Eine erste Ode an die Un-Entschiedenheit: Glauben

Ich werde immer mal wieder mit einer Situation konfrontiert, Stellung beziehen zu müssen zu Themen, die für mich nicht entschieden sind, die für mich (noch ?) offen sind. Dabei ist es relativ gleich-gültig, ob das Themen der aktuellen Politik, der Religion, des Glaubens, der Ernährung, der Weltsicht oder gar der Seins-Philosophie sind. Ich möchte hier darlegen, warum die Unentschiedenheit [1. Der antike Skeptiker Pyrrhon von Elis wendet die Unentschiedenheit in Form der Aoristie an und postulierte, dass die Dinge nicht unterscheidbar, unbeständig und damit nicht zu beurteilen seien. Daher dürfe man weder unseren Wahrnehmungen noch unseren Vorstellungen glauben, woraus die Pflicht entstünde, sich nicht zu entscheiden.] , der ich damit den Beginn einer mehrstrophigen Ode [1. Ode = Liedtext] widme, in all diesen Fragen so ungeheuer wirksam und vorteilhaft ist. Erläutern möchte ich das hier an den Ansichten über den Glauben, die sich in Fragen äußern wie: Glaubst du an Gott? Welcher Glaubensgemeinschaft gehörst du an? Wie geht das zusammen, Zen-Meditation, Yoga und Christentum?



Zunächst einmal setzt die letzte Frage voraus, so scheint es zumindest, das bestimmte Formen des Glaubens und eine spirituellen Praxis immer nur in einem Gemeinschafts-Kontext gesehen werden können. Bei mir, der ich christlich aufgewachsen bin, Yoga unterrichte und übe, was allgemein mit dem Hinduismus zusammengebracht wird und im Zen-Stil meditiere, was allgemein, sprich in der Anschauung der Mehrheit eine buddhistische Praxis darstellt, würden so nahezu unkonvergente Grundanschauungen meiner Lebensbereiche mich permanent in Widersprüche verwickeln müssen. Das ist aber, so kann ich mit Bestimmtheit sagen, nicht der Fall.

Dem Christentum liegt grundsätzlich der Glaube zugrunde, das irgendwo da draußen außerhalb der Reichweite der Menschen sich ein Gott in der Transzendenz befinden müsse, der seinen Sohn als Mensch in unsere Welt geschickt habe, um unsere Sünden zu tilgen. Des Weiteren geistert der Heilige Geist allseits präsent durch unser Universum und beobachtet/berichtet (über) unser Tun und Handeln. Gott, Sohn und Heiliger Geist nehmen/haben also Einfluss aus der Transzendenz auf all unser Tun und richten darüber nach dem Tod. Jeder Mensch besitzt dazu eine persönliche Essenz, genannt Seele, die mit Gott in Verbindung stehend gedacht wird. Für mich stellt sich die Frage, warum es dann auf unserer Welt, die dem Glauben nach jetzt sündenfrei sein müsste, es nach wie vor so viel Gewalt, Krieg und Missgunst gibt. Bisher konnte ich mich keiner der reichlich kommunizierten Antworten anschließen, die sich in 2000 Jahren Geschichte an einer Erklärung versucht haben.

Nicht anders ist es mit dem Hinduismus, der ja mehr eine religiöse Sammelbewegung ist und der die Möglichkeit öffnet, jedem seinen ganz eigenen und für sich passende Gottesvorstellung zu wählen. Im Yoga heißt das, einen Persönlichen Gott zu haben. Die Gemeinschaft beruht mehr auf den Grundsätzen, die sich auf die Lehren der Upanishaden beziehungsweise auf Epen wie das Mahabharata beziehen. In diesen wird eine Gründung des Menschen auf Atman, eine persönliche Essenz des Geistes gesetzt, die mit der Essenz alles Menschlichen, dem Brahman in Verbindung steht. Durch das Menschsein ist dieser Atman dem Karma unterworfen, was soviel bedeutet wie das alle Handlungen des Menschen sich in gute oder schlechte Anhaftungen ausgestalten. Diese werden in diesem oder weiteren Leben abzuarbeiten sein und gestalten sozusagen dieses neue Leben nach der Wiedergeburt. Nun können wir dieses bisher nur glauben, nicht aber wissen oder nachvollziehen. Allerdings halte ich viele Annahmen oder Setzungen in den Lehren für so außergewöhnlich, das ich daran zweifle, das eine solche Konstruktion irgendwie auch nur annähernd die Wirklichkeit darzustellen vermag.

Schaut man sich den Buddhismus von seiner Gründung her an, so ist der Buddhismus auf zwei grundlegende Annahmen aufgebaut. Da ist zunächst einmal die Annahme, das es keinen Atman oder keine Seele gibt (anatman = Nicht-Selbst), was nichts anderes bedeutet als das sich nichts persönliches mehr in der auch hier angenommenen Wiedergeburt wiederfinden lässt. Die zweite Grundannahme ist die, das der Buddhismus sich darauf beschränkt, die Menschheit von Leiden jeglicher Art zu befreien. Was bedeuten diese Aussagen? Es gibt keinen Gott und kein persönliches Selbst (Seele, Atman). Ohne etwas grundlegend Festes, Ewiges, ist daher alles bedingt, also endlich, sterblich oder vergänglich. Daher wird, um der Sprache Genüge zu tun, das Gründende entweder als leer gedacht oder als eine Leerheit angenommen. Dann bringt der Buddhismus in seiner Eigenansicht nicht zwangsläufig den Frieden oder das Gute in die Welt, sondern befreit nur vom Leiden, und leiden tun Menschen in der Regel an ihren Ängsten, Sorgen, Nöten und falschen Vorstellungen. Die letzten werden oft als Gier, Hass und Verblendung angesehen. Im vollendeten Buddhismus bleibt der Arme also arm, der Reiche reich und der Kluge bleibt klug, aber alle Drei leiden nicht mehr. Gerechtigkeit spielt hier keine Rolle. Und aus der Abwesenheit vom Leiden entsteht eine ganz andere Gemeinschaft als die, die wir bisher kennenlernen konnten. In meinem Verständnis ignoriert der Buddhismus aber letztlich die Beobachtung, das sich Gemeinschaften immer werden organisieren müssen, das Organisationen aber immer Machtausübung und Kontrollmechanismen aufbauen und so immerzu das entsteht, was sich heute Korruption nennt, was wiederum die Grundlage bildet für Gier, Hass und Verblendung. Ich sehe hier, auf eine größere Allgemeinheit bezogen, einen Kreislauf, der sich nicht stoppen lassen wird. Somit funktioniert der Buddhismus nur in einem persönlichen Allein-Sein-Können. Dazu aber fehlt uns auf der Erde mit acht Mrd. Menschen sowohl der Raum als auch die Ressourcen.

Somit sind in den drei Weltsichten, mit denen ich Berührungspunkte habe, immerzu bedeutende Frage offen geblieben. Was aber spricht dagegen, sich eben keiner Glaubensgemeinschaft anzuschließen. Gott, Atman, Selbst und Leerheit, wozu brauchen wir das? Ist es nicht genug, festzustellen, das wir leben und darauf angewiesen sind, diesen Planeten mit allen Bewohnern zu teilen, ihn zu erhalten und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Das Beste ist doch wohl, ihn so zu lassen wie er sich in vielen Mio. Jahren selbst entwickelt hat. Ich habe auch einsehen müssen, das es Gerechtigkeit so nicht gibt. Diese Welt ist nicht auf Gerechtigkeit aufgebaut, sondern auf Funktionalität. Alle Substanz und Wesen stehen in Abhängigkeit zueinander. Auf keines/keinen kann verzichtet werden und keines/keiner ist unwichtig. Wir Menschen wissen nicht wirklich viel über das, was uns begründet, im Grunde wissen wir, wenn wir ehrlich sind, sogar gar nichts darüber. Wir sprechen zwar von einer Seele, einem Atman oder deren Abwesenheiten, und wissen doch nichts darüber. Mir hat das irgendwann zu denken gegeben, und ich habe für mich beschlossen, unentschieden zu bleiben in dieser Frage. Ich sehe jeden Tag, das Menschen sich in Weltsichten und Glauben flüchten, weil sie die offenen Fragen fürchten und Angst haben, etwas unwiderruflich falsch zu machen. Das ändert sich auch in der Unentschiedenheit nicht wesentlich. Aber als Unentschiedener gehöre ich keiner Organisation an, bin weder verpflichtet noch gebunden, sondern frei von Vorentscheidungen. Ich kann heute hier, morgen dort und überhaupt …, wann und wie immer ich will in der Welt sein. Ich denke, dass das der Freiheit, die wir doch so verehren, deutlich näher kommt als wenn ich mich entscheide, das Eine anzunehmen und auf alles andere zu verzichten. Allerdings, in der Unentschiedenheit ist der Mensch oft allein und meist auf sich selbst gestellt. Aber, ernsthaft betrachtet, ist Allein-Sein nicht allgegenwärtig, auch für den , der sich bereits entschieden hat.

Und was für den Glauben gilt, gilt auch in den anderen am Anfang genannten Themenbereichen. [3. Darüber werde ich ebenfalls bald etwas zu Bits bringen…] Sich im Entweder-Oder aufzuhalten ist durch die Angst begründet, ganz allein (da) zu sein. Daher schließen sich Menschen Gruppen, Organisationen und Staaten einschließlich deren Regeln an. Diese Angst selbst aber ist unbegründet. Jeder für sich ist allein. Jeder auf der Welt ist aber gleichzeitig in Gemeinschaft mit anderen. Das erstere schließt das andere doch nicht aus, sondern beide sind auf polare Weise miteinander verknüpft. Daher stehe ich zu Unentschiedenheit als Glaubensinhalt. Sie ist im obigen Fall nicht Nicht-Glauben, also Atheismus, bitte das nicht verwechseln. Ich behaupte weder einen Glauben noch streite ich ihn ab. Ich bleibe offen… Das ist genau betrachtet eine Haltung, die ohne Angriffs- oder Abwehrflächen zu haben auskommt, daher ist sie äußerst flexibel, denn sie hält offen, was bis zur Gewissheit offen bleiben sollte. Das Leben und die Gemeinschaft mit anderen gestaltet sich meiner Erfahrung nach einfacher auf diese Weise.




Ursache-Wirkung-Prinzip in der Meditation

Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist ein Grundprinzip der Wissenschaften westlicher Prägung. In allen Theorien und allen Arbeiten wird damit festgestellt, dass die Wirkung nicht vor ihrer Ursache, sondern nur und im Maximum zeitgleich auftreten kann. Dieses Prinzip bildet die Grundlage unseres Denkens, unserer Fähigkeiten zu Schlussfolgerungen zu gelangen, unserer Hoffnung, so die Zukunft schon jetzt sehen zu können und somit Unheil zu vermeiden.

Unsere Kultur, unser Wissenschaft, unsere Naturgesetze, unserer Denken und Handeln baut auf diesem Prinzip wie selbstverständlich auf. Selbst der größte westliche Kritiker dieser Grundlage, David Hume, der dieses Prinzip leugnete, weil es seiner Ansicht nach nicht einen absoluten Kern [1. 100%] geben könne, gesteht zu, dass sehr wohl eine sehr hohe statistische Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sich hierauf Gesetze aufbauen lassen.

Dieses Prinzip, mit dem sich Wissenschaftler und Philosophen seit 2500 Jahren beschäftigen, hat einen Mangel, der nicht behoben werden kann. Das Prinzip Ursache/Wirkung bildet eine endlos rückwärtslaufende Reihe, da es keine Ursache geben kann, die selbst keine Ursache besitzt. Jede Ursache ist damit auch immer Wirkung, die wiederum eine Ursache haben muss. Das Problem ist ein Dilemma, eine unlösbare Aufgabe. Die Wissenschaften heute scheinen das Problem zu ignorieren. Sie scheinen zufrieden mit der Annäherung, einer größtmöglichen Wahrscheinlichkeit.

Anders die Religionen, deren Vertreter immer den Anspruch besaßen und heute noch besitzen, die Welt und das Sein vollständig zu erklären. Sie schufen eine allerletzte Ursache, eine Wirkung also, die als Ursache nur sich selbst besitzt und gaben dieser einen Namen: Gott, das Absolute, Selbst, Atman, Brahma. Diese allerletzte Ursache kann, unserer Logik folgend, nur unendlich, ewig, allumfassend, allmächtig und allwissend sein, alles andere würde sich mit dem Wirken aus sich selbst heraus zu sich selbst hin widersprechen. Nahezu alle Welttheorien und Religionen vertreten den Anspruch, Wege aufzeigen zu können, die den denkenden Menschen zu dieser oder in diese von ihr deklarierte letzte Ursache zurück- oder weiterführen. Vereint mit der allerletzten Ursache zu sein heißt dann, vereint mit Gott zu sein, …bewirkt den Einzug ins Paradies, ….beendet das Rad des Lebens, …führt zurück in den Ozean des Seins, …führt zurück in die Glückseligkeit, …führt ins absolute Sein, schließt und vervollkommnet somit die Entwicklung des Menschen, bildet das allerhöchste erreichbare Ziel des Lebens, ist Erleuchtung. Die Wege zur dieser Vollendung sind Askese, Glauben, Anbetung, Götterdienst, Heldentum, Erfolg und Verdienst und natürlich die Meditation. Meditation in diesem Sinne ist daher auch ein sehr weiter Begriff mit sehr vielen Inhalten und Techniken. Für deren Beschreibung gibt es Bücher und Schriften aus allen Kulturen ohne Zahl, und es wäre müßig, hier auch nur einen kurzen Abriss geben zu wollen. Womit ich mich beschäftigen möchte ist eine Ausnahme zu dem benannten Spektrum, ein System, das ohne eine allerletzte Ursache zu benennen auskommen will und die sich in einigen Schulen des Buddhismus und angrenzenden Theorien wie dem Vedanta beheimatet. Seine klarste Entsprechung findet sich im Zen.

Ohne groß in die Tiefe gehen zu wollen kann man Zen als ein Übungssystem beschreiben, das sich am Auftrag Buddhas orientiert, alle Wesen dieser Welt vom Leiden zu befreien. Dazu wird der Mensch angehalten, durch üben sich von Verstrickungen und Illusionen zu befreien und die Fähigkeit zu erlangen, die Wirklichkeit zu erfahren. In dieser ist dann das Rad des Lebens, das nach buddhistischer Lehre Leiden bedeutet, angehalten. Der so Verwirklichte wird dann weiter auf der Welt wirken und durch Lehre und Vorbild weitere Menschen zur Einsicht führen, bis alle Menschen vom Leiden befreit sind. Der mentale Zustand, den der so befreite Mensch erreicht, wird Erleuchtungsgeist oder Herzgeist genannt. Ich selbst kann zum Thema Herzgeist/Erleuchtungsgeist nicht viel beitragen, da ich beides nicht erfahren habe. Daher lasse ich einen Philosophen zu Worte kommen, der dazu mehr sagen kann: Nagarjuna.

 

 

 

Exkurs: Bodhicittavivarana (Erleuchtungsgeist) von Nagarjuna

 

In den Überlieferungen beharren die Weisen darauf, auf den Glauben an das Bestehen eines beständigen Selbst und alle Daseinsfaktoren [1. Formen, Gefühle, Wahrnehmungen, Geistesformationen, Bewusstsein (skandhas)] zu verzichten und ganz im Herzen [2. Erleuchtungsgeist, Bodhi-Geist, Herzgeist] zu ruhen.

Analysiert man das Selbst als ein beständiges, unberührbares Wesen, dann kann es nicht in den Daseinsformen existieren, da diese ja unbeständig sind. Zwischen Beständigen und Unbeständigen kann es keine Identität geben. Da das Selbst somit nicht als ein Objekt existiert, kann es auch nicht die letzte Ursache einer unbeständigen Sache sein. Existierte es als beständiges Subjekt, könnte man seine Eigenschaften in der Welt untersuchen. Wenn es beständig wäre, kann es nicht abhängig sein von etwas. Es müsste alle Dinge in einem Augenblick und nicht stufenweise hervorbringen. Mit Stufen, wie sie unsere Welt beobachtbar hervorbricht, würde es aber abhängig sein, wäre damit weder ewig noch wirksam. Auch kann das Selbst nicht seiend sein, denn Seiendes ist unbeständig und besteht nur jetzt im Augenblick. Daher kann es kein Selbst geben.

Die Welt ist voll von Ideen über Subjekte, Objekte, Elemente, Sinnbereiche, voll von Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewusstsein. Die Weisen lehren, dass all das Schaum, Blasen, Fata Morgana und Blumen im Himmel seien. Selbst Bewusstsein ist eine Illusion. Was immer an Subjekt oder Objekt erscheint, es gibt keine äußeren Objekte unabhängig von ihrer Wahrnehmung. Die Lehren, alles sei Geist, Bewusstsein wurden geäußert, um Menschen die Angst zu nehmen. Sie beschreiben nicht die letzte Wirklichkeit, die alles umgreifend nur eine Natur besitzt: Leere.

Geist, Bewusstsein, Selbst sind nur Namen. Sie wurden nie gesehen, haben weder Form noch Natur, sind nicht Subjekt oder Objekt, erscheinen nicht ohne einen Wahrnehmenden. Sie sind Seiendes, und Seiendes ist wie gehört nur eine Vorstellung. Leere aber ist die Abwesenheit von Vorstellungen. Wo etwas ist, kann nicht Leere sein. Leere ist ohne Zeichen und ohne Ursprung. Sie liegt jenseits des Denkens.

Leere ist wie ein leerer unbegrenzter Raum. Sie ist still, scheinhaft, unbegründet und löscht die cyclische Existenz [3. Geburt, Tod, Wiedergeburt] aus. Sie drückt Nicht-Ursprung, Nicht-Sein und die Abwesenheit eines Selbst aus. Auch Gutes und Schlechtes unterliegen dem Zerfall, sind unbeständig und daher ebenfalls leer. Nichts wird da zerstört und nichts ist ewig. Nur in der Illusion kann die Frucht der Taten erfahren werden. Nur da erscheint ein Spiegelbild.

Das erschreckt alle, die einen Glauben, ein Dogma brauchen. Wenn die Wahrheit aber angenommen wird wie erläutert, wenn sowohl das Herkömmliche als auch der Geist als Leere wahrgenommen wird, spielen Karma und Neigungen keine Rolle. Der Geist ist ruhig, abgeklärt, versteht die Wahrheit und erlangt so Freiheit.

Die Weisen wenden eine Reihe von Mitteln an, um diese Welt zu beschützen. Sie unterscheiden sich, sind aber letztlich alle durch Leere charakterisiert. Sie geben den Anderen, den Nicht-Weisen niemals auf. Dazu verlassen sie die Freuden der Meditation und betreten das gewöhnliche Leben, um den Leidenden zu helfen. Durch Mitempfinden und Lehren der Leere führen sie die Arbeit Buddhas fort in der Hoffnung, alle Lebewesen auf den Pfad der Heilung führen zu können. Sie folgen so dem Weg des Herzens  in unermüdlicher Weise.

Aus meiner Erfahrung befördert die tägliche Meditationspraxis mich dazu, ruhiger und stiller sein zu können und mehr wahrzunehmen. In diese Stille einzutauchen hat einen heilsamen Einfluss auf mein Denken und Handeln. Allein die fast schon erschreckende Erfahrung zu Beginn jeder Sitzung, wie lange und intensiv Inhalte von Filmen oder Nachrichten im Kopf herumgewälzt und umgedreht werden, spricht für eine solche Praxis. Dabei sind dabei die eigenen körperlichen Erfahrungen, das alltägliche Leben und die Ängste dazu und darüber da noch gar nicht registriert. Die endlose Kette der Verstrickungen, die aufgrund der gedanklichen Verknüpfungen von Ursachen und Wirkungen zustande kommen, kann nur in dieser Stille unterbrochen werden, wenn der Mensch selbst anhält, nur sitzt und schaut. Dieses Sitzen (Zazen) ist für mich wie ein nach Hause kommen. Aus ihm schöpfe ich heute in täglicher Praxis Kraft, Klarheit und Vertrauen in mein Leben.




Wie halte ich es mit Traditionen in Yoga und Meditation

Die Grundfragen des Lebens werden durch unsere Kultur, unsere Wissenschaften und unsere Vereinbarungen (Konventionen) nicht beantwortet. Sie bleiben scheinbar unaussprechlich und wortlos im Dunkeln. Zwar gibt es unzählige Versuche, durchaus erfolgreich zu einer Näherung der Antwort zu kommen, aber die Schwelle der Klarheit haben die wenigsten von ihnen erreicht und wahrscheinlich nur ganz wenige überschritten.

Zwei Motive sind herauszuheben, mit denen die meisten Denker und Traditionsgründer unserer westlichen Kultur arbeiten:

  • Ich verzichte auf Vorsätze und Vorgaben und überlasse die Auskleidung des Lebens jedem selbst, zähle allerdings Fakten und gesichertes Wissen auf und gebe so eine fundierte Hilfestellung. Alles weitere ist jedem selbst überlassen: Jeder ist selbst seines Glückes Schmied, jeder kümmert sich um sich selbst und so wird von unsichtbarer Hand gesteuert alles gut. Ein Beispiel dafür sind Yogastunden, in denen sich die Lehrenden wenig bis gar nicht um die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Teilnehmer kümmern, also einfach ihrem oft sogar noch vorgefertigtem Plan folgen und das auch noch strikt durchziehen. Das Motto heißt: Üben, üben, üben.
  • Ich erbaue einen moralischen und ethischen Rahmen um einen Teil oder die Masse einer Gesellschaft herum und baue diesen je nach Wissen und Notwendigkeit permanent aus und um, um die Menschen zu lenken und vor Gefahren zu schützen. Religionen und absolute Herrschersysteme, aber auch Sekten und Gurus verfolgen meist diesem Weg. Er ist gefüllt mit Vorgaben (Essen, Trinken, Achtsamkeit; Gesinnung) und wird vermittelt mit einem ganz großen Ziel (Paradies, Märtyrer, Befreiung, Erleuchtung) im Gepäck.

Beide Wege, die sich oberflächlich grundlegend zu widersprechen scheinen, werden seit Beginn aller Kulturen verfolgt. Sie werden oftmals einerseits  als „die große Freiheit“ (Free- Stile, Utilitarismus) oder andererseits als „die Gemeinschaft“ (z.B.: Sekten, Alternativsysteme) betrachtet. Je nachdem, welche Anschauung man dabei mit sich führt, wird diese Ausrichtung auch in den persönlichen Lebensweg eingebaut und verfolgt. Somit sind auch die Übungswege des Yoga und der Meditation von diesen Grundausrichtungen geprägt, da die Übenden dieses schon privat verfolgen und auf die Matte und das Kissen mitbringen. Was für Yoga und das Üben mir wichtig erscheint ist, die Ausrichtung in den Extremformen „frei“ oder „total gerichtet“ als jeweils einseitige Formen zu meiden. Für Yoga und Meditation sind diese beiden in meiner Anschauung eher wie eine Aufgabe in Hegels Dialektik zu sehen, wo aus These und Antithese eine Synthese zu erfolgen hat, die die Ausgangspunkte nicht nur umfasst, sondern die Summe beider übersteigt.

Da ist dann in den neuen Stilen einerseits die große Freiheit, in der Traditionen und Techniken aus diesen vollkommen frei und unbehindert ineinander verzahnt werden. Vielen Yogarichtungen deuten das bereits an in ihren Namen: Yin-Yoga: Yin/Yang ist aus dem Taoismus und entstammt der Kultur Chinas, Yoga kommt aus Indien und ist eher Hinduistisch geprägt). Aku-Yoga: (Akupunktur stammt ursprünglich aus China und beruht auf dem Meridiansystem, Yoga ist indisch und baut auf Chakren und Pranaströmen auf.)

Dann sind da andererseits die fast vollständig erhaltenen alten Traditionen von Yoga, die sich Wort für Wort an ihrem Gründer ausrichten und darin keinerlei Varianz zulassen. Auch hier sehe ich eine Gefahr heraufziehen, die dann aber nicht in der Verwässerung, sondern mehr in der Verhärtung liegt. „Das muss so sein, weil der Meister…“ und „Das ist so vom Meister (end)gültig festgelegt…“ sind Sätze, die man gerne in den Übungsstunden hört. In alten Yogastilen kann man das oft beobachten, aber auch neuere Gurus machen davon gerne Gebrauch. Sie sind leicht zu erkennen an der verquasteten Sprache und Begrifflichkeit, an den immer weiter fortgeführten Ritualen, die beim Nachlesen der Bedeutungen eigentlich gar nichts mit dem Übungswesen zu tun haben. Ein schönes Beispiel ist das beliebte Gayatrie-Mantra, das eine rein religiöse Bitte an Gott, also ein Gebet darstellt. „Das muss so“ würde die Werbung heute dazu in der beliebten Verkürzung sagen. Ich sehe das anders.

Auch ich verwende Übungen aus verschiedenen Yogarichtungen und anderen östlichen Schulen (TaiChi, Karate, Zen), allerdings versuche ich stets, die Systeme soweit wie möglich in ihrem Kontext zu belassen. Wenn ich Übungsreihen für Yoga baue, wähle ich daher das Energiesystem des Yoga (Ströme, Prana, Elemente), da dieses genau abgestimmt ist auf die Wirkungsweisen dieser Übungen. Auch die Übungen aus dem Tai Chi oder dem Karate, die evtl. dazukommen, werden von mir somit auch mit dem Pranasystem beschrieben. Das mag den einen oder anderen Kenner verschiedenster östlicher Praktiken verwirren, ist aber durchaus angebracht und sinnvoll. Es ist schon schwierig, die Wirkungsweisen und -formen allein eines Systems zu verfolgen, wenn dann noch jede Einzelübung in einem anderen Kontext gesehen werden muss, ist Unterricht in einer gemischten Gruppe eigentlich nicht mehr möglich. Allerdings gibt es auch persönliche Anforderungen, die sich so nicht vereinfachen lassen. Als Yogaübender außerhalb der Lehrertätigkeit habe ich natürlich auch andere Interessen. So habe ich mich für Zen als Meditationsweg entschieden. Wenn ich selbst allein Meditation übe, bewege ich mich daher im System des Zen, nutze Übungen, Beschreibungen und die Haltung dieser Tradition. Wenn ich im Yogaunterricht Meditation unterrichte, bewege ich mich trotzdem ausschließlich im System des Yoga. Wenn ich aber während einem Shesshin Yogaübungen beschreibe, bewege ich mich ausschließlich im System des Zen. Und wenn ich eine Karate-Kata übe, bewege ich mich im System dieser Tradition, die zwar dem Zen sehr nahe steht, aber in einigen Punkten auch andere Motive in sich birgt. Das ist für mich möglich, da ich mich über viele Jahre nacheinander mit den Systemen, die hier genannt wurden, auseinandergesetzt habe. 20 Jahre Kampfsport, über 20 Jahre Yoga und mehr als 15 Jahre Zen, manches in zeitlich begrenzten Räumen, haben mir diese Systeme nahegebracht.  Sie sind für mich wie Sprachen, die einmal erlernt sehr schnell wieder präsent sein können, auch wenn sie monatelang mal nicht gesprochen wurden.

Ich vertrete die Ansicht, dass man die Traditionen östlicher Praxen nicht wahllos vermischen sollte. Weiterhin glaube ich trotzdem, dass sich diese höchst wirksam ergänzen können, wenn man in der Lage ist, von Sprache zu Sprache zu übersetzen. Daher plädiere ich auch dafür, Begriffe und Namen verschiedener Übungen und Motive in die Muttersprache, in meinem Fall ins deutsche, zu übersetzen. Auf diese Weise steigt man aus der Gefahr aus, von unterschiedlich vorgebildeten Teilnehmern unterschiedlich verstanden zu werden.
Hier im Anschluss möchte ich für mich und meinen Unterricht das indische Prana-System und seine fünf Hauptströme kurz skizieren und dafür eine allgemein verständliche Begrifflichkeit vorschlagen.

Prana nennt das indische System einerseits alle Energieströme des Körpers als Sammelbegriff, andererseits aber auch den Energiestrom, der den Rumpf-Atem-Raum (Unterbauch über Brust bis Schlüsselbeinregion) in zum Kopf aufsteigender Richtung füllt und prägt. Für den Sammelbegriff genügt daher einfach das Wort „Energie“. Für den untergeordneten Prana-Strom würde „Atemenergie“  eine ausreichende  Begrifflichkeit bezeichnen.
Apana nennt das indische System die Energie, die sich mit der Schwerkraft zur Erde hin bewegt. Sie ist die Grundlage für Festigkeit, bedeutet Halt und Stärke. Da Schwerkraft immer in Richtung Erdmittelpunkt zieht, würde ich für Apana den Begriff „Erdenergie“ vorschlagen.
Udana heißt der Energiestrom im indischen System, der zwischen den Schulterblättern entspringt und über Hals und Nacken in den Kopf hinaufströmt. Diese Energie ist eng mit dem „Kinnsiegel“ (original: Kinnverschluss, Bandha)  verbunden, der über die Bewegungsrichtung vom Kinn zum Hinterkopf der Atemenergie Richtung und Form zu geben in der Lage ist. Hierfür bietet der Begriff „Kinnenergie“ eine ausreichend klare Beschreibung.
Samana nennt sich die Energie des unteren Bauches und des Körperzentrums. Diese Energie zeigt sich nicht wie ein Strom, sondern ist mehr wie eine Quelle zu beschreiben, wobei diese Quelle sowohl Energie aufzunehmen als auch abzugeben vermag. Im Körperschwerpunkt angesiedelt und sich mehr wie ein Feld verhaltend, ist diese Form sehr gut mit dem Wort „Zentral(energie)feld“ beschrieben. Zentrum dieses Feldes ist der Energieknotenpunkt Kanda, der sich deutlich oberhalb des ersten Chakras in Höhe der Nabelregion befindet. Er beschreibt im Yoga die „Körpermitte“ und sollte daher auch so heißen. Nicht verwechselt werden sollte dieser Punkt mit Hara, der deutlich tiefer im Körper angelegt ist, weil er erst dort Kraft und Stärke erzeugen, nicht aber als Gelöstheit wie bei Kanda erfahren werden kann.
Vijana nennt sich die alles umschließende und sich sehr lebendig anfühlende Energie im ganzen Körper, die sich zunächst mit prickeln oder kribbeln bemerkbar macht und sich dann zunehmend ausbreitend im ganzen Körper und über ihn hinaus wahrnehmen lässt. Da sie sehr lebendig erscheint, überall das Leben umschließt und verbindet würde ich diese somit als „Lebensenergie“ bezeichnen.

Mit der vorgelegten Begrifflichkeit kann Yoga und sein Übungssystem in all seinen Farben und Formen für westliche Menschen geeignet beschrieben werden. Die Beschreibungen, die sich mit Kundalini und seinen Bedingungen beschäftigen, bleiben dabei außen vor. Sie sind für mich eher eine esoterische Form des Yoga, die es zwar auch geben darf, da solche Erfahrungen durchaus auftreten können. Für den Großteil der Yogaübenden ist das aber nicht von Belang. Nur sehr wenige erreichen diese bewusstseinserweiterte Extremform und, ganz ehrlich gesagt, finde ich persönlich diese auch nicht erstrebenswert. Für ein gesellschaftlich aktives Leben in der westlichen Welt bietet eine große Kundalini-Erfahrung wenig Substanz. Zu abgehoben und vereinzelt erscheint das Leben der Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben (wollen) und zu gering erscheint mir deren Wirkungsgrad für das Gros der Menschheit.

Exkurs: Gayatrie-Mantra
Oh Gott! Du bist der Geber des Lebens, Entferner des Schmerzes und des Kummers,
der Erlöser des Glücks, oh! Schöpfer des Universums, mögen wir dein höchstes Sünden zerstörendes Licht empfangen, mögest du unseren Intellekt in die richtige Richtung führen.




Rohatsu

In jedem Jahr wird im Daishin-Zen-Kloster Buchenberg im Dezember und im Januar jeweils ein Rohatsu Sesshin durchgeführt. Dieser Brauch erinnert an die Legende, dass Buddha selbst in dieser Jahreszeit in einer Woche durchgängigen Sitzens unter einem Bodhi-Baum Erleuchtung erlangt habe.

Ein Rohatsu steht für sehr frühes Aufstehen am Morgen, langes Sitzen in Zazen (Sitzen in Kraft und Stille) und Yaza (freies Sitzen) bis spät in die Nacht, steht für Entschlossenheit und Ausdauer, für Willenskraft und viel Geduld. Diese Woche findet nahezu vollkommen im Schweigen statt, es ist trotz vieler Menschen auf engem Raum sehr still um die Teilnehmer herum. Die beiden Tage der An- und Abreise sind entspannt und locker gestaltet. Sie dienen der Eingewöhnung in die Meditationsarbeit. Von den dazwischen liegenden Tagen sind der erste und der sechste Tag ebenfalls noch locker geformt. Der Beginn des Tages ist auf 4:30 Uhr gesetzt, das Ende des Tages wird gegen 23:30 Uhr gefeiert. Dazwischen erfolgen Zazen, Rezitation, eine Teezeremonie, Mahlzeiten, Arbeiten für die Gruppe und für das Kloster sowie sportliche Aktivitäten. Die mittleren vier Tage haben eine ähnliche Tagesstruktur, beginnen aber bereits gegen 3:30 Uhr und enden für die meisten Teilnehmer nicht vor 1:00 Uhr in der Nacht. Zwei dieser Nächte werden oftmals ganz durchgesessen, das heißt, die Nacht endet gegen 2:45 Uhr und 45 Minuten später beginnt der neue Tag. Summa sumarum verbringt ein Teilnehmer auf einem Rohatsu zwischen 70 und 80 Stunden in Zazen. Zum Schlafen bleibt wenig Zeit, und die Frage, die immer gestellt wird, wenn ich davon erzähle, ist daher auch einfach zu erraten: Was soll das denn bringen?

Ein Sesshin –Rohatsu ist ein strenger gestaltetes Sesshin- ist eine Übungswoche, in der geübt wird, was man nicht gut kann. Weil üben bedeutet, dass die Aufgaben nicht immer gleich zufriedenstellend gelöst werden können, vollbringt man diese Tätigkeit in einem geschützten Rahmen (Kloster) und zusammen mit Menschen, die ebenfalls üben, d. h. unter Freunden. Und wenn in diesem Rahmen mal was schief läuft, lachen zwar auch alle, aber gleich danach ist alles wieder gut. Das Sitzen in Stille und die Stille der Gruppe konfrontiert den Teilnehmer intensiv mit sich selbst. Jede innere Regung, jede Unruhe, jeder Impuls, jeder Schmerz und jede Tollpatschigkeit kommt eindeutig und für jeden klar erkennbar aus sich selbst. Das zu erkennen ist unter anderem ein Sinn der Übungen. Man kann hier niemand anderem die Schuld für seine inneren Ausbrüche zuschieben wie im Alltäglichen. Daher erkennt mancher vielleicht zum ersten Mal, was er in sich und mit sich herumträgt und wie sich diese Konditionierungen breitmachen, wie sie ablaufen und belasten. Der Meditierende lernt sich selbst zu beobachten, lernt in sich zu schauen, lernt die Programme kennen, die innerlich in ihm ablaufen. In der Stille einer Übungswoche können die Impulse, die diese Programme aussenden, keine Früchte tragen. Sie werden zwar erkannt, aber der Übende folgt ihnen nicht, denn der Übungsrahmen lässt dieses nicht zu. Die Gruppe gemeinsam Übender trägt den Einzelnen dann über diese Impulse hinweg und durch sie hindurch und man ist erinnert an eine Herde, aus der auszuscheren nicht ohne weiteres gelingt.

Viele Teilnehmer einer Sesshin sind erfahrene Zen-Anhänger. Die Ruhe und die Gelassenheit ihrer Ausstrahlungen übertragen sich auf die Gruppe und bilden schnell ein dichtes tragendes Feld, auf dem sich auch ein Einsteiger leicht bewegen kann. Die Gruppendynamik ist groß und verschweißt innerhalb weniger Stunden schon sich unbekannte Menschen zu einer Gemeinschaft. Die geregelten Abläufe, das auf den Anderen sich verlassen können, die unbelastete Atmosphäre des Klosters, die große Kraft der Leiter und die Präsenz des Meisters formen diese Woche zu einer Erfahrung, der sich jedes Wort der Beschreibung entzieht. Man muss es spüren, um es verstehen zu können. Ich habe schon einige dieser Wochen hinter mich gebracht und durchlebt, und es ist erstaunlich, wie wenig diese Zeiten in mir zurücklassen. Trotzdem gehe ich immer gestärkt und gelassener danach in den Alltag zurück, und wer das jetzt für einen Widerspruch hält, das nichts stärkt und gelassen macht, der sollte sich mal mit Zen beschäftigen. Widersprüchlichkeiten sind hier nicht Ausnahme, sondern Regel, und das diese trotzdem auf ein Leben einzuwirken vermögen erklärt sich vielleicht aus dem Gedanken heraus, dass das, was wir Leben nennen und von dem wir alles zu wissen glauben, eigentlich etwas ganz anders ist.

Nichts zu wissen ist ein guter Anfang, sagt man im Zen, und Zazen gestaltet dies aus, ohne dabei vergessen zu müssen.




Meditation – Dhyana und Zazen

Wenn wir heute in Wikipedia nachschlagen, um die Verwendung des Begriffes Meditation zu ergründen, werden wir erschreckt feststellen, das damit Alles und auch Nichts gemeint sein kann, das jede beliebige bewusstseinsbildende, esoterische und religiöse Richtung etwas anderes damit meint, alle meist nur ihre Dogmen und Glaubensinhalte vertreten und natürlich auch bestätigt sehen möchten und damit genau das tun, was man heute mit Themenbesetzung benennt und was zielgerichtet nur zu einer Meinungshoheit führen soll.
Zunächst einmal sollten wir beim Namen nennen, was schon einen Namen hat. Wenn wir also beim Sitzen in „Meditation“ in die Flamme einer Kerze schauen oder ein Mantra rezitieren, dann verfolgen wir die Technik des Dhyana, der yogischen Meditation. In einer Asana üben wir Asana, in Pranayama üben wir Pranayama. Wenn wir dabei Begriffe wie Shiva oder Vishnu verwenden, verfolgen wir eine hinduistische Meditationsform, die ebenfalls Dhyana genannt werden darf, aber einen religiösen, dogmatischen Hintergrund hat. Wenn wir Zazen üben, verfolgen wir eine buddhistische Meditationsform, die mit den Begriffen Nichts und Leere arbeitet.  Wenn wir TZM verfolgen, üben wir mit einem begrifflosen Mantra, wenn wir kämpfen, betreiben wir Kampfsport oder –kunst, wenn wir tanzen, tanzen wir. Ich finde es einfach sinnvoll, die Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn das Ziel all dieser Wege gleich sein sollte, was allerdings erst einmal hinterfragt und auch beantwortet werden muss. Selbst wenn wir eine positive Antwort dazu annähmen, erreichen wir -um eine Metapher zu gebrauchen- Lissabon entweder mit dem Flugzeug fliegend, mit dem Schiff schwimmend und über den Landweg  fahrend. Jeder Weg hat seine Namen und seine Inhalte.

Worüber ich hier sprechen kann sind ausschließlich sind die Wege des Zazen und Dhyana, die ich selbst verfolgt habe oder verfolge, und das auch nur soweit ich darauf selbst Erfahrungen machen konnte und soweit ich in der Lage bin, darüber auch zu berichten. Nicht jede Erfahrung lässt sich auch gleich und leicht in Worten fassen, nicht jede Erfahrung eignet sich zur Weitergabe an Mitmenschen und natürlich gibt es auch Erfahrungen, die ich gar nicht weitergeben möchte, da sie mir zu persönlich erscheinen. Das ich trotz dieser Einschränkungen bereit bin, die Lehre des Sitzens in Meditation an Kursteilnehmer weiterzugeben, beruht auf der Einsicht, dass unsere Gesellschaft Menschen braucht, die zu  einer Meditationspraxis fähig sind.

In jeder beliebigen Meditationspraxis können Erfahrungen gemacht werden, was an sich profan ist und sich daraus ableitet, das wir in jeder Sekunde unseres Lebens Erfahrungen machen können. Wenn wir allerdings in einer Übungspraxis auf Erfahrungen hinarbeiten, müssen wir uns darüber im Klaren sein, welche Erfahrungen wir denn zu machen wünschen, denn: Die Erfahrungen jeder Meditationsform werden in aller Regel in jeder Tradition anders beschrieben und auch anders benannt. So ist zunächst einmal die Unterscheidung wichtig, ob diese Erfahrungen einen mehr praktischen Nutzen haben sollen wie z.B. die Stärkung der Konzentrationsfähigkeit oder die Fähigkeit, gut einschlafen oder abschalten zu können, oder ob diese Erfahrungen dem Leben an sich als Erweiterung, Vervollkommnung oder Entwicklung dienen sollen. Die erstgenannten Motive können als  „ich meditiere, um… zu ermöglichen“  zusammengefasst werden, die letztgenannten als  „ich meditiere, um… zu werden“.

Dann ist es wie bei allen Erfahrungen notwendig zu entscheiden, in welcher Sprache und Form ich diese Erfahrungen ausdrücken, selbst leben oder weitergeben möchte. Arbeite ich also bei der Weitergabe in einem buddhistischen, christlichen oder hinduistischen Sprach- und Ausdrucksgefüge oder bevorzuge ich eher eine wissenschaftliche Form wie Psychologie, Psychoanalyse oder Philosophie. Während die religiösen Formen relativ genau gefügte Ausdrucksweisen besitzen, die grundlegende Dogmatiken nicht ausschließen können, sind die mehr atheistischen Formen vielgestaltiger, differenzierter und daher auch sehr viel mehr mit der Gefahr belastet, sich im Dschungel der Variationsmöglichkeiten zu verirren. Alle Sprachen, Wissenschaften, Religionen und Weltanschauungen haben bereits in ihrem Grundkonstrukt eine vorgegebene Sichtweise eingearbeitet, aus der innerhalb eines Beschreibungsversuches nicht oder nur schwer ausgebrochen werden kann. Lediglich die Absicht, sich auf „nur sich selbst leben“ zu beschränken, kann auf die Formulierung in Sprache verzichten; und auch dieses wird schwierig sein, lebt man doch selbst als Einsiedler nicht allein auf dieser Welt und könnte in die Not geraten, seine Reaktionen oder Nichtreaktionen anderen Menschen erklären zu müssen. Selbst Heilige haben sich in der Vergangenheit  aufgrund ihrer Aussagen schon mal schnell in der Psychiatrie oder auch auf einem Hinrichtungsplatz wiedergefunden.  In neuerer Zeit scheitern Ehen und Familien, Freundschaften und Sozialgefüge an einseitig ausgelegten und unerklärbaren Entwicklungen. Daher empfehle ich allen Meditierenden, sich vorab schon einer erklärbaren, verstehbaren  Sprache zu bemächtigen.

Der Aufbruch in ein anderes Seins Gefüge, das viele Traditionen als hohes Ziel versprechen,  sollte nur dann angestrebt werden, wenn man sich in seiner jetzigen eigenen Haut nicht (mehr) wohlfühlt. Der Weg endet immer im Unbekannten und kann seine Versprechen einlösen – oder auch nicht. Sich aufzumachen, um etwas Neues zu gewinnen aus Stolz, Ehrgeiz oder Prahlsucht wird, so ist in allen Schriften zu lesen, immer im Desaster enden. Was angestrebt werden kann ist (mehr) Freiheit, Weisheit und Entwicklung, und diese können nur dem Menschsein an sich dienen, nicht aber persönlichen Begehrlichkeiten. Gier, Hass und Verblendung sind, so sagt man im Zen, zu lösen, nicht zu pflegen. Meditation in moderner Form ist eine höchst persönliche Praxis, ist an sich nicht formalisierbar, ist nicht institutionalisierbar und nicht organisierbar. Ein Lehrer und eine Schule können Hilfe geben und einen Schutz- und Übungsrahmen setzen. Die Arbeit an sich aber ist immer dem Menschen selbst vorbehalten.

So vermittelt und praktiziert kann Meditation gelingen. Alles andere ist im meiner Vorstellung heute nur neuer und daher ungereifter Wein in alten verkrusteten Schläuchen.




Zen-Sesshin im September 2016

Es ist 6:30 am Morgen. Eine lange Schlange von 35 Menschen verlässt, hintereinander gehend, einem Gleichschritt folgend, ein Grundstück in Buchenberg (Allgäu), überquert die Straße und  biegt in einen Feldweg ein, dem sie dann zügig und in schnellen Schritten folgt. Regelmäßig beobachtet werden kann dieses Ereignis, Kinhin genannt, meditatives Gehen,  am Hauptausgang des Daishin-Zen-Seminarzentrums und -Klosters Buchenberg. Es ist Sesshin, Meditationswoche.

Die 35 Teilnehmer des Sesshin üben eine Woche lang sich in der Kunst der Meditation im Zen-Stil. Aus ganz Deutschland sind sie angereist, um hier im stillen und landschaftlich schönen Allgäu Erholung zu finden vom alltäglichen Stress eines kombinierten Arbeits- und Familienlebens. Es wird wenig gesprochen hier, man ist leise und doch, falls überhaupt,  irgendwie zügig unterwegs. Das Zentrum des Seminarbetriebes ist das Zendo, die Meditationshalle, in der alle Teilnehmer planmäßig und mit geregeltem Ablauf circa sieben bis acht Stunden des Tages zubringen, auf Kissen oder Holzbänkchen sitzend, in Meditation vertieft. Die anderen Gebäude dienen als Seminar-, Wohn- und Versorgungsräume. Hinter einem neu angelegten See, in dem Kois ihr nasses Zuhause gefunden haben, erhebt sich ein neu errichtetes Teehaus, das vom Zen-Meister des Klosters bewohnt wird. Verschiedene Buddha-Statuen und das neu errichtete Eingangsportal zeigen eindeutig auf den japanischen Einfluss hin. Eine große Tafel vor dem schön gelegenen See zeigt, dass hier noch zwei weitere Gebäude entstehen sollen, die dann zusammen mit dem Bestehenden ein Kloster im buddhistischen Stil ausweisen.

Zen bezeichnet eine Meditationsweise, die die Sammlung des Geistes dazu verwendet, die Wirklichkeit zu erfahren, ohne dabei kulturelle und geschichtlich gewachsene Vorstellungen und Gewohnheiten zu berücksichtigen. Haupttechnik auf dem Übungsweg ist Sitzen in Kraft und Stille, Zazen. Der Zen-Meister Hinnerk Polenski, der den langen Weg zur Freiheit bereits weit gegangen ist, hilft den auf ungewohnten Pfaden wandernden Teilnehmern in Einzelgesprächen mit Rat und Ansporn. Nicht immer wird das Empfohlene auch gleich verstanden, geht es doch darum, die Teilnehmern aus ihrer Verstrickung zu befreien und dabei nicht nur den Verstand zu erreichen, sondern auch das Herz zu berühren. Es ist erstaunlich, wie gut dieses immer wieder gelingt und damit die Motivation, weiterzugehen, erweitert und zu verstärken weiß.

Sechs Tage habe ich in dieser Atmosphäre mit Sitzen, Gehen, Rezitieren, Teetrinken und Arbeiten zugebracht, habe dabei jeden Rat des Meisters und seiner vielen Helfer befolgt und alle Aufgaben wahrgenommen, die das Kloster den Teilnehmern stellt. Es waren schöne Tage inmitten von Freunden, Tage ohne Aggressivität, Tage ohne Ärger, ohne Stress, und doch Tage erfüllt von Tun, Erleben und Sein. Ich bin erholt in die Normalität zurückgekehrt, vielleicht auch ein Stück freier, ganz bestimmt aber ein großes Stück nachdenklicher angesichts eines erdrückend eng gestrickten Alltags. Es waren gute Tage, wichtig für mich und bestimmt auch wichtig für die Menschen, die mit mir leben und arbeiten müssen.




Warum Meditation, und warum Zen?

Menschen sind bewusste Wesen, aber das wäre eigentlich nichts Besonderes, denn andere Lebewesen sind auch bewusst. Was den Menschen abhebt aus der Masse der Lebewesen ist eine Ableitung dieses Bewusstseins, denn der Mensch ist sich seines Bewusstseins bewusst oder anders gesagt weiß der Mensch, das er bewusst ist und fügt das Wissen darum  in sein Verhalten ein. Er weiß, dass nicht nur er selbst, sondern auch der andere Mensch bewusst ist und darüber weiß.
Alles in allem ist das eine sehr komplizierte und unübersichtliche Betrachtung, mit der Menschen im Alltäglichen ohne viel zu denken relativ sicher umgehen können. Dazu gehören die Fähigkeiten, Strategien und Taktiken zu bilden, zu fühlen, wie es um ein Leben steht und natürlich das Wissen um Richtig und Falsch. Die Potentiale, die diese Bewusstheit (das Bewusstsein des Bewusstseins) freisetzt, sind erheblich, oftmals auch gefährlich und anstrengend, aber sie bergen in sich auch die Möglichkeit, weiterzugehen und mit anderen ein Gemeinschaftsbewusstsein zu bilden. Dieses Gemeinschaftsbewusstsein erweitert sich zunehmend auf die Menschen und Lebewesen der Umgebung, umfasst zunehmend immer größere Räume und Ebenen, überwindet schließlich die Begrenzungen der Identifikation (ich, meine Familie, mein Volk, meine Welt) und weitet sich in eine Bewusstheit, die alles Leben und alles Sein umfasst. Die Mittel auf diesem Öffnungsweg sind Energie (Hara), Mitgefühl (Herz) und umfassende Freude (Samadhi). So beschreibt ein Zen-Meister den Meditationsweg des Zen, beziehungsweise so habe ich seine Ausführungen verstanden oder so lege ich ihn aus, heute, hier und jetzt. Bereits morgen kann und mag sich das ändern können.
Es wäre vermessen, sagen zu wollen, dass ich das Beschriebene vollständig nachvollziehen könne und auch nur zum Teil diesen Weg bereits gegangen oder sogar vollendet zu haben. Dem ist nicht so. Es ist eher so, dass ich mich entschlossen habe, in diesen Weg einzutreten und ihn soweit als möglich konsequent zu gehen, sofern mein Leben in dieser Gesellschaft und seine Gestaltungsnotwendigkeiten (Arbeit, Freundschaft)  das zulassen. Und sollte morgen ein Abgrund sich auftun und mir klar werden, das jetzt den Weg weitergehen springen bedeuteten würde, bin ich nicht sicher, ob ich bereits dazu imstande wäre, denn Rückkehr wäre aus und nach dem Sprung wahrscheinlich nicht möglich.
Der Meditationsweg erfordert Glauben und Zuversicht, zumindest wird es so immer wieder beschrieben und folglich oft zu lesen sein. Meist sind die Menschen, die man in Meditationseinrichtungen antrifft, optimistisch orientiert, glauben fest an die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit ihres Tuns, sind entspannt und friedfertig. Es sind nette, freundliche und hilfsbereite Menschen mit guter Ausstrahlung und frohem Gemüt. Wer mich genauer kennt, wird jetzt etwas verwirrt sein und mich in einem solchen Kreis eher nicht sehen, denn wie ich selbst werden sie mich mehr  in einer pessimistischer Haltung sehen, geneigt zu Nachdenklichkeit und Reflektion und ich erscheine zumindest meiner Umgebung selten als ausgeglichen. Denn im Gegensatz zu vielen meiner Generation setze ich oft Grenzen, verstehe  und praktiziere ich Sarkasmus  und, vor einer Wahl stehend, werde ich mich meist fürs Kämpfen entscheiden. Weglaufen oder stillhalten ist nicht meine Präferenz. Soweit so gut.
Ich persönlich halte positive Grundstimmungen, Weichheit und mangelndes Selbstvertrauen nicht für die Grundvoraussetzungen des Meditationsweges. Wer sein Ichgefühl aufgeben möchte, sollte zumindest mal ein ordentliches Selbstbewusstsein besitzen. Aufgeben, was man nicht hat, ist leicht. Dann ist, wer in dieser Gesellschaft lebt und arbeitet, gut beraten, etwas Skepsis und Misstrauen aufrecht zu erhalten. Man wird gerne und oft über den Tisch gezogen und es empfiehlt sich, im Alltäglichen vorsichtig zu sein. Dass diese Vorsicht aber nicht zur Manie wird, dafür haben Menschen Meditation und  Zen erfunden. Denn Zen entwickelt neben den  bereits weiter oben ausgeführten Fähigkeiten auch Unterscheidungskraft, entwickelt sicheres Auftreten und erarbeitet eine Ausstrahlung, die Menschen anzieht und verzaubert, alles Motive, die gut passen zu und gut zu gebrauchen sind in der heutigen Zeit.
Tägliche Meditationspraxis ist das A und O des Zens, das heißt: sitzen in Kraft und Stille.  Mit Kraft ist hier die Fähigkeit gemeint, mit seiner gesamten Energie und Aufmerksamkeit im Sitzen zu sein, weder zu schlafen noch zu dösen noch zu philosophieren, denn still zu sein erfordert unser ganzes Wesen. Wie schwer es ist, still zu sein, weiß nur der, der es ausgiebig und umfassend versucht hat. Still sein ist der immer wiederkehrende Versuch, einen Moment ohne das Gewölk der Worte auszukommen, immer wieder nach dem Scheitern zurückzukehren und es erneut anzugehen und motiviert die wenigen Phasen des Gelingens diese Zeitspanne auszudehnen. Still sein zu können ist kein erlernbares Wissen, ist keine Fähigkeit, die eingeübt werden kann, sondern ist eine Prägung, eine Haltung, die eingestanzt und eingebrannt werden muss. Das erfordert unsere gesamte Energie, unsere gesamte Aufmerksamkeit, erfordert den Einsatz unseres ganzen Wesens. Das einzuüben und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das Bewusstsein und das Selbstvertrauen dafür zu schöpfen, die ganze Kraft dafür zu bündeln, das ist Zazen.
Ich weiß nicht, ob ein Zen-Meister diese Zeilen unterschreiben würde, aber das ist meine Ansicht über Zen, für mich der König der Meditationsformen und über Zazen, die Krone der Meditationsübungen. Zazen ist sitzen in Kraft und Stille!