Das Problem mit der „Rückkehr zum Urgrund“

Es stellt sich doch stets die Frage, was es mit dem Urgrund, den wir finden sollen und wollen und der so wichtig scheint, eigentlich verbinden. Was erreichen wir eigentlich, wenn wir den Urgrund erreichen? Was gibt es dort, was es hier und jetzt nicht zu geben scheint? Häufig wird dieses Erreichen als eine Erleuchtung angesehen, als ein Ankommen in Vollendung, eine Erfahrung, die alles andere in den Schatten stellt. Aber betrachten wir das einmal nüchtern. Das dort zu Erreichende wird ja nicht erst jetzt für uns geschaffen. Es ist ja schon da, war schon da vor meiner Geburt, und wird mein kurzes Leben auch überdauern. Darin sind sich sich alle einig, die zurück zum Ursprung wollen. Was erreichen, erleben, erfahren wir also, wenn wir ankommen? Ist es nicht eher das Erlebnis der Erfahrung, sich über Jahre hinweg stets geirrt zu haben, herumgeirrt zu sein in Geschichten und Setzungen, die nicht einmal die Spur einer Realität aufweisen. Und ist das Ergebnis der Brillensuche, das beschreibt, das ich dieses gesuchte Objekt schon die ganze Zeit auf der Nase sitzen habe und ich ich nicht in der Lage war, das zu bemerken, nicht eher ernüchternd und nicht als erhaben zu betrachten. Im Buddhismus sind Gier, Hass und Verblendung die drei großen Übel, die den Menschen auszeichnen. Weniger zu begehren, weniger zu hassen und weniger verblendet zu sein wäre also ein Schritt auf dem Weg zum Ziel. Aber ist die Suche nach einem Ziel nicht auch Begehren. Ist unsere Verblendung, die wir bemerken müssen, um ans Ziel zu gelangen, nicht gleichzeitig auch zumindest etwas Hass auf uns selbst, zumindest in der Form, in der wir uns gerade jetzt sehen. Und ist Verblendet-Sein nicht immer mit „einem Wissen, das…“ verknüpft. Ist also, um exakt weiter zu fragen, ein Ziel zu haben nicht Verblendung? Somit wäre auch das Zurückkehren wollen zum Ursprung also auch Verblendung? Kompliziert? Nein, Logik!

Betrachten wir daher das ganze Dilemma mal aus einer weiteren Perspektive. Gibt es einen Anfang? War am Anfang meiner Existenz wirklich meine Zeugung oder Geburt? Für mich als Mensch betrachtet mag das aus allgemein gültiger Sichtweise ja folgerichtig sein. Für mich persönlich aber finde ich diesen Anfangspunkt nicht. Viel eher erscheint mir das Erlebnis eines Aufwachens in einer bereits vor-ausgebildeten Existenz viel wahrscheinlicher zu sein. Der erste und älteste Punkt in meiner Erinnerung liegt in etwa im Alter von vier Jahren und besteht nur aus einer sehr kurzen Sequenz. Bereits der nächste Punkt liegt Jahre später, bei etwa acht Jahren und war ein sehr einschneidendes Erlebnis. Dazwischen ist, bis auf sehr kleine Zwischentöne, überwiegend Bilder, absolute Leere, in der Definition „keine Erinnerung“. Trotzdem kommt es mir vor, als wäre diese Leere doch irgendwie von mir durchlebt, durchlitten worden. Da ist kein Bruch durch die fehlenden Erinnerungen. Treiben wir es jetzt einfach mal auf die Spitze. Was wäre, wenn wir uns generell an Vergangenes nicht erinnern könnten? Wie würden wir denken, wie leben? Ich bin mir sicher, das wir als Menschen so in freier Wildbahn nicht hätten überleben können. Die Erinnerung gebiert in meiner Vorstellung ja gerade die Fähigkeiten, mit denen der körperlich eigentlich so schwache Mensch sich in der Natur gegen viele Neider und gefräßige Feinde hat durchsetzen können. Sollte die Erinnerung also nicht eine besondere Rolle spielen auch in der Planung einer Zukunft?

Es gibt im Chinesischen die schöne Geschichte mit dem Boot, das bei einer Wanderung zur Überfahrt eines gefährlichen Stromes benötigt wurde. Am anderen Ufer angekommen allerdings, ist es dann nicht mehr von Nöten. Es kann getrost zurückgelassen werden. Wenn unsere Erinnerungen wie das Boot gesehen werden, müssten wir dann nicht zu einer Schlussfolgerung kommen, die besagt, das Erinnerungen der Vergangenheit hier und da mal von Nutzen, überwiegend aber eher zu einer Last zu werden drohen, wenn sie nicht wirksam ausgedünnt werden. Die Frage ist doch, wie kann so ausgedünnt werden, das verschwindet, was wir nicht brauchen, und bleibt, was in naher Zukunft eventuell noch benötigt wird. Ich weiß nicht, wie das geschehen kann. Und damit bin ich wieder an der Stelle angekommen, die ich am Anfang des Artikels schon einmal gestreift habe. Ich weiß nicht und gehe trotzdem. Und wieder einmal bin ich gedanklich im Kreis gelaufen.

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