Wir alle, die in Yoga und Meditation (Zen, Vipassana) sich geschult haben, werden immer wieder feststellen, dass sich eine offen gelebte Praxis der Spiritualität nicht immer und in allen Lebenslagen aufrechterhalten lässt. Von daher ist ein Motiv der Unterscheidung für den spirituell Übenden wichtig.
Es geht darum, zu erkennen, wann und in welcher Intension eine spirituelle Haltung sinnvoll offenbart wird und wann sie aus Selbsterhaltungsgründen besser im Verborgenen bleiben sollte. Die Mehrheit der Menschen heute ist leider noch nicht in einer Verfassung, komplexe Haltungen wie Toleranz, Verständnis und Mitgefühl in allen Lebenslagen durchzuhalten oder zu akzeptieren.
Viele Teile unserer Lebenswelt sind so organisiert, dass fast ausschließlich materialistische Grundeinstellungen eine Rolle spielen können. Betriebe, Firmen, Dienstleister und das Handwerk, in denen wir einen großen Teil unserer Zeit verbringen, sind auf Konkurrenz und Gewinn getrimmt. Sie folgen einer inneren Struktur, die wenig Raum lässt für die bereits genannten geistige Elemente, denn diese haben in der Betrachtung vorhandener Geschäftsmöglichkeiten, wie wir sie üblicherweise umsetzen, selten die Kraft, nachhaltig und als Erfolgskonzept zu wirken. Die wenigen guten und erfolgreichen Beispiele, die es doch gibt (Beispiel: GLS-Bank), halten sich meist nur, weil viele spirituell engagierte Menschen sich dort bündeln.
Weiterhin liegen den spirituellen Praktiken wie Yoga, Meditation, Tai Chi, Reiki und so weiter Vorurteile im Weg, die in der Gesamtheit aller Motive zusammen mit dem Begriff „sanft“ zusammengefasst werden können. Und sanft, seien wir ehrlich, ist weiblich belegt und wird meist mit schwach und/oder verspielt übersetzt. Das stimmt aber weder im Weiblichen, noch in Yoga oder Meditation, denn all diese müssten eher das Prädikat „stark“ tragen. Weder die Geburt eines Kindes noch die Schwere einer wirksamen Yogahaltung noch die Stille des Sitzens sind mit sanft sinnvoll zu beschreiben.
Auch kann ich nicht bestätigen, dass durch Üben von Yoga und Meditation ich still, sanftmütig und positiv gestellt worden sei. Im Gegenteil, ich zumindest fühle mich seither mutiger, halte besser durch und setze früher Grenzen, und folgerichtig weiche ich so mancher Auseinandersetzung deutlich seltener aus als früher. Spirituelle Praxis macht innerlich stark, fördert Mut und Willen, auch wenn diese Elemente durch eine ruhige und sichere Art des Auftretens im Alltag selten in Erscheinung treten. Es ist ein wenig wie im Kampfsport, wo geschulte Menschen ihre Techniken nahezu nie einsetzen müssen, weil aggressiv auftretende Menschen im Umfeld sofort spüren, dass sie es im Gegenüber nicht mit einem Zaum, sondern einem Bollwerk zu tun haben.
Die Kraft der Unterscheidung ist meiner Meinung nach daher mehr auf die Frage zu konzentrieren, wann und unter welchen Umständen gehe ich als spirituell aktiver Mensch offen in eine Auseinandersetzung und wann halte ich meine spirituelle Ader eher bedeckt und lasse sie aus dem Verborgenen heraus wirken, wann spreche ich über diese Praxis und wann ist es angebracht, eher still seine Ausstrahlung wirken zu lassen. Daher rate ich allen Menschen, die in der Spiritualität verankert sind, auch dazu, keine Zugehörigkeitszeichen (Anhänger, Mala, Autoaufkleber) in der profanen Öffentlichkeit zu präsentieren, weil aus dem Verborgenen wirken geht dann nicht mehr. Etwas anders ist das, wenn man für ein Kloster oder Zentrum tätig zu sein hat und werbewirksam auftreten muss.
Spiritualität wie ich sie verstehe wirkt sehr gut aus dem Verborgenen heraus. Sie fordert nicht und klagt nicht ein. Sie beschämt nicht und wird nicht wie eine Fahne mit sich herumgetragen. Sie wirkt durch Vorbild und Ausstrahlung.