Wo immer ich heute diskutiere 1 sehe ich mich mit der oft auch ungestellten Frage konfrontiert, warum ich mich selbst eigentlich so umfangreich mit Spiritualität befasse, wo die Welt und deren Konstruktionen doch viel mehr der Aufmerksamkeit bedürften. Die Frage ist berechtigt, ist nachvollziehbar und in der Wichtigkeit der Beantwortung auch hoch zu priorisieren. Aber sie geht von der Annahme aus, dass Spiritualität (Geist, Geisteswissenschaft, Religion) zur Weltlage keinerlei Beitrag leisten könne. Diese Annahme ist falsch, und daher möchte ich nachfolgend verständlich versuchen, diese Annahme zu begründen und für ihre Beachtung zu werben.
Spiritualität beschäftigt sich mit dem Mensch-Sein an sich, beschäftigt sich mit der Frage, was der Mensch sei, warum er das ist und wohin die Reise gehen könne, allerdings betrachtet der fragende Mensch diese Aufgabe nicht aus einer objektiven, sondern vielmehr aus einer subjektiven Sicht oder Perspektive. Daher lautet die objektiv perspektivierte Frage „Was ist der Mensch?“, aus der subjektiv perspektivierte Sicht aber „Wer oder was bin ich?“ und folgerichtig in der Erweiterung „Was ist mein Weg jetzt und hier?“. Des Weiteren wird auch im Beantwortungsversuch nicht die Perspektive eingenommen, was muss sich in der Welt, in anderen Menschen ändern, sondern die Antwort wird immer lauten müssen, „Was und wie kann ich mich verändern?“, um damit auch die mich umgebende Welt in die Veränderung (Verbesserung) einbinden zu können. Richtig ausgesprochen beschäftigt sich Spiritualität heute mit dem Subjekt, das je nach Tradition „Nicht-Ich“, „Selbst“ genannt wird oder sogar unbenannt bleiben oder nur „Leere“ heißen kann. Daher ist die Beschäftigung mit Spiritualität auch schwierig, besser gesagt abstrakt und erschließt sich erst nach ausgiebigem Studium. Viele Schriften der Vergangenheit sind auch in ihrer Sprache ungewohnt facettenreich, bedienen sich Bildern und Aphorismen 2, was darauf zurückzuführen ist, das in der Zeit ihres Entstehens die wissenschaftlich Begrifflichkeit der heutigen Zeit noch nicht erfunden oder gebräuchlich war. Für den Leser sollte daher die Kultur ins Studium der Schriften einfließen, in der die Zeilen entstanden sind. Das ist leider nicht immer ganz so ganz einfach, weil nicht alle Schriften eindeutig in eine Epoche eingeordnet werden können und der/die Autoren nicht immer klar benannt werden können.
Spiritualität fragt also danach, wer ich selbst
als Fragender wirklich bin. Da ich selbst als Subjekt nicht mich
selbst als Objekt beobachten kann, muss ich die Perspektive der
gebräuchlichen Beobachtung (Ich
als Subjekt sehe
ein Objekt)
aufgeben und bin gefordert, einen
für die Aufgabe bessere, brauchbareren Blickwinkel zu finden. Alle
Techniken der Spiritualität (Meditation, Zen, Yoga, TaiChi)
bearbeiten diesen Schritt, diesen Sprung, der zu einer anderen
Sichtweise auf die Welt, nicht nur auf
die uns umgebende, sondern die uns immer
auch beinhaltende Welt, führt. Dabei
erfahren wir (Spiritualität baut, da tiefe und innere Vorgänge und
Verbindungen nicht belegt, nicht bewiesen werden können, auf
Erfahrung auf und nicht auf Wissen), wie vernetzt wir in Wirklichkeit
sind, wie verstrickt und wie verbunden wir ins Netz des Lebens
eingewoben sind. Diese Erfahrung (Wir haben erfahren, dass es so ist;
daher wissen wir, wie es ist.) letztlich bewirkt, dass es uns nicht
gleich sein kann und darf, was um uns herum geschieht. Wir sind in
jedem Fall betroffen. Nichts
geschieht ohne Rückkopplung auf uns selbst.
Für das Leben in
der Gemeinschaft, dazu gehört, da das Netz des Lebens nicht an der
Grundstücksgrenze, an der Ortsgrenze und der Landesgrenze aufhört
und neu beginnt, der ganze Globus, ergeben sich ungewohnte und
bedeutende Schlussfolgerungen, in denen „interessiert mich nicht“
oder „ist für mich weit weg“ nicht mehr vorkommen können.
Unsere Verantwortung weitet sich auf das ganze Lebensgefüge aus. Es
gibt keine Schubladen mehr. Alles was Leben trägt, unterstützt,
möglich macht oder beeinflussen kann wird wichtig. Das aber sollte
dann nicht ins andere Extrem (Von „der Mensch darf alles
tun, weil…“
bis „ich darf gar nichts mehr tun, weil…“)
ausgedehnt werden, wo nahezu alles profan
oder heilig wird. Die Natur und die sie
bildende Evolution besitzen auch den Grundsatz „Fressen und
gefressen werden“. Darüber kann, darf und sollte man sich nicht
erheben wollen. Es ist das Maß, das hier eine Rolle spielt, es ist
das Gefühl von Gerechtigkeit, von richtig und falsch, das hier mit
in die Betrachtung einfließen muss. Der Weg liegt für
mich mehr oder weniger in der Mitte der
Extreme. Er fordert Balance und
Neuausrichtung zu jedem beliebigen Zeitpunkt, ist immer in Bewegung,
ist immer neu.
Der Unterschied von Wissen und Erfahrung ist der, das Wissen festgefügt ist und Erfahrung sich allgegenwärtig anpasst. Diese Mitte, die wie eine Schlangenlinie sich vorwärts bewegt, ist der Weg der Erfahrung. Dieser Weg ist nicht ausgeschildert, ist nicht bekannt, ist nicht lern- oder planbar. Er kann nur erfahren werden, wenn er gleichzeitig gegangen wird. Daher ist Erfahrung die Grundlage von Spiritualität. Soweit die Theorie. Wie aber geschieht so etwas in der Praxis?
- Diskussionen sind notwendig, auch und besonders über Politik und Gesellschaft im globalen Maßstab, da der Verdacht nicht wirklichkeitsfremd erscheint, dass zunehmend mehr und mehr Regionen der Welt aus den Fugen geraten und der allgemeine Trend der zu beobachtenden Akzeptanz mehr und mehr den Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung wieder mit einschließt. ↩
- Ein Aphorismus ist ein Gedanke oder ein Urteil, das aus wenigen Sätzen selbständig bestehen kann. ↩