Wie übe ich richtig Yoga (am Beispiel der Vorwärtsbeuge)

Yogas ist heute wieder, trotz Pandemie und Kontaktbeschränkungen, in aller Munde. Wer im Netz oder Zeitungen und Magazinen unterwegs ist, also viel liest, wird immer wieder auf gut gemeinte Artikel stoßen, die Yogaübungen und -praktiken unter Faszien-Training, Therapie, Schmerztherapie oder Vorsorgemaßnahme anpreisen und dabei auf Bildern und Filmen die altbekannten Yoga-Asanas (Übungen) zeigen.

Das ist gut, fein und besser als gar keine Yoga-Praxis zu proklamieren. Aber, und dieses „aber“ ist wichtig, Yoga macht man nicht nur damit, das man die Posen einnimmt, denn diese Posen sind sozusagen erst das Eintrittstor in den Yogaraum. Nehmen wir einfach mal als Beispiel eine einfache, viel gesehene und geübte Yoga-Pose, die einfache Vorwärtsbeuge im Stehen. Was sehen wir auf den Bildern, oder, wenn Sie zu zweit üben, bei Ihrem Partner?

  • Die Füße stehen zusammen, Knöchel an Knöchel? Das stimmt nur für wenige Menschen, denn die Füße sollten, wenn sie funktional agieren sollen, so weit auseinander stehen, wie die knöcherne Hüfte breit ist. Stehen die Füße enger, wird oft das Gleichgewicht-Halten schwierig und man muss Muskulatur anspannen, um nicht umzufallen. Und die Füße stehen, jeder für sich auf drei Punkten, dem Großzehenballen, leicht auf dem Kleinzehenballen und der Ferse. Und dazwischen befindet sich ein sich selbst aufrichtendes und spürbares Fußgewölbe.
  • Dann sollen die Beine gestreckt und aufrecht gehalten werden! Nun können Beine ja auch überstreckt werden. Sie können aber auch gebeugt gehalten werden. Und aufrecht heißt doch, das die Linie der Rückseite gerade steht wie die Wand in einem Zimmer. Ist das im Spiegel oder der Wahrnehmung ihres Partners gegeben. Viele werden feststellen, das die Bedingungen nicht so sind wie sie das vermuten. Und jetzt versuchen sie, diese Bedingungen zu schaffen, in dem sie die Beine strecken und die Rücklinie anzupassen versuchen. Nur, und das ist wichtig, werden sie dazu gerade die Muskulatur verwenden, die sie entspannen müssten, um die ideale Haltung zu bekommen. Sie machen also gerade die Muskulatur fest, die sie lockern wollen. Und so schließt sich die Tür zum Yoga und sie sind ins Krafttraining, genauer gesagt in isometrische Übungen gefallen. Besser wäre es doch, die Muskulatur, die die Beine eben nicht sich strecken lassen, in Ruhe zu lassen und zum Beispiel von den Füßen oder vom Gesäß her zu arbeiten. Dafür aber dürfen die Muskel- und Faszienketten nicht blockiert sein, die das zu tun vermögen. Das ist aber oftmals nicht der Fall. Also müssen doch erst einmal die Blockaden entfernt werden. Aber wie geht das?
  • Blockaden können entfernt werden, wenn Muskeln und Gewebe wie Faszien, Sehnen und Bindegewebe wieder einen so großen Bewegungsspielraum haben, wie das zum Beispiel in der Medizin (Orthopädie) als normal-beweglich ausgewiesen ist. In der VWB ist eine normal Beweglichkeit dann gegeben, wenn wir bei der sitzenden Version dieser Übung bei gestreckten Beinen mit den Langfingergrundgelenken die Zehen erreichen können. Bei der stehenden Version, die ich hier bespreche, sollten zumindest die Fingerspitzen den Boden berühren können, ohne sich anstrengen zu müssen. Weiter unten zähle ich die Übungen auf, die zumindest in Fachbüchern, die für den Breitensport bestimmt sind, als solche ausgewiesen werden.
  • Dann gibt es noch im mittleren bzw. oberen Rücken die Möglichkeit, sich durch eine buckelnde Bewegung mit gebeugten Rücken nach vorne zu schaffen. Aber diese Maßnahme wirkt nur bedingt, denn die runde gebeugte Wirbelsäule (WS) beugt sich nicht besonders weit und sehr schnell stockt der ganze Bewegungslauf und alle Muskeln machen dicht, fangen an zu blockieren. Und sie tun das dann über die bereits erwähnten Faszien- und Muskelketten. Wir brauchen also einen weitestgehenden geraden Rücken, um über die Vorwärtsbeuge die langen Muskelketten an den Beinrückseiten, am unteren Rücken und entlang der WS bis zum Hals/Nacken hinauf zu öffnen. Und öffnen heißt hier, so zu arbeiten, das keine Blockaden entstehen können und bereits etablierte Blockaden sich lösen.
  • Dann haben wir in der Beuge der Vorwärtsbewegung im Bauch eine große Muskelplatte, deren Aufgabe es ist, die Organe an ihrem Platz zu halten. Da sie einer fortgeschrittenen Beuge in Wege ist, muss sie entspannt und nach innen zur WS hin zurückgenommen werden, um Platz zu schaffen. Nun kann sie nicht permanent mit Kraft zurückgehalten werden, weil über die Verbindungen auch andere Muskel- und Gewebepartien in die Anspannung folgen. Wenn ich aber über die große Kette im Ansatz der Beuge, also bei etwa 45° über gestreckten Beinen das Gesäß etwas anzuheben versuche, wird der entspannte Bauch wie von Zauberhand in die gewünschte Form gebracht und die Beuge geht, der Schwerkraft folgend, tief und leicht nach unten.
  • Und dann haben wir ja auch noch Hals, Nacken und den schweren Kopf. Gehe ich mit soweit als möglich geradem Rücken nach vorne, wird der Kopf nach unten fallen und Hals und Nacken in eine Enge ziehen, was sich nicht nur schräg anfühlt, sondern auch die Übung der Vorwärtsbeuge (VWB) behindert. Also muss der Kopf an der richtigen Stelle gehalten oder verankert werden. Dazu ist ein fundiertes Wissen darüber notwendig, wie das geschehen kann. Vereinfacht geschrieben wird dazu das Kinn etwas näher am Kehlkopf gehalten und der Nacken etwas entgegen der Beugerichtung sanft aufgerichtet. Kopf und Rumpf beugen sich nach vorne, der Nacken aber geht leicht in die Gegenrichtung. Das Ganze nennt man im Yoga Bandha, Verschluss oder Siegel. Den genauen Ablauf kann man nur in der Arbeit mit einem ausgebildeten Lehrer erarbeiten. Die individuellen Unterschiede bei Teilnehmern sind zu groß, um hier ein für alle gültigen Ablauf beschreiben zu können.
  • Dann haben wir noch Arme, die mit ausgebreiteten Händen auf dem Boden stehen. Diese sollen, das Bild erscheint eindeutig, den Körper nicht am Fallen durch die Schwerkraft hindern. Sie dienen lediglich dazu, die Schlüsselbeinregionen daran zu hindern, über den Hals in die Enge zu fallen. Auch das würde die VWB behindern, und das schon durch das Gefühl am Hals, wie abgeschnitten zu sein. Wir stützen also nur die Schultern samt Schlüsselbeinen, aber nicht den Rumpf mit unseren Armen ab. Geht der Rumpf tiefer, müssen aber auch die Schlüsselbeine tiefer gehalten werden. Wird die Beuge tiefer, müssen die Arme gebeugt werden, denn sie sind dann zu lang. Dafür gehen die Hände außen an den Füßen vorbei nach hinten. Ein gutes Maß, wie das geschehen kann, stellt die Ausrichtung der Unterarme dar. Sie stehen stets nach allen Richtungen senkrecht zum Boden und stützen nur die Schlüsselbeinregionen so ab, das keine Enge am Hals entstehen kann.
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