Ein paar Antworten, die zu Ergebnisse geführt haben, möchte ich kurz ausführen, da deren Inhalte sich bewährt haben. Beginnen wir mit der Angst. Die Angst ist ebenso wie der Schmerz eine Grundmotiv menschlichen Lebens. Wir wissen doch nach wie vor nicht, was im oder nach dem nächsten Atemzug geschieht, können es nicht wissen, da unser Leben endlich ist und der Zeitpunkt des Endes des Andauerns sich uns nicht erschließt. Alle möglichen Antworten darauf erwiesen sich bisher als von Setzungen gegründet. Angst zeigt sich in vielen Situationen, und das scheint gut zu sein, weil sie erst das Fragen, vom dem ich sprach, möglich macht. Ich stehe hier zu einer Aussage Heideggers, das Angst zu empfinden und auszuhalten die Türe öffnen kann, die entbergt, das sie hinter dem Seienden das Sein zu entdecken vermag, das sich gewöhnlich dort verbirgt. Und das, sollte es eintreffen, so hoffe ich oftmals, wird mir die eine oder andere Frage zusätzlich beantworten, wird sie in die richtige Form bringen oder mir das Leben vor der Angst näherbringen. Mit dem Schmerz verhält es sich ebenso wie mit der Angst. Nur ist Schmerz viel offensichtlicher, bei weitem nicht so verborgen und weniger verstrickt. Schmerz zeigt an, das etwas nicht (mehr) stimmig ist, das der Körper zum Beispiel verletzt ist oder seine Funktionen nicht wahrnehmen kann, das eine Lebenssituation psychisch-seelisch so aus den Fugen geraten ist, das das Geschehen als Schmerz (Trennungsschmerz, Heimweh, Verrat, Beleidigung) wahrgenommen wird. Ich würde sogar sagen, das Wut und Zorn mit Schmerz direkt verwandt sind oder gemeinsame Wurzeln haben. Darauf verweisen auch die schwachen Stimmungen, die sich aus den drei genannten starken (Schmerz, Wut, Zorn) ableiten. Wir können sie Unwohlsein, Aufbegehren und Einforderung nennen und sie somit als die zivilisiert-erlaubten Ableger der drei ansehen. Auch das gegenläufige Konstrukt birgt eine Stimmungen, nur geht sie in eine andere Richtung. Fühlen sich Schmerz und Ableger als zunehmend nagend an, weisen aber immer noch eine Gegenreaktion auf, so sind Trauer und ihre Verwandten (Depression, Antriebslosigkeit) mehr dämpfend und gehen vielleicht sogar unter die Linie der Wahrnehmung, die unser Lebensgefüge als normal ansieht. Sie machen hilflos, lassen kein Aufbegehren (mehr) zu 1. Ich glaube hier an einem Punkt zu sein, an dem ich den nächsten Sprung wagen sollte.
Wir können ein Leben in nahezu allen Situationen, die uns begegnen, immer als grundsätzlich „aufbegehrend“ beschreiben. Wir reagieren aufbegehrend auf Bedürfnisse mit dem Ziel, diese zu stillen, also entweder „still“ werden zu lassen oder gar zu „sättigen“, was die Stimmung im ersten Fall auf Normalnull zu dämpfen oder wie im zweiten Fall sogar über das Normal zu heben vermag. Denken wir an den Hunger, der still wird, wenn ich etwas Essbares zu mir nehme oder der bei ausreichender und besonders angefragter Kost sogar zu einem hoch stimmigen Wohlsein führt. Nahrungsaufnahme, Befriedung der Sexualität, dazu beizutragen, sich angenommen, geliebt und gebraucht fühlen zu können, Vergnügen empfinden, Recht gehabt zu haben, weder Angst noch Furcht haben zu müssen und/oder auf einem Siegertreppchen zu stehen sind solche Begebenheiten, die durch Aufbegehren erschlossen werden. Sogar sich zur Wehr zu setzen, sich zu entziehen, sich zu gedulden, sich zurückzunehmen, sich zu schützen, sich zu produzieren, sich herauszustellen, sich zu rechtfertigen, etwas zu wünschen, zu hoffen, zu gewähren u.s.w. lassen alle sich als in letzter Konsequenz als Begehren erklären. Begehren ist eines, wenn nicht sogar das Grundmotiv des Lebens. Dieses richtet sich nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten, Begehren zu können und zu deren Befriedung zu gelangen. Der Löwe in der Savanne begehrt das zur Nahrungsbefriedung notwendige Zebra… nur dann, wenn er Hunger hat. Satt kann er inmitten einer Zebraherde ruhig schlafen. Beim Menschen sähe das wohl anders aus, weil dieser sein Begehren auch auf Zukünftiges richten könnte. Er weiß, das er auch morgen wieder Hunger haben wird und versucht daher schon heute ein Tier zu erlegen, auch wenn er sich gerade satt fühlt. Die große Masse aller Lebewesen kann diese Form der Vorsorge nur begrenzt oder gar nicht betreiben. Hier ist der Mensch die große Ausnahme, überragt er in seinem Begehren-können alle anderen Lebewesen. Pflanzen begehren ebenfalls, wie jeder im Garten oder Wald erkennen kann. Ihr Begehren sucht durch Wurzelbildung nach Wasser, sucht durch Wachstum nach ausreichendem Zugang zu Sonne und Licht. Tiere verbringen den Großteil ihres Lebens mit der Suche nach Nahrung, jagend oder äsend. Was beide Genannten vermissen lassen ist das Motiv der Sorge, das sich in Vermeidung, Vorsorge und Absicherung ausdrückt. Der Mensch ist, wie die Beschreibung belegt, ein/der Meister des Begehrens und der (Vor)Sorge. Dafür grenzt er den ihm zugängliche Weltausschnitt ein, er ergreift Besitz und verteidigt diesen gegenüber allen anderen. Selbst innerhalb der Gemeinschaften, die zunehmend größer werden, hat sich dieses Prinzip heute durchgesetzt. Waren frühere Gemeinschaften noch gemeinsam agierende Kommunen, finden sich Menschen heute zunehmend als Alleinstehend in ihrer Welt wieder. Dieses Alleinsein, das keine Macht auszuprägen in der Lage ist, wiederum erzeugt Ohnmacht und weitere Angst, die sich immer weiterführend in Sorge ausdrücken wird.
Fassen wir in aller Kürze zusammen. Der Mensch kann Angst und Schmerz empfinden, und aus diesem Vermögen heraus entwickelt er ein Begehren, das aus der Summe aller Lebewesen an Größe und Umfang mehr als einzigartig herausragt. Dieses übergroße Begehren lässt das entstehen, was wir in den verschiedenen Formen der Sorge wiederfinden. Diese Sorge wird vom Menschen derart aufgenommen, das er Gemeinschaften bildet, um sich besser in der Welt behaupten können. Diese Gemeinschaften wiederum ermöglichen/erfordern Arbeitsteilung, Spezialistentum, Rollenverteilungen und bedingen Besitzverhältnisse. Zur Organisation derselben muss dann zwangsläufig ein Machtgefüge ausgebildet werden, um die vielfältigen und unterschiedlichen Vorgänge steuern zu können. Aus diesem Machtgefüge heraus entwickeln sich Hackordnungen, die wiederum Angst und Schmerz auszulösen verstehen und sich in zusätzliche Sorgen verwandeln.
Das ist der heutige Stand der Menschheit und damit das große Problem unserer Welt, denn Sorge, Angst und Schmerz in der Menschheit haben ein Ausmaß angenommen, das die Grenzen des sich selbst regulierenden Systems namens Leben auf unserem Planeten zu sprengen vermag. Diese Spiralen aus Begehren, Zusammenarbeit, Machtausübung, Eingrenzung erzeugen mehr und mehr die Motive Angst und Sorge, zu deren Vermeidung diese Spiralen einst in Gang gesetzt wurden. Der Mensch hat mit seiner Zivilisation, die sich durch Ausgrenzung der Natur und Ausbeutung derselben einschließlich des Menschen selbst durch sich selbst einen Kreislauf erzeugt, der immer weiter in die genannten Spiralen gehen muss. Die Beweisführung dieses Artikels sehe ich als eine/die Lagebeschreibung an, zu deren Lösung ein Schreiben wie das Gelesene beitragen kann und soll. Zu Verstehen „Was-Ist“ ist immer die Grundlage, Änderungsmöglichkeiten zu erforschen und zu benennen. Wir können ein Lebensgefüge nicht ändern, wenn wir nicht verstehen, wo wir uns gerade befinden und wie das Bestehende funktioniert. Die Kreis- und Spiralläufe müssen durchbrochen oder angehalten werden, wenn sich etwas befrieden soll. Für mich sind die Vorstellungen, die sich in „Begehren“ ausdrücken, der Schlüssel dazu. Nur das Hauptmotiv selbst lässt eine nachhaltige Änderung zu.
- Daher arbeitet jede Trauerarbeit, jede Psychotherapie neben dem Verstehen auch immer wieder auf das Aufbegehren des Lebens hin, das der Patient wiedererlangen soll. ↩
Mir hilft der Beitrag sehr;)