Yoga – Versuch einer traditionsfreieren Sichtweise

Und eine weitere Schwierigkeit tritt auf, wenn man mit Yoga beginnt: Yoga beginnt dort, wo der/die Übende in der eingenommenen Haltung, ob vollständige Asana oder Vorübung ist dabei unerheblich, entspannen kann. Mit Entspannung ist hier gemeint, den Körper in seiner Gesamtheit aus jeglichen unnötigen Spannungen zu befreien. Gerne wird das mit dem Wort „loslassen“ eingefordert. Dazu muss man wissen, das eine Haltung, und Asana ist Haltung, immer irgendwo gehalten werden muss. Selbst das Stehen in Tadasana, ja sogar das Liegen in Shavasana benötigt hier und da im Körper eine Haltespannung, sonst fällt der Körper aus der sicheren Haltung heraus und/oder bedroht sogar seine lebenswichtigen Funktionen wie Atmung und Kreislauf. Schon in der Hatha-Yoga-Pradipika ist diese Bedingung beschrieben. Das bedeutet, das die/der Übende unterscheiden können muss, was notwendig ist und was überflüssig zu sein scheint. Hier kann der Lehrer nur bedingt helfen und muss den Aussagen seiner Teilnehmer vertrauen können. Nach der Entspannung des Körpers in besagter Weise folgt nach der Pradipika das Einrichten und anschließende Loslassens des Atems. Darauf erfolgt dann nach einer Gewöhnungszeit die Stille des Geistes, was zu den Yoga-Stufen 5-8 die Zugänge öffnen wird. So sieht der Weg des Yoga ungefähr aus, wie er in den Schriften von alters her beschrieben wird. Rekapitulieren wir, was als Einstiegsbedingung für den Yogaweg gefordert wurde und auch heute noch erforderlich ist:

  • Die größtmögliche Entspannung des Körpers in Asana, …
  • … gefolgt von einem eingerichteten und losgelassenem Atem und …
  • … der darauf folgende Stille des Geistes, die zur Meditation den Zugang öffnet.
  • Meditatives Verweilen in Asana öffnet somit die Wirkungen des Yoga.

Und an dieser Stelle beginnt Yoga erst zu einem Weg zu werden. Davor werden lediglich die Grundbedingungen geschaffen. Das Yogaübungen auch ohne das Betreten des Weges begangen werden, hier und da Fehlhaltungen beseitigen können und der Gesundheit ganz generell dienlich sind, steht damit nicht in Frage. Aber seine wirklich Pracht entfaltet Yoga erst nach Erreichen der genannten Bedingungen. Was sind die Wirkungen, was entfaltet sich dann in der Übung? Nun ist das so einfach und leicht nicht zu beschreiben. Nahezu alle Schriften verweisen darauf, das die geheimen Wirkungen nicht preisgegeben werden sollen, denn sie können den unvorbereiteten Menschen nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern sogar schädigen. Nun sind nicht alle Wirkungen Siddhis, wie die geheimen Fähigkeiten im Yoga genannt werden. Einige der wenige spektakulären Wirkungen sind durchaus beschreibbar.

Beginnen wir zunächst einmal, den übenden Menschen unter genannten Vorbedingen zu beschreiben. Nehmen wir dazu als Asana einen Menschen im Drehsitz. Mit einer ausreichenden körperlichen Beweglichkeit 1 ist der Drehsitz für den Übenden nahezu mühelos. Bei gelungener Bindung ist lediglich für den aufrecht gehaltenen Kopf etwas Spannung nötig. Die Atmung kann mühelos ihre Bahnen ziehen und der Sitz an sich ist vollständig eingebettet, so das die Teile des Körpers wie im Aufbau einer Pyramide ein festes, mühe- und reglos gestaltetes Sitzen ermöglichen. Und dann alles unnötige entfernen und für eine Minute lang Stille aufkommen lassen: Ein Genuss ohne gleichen. So oder ähnlich können nahezu alle Asana praktiziert werden, auch Gleichgewichtsübungen und Haltungen, die hier und da einen Krafteinsatz fordern. Das Zuviel entfernen ist loslassen, den Atem einrichten und ziehen lassen und dann die Stille des Geistes genießen, so erfolgt der Weg des Yoga in der Körperübung. Ähnlich, allerdings im Detail den Haltungen angepasst erfolgt auch Pranayama (Atemübung) und Meditation. Immer ist eine Haltung zu stehen, sitzen oder liegen, immer ist zu atmen, immer ist Ruhe zu halten im Geist. Und so geübt werden die Wirkungen des Yoga sich entfalten.

  1. Auch ein sinnvoll verwendetes Hilfsmittel wie ein Gurt kann die Haltung vervollständigen. Besonders korpulente Menschen können die Bindung des Drehsitzes mit den Armen nur selten bewerkstelligen.
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