Narrativ vs. Spiritualität

Wir haben heute eine Gesellschaft, die immer mehr zu Vereinzelung der Mitglieder aufruft, die Konkurrenz und Leistung in eine unerreichte Höhe treibt und die erzähltechnisch so ausgefuchst formuliert und auch so wirksam verbreitet wird, das wir nicht mehr klar zwischen Anforderung, Meinung, Notwendigkeit und Wirklichkeit unterscheiden können. Nehmen wir einmal ein einfaches Auto als Beispiel. Wenn ich acht bis zehn Stunden täglich arbeiten muss, ich morgens und abends im Stau stehe und meist nur langsam vorankomme, wenn ich dann noch täglich allein in einem Viersitzer fahre, der 200 PS besitzt und 240 Spitze macht, möglichst breit und hoch gebaut ist (SUV) und der nicht mehr auf den der Parkplatz vorm Haus passt, dann frage ich mich, warum dieses Auto gekauft wurde. Nun, ganz einfach, es ist ein Symbol, ein Statussymbol genau gesagt, das nicht zum Fahren allein, sondern auch zur Selbstdarstellung benötigt wird und dem Mitmenschen kundtut, das ich viel verdienen muss, um mir ein solches Fahrzeug leisten zu können. Damit steigt mein Standing, erweitert sich meine Kreditwürdigkeit, ist meine als Mann fürs Paarungsverhalten wichtige wirtschaftliche Potenz für jede Frau sichtbar. Wir kennen das in der Natur als Balzverhalten.

Ein ähnliches Verhalten wie beim Autobesitz weisen viele Menschen auch in ihrem spirituellen Weltbild auf. Das geht häufig von „ich weiß und kann im Spirituellen mehr als andere…“, was im Bezug zu Hintergrundwissen und Praxis zu sehen ist bis zum krassen Gegenteil davon, also „das spirituelle Nachdenken ist doch nur Humbug und Aberglaube…“. Und natürlich gibt es zwischen diesen beiden Ansichten eine große Anzahl von Grautönen. Nun ist, wie zum Beispiel die Literatur des Zens deutlich belegt, Wissen und Können sowie Glauben und Denken gar nicht die Substanz der Spiritualität. Zu wissen, das vor 2500 Jahren Buddha zur Befreiung gelangt ist hilft mir im jetzigen Leben nicht wirklich weiter. Auch dass er einen Weg aufzeigte, der vom Leiden befreien kann, und ich darüber alles gelesen habe, was es gibt, führt mich nicht zu Leidlosigkeit. Was notwendig ist, ist den aufgezeigten Weg zu gehen und dafür die Konsequenzen zu akzeptieren, die damit verbunden sind. Und diese widersprechen in aller Regel den Narrativen der Zeit, in der ich lebe.

Auch hilft es nicht im Yoga, tolle Asanas zeigen zu können. Asana muss man mit dem Fleisch des Körpers verstehen. Asana muss durchgreifend durch alle Lagen verkörpert sein, um vollkommen wirken zu können. Natürlich kann ich damit auch Rückenschmerzen verhindern oder Stress abbauen. Aber dafür muss man Yoga, wenn es als Gefäß dargestellt wäre, nur am Lack ankratzen. Die Wirksamkeit, besser die Wirklichkeit befindet sich im Inneren des Gefäßes, und dazu müssen alle Lackschichten sowie der Gefäßkörper irgendwann durchdrungen werden. Dann erst beginnt Yoga wirklich.

Und dann haben wir noch den Glauben. Was ist denn Glauben anderes als der Inhalt einer Erzählung. Wenn wir uns die Wissenschaft heute filterlos anschauen, dann müssen zur Ansicht kommen, das Glauben und Wissen sich hier, vorsichtig betrachtet, maximal die Waage halten. Viele Aussagen wie „Geister und Engel gibt es nicht…“, „das ruht im Unterbewusstsein…“, „Wissenschaftler haben herausgefunden….“ Und „alles ist relativ…“ ebenfalls nur Glaubensinhalte darstellen. Wenn Menschen an Engel glauben ist das doch ebenso gut wie zu glauben, dass ich mich mit dem und dem gesund ernähre und die und die Theorie die Wirklichkeit am besten beschreibt. Hauptsache ist doch, dass mir damit ein glückliches und in sich ruhendes Leben ermöglicht wird.

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