Das Ende der Geschichten? Eine Denkreise

Beginnen wir mit einem Zitat eines China-Kenners und Philosophen, Francois Jullien (aus „Der Weise Hängt An Keiner Idee“, Seite 33):

Diese „rechte Mitte“ ist deshalb „recht“, weil sie reguliert ist: Man verharrt oder „erstarrt“ in keiner Position, sondern bewegt und entwickelt sich unablässig, um sich der Situation anzupassen; es gibt zwar eine „Mitte“, doch ist sie doppelt: Sie befindet sich an den beiden Extremen, die beide jeweils in sich legitim sind…

Sich der Situation anzupassen, sich seiner Möglichkeiten bewusst zu sein und im Bereich des nützlichen, möglichen und legitimen, vielleicht sogar zusammenfassend gesagt im „Heilsamen“ dieser Spanne zu handeln, nennt man in China, im chinesischen Denken die „rechte Mitte wahren“. Das ist etwas anderes als Mittelmaß oder im ängstlichen „sowohl als auch“ sich von Ausprägungen und Festlegungen fernzuhalten. Das kann heißen, das eine Mal über die Strenge zu schlagen und an einem anderen Tag schlicht „nein“ zu sagen zur selben Anforderung, und dazwischen liegt ja noch der ganze Graubereich, der ebenfalls legitim sein kann. In dieser Spanne ist eine Lebendigkeit möglich, die fast das Gegenteil zeigt von der Starre eines Mittelmaßes, wie es in Europa gedacht wird.

Brauchen wir Ratgeber um zu leben? Brauchen wir immerzu einen Plan? Müssen wir wirklich alles wissen und durchdringen, was uns im Leben begegnen könnte? Müssen wir uns auf jedes erdenkliche Szenario vorbereiten? Und wie viel Vorsorge und Vorarbeit ist wirklich nötig, um glücklich und frei leben zu können? Ich habe den Eindruck, das wir niemals fertig werden mit den Anforderungen, die wir uns selbst immerzu stellen. Wir hetzen sozusagen einem Ideal hinterher, das viel zu hoch gehängt ist und daher niemals zu erreichen ist. Im Buddhismus werden alle Forderungen an einen Mönch mit „der (die, das) rechte…“ begonnen. Sollten wir nicht auch unsere Ängstlichkeiten, unsere Anforderungen an unser Selbst und an die Welt um uns herum nicht auch mit dem Wort „recht(e)“ beginnen? Und was legt dann fest, was das „rechte Maß“ dieses „rechten“ ist? Vielleicht sollten wir einmal beginnen, dieses rechte Maß nicht festzulegen für alle Zeit, sondern intuitiv und spontan im Augenblick einfach nur das „rechte“ zu tun und darauf vertrauen, das das Leben lebt und keinen Plan braucht, um zu gelingen. Ein Haus bauen zu wollen braucht einen Plan, ein Leben zu bauen eigentlich nicht. Leben, wissen, lernen, bedenken und sich vorstellen wie gewohnt, zu wissen, was „recht“ ist, aber offen und unentschieden bleiben für den einen Augenblick, in dem sich das Handeln lohnt und vertrauen darauf, das es geht. Das wäre doch mal ein Plan, etwas ungewohnt vielleicht, aber doch bedenkenswert.

Nun mehr, aus Seite 5 angekommen, frage ich mich, was um alles in der Welt habe ich hier zu Papier, nein, zu „Bits“ gebracht? Und wie komme ich darauf, so etwas zu einem Text zusammen zu schreiben? Ich nenne das Geschriebene nach kurzer Überlegung jetzt einfach einmal eine Denkreise, ausgelöst durch einen Brief, ein Telefonat oder ein Gespräch denke ich schreibend darüber nach, woher und warum diese Kommunikation so zustande kam, was ich ausgelassen, nicht erwähnt, nicht bedacht habe oder haben könnte und schreibe das einfach so mal auf. Eine Denkreise eben, inspiriert durch den Begriff der Phantasiereise, und ich füge das jetzt ebenso einfach der Überschrift hinzu. Eine Denkreise in diesem Sinne verfolgt keinen Plan, kein roter Faden zieht sich durch den Text und keine Botschaft wird verfolgt. Es steht da einfach so da, wie es in den Kopf geschossen kam.

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