Zeit und spirituelle Praxis

Wenn wir Yoga üben, Meditation üben und uns mit Spiritualität auseinandersetzen, müssen wir die bereits erwähnten Phänomene in unserer Lebensführung berücksichtigen. Ausreichende Zeit für Erholung, Zeiten des Nachdenkens und Sinnierens, auf den Körper und seine Bedürfnisse reagieren zu dürfen und entsprechend zu agieren sind Teil einer spirituellen Praxis. Diese findet sich nicht nur in den Zeiten des Übens, sondern findet sich in jedem Moment eines Lebens wieder, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, ein Leben  lang.  Alles andere nenne ich nur ein nettes Alibi auf die Frage, die sich irgendwann einmal  jedem stellen wird: Habe ich genug, habe ich das Richtige getan in meinem Leben bisher? Und die Antwort wird bitter sein, wenn sie mit „nein“ beginnt. Richtige und erfolgreiche spirituelle Praxis erkennt man daran, dass sich diese Frage entweder nicht mehr stellt oder eindeutig nur mit „ja“ zu beantworten ist. Und diese Sachlage ist beileibe nicht so heftig, wie sie sich zunächst anhören mag, denn: Die Zeit zu einer Umkehr oder zu einer Änderung ist immer gegeben, ist jederzeit, mit jedem Alter und in jeder Konfiguration, denn was mich davon abhalten könnte ist nur, keine Zeit dazu zu finden, und diese Zeit, wir erinnern uns, gibt es so gar nicht. Es ist immer Zeit!

Meditation ist zum Beispiel aus der Erholungssichtweise eine vollständige Ruhezeit, das heißt nach einer Eingewöhnungsphase wird der Körper weniger Schlaf einfordern. Außerdem sorgt dieses Sitzen für einen ruhigeren Schlaf, so dass diese Phase deutlich erholsamer sein wird. In der Praxis der Meditation wird die benötigte Zeit praktisch mitgeliefert. Verspannte Schultern wiederum sorgen sehr oft für unruhigen Schlaf, für häufiges Aufwachen und lassen uns morgens daher schlecht in die Gänge kommen. Weiterhin behindert sie in der Bewegungsfreiheit und kostet bei nahezu allen Tätigkeiten zusätzliche Zeit, da sich der schmerzerfüllte Mensch deutlich schlechter konzentrieren kann. Da werden 10 bis 15 Minuten Yoga am Morgen, die bei guter Ausführung die Verspannungen dauerhaft lösen können, leicht wieder einzuholen sein. Und vielleicht ist hier auch der gute Tipp aus den Erfahrungen von 2000 Jahren Klosterleben als Beispiel zu nennen, der aussagt, dass ein gut geplanter Tag viele Arbeiten zügig und schnell abzuarbeiten vermag. Also wäre es doch sinnvoll, dass der Tag auch mit Planung beginnen sollte. Planung aber braucht Klarheit und Ruhe in der Ausführung. Hier ist das hastige Drängen, das Wiederholen der immer gleichen Struktur vollkommen fehl am Platze. Zu Planung gehört Priorisierung, Wichtiges vom Unwichtigen zu trennen, hierhin gehört Delegation, das Berücksichtigen von Zusammenarbeit mit anderen und all die vielen Motive, die Tätigkeiten zum Fließen bringen können. Und natürlich sind Pausenzeiten und Erholungsphasen zu berücksichtigen, und diese sind nicht nur pünktlich von 9 bis 9:15 Uhr und von 12:00 bis 12:45 Uhr, sondern sollten mitten im Geschehen machbar sein. Wenn ich eine Pause brauche, dann muss ich auch eine bekommen, und dafür ist im Plan bereits genügend Luft zu lassen.

Schmerz ist der Anzeiger von Überforderung des Körpers, Müdigkeit zeigt gleiches aus der Sicht des Geistes. Aktive und weniger aktive Phasen sind menschlich vollkommen normal. Weiterhin sind Routinen in täglichen Leben alles andere als langweilig. Ich zum Beispiel freue mich auf meine Morgenpraxis jeden Tag (1:10 Std), freue mich auch auf die Tagesabschlussmeditation (25 Min), die mir einen ruhigen und erholsamen Schlaf beschert, auf meine Montagsyogastunde freue ich mich regelmäßig seit 12 Jahren, und auch die lästigen die Routinen des Alltags wie die Fahrt zur Arbeit, der Einkaufsmarathon am Samstag, das ständige Checken der Mails und anderer Nachrichten, dann das Bestücken meiner Blogs nach Fertigstellen der Artikel und all die vielen sich ständig wiederholenden Tätigkeiten, die seit Jahren fast ohne Nachdenken so nebenbei mitlaufen, belasten mich daher nicht viel mehr als der Toilettengang am Morgen. Darüber muss ich nicht mehr nachdenken, das geht somit in einer Phase der gedanklichen Stille und in vollkommener Ruhe vonstatten. Das ist nicht anstrengend, sondern erholsam. Gedankliche Stille ist immer erholsam. Wir nannten es früher Langeweile und fanden es schlecht, aber diese Zeiten werden gebraucht, heute mehr denn je, um Mensch zu sein und zu bleiben. Menschen sind selbstbestimmte Wesen, Menschen sind frei, und das gilt immer und überall und in allen Lebensphasen. Keine Zeit zu haben gibt es nur als Antwort für manch lästige Mitmenschen, die das Prinzip Zeit noch nicht richtig verstanden haben. Für Freunde und Wissende sollte es dieses „keine Zeit haben“ nicht geben.

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