Angst, Sorge, Macht, Moderation und Spiritualität

Der Versuch einer Standortbestimmung… und ein Studienvorschlag ist der Kern dieses Artikels. Er beschäftigt sich mit den Grundlagen unserer europäisch-gepägten Kultur.

Wenn wir unsere Gewohnheiten genau betrachten, suchen wir bei Schwierigkeiten verallgemeinernd geschrieben immer nach dem einen Stein, der den Fluss unseres in-der-Welt-Seins in die Richtung gelenkt hat, in der er jetzt fließt. Wir nennen das gerne Kausalität, oder einfach ausgedrückt: „Der eine Fehler, die eine Fügung, das eine Glück und der eine Umstand, der den Ausschlag gab, die gerade jetzt wahrgenommene Richtung einzuschlagen“ und so unseren Standort zu definieren und zu gestalten.

Weniger verbreitet, aber immer noch allgemein verfügbar ist die Ansicht, das es auch mehrere Faktoren der oben genannten Art gewesen sein könnten, die diese Richtung maßgeblich erzeugt hat. Und dann werden die einzelnen Motive aufgezählt, in eine zeitlich eingrenzende Reihenfolge gebracht und zu einem Gesamtbild geformt, das dann dazu verwendet werden kann, um diese Ereignisse entweder wieder und wieder zu wiederholen oder aber diese Ereignisreihe nicht weiter entstehen und wirken zu lassen. Das Gefüge, das so entsteht, ist die Grundlage des menschlichen Erfolges. Darauf beruht jede Zivilisation, jede Gesellschaft und alle Organisationsformen, zu der sich Menschen zusammenschließen.

Betrachten wir das an einem einfachen Beispiel. Eine Gruppe von Menschen wohnt/haust irgendwo auf dieser Welt, sammelt, jagt und lebt ansonsten so in den Tag hinein. Die erbeutete Nahrung wird dann bei Bedarf in einen essbaren Zustand gebracht und vertilgt. Nach einer gewissen Zeit ergibt sich die Situation, das man einem der Mitglieder sein Essen wegnimmt, vielleicht weil er der Einzige war, der noch über einen Vorrat verfügte, und die Diebe stellen dann erstaunt fest, das dieses Essen ganz anders oder genauer gesagt viel besser schmeckt als das, was sie sonst zu verzehren pflegen. Also beschließen sie, das der Bestohlene künftig für alle kochen und zubereiten muss und entbinden ihn (vielleicht) dafür von anderen Tätigkeiten. Er wird zum Koch der Gruppe, und zwar deshalb, weil er das besonders gut kann. Jedes Mal, wenn sich in der Folge dann eine andere Begabung eines Mitglieds herausstellt, handeln sie ebenso, und so entstand das Prinzip der Arbeitsteilung, das heute alle Gesellschaften auszeichnet. Die vielen Vorteile, die dieses Prinzip mit sich bringt, sind offensichtlich. Aber es birgt auch einige Nachteile, die sich mehr verborgen als offensichtlich allein schon durch Möglichkeiten der Vorteilsnahmen herausbilden. Stirbt der Koch, der Jäger, der Werkzeugmacher oder Bäcker, dann muss diese Tätigkeit von anderen übernommen werden. Das kann dazu führen, das dann eine Zeit lang weniger Fleisch auf dem Speiseplan vorkommt, das Essen eine Zeitlang nicht mehr so gut schmeckt oder die Werkzeuge nicht mehr so brauchbar hergestellt werden können. Das sorgt für Unmut und schlechte Stimmung. Steht mal eine Zeitlang nur noch ein Spezialist zu Verfügung, ist die Gefahr groß, das sich die Stärkeren der Gruppe seine Dienste sichern und die anderen weiter darben lassen. Es schält sich eine Hackordnung heraus, die sich immer mehr festigt. Erst sind es die Starken, die sich die Vorteile sichern, dann kommen mit der Größe der Gesellschaft wachsend die Begehrten hinzu, Beliebte, Witzige, Clevere, Schlaue, Rücksichtslose und nicht zu Vergessen die Hinterlistigen, und die Liste der Begabungen, die zur Vorteilsnahme einladen, könnte seitenlang fortgesetzt werden. Aus der Hackordnung aus teilnehmenden Menschen entstehen Hackordnungen der Funktionen, die sich dann immer weiter ausprägen in neue Wertigkeiten und Ordnungen. So entsteht aus einer Gesellschaft der Arbeitsteilung immer mehr ein Machtgefüge, das sich an den Begehrlichkeiten der Macht-Ausübenden ausrichtet. Heutige Gesellschaften sind alle auf solchen Strukturen aufgebaut.

Was Mitglieder einer Gesellschaft heute verstehen müssen/sollten ist die permanente Anwesenheit dieser Struktur. Sie ist der Faden, der das Wollknäuel entstehen lässt, das wir heute so selbstverständlich voraussetzen und das uns (scheinbar) nicht offenbar wird. Sie ist ja nicht falsch, diese Ordnung, denn die Menschheit als Ganzes wäre heute nicht das, was sie ist ohne diese hätte erreichen können. Aber das Erkennen ist auch die Voraussetzung dafür, diese Struktur immer wieder den Notwendigkeiten anzupassen, die ein Leben zwangsläufig mit sich bringt. Strukturen wie diese erfordern einen ständigen Anpassungsprozess. Sie sind, das zeigt die Geschichte der Menschheit mehr als deutlich, niemals fest und endgültig. Mehr sogar, Gesellschaften sind dieser Prozess der ständigen Anpassung an die jeweilige Situation. Viele Gesellschaftsversuche der Vergangenheit sind doch gerade daran gescheitert, das sie nicht fähig und in der Lage waren, diesen ständigen Veränderungsprozess in Gang zu halten. Griechen, Römer, Ägypter sind für das Europa der Mittelmehrregion die Eindrucksvollsten und Bekanntesten davon, wohl weil sie Zeichen und Schriften hinterlassen haben, die ihre Struktur für die Nachwelt nachvollziehbar machten. Andere Völker haben nur wenig dauerhafte Spuren hinterlassen, waren aber nicht weniger erfolgreich. Und weitere Völker haben Spuren hinterlassen, die wir hier in Europa nicht verstehen oder deuten können und die so für Europa wenig Einfluss haben konnten. Ich denke dabei an China und weitere Völker Asiens, Afrikas und Amerikas und der eher als unbewohnbar erscheinen Gebiete der Welt.

Kommen wir zurück zur entscheidenden Aussage der letzten Abschnitts: Das Verstehen-Müssen der Strukturen, in denen wir Menschen leben. Daran hapert es nach meiner Auffassung in der heutigen Zeit in nahezu allen Gesellschaften auf der Weltkugel. Das ist so, weil Europa und seine Menschen seit Jahrhunderten ihr Verständnis ihrer Struktur/Kultur erfolgreich in die Welt hinaustragen und dabei nur wenige bis gar keine Anstrengungen unternahmen, fremde Kulturen zu verstehen, sondern sich damit begnügten, diese lediglich zu erobern und in ihrem Sinne zu formen. Das Motiv war und ist es auch heute noch Ausbeutung, ein Prinzip, das die Eroberer im Verhältnis Mensch-Natur erfolgreich angewandt hatten und das mit der Seefahrt auf Menschen anderer Weltregionen ausgedehnt wurde. Was sie dabei angerichtet haben, was sie zerstört haben und was dabei verlorenging, ist unschätzbar groß. Auch andere Völker, denken wir nur einmal an die Bewohner der Osterinseln, haben wie Europa ihre Lebensgrundlage geschmälert und sogar vernichtet. Das ist wahr. Aber niemand davon war so großflächig „erfolgreich“ wie die europäischen Eroberer. Wir finden die Ansätze und Grundlagen europäischer Prägung in nahezu allen Regionen der Welt. Betrachten wir das heutige Europa, ehemals eine grüne, von Wald übersäte Weltregion mit optimalen Lebensbedingungen, müssen wir erkennen, das Rodung, Rohstoffausbeutung und Umweltgestaltung den Kontinent für das Leben insgesamt betrachtet in eine monotone und feindliche Welt verformt haben. So war Spanien früher eine grüne und dicht bewaldete Halbinsel. Gleiches gilt mehr oder weniger für die ganze Mittelmeerregion. Die Zahl der ausgestorbenen Arten geht in die Millionen, und mittlerweile müssen Menschen immer mehr Aufgaben erledigen, die früher ganz von selbst geschahen. Blüten bestäuben, Boden düngen, Hänge befestigen, Wassermassen bändigen, die klimatischen Bedingungen erhalten, die Flüsse, Seen und Meere schützen und viele andere Erfordernisse der heutigen Zeit sind verursacht durch Unverständnis und nicht einfach so entstanden. Die Ausrede, das wir es nicht besser wussten oder verstanden ist zwar im Kern richtig, aber ich lasse sie nicht mehr gelten, seit wir wissen können/müssen, das es so ist wie es ist.

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