Das Ende der Geschichten? Eine Denkreise

Das Lebewesen sich ernähren müssen, das Lebewesen sich nur von Leben ernähren können, ist eine Binsenweisheit. Auch das Salatblatt ist schließlich Leben. Es stellt sich aber nicht die Frage, ob wir es tun müssen, sondern die Frage lautet vielmehr: Wie wir es tun, damit auch anderes Leben seinen Raum behalten kann? Muss sich, um Klartext zu reden, der Mensch immer weiter ausbreiten und diesem Planeten ersticken? Und muss sich der Mensch so maßlos bedienen an den Ressourcen der Natur, das der ganze Lebensraum immer schneller im Chaos versinkt? Wir Menschen leben ja auch nicht in Gemeinschaften, auch wenn das immer so erzählt wird, sondern wir leben in Parzellen, eingezäunt, gepflegt. Wehe dem Unkraut, das sich auf den heimischen Rasen verirrt. Wir leben von anderen Parzellen isoliert und sind für alle Lebewesen, die wir nicht niedlich finden, unzugänglich. Auch der ungeliebte Nachbar, Mensch seinesgleichen, findet keinen Zugang in unsere heilige Parzelle. Ist das Gemeinschaft, Gemeinschaft unter Menschen, Gemeinschaft unter Lebewesen, in der Natur, in der Welt? Ist es wirklich das Ziel des Lebens, in Parzellen zu wohnen? Geht weiterhin das Töten, das wir tun müssen, nur so wie wir es jetzt tun? Müssen wir unser lebendes Essen in Schachteln aufziehen, an einem artgerechten Leben hindern von ersten bis zum letzten Tag, oder geht das auch anders? Das sind Fragen, die auf den Nägeln brennen. Ich sehe nicht einmal einen Anfang einer Antwort, die als Lösung Bestand haben könnte.

Und dann hatte ich noch die Träume, Wünsche und die Enttäuschungen genannt, die ebenso zum werden und vergehen gehören wie die schon ausgeführten. Was sind Träume? Woher kommen Wünsche? Was ist eine Enttäuschung? Diese Fragen sind schwer-wiegend und weit-reichend, denn sie bestimmen den Großteil unseres mentalen Lebens. Wo kommen Träume her, nicht die, an die wir uns morgens nach dem Erwachen dunkel erinnern, sondern gemeint sind die Träume, die zum Leben erweckt werden, indem ich strebe, verfolge, entwickle und investiere. Es sind die Träume, die uns einen Tag überstehen lassen, der, seien wir ehrlich, nahezu keine Zeit mehr lässt zum Leben. Und haben wir es dann geschafft, ein Leben eingerichtet, so wie es eben geht, dann kommen die Wünsche, die uns immer weiter treiben. Wünsche sind, wenn wir ehrlich gestehen, all das zu besitzen, zu tun und zu leben, was andere auch getan, bekommen oder verdient haben. Was ich nicht kenne, wünsche ich nicht. Ich kann nur wünschen, was ich kenne, und da ich etwas zu haben wünsche, das ich noch nicht habe, kann es nur etwas sein, was andere mir gezeigt oder erzählt haben. Krass gefragt, muss ich, um wer zu sein, auf dem Mount Everest gestanden haben? Ich war mal auf dem höchsten Berg Deutschlands, der Zugspitze. Sie lag voll im Nebel, und ich habe nichts gesehen außer Wänden, Schnee und habe dort eine Gaststätte besucht, in der schlechtes Essen verkauft wurde. War das eine Enttäuschung? Nein. Es gibt Fotos, die ich auch im Internet mir hätte ansehen können. Aber ich konnte wochenlang erzählen, auf der Zugspitze gewesen zu sein, und ich konnte auch die Bilder zeigen, die ich gekauft hatte. Was für ein Irrsinn. Eine Enttäuschung ist das herausfallen aus einer Täuschung. Ich hatte sozusagen etwas falsches im Kopf und musste es bemerken. Ist das gut oder schlecht? Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Denn wenn ich den Berg nicht besucht hätte, würde ich von anderen als träge eingestuft. So war es halt nur ein Pech mit dem Wetter. Somit wäre in diesem Fall eine Ent-Täuschung gewesen, wenn ich gelernt hätte, das etwas zu tun, um erzählen zu können, schlichtweg nicht der Freude meinerseits, sondern dem… ja was eigentlich, dem Neid der anderen Futter gibt?

Jetzt mal ganz ehrlich? Ist das alles, was ich hier bis jetzt geschrieben habe, nicht traurig und desillusionierend? Dieser Inhalt ist mir eingefallen, als ich einen Brief eines Freundes zu beantworten begonnen hatte. Der Hilferuf lautete kurz gesagt etwa so: Wie die Stille und die Ruhe zu Hause denn zu ertragen ist, wenn es gelingt, diese sich auch einfinden zu lassen. Ich habe diesen Brief mit den nachfolgenden Zeilen beantwortet:

Was ich bemerkt und in letzter Zeit aufgenommen habe ist die Tatsache, dass man sich selbst nicht ändern kann und auch nicht braucht. Eine verrückte Ansicht? Nein! Meiner Meinung und Erfahrung geht es einzig und allein darum, sich bewusst zu werden, was im Leben nicht stimmt. Und dann, wenn das geschehen ist, aufmerksam zu sein und möglichst früh zu bemerken, wann ich wieder mal geneigt bin, wie gewohnt in die falsche Richtung zu steuern. Und dann ist es relativ einfach, sich eine andere Neigung zu geben. Das ist ein wenig so wie auf einem Brett zu balancieren. Zunächst ist die Ausgleichsbewegung grob, aber mit der Übung wird sie immer feiner, und bald entwickelt sich das, und du brauchst die große Aufmerksamkeit nicht mehr, weil die innere Natur gelernt hat, auf dem Brett stabil zu sein. Ein Prozess wie ein Leben ist etwas fließendes, das nicht aufgehalten werden darf, um laufen zu können. Grobe Korrekturen stören das Fließen. Daher spreche und handle ich mehr von Änderung, sondern mehr im Sinn von Neigung oder geneigt sein, und überlasse den Rest dem “in der Welt sein”. Es geschieht, und ich lasse geschehen, und wenn es falsch läuft, neige ich mich in die mir besser erscheinende Richtung und warte geduldig auf die Richtungsänderung. Aber ich bleibe nicht stehen, kehre nicht mehr um, versuche nicht mehr mich umzubauen oder vertiefe mich nicht mehr in die Geschichten, die eigentlich nur trösten sollen. Das ist eine etwas selten angewandte Art der Wandlung, die gerne in der Psychologie und Philosophie übersehen und wenig kommentiert wird, weil sie keine Brüche erzeugt, die zu einem Ahaaa- oder Ohhh-Erlebnis führen, was Auflage schafft und wissenschaftliche Diskussionen erzeugt. Der Wandel darin entsteht still und leise und eckt nicht nur nicht an, sondern geht mehr wie selbstverständlich über die Bühne. Das ist meine neue Art heute, mich zu wandeln. Das gibt mir Frieden und lässt mich jetzt selbst in der Langeweile des Rentnerlebens noch getragen und still sein.

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