine ganz bestimmte Leistung in Form von Arbeit, Bewegung oder einer verwandten Aktion. Dann sollte doch, um Erfolg zu haben, die Innenwelt die erforderlichen Ressourcen bereitstellen, die dafür notwendig sind. Tut sie das, wird das Projekt mit sehr guten Voraussetzungen starten können, bringt sie das nicht, ist doch wohl ein Scheitern höchst wahrscheinlich. Für die Bereitstellung der Ressourcen aber muss der Körper reagieren, muss sich gestalten und verändern können. Das ist nur möglich, wenn ich ihn seine autonome Aufgabe vollziehen lasse und ihm dabei die Freiheit gebe, das auf seine Weise zu tun. Diese Freiheit zu haben nenne ich Entspannung, und das gilt sowohl organtechnisch, bewegungstechnisch als auch mental. In der Spezialität von Spannung nenne ich das auch gerne Tonus, was nicht weniger bedeutet als die Fähigkeit, sofort und unmittelbar reagieren zu können, weil der Körper bereit ist und über die notwendigen Ressourcen (Kraft, Beweglichkeit, Spannung, Ausdauer, Atemvermögen usw.) bereits verfügt. Entspannungsfähigkeit ist somit in der Definition ein Prozess, der sich nur im Fenster der verfügbaren Ressourcen bewegen kann. Dieses Fenster ist nie Nichts und auch selten Alles, was sein könnte. Wenn ich zum Beispiel in einer Körperpartie beweglicher werden möchte, also zu dehnen beabsichtige, muss ich erstens bereit sein, die zu dehnenden Muskeln zu entspannen. Dann muss ich zweitens eine Möglichkeit finden, andere Körperpartien in mir zu finden, die es ermöglichen, diese Muskel auch zu öffnen oder zu lösen, weil sie deren Haltearbeit übernehmen. Dann muss ich drittens bereit sein, die notwendige Öffnung so vorzunehmen, das die betroffene Muskulatur einen so starken Impuls erhält, das diese auch öffnend reagiert und ich muss viertens darauf achten, dabei nicht zu übertreiben, da der zu öffnende Muskel sonst in eine sich schützende Verspannung zurückfällt. Die Erfüllung all dieser Bedingungen nenne ich Entspannung in einem Dehnvorgang. Ähnliche Bedingungen finden sich auch bei der Arbeit und bei Ausdauerleistungen, wobei die angewendeten Kräfte zur Bewältigung der Aufgabe auch bereit stehen und der Tätige das auch in seiner Selbstwahrnehmung auch richtig erkennen sollte. Entspannungsfähigkeit ist also bei mir nicht ein Vorgang des sich vollkommen Fallenlassens oder dient einem Zweck wie der Erholung, sondern ist ein stets aktiver begleitender Prozessparameter innerhalb der Tätigkeiten wie Gymnastik oder Yoga, Sport und Arbeit. Erst anstrengen und dann entspannen ist nicht gefragt. Entspannung und Anstrengung gehen parallel als Prozessparameter in eine Tätigkeit mit ein.



Wenn man ohne Vorkenntnisse oder Erwartungen zwei Menschen bei einer gleichen Bewegung in Arbeit oder Sport beobachtet, wird man niemals das Gleiche sehen. Jeder Mensch bewegt sich anders, verhält sich anders und drückt sich anders in seinem Involviert-Sein aus. So kommt zum Beispiel der eine Läufer vollkommen abgehetzt und fertig durch die Ziellinie, während ein Anderer scheinbar mühelos und wie entspannt die gleiche Linie erreicht. Besonders deutlich erkennt man das am Gesichtsausdruck und der Haltung. Interessant ist, das die Natürlichkeit einer Bewegung und deren Ausdruck sich stets auch in Haltung und Gestimmt-Sein ausdrücken. Natürlich ist eine Bewegung dann, wenn sich die Innenbewegung und die Außenbewegung harmonisch zueinander verhalten und innen die Ressourcen bereitstehen, die für die Außenleistung gebraucht werden. Gerät ein Sportler an seine Leistungsgrenze, sollte er eigentlich das erkennen und entsprechend seine Aktion einstellen oder unterbrechen. Nur zählt ja im Sport meist das Ankommen, die Quantität, die erfolgreiche Lösung der Aufgabe oder das Ausstechen des Gegners, zählt oft also nur noch der Ehrgeiz und die Leidensfähigkeit oder mit anderen Worten seine Grenzen maßlos zu überschreiten. Ich halte das für einen grandiosen Fehler unseres Denkens und versuche daher, diese Überschreitungen in meinen Unterricht zu verhindern. Dies geschieht dadurch, das ich die Natürlichkeit im Ausdruck meiner Teilnehmer in Auge behalte und wenn notwendig einschreite. Erhöhte Atemfrequenzen, verzerrte Gesichter einerseits und Gelassenheit und freudvoller Ausdruck anderseits sind dafür gute Bewertungsparameter. Gymnastik und Yoga kann nur gelassen und mit Freude an Bewegung erfolgreich praktiziert werden. Alles andere ist Illusion.

Was jetzt noch fehlt ist eine Erläuterung des Begriffes der Energie. In der Bewegungslehre ist Energie immer definiert als das innere Potential, eine Bewegung ausführen, halten oder fortsetzen zu können. Sie kommt von innen und ist letztlich betrachtet die Grundlage jeder Veränderung, zu der auch Bewegung, Öffnung, Dehnung, Leistung und so weiter gehören. Letztlich ist ein Organismus wie ein Körper mit all seinen Funktionen auf Energie angewiesen und es ist müßig, sich darüber zu streiten, ob diese eine grundlegende oder abgeleitete Größe darstellt. Wo immer sich etwas bewegt, ist Energie notwendig. Nun gibt es sowohl im Yoga als auch in mehr westlich geprägten Sportarten verschiedenste Theorien, wie, was und woher diese Energie ihren Ausgangspunkt und ihre Aktivität findet. Ich halte diesen Ausdruck „Energie“ daher lediglich für einen Namen, der ein eingegrenztes Feld innerhalb einer Lehre darstellt, die sich mit Veränderung oder Bewegung beschäftigt. Aussagen wie „Alles ist Energie“ oder „Das ist viel Energie“ oder „Spüre die Energie in dir“ sind Ausdrucksformen einer Innenbewegung, die jeder Mensch auf seine Weise in sich zu spüren vermag. Sie sind nicht Aussagen zur Weltbeschaffenheit oder anderer philosophischer Theorien.

Soweit zunächst einmal die Begrifflichkeiten, die ich verwende, und deren Gehalt in meiner Ansicht zum Thema. Wie sich das dann im Unterricht ausgestaltet und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, überlasse ich jedem Leser/Teilnehmer selbst. Ich selbst bemühe mich im Unterricht, diese genannten Positionen so gut wie möglich zu vertreten und für jeden meiner Teilnehmer ein angemessenes Programm zu gestalten, so weit das in einem Gruppenunterricht möglich ist. Wichtig für mich ist, das ein Teilnehmer die Halle oder das Studio freier in der Wahrnehmung seiner Selbst verlässt als er/sie diese Räume betreten hat. Und wenn dann von den Erklärungen, Vorschlägen, Anweisungen und Ratschlägen etwas hängen bleibt und/oder gar zur Lösung eines Bewegungsproblems beiträgt, habe ich meine Arbeit erfolgreich getan.

Vielen Dank für Ihre Geduld … und gutes Gelingen weiterhin …




Eine erste Ode an die Un-Entschiedenheit: Glauben

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Glaubens, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit [1. Der antike Skeptiker Pyrrhon von Elis wendet die Unentschiedenheit in Form der Aoristie an und postulierte, dass die Dinge nicht unterscheidbar, unbeständig und damit nicht zu beurteilen seien. Daher dürfe man weder unseren Wahrnehmungen noch unseren Vorstellungen glauben, woraus die Pflicht entstünde, sich nicht zu entscheiden.] , der ich damit den Beginn einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an den Ansichten über den Glauben, die sich in Fragen äußern wie: Glaubst du an Gott? Welcher Glaubensgemeinschaft gehörst du an? Wie geht das zusammen, Zen-Meditation, Yoga und Christentum?



Zunächst einmal setzt die letzte Frage voraus, so scheint es zumindest, das bestimmte Formen des Glaubens und eine spirituellen Praxis immer nur in einem Gemeinschafts-Kontext gesehen werden können. Bei mir, der ich christlich aufgewachsen bin, Yoga unterrichte und übe, was allgemein mit dem Hinduismus zusammengebracht wird und im Zen-Stil meditiere, was allgemein, sprich in der Anschauung der Mehrheit eine buddhistische Praxis darstellt, würden so nahezu unkonvergente Grundanschauungen meiner Lebensbereiche mich permanent in Widersprüche verwickeln müssen. Das ist aber, so kann ich mit Bestimmtheit sagen, nicht der Fall.

Dem Christentum liegt grundsätzlich der Glaube zugrunde, das irgendwo da draußen außerhalb der Reichweite der Menschen sich ein Gott in der Transzendenz befinden müsse, der seinen Sohn als Mensch in unsere Welt geschickt habe, um unsere Sünden zu tilgen. Des Weiteren geistert der Heilige Geist allseits präsent durch unser Universum und beobachtet/berichtet (über) unser Tun und Handeln. Gott, Sohn und Heiliger Geist nehmen/haben also Einfluss aus der Transzendenz auf all unser Tun und richten darüber nach dem Tod. Jeder Mensch besitzt dazu eine persönliche Essenz, genannt Seele, die mit Gott in Verbindung stehend gedacht wird. Für mich stellt sich die Frage, warum es dann auf unserer Welt, die dem Glauben nach jetzt sündenfrei sein müsste, es nach wie vor so viel Gewalt, Krieg und Missgunst gibt. Bisher konnte ich mich keiner der reichlich kommunizierten Antworten anschließen, die sich in 2000 Jahren Geschichte an einer Erklärung versucht haben.

Nicht anders ist es mit dem Hinduismus, der ja mehr eine religiöse Sammelbewegung ist und der die Möglichkeit öffnet, jedem seinen ganz eigenen und für sich passende Gottesvorstellung zu wählen. Im Yoga heißt das, einen Persönlichen Gott zu haben. Die Gemeinschaft beruht mehr auf den Grundsätzen, die sich auf die Lehren der Upanishaden beziehungsweise auf Epen wie das Mahabharata beziehen. In diesen wird eine Gründung des Menschen auf Atman, eine persönliche Essenz des Geistes gesetzt, die mit der Essenz alles Menschlichen, dem Brahman in Verbindung steht. Durch das Menschsein ist dieser Atman dem Karma unterworfen, was soviel bedeutet wie das alle Handlungen des Menschen sich in gute oder schlechte Anhaftungen ausgestalten. Diese werden in diesem oder weiteren Leben abzuarbeiten sein und gestalten sozusagen dieses neue Leben nach der Wiedergeburt. Nun können wir dieses bisher nur glauben, nicht aber wissen oder nachvollziehen. Allerdings halte ich viele Annahmen oder Setzungen in den Lehren für so außergewöhnlich, das ich daran zweifle, das eine solche Konstruktion irgendwie auch nur annähernd die Wirklichkeit darzustellen vermag.

Schaut man sich den Buddhismus von seiner Gründung her an, so ist der Buddhismus auf zwei grundlegende Annahmen aufgebaut. Da ist zunächst einmal die Annahme, das es keinen Atman oder keine Seele gibt (anatman = Nicht-Selbst), was nichts anderes bedeutet als das sich nichts persönliches mehr in der auch hier angenommenen Wiedergeburt wiederfinden lässt. Die zweite Grundannahme ist die, das der Buddhismus sich darauf beschränkt, die Menschheit von Leiden jeglicher Art zu befreien. Was bedeuten diese Aussagen? Es gibt keinen Gott und kein persönliches Selbst (Seele, Atman). Ohne etwas grundlegend Festes, Ewiges, ist daher alles bedingt, also endlich, sterblich oder vergänglich. Daher wird, um der Sprache Genüge zu tun, das Gründende entweder als leer gedacht oder als eine Leerheit angenommen. Dann bringt der Buddhismus in seiner Eigenansicht nicht zwangsläufig den Frieden oder das Gute in die Welt, sondern befreit nur vom Leiden, und leiden tun Menschen in der Regel an ihren Ängsten, Sorgen, Nöten und falschen Vorstellungen. Die letzten werden oft als Gier, Hass und Verblendung angesehen. Im vollendeten Buddhismus bleibt der Arme also arm, der Reiche reich und der Kluge bleibt klug, aber alle Drei leiden nicht mehr. Gerechtigkeit spielt hier keine Rolle. Und aus der Abwesenheit vom Leiden entsteht eine ganz andere Gemeinschaft als die, die wir bisher kennenlernen konnten. In meinem Verständnis ignoriert der Buddhismus aber letztlich die Beobachtung, das sich Gemeinschaften immer werden organisieren müssen, das Organisationen aber immer Machtausübung und Kontrollmechanismen aufbauen und so immerzu das entsteht, was sich heute Korruption nennt, was wiederum die Grundlage bildet für Gier, Hass und Verblendung. Ich sehe hier, auf eine größere Allgemeinheit bezogen, einen Kreislauf, der sich nicht stoppen lassen wird. Somit funktioniert der Buddhismus nur in einem persönlichen Allein-Sein-Können. Dazu aber fehlt uns auf der Erde mit acht Mrd. Menschen sowohl der Raum als auch die Ressourcen.

Somit sind in den drei Weltsichten, mit denen ich Berührungspunkte habe, immerzu bedeutende Frage offen geblieben. Was aber spricht dagegen, sich eben keiner Glaubensgemeinschaft anzuschließen. Gott, Atman, Selbst und Leerheit, wozu brauchen wir das? Ist es nicht genug, festzustellen, das wir leben und darauf angewiesen sind, diesen Planeten mit allen Bewohnern zu teilen, ihn zu erhalten und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Das Beste ist doch wohl, ihn so zu lassen wie er sich in vielen Mio. Jahren selbst entwickelt hat. Ich habe auch einsehen müssen, das es Gerechtigkeit so nicht gibt. Diese Welt ist nicht auf Gerechtigkeit aufgebaut, sondern auf Funktionalität. Alle Substanz und Wesen stehen in Abhängigkeit zueinander. Auf keines/keinen kann verzichtet werden und keines/keiner ist unwichtig. Wir Menschen wissen nicht wirklich viel über das, was uns begründet, im Grunde wissen wir, wenn wir ehrlich sind, sogar gar nichts darüber. Wir sprechen zwar von einer Seele, einem Atman oder deren Abwesenheiten, und wissen doch nichts darüber. Mir hat das irgendwann zu denken gegeben, und ich habe für mich beschlossen, unentschieden zu bleiben in dieser Frage. Ich sehe jeden Tag, das Menschen sich in Weltsichten und Glauben flüchten, weil sie die offenen Fragen fürchten und Angst haben, etwas unwiderruflich falsch zu machen. Das ändert sich auch in der Unentschiedenheit nicht wesentlich. Aber als Unentschiedener gehöre ich keiner Organisation an, bin weder verpflichtet noch gebunden, sondern frei von Vorentscheidungen. Ich kann heute hier, morgen dort und überhaupt …, wann und wie immer ich will in der Welt sein. Ich denke, dass das der Freiheit, die wir doch so verehren, deutlich näher kommt als wenn ich mich entscheide, das Eine anzunehmen und auf alles andere zu verzichten. Allerdings, in der Unentschiedenheit ist der Mensch oft allein und meist auf sich selbst gestellt. Aber, ernsthaft betrachtet, ist Allein-Sein nicht allgegenwärtig, auch für den , der sich bereits entschieden hat.

Und was für den Glauben gilt, gilt auch in den anderen am Anfang genannten Themenbereichen. [3. Darüber werde ich ebenfalls bald etwas zu Bits bringen…] Sich im Entweder-Oder aufzuhalten ist durch die Angst begründet, ganz allein (da) zu sein. Daher schließen sich Menschen Gruppen, Organisationen und Staaten einschließlich deren Regeln an. Diese Angst selbst aber ist unbegründet. Jeder für sich ist allein. Jeder auf der Welt ist aber gleichzeitig in Gemeinschaft mit anderen. Das erstere schließt das andere doch nicht aus, sondern beide sind auf polare Weise miteinander verknüpft. Daher stehe ich zu Unentschiedenheit als Glaubensinhalt. Sie ist im obigen Fall nicht Nicht-Glauben, also Atheismus, bitte das nicht verwechseln. Ich behaupte weder einen Glauben noch streite ich ihn ab. Ich bleibe offen… Das ist genau betrachtet eine Haltung, die ohne Angriffs- oder Abwehrflächen zu haben auskommt, daher ist sie äußerst flexibel, denn sie hält offen, was bis zur Gewissheit offen bleiben sollte. Das Leben und die Gemeinschaft mit anderen gestaltet sich meiner Erfahrung nach einfacher auf diese Weise.




Wie übe ich richtig Yoga (am Beispiel der Vorwärtsbeuge)

Yogas ist heute wieder, trotz Pandemie und Kontaktbeschränkungen, in aller Munde. Wer im Netz oder Zeitungen und Magazinen unterwegs ist, also viel liest, wird immer wieder auf gut gemeinte Artikel stoßen, die Yogaübungen und -praktiken unter Faszien-Training, Therapie, Schmerztherapie oder Vorsorgemaßnahme anpreisen und dabei auf Bildern und Filmen die altbekannten Yoga-Asanas (Übungen) zeigen.



Das ist gut, fein und besser als gar keine Yoga-Praxis zu proklamieren. Aber, und dieses „aber“ ist wichtig, Yoga macht man nicht nur damit, das man die Posen einnimmt, denn diese Posen sind sozusagen erst das Eintrittstor in den Yogaraum. Nehmen wir einfach mal als Beispiel eine einfache, viel gesehene und geübte Yoga-Pose, die einfache Vorwärtsbeuge im Stehen. Was sehen wir auf den Bildern, oder, wenn Sie zu zweit üben, bei Ihrem Partner?

  • Die Füße stehen zusammen, Knöchel an Knöchel? Das stimmt nur für wenige Menschen, denn die Füße sollten, wenn sie funktional agieren sollen, so weit auseinander stehen, wie die knöcherne Hüfte breit ist. Stehen die Füße enger, wird oft das Gleichgewicht-Halten schwierig und man muss Muskulatur anspannen, um nicht umzufallen. Und die Füße stehen, jeder für sich auf drei Punkten, dem Großzehenballen, leicht auf dem Kleinzehenballen und der Ferse. Und dazwischen befindet sich ein sich selbst aufrichtendes und spürbares Fußgewölbe.
  • Dann sollen die Beine gestreckt und aufrecht gehalten werden! Nun können Beine ja auch überstreckt werden. Sie können aber auch gebeugt gehalten werden. Und aufrecht heißt doch, das die Linie der Rückseite gerade steht wie die Wand in einem Zimmer. Ist das im Spiegel oder der Wahrnehmung ihres Partners gegeben. Viele werden feststellen, das die Bedingungen nicht so sind wie sie das vermuten. Und jetzt versuchen sie, diese Bedingungen zu schaffen, in dem sie die Beine strecken und die Rücklinie anzupassen versuchen. Nur, und das ist wichtig, werden sie dazu gerade die Muskulatur verwenden, die sie entspannen müssten, um die ideale Haltung zu bekommen. Sie machen also gerade die Muskulatur fest, die sie lockern wollen. Und so schließt sich die Tür zum Yoga und sie sind ins Krafttraining, genauer gesagt in isometrische Übungen gefallen. Besser wäre es doch, die Muskulatur, die die Beine eben nicht sich strecken lassen, in Ruhe zu lassen und zum Beispiel von den Füßen oder vom Gesäß her zu arbeiten. Dafür aber dürfen die Muskel- und Faszienketten nicht blockiert sein, die das zu tun vermögen. Das ist aber oftmals nicht der Fall. Also müssen doch erst einmal die Blockaden entfernt werden. Aber wie geht das?
  • Blockaden können entfernt werden, wenn Muskeln und Gewebe wie Faszien, Sehnen und Bindegewebe wieder einen so großen Bewegungsspielraum haben, wie das zum Beispiel in der Medizin (Orthopädie) als normal-beweglich ausgewiesen ist. In der VWB ist eine normal Beweglichkeit dann gegeben, wenn wir bei der sitzenden Version dieser Übung bei gestreckten Beinen mit den Langfingergrundgelenken die Zehen erreichen können. Bei der stehenden Version, die ich hier bespreche, sollten zumindest die Fingerspitzen den Boden berühren können, ohne sich anstrengen zu müssen. Weiter unten zähle ich die Übungen auf, die zumindest in Fachbüchern, die für den Breitensport bestimmt sind, als solche ausgewiesen werden.
  • Dann gibt es noch im mittleren bzw. oberen Rücken die Möglichkeit, sich durch eine buckelnde Bewegung mit gebeugten Rücken nach vorne zu schaffen. Aber diese Maßnahme wirkt nur bedingt, denn die runde gebeugte Wirbelsäule (WS) beugt sich nicht besonders weit und sehr schnell stockt der ganze Bewegungslauf und alle Muskeln machen dicht, fangen an zu blockieren. Und sie tun das dann über die bereits erwähnten Faszien- und Muskelketten. Wir brauchen also einen weitestgehenden geraden Rücken, um über die Vorwärtsbeuge die langen Muskelketten an den Beinrückseiten, am unteren Rücken und entlang der WS bis zum Hals/Nacken hinauf zu öffnen. Und öffnen heißt hier, so zu arbeiten, das keine Blockaden entstehen können und bereits etablierte Blockaden sich lösen.
  • Dann haben wir in der Beuge der Vorwärtsbewegung im Bauch eine große Muskelplatte, deren Aufgabe es ist, die Organe an ihrem Platz zu halten. Da sie einer fortgeschrittenen Beuge in Wege ist, muss sie entspannt und nach innen zur WS hin zurückgenommen werden, um Platz zu schaffen. Nun kann sie nicht permanent mit Kraft zurückgehalten werden, weil über die Verbindungen auch andere Muskel- und Gewebepartien in die Anspannung folgen. Wenn ich aber über die große Kette im Ansatz der Beuge, also bei etwa 45° über gestreckten Beinen das Gesäß etwas anzuheben versuche, wird der entspannte Bauch wie von Zauberhand in die gewünschte Form gebracht und die Beuge geht, der Schwerkraft folgend, tief und leicht nach unten.
  • Und dann haben wir ja auch noch Hals, Nacken und den schweren Kopf. Gehe ich mit soweit als möglich geradem Rücken nach vorne, wird der Kopf nach unten fallen und Hals und Nacken in eine Enge ziehen, was sich nicht nur schräg anfühlt, sondern auch die Übung der Vorwärtsbeuge (VWB) behindert. Also muss der Kopf an der richtigen Stelle gehalten oder verankert werden. Dazu ist ein fundiertes Wissen darüber notwendig, wie das geschehen kann. Vereinfacht geschrieben wird dazu das Kinn etwas näher am Kehlkopf gehalten und der Nacken etwas entgegen der Beugerichtung sanft aufgerichtet. Kopf und Rumpf beugen sich nach vorne, der Nacken aber geht leicht in die Gegenrichtung. Das Ganze nennt man im Yoga Bandha, Verschluss oder Siegel. Den genauen Ablauf kann man nur in der Arbeit mit einem ausgebildeten Lehrer erarbeiten. Die individuellen Unterschiede bei Teilnehmern sind zu groß, um hier ein für alle gültigen Ablauf beschreiben zu können.
  • Dann haben wir noch Arme, die mit ausgebreiteten Händen auf dem Boden stehen. Diese sollen, das Bild erscheint eindeutig, den Körper nicht am Fallen durch die Schwerkraft hindern. Sie dienen lediglich dazu, die Schlüsselbeinregionen daran zu hindern, über den Hals in die Enge zu fallen. Auch das würde die VWB behindern, und das schon durch das Gefühl am Hals, wie abgeschnitten zu sein. Wir stützen also nur die Schultern samt Schlüsselbeinen, aber nicht den Rumpf mit unseren Armen ab. Geht der Rumpf tiefer, müssen aber auch die Schlüsselbeine tiefer gehalten werden. Wird die Beuge tiefer, müssen die Arme gebeugt werden, denn sie sind dann zu lang. Dafür gehen die Hände außen an den Füßen vorbei nach hinten. Ein gutes Maß, wie das geschehen kann, stellt die Ausrichtung der Unterarme dar. Sie stehen stets nach allen Richtungen senkrecht zum Boden und stützen nur die Schlüsselbeinregionen so ab, das keine Enge am Hals entstehen kann.



So, und jetzt, wenn alle diese Vorbedingungen erfüllt sind, stehen wir in der Grundhaltung der VWB und die Arbeit des Yoga kann beginnen. Jetzt erst haben wir den Eingang, von dem am Anfang des Artikels die Rede war, erreicht. Jetzt beginnt Yoga.
Aus der optimal ausgerichteten Pose wird jetzt eine Haltung. Diese versucht zunächst einmal, alle noch vorhandenen Spannungen zu lösen. Dabei wird die Haltung so locker und leicht, das wir spüren, wie der Körper auf den wenigen Punkten, die das Hauptgewicht tragen, ausbalanciert werden muss. Diese Balance-Bewegungen gehen unregelmäßig und sind nur bei absoluter Stille der Haltung zu spüren. Je länger wir in der Haltung verweilen, desto mehr überflüssige Haltearbeit kann von uns bemerkt werden. Und dann beginnt das Lösen dieser unseligen Spannungen, die wir in der Alltagssprache gerne Verspannungen nennen. Wir alle haben viele davon, und sie entstehen immer wieder neu. Yoga in der Arbeit mit dem Körper ist, diese immer wieder aufzuspüren und zu lösen. Hilfreich dabei sein können ganz sanft und superkleine Bewegungen an den Rändern der detektierten Spannung. Wenn sie aufgelöst sind, wird die WS vom Becken aus wie ein dicker Strick gerade zum Boden herunterhängen. Der Kopf kommt dabei den Füßen sehr nahe und je nach Körperbau stehen dann die Hände komplett hinter oder neben den Füßen auf dem Boden mit ausgebreiteter Hand.

Nach diesem Ausflug in die kleinteiligen Details einer Asana (Haltung) komme ich zurück zum Yoga im Allgemeinen. Jede Asana hat genau betrachtet wie die VWB eine große Anzahl von Motiven, Einrichtungen, Korrekturen und Intensionen, die für ein wirkungsvolles Yoga in die Haltung einfließen können und sollen. Wie bereits angemerkt, ist das Lösen überflüssiger und schädlicher Spannung das Hauptmotiv in der Arbeit mit Asana. Genau betrachtet haben wir also beim Einnehmen einer Asana drei Stufen zu bewältigen. Diese sind:

  • Die Bewegung in die Grundpose hinein, welche durchaus einige spezielle Bewegungen erfordern kann, wie in der VWB gezeigt (Bauch zurücknehmen).
  • Die Korrektur der eingenommenen Pose mit dem Wissen, über das wir bereits durch Erfahrung oder Korrektur durch einen Lehrer verfügen.
  • Das Verweilen und Lösen des überflüssigen Ballastes.
  • Das Verweilen in der Stille (Bewegung, Atem und Gedanken).

Weiter oben hatte ich Übungen erwähnt, mit der in der Orthopädie eine Beweglichkeitsprüfung durchgeführt werden kann. Aufgezählt sind hier aber nur Übungen, die jeder für sich allein und ohne Hilfe von Therapeuten und Gerätschaften durchführen kann. Ich persönlich halte diese Vorbedingung für verbindlich, wenn auch für Übende im Alter von 60+ durchaus leichte Abstriche gemacht werden sollten. Und ich muss zusätzlich für meinen Yoga-Unterricht erwähnen, das sich ohne diese Normalbeweglichkeit Yoga nur sehr eingeschränkt üben lässt. Ich betrachte also meinen Unterricht bei Einsteigern und Neuzugängen zunächst einmal unter dem Aspekt, ob Normalität vorliegt oder erst zurückgewonnen werden muss und gehe dann erst in die energetischen Feinheiten, wenn die Voraussetzungen dafür zumindest annähernd erreicht sind.

Die Übung sind:

  1. Nackenmuskulatur
    Kopfbeuge nach vorne: Der Kopf kann mit den Händen soweit nach vorne geführt werden, das die Kinnspitze das Brustbein erreicht.
  2. Lendenbereich und Kniebeuger
    Die sitzende VWB: Bei gestreckten Beinen können die Zehen mit den Langfingergrundgelenken erreicht werden.
  3. Lendenwirbelsäule und Archillessehne Die sitzende Hocke kann eingenommen werden mit vollem Bodenkontakt beider Füße.
  4. Beugeseitige Schultermuskulatur
    Die Langfinger beider Hände können sich hinter den Rücken berühren, wenn ein Arm von unten und der andere über die Schulter hinter den Rücken geführt werden.
  5. Oberschenkelstrecker
    Im einbeinigen Stand, gebeugtem Knie und der Berührung der Ferse zum Gesäß sollten beide Knie direkt nebeneinander stehen können.
  6. Hüftbeuger
    In der Bauchlage kann der Oberschenkel eines Beines vom Boden angehoben werden. Bei Hilfestellung durch einen Partner solle das Knie locker eine Handbreit Abstand zum Boden erhalten.



Kommen wir jetzt zu einigen Grundsätzen, mit denen Yoga in der Regel arbeitet.

  1. Da ist zunächst einmal der zeitliche Ablauf oder die Art und Weise, wie man an die Grenze seiner Beweglichkeit herangeht. Um den Schutzmechanismus (Antistreckreflex) eines zu öffnenden Muskels zu umgehen, gehen wir stets langsam, ruhig und hochkonzentriert an die Haltung heran. Das heißt im Besonderen, das übertriebene Kraftanstrengungen (z.B: Mit den Händen in die VWB ziehen), Schleuderbewegungen (z.B.: Heftiges und schnelles Armkreisen), Wippbewegungen (z.B.: Schmetterling mit Wippen der Beine) und Ausweichmöglichkeiten zu nutzen (z.B.: Bei Rückbeugen nur den unteren Rücken zu beugen) nicht den Vorgaben für Yoga folgen und daher vermieden werden müssen.
  2. Ein weiteres Motiv ist darin gegeben, das wir stets an der Grenze unserer Beweglichkeit arbeiten. Das ist dort, wo sich eine spürbare Streckung bereits deutlich wahrnehmen lässt, aber die Grenze zum Schmerz noch nicht angekratzt ist. Durch die Wahrnehmung des Zuges auf Muskeln, Sehnen und Bänder lernen wir nicht nur unseren Körper kennen, sondern sorgen auch dafür, das der Körper reagiert und mehr Bewegungsraum zur Verfügung stellt. Weiterhin werden die Muskeln dazu befähigt mehr Energie aufzunehmen, zu tragen und zu verarbeiten, was durch größere Beweglichkeit, mehr Kraft und Ausdauer belohnt wird. Die höhere Beweglichkeit vermeidet oder lindert Krankheiten wie Rheuma, Arteriosklerose und die Ablagerung von Kalk (z.B.: Kalkschulter). Kraft und Ausdauer sprechen eigentlich für sich. Sie sorgen medizinisch gesehen für einen ausgewogenen Blutdruck, entlasten das Herz und erhöhen die Leistung beim Gehen und/oder Treppensteigen.
  3. Während die erstgenannten Motive für den Breitensport und ein durchaus fortgeschrittenes Alter der Teilnehmer gelten sollten, sind für geübte und trainierte Sportler und jüngere Menschen durchaus weiterführende Möglichkeiten, in Yoga zu arbeiten, gegeben. Hier bilden aber die Anforderungen des ausgeübten Sportarten sowie der Allgemeinzustand des Übenden sind dann die Ausgangslage für Erläuterungen. Diese sind vielfältig und müssen einzeln, besser gesagt individuelll abgestimmt werden. Eine junge Turnerin sollte hier anders eingestellt werden als zum Beispiel ein Tennisspieler oder eine Fußballerin. Von daher gehe ich hier an dieser Stelle nicht weiter in Details.

Die vorangestellten Seiten und Erläuterungen sind nur ein winzig kleiner Teil, der bei eine intensiven Nutzung von Yoga von Bedeutung ist. Sie dienen dazu, die immer selben Erläuterungen innerhalb der Übungsstunden zu vermeiden und so Raum zu schaffen für weitere nützliche Tips und Tricks. Das gesamte Kompendium, das über Yoga gesagt werden könnte, füllt mehrere Bücher. Stück für Stück wird das alles, wenn die Zeit reif ist, in den Yoga-Unterricht einfließen.

Der vorliegende Artikel beschreibt die grundlegenden Anforderungen, die ein Neueinsteiger beim Besuch einer Yoga-Übungsstunde berücksichtigen sollte. Nicht immer kann der Übungsleiter oder Lehrer diese allgemeinen Motive erläutern, da in Gruppen sonst sehr viel Zeit mit diesen grundlegenden Fragen verbracht werden müsste.

Ich wünsche allen Übenden viel Spaß und ein gutes und erfolgreiches Gelingen ihrer Yogapraxis!




Yoga – Versuch einer traditionsfreieren Sichtweise

Eine andere, etwas philosophischere Lebens-Sichtweise auf die Körper-, Atem- und Meditationsarbeit mit Yoga. Was Yoga und die Essenz der anderen Praktiken heute ist und sein kann, sein soll und wie die Übungen gesehen, praktiziert und verstanden werden können ist in unzähligen Büchern, Schriften und Veröffentlichungen mehr als überdeutlich belegt. Wie nimmt man zum Beispiel Asanas wie Drehsitz oder Kopfstand ein, welche Körperpartien werden dabei bearbeitet, welches Energiegefüge wird dabei angesprochen und was sind die überwiegend positiven Wirkungen der Übung ist in vielfältigen Quellen mehr als ausführlich dargelegt und braucht keine weiteren Versuche.



Es gibt zwar immer wieder kleine Neuerungen, aber in Großen und Ganzen gesehen ist die Arbeit des Beschreibens weitestgehend getan. Gut, es gibt immer wieder neue, warnende Hinweise, die Übungen nicht zu übertreiben, nicht alle einfach so anzunehmen und diverse Vorsichtsmaßnahmen, besonders für Menschen mit den üblichen Zivilisationsleiden [1. Bluthochdruck, Rückenleiden, Gefäßerkrankungen, Herzschwächen, Übergewicht, Diabetes, usw.] zu beachten. Weiterhin werden immer mehr Verknüpfungen vorgenommen, die aus unterschiedlichen Traditionen stammende Übungen, Motive und Praktiken zusammenfügen [2. Tao-Yoga, Hormon-Yoga, Thai-Yoga] und die Möglichkeiten, etwas für sich selbst zu tun, immer stärker erweitern. Und ich möchte diese Trends auch gar nicht angreifen oder relativieren, auch wenn ich für mich persönlich nicht alle Kombinationen für sinnvoll erachte. Im Gegenteil, ich bin froh darüber, das immer mehr Menschen erkennen, das körperliche, geistige und seelische Gesundheit einen großen Wert besitzen. Ich möchte auch niemanden davon abhalten, sich einer der genannten Praktiken zu verschreiben. Allerdings muss ich der Möglichkeit warnen, die immer vielfältigeren Praktiken wie Romane zu konsumieren und regelrecht in ein Stil-Hopping zu verfallen, anstatt sich einer einzigen Praxis anzunehmen, sich darin immer mehr zu verfeinern und zu wachsen. Es geht nicht um Masse und das übliche „immer mehr Desselben“, sondern dem Gedanken, das man immer nur einem Weg zielführend folgen kann. Diverse Wegkreuzungen und Gabelungen gibt es im Yoga immer mehr, und im Versuch, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, bleibt der Übende beim Hopping im Grunde in einem permanenten Anfängerdasein gefangen. Nun ist es schon gut sich viele Stile anzuschauen, aber das kann und darf in meiner Überzeugung nicht in einem stetigen Wechsel der Praxis-Grundlagen enden. Ich habe mir selbst auch viele Stile angesehen, habe einige Lehrer konsultiert und mit Fragen genervt, aber diese Neigung hat nie dazu geführt, den Weg zu verlassen, zu dem ich mich entschlossen hatte. Ich war und bin heute immer noch der Ansicht, das Neugierde eine gute Eigenschaft des Menschen ist und daher auch im Yoga seinen Platz hat. Und ich möchte im folgenden den Versuch wagen zu erklären, wie ich das heute, nach 30 Jahren Praxis, noch immer sehe.

Zunächst einmal sei grundsätzlich gesagt, das es für mich im Yoga mehr um „Sein“ geht und nicht so sehr um „Haben“. Das führt dazu, das ich auf der einen Seite nicht alles wissen muss, was über Yoga und seine Intensionen gesagt, geschrieben und berichtet wird. Ich muss auch nicht alle Muskeln kennen, die eine Asana anspricht, nicht alle Wirkungen auf Organe und Psyche kennen, alles verstehen und darüber auch noch dozieren können. Das alles ist das, was mehr zur Kategorie Haben gehört. Auf der anderen Seite geht es, obwohl Yoga im Unterricht, besonders für mich als Lehrer, nicht ganz ohne Haben-Inhalte zu präsentieren geht, tatsächlich viel mehr um Erleben und Erkennen in der Praxis. Und die Aufgabe als Lehrer ist es, seine Teilnehmer im Unterricht dorthin zu führen, wo erleben, erkennen und wahrnehmen möglich ist. Das ist nicht immer einfach, nicht immer nach Vorgaben zu erreichen und bedarf viel Ausdauer und Geduld auf beiden Seiten. Zum einen muss der Lehrer die notwendige Zeit erhalten, um seine Teilnehmer einschätzen zu können und das notwendige Vertrauen aufzubauen, zum anderen muss der Teilnehmer dem Lehrer das Kennenlernen ermöglichen und warten können, bis der Vertrauenspegel die notwendige Stärke erreicht hat. Nur unter Bedingungen des Vertrauens können Lehrer und Teilnehmer eine für beide Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit bewirken.



Und eine weitere Schwierigkeit tritt auf, wenn man mit Yoga beginnt: Yoga beginnt dort, wo der/die Übende in der eingenommenen Haltung, ob vollständige Asana oder Vorübung ist dabei unerheblich, entspannen kann. Mit Entspannung ist hier gemeint, den Körper in seiner Gesamtheit aus jeglichen unnötigen Spannungen zu befreien. Gerne wird das mit dem Wort „loslassen“ eingefordert. Dazu muss man wissen, das eine Haltung, und Asana ist Haltung, immer irgendwo gehalten werden muss. Selbst das Stehen in Tadasana, ja sogar das Liegen in Shavasana benötigt hier und da im Körper eine Haltespannung, sonst fällt der Körper aus der sicheren Haltung heraus und/oder bedroht sogar seine lebenswichtigen Funktionen wie Atmung und Kreislauf. Schon in der Hatha-Yoga-Pradipika ist diese Bedingung beschrieben. Das bedeutet, das die/der Übende unterscheiden können muss, was notwendig ist und was überflüssig zu sein scheint. Hier kann der Lehrer nur bedingt helfen und muss den Aussagen seiner Teilnehmer vertrauen können. Nach der Entspannung des Körpers in besagter Weise folgt nach der Pradipika das Einrichten und anschließende Loslassens des Atems. Darauf erfolgt dann nach einer Gewöhnungszeit die Stille des Geistes, was zu den Yoga-Stufen 5-8 die Zugänge öffnen wird. So sieht der Weg des Yoga ungefähr aus, wie er in den Schriften von alters her beschrieben wird. Rekapitulieren wir, was als Einstiegsbedingung für den Yogaweg gefordert wurde und auch heute noch erforderlich ist:

  • Die größtmögliche Entspannung des Körpers in Asana, …
  • … gefolgt von einem eingerichteten und losgelassenem Atem und …
  • … der darauf folgende Stille des Geistes, die zur Meditation den Zugang öffnet.
  • Meditatives Verweilen in Asana öffnet somit die Wirkungen des Yoga.

Und an dieser Stelle beginnt Yoga erst zu einem Weg zu werden. Davor werden lediglich die Grundbedingungen geschaffen. Das Yogaübungen auch ohne das Betreten des Weges begangen werden, hier und da Fehlhaltungen beseitigen können und der Gesundheit ganz generell dienlich sind, steht damit nicht in Frage. Aber seine wirklich Pracht entfaltet Yoga erst nach Erreichen der genannten Bedingungen. Was sind die Wirkungen, was entfaltet sich dann in der Übung? Nun ist das so einfach und leicht nicht zu beschreiben. Nahezu alle Schriften verweisen darauf, das die geheimen Wirkungen nicht preisgegeben werden sollen, denn sie können den unvorbereiteten Menschen nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern sogar schädigen. Nun sind nicht alle Wirkungen Siddhis, wie die geheimen Fähigkeiten im Yoga genannt werden. Einige der wenige spektakulären Wirkungen sind durchaus beschreibbar.

Beginnen wir zunächst einmal, den übenden Menschen unter genannten Vorbedingen zu beschreiben. Nehmen wir dazu als Asana einen Menschen im Drehsitz. Mit einer ausreichenden körperlichen Beweglichkeit [3. Auch ein sinnvoll verwendetes Hilfsmittel wie ein Gurt kann die Haltung vervollständigen. Besonders korpulente Menschen können die Bindung des Drehsitzes mit den Armen nur selten bewerkstelligen.] ist der Drehsitz für den Übenden nahezu mühelos. Bei gelungener Bindung ist lediglich für den aufrecht gehaltenen Kopf etwas Spannung nötig. Die Atmung kann mühelos ihre Bahnen ziehen und der Sitz an sich ist vollständig eingebettet, so das die Teile des Körpers wie im Aufbau einer Pyramide ein festes, mühe- und reglos gestaltetes Sitzen ermöglichen. Und dann alles unnötige entfernen und für eine Minute lang Stille aufkommen lassen: Ein Genuss ohne gleichen. So oder ähnlich können nahezu alle Asana praktiziert werden, auch Gleichgewichtsübungen und Haltungen, die hier und da einen Krafteinsatz fordern. Das Zuviel entfernen ist loslassen, den Atem einrichten und ziehen lassen und dann die Stille des Geistes genießen, so erfolgt der Weg des Yoga in der Körperübung. Ähnlich, allerdings im Detail den Haltungen angepasst erfolgt auch Pranayama (Atemübung) und Meditation. Immer ist eine Haltung zu stehen, sitzen oder liegen, immer ist zu atmen, immer ist Ruhe zu halten im Geist. Und so geübt werden die Wirkungen des Yoga sich entfalten.



Nun werde ich nicht die besonderen übermenschlichen Fähigkeiten beschreiben, die verschiedene Autoren dem erfolgreichen Yoga zuschreiben. Das ist, ich hatte es erwähnt, nicht sinnvoll. Aber ich kann über Wirkungen berichten, die sich ergeben können, wenn Menschen mit Defiziten beginnen mit Yoga zu arbeiten. Und seien wir ehrlich: Defizite haben wir in Europa alle, seien es körperliche, organische oder psychische. Stress, falsche Ernährung, Überlastung, falsche Vorstellungen und überzogene Wünsche seien hier beispielhaft genannt. Und ich nehme mich selbst dabei nicht aus. Ich finde solche Defizite bei mir nahezu regelmäßig beim Üben auch noch nach 30 Jahren Yoga. Und das ist auch ganz normal, denn ich werde älter und kämpfe wie alle Menschen mit körperlichem Verschleiß, den Wirkungen schlechter Gewohnheiten und den Übeln der Überflussgesellschaft. Lassen wir das mal so stehen. Welche Wirkungen zeitigen das richtige Üben?

Jeder, der mit Yoga beginnt, es übt oder praktiziert, [4. …nicht „macht“, Yoga machen ist Unsinn, denn machen kann man nur etwas in einer materieller Umgebung. Der Mensch aber sollte als organisch aufgefasst werden…], wird in Sachen Beweglichkeit an seine Grenzen stoßen. Dann wäre es notwendig, den ein oder anderen Körperradius durch Dehnungen zu vergrößern. Nun habe ich festgestellt, das Dehnungen, zum Beispiel Richtung Grätsche, viel leichter von Statten gehen, wenn man im Modus „Loslassen, Entspannen und Still-Werden“ an der Grenze seiner Beweglichkeit verharrt, anstatt mit Kraft über die ungeliebte Schwelle hinauszustreben. Die Grenze der Beweglichkeit ist dort, wo man gerade noch ohne Anstrengung hin gelangt. Das heißt auch, das man diese Grenze spürt, was bedeutet, das man sie schon mal leicht zu überschreiten versucht haben muss. In der Dunkelheit erkennt man ein festes Möbelstück dann, wenn man dagegen stößt und seinen Widerstand erfährt. Und dann vermag das Möbelstück, gegen das wir uns im Loslassen lehnen können, uns in der Dunkelheit Sicherheit zu geben. In Asana ermöglicht uns die Grenze, die wir erfahren, in Sicherheit eingebettet zu sein, wodurch Entspannung möglich wird und die Übung die zur Zeit mögliche Wirkung zeitigt. Verharrt man dicht an der Grenze, wird der Körper versuchen, dort für künftige Begebenheiten Raum zu schaffen. Er tut das auf seine ganz eigene Art und Weise, und kein Wissen kann uns dabei nützlich sein. Es können Wochen vergehen, und nichts geschieht. Und dann plötzlich macht der Körper einen Sprung, und siehe da, der Radius hat sich über Nacht erweitert. Und er machte das ohne die schmerzhaften Begleiterscheinungen, die sportliche Dehnungen gewöhnlich so an sich haben. Der Körper hat sozusagen durch die ständige Wiederholung der Anforderung – an der Grenze verharren – diese aufgenommen, die Bedingungen für Erweiterung geschaffen und dann wirksam umgesetzt.

Eine andere Art von Wirkung können Yoga-Übungen erzeugen, wenn der Körper oder seine Teile von unseeligen Verspannungen durchzogen wird. Meist macht sich dieses Beschwernis dann als schmerzhafte Äußerung in dem einen oder anderen Muskel bemerkbar, den wir dann als „verspannt“ bezeichnen. Das aber greift meist deutlich zu kurz. Im Grunde ist nicht der schmerzhafte Muskel verspannt, sondern das ganze System Mensch leistet sich Verspannung. Wer an seine erste klassische Thai-Massage zurückdenkt, wird wissen, was damit gemeint ist. Wo der Massage-Therapeut damals bei mir alles Verspannungen zu finden vermochte, werde ich niemals vergessen. Das zog sich von der Fußsohle bis zum Nacken hinauf und es wurde eine sehr lange Stunde. Im Grunde ist, wenn Schmerzen irgendwo auftreten, zum Beispiel Knie, das ganze System Mensch in Unordnung. Und entsprechend genügt es nicht, nur das Knie zu bearbeiten. Wichtig sind auch alle direkten und indirekten Mit- und Gegenspieler in diesem Körper, der genau genommen mehr einem Netzwerk von Funktionen ähnelt als einer Ansammlung von nicht austauschbaren Teilen. Kommt ein Mensch mit schmerzendem Knie in eine Übungsstunde, bleibt meist das Knie selbst unbearbeitet. Zunächst einmal müssen seine Nachbarn geöffnet, entspannt werden, und die betroffene Nachbarschaft kann sehr weit gehen in einem Netz. Weiterhin ist der Schmerz gepeinigte Mensch auch psychisch betroffen, sei es durch genervt, sei es ungeduldig, sei es verbittert sein. Und auch diese Verspannungen müssen gelöst werden, bevor lindernde Wirkungen zustande kommen können. Beim Thema Knie kam in der Vergangenheit oft heraus, das das Knie wie auch der Geist nur das Opfer waren eines Täters, der in der Wade, im Oberschenkel, in der Fußsohle oder gar in der Hüfte seine Platz hat. Irgendwann spürt eine Übung den Täter auf, und siehe da, nach seiner Beruhigung verschwanden dann auch die Schmerzen im Knie. Und natürlich kann die Ursache, die einen Täter erst gemacht hat, auch in der Psyche gelegen haben. Grundsätzlich gilt, Schmerzen hat nicht ein Teil, sondern immer der ganze Mensch. Und somit muss auch der ganze Mensch Ziel einer Behandlung sein, im genanten Fall als Beispiel mit Therapie-Übungsstunden.



Die Stufen 5-8 des Patanjali-Yoga-Systems beschäftigen sich mit Meditation. Und auch wenn die bisher beschriebenen „Turnstunden“ nur ganz kurz Meditationseinheiten ermöglichen – Ich bleibe zur Zeit insgesamt 2 Minuten in jeder Asana – braucht es für Meditation in Sinne von Dhyana schon etwas längere Übungszeiten. In der Regel werden für eine Sitzung in Meditation etwas zwischen 20 und 30 Minuten angesetzt, und empfohlen werden zumindest zwei Sitzungen pro Tag. Das ist auch sinnvoll, denn zum Beispiel in den Lotushaltungen, die für die Meditation sicher die Besten aller Sitzhaltungen sind, sollten die Beinseiten schon gleichmäßig belastet werden. Kreuzbeinige Sitzhaltungen zeigen immer eine einseitige Belastung. Ein Bein liegt unten, ein Bein oben, und das führt bei längerer einseitiger Belastung zu Fehlhaltungen im Becken- und Hüftbereich, im Oberschenkel und im Knie bis zum Fuß hinunter. Irgendwann dann ist entspanntes Sitzen so nicht mehr möglich. Jede Sitzhaltung ist eine Asana, und zu deren Einrichtung, Haltung und Vorbedingungen gelten daher auch die bereits vorgestellten Aussagen. Und auch hier ist es oftmals notwendig, längere Zeit für der Ausformung der Sitzhaltung zu investieren. Die Stille der Gedanken im Geist ist nur möglich in einem entspannten Körper und in Begleitung eines ruhig und mühelos fließenden Atems. Die Stille des Geistes führt ohne unser Zutun zu Samadhi, der Versenkung. Das einmal zu erreichen ist der erste Meilenstein auf dem Weg der Meditation. Der zweite Meilenstein finden wir in der Aussage, Samadhi öfters zu erreichen oder sogar regelmäßig zu erfahren. Hier aber gehe ich jetzt nicht mehr weiter, denn ich sollte nur von Dingen schreiben, die ich auch durch bestätigte Erfahrung belegen und somit bezeugen kann. Weiter bin ich bisher nicht vorgedrungen.

Soweit zunächst einmal eine Beschreibung meiner Ansichten über die Praxis des Yoga, so wie ich es selbst praktiziere und auch unterrichte. Das die Wirkungen des Yoga wie gelesen nur erlebt, nicht aber erlernt werden kann, ist die Maxime der Weitergabe der Techniken immer Hilfe zur Selbsthilfe, oder anders formuliert ist es das Ziel der Weitergabe, zu regelmäßiger selbstständiger Praxis zu ermuntern. Und regelmäßig heißt täglich, und selbstständig heißt „allein für sich zu Hause“. Die Arbeit in der Gruppe und/oder mit einem Lehrer ist lediglich eine zusätzliche Ergänzung, die zu neuen Ideen und neuer Motivation beitragen kann. Allein zu Hause zu üben, ohne Anleitung, ohne Kritik, ohne fachliche Betreuung, ohne Lehrer, Guru oder Meister, bedarf in meinen Augen aber einer weltanschaulichen, philosophischen und ontologisch geschulten Basis, mit der der Übende aus der oftmals Schicksal-verliebten, Regel-hörigen, Traditions-verstrickten, oder mit anderen Worten gesagt dogmatisch verhärteten Sichtweise über Yoga und Körperarbeit auszusteigen vermag. Yoga als Praxis bedarf keiner Symbole, keiner besonderen Lebensweise, keinerlei Lifestil und auch keiner besonderen Atmosphäre, und das besonders dann nicht, wenn man allein zu Hause für sich übt. Es genügt eine rutschfeste Matte, ein ruhiges Umfeld und etwas Zeit. Mehr nicht!

Die Yogaschriften sind sehr alt, mindestens 1000 Jahre, und niemand weiß wirklich genau, wer dort alles geschrieben hat und welche Intention die Autoren verfolgt haben. Eindeutig und klar sind die Hintergründe wirklich nicht, und viele Beschreibungen und Verfahren muten uns heute etwas archaisch an. Besonders der in neueren Büchern stets rot bezeichnete Abschnitt der Pradipika zum Beispiel spricht dafür mehr als deutlich. Ich bin der Ansicht, das man die Zeit der Verfasser berücksichtigen muss, in der die Werke entstanden. Die Religion und Kultur spielen eine sehr große Rolle, die Vorstellungen über Körper, Krankheit und Auswirkungen des Todes (Wiedergeburt, Nirvana, Fegefeuer, Paradies) spielen Rollen, und viele möglich andere, aber weniger prägnante Vorstellungen sollten ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Dann ist Yoga und seine Übungen für Männer als Übende ausgelegt. Frauen spielten in den Kulturen der damaligen Zeit keine oder vielleicht nur eine sehr kleine Rolle, besonders in Indien. Summa sumarum erfolgt daraus die Schlussfolgerung, das die besagten Schriften heute nach und mit den bestehenden Kulturvoraussetzungen überarbeitet und neu ausgelegt werden müssen. Eine Arbeit, von der sich viele moderne Autoren gerne drücken. Yoga ist nach den Beschreibungen der alten Schriften aus heutiger Sicht mit vielen religiösen und spektakulären Facetten ausgelegt, ist voller Übertreibungen und ausgeschmückten Geschichten. Da finden sich oftmals Anweisungen, die nur geübte Fakire ausführen können, da wirken Wunderheiler und übermächtige Gurus, da werden übermenschliche Wundertaten wie Selbstverständlichkeiten gesehen und dem lesenden Publikum angedient. Nun findet man Solcherlei in allen Religionen und Kulturen, aber gerade Indien ist bekannt dafür, in Erzählungen gerne maßlos zu übertreiben. Wer sich weiterhin einmal die Krankheiten angesehen hat, die heute noch in auf klassische Schriften sich beziehenden Yogabüchern ausgewiesen werden, wird feststellen, das viele davon heute in der Volksgesundheit nahezu keine Rolle mehr spielen. Und wirklich wichtige Krankheiten heute, wie Übergewicht, Diabetis, Bluthochdruck, Krebs, MS, Alergien, Psychisch-Ausgebrannt-Sein (Burnout), fehlen dafür vollkommen. Nur orthopädische Leiden wie Rückenschmerzen, verkürzte oder verspannte Muskelpartien und die üblichen körperlichen Überlastungsstörungen durch zu viel und zu harte Arbeit ziehen sich durch von der Antike bis heute in nahezu allen Traditionen.



Was Yoga und eine mögliche Auslegung betrifft, sind aber nicht alle Inhalte der klassischen Schriften wo zuvor ausgewiesen für die Moderne nicht verwendbar. Interessant sind aber dann nicht die vielen Details, sondern viel mehr die Prinzipien, die dort beschrieben werden. So schreibt die Pradipika zum Beispiel, das ein entspannter Körper, ein sanfter natürlicher Atem und die Stille des Geistes eine hervorragende Ausgangslage bieten, um heilsame Veränderungen im Körper-Geist-(Seele)-System Mensch zu bewirken. Und das stimmt exakt und ist auf den Punkt getroffen. Ich will in den nachfolgenden Zeilen einmal versuchen, etwas näher auf solche Prinzipien einzugehen.

  • Zunächst einmal muss festgehalten werden, das ich als Mensch keinen Körper habe, sondern einer bin. Dann, wenn wir diese Beobachtung wahrnehmen, haben wir auch keine Schmerzen, keine Krankheiten, sondern wir sind diese Schmerzen und verursachen damit die Krankheit selbst. Unfälle, Vergiftungen und Gewaltanwendungen, die von außen an uns herangetragen werden, müssen dabei logischerweise unberücksichtigt bleiben.
  • Dann leben und denken wir ja sehr überzeugt in einer Ursache-Wirkung-Erzählung. Selten aber wird dabei berücksichtigt, das eine Wirkung auch zwei oder mehr Ursachen haben kann, das eine Ursache auch viele Wirkung haben kann, und das auch viele Ursachen für viele Wirkungen am Anfang stehen können. So eindeutig und klar, wie so manche Beschreibung das sieht, ist das Prinzip Kausalität daher leider nicht zu verstehen. Und allein schon die Tatsache, das es hoch entwickelte Kulturen gibt (China, Taoismus, Konfuzianismus), die vollkommen auf dieses Prinzip verzichten und trotzdem sich sehr hoch entwickeln konnten und das auch heute noch fortgesetzt tun, spricht dafür, diesem Prinzip nicht den Stellenwert einzuräumen, der ihm in der Philosophie europäischer Prägung zugestanden wird. Überhaupt hält die Suche nach den Ursachen eines Motivs selten einer Überprüfung auf Vollzähligkeit stand. Sehr oft wird in den Wissenschaften, selbst in der Medizin heutiger Prägung, das erste sich bietende Motiv als Ursache deklariert, angenommen und dann einer Behandlung unterzogen. Die oft zu hörenden Geschichten von Menschen, die monate- und jahrelang von Arzt zu Arzt, von Therapie zu Therapie irren, ohne wirkliche Hilfe zu bekommen, sprechen hier eine eindeutige Sprache. Und die vielen Irrtümer der Wissenschaften, von der Erde als Scheibe bis zur Ignoranz der Gefährlichkeit der Radioaktivität, die viele dieser auch heute noch nicht zuschreiben, gibt es Unmengen an Beispielen.
  • Weiterhin leben wir in einer Kultur, die Moralvorstellungen in der Form von Narrativen als ihre Basis betrachtet, die weniger die vielfältigen Möglichkeiten eines glücklichen Lebens in Sinne hat, sondern sich vielmehr ein Leben angefüllt mit Tugenden, Pflichten und Passionen vorstellt und dieses als grundlegend voraussetzt. Nur sind Passionen selten mit einem guten Leben vereinbar, Pflichten selten mit Erfüllung bedacht und Tugenden selten freudvoll. Wollen wir wirklich nur noch in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben, nur noch das Beste aus allem machen, oder ist nicht immer auch schon die Möglichkeit gegeben, einfach zufrieden zu sein mit dem, was ist.
  • Dazu kommt, das sehr viele Weltsichten und Religionen Europas und Indiens darauf ausgerichtet sind, einen möglichst guten Start ins Jenseits sprich Paradies zu erwirtschaften oder eine bessere Ausgangsbasis für die wie immer auch ausgestaltete Wiedergeburt zu erlangen. Das verlangt Opfer im hier und jetzt und auch das kann selten als frei und freudvoll angesehen werden. Das geht von einem Verzicht auf jegliche sinnliche Erfüllung bis zu einem zwanghaft aufgerichtetem Leben in Einsamkeit (Kloster) oder sogar unter Martyrien (wie Asketen im Hinduismus). Wer aber kennt die Antwort auf die Frage: Was passiert nach dem Ableben wirklich? Wiedergeburt, Paradies oder Hölle, die Unterwelt, Nirvana, Himmlische Freuden oder Höchstes Gericht? Warum leben wir nicht einfach unser Leben und lassen uns überraschen? Zu einfach?
  • Dann leben und denken wir seit mehr als 2000 Jahren einen Dualismus, der sich definiert als eine absolute Vorgabe der Widerspruchsfreiheit innerhalb einer Aussage. Das heißt, es gibt nur noch ein Entweder-Oder, und alles wird radikal reduziert auf zwei Möglichkeiten. Dabei übersehen werden meist drei weitere Möglichkeiten einer Entscheidung bei einer Wahl zwischen zweier Motiven: Da gibt es doch auch das Weder-Noch, da gibt es ein Sowohl-Als-Auch und es bieten sich sogar noch zwei weitere Lösungen an, die da heißen, Offenheit oder „Ich entscheide mich jetzt nicht…“ und die Skepsis, die da sagt „Die Frage ist falsch gestellt. Sie ist für mich daher so nicht relevant“. Und warum sollte es immer nur zwei Möglichkeiten geben. Vielleicht gibt es drei, vier oder unendlich viele Varianten. Warum hat man eigentlich mal Brainstorming erfunden? Damit alles auf Zwei reduziert bleibt, zwischen denen man sich entscheiden kann? Eigentlich Unsinn…



In meiner Vorstellung angesichts einer Absicht, Problemstellung, Entscheidung oder Zielvorgabe, die es zu erreichen, zu lösen oder zu entscheiden gilt, sollten alle Möglichkeiten erwogen oder abgeschätzt werden. Meist bleiben aus der Vielzahl dann sowieso nur wenige gängige und heilsam dienende Varianten bestehen. Selten sind es mal gerade Zwei oder gar nur eine Einzige. Oftmals werden dabei schnell Varianten in Betracht gezogen, die sich bereits bewährt haben in der eigenen Geschichte, die aus Erzählungen anderer bekannt geworden sind oder die eine große Sicherheit versprechen, um dann schnell darauf zu drängen, umgesetzt zu werden. Sie beginnen häufig mit „Man“. Bemerke ich diese Motive, reagiere ich vorsichtig. Was einmal oder mehrmals geklappt hat, kann und muss nicht beim nächsten Mal ebenfalls gelingen. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, die aber oft in der Hetze der Zeit vernachlässigt wird. Gerade in der Körperarbeit ist das häufig zu beobachten. Der Satz von 60 Asanas hat sich in 1000 Jahren immer wieder bewährt. Wir sollten ihn nicht ändern, und die Anweisungen des/der Lehrer unbedingt folgen, denn er/sie unterrichtet aus einer sehr alte Tradition. Leider kennen alte, sehr alte Traditionen keinen Acht-Stunden-Büro-Job mit Bildschirm und Tastatur. Auch gibt es in den alten Traditionen kein ADHS, keine Depressionen, kein Borderline-Syndrom und auch keinen Burnout. Auch waren Bewegungsmangel, Übergewicht und andere Hoch-Zivilisationskrankheiten in den alten Zeiten seltener zu beobachten. Dafür gab es andere Erschwernisse, die heute gar fast keine Rolle mehr spielen. Warum sollten daher die guten alten Yogaübungen dieser Zeit also gegen unsere schlechten Gewohnheiten helfen. Sicherlich gibt es im weit fortgeschrittenen Yoga-Milieu, besonders in den Meditationsanleitungen, gewisse Übereinstimmungen in allen Zeiten. Aber die körperlichen Voraussetzungen dazu sind auf jeden Fall verschieden. Ich plädiere daher auf jeden Fall für ein ganz besonders genaues Hinschauen, welche Yamas, Niyamas, Asanas, Pranayamas und Meditationen den neuen Anforderungen noch gerecht werden. Selten muss ja zum Beispiel bei Asana und Pranayama die ganze Übung verändert werden, es sind mehr die Intensität der Übung, die Intensionen und die kurzzeitigen Zielvorstellungen, die an die Moderne angepasst werden sollten. Die alten Yamas und Niyamas im besonderen berühren die philosophischen, ontologischen und gesellschaftlichen Zustände und Erfordernisse der heutigen Zeit in Mitteleuropa nur wenig. Dazu sind die Formulierungen für die Komplexität unserer Zivilisation zu oberflächlich und nicht differenziert genug.

Im Grunde kann und muss heute für das Üben von Yoga eine andere Grundausstattung an Vorbedingungen präsentiert werden. Das beginnt damit, das Yoga für ein Leben konzipiert werden sollte, das heute, hier und jetzt und in einer Lebenserwartungs-nahen Zukunft geschehen soll. Für eine Wiedergeburt vorzuarbeiten oder vorgegebenen Regeln zu folgen, die ein paradiesisches Weiterleben nach dem Tod ermöglichen könnten, wird unserer heutigen Erwartung ans Yoga nicht mehr oder nur noch selten gerecht. Fünf Erscheinungsbilder für Yoga können heute beobachtet werden:

  • Da gibt es Yoga als Freude an Sport und Bewegung.
  • Dann Yoga als Vorsorgepraxis bezüglich der körperlichen Gesundheit.
  • Dann wird Yoga als Therapieform verwendet, um Zivilationsbelastungen zu kurieren.
  • Dann gibt es Yoga als eine Steigerungsform im Selbstgestaltungsprozess. Das gilt sowohl für körperliche (z.B. Beweglichkeit) als auch mentale (z.B. Konzentration) und meditative (z.B. Bewusstseinserweiterung) Formen.
  • Weiterhin kann Yoga als spirituelles Narrativ (Wir Yogi(ni)s…) praktiziert werden.

Alle fünf Formen besitzen ihren Charme und gelten als sehr beliebt. Und sie haben ihre Berechtigungen. Trotzdem können eigentlich nur „die Freude an Bewegung“ und eine „Vorsorgepraxis“ den vollen Yoga-Ansprüchen genügen. Die Therapieformen benötigen Erweiterungen, zu nennen sind da bevorzugt Ayurveda, Thai-Massage und natürlich ärztliche Begleitung [1. Das ist schon aus rechtlicher Sicht unbedingt erforderlich.]. Als Selbstgestaltung-Praxis müsste geklärt werden, wo denn die Zielvorstellung derselben eigentlich liegen sollte. Wenn man sich in der Yoga-Literatur umschaut, gibt es dafür eigentlich nur Warnungen. Große Kundalini-Erfahrungen zum Beispiel gehen oftmals mit langwierigen körperlichen Krankheitsbildern einher, kleinere Energie-Erfahrungen lassen die Fragen offen, welcher Nutzen daraus abgeleitet werden kann. Nur langjährige Erfahrungen und intensive Übungspraxis könnten eine solide Grundlage dafür schaffen. Sicherheitshalber aber keine Energie-Erfahrungen mehr zu machen aber werden dem Yoga einfach auch nicht gerecht, da diese gebraucht würden, um seine Gestaltungsabsicht kontrollieren und leiten zu können. Die in den Schriften beschriebene yogische Meditationspraxis dann ist eine sehr eingeschränkte Form und lässt viele Motive unangesprochen. Hier sind zum Beispiel Zen und und die Zinn‘schen Stressreduktionsmethoden deutlich weiter. Und die Identifizierung mit der Gruppe, die das eigentliche Motiv der häufigen Identifikation mit der Yoga-Lehre ist, ist auch nur ein Narrativ unter vielen anderen. Nicht-Identifikation wäre eher statt dessen angesagt: „Ich lebe in Unabhängigkeit, Unbedingtheit und Freiheit“. Es sind ja gerade die Identifikationen mit irgendwelchen Vorstellungen, die das moderne Leben so belastend machen. Als Fazit bleiben nur „Freude an Bewegung“ und die Vorsorge als Motive übrig, die in der Breite der Gesellschaft praktiziert werden und als fördernd angesehen werden könnten. Seien wir ehrlich: Wer hat heute noch Zeit und Muße, um täglich zwei Stunden Yoga und Meditation über einen langen, in Jahren auszudrückenden Zeitraum, üben zu können. Und das ist sozusagen vom Aufwand her das Minimum, das erbracht werden müsste, um zumindest eine solide Grunderfahrungen des Yoga vermitteln zu können.



Kommen wir jetzt, nachdem der Status „heute“ ausreichend dargelegt wurde, zu den Voraussetzungen im Denken und in der Lebensgestaltung, die Yoga als fördernd ausstatten können.

Yoga, ob als Freude an Bewegung oder als Technik auf ein Ziel ausgerichtet ist immer Arbeit an sich selbst. Es kann nicht gemacht werden, was nur den körperlichen Aspekt einschließen würde, es kann auch nicht mal so als Ausgleich für irgendetwas Belastendes angesehen werden, weil das den ganzheitlichen Aspekt, der immer da ist, nicht einschließen würde, noch kann es mal so einfach mitgenommen werden, weil zum Beispiel meine Freunde das auch machen. Yoga ist Arbeit an sich selbst. Man kann nicht ins Wasser springen, ohne nass zu werden. Wenn ich an mir selbst arbeite, verändert sich das Sein, unmerklich vielleicht, aber nachhaltig. Und ohne Erfahrung oder fachliche Anleitung weiß der Übende nicht, was da so alles betroffen sein wird. Yoga arbeitet, kann somit ein Lebensgefüge verändern. Ob das Ergebnis dann als gewünscht betrachtet oder eher betroffen machend erlebt wird, ist ungewiss. Wohlgemerkt, ich spreche von einer vollen Yoga-Praxis, das heißt täglich zwei Stunden als Minimum in einem in Jahren zu rechnenden Zeitraum.

Yoga-Übungen, ob Asana, Pranayama oder Meditation, müssen, um wirksam sein zu können, angemessen ausgeführt werden. Zuviel oder zu wenig Intension, ohne Konzentration ausgeführt, ohne Maß oder mit zu viel Ehrgeiz ausgeführt wirken sie gar nicht oder gehen sogar in eine unerwünschte Richtung, sprich: So können sie sogar Schaden anrichten! Yoga arbeitet körperlich immer an der Grenze zwischen der Wahrnehmung von „da tut sich was“ und beginnendem Schmerz. In diesem schmalen Fenster erscheinen energetische Wahrnehmungen, sind leichte Anspannungen und auch Entspannungen wirksam möglich. Innerhalb dieser Begrenzungen zu bleiben erfordert einen maßvollen Einsatz von Willen, erfordert ein hohes Maß an Konzentration und Vertrauen in die eigene Beständigkeit. Die Arbeit mit dem Atem, Pranayama, erfordert zusätzlich die Gewissheit, das der Atem nicht falsch ist oder Veränderungen bedarf, um gut zu sein, sondern das man sich nur weitere Möglichkeit erschließt, die der Atem gehen kann und die ihn dann zu einem vielseitigerem Wirken in die Lage versetzen. Bei den Meditationsübungen wird der Übende schrittweise an die Wahrnehmung der Wirklichkeit herangeführt. Das ist nicht immer nur wunderschön, sondern geht tief in die eigene Konzeptionierung hinein und konfrontiert den Übenden mit seinem wirklichen Sein. Er wird Gedanken, Wünsche und Triebe in sich entdecken, die ihm bisher nicht bewusst geworden sind und die oftmals mit den gesellschaftlichen Normen im Widerstreit stehen. Die Wanderung durch „das dunkle Tal der Seele“, wie Eckhardt das nannte, erst führt mit der Meditation dann ins heller werdende Licht. Darauf sollte man sich gefasst machen und das sollte man auch durchstehen wollen, bevor man auf die große Reise geht.

Yoga-Praxis hat nichts mit Fitness zu tun, nichts mit Sport oder Akrobatik. Auch muss für Yoga nicht unbedingt eine große Flexibilität vorausgesetzt werden. Im Gegenteil, je weniger Raum der Körper eines Übenden zur Verfügung stellt, desto eher wird er in den schmalen Korridor zwischen Wahrnehmung und Schmerz gelangen. Das Problem allerdings, das diese Aussage beinhaltet, ist, das die alt-bekannten und auch wirkungsvollen Yoga-Haltungen schon im Vorfeld eine recht hohe Flexibilität voraussetzen. Ist diese nicht begeben, müssen diese großen Übungen zugunsten von Vorübungen hinten angestellt werden. Grundsätzlich gilt, das die Ausgangshaltungen einer Yogaübungen leicht und bequem eingenommen werden müssen. Das gilt für den Meditationssitz, das Sitzen im Pranayama als auch für die Asanas. Beginnt die Übung bereits mit einer Anspannung, ist der Korridor der Wirksamkeit verschoben und der Übende kämpft dann nur noch gegen seinen Ehrgeiz. Aus der bequemen Ausgangshaltung beginnt das Vortasten in den beschriebenen Korridor, in dem letztlich verharrt wird. Das gilt für alle Haltungen gleichermaßen. Bei Übungen, die wie im Handstand natürlich eine Anspannung getragen werden muss, wird diese auf die notwendigen Regionen begrenzt, beim Handstand zum Beispiel sind das die haltenden Arme und Schultern. Woran aber erkennt der Übende bei anstrengenden Übungen, das die Haltung korrekt eingenommen wurde? Bei wenig erfahrenen Übungsteilnehmern wird diese Aufgabe vom Lehrer übernommen. Bei geübten Teilnehmern, die auch schon allein praktizieren, erfüllt diese Aufgabe Maha-Bandha. In allen Übungen ist die Wahrnehmung dieses Bandes, mehr oder weniger deutlich, möglich. Wie dieses Band gesetzt wird und wie es wirkt, übersteigt die Thematik dieses Artikels. Es wird dazu bald einen eigenen Artikel geben.

Zusammengefasst kann über Yoga gesagt werden, das wir es als eine Methode zur Arbeit am eigenen Lebendig-Sein ansehen sollten. Es hat weder religiöse noch esoterische oder mystische Hintergründe, schreibt weder eine spezielle Art sich zu kleiden, zu kommunizieren noch zu essen vor, braucht weder Hingabe an einen Guru noch Anbetung irgendwelcher Götter und kann somit von jedem Menschen praktiziert werden. Was er dazu braucht ist lediglich etwas Aufmerksamkeit, ein wenig guten Willen, viel Geduld und etwas Zeit zum Üben. Der notwendige Zeitaufwand beginnt bei etwa 20 Minuten täglich und steigert sich nach und nach auf eine Stunde. Unter Einbindung von Pranayama und Meditation erweitert sich das dann auf etwa zwei Stunden täglich. Weniger geht meiner Ansicht nach für eine volle Praxis, was ich den Yoga-Weg nenne, nicht. Dieser Weg kann nicht gültig für Alle beschrieben werden, der er erfordert individuelle Ausführungen und Intensionen, die nur mit dem Wort Selbsterfahrung ausreichend beschrieben sein können. Wer den Weg gehen will, muss bereit sein, Erfahrungen selbst, an eigenem Leib und Wesen, zu machen.




Wir brauchen eine andere Weltsicht für den Gebrauch von Yoga

Wann immer wir uns, ob das mit einer uns fremden Religion, einer uns fremden Technik, Weltsicht oder Sichtweise auf das Leben zu tun bekommen, sollten oder müssen wir uns sogar darüber klar zu werden versuchen, wo wir eigentlich selbst in dieser Frage stehen.



Wenn wir uns zum Beispiel mit Yoga beschäftigen und uns mit den Hintergründen der Techniken, Konzentrationen und Meditationen beschäftigen, treten wir ein in eine uns fremde Denkweise, die für uns, das ist meine Ansicht, erst erschlossen werden kann, wenn wir unseren eigenen Standort kennen oder zumindest als Umriss zu erkennen in der Lage sind. Ein entsprechendes Bild werden wir vorfinden, wenn wir uns, in der westlichen Denkweise verhaftet, mit Zen, Vipassana, TCM oder Thai-Techniken beschäftigen und in deren Grundlagen einzudringen versuchen. Ich möchte daher hier einmal kurz versuchen, den typisch westlichen Standort zu umreißen.

Alle indo-europäischen Sprachen und Kulturen, zu denen wir in Europa gehören, besitzen ein für diese Gruppe an Sichtweisen eine ganz typische Struktur. Beginnend damit, das hier immer auf ein transzendentales Wesen (Gott) ausgerichtet gedacht wird, nimmt die Basisbewegung dieses Denkens zumeist eine Form an, in der die Wirkung einer Ursache folgt. Wir nennen das Kausalität. Eine weitere sehr wesentliche Grundlage indo-europäischen Denkens sind die logischen Grundsätze, die von Aristoteles sehr detailliert ausgearbeitet wurden und die bis heute unsere Denken bestimmen. Einer der wesentlichsten Sätze dabei ist die Feststellung, das Sein und Nicht-Sein nicht gleichzeitig eine Sache begründen können. Gerne wird bei dieser Sicht schon übersehen, das Sein und Nicht-Sein selbst bereits Setzungen sind, das heißt somit, aus meiner Sicht, das Setzungen mit Setzungen festgelegt werden sollen. Die Wissenschaften, die sich mit den daraus resultieren Problemen beschäftigen, die zu einer Formulierung derartiger Grundsetzungen führen, nennen wir Philosophie, die Liebe zur Weisheit, und die Fachrichtung innerhalb der Philosophie dabei nennt sich Ontologie, die Wissenschaft vom Sein.

Neben den indo-europäischen Denkweisen gibt es viele andere Varianten einer Grundlegung für das Denken. Verbreitet sind diese bei vielen Naturvölkern, wie den indianischen Völkern auf dem amerikanischen Kontinent oder den Aborigines in Australien. Eine weitere für uns sehr wichtige Sichtweise finden wir in einer großen Kulturnation, China, namentlich Taoismus genannt und den auf dieser Tradition aufbauenden Formen wie den Konfuzianismus und Chan. Der in der chinesischen Kultur auftretende Taoismus, mit dem ich mich erst später im folgenden Text etwas näher beschäftige, besetzt eine ganz andere Grundhaltung des Denkens. Allerdings müssen wir, um diese zu verstehen, uns in das klassische China zurückversetzen, da die relevanten Texte dieses Taoismus in der klassischen chinesischen Schrift überliefert sind, die sehr viele heute übliche und durch die Europäer ins Chinesische eingebrachte Sprachwendungen nicht kannte. So gibt es in der klassischen chinesischen Schrift keine Verben, es gibt kein Sein und keine seiner Abwandlungen, und es gibt kein Ich, zumindest nicht so, wie es in Europa gewöhnlich verwendet wird. Daher sind die klassischen Schriften wie das Daodejing, das Iging oder der Zwuangzi sehr schwer in eine europäische Sprache zu übersetzen. Weiterhin kennt diese Schrift und die ihr zugrunde liegende Denkweise keine Transzendenz, kennt keinen Gott und verwendet keine Kausalität. Die Denkweise ist also dezidiert Immanenz-Sichtig, verwendet kein Selbst und Sein als Bodensatz, ist rein prozessorientiert, kennt aber, und das macht es für uns interessant, als Verfahren die Dauer, die Neigung und die Wandlung und ist auch in der Lage, diese zu beschreiben. Vielleicht soviel zunächst einmal als Hintergrund.

Wenden wir uns jetzt, nach diesem winzig kleinen Ausflug in die Geisteswissenschaften, den Sichtweisen zu, die erforderlich sind, um zum Beispiel mit Yoga zu arbeiten. Yoga ist so aufgebaut, das es der Gesunderhaltung des Körpers und des Geistes dient. Dazu werden Übungen und Praktiken geübt und ausgeführt, die zu Prävention und Heilung dienlich sind. Auch Ayurveda, die indische Medizin, dient in diesem Sinne, wobei die Ernährung und die bekannten Anwendungen eine große Rolle spielen. Das große Prinzip des Yoga-Übens und Yoga-Sich-Verhaltens ist Vorbeugen, ist Prävention. Wir merken das, wenn wir Yoga-Übende beobachten, sehr schnell, denn der gesunde, entspannte und unverbrauchte Mensch wird mit den meisten Übungen schnell und gut zurecht kommen. Gut, in Europa sind entspannte und unverbrauchte Menschen schwer zu finden. Daher wird zunächst bei den Einführungen von Yoga auch auf Entspannung und Erholung sehr großen Wert gelegt. Leider muss aber trotzdem immer darauf hingewiesen werden, das unsere hier in Europa übliche Lebensweise nicht viel zu Entspannung und gesundem Sein beisteuern kann. Hektik, Zeitmangel, Anspruchsdenken und Stress sind mittlerweile allgegenwärtig. Und ein weiteres Manko kommt einer schnellen Einführung ins Yoga, zu dem auch die Meditation gehört, meiner Ansicht nach hinzu. Die Motive wurden bereits weiter oben genannt. Es sind zu nennen das Prinzip Kausalität, das typisch europäische Anspruchsdenken sowie das Fehlen der Prinzipien eines Prozess-Verständnisses, das mit den Begriffen Wandlung, Neigung und Dauer gut beschrieben werden kann. Denn, Heilung und Gesunderhaltung sind immer Prozess.



Beginnen wir mit dem Anspruchsdenken. Sehr oft sehe ich Menschen in den Yoga-Unterricht kommen, die sich aus den bereits benannten Gründen verspannt, verletzt oder schon geschädigt haben. Ihr Ziel ist, den Körper durch die Übungen zu reparieren, um dann ihr gewohntes Verhalten wieder aufnehmen und fortführen zu können. Das Wundern ist dann aber groß, wenn sie feststellen, das selbst nach gelungener „Reparatur“ die alten Störungen schon bald wieder auftreten und sogar noch stärker sich ausbilden als zuvor. Das nenne ich Anspruchsdenken, denn das ist in etwa so, als wenn ich ein Auto nach Grabenfahrt und Reparatur wieder in den selben Graben steuere und erwarte, also den Anspruch habe, das dieses Mal keine Reparatur erforderlich sein wird. Vielmehr wäre hier und da eine Änderung in der Lebensplanung anzugehen, um weitere Erkrankungen zu verhindern.

Gehen wir zügig zum nächsten Punkten, dem Fehlen des Prozess-Verständnisses. Nach der zuletzt genannten „Reparatur“ wäre es angesagt gewesen, die Übungen in vollem Umfang weiterzuführen, um zumindest in Zukunft größere Schädigungen zu meiden, wenn ich schon weiter mache wie zuvor, ich also meinen Anspruch nicht aufgeben kann. Eine einmal aufgetretene Störung, die durch Stress oder Überforderung verursacht wurde, wird immer in der Form eines Prozesses hervorgebracht, der sozusagen ein Muster generiert. Dieses Muster wird dauerhaft gespeichert und kann jederzeit bei gleichen oder ähnlichen Belastungen wieder aufgerufen werden. Daher müssen, zumindest für eine gewisse Zeit, die befreienden Übungen fortgesetzt werden, selbst wenn eine Genesung bereits eingetreten ist. Mit einfachen Worten ausgedrückt: Reparatur abgeschlossen, Yoga beendet? Das geht so ohne weiteres nicht. Um eine Wandlung herbeizuführen, die von Dauer geprägt ist, müssen diese falschen Muster sozusagen „überschrieben“ werden. Diese Veränderung braucht viele Wiederholungen, viele zielführende Impulse und somit einen langen Atem. Ich selbst würde den Zeitraum für diesen Prozess in Jahren ausdrücken.

Und kommen wir zu letzten Punkt in der oben aufgeführten Liste, der Kausalität. Für das Üben von Yoga würde das bedeuten, das ich immer fragen müsste, wozu eine Übung denn eigentlich gut sei. Nun betrachte ich zumindest das Yoga als ein Übungssystem, wobei die verschiedenen Übungen sich ergänzen, sich begründen oder sich gegenseitig fördern können. Selbstverständlich können bestimmte Übungen bestimmte Reaktionen hervorrufen. Aber eine Ursache/Übung hat eine Wirkung? So einfach ist es selten, auch wenn unsere Mediziner das anscheinend immerzu anzunehmen pflegen. Auch viele Ursachen können nur eine Wirkung haben, oder eine Ursache kann viele Wirkungen hervorrufen, oder viele Ursachen führen zu vielen Wirkungen? Was von alledem ist richtig? Und auch aus dem Blickwinkel einer bestehenden Störung ist die Forschung nach der Ursache doch mit der gleichen Problematik behaftet. Eine Yoga-Therapie ist immer mit dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ verbunden. Welche Übung hilft? Welche mögliche Ursache muss beseitigt werden? Welche Kombination führt auf den Weg zur Heilung? Das sind die Fragen, die zu beantworten sind. Grundsätzlich gilt, was zur Heilung/Gesundheit beiträgt, ist gut und sinnvoll. Und diese Fragen können nur durch „Ausprobieren“ beantwortet werden. Das heißt auch, das manch falscher Schritt korrigiert werden muss, manch sinnvoller Schritt ständig zu wiederholen ist und eventuell auch hier und da Anpassungen notwendig werden können.

Viel sinnvoller für das Erhalten von Gesundheit mit Yoga ist der Ansatz, bereit zu gesunden Zeiten mit den Yoga-Übungen zu beginnen. Zunächst einmal werden so bereits Impulse in eine gute Richtung gesetzt, bevor überhaupt Störungen auftreten. Und sollten dann wirklich mal Störungen auftreten, sind die Übungen, die zur Reparatur beitragen können, bereits eingeübt und als Muster verfügbar, nur ist dieses Muster jetzt förderlich und nicht mehr schädigend. Und dann gibt es einen sehr großen Vorteil gegenüber den oben genannten Reparaturen: Gesund Yoga zu üben macht Spaß und ist extrem entspannend. Und Yoga zu üben ist sparsam: Man braucht nur eine Matte und etwas Zeit.



Kommen wir jetzt zu einer Sichtweise, einer Weltsicht, die in der Lage ist, die nachfolgenden Sichtweisen zu vereinen und diese auch in der Gesamtsicht zu verstehen. Für einen Heilungs-Prozess ist dieses Verstehen elementar. Ich beschreibe hierfür zunächst einmal das abrahamitisch geprägte westliche Weltverständnis, das in meinen Augen das Verstehen von Yoga erschwert und das alle darauf gründenden Religionen umfasst: Christentum, Judentum, Islam. Auch unsere Wissenschaften sind leider diesem Denken verhaftet. Ähnlich, aber im Detail anders begründet und mit einer etwas anders laufenden Dialektik versehen sind die hinduistischen Anschauungen. Alle Genannten gründen auf Kausalität. Dieses Prinzip ist für die Wissenschaften und deren Entwicklung besonders wertvoll, zeigt aber auch massive Schwächen wie zum Beispiel bei Einsatz in hoch komplexen Systemen. Nun ist der Mensch und seine Art zu funktionieren, zu denken, das komplexeste System, das wir Menschen selbst kennen. Hier also kausal an die Problematik heran zu gehen, wäre also nicht ratsam. Der Taoismus, den ich bereits erwähnt habe, bietet für das Denken eine Alternative zur Kausalität. Wir beschreiben diese mit den Worten Wandlung, Dauer, Neigung und Prozess. Wenn ich also Kausalitäts-Denken für den Heilungs- oder Gesundheitsprozess eines Menschen nicht verwenden möchte, ich also nicht bevorzugt nach der Ursache, sondern der Möglichkeiten zur Heilung suche und fahnde, bieten sich diese Begriffe sehr schnell an. Es ist in diesem Denken gar nicht wichtig, aus welcher Ursache heraus etwas ist, wie es ist. Sondern wir befinden und immerzu in einem Prozess (des Lebens), und um zu einer Heilung zu kommen, müssen wir Krank-Machendes durch Heilsames ersetzen, müssen wir uns selbst wandeln, müssen dann dieses Heilsame mit Dauer (dauerhaft) einbringen und einüben und somit dem Prozess, in dem wir uns immerzu befinden, eine andere, bessere Neigung zu geben. Das bedeutet, das wir mit Yoga zum Beispiel, das, wie oben bereits gesehen, ein komplexes Übungssystem ist, breitgefächert Üben oder aber uns der langjährigen Erfahrung eines Lehrers bedienen, um in einer bestimmten Zeitspanne ganz gezielt an Motiven arbeiten. Trotzdem wird auch unter einem Lehrer später ein breitgefächertes Üben notwendig sein, um dem System gerecht zu werden.

Langer Rede, kurzer Sinn:
Wenn wir Yoga verstehen wollen und uns des Yoga zur Prävention oder Heilung bedienen, müssen wir unser Kausalitäts-Denken zur Seite legen und uns dauerhaft eines Prozess-Denkens bedienen. Der bei uns übliche „Mach-mich-wieder-Ganz-Gedanke“ ist hier vollkommen unsinnig. Unser Körper ist kein Besitz, kein Auto, keine Maschine, die repariert werden kann. Er ist Ich und Welt! Er ist genau gesagt eine Einheit aus Körper, Geist und Welt. Ich werde bei den Erklärungen zum Yoga immerzu mit der Problematik konfrontiert, die mit dem oben beschriebenen Anspruchs- und Kausalitätsdenken direkt zu tun haben. Diese verhindern oftmals die Wirkungen des Yoga-Systems durch eine falsche Herangehensweise. Meine vordringliche Aufgabe als Yoga-Lehrer ist daher, diese Gedankenwelt zu durchbrechen und auf andere Bahnen zu führen. Denn mit einem falschem Denken ist Yoga weder zu verstehen noch zu gebrauchen.




Gelingende spirituelle Praxis – Unterricht vs. Übungsstunde

Wir erleben gerade jetzt in den Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens und der Schließungen von Studios und Praxen, wie wichtig es ist, das spirituelle Praktiken wie Yoga und Meditation in ihren vielfältigen Formen nicht nur unter gruppendynamischen Voraussetzungen praktiziert werden können, sondern das jeder Einzelne in seiner ganzen Individualität in der Lage sein muss, für sich und zu Hause zu üben. Dazu wäre es notwendig, die Praxis der Spiritualität nicht nur als Übungsstunden in Studios anzubieten, sondern diese wunderbaren Erkenntnisse der Meister der Vergangenheit immer auch zu unterrichten und dafür Sorge zu tragen, das wirklich jeder zu jeder Zeit seinen spirituellen Sehnsüchten nachgehen kann. Vielleicht bestätigt die Pandemie-Zeit, die wir gerade erleben, diese meine Ansicht.



Unterrichten heißt konkret, nicht nur die oberflächliche Praxis weiterzugeben, also Übungsstunden anzubieten, sondern auch über Hintergründe, über Methoden, über Aufbau und Abfolgen und die Möglichkeiten, Informationen zu recherchieren und Erkenntnisse zu schöpfen gesprochen werden muss. Wie baut sich zum Beispiel eine Übungspraxis im Yoga auf, worauf ist bei Zusammenstellungen von Übungsreihen für die eigene Praxis zu Hause zu achten und wie kann ich mich selbst dazu motivieren, um, wie beim Beispiel Yoga, auf die Matte zu gehen, oder beim Beispiel Meditation sich aus sein Kissen zu setzen und zu üben. Und gerade diese Informationen müssen nicht nur in Lehrer(innen)-Ausbildungen, sondern auch und ganz besonders und von Anfang an in der ganzen Breite der Teilnehmer(innen) gestreut werden. Das erfordert Aufwand, Geduld und großen Einsatz in der Ausbildung von Lehrer(inne)n, erfordert Geduld und Einsatz im alltäglichen Unterricht von den Lehrer(inne)n und viel Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft einschließlich Geduld, besonders wegen häufiger Wiederholungen des Stoffes, bei den Übenden. Und vielleicht ist es eine Überlegung wert, sich einmal Gedanken zu machen über die Grundlagen, die wir mitbringen müssen, um überhaupt eine spirituelle Praxis beginnen zu können. In meiner Beobachtung sind viele seltsame Vorstellungen, Erwartungen und Einstellungen zu diesen Themen in der Breite der übenden Menschen zu verzeichnen, die sich, etwas kabarettistisch ausgedrückt, auch oftmals aus wissenschaftlicher Sichtweise in Phantasie- und Märchenwelten bewegen und die in ihren Aussagen durch nichts zu belegen sind. Das macht sie aber nicht deshalb allein schon falsch. Jede Ansicht, auch wenn sie den Wissenschaften, den Traditionen und den allgemein als anerkannt geltenden Möglichkeiten widersprechen, sind ernst zu nehmende Wirklichkeiten eines Menschen.



Weiterhin werden im Grunde in üblichen Übungsstunden nur die Vorzüge und ganz tollen Ziele und Möglichkeiten einer Praxis betont, selten aber wird vor den Gefahren und den unvermeidlichen Folgeerscheinungen gewarnt, die eine Praxis immer, und das nicht nur bei falscher körperlichen Anwendung, heraufbeschwören kann. Jede Körperarbeit birgt auch Gefahren, jede Vorstellungswelt beeinflusst das alltägliche Leben und jeder neu geweckte Wunsch nach Verbesserung, Bewusstseinsweitung, Optimierung oder Spezialisierung der persönlichen Möglichkeiten birgt Konsequenzen. Und jede Konsequenz verändert das alltägliche Leben.

  • Nahezu jeder Mensch unserer Gesellschaft lebt in einer Beziehungsstruktur, hat Freunde, Verwandte, Kollegen, Nachbarn und Tätigkeitskreise privater Natur, die stets ihre Sicherheit dadurch erhalten, ihre Mitglieder in gewohnter Weise zu erleben. Verändert sich Verhalten und/oder Ansichten eines Mitglieds, steht dessen Teilhabe an den gewohnten Strukturen in Frage. Besonders dann, wenn die spirituelle Praxis greift und mehr und mehr nicht nur als Ausgleichssport betrachtet wird, sind Auswirkungen auf das private Umfeld unabwendbar.
  • Körperliche Übung jeder Prägung verändern die Struktur und das Verhaltensmuster unserer Körper, verändern die Art und Weise des Fühlens und Erlebens. Außerdem verändern sie ebenfalls die Struktur unserer physischen Hülle. So wird beim Yoga die Muskulatur weicher, die Bewegungsmöglichkeiten weiten sich, oftmals auch ungewollt, und stellen damit ganz andere Anforderungen an die Belastungen des Lebens. Mit weicher Muskulatur und hoch-beweglichen Gelenken muss einfach anders umgegangen werden. Sie brauchen zur Sicherung der Stabilität andere Trainingsinhalte und hier und da natürlich auch Schutz vor übergroßer Belastung. Besonders die Saisonsportarten wie Skifahren sind hier ohne ausreichendes Vorbereitungstraining in der Ausübung problembehaftet.
  • Weiterhin seien hier Praktiken wie die Meditation oder das Pranayama angesprochen, die die Sensibilität und Wahrnehmung des Übenden deutlich erweitern können. Man muss dabei wissen, das dieses eben nicht nur in der Richtung „positiv“ stattfindet, sondern das dieses immer für das ganze Spektrum gilt. Auch als negativ geltende Wahrnehmungsmöglichkeiten werden erweitert und nicht jedem Menschen gefällt das auf Anhieb. Die beiden genannten Praktiken verändern aber nicht nur die Wahrnehmung des Übenden, sondern dieser wird in der Folge auch von seiner Umgebung anders wahrgenommen. Auch das muss man mögen und verarbeiten, und manchmal habe ich den Eindruck, das viele darauf einfach schlecht vorbereitet sind.

Es sei noch einmal angemerkt, das ich hier in diesem Artikel nicht von den Übenden spreche, die spirituell wirksame Übungen wie Yoga als Ausgleich für Berufsbelastungen, als Vorbeugung vor Krankheiten oder als Gesundheitspflege praktizieren. Ich spreche vielmehr von den Übenden, die gepackt werden von der Sehnsucht nach Veränderung des eigenen Seins, sei es die gefühlte eigene Rolle in der Gesellschaft, sei es die eigene Wahrnehmung oder auch die erlebte Wahrnehmung durch andere [1. Ich zum Beispiel war, solange ich zurückdenken kann, d.h. schon in der Familie, in der Schule, im Beruf und hier und da auch bei Freizeitaktivitäten, Mobbing-Aktivitäten anderer ausgesetzt und habe mich daher zu einem Einzelgänger entwickelt, was weitere Probleme mit sich brachte, da unsere Gesellschaft das Einsiedeln generell skeptisch betrachtet. Um zurückzufinden bzw. die größten Problemfelder meines Lebens zu begrenzen, habe ich mit Karate-Do, Yoga und wenig später mit einer Meditationspraxis begonnen. Heute bin ich zwar gefühlt immer noch Einsiedler, aber ich habe durch diese Praxen gelernt, mich relativ problemlos in sozialen Umfeldern zu bewegen, zumindest, ohne groß anzuecken oder aufzufallen.].

Woran arbeitet eine spirituelle Praxis eigentlich? Was sind dabei Zielvorstellungen und wie sind diese zu erreichen? Was an den Beschreibungen ist Mythos und was ist erreichbar? Und welche Voraussetzungen muss ich mitbringen, damit eine Praxis dieser Art gelingen kann? Das sind die Fragen und Felder, die einer Antwort bedürfen.



Was den Menschen auszeichnet und vor vielen anderen Lebensformen unterscheidet, ist seine Neigung, Beziehungen aufzubauen und so mit anderen zusammen zu arbeiten, das sich auch große Aufgaben bewältigen lassen. Wir haben heute in der Menschenwelt eine hoch differenzierte Arbeitsteilung, so das nahezu jeder hochspezialisierte Leistungen zu erbringen vermag. Diese werden dann allen anderen zur Verfügung gestellt, so das schlecht erfüllte Aufgaben wie die Herstellung von Waren oder die mangelhafte Bereitschaft zu Dienstleistungen nur selten in Erscheinung tritt. Wie jeder nachvollziehen kann, beschreibt dieses einen Idealzustand. Aber auf diese Weise hat der Mensch tatsächlich seine Vorherrschaft und seine Räume in der Welt geschaffen und diese gegenüber anderen Lebensformen dauerhaft verteidigt. Allerdings befeuern die Systeme und Einrichtungen, die dafür notwendigerweise geschaffen wurden, auch große Verwerfungen innerhalb der Menschenwelt. Genannt seien Armut und Reichtum, Macht, Ohnmacht und Krieg, Krankheit, Schwäche und Siechtum sowie die allgegenwärtige Angst, innerhalb der Menschenorganisationen durch den Rost zu fallen, sprich allein zu sein und keine Hilfe bzw. Teilhabe durch andere mehr zu erhalten. Was wir heute als vordringliche Beschränkung des Menschen in westlichen Gesellschaften erkennen können, ist, das Angst mehr und mehr einem Grundmotiv des Denkens wird. Die Angst vor den Paketen Krankheit, Armut, Ohnmacht und dem Alleinsein sind die Grundängste, die dann zu Gier, Hass und Verblendung [5. Wie das z.B. in der buddhistischen Terminologie genannt wird.] führen. Diese werden, um aktiv sein und wirken zu können, stets begleitet von einer gehörigen Portion Nichtwissen, den sich daran anschließenden Irrtümern und somit von einer falscher Selbsteinschätzung. Und genau hier setzt jede spirituelle Arbeit zunächst einmal an. Die richtige Einschätzung der Stärke seines Körpers, Erkenntnisse über dessen Funktion und Möglichkeiten sind ein Grundpfeiler jeder spirituellen Arbeit. Ein weiterer Grundpfeiler ist im Erkennen seines Nichtwissens angelegt, das in seiner Folge ja die vielen Irrtümer erst möglich macht und die dann zu zusätzlichen Problemen des Lebens führen. Jede spirituelle Arbeit beginnt daher damit, eine richtige Selbsteinschätzung zu generieren. Ein weiteres Feld sind Erkenntnisse über die vielfältigen Konzepte und Konventionen, die dem Einzelnen vorschreiben, wie und in welcher Form er zu leben habe und die häufig einer spirituellen Öffnung im Wege stehen. Aber auch jede spirituelle Tradition schreibt eine spezielle Form vor, in der das „richtige“ Denken sich einzufinden habe, um dabei sein zu können/dürfen. Das ist zeitweise notwendig und wichtig, darf aber nicht zu einem neuen Dogma gerinnen. Dann wäre es keine Öffnung mehr, sondern nur ein Wechsel in eine andere Anschauung. Und dann seien noch die vielen Gruppendynamiken erwähnt, die gerne dazu führen, das der Einzelne eben nur noch genau das macht und für möglich hält, was seine Freunde, Mitstreiter und was alle anderen, durch die Medien dargestellt, auch machen.

Eine Selbsteinschätzung und/oder eine eigenständige Entscheidung, die zu einem spirituell wirksamen Weg führt, kann aber nicht in Wort, Schrift, Bild oder Film weitergegeben werden. Man erkennt das daran, das viele Bücher von vielen Menschen gelesen werden, aber nur wenig des Inhalts jemals umgesetzt haben. Das ist in der Arbeit mit Büchern menschlich und durchaus normal. Ganz anders ist die Arbeit mit kompetenten Lehrern. Sie erfolgt hier fast ausschließlich aus der Zwiesprache zwischen Lehrer und Schüler und über den Umweg von „Erfahrungen machen können“. Der Lehrer hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen und Übungen zu schaffen, diese auszuwählen, diese so zusammenzustellen, das sie einem Schüler die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu machen, dieser also etwas bemerkt, erkennt, realisiert, was ihn direkt angeht. Aus dieses Erfahrungen heraus generieren Körper und Geist das Wissen, das dann zu einer anderen Selbsteinschätzung führt. Es sind also Erfahrungen, die das Rad der Veränderungen in Gang setzen. Und wer jemals einem Kind beim „Laufen lernen“ zugesehen hat, versteht, was ich hier auszudrücken versuche. Sind erste Erfahrungen eingetreten, wirken diese als Motiv für das Weitermachen. Das Rad dreht sich weiter und weiter. Neugierde, wie weit das noch gehen kann, sich das noch öffnen wird, kommt bald hinzu und lässt das Rad sich immer weiter und weiter drehen.

Dieses Rad setzt die spirituelle Entwicklung in Gang, körperlich, mental und geistig. Sie wird oftmals als Sehnsucht ausgedrückt, Sehnsucht nach einer Veränderung meines Seins, welche sich in Ruhe, Gewissheit, Mut und Gelassenheit ausdrückt und als innerer Frieden wahrgenommen werden kann. Die Angst weicht dann der mutigen Gelassenheit, der Aufschrei verhallt in der Stille, und vieles von dem, was ein Leben erstickt hat, weicht vor der Freude am Leben zurück, die im Raum von Stille und Gelassenheit langsam aber stetig sich immer weiter ausbreitet. Und plötzlich hat sich das Leben gewandelt, die frühere Selbsteinschätzung verliert ihre Wichtigkeit, denn allem voran bestimmt jetzt die Freude am eigenen Sein die Abläufe des Tages. Widerstände werden aufgeben, die Ansichten anderer sind und bleiben zwar wichtig, berühren aber mein Sein innerlich nur wenig. Ich stehe dann fest und sicher auf dem Boden des Lebens, spüre Freude und Stille in mir und bin begeistert angesichts der wiederentdeckten Buntheit der Welt. Ich habe mein Leben zurück gewonnen.



Kommen wir nach diesem kleinen Ausflug zurück zur Praxis. Wir müssen als erstes einmal uns über Motivation und die Hintergründe unseres spirituellen Übens klar werden. Dazu kommt dann die Selbsteinschätzung, von der ich oben bereits gesprochen habe, die uns bewusst sein muss, um überhaupt Veränderungen zu bewirken und diese dann auch erkennen zu können. Dann muss ich mir, um zu verstehen, Einblick und Zugang in die Systematik der begonnenen Übungen erarbeiten, um zu begreifen, was ich da eigentlich tue, weil nur Verstehen Wissen erzeugt und mir das ein gewisses Maß an Sicherheit bietet. Wenn ich dann alles zusammenstelle, ich also weiß, warum und weshalb ich übe, wenn ich weiß, wie mein Üben wirkt und was es zu erreichen im Stande ist, kann ich mich auch selbst motivieren zu üben und bin erstmals in der Lage, einerseits für mich eine Entscheidung zu treffen, darauf folgend mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und dieses vielleicht sogar zum Positiven zu wenden, sei es bezüglich Gesundheit, Mut, Gewissheit oder Sicherheit. Wie geschieht das alles in der alltäglichen Praxis? Wie bereits angeführt, brauche ich von Zeit zu Zeit einen kompetenten Lehrer(in) als Gesprächspartner [4. Das kann auch ein(e) Freund(in) sein, der neben mir seine spirituelle Praxis übt, die gleichen Stunden besucht oder unter der gleichen oder einer vergleichbaren Tradition für sich arbeitet.], mit dem ich Zwiesprache halten kann und mir so hilft, zu verstehen. Dazu bedarf es eben nicht nur der Übung, sondern des Unterrichts oder zumindest eines Blickes von außen. Dieses wird mich in die Lage versetzen, eigenständig und ohne Aufforderung von Seiten einer Autorität [2. Diese kann auch Krankheit sein, Überlastung oder Stress…, weil mich auch diese unter Druck setzen können.] meine Übungen durchzuziehen. Ich empfehle dazu in etwa die nachfolgende Konfiguration. Wichtig ist es, täglich zu üben. Dazu genügt eine sinnvolle und meinen jeweiligen Anforderungen genügende Kurzübungspraxis von 10 bis 30 Minuten bei Körperübungen und/oder zwei Standardrunden [3. Standardrunden in der Meditation sind so viele Minuten lang, wie ich dies mir vorgenommen habe oder wie es mein Lehrer(in) mir empfiehlt. Das können 5 Minuten sein, aber auch die klassischen 25 oder sogar länger…] in der Meditation. Dann sollte ich mindestens einmal pro Woche bei den Körperübungen eine allgemeine Praxis durchführen, die alle Körperpartien arbeiten lässt und im Falle von Yoga mindestens 90 Minuten andauert. Entsprechend wären in der Meditation dann dreimal zwei Runden zu meistern. Und dann ist es notwendig , innerhalb von zwei bis vier Wochen einmal mit einem Lehrer(in) oder einem Freund zusammen zu arbeiten. [3. Das kann in Zeiten von Pandemien auch über Telefon, Skype oder Zoom erfolgen, wenn ein direktes Zusammentreffen nicht möglich ist.] Mit diesem(r) sollte ich meine Fragen besprechen, mir die Richtigkeit und Wirksamkeit meiner Praxis bestätigen lassen und er/sie gibt mir Ratschläge und Anregungen für mein weiteres Vorgehen. Und natürlich erhöht diese Bestätigung meine Motivation, auch in Zukunft weiter zu machen.

Sollten Sie also die Sehnsucht verspüren, ihre spirituelle Praxis auch in der Zeit einer Pandemie weiterzuführen, empfehle ich die oben beschriebene Vorgehensweise. Machen Sie eine kurze tägliche Praxis, nehmen Sie sich einmal in der Woche die Zeit, grundlegend zu üben und halten Sie den regelmäßigen Kontakt zu einem/ihrem Lehrer(in) aufrecht oder versuchen Sie, einen solchen aufzubauen. Stellen Sie sich und anderen Fragen, lesen sie nach, recherchieren Sie und versuchen Sie zu verstehen, was Sie da und wofür Sie das eigentlich tun wollen. Ihre Sehnsucht [4. Sehnsucht: inniges, schmerzliches Verlangen…] hat einen Grund. Sie bezeichnet eine Lücke, einen Mangel oder oft sogar eine Möglichkeit, die sich gerade offenbart und die Sie wahrnehmen sollten. Der Sehnsucht zu folgen und damit auf einem ihrem Inneren entsprechenden Weg zu sein macht Sie glücklich und zufrieden. Nutzen Sie die Chance, die sich gerade jetzt bietet, wo mögliche gesellschaftliche Ablenkungen auf ein Minimum geschrumpft sind!




Yogasana – Asana als Übungspraxis

Wenn wir uns im
westlichen Kulturkreis über Yoga unterhalten, sind dabei meist die
Praxis von Übungsstunden der Kern des Gesprächsthemas. Und ganz
allgemein wird davon ausgegangen, das nahezu jeder Übungen des Yoga
schon einmal gesehen hat, sie mit anderen Worten kennt und daher auch
eine Vorstellung davon besitzt, was diese Übungen bewirken, wie sie
ausgeführt werden und warum sie geübt werden. Das aber ist ein
großer Irrtum.



Ich habe mich
entschlossen, diesen Artikel zu schreiben, weil mir wieder einmal ein
Versuch beim Lesen in die Hände gelangt ist, der dieses falsche
Urteil angeht und versucht, eine etwas andere Sichtweise auf Asana zu
formulieren. Allerdings geht mir dieser Versuch [1. Viveka 58 –
Form folgt Funktion], so richtig auch die beschriebenen Inhalte sein
mögen, beileibe nicht weit genug. Yogasana auf „Form folgt
Funktion“ zu reduzieren ist eine in meinen Augen ungeschickte
Simplifizierung der Möglichkeiten, die eine Arbeit mit und in Asana
wirklich bietet. Auch ragt dann die praktische Ausgestaltung der
Übungsbeschreibung, die das Ende des Artikels schmückt, nicht
einmal einen halben Schritt über die Arbeit mit Einsteigern hinaus.

Die folgende
Beschreibung ist eine Anregung für Menschen, die mit ihren
Yoga-Übungen kein exakt formulierbares Ziel verfolgen. Für die
Begleitung einer Heilung, einem gezielten Energieaufbau bei
Mangelerscheinungen oder anderer therapeutischen Maßnahmen sind
andere Grundsätze von Nöten. Sowohl die Vorgehensweisen als auch
die Intensitäten liegen dann ganz wo anders.

Zunächst einmal ist
Yoga in seiner Gesamtheit ein System, das neben Körperarbeit (Asana)
auch Atemarbeit (Pranayama), und Meditation (Pratjahara, Dharana,
Dhyana, Samadhi) mit all seinen Prägungen ausweist. Es geht sogar,
und das ist wenig bekannt oder wird zumindest selten gelebt, von
einer ausformulierten Moral- und Ethikvorstellung (Yama, Niyama) aus.
Weiterhin gibt es in der Kultur, aus der Yoga stammt, einen
Gesundheitssystem namens Ayurveda, das mit Yoga vernetzt und nur in
Verbindung mit Yoga und seiner Praxis vollständig wird. Yoga selbst
beschreibt somit nur ein Teilbereich dessen, was deren Entwickler
über die Jahrhunderte hinweg mit der Kombination Ayurveda, Yoga und
Religion (Hinduismus) zu erreichen suchten. Yoga stellt in dieser
Kombination drei große Funktionen dar, die mit Prävention
(Gesundheitsvorsorge), Bewegungstherapie (Spannungsabbau,
Rehabilitation) und einer Erforschung des Körpers, des Geistes und
deren Möglichkeiten beschrieben werden kann. Nur in diesem Kontext
ist Yogasana sinnvoll zu verstehen. Soweit der kleiner Überblick
über die Einbettungen des Themas.

In Yogasana übe ich
mit einer Praxis, in der ich den Körper in eine bestimmte Pose
bringe, diese halte und die so verspricht, für mich ganz bestimmte
Ziele zu erreichen. Ich gehe also davon aus, das durch die Ursache
Asana eine gewünschte Wirkung herbeigeführt wird. Das ist die meist
formulierte Erläuterung zu Asana, und sie mag ja auch zum Teil
stimmen, aber sie erscheint mir sehr ungenau, sehr wage und
zusätzlich noch sehr profan zu sein. Zunächst einmal sei erläuternd
erwähnt, das meist nicht eine Ursache allein zu einer bestimmten
Wirkung führt, sondern das eine bestimmte Ursache allein schon viele
Wirkungen hervorrufen kann. Und mehr noch, meist werden wir erstaunt
feststellen, das viele Ursachen viele Wirkungen nach sich ziehen und
das somit eine genaues Urteil selten in Präzision möglich ist. Also
zu sagen, das die Asana wie z.B. der Kopfstand diese bestimmte
Wirkung erzeugt, ist mehr als ungewiss, und das kann auf nahezu alle
Übungen übertragen werden. Yoga wirkt meiner Ansicht nach als
System, und um Yoga beschreiben zu können, muss ich daher auch
systemisch argumentieren. Darin spielt dann eine bestimmte Übung nur
eine sehr begrenzte Rolle. Weiterhin muss ich beachten, welche
Intention (Ziele) der Übungsteilnehmer mit seiner Praxis verfolgt.
Das kann sein, das hier lediglich ein Ausgleich zur Arbeitswelt
geschaffen werden soll, kann aus Gründen der Gesundheit wie der
Bekämpfung von Rückenschmerzen motiviert sein oder ist einfach
durch das Sozialverhalten und dem Spaß und der Freude an Bewegung
begründet. Für alle diese Motive gilt das gleiche Übungssystem,
werden die gleichen Übungen eingenommen und die gleichen Regeln
befolgt? Ist das so? Ist Yogasana wirklich die alles umfassende
eierlegende Wollmilchsau? Und jetzt heißt es wohl üben, üben und
üben?



Der Schein trügt.
Posen wie z.B der Drehsitz und seine Variationen bieten viele
Möglichkeiten der Wirkungserzeugung an. Sie alle sind aber weder
gleichwertig, weder allgemein gültig noch für alle Menschen gleich
wirkend. Doch der Reihe nach!
Zunächst einmal ist der
vollständige Drehsitz z.B. eine Haltung, die nicht jeder Übende
gleich einzunehmen vermag. Daher werden gerne Vorstufen dieser
Haltung verwendet, wenn man in großen Gruppen übt, denn ein oder
zwei Beginnende sind immer wieder mit dabei und hier muss Rücksicht
genommen werden. Diese Vorübungen [2. a. Ein Bein gestreckt, ein
Bein übergestellt, dann gedreht; b. Ein Bein gestreckt, ein Bein
seitlich abgelegt, dann gedreht; c. einfach mit gestreckten Beinen
sitzend gedreht; d. Auf dem Stuhl sitzend gedreht; e. Ein Bein
gestreckt, ein Bein angestellt und gedreht; …um nur einige zu
nennen und mich beim Aufzählen auf mögliche Beinhaltungen
beschränkend. Dann gibt es ja noch Arme, Atem, Intention und
Intension…] aber haben jeweils vollkommen unterschiedliche Wirkung
zu Folge. Woher weiß ich das? Ich habe sie alle ausprobiert und
miteinander verglichen. Wer als Yogalehrer offene Stunden gibt, weiß
nie, welche Übende mit welchen Motiven sich in seinen Kurs
versammeln können. Er sollte daher alle Variationen, die er
unterrichtet, auch kennen. Große Teilnehmerzahlen sind zwar gut fürs
Geschäft, aber schlecht für den Teilnehmer, denn der Lehrer wird
sich um den Einzelnen nicht intensiv kümmern können. Ich sehe daher
bei mir maximal 10 bis 12 Teilnehmer als sinnvoll an. Mehr ist für
einen Lehrer eigentlich nicht zu schaffen ist. Und diese kleine
Anzahl geht auch nur dann richtig gut, wenn bereits die Hälfte der
Teilnehmer regelmäßige Kursbesucher sind.

Und da sind wir
schon mitten im Thema und an einer Stelle, die mir zum jetzigen
Zeitpunkt im Artikel zu früh für Detailäußerungen erscheint und
die ich daher zurückstellen möchte. Bleiben wir zunächst noch
etwas beim dem, was allgemein geäußert werden kann.

Ich möchte jetzt einfach einmal ohne begründende Erläuterung und Ableitung meine Ansicht zu Yogasana beschreiben. Jede Pose, die ein Körper einnimmt und etwas hält, stellt eine Herausforderung für viele Funktionen des Körpers dar. Der Atem muss stattfinden können. Der Kreislauf darf nicht übermäßig eingeschränkt sein. Muskeln müssen angespannt, entspannt oder zum Halten genutzt werden und es wird oftmals auch Kraft, Energie und Willensstärke gefordert. Dann sind natürlich immer auch Entspannung, sich lösen von Vorstellungen und andere psychologische Aufgaben zu bewältigen. Jede dieser Aktivitäten erzeugt Wirkungen. Und jede Wirkung wird als Ursache weitere Wirkungen nach sich ziehen. Wie also soll ich so ein Netzwerk mit einfachen Worten beschreiben? Meine Antwort ist einfach: Gar nicht!

Zäumen wir daher das Pferd daher mal von hinten auf. Wir alle kennen die hohe Beweglichkeit, die langjährige Yogaübende auszeichnet. Diese Beweglichkeit ist nicht das Ziel des Yoga, sondern sie ist eine kollaterale Wirkung. Yogasana werden immer so eingenommen, das sie sich in der Ausformung im Grenzbereich der Bewegungsmöglichkeit des Übenden befinden. Stellen wir uns den Bewegungsspielraum eines Menschen als eingezäunten Garten vor, so üben wir sinnvoll immer direkt am Zaun. Wir berühren diesen aber nicht und wir überwinden ihn auch nicht. Der Körper aber, der regelmäßig vor grenzwertige Aufgaben gestellt wird, sorgt in seiner Autonomie und Anpassungsfähigkeit immer für einen ausreichenden Spielraum in seinen Möglichkeiten. Üben wir immer am Zaun, wird der autonome Körper den umzäumten Raum folglich immer mehr weiten. So entsteht die hohe Beweglich von Yoga-Übenden. Warum aber üben wir immer direkt am Zaun? Der Zaum bildet eine Grenze, die vom Körper deutlich angezeigt wird, zunächst als Wahrnehmung, dann als Spannung und fortführend oder sogar bei Überwindung des Zaunes als Schmerz. Wenn ich demnach dort arbeite, erfahre ich etwas über meinen (Ver-)Spannungszustand und die mir noch zu erschließenden Möglichkeiten, indem ich mich entweder mit Normen der Yoga-Literatur oder anderen Übenden vergleiche. Ziel des Systems wäre demnach, mich von Verspannungen [3. Verspannungen haben vielfältige Einschränkungen zur Folge. Das betrifft den Atem, den Kreislauf, das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und andere gesundheitlich relevante Motive (Schmerz, Bewegungseinschränkungen). Verspannungen benötigen immer Energie, um gehalten werden zu können. Diese steht dann für die Alltagsbewältigung nicht zur Verfügung.] zu befreien.



Des weiteren kann mit Yogasana durchaus auch klassisch trainieren (hier spielt die Intension eine Rolle, die ich der Haltung gebe), sei es zu mehr Beweglichkeit (Vorwärtsbeuge) zu kommen, sei es die Ausdauer (Sonnengebet) zu steigern oder meine Kraft (Stockhaltung) zu erweitern. Allerdings unterscheiden sich Yogasana von Sporthaltungen in der Gestalt, das immer zum Ende einer Haltung eine Entspannungsreaktion vom Übenden gefordert ist. Viele fortgeschrittene Asana sind sogar so ausgelegt, das man ohne Entspannungseinsatz sie einfach gar nicht länger wird halten können. Daher ist es auch wichtig zu sehen, das eine hohe Grundbeweglichkeit das Üben von Asana durchaus im Wirkungsradius verstärkt [4. In der Sportmedizin werden Grundbeweglichkeiten ausgewiesen, die mit Elastizitätstest ausgeführt werden. z.B.: Intensivstretching und Ausgleichsgymnastik von Gerd Schnack, Deutscher Ärzte-Verlag, ISBN 3-7691-0239-8]. Wenn man sich diese in Ruhe anschaut, wird man feststellen, wie wenig Menschen diese auch alle zu erfüllen vermögen. Dazu gehören unter anderen die Hocke mit beiden Fußsohlen am Boden bei geschlossenen Knien und die Vorwärtsbeuge mit gestreckten Beinen, wobei hier die Hände ohne Mühe mit den Handgelenken bis über die Füße gelangen sollten. Dehnen, öffnen sowie kräftigen sind daher wichtige Grundmotive für eine sinnvolle Praxis.

Wir haben also jetzt
gesehen, das das Lösen von Verspannungen ein Grundmotiv von Asana
ist. Weiterhin kann mit den Haltungen auch mit ähnlichen Zielen wie
im Sport trainiert werden. Wodurch aber ist diese Praxis dann, wie
bereits oben kurz erwähnt, in Lage, in Sachen Gesundheit präventiv
(vorbeugend) zu wirken? Um die Grenzen des Bewegungsraumes nicht zu
überschreiten ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erforderlich.Der
Blick muss dafür bis in die tiefen Feinheiten der Körperwahrnehmung
hineinragen. Da unterschiedliche Asanas im Körper an verschiedenen
Stellen herausfordern, lernen wir den Körper in seiner Gesamtheit
kennen und sind schon nach wenigen Wochen der Übung in der Lage,
feinste Körperwahrnehmungen zu erkennen und diese auch durch
Erfahrung zu unterscheiden. Nun zeigt die Erfahrung, das sich
Krankheiten in aller Regel nicht von heute auf morgen einstellen,
sondern sich langfristig ankündigen. Entweder ein ungutes Gefühl,
eine leichte Veränderung der Haltung, der Zustand einer Spannung
oder ein anderer feiner energetischer Ausdruck zeigt sich, lange
bevor eine Krankheit zu greifen beginnt. Ich z.B. bekomme leichte
Entzündungen im Mund- und Rachenraum mehrere Tage vor einer
Erkältung, bekomme Schulterschmerzen bei langer Rechnerarbeit, die
sich durch ein leises Ziehen bemerkbar machen. Rechtzeitig erkannt,
kann so der angreifenden Krankheit früh begegnet werden. Ein Bad
(gegen die Erkältung) oder eine Lockerungsübung (für die Schulter)
zur rechten Zeit wirken bei mir als Beispiel wahre Wunder. Das Üben
von Yogasana hilft also durch Aufmerksamkeit, Krankheiten [5. Auch
die Verspannung ist eine Krankheit.], besonders in ihrer voll
ausgeformten Stärke, durch rechtzeitiges Gegensteuern zu vermeiden.
Eine Erkältung dauert dann mal zwei, drei Tage, der Schulterschmerz
ist meist in Minuten schon aufgehoben.

Dann bereitet
Yogasana auf die Meditationshaltungen vor, die ja auch ein Teil der
Yogapraxis sind. Nicht jeder Sitz ist für Stunden gehalten bequem
und unproblematisch. Ich denke sogar, das Yogasana für die
Erreichung der Ziele der Meditation bzw. deren Aufgabe unabkömmlich
sind. Aber das ist ein anderes Thema.

Fassen wir
tabellarisch mal zusammen, was wir bis hier gelesen haben:

  1. Yogasana
    dienen der Lösung und Vermeidung von Verspannungen.
  2. Yogasana
    helfen, den Körper wahrzunehmen und diesen zu verstehen.
  3. Yogasana
    helfen dabei, Krankheiten rechtzeitig zu erkennen oder zu vermeiden.
  4. Yogasana
    öffnen den Bewegungsraum und helfen Kreislauf und Atem.
  5. Yogasana
    trainieren Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer.
  6. Yogasana
    bereiten auf die Meditation vor



Das ist doch recht
gesehen schon eine ordentliche Palette guter Wirkungen. Aber wie
setzten wir jetzt die mehr allgemeinen Anforderungen für Asana um?
Wie kann ich mir das vorstellen? Nun, eine Asana ist einfach eine
Pose, die wie ein Rezept verstanden werden kann. Sie wird immer im
Grenzbereich der Beweglichkeit gehalten. Wenn dann eine bestimmte
Haltung eingenommen ist, beginnt man damit, diese entweder selbst zu
korrigieren oder vom Lehrer korrigieren zu lassen. Dann legt man eine
mäßige leichte Spannung in die Pose, um sie räumlich zu füllen
oder sogar etwas zu heben. Diese Spannung, die meist zur Basis
(Boden, Sitzen) geht und den Körper sich allgemein etwas verengen
lässt, lässt man dann nach wenigen Sekunden langsam abflachen, bis
sich der Körper wieder öffnet, weitet. An der Stelle (Schwelle), wo
der Körper sich noch erdet, aber schon öffnet, weitet, hält man
die Spannung bis zum Ende der Asana. Dabei öffnet sich sowohl der
Atemraum (Prana) als auch die Ausrichtung zur Erdmitte (Apana)
deutlich fühlbar. Die Pose erscheint dann fest und relativ mühelos.
Durch stetiges Üben in dieser Form, darin enthalten ist der
korrekte Einsatz von Bhandas und Marmas [6. Bhandas und Marmas sind
energetisch wirksame innere Bewegungen und Anbindungen, die uns in
die Lage versetzen, eine Haltung mühelos zu halten. Sie wirken wie
Siegel, die unsere optimale Haltung absichern.] werden sich
Verspannungen, Schutzverspannungen und behindernde Blockaden lösen
und zunehmend dem Körper mehr Raum geben. Mehr Raum bedeutet mehr
Energie, denn Energie braucht Raum, da sie bewegt ist und nicht
statisch gespeichert oder gehalten werden kann. Das ist in kurze
Worte gefasst der grobe Aufbau einer einzelnen Asana aus meiner
Sicht.

  1. Die Form
    einnehmen.
  2. Die Form
    korrigieren.
  3. Bhandas und
    Marmas einsetzen.
  4. Etwas mehr
    Spannung erzeugen und diese langsam zurückgehen lassen,
    beobachten…
  5. Die Form in
    der Wahrnehmung haltend etwas wirken lassen (stehen).

Die Übungsreihen,
mit denen man dann im Alltag arbeitet, enthalten Übungen, die
entweder in einer ganz bestimmten Weise eine Wirkung erzeugen sollen
oder ist eher allgemein gehalten, was bedeutet, das systematisch der
Körper nach Spannungen und Veränderungen durchleuchtet wird. Daher
der Aufbau vieler Traditionen des Yoga in festgelegten Übungsreihen.
Diese sind aber meiner Überzeugung nach mehr für Einsteiger
gedacht. Der erfahrene langjährig Yoga-übende Mensch wird solche
Reihen nicht brauchen. Er verfährt nach der Methode, „was ich in
der Körperwahrnehmung bei mir gefunden habe, werde ich auch sofort
angehen“. Daher ist eine eigene Übungspraxis zu Hause immer
sinnvoll. Die vielleicht eine gemeinsame Übungsstunde in der Woche
oder der Unterricht mit einem Lehrer ist nur ein Impulsgeber oder
eine Kontrolleinrichtung. Sie dienen dem Erlernen neuer Asanas, der
Erweiterung des geübten Portfolios und der Aufnahme von Tips und
Tricks, mit denen die Übungen verfeinert werden können. Außerdem
ist es immer auch interessant und gewinnend, sich mit Gleichgesinnten
zu treffen, gemeinsam zu üben und sich auszutauschen.

Dieses in der Fülle
nur leicht angeleuchtetes Beschreiben einer Asanapraxis (Yogasana)
ist meine Art, mit diesem uralten Rezept aus dem Yoga umzugehen. Die
Elemente religiöser Anteile, die häufig im Yoga beobachtet werden
können, interessieren mich nicht. Das Geschäft mit Yoga ist für
mich nicht von Bedeutung, und auch als Hobby würde ich Yoga ungern
bezeichnen. Yogasana, Pranayama und Meditation sind für mich wie
Körperpflege, wobei Körper und Geist in meinem Denken nicht
getrennt sind. Beide gemeinsam brauchen diese Pflege, um ein gesundes
und erfülltes Leben führen zu können.

Nun hat der Artikel
schon vier DIN-A4-Seiten und Details wie Tips, Tricks und Wege zur
Orientierung sind darin noch nicht enthalten. Jeder Mensch für sich
ist nun einmal eine einmalige Übungsfläche. Das macht die Sachlage
unübersichtlich. Jede Pose, jede Haltung, jede Übung und jeder
Atemzug ist eine einmalige Sache. Es gibt wenig Regeln und wenige
Schilder, mit denen eine solche Praxis einfach mal so durchgeführt
werden kann. Auch ein Lehrer hat für sich genommen eine einmalige
Struktur und kann daher meist nur für sich selbst sprechen. Da aber
Menschen doch nicht so unterschiedlich sind, das gar keine Merksätze
mehr gebildet werden könnten, und da Menschen lernen können,
Mitgefühl zu entwickeln und tolerant zu sein, ist die Arbeit
zwischen Lehrer und Schüler im Yoga immer auch ein Gespräch, ein
Austausch und innerhalb eines freundschaftlichen Rahmens angesiedelt.
So sehe ich meinen Yoga-Unterricht, und so werde ich es auch
weiterhin halten. Wo nur wenige Regeln sinnvoll sind, sollten auch
nur wenige als endgültig formuliert oder ausgewiesen werden.

Und um jetzt zum
Anfang zurückzukehren: Manchmal ist es wichtig, auch Form zu üben
und die Funktion hinten anzustellen. Denn erst die richtige Form
lässt oftmals die Funktion erst im Licht der Aufmerksamkeit
erscheinen. Yoga und Yogasana sind jeweils ein System [7. Systeme
müssen gelebt werden, um erkannt zu werden. Zuerst folgt man
jemanden, dem man vertraut. Dann versteht man, und fließt durch die
Übungsreihen. Dann reihen sich die Übungen mehr und mehr von
selbst. Und zum Schluss steigt man nur noch auf seine Matte und
verlässt sie wieder. Und dazwischen ist… nichts!], und keine
Aneinanderreihung von Einzelübungen.

Die Wirklichkeit, in der sich alles abbildet, ist kein weit entferntes Land.
Sie steckt in dir selbst, mittendrin.
Schau doch einfach mal dort nach.
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Kommentar zum Spiegelartikel Die Macht der Heiler (34-2018)

Angeregt durch einen Artikel im Spiegel, der in relativ unwirscher Methode die Gesamtheit alternativer Heilmethoden samt Yoga, Qi Gong und Ayurveda in einen einzigen Topf wirft und verunglimpft, habe ich mich als praktizierender Yogalehrer dazu aufgerafft, ein gegen diesen Artikel  gerichtetes Gegengewicht zu setzen.Ausgehend von einem Beispiel einer Patientin mit chronischer rheumatoider Arthritis [1. Die rheumatoide Arthritis  ist die häufigste entzündliche Erkrankung der Gelenke… Die Ursachen der Erkrankung sind bislang weitgehend ungeklärt. Es wird eine autoimmune Ursache angenommen… Diese Erkrankung gehörte zu den Holy Seven des Psychosomatikers Alexander. (Wikipedia)], die mit Globuli schlechte Erfahrungen gemacht hat, werden hier in zwei Artikeln  in unwissenschaftlicher Weise nahezu alle Richtungen der Naturheilkunde in einen Topf geworfen und entwertet. Dass die Autoren, einerseits eine nicht praktizierende Ärztin (Die Macht der Heiler) und andererseits ein Datenjournalist (Wohin das Qi fließt) keinerlei Erfahrung mit diesen Formen der Medizin besitzen können, da ihre Arbeit in einer Zeitungsredaktion keine Erfahrung auf dem beackerten Gebiet zulässt, klingt zwischen den Zeilen klar hindurch. Niemand, der sich wissenschaftlich mit alternativen Heilmethoden beschäftigt, streitet heute mehr ab, dass Akupunktur, Yoga und Ayurveda in verschiedenen Disziplinen der wissenschaftlichen Heilkunde durchaus sehr viel beitragen können, so diese Kunst von Menschen praktiziert und weitergegeben wird, die über Jahre und Jahrzehnte Erfahrungen in dieser Arbeit sammeln konnten. Weiterhin kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, das hier zumindest oberflächlich betrachtet die Arbeit der Volkshochschulen, die Gesundheitskurse anbieten, diskreditiert werden soll, aus welchem Grund auch immer. Zunächst eine Leseprobe aus den Artikeln:

Zitat aus dem Artikel (Orginalwortlaut, nicht bearbeitet) Die Macht der Heiler:

Eine Da­ten­ana­ly­se des SPIEGEL hat er­ge­ben: Fast je­der vier­te VHS-Kurs zum The­ma Ge­sund­heit be­inhal­tet un­wis­sen­schaft­li­che Eso­te­rik.

»Das Volk wird sys­te­ma­tisch ver­dummt und pro­biert dann zwei­fel­haf­te Be­hand­lun­gen aus«, sagt Ed­zard Ernst, eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor für Kom­ple­men­tär­me­di­zin der Uni­ver­si­tät Exe­ter. »Wenn wei­te Tei­le der Be­völ­ke­rung glau­ben, es gebe tat­säch­lich so et­was wie die Le­bens­en­er­gie Qi oder Me­ri­dia­ne und Cha­kren, wenn also je­der Un­sinn pro­pa­giert und ge­glaubt wird, dann gibt es kei­ne Maß­stä­be mehr«, be­fürch­tet Ernst. »Dann wer­den die Gren­zen zwi­schen Wahr­heit und Un­wahr­heit un­scharf. Dann kann je­der Schar­la­tan sei­ne Mei­nung auf­ti­schen, und sie wird ge­nau­so ernst ge­nom­men wie die ei­nes Ex­per­ten.«

Zitate aus dem Artikel (Orginalwortlaut, nicht bearbeitet): Wohin das Qi fliesst:

In fast je­dem vier­ten Volks­hoch­schul­kurs aus dem Be­reich Ge­sund­heit wird ein frag­wür­di­ges al­ter­na­tiv­me­di­zi­ni­sches Ver­fah­ren ge­lehrt.
Hier­zu ge­hö­ren auch die häu­fig an­ge­bo­te­nen Yoga- und Qi­gong­kur­se, so­fern die­se nicht als rei­ne Fit­ness­gym­nas­tik im Pro­gramm an­ge­kün­digt sind. Oft wird ein Teil der Kurs­ge­büh­ren so­gar von den Kran­ken­kas­sen über­nom­men. Dass Yoga gut­tut, dar­auf deu­ten Stu­di­en hin, al­ler­dings hat die Leh­re, eben­so wie Qi­gong, eine Ne­ben­wir­kung: Sie ver­mit­telt ein un­wis­sen­schaft­li­ches und ir­ra­tio­na­les Kör­per­bild.
Die­se Aus­sa­ge zei­ge »ei­nen er­schüt­tern­den Grad an Un­ver­ständ­nis«, sagt Ed­zard Ernst und warnt da­vor, eine Heil­me­tho­de als wirk­sam an­zu­se­hen, nur weil man selbst oder ein Be­kann­ter da­mit po­si­ti­ve Er­fah­run­gen ge­macht habe. »Eine un­wirk­sa­me The­ra­pie er­scheint im Ein­zel­fall oft wirk­sam«, er­klärt er. »Das ist ganz nor­mal und kann am Pla­ce­bo­ef­fekt lie­gen oder am na­tür­li­chen Ver­lauf ei­ner Er­kran­kung, die sich häu­fig ein­fach von selbst bes­sert.«

Soweit einige der Originalzitate aus dem beschriebenen Artikel.

Zugegeben, in der Gesamtheit liest sich der Artikel durchgängig wie eine wissenschaftliche Arbeit. Allerdings zeigt sich bei näherem Hinsehen eine redaktionelle Blindheit ungeheuren Ausmaßes, die schon fast nicht mehr mit Fake News zu beschreiben ist. Das ist schon schlimmster Dogmatismus und Propaganda der obersten Kategorie.

Placebo Effekt: Was ist an der Wirksamkeit von Placebo Effekten eigentlich so schlimm? Egal welcher Fraktion der Heilkunde der praktizierende Heiler [2. Dazu zählen auch die Ärzte der sogenannten wissenschaftlichen Medizin] auch angehört, wesentlich ist doch wohl der heilende Effekt am Patienten. Und wenn der Glaube wie beim Placebo Effekt doch bereits zu heilen vermag, wozu braucht es dann noch das Messer oder die Pille der Monopol-Heiler?

Wer bietet denn die ganzen „Quacksalbereien“ (Wortzitat aus dem Artikel) so an? Nun es sind eben nicht nur Esoteriker in diesem Gebiet aktiv, sondern sehr viele Ärzte und fast alle Heilpraktiker sind in der Naturheilkunde und der alternativen Medizin unterwegs. Gerade die Angebote aus Arztpraxen, die als Zusatzangebote den Patienten verabreicht werden, erweitern doch heute schon mit hohen Steigerungsraten die Einkommen der Ärzteschaft. Ist hier der VHS-Kurs vielleicht nur eine lästige Konkurrenz, gegen die sich diese Artikel richten sollen?

Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit von Yoga, Ayurveda und der TCM (Akupunktur) zum Beispiel gibt es zuhauf und eine Suche (10 Minuten reichen da aus) in so „hoch-esoterischen“ Zeitschriften wie Geo und Zeit belegen das in eindrücklichen Zahlen und Bildern. So wird die Wirksamkeit von Akupunktur, Yoga und Ayurveda in vielen Studien eindrücklich belegt. Zur Akupunktur gibt es sogar Habilitationsschriften deutscher Ärzte in unseren Universitäten (LMU). Für Yoga sind Wirkungen gegen Schmerzen, Stimmungsschwankungen, Schlafproblemen belegt. Weiterhin ist eine Wirkung auf Neurotransmitter sowie Gene wissenschaftlich nachgewiesen. Auch die Wirkungsweise von ayurvedischer Ernährung und Behandlungen äußerlicher Art sind mehr als gut belegt. Dass die Anwendung diese Techniken anders als ein Arztbesuch zu entspannen vermögen, das Heiler deutlich mehr Zeit für ihre Patienten aufbringen und mit mehr Mitgefühl zu wirken verstehen ist allgemein bekannt. Und das Mitgefühl und Meditation heilsame Wirkungen entfalten kann ist ebenfalls mehr als bewiesen. Studien dazu gibt es zuhauf, und Meditation ist auch eine Praxis des Yoga (Siebte Stufe, Patanjali).

Was Studien zu Yoga und Ayurveda deutlich erschwert ist nebenbei gesagt die Tatsache, dass Yogaübende zum Beispiel seltener krank sind, mehr auf ihre Gesundheit achten, selten an verspannter Rücken- und Beinmuskulatur oder durch das Wirken des dem Yoga verwandten Ayurveda (Ernährung) seltener an Diabetes oder Bluthochdruck leiden. Somit sind die Wirkungen des Yoga nach wissenschaftlichen Mustern, also erst durch Ignoranz des Gesundheitssystems und Unwissenheit der Menschen krank geworden und dann durch gezielte Übungen oder Ernährungsumstellungen geheilt, schlecht in Studien zu belegen. Auch kenne ich in den Kreisen, die regelmäßig die Meditation pflegen, nur wenige Menschen, die an krankhaften Stress-Symptomen oder Aufmerksamkeitsdefiziten leiden.

Was weiterhin nicht bekannt gemacht wird, obwohl es dazu sehr einfach zu erhebende Daten geben könnte, ist die Wirkungsweise dieser alternativer Verfahren. Sowohl Yoga und Ayurveda als auch weite Teile der TCM arbeiten vorzugsweise mit präventiven Wirkungen. So bezahlt ein klassischer chinesischer Patient traditionell seinen Arzt nur dann, wenn er durch die Arbeit des Arztes gesund bleibt. Auch in Indien war und ist diese Form auch heute noch erhalten. Präventive gesundheitliche Arbeit versucht Krankheiten vorzubeugen, versucht, diese rechtzeitig zu diagnostizieren und für Abhilfe zu sorgen, solange dieses noch einfach und erfolgversprechend sich gestaltet. Ayurvedische Ärzte, selbst praktizierende Yogafachleute und TCM-Mediziner arbeiten sehr oft mit wissenschaftlichen Ärzten zusammen und verweisen auch ihre Patienten auf deren Heilmethoden, wenn Krankheiten bereits zu fortgeschritten (wie gefährliche Entzündungen) sind, hochwirksame Medikamente erfordern oder Geräte benötigt werden, die schon für die Bedienung einen Spezialisten (Operationen) erfordern.

Ich selbst übe seit 25 Jahren Yoga und halb solange Meditation, und ich kenne die Wirkungsweise dieser gesundheitsfördernden alternativen Tradition. Ich würde nie auf die Idee kommen, ernsthafte lebensbedrohende Erkrankungen wie eine Lungenentzündung, Krebs oder eine Blinddarmentzündung mit Yoga oder Bachblüten behandeln zu wollen. Yoga wirkt in all den Bereichen von Krankheit sehr gut, wo Bewegung eine Hilfe darstellt, wo Verspannungen und einseitige Belastungen zu körperlichen und mentalen Problemen führen. Allerdings ist es meist sehr schwer, bei Übungsteilnehmern, die mit Problemen solcher Art erstmals in die Yogastunde kommen, die Grundlage dafür zu schaffen, das Yoga auch wirklich schnell helfen könnte. Yoga ist präventiv wirkend aufgebaut. Die Übungen, die zur Gesundung beitragen können, sollten also schon verstanden und auch praktiziert werden können, wenn ein Leiden erstmals auftritt. Leider ist diese Vorbedingung in Europa meist nicht gegeben, und eine Intervention mit Yoga bei akuter Krankheit gestaltet sich, wenn überhaupt möglich, kompliziert und beschränkt sich meist auf die Nachsorge nach Krankheit. Viele Menschen tragen schwer an ihrem Alltag, sind körperlich (Dehnung, Kraft, Ausdauer, Atmung, Ernährung, Stress) nur nach langer Vorbereitung in der Lage, sich normal zu bewegen und somit wirksame Yogaübungen für sich selbst zu gestalten. Statt Yoga zu verunglimpfen, wäre es viel mehr angebracht, wenn wissenschaftliche Heiler darauf hinarbeiten würden, Yoga und andere Körperarbeitsmethoden flächendeckend im Lande zu verbreiten. Das dabei auf eine gute Qualität der Angebote zu achten wäre ist wohl selbstverständlich. Dabei ist es auch nicht besonders schlimm, wenn ein gesunder Teilnehmer Yogaübungen machen sollte, die nicht so ganz dem Sinn entsprechen, für den sie erfunden wurden. Es gibt nur wenige Übungen in dieser Tradition, die einem gesunden Körper schaden können, und die sind meist auch noch schwer zu erlernen und werden daher auch selten gerne ausgeführt. Sie sind einfach zu anstrengend und erfordern viel Geduld und Durchhaltevermögen. Das unterscheidet Yoga von den vielen Sportarten, für die gerne und oft auch im Spiegel Werbung in Sachen Gesundheit gemacht wird.

Viele Probleme in meiner Yogastunde, so zeigt sich in den Veranstaltungen und Gesprächen mit Teilnehmern, werden durch einseitige Belastungen auf der Arbeit und im Breitensport verursacht. So wird beim Lauftreff selten Gymnastik angeboten, wird oft sogar zu übertriebenen Leistungen (Marathon) angestachelt und es wird selten ein Ausgleich für einseitige Belastungen angeboten, wie sie im Tennis, Fußball oder selbst im Golf zwangsläufig auftreten. Die Angebote von Arbeitgebern sind meist kostenpflichtig, in der Freizeit angesiedelt und an Profanität selten zu überbieten. Diese Leute kommen dann, wenn sie Glück haben, meist viel zu spät für eine vollständige Genesung doch noch in eine Yogastunde. Viele andere allerdings werden dauerhaft mit Pflastern, Schmerzmitteln und Psychopharmaka abgespeist und/oder enden später in Streckvorrichtungen und auf Operationstischen. Wo bitte sehr ist hier die Logik und wo sind die Hinweise eines Spiegel-Magazins zu diesen Missständen, die nebenbei gesagt auch noch von der Allgemeinheit sehr teuer bezahlt werden müssen. Sie können lange suchen, es gibt sie nicht!

Fazit: Diese Artikel dienen bestimmt nicht der Information des Lesers, sondern diskreditieren und verunglimpfen Millionen von Yogaübenden, deren Betreuer und Aktivisten. Das alles sind Menschen, die sich meist für wenig Geld um die Volksgesundheit (ist nicht populistisch…) sorgen und die hochbezahlte Mediziner dort ersetzen, wo es nicht viel zu verdienen gibt, nämlich bei den gesunden und nicht chronisch kranken Menschen. In unserem System muss beim Patienten der Kopf stets erst unter dem Arm getragen werden, bevor sich ein Mediziner um seine Gesundheit kümmert. Dann ist es aber meist schon viel zu spät, um eine wirkliche Heilung noch herbeiführen zu können.  Beispiele dafür sind die explosionsartig gestiegene Anzahl von Hüftgelenksoperationen, die Stoßwellen Therapie, die seit dem Vertrieb der Geräte die „Kalkschulter“ zu einer Volkskrankheit macht und die vielen WS-Operationen, die nicht nachhaltig geheilt haben, sondern lediglich eine dauerhafte Einschränkung der Belastbarkeit zur Folge hatten. Was hier oft (nicht immer) Heilung genannt wird, ist meist in Wirklichkeit nur das Füllen bereits überfüllter Beutel einer elitären Gesundheitsindustrie und eine Steigerung des Bruttosozialproduktes durch Förderung chronischer Erkrankungen zulasten der Lebensqualität und Beutel des teuer versicherten Bürgers. Unzählige Skandale im Gesundheitswesen belegen das unmissverständlich. Ihre Anzahl ist deutlich höher als die von Missbrauch in der alternativen und präventiven Medizin. Dabei könnten Vorsorge und Aufklärung das Schlimmste frühzeitig (bereits in der Schule und beim Berufseinstieg) verhindern und, wie in meinem Fall, die arbeitenden Menschen später gesund und munter in den Ruhestand entlassen. Yoga, Ayurveda und TCM könnten dabei einen großen Beitrag liefern, wenn sie vor allem rechtzeitig und präventiv eingesetzt würden. Aber statt zu ermuntern, wird verleumdet. Das ist im Grunde nur ärgerlich!